Missing Scenes von FreeWolf (Sidestory zu "Ich packe meinen Koffer") ================================================================================ Kapitel 3: 2004 (II) -------------------- Der Vorstandsvorsitzende stellte sich auf eine umgedrehte Kiste, die ihm als behelfsmäßiges Podium dienen sollte, und klatschte in die Hände. Die umliegenden Gespräche erstarben, während sich alle ihm zuwandten. Eine Lichterkette, die sie für den Anlass aufgebaut hatten, bewegte sich im lauen Augustwind und warfen schimmernde Reflexionen auf den Fluss. „Ich will gar keine langen Reden schwingen“, begann der kleine, rundliche Herr und machte eine ausladende Geste in die Runde. „Ihr alle wisst, was ihr getan habt und welche Opfer ihr gebracht habt, damit die BEGA den Sport nicht zerstört, der uns zusammenbringt. Eure Treue und euer Vertrauen rühren mich tief und ich möchte mich dafür von ganzem Herzen bedanken“ Applaus brandete auf. Daitenji hob die Hände und lächelte breit, bevor er weitersprach. „Ich möchte mich nicht nur bei euch für eure Unterstützung bedanken, sondern auch bei unseren Partnern, PPB Labs und Hiwatari Quality. Durch ihre Hilfe konnten wir den Wiederaufbau der BBA so schnell in Angriff nehmen – bitte gebt ihnen einen Applaus!“   Yuriy beugte sich zu Kai, nickte vage in Richtung von Misaki Hiwatari und fragte leise: „Wusstest du davon?“ Der Angesprochene schüttelte den Kopf, während er klatschte. „Nein, das ist mir alles neu“, gab er ebenso leise von sich, während Misaki verlegen winkte und sich in Richtung Daitenji verbeugte. „Es war klar, dass Judy Tate ihre Finger mit drin hat, aber dass meine Mutter wieder in Beyblades investiert …“   Der Vorsitzende der BBA hob erneut die Hände als Zeichen, dass er noch nicht fertig war, und zog damit die Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Aber genug der langen Worte: Wir haben durch eure großartige Zusammenarbeit eine Anlage und Getränke und wollen den Neubeginn feiern!“ Ein paar der Anwesenden hoben ihre Saftgläser, ein paar andere klatschten, und Daitenji mühte sich von seinem behelfsmäßigen Podium herunter, um die Tanzfläche freizugeben. Jemand machte sich an der Anlage zu schaffen und es dauerte nicht lange, bis Musik ertönte.   „Misaki-san!“, Misaki wandte sich um, um sich gegenüber einer großen, blonden U.S.-Amerikanerin mit deutlichem Akzent in ihrem Japanisch gegenüber zu finden. Sie war laut, auffallend, groß – dafür war sie, wie Kai ihr erzählt hatte, berüchtigt unter den Team-Managern. Sie hatte selbst Kinomiya Hitoshi dazu gebracht, den Schwanz einzuziehen, was scheinbar etwas heißen musste. „Judy-san! Wie geht es Ihnen?“, Misaki verbeugte sich zur Begrüßung. Judy verzog das Gesicht angesichts des formellen Grußes. „Unsere Kinder bladen schon so lange zusammen. Wollen wir nicht langsam per Du sein?“, fragte sie also geradeheraus, und Misaki nickte überrascht, lächelte. „Gerne“ Sie wurde aus Judy Tate nicht schlau, die eine Flasche Bier in der Hand hielt und ihrem Sohn freundlich zuwinkte. Der Blick ihrer blauen Augen war weich, in ihre Augenwinkel schlichen sich Krähenfüße als sie breit lächelte. Der winkte zurück, ehe er sich wieder seiner Hauptbeschäftigung zuzuwenden: Er redete auf die Rothaarige des U.S.-amerikanischen Teams neben sich ein. Er schien sie wohl zu etwas überreden zu wollen und wurde dabei tatkräftig vom Beyblade-Weltmeister unterstützt. Mizuhara Max schien erfolgreich zu sein, denn kurz darauf tummelte sich eine kleine Gruppe junger Leute aus allen Nationen auf der improvisierten Tanzfläche. Misaki fühlte sich an Studentenparties erinnert, an ihre erste Liebe und hatte Lust, es den Jugendlichen nachzutun. „Sie werden viel zu schnell erwachsen“, merkte Judy neben ihr seufzend an. „Unter uns gesagt fürchte ich mich ein wenig davor, dass Max bald mit einer Freundin im Schlepptau daherkommt“ Misaki schmunzelte. „Das stimmt“, sie nickte langsam, ließ ihren Blick schweifen. „Bald ist Beyblade für sie nicht mehr das wichtigste. Erinnerst du dich an dieses Alter?“ Judy lächelte breit. „Das sind doch die schönsten Jahre, nicht?“, fragte sie augenzwinkernd. Misaki lachte und prostete ihr zu. Die Teams, die in der Weltmeisterschaft gegeneinander angetreten waren, hatten sich in Grüppchen auf Decken und stehend um die Fläche herum verteilt. Die kleine Gruppe probierte Tanzschritte aus, die sie wohl bei ihren Eltern gesehen hatten. Es sah ungelenk aus, wie Bewegungen die noch nicht so ganz passten. Misaki sah wie der weibliche Part der spanischen Zwillinge die Chinesin mit den auffallenden Haaren und die junge Frau, die immer in der Nähe des Weltmeisters war, mit sich auf die Tanzfläche zog. Einige der anderen bladeten, wieder andere spielten Karten. Das kleine Buffet, das die Erwachsenen vorbereitet hatten, war eine gute Idee gewesen. Misakis Blick fiel auf Kai, ohne ihn bewusst gesucht zu haben. Sie beobachtete, wie Kai zu Yuriy und Boris schlenderte, ein Becher in der Hand. Sie sah, wie sie ein paar Worte wechselten, lachten. Ob Kai bewusst war, wie sehr er am russischen Team hing? Dann sah sie, wie Boris etwas aus seiner Jackentasche hervorzog, nachdem er sich einmal unauffällig umgesehen hatte. Etwas glänzte im Halbdunkel, und verschwand wieder. War das ein Flachmann? Misaki runzelte die Stirn. Judy gab ein abfälliges Geräusch von sich, was Misaki dazu veranlasste, sich überrascht zu ihr zu drehen. Judys blaue Augen waren hart geworden und waren kalt auf die Russen gerichtet. „War doch klar, dass die Unruhe stiften“, bemerkte sie abfällig. Misaki schluckte den Stich hinunter, den es ihr gab. „Wieso?“, fragte sie bemüht ruhig nach. Judy schnaubte abfällig. „Sie haben während der Weltmeisterschaft eine nette Show abgezogen, aber ich bin mir sicher, dass das nur das war: Show. Die haben sich keinen Deut gebessert“, ihr kühler Blick richtete sich auf Misaki, in deren Magengegend es zu brodeln begann. „W-woher glaubst du das zu wissen?“, erkundigte sie sich gepresst. Judy blickte sie überrascht an, schien jedoch ihre Tirade nicht beendet zu haben. „PPB wollte sie in die USA holen, da habe ich die Akten gesehen, weil ich ein Gutachten ausstellen sollte. Die Berichte der Sozialarbeiter sind erschreckend. Weißt du, aus welchen Umständen die kommen? Sie waren vor vier Jahren ein verlorener Fall und das hat sich nicht geändert“ „Judy“, Misaki straffte die Schulern, sah ihr Gegenüber ernst an. „Sie haben sich gegen Volkov gestellt, als wir alle zu überrumpelt waren, um etwas zu tun. Sie haben viel durchgemacht, aber man sieht, dass sie sich verändert haben“ Misaki warf einen kurzen Seitenblick auf die kleine Gruppe, zu der sich nun auch die Spanierin gesellt hatte, hoffte, dass sie nichts davon mitbekamen, ehe sie Judys Blick traf und hielt. Ihre Unterhaltung wurde von Kinomiya Hitoshi unterbrochen, der sich zu ihnen gesellte. „Glauben wir, wir merken nicht, dass sie einen Flachmann eingeschmuggelt haben?“, fragte er an niemand bestimmtes gewandt, die Arme verschränkt. Misaki biss die Zähne zusammen. „Ach, lass sie doch, Grünschnabel“, schaltete sich Kinomiya Ryou ein, der den Kommentar seines älteren Enkelsohns wohl überhört haben musste. Er lächelte Misaki an, die Judy ein wenig erleichtert den Rücken zuwandte. „Der Meinung bin ich auch“, pflichtete sie ihm bei, fühlte sich schon etwas leichter. „Solange sie nicht übertreiben ist alles okay. Außerdem gehen wir nicht unbedingt mit dem besten Beispiel voran“ Sie hob ihre Bierflasche, und Ryou stieß mit ihr an. Judy und Hitoshi schienen sich in ihrer Gegenwart unwohl zu fühlen; nach wenigen Minuten waren Misaki und Ryou-san alleine. Ryou trank demonstrativ einen Schluck Bier und nickte in Richtung ihres Sohnes. „Sie haben sich gut gemacht, nicht wahr?“   „Worüber lästert ihr so, Mädels?“, Giulia gesellte sich zu der kleinen Gruppe, die Boris, Kai und Yuriy bildeten, und brachte damit das bisherige Gespräch zum Erliegen. Sie hatte einen Becher in der Hand, nickte Kai und Yuriy kurz zu, wandte sich dann an Boris. „Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass ihr die Anlaufstelle für Alkohol seid“, erklärte sie, und Boris verdrehte die Augen. Er blickte zum dritten Mitglied ihres Teams, der sich ein wenig Abseits ins Gras gesetzt hatte und sich mit Mathilda und Raoul unterhielt. „Sergej kann auch nichts für sich behalten“, grummelte er, während er unauffällig seinen Flachmann aus der Tasche holte. Kai sah sich unauffällig um. „Mach dich mal locker, Hiwatari“, Boris verdrehte die Augen. „Zatknis‘, Borya“, doch auch er hielt ihm seinen Becher mit Orangensaft hin. Boris grinste zufrieden, füllte mit einem großzügigen Schuss aus seinem Flachmann auf und prostete den beiden zu, ehe er ihn mit einem Seitenblick auf Daitenji wieder einsteckte. Kai verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das andere, sah an der anderen Seite des kleinen erleuchteten Platzes am Fluss seine Mutter neben Takaos Großvater stehen, die ihm mit einem Augenzwinkern zuprostete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)