Draculas Kinder von Elnaro ================================================================================ Kapitel 3: Lucards Feines Frischblut ------------------------------------ Wie geahnt, entwickelte sich mein Verhältnis zu Magret in keine Richtung. Ich erhielt den eiskalten Blick der Tausend Messerstiche als wie zuvor und schloss daraus, dass ich richtig gehandelt haben musste. Diese Frau war ohnehin für mich verloren. Meine Enkelin Elisabeth hingegen, war noch unbelastet. Zu meiner allergrößten Freude und zum Leidwesen ihrer treulosen Mutter, entwickelte sich das Kind prächtiger, als ich es mir in meinen kühnsten Träumereien ausmalte. Ich revidierte meine Einstellung zur Zimperlichkeit von Mädchen, denn Elisabeth verhielt sich tollkühner als meine beiden Söhne zusammen. Schon im Kindesalter begann sie aus eigenem Antrieb auf die Jagd zu gehen und kannte keine Skrupel bei der Auswahl ihrer Opfer. Kleinkinder und schwangere Frauen tötete sie zu Beginn besonders gern, doch sie machte große Fortschritte. Bereits mit dreizehn lockte sie einen zwei Meter Hünen, einen Grenzmann zu Siebenbürgen, in eine dunkle Seitengasse und fiel wie eine wildgewordene Katze über ihn her. Sie kam nicht ohne Blessuren davon, doch war sie stark und stolz wie keine andere Frau. Nur ich war in der Lage, ihr Einhalt zu gebieten, denn ihr Respekt gebührte einzig und allein der Macht des Urvampirs. Ihre ungezügelten Vampirtriebe waren ästhetisch ansprechend und machten den Reiz dieses jungen Geschöpfes aus. Etwas Schöneres hatte ich in meinem langen Leben nicht zu Gesicht bekommen. Sie am Leben zu lassen, stellte sich als goldrichtig heraus, denn dieser Dracul Spross war schlicht perfekt. Dieses besondere Mädchen drängte ich zu nichts, auch nicht, als es Geschlechtsreife erreichte. Zu groß war meine Bewunderung für Elisabeth, die auch ohne mein Zutun eine Fixierung auf mich entwickelte. Mit 14 holte sie mich und Victor in einen der mit schickem Tand bestückten Beratungsräume zusammen, ließ die Tür geöffnet und bat uns, still auszuharren. Daraufhin holte sie ihre Mutter in den angrenzenden Thronsaal und begann unter der Kuppel beim Thron ein Gespräch mit ihr, welches akustisch auf eine Weise widerhallte, die uns jedes gesprochene Wort zulieferte. „Mutter, in mir ist etwas Neues erwacht, über das ich unbedingt mit dir sprechen muss. Es ist so. Wenn ich junge Männer beiße, überkommt mich die Lust, noch andere Dinge mit ihnen anzustellen, dabei sind das nur ekelhaft, schmutzige, kleine Menschen. Ich halte das nicht mehr aus. Ich will einen Gatten wählen, damit ich diese fehlgerichteten Gefühle abschütteln kann.“ Wenn diese junge Frau sprach, kam der unbedarfte Gesprächspartner nie darauf, maßlos von ihr manipuliert zu werden und Magret war dumm genug, stets nur das Beste in ihrer Tochter zu sehen. Mir hingegen war an dieser Stelle bereits bewusst, aus welchen Gründen ich und mein Sohn dieses Gespräch mitverfolgen sollten. „Oh El, es ist noch zu früh für dich, solchen Empfindungen nachzueilen. Sie führen dich nur in die Irre. Lass dir noch etwas Zeit damit!“ „Wieso? Wie alt warst du bei deinem ersten Mal?“, fragte die kleine hinterlistige Schlange, die zu viel Zeit mit mir verbrachte und schon so einiges über mich und ihre Mutter in Erfahrung bringen konnte. Sie war zwölf, als wir bei einem Streifzug darauf zu sprechen kamen. Wie von mir erwartet, hatte sie es gefasst aufgenommen und sogar an ihrer Mutter gezweifelt, wahrscheinlich weil sie nicht verstand, wie man mich, den Urvampir, ablehnen konnte. Allerdings war sie schon damals klug genug, ihrer Mutter für diesen Fehler zu danken, der zu ihrer eigenen Geburt geführt hatte. Magret schwieg zunächst, wovon sich ihre Tochter nicht beirren ließ und sie so lange nötigte, bis sie eine Antwort erhielt. „Ich war zwei Jahre älter als du und selbst das war noch zu früh.“ „Ich bin mir sicher, dass ich sehr viel reifer bin, als du es warst“, gab Elisabeth zurück. „Meine Rose, ich möchte dir damit bestimmt nicht wehtun, aber glaub mir, du bist nicht reifer als ich es war, sondern das genaue Gegenteil ist der Fall. Lass dich nicht von vampirischen Trieben und Instinkten leiten, sondern suche nach Wärme und nach Liebe. Diese Gefühle sind bedeutend wertvoller. Sie lassen sich zum Beispiel in engen Freundschaften finden.“ „Freundschaften… du hast recht, Mutter. Mein Trieb nimmt schon ab, wenn ich das nur höre. Also gut, sprechen wir über etwas anderes. Es stimmt doch, dass eine Vampirfrau jenem Mann gehört, der als erstes den Beischlaf mit ihr verübt. Ist das nicht ist eine unverfrorene Frechheit? Männer sind keinen Deut besser als ich es bin. Sobald ich das Zepter halte, kippe ist dieses Gesetz. Ich stecke deine Brüder und diese anderen Luschen sowieso locker in die Tasche! Sowas lasse ich mir von denen nicht bieten.“ Nun fragte ich mich, wen genau sie vorzuführen beabsichtigte, denn Victor atmete neben mir einmal schwer durch. Seine Reaktion erheiterte mich, denn er wusste um die Wahrheit ihrer Worte. Auch Magret schwieg, während Elisabeth weiter sprudelte. „Gib es doch zu, Mutter. Auch du hast dieses Gesetz gebrochen. Mein Vater war nicht dein erster Mann. Ich will mich nicht von Männern in Ketten legen lassen und durch dich weiß ich, dass es auch anders geht. Kämpf mit mir gegen diese Ungleichbehandlung! Jede Vampirfrau bei Verstand wird uns dabei unterstützen.“ Nun äußerte sich ihre Mutter, und zwar reichlich streng. „Vielleicht hast du im Kern deiner Aussage recht, aber vergiss eines nicht: Dein Vater hat sein Leben wegen meines Gesetzesbruchs verloren. Sprich nicht über Dinge, von denen du noch nichts verstehst, nur um deine Triebe zu legitimieren!“ Wieder kehrte Stille in den Saal ein, möglicherweise aufgrund Elisabeths Einsicht, wahrscheinlicher, weil sie ihre Stimme dämpfte. Es war mir nicht möglich, das in Erfahrung zu bringen, doch ihre nachfolgende Aussage zerschnitt die schwere Anspannung wie ein frisch geschärftes Schwert. „Du bist nach den alten Gesetzen immer noch Draculas Frau, hab ich recht?“ „El, wie hast du das alles... in Erfahrung bringen können?“, brachte ihre Mutter recht leise heraus. Bedauerlicherweise vermochte ich nicht zu sehen, was die beiden taten, denn Magrets Gesichtsausdruck wäre für mich von größtem Interesse gewesen. Schon in ihren jungen Jahren hatte sich Elisabeth zu jenem Mitglied meiner Familie entwickelt, das ich am meisten liebte, um nicht zu sagen, sie war nach Phelia die erste und einzige, die ich jemals liebte und dann antwortete sie auch noch mit folgendem wunderbaren Geständnis mir gegenüber: „Egal wie. Ich will nur wissen, ob ich es werden kann, oder ob du diesen Platz besetzt hältst. Ich sehe aber, dass wir uns einig sind, was die Gesetze betrifft.“ „Ich verbiete dir, deinen Großvater als Mann in Betracht zu ziehen! Er riss deinem Vater das noch schlagende Herz aus der Brust, da hatte ich dich gerade erst entbunden. Dein Vater Marcos war vor die Wahl gestellt, sein Leben zu opfern oder deines. Er rettete dich, ohne zu zögern. El, du warst Zeugin der Tat und hast danach wochenlang nichts als geschrien, bis du eines Tages für immer damit aufhörtest.“ Verflucht sei die Wahrheit! Das wusste sie noch nicht, sondern nur, dass ich seinen Tod befohlen hatte, wie es die Gesetze verlangten. Ich erzählte Elisabeth, ich habe sie aus reiner Barmherzigkeit vor dem Tode bewahrt, sie großherzig angenommen und mich somit als ihren Retter inszeniert. Ich hörte schnelle Schritte und danach wie eine Tür ins Schloss geworfen wurde. Dies nahm ich zum Anlass, unsere Deckung zu verlassen. Magret saß zusammengekauert auf den Stufen, die zum Thron hinaufführten, was mich wenig kümmerte. Mir ging es um meine Enkelin. Ich schickte Victor, um die verwirrte junge Vampirin zu beruhigen. Nach diesem Erlebnis zeigte sich mir Elisabeth weniger offen. Eine wahre Schande. Sie entglitt mir, doch immerhin näherte sie sich nun Victor an, der nur ein Jahr später zu ihrem Mann wurde. Zuvor allerdings hatte Elisabeth für eine Reform der Gesetzeslage gesorgt, welche Frauen wie Männern das Recht zu mehreren Lebenspartnern und auch zur Trennung einräumte. Das war ein geringes Übel, um diese Verbindung zu ermöglichen. Für mich mochte sie verloren sein und doch schenkte sie mir Kraft und Hoffnung. Ich hatte begriffen, dass nicht zwangsläufig ein so widerspenstiges Weib wie Magret entstehen musste, wenn ich mich fortpflanzte. So versuchte ich erneut die perfekte Frau für mich zu erschaffen. Ich gab mich nicht wieder mit der erstbesten Schönheit zufrieden, deren Name mir gefiel. Ich suchte eine Frau mit Bildung und Geschick, was sich nicht leicht gestaltete, doch in einem menschlichen Adelshaus wurde ich fündig. Auch wenn sie nur einen Bruchteil zum Kind beitragen würde, so war mir diesmal auch diese Zutat wichtig. Ich lud mich selbst am Abend in eine Feierlichkeit mit etwa fünfzig Gästen ein und überzeugte mich von ihrer Intelligenz. Es zehrte an den Nerven, mich unter Menschen bewegen zu müssen, denn sie alle erstarrten beim Anblick meiner roten Augen, verloren die Sprache oder gar das Bewusstsein. Entsprechend musste ich jeden von ihnen beim ersten Kontakt stabilisieren, damit ich die Veranstaltung nicht ungewollt zerstörte. Ich separierte die Frau meines Interesses und ließ sie von sich erzählen, eine seltene Ehre. Sie hieß Valentina, war eine der wenigen Frauen, die eine Universität besucht hatte und sie interessierte sich für Alchemie, oder Chemie, wie man es in diesen Tagen nannte. Ich ließ sie mich in ihr Arbeitszimmer führen, wo sie mir von ihrer faszinierenden Forschung über die Gerinnungsaktivität des Blutes berichtete. Sie erzählte von Stabilisatoren wie Citrat und erschwerten Arbeitsbedingungen außerhalb der Wintermonate, da sie auf niedrige Temperaturen angewiesen war. Geduldig hörte ich mir alles an, was sie zu sagen hatte, bevor ich ihr die Kleider vom Leib riss, sie nach vorn auf ihren Arbeitstisch drückte und schwängerte. Ihre Forschungsergebnisse nahm ich an mich und überreichte sie Elisabeth, die das Potenzial dieser Arbeit als noch höher einschätzte, als ich es tat. Sie begann sich für vieles über Politik hinaus zu interessieren: Wirtschaft, Medizin und auch für Chemie. Ich gab ihr alles, was sie benötigte: Lehrmeister, Arbeitsmaterial und Versuchspersonen, Menschen sowie Vampire, die sie rücksichts- und hemmungslos verschliss. Nur einen Wunsch schlug ich ihr ab. Keinesfalls ließ ich den direkten Kontakt zwischen ihr und der Verfasserin der Forschungsarbeiten zu, selbst wenn ein Treffen einige Verständnisprobleme bei meiner Enkelin gelöst hätte. Elisabeth hielt die Essays für zu bedeutend und somit unter Verschluss. Allein sah sie sich nur leider nicht in der Lage, Valentinas Versuche nachzustellen. Ich wartete drei Jahreszeiten, bis ich die Mutter meines vierten Kindes erneut aufsuchte. Ihre Jugend war fast aufgezehrt, ihr Zustand schlecht und sie dem Tode nahe. Ich fand sie bettlägerig vor, ebenso wie Natalie, Magret-Natalias Mutter vor 36 Jahren. Auch dieses Kind besaß eine eigene und besondere Aura, die der meinen nur leider zu stark ähnelte, denn sie war zweifelsfrei männlich. Ich haderte, ob ich mich eines dritten Sohnes annehmen wollte, doch dann Schnitt ich es ihr doch noch aus dem Bauch. Ich säuberte es, biss mir in den Finger, den ich dem Neugeborenen in den Mund hielt und an dem es sofort saugte. Anders als Magret, verkraftete dieser kleine Bursche die Umwandlung gut und blieb dabei ruhig, als gäbe es nichts Natürlicheres für ihn. Robert-Valentin, wie ich ihn nannte, schien ein weiteres Ausnahmekind zu sein, doch die Enttäuschung über sein Geschlecht wollte nicht verfliegen. Indes erzielte Elisabeth erste Erfolge in der Blutforschung, seit sie sich eine neumodische Kältemaschine besorgt hatte und dafür den Palast teilweise elektrifizierten ließ. Ihre Vorsicht, was die Ergebnisse betraf, war mehr als nur gerechtfertigt, denn was sie mir vorstellte, war nicht weniger als die Entdeckung des Jahrhunderts für die Vampirgesellschaft. Meine gescheite Enkelin hatte einen Kniff gefunden, Blut haltbar zu machen und dennoch genießbar zu halten. Sie entwickelte daraus sogar ein Geschäftsmodell. Gemeinsam mit Victor bauten wir vielerorts Standorte, an denen wir menschliches Blut gegen kleines Geld entnahmen, um dieses infolge ertragreich an Vampire weiterzuveräußern. Es machte das Leben bequem, denn die Jagd zum Luxus und diese Entwicklung passte zum Zeitgeist der Jahrhundertwende. Elisabeth überzeugte uns von der Idee, unseren Namen ins Spiel zu bringen, ohne ihn direkt zu verwenden. Auf die Etiketten der Flaschen ließ sie den Namen des Produktes aufdrucken: „Lucards feines Frischblut“. Während sich die Finanzen dank Elisabeth stabilisierten, versuchte ich meinen dritten Sohn aufzuziehen. In derlei Aufgaben tat ich mich jedoch schon immer schwer, ganz besonders bei ihm. Wie schon bei Magret, betreute ich meine anderen Kinder mit dieser Aufgabe. Früh stellte Robert seine herausragende Intelligenz unter Beweis. Er half seiner Nichte Elisabeth bereits als Knabe bei ihren Versuchen und stellte chemische Gleichungen auf, an denen sie scheiterte. Ihr Einfluss aufeinander wirkte vielversprechend und ich grämte mich nicht mehr, den Jungen erschaffen zu haben. Mein Verlangen nach einem reinen Erben rückte in den Hintergrund, denn auch ohne ihn gewann die Familie Dracul ihre Bedeutung zurück. Diesen Erfolg schulterte Elisabeth in besonderem Maße. In kürzester Zeit stieg der Konsum unserer Blutkonserven rasant an und schon bald nannte man uns volkstümlich die „Lucards“. Ich beorderte meinen Ältesten David-Richard vom neuen Kontinent zurück, der trotz seines immensen Bedarfs an Geldmitteln, kaum Fortschritte erzielt und nur einige hundert Anhänger zu verzeichnen hatte. Die Verwaltung des neuen Blutimperiums bündelte vertrauenswürdige personelle Ressourcen, weshalb ich seine Arbeitskraft dringlicher in Europa benötigte. Auch er zog nun wieder in den Palast in Argisch und stellte mir die Frau vor, die er als seine Partnerin erwählt hatte. Corella war gewöhnlich, wohl aber akzeptabler Herkunft, besaß besseres wirtschaftliches Geschick als er, dafür aber keinerlei Charisma. Sie war von Nutzen und nur das zählte. Ich bemerkte ihren Argwohn gegenüber meiner unvergleichlichen Enkelin. Auch Elisabeth war dies bewusst, denn in Corellas Anwesenheit versprühte sie noch mehr ihres Esprits als sonst, ein Effekt, der seine Vorzüge hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)