Paper Umbrella Moon von YoungMasterWei ================================================================================ Kapitel 9: ----------- Ein knapper Monat war vergangen, seit er Lan Zhan das letzte Mal gesehen hatte.   Nicht der Abend, wo er ihn mit seiner Theorie konfrontierte.   Wei Ying raunte erschöpft, was ihm einen fragenden Blick von Wen Ning einbrachte, der über die letzten Wochen nicht müde geworden war, sich nach seinem Befinden zu erkundigen oder ihm Gesellschaft zu leisten, wenn er es zuließ.   Heute waren sie mit A-Yuan wieder im Kinder- und Jugendzentrum, gab es für die Jüngeren einen Bastelkurs mit Ton. Es half Wei Ying nicht wirklich dabei sich abzulenken, sah er der kleinen Gemeinschaft an etwas schiefgeratenen Hasen mit merklicher Sentimentalität beim Wachsen zu. Noch konnte er A-Yuan sagen, dass er keinen davon an Yù gē ge würde geben können, wie dieser von ihm verlangte.   Es war der folgende Mittwoch nach dieser Auseinandersetzung mit Lan Zhan gewesen als er, nach seiner Schicht, eher unbewusst den Weg zur Bücherei eingeschlagen hatte.   So gesehen hätte er wieder kehrt machen können, sobald es ihm aufgefallen war, doch hatten ihn seine Schritte weiter geführt, bis er schließlich das Gebäude betrat und er an der Information niemand anderen als Lan WangJi stehen sah, der sich mit der Dame im Service unterhielt. Wei Ying war schnell genug in Deckung gegangen, als dieser kurz darauf die Bücherei wieder verließ und er sie selbst weiter betrat.   Kaum das man Kenntnis von ihm genommen hatte, wurde er von der Dame an der Information auch schon herangebeten.   Mit dem Verweis das er seinen Freund gerade eben verpasst habe, drückte man ihm eine elegante rote Mappe in die Hand, die man ihm übergeben sollte, wenn er hier erscheinen würde.   Wei Ying nahm diese mehr automatisch an sich und nickte schlicht mit einem Danke, bevor er sich zu einer der hinteren Sitznischen zurückzog.   Für einen Moment haderte er mit der Mappe in seinen Händen, schlug sie nach einem tiefen Durchatmen aber dennoch auf.   Es waren alles Übungsbögen die ihm bei den Vorbereitungen auf seine anstehenden Prüfungen behilflich sein würden. Bei näherem Durchschauen war ebenso klar, dass sie alle spezifisch auf ihn und seine Schwächen ausgelegt worden waren.   Eine Notiz am Ende der Unterlagen gab ihm ein paar Hinweise bezogen auf die Bögen.   „Wenn Du Hilfe benötigst. Er weiß Bescheid und kann dir aushelfen. “ Darunter war ein Name und eine Telefonnummer, plus E-Mail Adresse.   „Viel Erfolg.“ War die letzte Zeile der Notiz, die er letztendlich in seiner Hand zusammengeknüllt hatte, mit der Absicht sie mit samt den Unterlagen in den nächstbesten Papierkorb werfen zu wollen.   Sollte das tatsächlich alles sein, was Lan Zhan ihm noch zu sagen hatte?!   Er hatte die Mappe letztendlich mitgenommen.   Aber er war die folgenden Wochen auch nicht wieder zurück in die Bücherei gegangen. Auch hatte er keinen Gebrauch von der Ersatzhilfe gemacht.   Das ihn der Verlust ihrer Freundschaft ziemlich zu schaffen machte war unvermeidbar und es brachte eine beständige Angst in ihm auf, dass es ihn wieder zu weit nach unten ziehen könne.   Es sich somit auch auf sein komplettes Leben auswirken würde.   Er wollte nicht noch einmal von vorn anfangen müssen, weil er durch sämtliche Prüfungen fiel!   Er war nicht mehr so schwach wie damals.   Er würde es ihnen allen und sich selbst beweisen!   Also hatte er sich einzig auf die Arbeit und das Lernen fixiert. Alles eine willkommene Ablenkung von diesem irritierenden Herzschmerz.   Somit hatte er sich durch die Übungen gearbeitet, auch wenn es ihn des Öfteren ziemlich frustriert hatte, wenn er einen Fehler allein herausfinden musste.   Aber er war es gewöhnt sich irgendwie durchzuschlagen und am Ende…   Am Ende hatte es sich tatsächlich ausgezahlt.   Er hatte seine Tests mit einer besseren Bewertung bestanden, als er erwartet hatte und sein erster überschwänglicher Impuls war gewesen, nach seinem Smartphone zu greifen und es Lan Zhan mitteilen zu wollen. Nur um daraufhin der Ernüchterung zu erliegen, das er dessen Nummer noch am dem Abend löschte, als dieser ihn so widerspruchslos allein gelassen hatte.   Er hatte sich zu jener Zeit selbst nicht getraut, was er noch tun würde in seinem aufgestachelten und verletzten Zustand.   Als Lan Zhan gegangen war, fühlte es sich an als würde der Moment um ihn herum zersplittern wie Glas.   Die Scherben die in seinem Herzen steckten machten ihn aggressiv, wenn er sich ihrer zu sehr bewusst wurde.   Die Schnitte in seinen Händen, die vom ihrer zerbrochenen Freundschaft her stammten, brachten eine Haltlosigkeit mit sich, die er nur zu gut kannte.   Es gab die feinen Splitter der Reue, die seine salzigen Tränen rot färbten.   Es waren diese Gefühle und seine immer noch atmende Zuneigung für diesen Mann, die ihn nicht heilen lassen wollten und er sich wiederholt wie ein unbelehrbarer Narr fühlte.   Er hatte all seine Zweifel in Beschuldigungen auf Lan Zhan niedergehen lassen und es hatte ihn mit Genugtuung ausgefüllt, ihn zu jener Zeit mit diesem gänzlich geschockten Ausdruck vor sich zu sehen, als er ihn durchschaut zu haben schien.   Bis dieser Ausdruck in etwas anderes gewechselt war.   Dass er für einen kurzen Augenblick den Gedanken zuließ, dass er womöglich doch falsch lag mit seinen Anschuldigungen. Doch ließ er die Flammen seiner Selbstzweifel diesen Moment sofort wieder niederbrennen, bis er nichts weiter wahrnahm als diese giftige Unsicherheit und die Worte die ihn wie wilde Hunde verfolgten.   „Leute wie er, geben sich nicht einfach so mit einem strauchelnden Nobody ab.“   Es reichte, um ihn bei der Überzeugung zu halten, dass er sich die Verwundbarkeit in Lan Zhans Augen nur eingebildet hatte.   Denn es war die offensichtlichste Erklärung, gab es wirklich keinen nennenswerten Grund, warum gerade sie beide, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, dennoch Freunde geworden waren.   Und dieser Gedanke befand sich auch jetzt noch in seinem Kopf.   Nur…   Über die letzten Wochen, waren andere dazu gestoßen und wenn er nicht zu sehr mit dem Verdrängen beschäftigt war, dann ließen sie ihn sich unerwünscht erbärmlich fühlen.   Denn wie er es auch drehte und wendete, er glaubte mittlerweile, dass er Lan Zhan mehr Raum hätte geben müssen sich erklären zu können.   Vielleicht, weil er selbst nicht glauben wollte, das seine Menschenkenntnis am Ende doch so fehlerhaft gewesen sein sollte.   Vielleicht wollte er auch nur direkt gesagt bekommen, dass er Recht hatte, um tatsächlich damit abschließen zu können.   Vielleicht hatte er auch einfach nur Angst.   Angst davor, etwas so unerwartet großartiges, wie ihre Freundschaft unbedacht zerstört zu haben.   Mit einer kurzen Entschuldigung, sich etwas zu trinken holen zu wollen, ließ er A-Yuan und Wen Ning für sich und machte sich auf den Weg zum Getränkeautomaten einen Flur weiter.   Jemand balancierte drei große Kartons übereinander vor sich her, die jener Person offensichtlich das nach vorn schauen erschwerten, als der oberste Karton ins Rutschen geriet und er rasch genug verhindern konnte, dass dieser zu Boden ging.   „Oh, danke. Ich hätte wohl einen weniger nehmen sollen.“, hörte er eine Stimme mit leichter Verlegenheit sagen, und blickte folglich in kein anderes Gesicht als das von Lan Zhans Bruder; Lan XiChen.   Dieser schien für einen Moment selbst etwas überrascht, doch zeigte man ihm darauf schon ein leichtes Lächeln.   „Wei xiān sheng, richtig?“   „Mister Lan.“ Wei Ying nickte kurz, in einer Geste der Begrüßung.   Es entstand ein etwas schwerfälliger Augenblick, in welchem keiner von ihnen so recht zu wissen schien, wie er weiter agieren sollte, als Lan XiChen wieder das Wort erhob.   „Hätten sie vielleicht einen Moment Zeit? Ich muss die hier nur abliefern.“   Was der Grund für diese Frage war, konnte sich Wei Ying denken.   Ihm blieb die Option sich herauszureden, was er eigentlich auch wirklich würde tun wollen, doch stattdessen nahm er dem anderen einen der Kartons ab. „Das sollte sich einrichten lassen.“, meinte er und folgte Lan XiChen nach.       „Ich weiß es ist nicht meine Angelegenheit, aber ist etwas zwischen ihnen und meinem Bruder vorgefallen?“   Sie hatten sich in einen der derzeit unbenutzten Räume zurückgezogen, wo sich Wei Ying gegen einen der Tische lehnte und abwog, wie er diese befürchtete Frage am besten beantworten sollte.   „Verstehe.“ Er wusste, das er sich zu viel Zeit gelassen hatte, dem anderen zu antworten und das wohl schon eine Antwort in sich darstellte.   „WangJi ist nicht besonders gut darin über sein Befinden oder seine Gefühle zu sprechen. Aber je mehr er versucht es so aussehen zu lassen, als wäre alles in Ordnung, umso deutlicher wird, dass etwas nicht stimmt.“   Wei Ying konnte dazu nichts sagen, hatte er diese Seite an Lan Zhan nie wirklich kennengelernt.   „Er ist zudem auch etwas ungeschickt, wenn es um das Schließen von Freundschaften geht. Aber das ist ihnen womöglich schon aufgefallen.“ Es klang ein wenig amüsiert, doch senkte Wei Ying den Kopf, um dem folgenden Blick den sein Gegenüber ihm schenkte auszuweichen.   „Er schien jedoch recht glücklich, seit er sie kennengelernt hatte, was mich annehmen ließ, dass die Dinge gut stehen würden. Seit einiger Zeit jedoch, hat er sie nicht wieder erwähnt.“ Lan XiChen gab über sein anhaltendes Schweigen schließlich ein ergebenes Seufzen von sich.   „Ich war erleichtert, dass er von sich aus einen Kontakt zu hegen schien, der nichts mit seiner Arbeit oder familienbedingten Interessen zu tun hatte. Es tat ihm gut einen Freund zu haben und ich bitte um Verzeihung, wenn ich zu aufdringlich damit bin. Aber als sein älterer Bruder würde ich gern versuchen wollen zu vermitteln, wenn diese Option bestünde.“   Lan XiChen klang wirklich besorgt um Lan Zhan und Wei Ying wusste nicht, was er damit anstellen sollte. Dieser schien mit keiner Faser anzunehmen, dass sein Bruder eine dunkle Seite besitzen würde, die ihn dazu brachte sich zum Vergnügen einen vermeidlichen Stricher gefügig machen zu wollen.   Und jetzt, wo er es sich selbst einmal genauer vorhielt, erschien es tatsächlich irgendwie absurd.   Lan Zhan hatte trotz seines Geldes nie versucht ihn damit zu blenden. Noch hatte er ihm je das Gefühl gegeben, dass dieser sich ihm gegenüber als gesellschaftlich überlegen fühlte.   Es gab keine unangebrachten Berührungen oder irgendwelches Bedrängen.   Keine subtilen Anspielungen irgendeiner Art.   Nie ein aufgebrachtes Wort, egal wie sehr er ihn auch manchmal geneckt hatte und zeigte sich auch nicht abgeschreckt als er miterleben durfte, wie fragil sein Seelenzustand manchmal sein konnte.   Nur warum, war er trotz all dieser Gewissheiten dennoch so schnell dabei gewesen, Lan Zhan von sich wegzustoßen?   Es war eine Frage deren Antwort er zu jener Zeit nicht zugelassen hätte, egal was man ihm versuchte erklären zu wollen und es zeigte ihm nur wieder zu deutlich, wie verdammt unbeholfen und unsicher er doch noch immer war.   „Ich dachte ich wäre ein Zeitvertreib für ihn. Dass er sich nur mit mir abgibt, weil er annahm ich sei jemand der für Geld mit Leuten schläft. Wie ein bizarres Hobby, das sich ein gelangweilter, gutbetuchter Typ seines Kaliebers suchen würde. Ich weiß aus erster Hand, das sich Leute mit ausreichend Geld, oft genug nicht darum scheren wie sie andere behandeln.“, sprudelte es aus ihm heraus und dem perplexen Gesichtsausdruck von Lan XiChen nach zu urteilen, fühlte sich dieser recht überfordert mit seiner Offenbarung.   „Tut mir leid, aber das kam nun doch äußerst unerwartet.“, endschuldigte sich dieser kurz darauf und noch immer mit deutlicher Irritation in seiner Mimik.   „Es war das was ich mir eingeredet habe, nachdem man mir sagte, wer er eigentlich wirklich ist. All die Zeit hatte ich keine Ahnung und er hat es nie erwähnt, dass ich mich irgendwo hintergangen glaubte.“   Lan XiChen gab ein Raunen von sich das Verständnis, wie auch das Gegenteil davon hätte bedeuten können, dass er diesen nun doch wieder ansah.   „Würde es ihnen etwas ausmachen mir die ganze Geschichte dazu zu erzählen.“   Wei Ying hatte nicht wirklich noch etwas zu verlieren und nach einem matten Durchatmen, gab er ihm seine Sicht der Geschehnisse wieder.   Angefangen von Lan Zhans regelmäßigen Auftauchen in der Tierhandlung, über das langsam miteinander Bekanntmachen, hin zu dessen Angebot ihm Nachhilfe zu geben und der Erkenntnis, dass sie sich schon einmal über den Weg gelaufen waren.   „Es war am Ende zu gut um wahr zu sein. Dass ich mich recht schnell davon verunsichern ließ, das er womöglich doch andere Motive verfolgte als ich mir vorstellte.“ Er strich sich mit einer Hand etwas wirsch durch seine Haare. „Ich bin mir einfach nicht mehr sicher, was ich tun oder hätte tun sollen.“ Wei Ying schluckte über seine nächsten Worte trocken und schaute womöglich auch nicht weniger aufgelöst.   „Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich ihn überhaupt nicht wirklich kenne, als diese Dinge ans Licht kamen. Ich fühlte mich lächerlich und so naiv, ihm all diese Seiten von mir gezeigt zu haben. Zu glauben ich wäre tatsächlich jemand, der gut genug sei mit jemandem wie ihm befreundet sein zu können. Anzunehmen das alles nur Schau war; ich fühlte mich einfach nur minderwertig.“ Das kratzige Gefühl in seinem Hals hatte sich zu einem Knoten gewandelt. „Er hat nicht einmal versucht es abzustreiten…er hat sich nur endschuldigt und ging. Was…was sollte ich damit anfangen? Es verwirrte und verärgerte mich nur noch mehr.“   Lan XiChen raunte verständnisvoll und lächelte dann ebenso etwas unbeholfen.   „Das ist leider nicht untypisch für WangJi. Mein Bruder ist stets sparsam mit seinen Worten. Er ist schnell dabei, für eine Sache die volle Verantwortung zu übernehmen, und es dann einzig mit sich selbst auszumachen. Er will niemanden eine Last sein und seine Fehler allein tragen. Er bedenkt dabei nicht, dass er damit dennoch andere ebenso verletzten kann. Allerdings hat er bis jetzt auch niemanden so an sich herangelassen wie sie, was mich annehmen lässt, das er selbst reichlich überfordert mit dieser Situation gewesen sein könnte.   Wofür ich aber meine Hand ins Feuer lege ist, das er nie den Gedanken verfolgt haben wird, eure Beziehung als einen simplen Zeitvertreib zu sehen und schon gar nicht um sexuelle Gefälligkeiten daraus zu ziehen. WangJi hat sich nie viel aus dem Namen unserer Familie gemacht. Er hat sich recht zeitig seinen eigenen Weg gesucht, ohne von dem Einfluss der Lans Gebrauch zu machen oder sich davon Rückhalt zu versprechen. Alles was WangJi ist, hat er sich selbst angeeignet und erarbeitet. Das unser Onkel ihn dennoch ab und zu dazu auffordert sich mit in der Öffentlichkeit zu zeigen, bleibt jedoch nicht aus. Onkel ist recht streng, wenn es um die Familie geht und es war nicht einfach für WangJi ihn davon zu überzeugen, ihn sein eigenes Leben leben zu lassen und somit nicht der Familientradition zu folgen.“   Lan XiChen sah erneut nachdenklich aus, bevor er weitersprach und ihn dabei mit einem festen Blick bedachte.   „Wei xiān sheng, wenn ihnen wirklich noch etwas an WangJi liegen sollte, würde ich sie bitten noch einmal mit ihm zu reden. Und sei es nur, um die Dinge klar zu stellen. Es bleibt ihnen natürlich frei zu entscheiden, ob sie ihrer Freundschaft erneut eine Chance geben möchten.“ Wei Ying musste sich das Gesagte erst einmal richtig durch den Kopf gehen lassen.   Es war ein ziemliches Chaos entstanden zwischen ihnen aber er konnte auch nicht abstreiten, dass ihm immer noch etwas an Lan Zhan lag.   Mehr als es eigentlich angebracht sein sollte.   „Ich werde darüber nachdenken.“, war schließlich seine Antwort.   Lan XiChen nickte verstehend.   „Danke.“ Damit verabschiedete er sich von Wei Ying und er blieb noch eine Weile, in seine Gedanken vertieft, für sich. *** yù – Jade gē ge – großer Bruder xiān sheng – Herr/Mister Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)