The king and the moon von ChiaraAyumi ================================================================================ Kapitel 1: The king looking at the moon --------------------------------------- Draußen hatte der Himmel sich schon verdunkelt, während in der Halle von der Karasuno-Oberschule immer noch die Volleybälle durch die Luft flogen. Das Training für die Vorrunde des Interhigh war eine Stufe intensiver geworden, da es nur noch eine Woche zum Üben gab. Das Team von Karasuno wollte seinen Ruf als gefallene Gegner endlich wieder abstreifen und in neue Höhen aufsteigen. Sie waren nicht mehr die Krähen, die nicht fliegen konnten, und das würden sie ab nächster Woche aller Welt zeigen. Kageyama konnte es kaum mehr abwarten wieder auf dem Spielfeld zu stehen und allen zu beweisen, dass er nicht mehr der arrogante Zuspieler aus der Mittelschule war. Dank Hinata hatte er endlich jemand gefunden, der mit ihm mithalten konnte und dem er seine schnellen Pässe zu spielen konnte. Auch an die anderen hatte er sich angepasst. Er kannte ihre Gewohnheiten und Vorlieben von Tag zu Tag besser. Zumindest von fast allen, wie er frustriert wieder einmal feststellten musste. „Dein königliches Zuspiel ist zu schnell für mich armen Bauern“, schimpfte Tsukishima wieder einmal, als er den Ball nicht erreichte, der neben ihm zu Boden fiel, ohne über das Netz zu kommen. Kageyama schnaubte wütend. „Du versuchst es ja nicht einmal.“ „Warum hast du nicht zu mir gespielt?“, unterbrach Hinata sofort und wedelte wild mit seinen Armen. „Ich wollte den Ball schlagen!“ „Ich kann nicht immer zu dir spielen“, zischte Kageyama immer noch wütend über Tsukishimas abfälligen Tonfall. Er war sich sicher, dass der Mittelblocker es nicht einmal versucht hatte, den Volleyball noch zu erreichen. Warum konnte er sich auf jeden einstellen, nur nicht auf Tsukishima? Das hämische Grinsen und seine blöden Kommentare brachten ihn nur wieder auf die Palme. Er war zu angespannt. Er wollte auf dem Feld stehen und es erst wieder als Sieger verlassen. Vor allem Oikawa wollte er es zeigen. Er hoffte sehr darauf, dass sie auf Aoba Jousai im Laufe der Vorrunde treffen würden. Doch dafür mussten sie ihre ersten Spiele gewinnen und wie er sich inzwischen eingestanden hatte, waren sie am besten als Team. Dazu zählte nun mal jeder. „Dann sag mir doch, wie du den Ball am liebsten haben willst“, lenkte Kageyama ein. „Ich versuche dir den Ball besser zuzuspielen.“ „Oh“, winkte Tsukishima grinsend ab. „Ich, armer Bauer, will doch nicht den König stoppen. Aber wenn ihre Majestät es einrichten könnte, hätte ich den Ball gern ein Stück vom Netz weg.“ „Okay, ich versuche es“, erwiderte Kageyama und nahm sich fest vor sich besser an Tsukishimas Bewegungsablauf anzupassen. Dann ließ dieser vielleicht endlich seine hämischen Kommentare. Manchmal würde er ihn am liebsten das hämische Grinsen aus dem Gesicht wischen. Dieser Typ brachte ihn seit ihrer ersten Begegnung immer aus dem Konzept mit diesem dummen Grinsen und seinen fiesen Sprüchen. Bei niemand anders störte es ihn so sehr wie bei Tsukishima. Den nächsten Ball spielte er mit einer grummelnden Wut und der festsitzenden Anspannung viel heftiger als er gewollt hatte, sodass er viel zu hoch flog. Der Ball segelte an allen vorbei und hinter der Seitenlinie schlug er wieder auf dem Boden auf. „Kann passieren, Kageyama“, sprach Sugawara ihm Mut zu. „Der nächste wird besser!“ Kageyama versuchte tief durchzuatmen und das Grinsen aus dem Kopf zu kriegen, das ihn so auf hundertachtzig bringen konnte. Doch statt es loszuwerden, sah er es direkt wieder vor seinen Augen aufblitzen. „Ist der hochwohlgeborene König etwa müde und trifft den Ball nicht mehr richtig?“, stichelte Tsukishima. „Halt die Klappe!“, brach es aus Kageyama heraus und er trat auf Tsukishima zu. Hitze durchfuhr ihn. Er wollte diesen Typen am Kragen packen, ihn an die Wand drücken und ihm dieses Grinsen austreiben. „Ignoriere Tsukishimas Kommentare, Kageyama! Wir sind alle angespannt!“ „Für heute sollten wir vielleicht mit dem Training Schluss machen. Ihr habt gute Arbeit geleistet. Morgen treffen wir uns in aller Frühe zum morgendlichen Training. Räumt alles auf bevor ihr geht. Bis morgen dann!“ Trainer Ukai entließ sie mit einer Handbewegung. Kageyama konnte seine Wut nicht herunterschlucken. Jetzt hatte er zusätzlich auch noch das Gefühl, dass wegen ihm das Training frühzeitig beendet wurde. Wenn er nur verhindern könnte, dass Tsukishima ihm so unter die Haut fuhr. „Können wir nicht noch weiter trainieren? Nur noch einen Ball!“, bettelte Hinata, der wie immer nicht locker ließ, doch Ukai schüttelte den Kopf. „Ab mit euch nach Hause. Sonst verausgabt ihr euch noch bevor die Vorrunde beginnt. Ihr könnt nicht die Besten der Miyagi-Präfektur werden, wenn ihr nur trainiert und euren Körper keine Zeit lasst sich zu erholen. Morgen geht es weiter.“ Hinata stieß einen enttäuschten Seufzer aus. Auch Kageyama war unzufrieden. Er hatte das Gefühl, dass er immer noch nicht besser geworden war und dass er nicht der gesetzte Zuspieler sein konnte, dem alle anderen im Team vertrauten. Er wollte ein besserer Zuspieler für sein Team sein, als zu seinen Zeiten bei Kitagawa Daichi. Er wollte der Kommandoturm seines Teams sein, der Dirigent, der dafür sorgte, dass alle Bälle die gegnerische Abwehr durchbrachen. Um seinen Traum zu erfüllen, musste er von allen Spielern die Angewohnheiten kennen. Er seufzte. Leider schloss das diesen Idioten Tsukishima ein. Es wurde Zeit, dass er über seinen Schatten sprang, Tsukishimas spitze Kommentare überhörte und die wahre Person dahinter analysierte. Nur dann kam er seinem Traum und dem Sieg gegen Aoba Jousai ein Stückchen näher. „Tsukishima, warte mal kurz!“ Kageyama hatte zu lange seinen Gedanken nachgehangen und hin- und her überlegt, wie er es am besten anstellte mit Tsukishima ins Gespräch zu kommen, das er völlig verpasst hatte, wie dieser zusammen mit Yamaguchi die Umkleide verlassen hatte und den Heimweg angetreten war. Er war ein wenig außer Atem, als er die beiden wieder eingeholt hatte und versuchte gleichmäßig zu atmen, um sich die Anstrengung, die er gerade unternommen hatte, nicht anmerken zu lassen. Auf keinen Fall wollte er eine Angriffsfläche für dumme Sprüche bieten. Er ärgerte sich bereits über sich selbst, dass er sofort hinterher gesprintet war, als ihm aufgefallen war, dass die beiden verschwunden waren. Er hätte seine Frage auch auf morgen verschieben können. Es war noch eine ganze Woche bis zum Vorentscheid. Doch jetzt war es zu spät. Nun musste er durch und im Endeffekt wollte er seinen Plan sofort umsetzen. Der Angesprochene drehte sich um und hatte sofort wieder sein Grinsen im Gesicht. 'Nicht davon irritieren lassen', dachte Kageyama und ließ nicht zu, dass der Blonde zu einer Stichelei ansetzen konnte. „Ich... ich wollte dich fragen ...“, stotterte er ein wenig verlegen herum. Plötzlich war es ihm peinlich. Was hatte er sich dabei gedacht? Er wollte überhaupt keine Zeit mit Tsukishima verbringen. Dieser Kerl war ihm so was von egal. Doch dann huschte ihm Oikawas Gesicht durch den Kopf und er überwand sich. Das hier war für das Team. Er hielt das schon aus. „Können wir zusammen üben? Ich will mich besser an dein Tempo anpassen, aber im gemeinsamen Training haben wir dafür viel zu wenig Gelegenheit.“ Tsukishima hob erstaunt eine Augenbraue. Damit hatte er offensichtlich nicht gerechnet. „Der König will sich also dazu herablassen mit mir zu trainieren?“ Kageyama schnaubte bei der Erwähnung dieses verdammten Spitznamen, schluckte es aber herunter. 'Denk an das Team, denk an das Team', wiederholte er immer wieder in seinem Kopf bevor er sich zu einem Lächeln zwang. „Wir könnten uns morgen eine Stunde vor dem normalen Training treffen oder nach dem Training noch eine Stunde dran hängen“, schlug er vor. „Warum sollte ich noch zusätzlich trainieren? Darauf hab ich überhaupt keine Lust. Mich stresst das normale Training schon. Nein danke.“ Der Blonde wand sich nach einem abschätzenden Blick um, um seinen Weg fortzusetzen. Kageyama ballte die Fäuste und konnte es nicht glauben, wie arrogant dieser Mistkerl einfach war. Wer war hier eigentlich wirklich der herablassende König, der auf seine Untertanen herabschaute?! „Ach komm Tsukki“, mischte sich Yamaguchi sich ein. „Du kannst es doch mal versuchen. Kageyama hat schon so freundlich gefragt. Du solltest auch mehr auf andere zugehen.“ Tsukishima schien kurz überlegen und nickte dann überraschenderweise ergeben. In seinem herablassenden Tonfall sagte er mit einem falschen Großmut in der Stimme:„Dann morgen eine Stunde eher.“ „Dann bis morgen“, sagte Kageyama schnell und wand sich ab bevor er doch vor Wut platze. Seine Wangen brannten und er ballte die Fäuste. Warum war es ihm so peinlich gewesen Tsukishima zu fragen? Es war doch nichts dabei. Doch jetzt wollte er nur noch weg. Zuhause im Bett lag Kageyama noch Stunden wach und spielte die Szene immer wieder in seinem Kopf ab. Er hatte höflich gefragt, er war über seinen Schatten gesprungen und doch fühlte es sich wie eine Niederlage an. Nicht er hatte Tsukishima überzeugt, sondern er hatte Hilfe von Yamaguchi bekommen. Warum hatte er nur solche Schwierigkeiten mit dem Blondschopf? Die Antwort auf diese Frage war erstaunlich leicht, auch wenn Kageyama es sich ungern eingestehen wollte. Tsukishima rüttelte mit seinen hämischen Sprüchen an der Tür zu seiner Vergangenheit. Er wollte nicht mehr das arrogante Zuspieler-Genie sein, das nicht sehen konnte, was mit dem restlichen Team war. Als Einzelkämpfer konnte man im Volleyball nicht gewinnen. Ohne sein Team hatte er niemanden, der für ihn die Bälle annahm, die er dann weiterleiten konnte, um aus ihnen unschlagbare Angriffe zu machen. Es brauchte Angreifer, Mittelblocker und einen Libero. Ein Zuspieler alleine konnte auf dem Spielfeld nicht überstehen. Er wollte nicht mehr von seinem Team abgeschoben werden. Wenn der Ball zu ihm kam, sollte das ganze Team bereitstehen, damit er ihnen zuspielen konnte. Ohne sein Team war ein Zuspieler nichts. Tsukishima erinnerte ihn immer wieder daran, dass er dieser Mensch einmal gewesen war. Jedes Mal, wenn er ihn König oder Majestät nannte, wollte er ihm zeigen, dass er anders war. Der einsame Zuspieler, der von seinem Team im Stich gelassen wurde, gab es nicht mehr. Von niemand anderen wollte er mehr diese Anerkennung als von Tsukishima. Jede Stichelei ließ Kageyama entschlossener werden. Er wollte nicht mehr dieser König sein. Er wollte ein Dirigent sein, die Stütze für das Team. Alle sollten sich auf ihn verlassen können. Das volle Potenzial von jedem einzelnen wollte er ausschöpfen und ihnen genau die Bälle zuspielen, wie es für sie am angenehmsten war. Und nicht nur das, die Bälle sollte es ihnen einfacher machen bessere Leistungen für das Team zu erzielen. Aus diesem Grund ging ihm das hämische Grinsen von Tsukishima nicht aus dem Kopf. Es verfolgte ihn bis in seine Träume. Tsukishima und Oikawa vermischten sich manchmal und wurde so zu einem echten Alptraum für ihn. Diesen beiden Menschen wollte er es um aller Welt beweisen, dass er anders geworden war und zeitgleich der beste Zuspieler war. Wie sollte er es bloß morgen mit Tsukishima angehen? Wie schaffte er es sich nicht auf die Palme bringen zu lassen? Wie lernte er den Mittelblocker besser kennen? Kageyama überlegte, was er über seinen Teamkameraden eigentlich wusste. Seinen Namen, seine Klasse und seine Position waren die ersten drei Sachen, die ihm einfielen. Er wusste nicht mal, warum Tsukishima überhaupt mit dem Volleyball angefangen hatte. Was fasziniert ihn daran? Er notierte sich diese Frage in seinem Kopf und wollte dem morgen auf den Grund gehen. Tsukishima und Yamaguchi hatten die gleiche Mittelschule besucht und waren miteinander befreundet. Andere Freunde schien Tsukishima nicht zu haben. Sie waren nicht in derselben Klasse, daher wusste er nicht viel Weiteres über ihn. Auch beim Training sprachen sie nur das Nötigste. Ihm ging Tsukishimas Sprüche auf die Nerven und des Öfteren fuhr er ihn an. Morgen konnte er das nicht machen, wenn er sich bessern wollte. Er musste sich zusammenreißen, wenn er auf Tsukishima zu gehen wollte. 'Du kannst das', murmelte Kageyama und starrte weiter an seine Decken, während er immer wieder die Szene vor seinem Kopf abspielte, ohne dass sich etwas daran änderte. Den morgigen Tag konnte er nicht überhaupt nicht ausmalen, denn dafür reichte seine Vorstellungskraft beim besten Willen nicht. Also lag er wach im Bett und drehte sich unruhig von einer Seite auf die anderen in der Hoffnung, dass das morgige Einzeltraining den Durchbruch bringen würde. Am nächsten Tag kam Kageyama völlig gerädert eine Stunde früher bei der Turnhalle an. Er hatte sich einen Volleyball unter den Arm geklemmt und versuchte sich mit der freien Hand, den nicht vorhandenen Schlaf aus den Augen zu reiben. Er hatte einfach nicht einschlafen können. Tsukishima war ihm immer wieder im Kopf herum geschwirrt. Als er die Tür zur Halle öffnen wollte, fiel ihm ein, dass er ganz vergessen hatte, nach dem Schlüssel für die Halle zu fragen. Er fasste sich an den Kopf. Seinen Plan mit dem früheren Training hatte er sich nicht zu Ende überlegt. Was machte er denn nun? Tsukishima würde sicherlich jeden Moment auftauchen, falls er sich überhaupt hier her bequemte, und dann standen sie vor verschlossener Tür. Kageyama verfiel in Panik und er versuchte die Tür mit Gewalt zu öffnen. Als das nicht klappte, kontrollierte er alle Fenster, doch keines war offen. Selbst wenn eins zufälligerweise vergessen worden wäre, hätte er sich durch die kleine Öffnung überhaupt nicht durchzwängen können. Er hätte es wahrscheinlich trotzdem probiert, weil er in diesem Augenblick nicht logisch denken konnte. Auf keinen Fall wollte er, dass Tsukishima ihn für seine Dummheit auslachte. Er hatte sich doch für heute vorgenommen es ihm endlich zu beweisen. Und dann würde sein perfekt abgestimmtes Zuspiel seinen dämlichen Mund stopfen, sodass er keine hämischen Kommentare mehr abgeben konnte Doch jetzt scheiterte er direkt als erstes am Trainingsort. Da bestellte er ihn hierher und hatte nicht mal ein Spielfeld vorzuweisen. Ungeduldig lief er auf und ab in der Hoffnung, dass ihm ein Geistesblitz überkam. Waren schon Lehrer im Lehrerzimmer? Der dunkle Himmel, der sich erst langsam blau und rosa zu färben begann, ließ ihn das bezweifeln. Er konnte in der Umkleide nachsehen, ob jemand den Schlüssel dort vergessen hatte, doch auch diese war abgeschlossen. Warum konnte er nie eine Sache zu Ende denken? So konnte das nie etwas werden. „Was soll das werden, wenn es fertig ist?“, fragte ihn plötzlich eine Stimme hinter seinem Rücken, als er ein weiteres Mal an der Tür der Turnhalle rüttelte in der Hoffnung, dass sich etwas geändert hätte seit seinem letzten Versuch. Kageyama konnte das Grinsen schon vor seinem geistigen Auge sehen bevor er sich umdrehte und Tsukishima hinter sich wahrnahm. Dieser lehnte mit einem amüsierten Schmunzeln an der Wand und hatte ihn scheinbar bereits länger beobachtet. Kageyama spürte wie seine Wangen immer stärker glühten und wandte sich verlegen ab. „Ich hab vergessen nach dem Schlüssel zu fragen“, murmelte er zähneknirschend. „Und dafür hast du mich eine Stunde früher hierher zitiert?“ Kageyama rechnet damit, dass Tsukishima einfach umdrehen und gehen würde, doch er zuckte im nächsten Augenblick nur mit den Schultern. „Dann lass uns auf der Wiese hinter der Halle ein wenig trainieren. Jetzt sind wir ja eh schon hier. Da will ich nicht umsonst früher aufgestanden sein.“ Erleichtert atmete Kageyama auf. Noch war seine Chance nicht vertan Tsukishima besser kennenzulernen und ein besseres Vertrauensverhältnis zu ihm aufzubauen. Zum Glück hatten sie beide bereits ihre Trainingsklamotten an und mussten sich nicht mehr umziehen. Die Dämmerung wich den ersten Anzeichen des Sonnenaufgangs und es war schon hell genug, um den Boden mit allen seinen Unebenheiten zumindest wahrnehmen zu können. Vorsichtig mussten sie trotzdem sein. „Dann spiel mir den Ball zu“, verlangte Tsukishima, nachdem sie sich kurz still jeder für sich aufgewärmt hatten. „Ich werde mir größte Mühe geben dem königlichen Zuspiel gerecht zu werden, eure Majestät.“ Kageyama versuchte nicht auf die Sticheleien zu reagieren und spielte Tsukishima wie gewünscht einen Ball zu. „Der war zu hoch“, beschwerte sich der Blonde sofort und versuchte nicht mal trotz seiner beachtlichen Größe den Ball mit den Fingerspitzen zu berühren. Der nächste Ball kam Tsukishima zu niedrig, der danach zu dicht, der vierte war zu weit entfernt. Der fünfte war zu schnell und der sechste dann wieder zu langsam. Eine halbe Stunde ignorierte Kageyama jegliche Kommentare und versuchte auf alles einzugehen, worüber sich Tsukishima beschwerte, doch es wurde nicht besser. Je länger sie dabei waren, desto mehr schien er den Ball nicht richtig zuspielen zu können. Der fünfzigste Ball war zu schnell, zu hoch, zu dicht. „So viel dazu, dass du dich an mich anpassen willst. Du bist und bleibst der einsame König auf dem Spielfeld, der nur sein eigenes Talent sehen kann“, bemängelte Tsukishima. Die Sonne hatte sich inzwischen über den Horizont geschoben und tauchte den Himmel in warme, sanfte Farben. Währenddessen fühlte sich Kageyama noch frustrierter als am Abend zuvor. Er hatte sich von diesem Paartraining mehr versprochen. Hatte gedacht er würde endlich verstehen, wie Tsukishima tickte und könnte ihn davon überzeugen, dass er kein König war. Tsukishima kam ihm wie eine andere Welt vor. Fast wie der Mond am Himmel, zu dem er hinauf sah, der aber niemals zu ihm herunterblickte. Egal, wie er es anging, kam er doch nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis. „Dann beschreibe mir doch bitte wie das perfekte Zuspiel für dich aussieht?!“, giftete Kageyama zurück, der keine Lust mehr hatte, sich von diesem Mistkerl weiter Beschwerden anzuhören. „Ich kann es nicht besser machen, wenn du mir nicht genauer erklären kannst, was dich an meinem Zuspiel stört!“ Angriffslustig sah er seinem Teamkameraden in die Augen, der genauso wütend schnaubte. „Ich bin nicht du“, fauchte Tsukishima. „Mit all deinem Talent kannst du dich doch gar nicht in mich hineinversetzen. Wir können nicht alle wie Hinata sein und dir blindlings vertrauen.“ „Ich stehe hier mit dir am frühen Morgen, um mich in dich hineinversetzen zu können. Du bist hier der Unkooperative von uns beiden. Ohne Ende meckerst du, aber du hilfst mir auch nicht dabei dich zu verstehen. Du willst gar nicht, dass ich dir die Bälle zuspiele! Gib es doch einfach zu!“ „Ja, ich will deine dummen Bälle nicht, eure Hoheit.“ „Schön! Dann vergiss es!“ Kageyama stürmte wutentbrannt davon. Dann sollte Tsukishima zusehen, wer ihm die Bälle von nun an zuspielte. Nach ein paar Meter kam er sich mit seiner Reaktion lächerlich vor. Warum war er einfach weggestürmt? So konnte er nie der Zuspieler werden, zu dem alle in Zeit des Chaos auf dem Spielfeld blickten, damit er durch sein Zuspiel Wege für ihre Angriffe schuf. Kageyama wurde langsamer und dann blieb er ganz stehen. Er schaute in den Sonnenaufgang, während es in ihm noch tobte. Er konnte sich nicht davon überzeugen sich umzudrehen und zurückzugehen. Ewig stehen bleiben konnte er auch nicht hier. Das reguläre Training begann bald und er wollte nicht zu spät kommen. Gestern war das Training schon früher beendet worden wegen seines ungezügelten Temperamentes. Jetzt konnte er nicht fernbleiben, weil er sich über einen Teamkameraden aufregte. Noch wollten ihn seine Schritte aber nicht zurücktragen. Er konnte nicht verstehen, warum es ihn so sehr störte, dass Tsukishima seine Pässe als ungenügend empfand. Warum war es ihm so wichtig, dass er sein Zuspiel nur ein einziges Mal lobte? Nur einmal wollte er, dass Tsukishima sein Talent wirklich anerkannte und es nicht immer als Grund vorschob, warum er die Pässe nicht annehmen konnte. Weil sie ihm angeblich nicht gewachsen waren, weil er nicht mit ihm mithalten konnte. Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Warum war er so blind gewesen und hatte hinter all den fiesen Sprüchen nicht Tsukishimas Unsicherheit gesehen. Auf einmal trugen ihn seine Füße schneller wieder zurück, als sie ihn zu vor fortgetragen hatten. Tsukishima war nicht mehr auf der Wiese, aber er würde sicher nicht das Training schwänzen. Auch wenn er immer so tat, als wäre ihm Volleyball nicht wichtig, so lebte er doch dafür und war immer pünktlich. Es hatte angefangen zu regnen, doch das störte ihn nicht, denn es war nur warmer Sommerregen, der seine Kleidung zwar durchnässte, ihn aber nicht frösteln ließ. Kageyama fand ihn wieder neben der Tür der Turnhalle an der Mauern lehnend. Er hatte seine Kopfhörer auf und die Augen geschlossen. Nie zuvor war dem König bewusst gewesen, wie gut der sein blonder Teamkamerad eigentlich aussah – beinahe sexy. Röte schoss ihm ins Gesicht und er schüttelt den Kopf, um sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren Tsukishima schlug die Augen auf, als er näher an ihn herantrat, so als hätte er ihn wahrgenommen ohne ihn herankommen gehört zu haben. Der Mittelblocker verzog missmutig das Gesicht, als er Kageyama erkannte und wollte sich wegdrehen. Kageyama packte ihn an der Schulter und kam sich plötzlich winzig neben Tsukishima vor. War dem Blonden seine Größe eigentlich bewusst? Er war der perfekte Mittelblocker. Warum gab er sich nicht mehr Mühe? „Es tut mir leid“, sagte er schnell bevor er es sich doch anders überlegte. „Ich kann dir meine Spielweise nicht aufzwingen, aber du liegst auch daneben, wenn du denkst, dass du neben mir talentfrei bist. Du bist groß! Du hast mehr Kraft als ich. Du hast einen eisernen Willen und du hast den besseren Überblick über das Spiel. Du beobachtest alle haargenau und versuchst dem gegnerischen Angriff zuvorzukommen. Du bist ein unverzichtbares Mitglied unseres Teams und nur mit dir werden wir den Sieg erreichen.“ Tsukishima sagte daraufhin nichts und schwieg. Deshalb sprach Kageyama schnell weiter. „Ich hab nicht darum gebeten mit diesem Talent auf die Welt zu kommen und ja, andere mögen mich ein Genie nennen, aber ich bin genauso unsicher wie du und vertraue meinen Fähigkeiten an manchen Tagen auch nicht. Es fällt mir schwer, mich generell in andere Leute hineinzuversetzen, aber ich versuche mich zu ändern. Bitte hilf mir dabei dich zu verstehen. Lass uns zusammen trainieren und uns gegenseitig motivieren besser zu werden. Ich will mich mit unserem Team in die Lüfte erheben, aber ich brauche dich dafür.“ Tsukishima grinste plötzlich und hielt sich die Hand vor dem Mund, um es zu verbergen. „Du brauchst mich also? Du, der König, brauchst mich?“ „Ich bin nur ein kleiner König“, nahm Kageyama seinen Spitznamen auf, „der zum großen Mond schaut, der sich immer verändert und den er einfach nicht verstehen kann. Deshalb hofft er, dass der Mond sich ihm vielleicht erklärt, damit sie zusammen ein unschlagbares Team bilden können.“ Auf einmal war es Tsukishima, der rot anlief und es versuchte zu verbergen. So schnell schien ihm keine hämische Bemerkung einzufallen. Ein peinliches Schweigen entstand zwischen ihnen beide. Der Sommerregen tropfte unbeirrt auf sie beide nieder, während sie sich nur gegenüber standen und einander nicht ansehen konnten. Kageyama hatte das Gefühl einen Marathon gerannt zu haben nachdem er so viel auf einmal gesagt hatte und er hoffte, dass er nicht danebenlag und er Tsukishima doch ein Stück besser verstand. Nie hatte er drüber nachgedacht, dass sich Tsukishima von seinem Talent eingeschüchtert fühlen konnte oder gar neidisch war. Er selbst hatte sein Talent nie so gesehen. Er hatte immer harte Arbeit hineingesteckt, um besser zu werden. Aber er sah sich jetzt durch Tsukishimas Augen und hatte das Gefühl ihn ein wenig besser zu verstehen. Der Regen versiegte langsam wieder und die Sonne kam hinter den Wolken wieder hervor. Bald würden die anderen kommen und sie standen immer noch hier ohne eine Lösung. Plötzlich blickte ihm Tsukishima in die Augen und lächelte. „Ich hab den Ball gern ein Stück vom Netz entfernt, sodass ich mich am Netz entlang bewegen kann. Ich springe nicht so schnell wie Hinata und komme auch nicht so hoch, also spiel den Ball nicht zu hoch. Er darf ruhig über meinem Kopf sein, aber eben nicht zu hoch. Ich springe nicht gerne. Spiele ihn ein bisschen langsamer, damit ich Zeit habe genau zu schauen, wo ich ihn am besten hinschlagen sollte. Falls der König sich dazu herablässt, sich diese Informationen zu merken und es seinem Untertan leichter machen will mit ihm mitzukommen.“ Kageyama konnte nicht anders. Er musste das Lächeln erwidern. Endlich hatte sich Tsukishima ihm gegenüber etwas geöffnet. Er hatte das Gefühl, dass es heute im Training mit dem Zuspiel endlich klappen würde. „Geht doch. So schwer war das jetzt nicht mir das zu sagen oder?“ „Stets zu Diensten, eure Majestät. Alles für den König des Spielfeldes“, gab Tsukishima in seinem sarkastischen Tonfall zurück. Kageyamas Lächeln wurde breiter und sein Herz machte einen Satz. Zum ersten Mal machte es ihm nichts aus König genannt zu werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)