AX-4 von Futuhiro ================================================================================ Kapitel 8: ----------- 08 „Wieso bist du eigentlich der einzige, der losrennt und diese Waffe sucht?“, wollte Omi in einem ruhigen, ernsthaften Tonfall wissen. Inzwischen waren sie wieder auf der Straße und fuhren nach Radar-Anzeige. Der Junge klang unglaublich erwachsen, kam Crawford nicht umhin zu bemerken. Dem Knirps war klar, daß er mit dieser Frage mehr als nur eine belanglose Plauderei auslösen würde. „Um die geht es mir nicht. Ich will Schuldig retten.“ Omi überdachte das kurz. Es ging also nicht um die Waffe? „Und wieso bist du der einzige, der Schuldig retten geht? Das ist ja noch viel schlimmer.“ Wenn nur Crawford es für nötig erachtet hätte, AX-4 wiederzubeschaffen, schön und gut. Aber wenn Crawford ernsthaft der einzige war, dem es wichtig war, seinem Team zu helfen, dann waren Schwarz in seinen Augen schon eine arg kranke Truppe. „Schuldig ist mir was wert“, gab Crawford knapp angebunden, aber in nicht minder seriösem Ton, zu. Dabei schaute er stur weiter auf die Straße und versuchte sich keine Emotion anmerken zu lassen. „Ihr seid Freunde?“ „Würde ich so behaupten, ja.“ Keine Ahnung, wieso er das ausgerechnet einem Weiß-Mitglied erzählte. Den ging sowas ja nun wirklich nichts an. Aber sie waren hier immerhin gemeinsam auf einer lebensgefährlichen Mission. Der Kleine half ihm! Sicher rechtfertigte das einen gewissen Vertrauensvorschuss. Er hatte Schuldig damals förmlich von der Straße aufgelesen. Der rothaarige Telepath war vorher in einer anderen Söldnertruppe aktiv gewesen, ähnlich Schwarz heute. Er war dort elendlich hintergangen worden und hatte eigenhändig sein komplettes Team umgebracht, um lebend davon zu kommen. Den Rest des Abends war er bei strömendem Regen ziellos durch die Straßen geirrt, verstört und verzweifelt, hatte nicht zurück in seine Wohnung gekonnt, weil sein damaliger Boss ihn dort sofort gefunden hätte, und hatte letztlich, so klatschnass und durchgeweicht wie er war, bei herbstlicher Hundekälte die Nacht auf der Straße verbracht. Am nächsten Morgen hatte er eine Lungenentzündung gehabt. So hatte Crawford ihn gefunden, in einer engen, dunklen Sackgasse, zwischen Mülltonnen, fiebrig und kaum noch bei Bewusstsein. Als Crawford den Telepathen bei sich zu Hause aus den immer noch klammen Klamotten geschält hatte, um ihn ins Bett zu stecken und wieder aufzupeppeln, hatte er natürlich notgedrungen auch dessen Pistole gefunden. Und die Tatsache, daß das Magazin mehr als halb leer war, war ihm ebenfalls nicht entgangen. Der Kollege hatte schwerlich abstreiten können, was er war: ein Mörder und Krimineller. Aber da Crawford ja selber keinen Deut besser war, und nebenbei auch noch ähnliche mentale Begabungen besaß wie der Telepath, hatte sofort eine gewisse verschwörerische Verbundenheit zwischen ihnen bestanden. Sie waren vom selben Schlag Mensch. Es war quasi vorprogrammiert, daß sie zusammenhalten und gemeinsame Sache machen mussten. Crawford hatte den niedergeschmetterten, jungen Kerl, der aufgrund der Ereignisse in seinem alten Team fortan den Namen „Schuldig“ annehmen wollte, wieder aufgebaut, sowohl gesundheitlich als auch psychisch. Schuldig hatte niemand anderen mehr gehabt. Crawford war der einzige, der damals für ihn da gewesen war. Er hatte Schuldig sogar geholfen, seinen damaligen Boss zu beseitigen, der ihm das angetan hatte. Und Schuldig dankte es ihm bis heute mit unerschütterlicher Loyalität, die er zwar bisweilen etwas hinter seiner noch größeren Klappe versteckte, aber niemals vergaß. „Wie läuft das bei euch in der Weiß-Truppe?“, wechselte Crawford das Thema, ehe Omi noch weiter nachbohren konnte. Das alles hier wollte er dem Jungen nämlich nicht unbedingt erzählen. „Seid ihr Freunde? Würdet ihr euch gegenseitig retten kommen?“ „Hm~“, machte Omi nachdenklich. „Als Freunde würde ich sie vielleicht nicht bezeichnen. Wir sind Arbeitskollegen. Natürlich sind wir uns gegenseitig loyal, geben uns im Gefecht gegenseitig Deckung und Schutz, und sind durch das Wissen um unsere gemeinsamen Aktivitäten aneinander gekettet, aber mehr nicht. Privat, abseits unserer Arbeit, haben wir wenig miteinander zu schaffen und interessieren uns auch nicht füreinander. Als wir damals wegen Takatoris gemeiner Intrigen zeitweilig unsere Arbeit eingestellt haben, hatten wir nicht mal mehr Kontakt zueinander. Jeder von uns ist ungesehen eigene Wege gegangen. Ich war der einzige, der überhaupt noch im Auge behalten hat, was die anderen inzwischen so treiben.“ Sieh an, bei Weiß ging es also auch nicht viel besser zu, dachte Crawford etwas erleichtert. Dann lag es also nicht an ihm, daß er seine Männer nicht zu einem eingeschworenen Team formen konnte.     Crawford stand in seiner offenstehenden Autotür wie hinter einem Schutzschild. Er hatte den einen Ellenbogen auf das Autodach und den anderen auf die Türkante gelegt. „Na schön. Und du bist dir sicher, daß AX-4 da drin ist?“ „Absolut“, bestätigte Omi und hantierte auf seinem Peilgerät herum, um es etwas feiner zu kalibrieren. Je näher sie dem gesuchten Objekt kamen, desto weniger grob musste das Anzeigeraster sein. Crawford überdachte nochmal, ob Omi ihn hier vielleicht in eine Falle locken könnte. Gründe dafür hätte der Halbstarke sicherlich genug. Aber seine hellseherischen Fähigkeiten zeigten ihm nach wie vor keinerlei Anzeichen dafür. Im Gegenteil konnte er sogar jetzt schon orakeln, daß er Schuldig da drin wiederfinden würde. Also schob er seinen Argwohn endlich zur Seite und beschloss, Omi eine Chance zu geben. Er beobachtete wieder aufmerksam das Gebäude, das er vor der Nase hatte. Es war ein weiß gestrichener Flachbau. Könnte aalglatt eine weitere Forschungseinrichtung sein. Aber sie sah auffallend still und menschenleer aus. Der Parkplatz war leer. Crawford glaubte allerdings nicht, daß das allein daran lag, daß hier an einem Sonntag keiner arbeitete. Zumindest ein Wachschutz für das Gebäude war in solchen großen Laboren eigentlich immer vor Ort, auch an Wochenenden. Brad Crawford schloss sein Auto ab und machte sich mit Omi auf den Weg. Sie gelangten völlig unbehelligt ins Gebäude. Das kam ihm sehr verdächtig vor. Die Tür war nicht abgeschlossen, der Empfangstresen nicht besetzt, nirgends war eine Menschenseele zu sehen. Das einzige, was die Stille störte, war das unablässige Orten von Omis Peilgerät. Er fühlte sich wie in einer Falle. „Meine Güte, kannst du von dem Ding nicht den Ton ausschalten?“, verlangte er angespannt. „Dein Piepsen verrät uns ja im ganzen Haus.“ Der Junge sah fragend vom Lageplan neben der Tür auf und zu ihm herum. Dann schaltete er den Apparat gehorsam aus. „Sie müsste ganz am Ende des Flurs sein. Das ist der einzige Raum, der zur Peilung passen dürfte“, erklärte er nebenbei und tippte auf den Grundriss an der Wand. „Sie ist auf dieser Etage?“ „Ich denke schon. Das Gebäude hat noch mehrere Kellergeschosse, aber auf diese kurze Distanz würde man es merken, wenn sie unter uns wäre. Da müsste man das Gerät eher so ein bisschen kippen, um richtig Peilung zu kriegen.“ „Na, worauf warten wir dann noch?“   Omi lugte vorsichtig um die Tür und sah sich um. Alles dunkel und still. Also trat er ganz ein, wenn auch wachsam wie ein kampfbereiter Hund. „Das ist der Raum.“ „Hier ist nichts!“ „Sie war hier!“, beharrte Omi. Er ließ erst den Blick im Raum umherschweifen und sah dann ratlos auf sein Peilgerät. „Willst du mich etwa reinlegen, Kleiner!?“, grollte Crawford aufgewühlt und packte den Jungen sauer am Schlawittchen. Schuldig so nah gewesen zu sein und ihn nun doch so knapp wieder verloren zu haben, setzte seinen armen Nerven entsetzlich zu. „Sie entfernt sich!“, motzte Omi uneinsichtig. „Was heißt 'sie entfernt sich'??? Ich dachte, dein Gerät zeigt keine Entfernungen!“ „Gut, sie bewegt sich!“, präzisierte der Weiß-Knirps, langsam etwas genervt, und hielt ihm das Radar vor die Nase wie einen Beweis. „Und zwar ziemlich schnell. Die schnappen wir jetzt nicht mehr.“ Er verstand ja, daß Crawford aufgekratzt war. Aber deswegen musste der nicht gleich handgreiflich werden. Omi wollte doch bloß helfen, Herrgott nochmal. „Lass mich endlich los, Mann!“ Brad Crawford ließ Omis Jackensaum wieder fahren und wandte sich stattdessen dem Raum zu, in dem sie hier standen. Schien eine Computerzentrale zu sein. AX-4 war im weiteren Sinne ein Roboter. Ob sie sich hier irgendwelche Updates geholt hatte? Omi setzte sich enthusiastisch an den einen Rechner, der gerade angeschalten war, und klickte suchend ein wenig in den offenen Daten herum. Mal sehen, was sich hier alles Schönes finden ließ. „Gib mir dein Radar!“ Der Junge hielt ihm das Gerät blind hin, weil seine Aufmerksamkeit bereits von den vielen tollen Dingen auf dem Computerbildschirm vereinnahmt wurde.   Mit einer Mischung aus Hellseherei und Omis Radar arbeitete Crawford sich durch den Gebäudekomplex. Wieso gab es hier nirgendwo Personal? Keine Security, keine Laboranten, gar nichts. Die Station war wie ausgestorben. Dieser Standort schien geräumt worden zu sein. Nicht, daß Crawford da böse drüber gewesen wäre. Das konnte ihm die Verfolgung nur erleichtern. Interessanterweise wurde er aber nichtmal von verschlossenen Türen aufgehalten. Sämtliche Sicherheitsprotokolle schienen außer Kraft. Selbst Durchgänge, die sich normalerweise nur mit einem Handabdruck auf dem Scannerfeld passieren ließen, standen sperrangelweit offen. Er wurde den Verdacht nicht los, daß die Türen ihm den Weg zeigen sollten, denn es standen immer ausgerechnet die offen, die er sowieso nehmen wollte. Ayax hatte sich wohl bei ihrer Flucht nicht die Zeit genommen, die Türen hinter sich wieder zu schließen. Im Sichtschutz einer Wand blieb Crawford stehen und musterte das Radar. Wenn er dieses Ding richtig interpretierte, befand sich Ayax im Nebenraum. Wenn er durch diese Tür ging, stand er ihr gegenüber. Er haderte mit sich, was er tun sollte. Wie verhielt er sich am besten? Mit vorgehaltener Pistole reinstürmen? Nein, zu riskant. Am Ende schoss er noch versehentlich auf Schuldig. Aber er wusste auch zu wenig über die Fähigkeiten von Ayax, um sich gänzlich schutzlos dort rein zu begeben. „Komm schon, Crawford, zeig dich!“, rief eine Mädchenstimme von drinnen. „Ich weiß, daß du da bist. Was stehst du so dumm da draußen rum?“ Crawford seufzte leise. Damit war die Frage wohl geklärt. Mit erhobenen Händen, eine leer, in der anderen das Radar, trat er in die offenstehende Tür und sah sich schnell um, um die Lage zu sondieren. „Warum hat das so lange gedauert?“, wollte Ayax wissen. „Du hast mich erwartet?“ Das hier war ein Umkleideraum für die Mitarbeiter. Es standen ein paar Sitzbänke an den Wänden, darüber waren namentlich beschriftete Kleiderhaken mit ein paar Laborkitteln. Weiter hinten gab es kleine Schließfächer für Wertgegenstände, die nicht mit reingenommen werden durften. Die Waffe stand mit verschränkten Armen mitten im Raum. Schuldig saß schräg vor ihr im Kniesitz auf dem Fußboden. Er sah fürchterlich aus. Er hatte die Hände kraftlos im Schoß liegen, seine gesamte Körperhaltung wirkte schlaff in sich zusammengesunken, er rang um Atem als wäre er aus der Puste, und unter seinen Augen sah man überdeutliche, schwarze Augenringe. Er wirkte regelrecht krank. Ihm ging es überhaupt nicht gut. „Du hast dir ja nicht gerade Mühe gegeben, unentdeckt hier rein zu kommen“, schoss AX-4 ungerührt zurück. „Also was willst du?“ „Das musst du mich allen Ernstes fragen? Ich dachte, ihr seid alle beide Gedankenleser, Schuldig und du.“ „Sicher. Aber du ziehst verschiedene Optionen in Erwägung. Nenne mir deinen priorisierten Plan.“ „Ich will keinen Ärger mit dir, okay? Gib mir einfach Schuldig zurück, dann kannst du meinetwegen verschwinden. Ich halte dich nicht auf. Du bist mir unwichtig“, antwortete der Hellseher. Und er meinte das sogar ernst. Er hätte Ayax wirklich einfach gehen lassen, wenn er dafür Schuldig ohne Spektakel bekommen hätte. Aber er musste kein Hellseher sein, um zu ahnen, daß es so leicht nicht werden würde. „Ich kann ihn dir nicht geben.“ „Dann muss ich leider nachhelfen“, stellte Crawford klar und zog mit seiner freien Hand blitzschnell eine Pistole. Schuldig quietschte halb erschrocken, halb schmerzlich auf, als er im gleichen Moment im Kragen gepackt und auf die Beine gezerrt wurde. Schneller als er schauen konnte, fand er sich in einem fiesen Würgegriff wieder. Ayax hatte von hinten eine Arm um seinen Hals geschlungen und hielt ihn auf diese Weise vor sich fest. Da sie kleiner war als er selber, zog sie ihn dabei auch noch sehr unbequem ins Hohlkreuz, was eine etwaige Gegenwehr noch schwerer machte. Er brauchte beide Hände, um sich an ihrem Arm festzuhalten, einerseits damit sie ihn nicht erwürgte, und andererseits, damit er in dieser gemeinen verrenkten Haltung nicht mangels Gleichgewicht zusammenbrach. „Crawford!“, japste Schuldig hilfesuchend auf. Crawford schaute reichlich blöd, als er sah, daß Ayax sich hinter Schuldig versteckte und ihn als lebendes Schutzschild missbrauchte. Sie war ein humanoider Panzer und kugelfest. Sie hatte es gar nicht nötig, sich eine Deckung zuzulegen. Das hier tat sie eindeutig nur zu dem Zweck, Crawford mit psychologischen Mitteln im Zaum zu halten. Er war überrascht von diesem Schachzug. So strategische Kniffe hatte er der Waffe gar nicht zugetraut. „Du opferst das Wichtigste, was du hast? Deinen Wirt? Du musst doch wissen, daß du ein echtes Problem hast, wenn ihm was zustößt!“, versuchte er logisch auf Ayax einzureden. „Ich weiß, daß du ganz sicher nicht auf mich schießen und dabei in Kauf nehmen würdest, ihn zu gefährden. Nimm die Pistole runter“, gab sie seelenruhig zurück. „Schon gut, du hast gewonnen.“ Crawford bückte sich und ließ seine Pistole flach über den Boden davonschlittern. Hätte er sie auf den Boden geworfen, hätte sich wohlmöglich noch ein unkontrollierter Schuss gelöst. „Also, wie geht´s jetzt weiter? Du wirst ja nicht grundlos hier auf mich gewartet haben? Was willst du von mir?“ „Das erkläre ich dir.“ Ayax ließ Schuldig los, welcher sofort haltlos in sich zusammenbrach und wieder auf dem Boden zu sitzen kam. Crawford riss die nächste Pistole hervor – er hatte ja in weiser Voraussicht noch drei weitere in seinem Hosenbund stecken – und nutzte die freie Schussbahn diesmal ohne jede Zeitverzögerung, um das halbe Magazin leer zu ballern. Etliche Projektile klatschten in Ayax‘ Gesicht. Leider erfolglos. Nach dem siebten oder achten Schuss sprang sie nach vorn und stürzte sich auf ihn. Ihre Hände schlangen sich zielsicher um seinen Hals. Schuldig wollte sich mit einem „Nein!“ wieder hochkämpfen und einschreiten, wurde aber von dem schon bekannten, alles auslöschenden Dröhnen in seinem Kopf auf der Stelle zurück zu Boden geschickt.     Farfarello hustete und schnappte ächzend nach Luft, als er mit dem Kopf wieder aus der Wassertonne gezogen wurde. Der Erstickungszwang war unglaublich massiv und mit nichts zu vergleichen, was er sich bisher selber angetan hatte. Ihm war vom Sauerstoffmangel leicht schwindelig und er war erstmal viel zu sehr mit sich selber beschäftigt, um auf die Gespräche seiner Kidnapper zu hören. Irgendwann wurde er aber an der Zwangsjacke gepackt und wieder auf die Beine gezerrt. „Hast du gehört, Kumpel?“, blaffte einer der vermummten Gestalten ihn an. „Dein Freund will nicht für dich bezahlen. Er hat einfach aufgelegt und dich deinem Schicksal überlassen. Er wird dir nicht helfen. Was machen wir jetzt mit dir?“ „Gute Frage“, mischte sich ein anderer ratlos ein. „So war das nicht geplant. Was machen wir denn jetzt mit ihm?“ „Wir nehmen ihn erstmal mit und verschwinden von hier. Vielleicht sitzt diesem Takatori das Geld ja tatsächlich lockerer im Geldbeutel.“ Noch immer luftringend und desorientiert wurde Farfarello die Stufen hochbugsiert, stolperte über zwei Stufen, konnte sich in seiner Zwangsjacke kaum abfangen, wurde aber dennoch gnadenlos weitergestoßen. Ehe er sich´s versah, befand er sich auch schon draußen und einen Augenblick später im Frachtraum eines Transporters. Die Türen krachten hinter ihm zu, der Motor startete förmlich im gleichen Moment, und dann beutelte ihn die erste, scharfe Rechtskurve haltlos über die Ladefläche, als die Fahrt überstürzt begann. Fluchend richtete sich Farfarello wieder auf und suchte irgendwo einen stabilen Halt. Er wünschte, er wäre nicht in diese dämliche Zwangsjacke eingeschnürt gewesen. Er konnte sich nichtmal das Wasser wegwischen, das ihm in die Augen lief, geschweige denn sich zur Wehr setzen. Er sah sich um, so gut es ging. Die Fensterchen in den Doppeltüren waren so winzig, daß er da auch nicht durchgepasst hätte, wenn sie nicht vergittert gewesen wären. Sie dienten wirklich nur dazu, ein Minimum an Licht reinzulassen. Die Türen von innen auf zu treten, würde ebenfalls nicht sehr erfolgversprechend sein, wenn man keinen vernünftigen Halt hatte, sich alles um einen herum bewegte und man nichtmal ganz aufrecht stehen konnte. Na schön, es blieb ihm also nur, zu warten, was als nächstes passieren würde und wohin man ihn brachte. Er begann dumpf vor sich hin zu brüten. Crawford wollte ihm nicht helfen. Er konnte Crawford nichtmal einen Vorwurf machen, denn immerhin hatte er vorhin selber erst darauf gepocht, daß sie sich absprachegemäß nicht gegenseitig retten kamen. Das hatte nichts mit Illoyalität zu tun, sondern beruhte einfach nur auf gegenseitigem Einvernehmen. Er war sogar sauer auf Crawford gewesen, daß der unbedingt losrennen und Schuldig helfen wollte, zur Not auch ganz alleine. Dieser Groll bestand jetzt inzwischen nicht mehr. Er war nicht böse, daß Crawford zwar um jeden Preis Schuldig befreien wollte, ihn aber nicht. Im Gegenteil. Jetzt, wo es ihn selber betraf, sah er ein, daß es verdammt blöd war, wenn einem niemand half und man auf sich allein gestellt war. Es wäre richtig gewesen, mit Crawford mitzugehen und den Teamkollegen unter Gewaltanwendung freizukämpfen. Sicher hätte Crawford dann auch das selbe für ihn getan. Farfarello merkte auf, als das Auto eine gefühlte halbe Stunde später zum Stehen kam und der Motor abgestellt wurde. Sie standen hier nicht bloß an einer roten Ampel. Sie hatten offensichtlich ihr Ziel erreicht. Wo mochten sie ihn hingebracht haben? Es dauerte auch nur Sekunden, bis die doppelflügliche Tür des Transporters von außen geöffnet wurde und man ihn anwies, heraus zu kommen. Etwas steifbeinig stieg der Ire aus und schaute sich um, wo er hier gestrandet war. Sah ihm verdächtig nach einem Geschäfts- oder gar einem Fabrikgebäude aus. Auf dem Dach prangte eine riesige Tafel mit dem Firmenschriftzug. „Medi Tec Foundation? Ihr seid MTF-Leute?“, wollte er wissen. Diese erstaunliche Erkenntnis machte ihm viel mehr Kopfzerbrechen als die Frage, warum man ihn ausgerechnet in ein medizinisches Labor brachte. Medi Tec hatte viele Standorte im Großraum Tokyo. Das hier war nicht die Forschungsstation, aus der sie AX-4 herausgeholt hatten. Und AX-4 war bisher auch nicht zur Sprache gekommen. Also ging Farfarello pauschal erstmal nicht davon aus, daß diese Kerle mit der Waffe im Zusammenhang standen. Aber was dann? Stammten die Tuberkulose-Bakterien, die er aufgekauft und noch nicht bezahlt hatte, möglicherweise aus dieser Einrichtung? Sollte sein winselnder, kleiner Geschäftspartner Akimura etwa wirklich ein MTF-Mitarbeiter sein? Andererseits, würde sich ein so großer Konzern wie Medi Tec ernsthaft wegen einer Phiole herkömmlicher Bakterien derart ins Hemd machen und Leute entführen und erpressen? Er konnte sich keinen rechten Reim darauf machen, warum er ausgerechnet von Medi Tec entführt werden sollte.     Omi wandte sich kurz fragend um, als die Tür aufging, widmete sich aber gleich wieder dem Computer, als er sah, daß es nur Crawford war. „Du siehst ramponiert aus. Alles okay bei dir?“, wollte er wissen. „Ich hab Ayax und Schuldig erwischt, aber hab sie leider wieder verloren. Diese verdammte Waffe war zu schnell für mich.“ Er verzichtete darauf, zuzugeben, daß er froh sein konnte, nach der Prügelei mit ihr überhaupt noch zu leben. Ayax hatte ihn einfach nur gnadenlos zusammengeschlagen und legte dabei Geschwindigkeiten an den Tag, daß selbst seine Hellseherei das nicht mehr ausgleichen konnte. Ihre Bewegungen waren mit dem bloßen Auge kaum noch wahrzunehmen. Und noch viel weniger wollte er zugeben, daß er mehrfach auf Ayax geschossen, ihre Schwachstelle mit der Pistole aber nicht getroffen hatte. Omi kannte diese Schwachstelle ja ebenfalls. Er war es, der sie Crawford verraten hatte. „Ich hab übrigens den Gebäude-Wachschutz gefunden. Er ist tot“, wechselte er schnell das Thema. „Ich bin inzwischen auf was sehr Spannendes gestoßen. Das könnte dich interessieren.“ „Was denn?“ „Ayax war auf der Suche nach ihren Schwestern.“ Crawford blinzelte. „Wie, es gibt noch mehr von diesen Dingern?“ „Zumindest, wenn die Infos hier stimmen. Es ist noch von drei weiteren die Rede, die auf andere Forschungsstationen verteilt sind.“ „Und bekommst du die Standorte raus?“ „Sicher. Ich weiß zwar nicht, welchen davon Ayax zuerst ansteuern wird“, meinte Omi unbesorgt. „Aber dafür hab ich ja mein Peilgerät. Wir finden sie schon.“ Er konnte nicht pauschal davon ausgehen, daß sie von hier aus das nächstgelegene Labor ins Visier nahm. Vielleicht arbeitete sie ja auch nach einem Prioritäten-Prinzip und suchte erstmal die wichtigste ihrer Schwestern. Oder vielleicht jemand ganz anderen. Jemanden vom Forschungsteam möglicherweise. Wer wusste das schon? Omi las weiter laut vor. Eine der Waffen war vorrangig auf Nahkampf ausgelegt, eine auf Distanzkampf, eine auf Spionage und eine auf Schutz und Panzerung. Schuldigs Ayax war wohl die Panzer-Spezialistin, nach allem was er gehört hatte. „Da wäre allerdings noch was.“ Jetzt klang er schon deutlich vorsichtiger. Er kratzte sich unschlüssig am Hals, statt von selber weiter zu reden. „Spuck´s schon aus.“ „Wenn ich das hier richtig verstehe, kann sich Ayax mit den drei anderen AX-Modellen zu einer großen 'Masterwaffe' verbinden.“ Crawford keuchte. „Ach du sch~schöne Schande“, kommentierte er, seine Wortwahl im letzten Moment nochmal überdenkend. Ja, klar. Wenn die auch alle aus Nanobots bestanden, konnten die sich beliebig fusionieren, solange ihre Steuerungen kompatibel waren. „Und jede von denen hat einen Besitzer? Wer von den vieren kontrolliert diese Masterwaffe dann?“ „Gar keiner. Die gehorchen ja inzwischen niemandem mehr. Die führen nur noch die Mission aus, die ihnen einprogrammiert wurde. Ich frag mich eher, wer die drei anderen Besitzer sind. Ich dachte, die Zahl der Menschen mit einer passenden mentalen Begabung wäre denkbar gering. Solche Telepathen wie Schuldig gibt es ja nicht wie Sand am Meer.“ „Wenn das so ist, warum will AX-4 ihre Kollegen dann unbedingt aktivieren? Die dürften doch ohne einen Wirt gar nicht einsatzfähig sein.“ Omi und der Hellseher bekamen synchron riesige Augen und starrten sich gegenseitig entgeistert an, als sie gleichzeitig verstanden. Die Erkenntnis überfiel jeden von ihnen wie ein Schlag in den Magen, trotz dem ihre Absichten und Ziele so gegensätzlich waren, denn DAS wollte keiner der beiden: „Die werden sich ALLE an Schuldig heften!“, fasste Crawford es als Erster in Worte. „Wenn die sich zu einer Gesamteinheit verbinden und eins werden, greift diese ganze Masse an Nanbots auf Schuldig zu.“ „Davon geh ich mal aus.“ „Das wird ihn umbringen!“ Omi nickte, wobei sein Blick nachdenklich abschweifte. Darum also galt das AX-System als parasitäre Waffe. Ayax allein war vielleicht nicht schön, aber zu verschmerzen. Alle vier zusammen allerdings, da wurde es hart. Lange würde sein Körper so einen Energiebedarf definitiv nicht bedienen können. Das hieß im Umkehrschluss, diese Waffen mussten beim Ausführen und Vollenden ihrer Mission schnell sein, damit Schuldig ihnen nicht vorher wegstarb.  „Wir sollten zusehen, daß wir das verhindern“, meinte Omi in einer Stimmlage, die gleichzeitig beruhigend und entschlossen klingen sollte. Er deutete vielsagend auf das Peilgerät in Crawfords Händen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)