Eine unvergessliche Sylvesternacht von Centurion ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Calvin! Calvin, komm raus, du Spast!“ Klack. Klack. „Calviiiiin!” Klack. Vor einem Haus in Croxteth standen zwei präpubertäre Jungen und schrien sich die Seele aus dem Leib, während sie, schelmisch grinsend, Kieselsteine an eine Fensterscheibe warfen. Es dauerte nicht lange, bis hinter besagtem Fenster die Silhouette eines Gleichaltrigen erschien, der den beiden nonchalant den Mittelfinger entgegenhielt. Trent Vaughn und Trip Faggins tauschten Blicke und brachen in Gelächter aus, auch wenn jedem Außenstehenden wohl kaum ersichtlich war, was genau so lustig sein sollte. Vermutlich musste man schon ein elfjähriger Junge sein, um diesen Humor zu verstehen. Kaum hatte Calvins Silhouette sich vom Fenster wegbewegt, um den untenstehenden Freunden Gesellschaft zu leisten, hatten diese beiden begonnen sich auf den Boden zu hocken und Schneekugeln zu formen. Ein weißes Weihnachtsfest hatte Liverpool in diesem Jahr nicht gesehen, doch seit heute Morgen war klar, dass zumindest Sylvester weiß sein sollte. Weder Trent, noch Trip, und auch nicht Calvin war die Ästhetik der schneebedeckten Stadt besonders wichtig – das einzig Gute an Schnee war ohnehin, andere damit ordentlich abwerfen zu können. Genau das bekam auch Calvin Chamberlain zu spüren. Kaum war er aus der Haustür getreten, begannen seine beiden besten Freunde auch schon, ihn erbarmungslos mit den aus Schnee geformten Geschossen zu bombardieren. Nicht ohne Vorahnung dieser hinterhältigen Attacke rettete Calvin sich schnell hinter den grässlichen Hortensienbusch, den wirklich nur seine Mutter ansehnlich fand. Zu seinem Glück aber verbündeten die beiden Cousins sich nicht lange gegen ihn, sondern begannen direkt, ihre Schneebälle einfach aufeinander zu werfen, was ihm die Chance gab, sich selbst zu bewaffnen und einen Gegenangriff zu starten. Was folgte war eine ausgedehnte Schneeballschlacht, die die drei bis auf die Straße fortführten. Erst als sie wütend von einem Autofahrer angehupt wurden, dessen Fahrbahn sie offenbar gekreuzt hatten, unterbrachen die drei ihr Gemetzel. Ein weiteres Mal tauschten die Freunde Blicke aus und brachen in Gelächter aus. „Okay, besorgen wir was zu saufen“, beschloss Trent, während er in seiner Jackentasche nach etwas suchte. „Ich dachte du bringst was mit, du Spast“, erwiderte Calvin, als die drei sich in Bewegung setzten. Trent hatte mittlerweile eine Packung Zigaretten aus einer Jackentasche geholt, nahm sich erst selbst eine raus, und hielt sie dann seinen Freunden hin, die sich jeweils eine Kippe nahmen. „Selbst Spast“, sagte er und lachte. „Wir hatten nichts mehr da. Gib‘ mal Feuer, Trip“, erklärte er und sah dann zu seinem jüngeren Cousin, der sich seine Zigarette bereits angezündet hatte. Nacheinander wurde das Feuerzeug an Trent und Calvin gereicht und schließlich dem Besitzer zurückgegeben. Die drei rauchenden Elfjährigen erweckten kein sonderliches Aufsehen. In ihrem Viertel war früher Kontakt mit Alkohol und Zigaretten alltäglich, weswegen sie sich nicht einmal mehr besonders verwegen dabei vorkamen, zu rauchen. Naja, zumindest ein bisschen noch. „Wir rauben die Lowells aus!“, erklärte Trip ein wenig zu laut den neuen Plan, was den Dreien nun doch einen irritierten Blick eines vorbeigehenden Mannes einfing. Calvin und Trent grinsten einander belustigt an, während Trip sich umdrehte und dem starrenden Passanten den Mittelfinger zeigte. Dass sie von einem Zeugen bei der Besprechung ihres Plans gehört wurden, sollte die Drei tatsächlich nicht daran hindern, ihn in die Tat umzusetzen. Nur wenige Augenblicke später standen sie also nahe dem Kiosk, in dem sie nicht gerne gesehen wurden. Trents Vater hatte ihm und den anderen Vaughns eingebläut, dass man nur in diesen Kiosk ging, um zu klauen, und nicht um den „scheiß Lowells“ auch noch Geld in den Arsch zu schieben. Schließlich waren Ausländer (zumindest nach Mitchs Ansicht) allesamt Schmarotzer, bei denen man bloß nicht kaufen sollte. Und Trent würde sich gewiss daran halten. Geld hatte ohnehin keiner der drei Freunde bei sich. „Lasst machen wie letztens im Kiosk beim Krankenhaus“, schlug Trent vor – das war nicht das erste Mal, dass die drei planten, einen Kiosk auszurauben. Kiosks waren in der Regel einfacher und sicherer als Supermärkte, weil es da selten Überwachungskameras gab. Nicht immer waren die Drei erfolgreich, doch sie hatten so ihre Taktiken. „Wer macht den Ablenker?“, fragte Calvin, mit einer Stimmlage, die verriet, dass er diese Rolle nicht übernehmen wollte. „Kippenziehen!“, schlug Trip ihre übliche Form des Auslosens vor, woraufhin die beiden anderen nickten. Die drei Elfjährigen hockten sich in den Schnee und drückten ihre halb aufgerauchten Zigaretten aus. Trent riss bei seiner noch das letzte Stück ab, sodass nur noch der Filter übrigblieb, und nahm die Zigaretten der anderen beiden entgegen. In seiner Hand mischte er sie kurz und schloss sie dann in seine Faust ein, sodass nur noch die oberen Enden der Filter herausguckten. Trip zog als erster und erwischte direkt den kürzesten, was besonders Calvin in hämisches Gelächter verfallen ließ. Erbost stürzte Trip sich auf ihn, um das Gesicht seines Freundes in den Schnee zu drücken. Trent, der keine Gelegenheit einer Rauferei ausließ, stürzte sich wiederum unter Gelächter auf Trip, um seine Faust über dessen Kopf zu reiben. Da sie allerdings ihre Getränke wollten, ließen die drei ihren Streit so schnell wieder sein wie er angefangen hatte, um sich dem wirklich Wichtigen im Leben zu widmen. Während Trent und Cal sich also hinter den Mülltonnen nahe dem Kiosk versteckten, marschierte Trip geradewegs durch die Ladentür hinein, um seiner Rolle des „Ablenkers“ nachzukommen. Der Plan war, dass einer der Ladeninhaber so lange triezte, bis dieser bereit war ihm wutentbrannt hinterher zu jagen, wenn der „Ablenker“ aus dem Laden flüchtete. In dem kurzen Moment, in dem der Kiosk unbewacht war, würden die anderen beiden hineinschlüpfen und sich nehmen, was sie brauchten. Es dauerte eine Weile, bis sich die Ladentür öffnete und erst Trip, und dann Mr. Lowell höchstpersönlich aus dem Kiosk stürmten. Vermutlich war es zu Trips Glück, dass die Straße komplett vereist war, denn nach wenigen Schritten rutschte der Kioskbesitzer bereits aus und stürzte böse auf die Straße. Trent und Calvin verloren währenddessen keine Zeit und liefen in den Laden, um sich zu holen was sie brauchten. „Nimm Chips, nimm Chips!“, rief Calvin seinem Kumpel zu, während er selbst nach einer Flasche billigem Vodka griff und sich drei Flaschen Cola unter die Arme klemmte. Trent währenddessen schnappte sich mehrere Tüten Chips und andere Snacks. Sie brauchten nicht lange, um den Kiosk zu verlassen, doch kaum waren sie draußen, liefen sie auch schon dem armen Kioskbesitzer in die Arme, der die Verfolgungsjagd nach seinem Sturz wohl aufgegeben hatte. Er wollte nach den beiden Jungen schnappen, die allerdings schneller reagierten und bereits losrannten. „Irgendwann krieg ich euch!“, rief Mr. Lowell den beiden nach, der keinen weiteren Versuch einer Jagd unternehmen wollte und sich stattdessen zurück in den Kiosk verzog. Nach ein paar Häuserblocks war Trent wie üblich der erste, der nach Luft japste. Zum Glück aber trafen sie dort auf einen breit grinsenden Trip, der offenbar Gefallen daran gefunden hatte, Mr. Lowell zu provozieren. „Fette Ausbeute“, lobte er seine Kumpels und nahm den beiden einen Teil der Beute ab. Am nahegelegenen Spielplatz verschanzten die drei sich im Klettergerüst, wo die ersten Chips geöffnet wurden und jeder einen tiefen Schluck aus einer der drei Colaflaschen nahm. Nachdem in den Flaschen Platz geschaffen war, peppte sich jeder das Getränk mit einem guten Schuss Vodka auf. Pur trank das Zeug keiner der drei gerne, auch wenn sie sich ab und an gegenseitig dazu anstachelten. Mit Cola allerdings war das ganze recht genießbar. „Scheiße, dass wir kaum was zum Böllern haben“, warf Trip ein, worauf hin ihm seine beiden Freunde fast schon deprimiert zustimmten. Am vorherigen Tag hatten sie einen Versuch unternommen Feuerwerkskörper aus einem Supermarkt zu klauen, waren aber vom Ladendetektiv erwischt und haushoch rausgeworfen worden. Mr. Lowell führte in seinem Shop leider keine Böller und Raketen, weshalb die Drei nun ganz ohne dastanden. Klar war auch, dass keiner von ihnen seine Eltern oder älteren Geschwister bitten würde, Feuerwerkskörper zu kaufen. Das ging einerseits gegen ihren Stolz, und andererseits kannten sie die Antwort darauf selbst. Nein, sie waren hier auf sich gestellt. Am Ende hatten die drei nur ein paar wenige alte China-Böller vom letzten Jahr auftreiben können, was allerdings keinen von ihnen zufrieden stellte. Sylvester ohne anständig etwas in die Luft zu jagen war einfach kein Sylvester! Mit ihrer jetzigen mickrigen Anzahl an Knallern konnten sie nicht mal ein ausgedehntes Wer-hält-den-Böller-am-längsten-fest-Turnier veranstalten! Im letzten Jahr hatten sie mit Theo und ein paar Kumpels von ihm richtig viel abgefeuert und am Ende einen Baum auf ihrer Straße in Brand gesetzt. Dieses Jahr aber war Theo auf irgendeiner spackigen Party eingeladen, auf der Elfjährige wie Trent, Trip und Calvin offenbar nicht willkommen waren. „Hier, Kenny aus meiner Klasse meinte er hat richtig viele Raketen und so. Ich weiß wo der wohnt“, schlug Trip bereits den nächsten Einbruch vor. „Der labert sicher nur“, warf Trent kritisch ein, der Kenny ebenfalls kannte und fand, dass er arm aussah. Zumindest, soweit jemand wie Trent das beurteilen könnte. In seinen Augen wäre es auch einen Gedanken wert, bei den Lowells einzubrechen. Nicht im Kiosk, sondern bei ihnen zuhause. Vielleicht hatten die ja Feuerwerkskörper gekauft. Allerdings bestand da immer die Gefahr, dass Quentin zuhause war, der die drei mit Sicherheit verprügeln würde. Klar, wenn Quentin Trent verprügelte, würden danach Tony und Trey Quentin verprügeln. Aber Trent hatte schon in erster Linie keine Lust, Prügel von seinem verhassten Nachbarn zu beziehen. „Oder was ist mit Mason Barnes? Der ist reich, glaub ich“, schlug Calvin einen weiteren Jungen aus der Gegend vor, den sie alle kannten. Mason war ein kleiner Spast, der neulich im Park mit seiner neuen PSP Go angegeben hatte, die seine Eltern ihm gekauft hatten. Calvin, Trip und Trent konnten nur davon träumen, so etwas von ihren Eltern zu bekommen. Schon gar nicht gekauft! „Ey, aber haben die nicht Alarmanlage? Meinte der letztens!“, behauptete Trent. „Der labert sicher nur“, äffte Trip ihn nach. „Deine Mutter hat Alarmanlage!“, rief Calvin aus, woraufhin er selbst und Trip in Gelächter ausbrachen. Trent nahm seinen jüngeren Cousin, der neben ihm saß, in den Schwitzkasten und rieb die Faust über seinen Kopf. Gleiches hätte er auch gern mit Calvin getan, der so frech einen unlustigen Deine-Mutter-Witz gebracht hatte, allerdings saß Cal ihm gegenüber und Trent hatte keine Lust aufzustehen. Daher warf er ihn, nachdem er Trip losgelassen hatte, einfach mit einer Handvoll Chips ab.  „Lass doch einfach zu Kenny. Und wenn da nix zu holen ist verprügeln wir ihn halt“, schlug Trip vor. Trent und Calvin tauschten Blicke aus. Gegen diese Brillanz hatten sie nichts einzuwenden. Bevor sie allerdings den endgültigen Beschluss fassen konnten, wurde sie von einer nicht weit entfernt aufkommenden Musik unterbrochen. Vermutlich feierte grade irgendwer im Park eine Party. Die drei Jungen tauschten Blicke aus. „Sollen wir mal gucken gehen?“, fragte Calvin und grinste abwesend, während er einen Schluck seiner Vodka-Cola nahm. „Nee man, lass zu Kenny“, beharrte Trip, der offenbar wirklich gerne seinen Klassenkameraden entweder ausrauben, oder verprügeln wollte. Vermutlich beides. „Vielleicht gibt’s dahinten ja auch was zu holen“, gab Trent zu bedenken, auch wenn er die leise Vermutung hatte, dass diese Möglichkeit nicht der Grund war, warum Calvin „Mal gucken“ wolle. Wahrscheinlich wollte er sehen, ob es irgendwelche Weiber zu begaffen gab. Seit neustem tat er sowas. Trip gab sich geschlagen und so trank sich jeder noch ein wenig an, bevor sie (ihre Beute im Klettergerüst zurücklassend) sich auf den Weg machten, um die Party auszuspähen. Hinter einem kleinen Waldstück, das den Spielplatz von einer großen Lichtung im Park trennte, wurde tatsächlich grade eine ausladende Party begonnen, auf der sich offenbar ein großer Teil der Croxtether Jugend versammelt hatte. Seine Brüder allerdings konnte Trent nicht entdecken. Sein Blick wandte sich zu Calvin, dessen Mund leicht geöffnet stand, als er das bunte Treiben beobachtete. Wobei er eigentlich eher ein Grüppchen tanzender Mädchen betrachtete, die allesamt viel zu leicht bekleidet für die derzeitigen Temperaturen waren. Trent boxte seinem Kumpel gegen die Schulter, woraufhin dieser endlich den Blick abwandte (und zurück boxte). „Krasser scheiß!“, entkam es Trip, der offenbar Sinnvolleres getan hat und nach tatsächlicher Beute gespäht hatte. Nahe eines Campingtisches, auf dem allerlei Getränke ausgebreitet waren, war tatsächlich ein echtes Arsenal an all jenem ausgebreitet, was sich ein pyro-affiner Elfjähriger nur so wünschen konnte: Raketen, Batterien und unzählige potenziell laute Böller. „Krasser Scheiß!“, stimmten Calvin und Trent zu. Diese Teenager hatten es echt gut. Nicht nur mussten die sich armselig in einem Klettergerüst verkriechen, um dem neuen Jahr entgegenzufiebern, nein, sie hatten auch noch so viel Zeug zum in die Luft sprengen! Wenn man erstmal 15 oder 16 oder so war, war es sicher viel einfacher, an Feuerwerkskörper und Alkohol zu kommen. Mal wieder bereuten die drei, dass sie erst elf waren. „Dann mal los!“, kommandierte der Jüngste der drei und machte bereits Anstalten einfach loszulaufen um die Bestände der feiernden Jugendlichen an sich zu reißen. „Woah, warte!“, unterbrach sein älterer Cousin ihn und hielt Trip an der Kapuze seiner Jacke fest. „Wenn wir da einfach hingehen killen die uns bestimmt“, gab Calvin ebenfalls zu bedenken. Er hatte keine große Lust von einer Meute asozialer Jugendlicher umgebracht zu werden. Zumindest waren sie in seiner Vorstellung dazu fähig. „Genau“, nickte Trent, „wir müssen die ablenken wie den Pisser Lowell!“ Sie alle setzten eine überlegende Miene auf, auch wenn keiner von ihnen wirklich für seine Nachdenklichkeit bekannt war. Für ihre Begabung fürs Unruhestiften allerdings schon. Es dauerte also nicht lange, bis Calvin einen ihre alten China-Böller aus seiner Jackentasche zog und zu seinen Freunden sah. Trent und Trip grinsten. Sie hatten die gleiche Idee. „Für Sparta!“, schrie Trent, als er den ersten angezündeten China-Böller mitten in die Ansammlung an Halbstarken warf. Ein lauter Knall ertönte. Zwei weitere Knalle folgten, dann schrilles Aufschreien. Die drei Jungen verloren keine Zeit und stürmten zu ihrer erspähten Beute, um dort, solange die Jugendlichen von den überraschenden Explosionen abgelenkt waren, so viel zu ergattern wie es ging. Die arme voller Raketen und anderer Feuerwerkskörper stürmten Trip, Trent und Calvin wieder davon, als ein lautes „Hey!“ hinter ihnen ertönte. Offenbar hatte man sie gesehen, und ein paar der Teenager nahmen wütend die Verfolgung auf. „Formation auflösen!“, schrie Trent einen Satz, den er in irgendeinem Film aufgeschnappt hatte. Seine beiden besten Freunde verstanden ihn allerdings, und liefen jeweils in eine andere Richtung davon, während der junge Vaughn selbst zurück in das kleine Waldstück floh. Unterwegs fielen ihm allerhand Knallkörper aus den kurzen Armen, was seine Verfolgung wohl leichter machte, ihn aber nicht besonders kümmerte. Wichtiger war eher, hier zu überleben! Die Bäume boten dem Jungen zum Glück guten Sichtschutz, und da es bereits mitten in der Nacht und stockdüster war, war er umso mehr im Vorteil. Nach einer Weile des Rennens wägte Trent sich in Sicherheit und lehnte sich en einen großen Baum, um nach Luft zu schnappen. Sein Atem pfiff bereits. Als Asthmatiker tat ihm das ganze Gerenne (und Gerauche) einfach nicht gut. Mit dem Rücken zum Baum schob er sich weiter nach rechts, wo er sich verborgener dachte, sah dabei aber nicht, dass ihm einer der älteren Jungen bereits auf die Spur gekommen war. Ehe er umkehren und weiterrennen konnte, traf eine Faust auf sein Gesicht, wodurch er mit dem Hinterkopf gegen den Baum schlug und seine gesamte Beute fallen ließ. „Fuck“, entkam es ihm. „Jetzt bist du dran, du kleiner Hurensohn!“, sagte der Teenager, der bestimmt zwei Köpfe größer war als Trent, mit wütender Stimme. Wie es aussah, war er jetzt wirklich dran. Der größere Junge packte ihn an der Jacke und holte zum weiteren Schlag aus – als plötzlich ein dumpfes Geräusch ertönte, er kurz erstarrte und dann bewusstlos zu Boden fiel. Trent blickte auf. „Headshot!“, rief Trip begeistert und Calvins allzu bekanntes, hämisches Lachen ertönte. Offenbar hatte einer der beiden dem Kerl mit voller Wucht einen Ast gegen den Hinterkopf geworfen. Erleichtert lachte Trent auf. Es war nicht so, als hätte er Todesangst gehabt, aber er war durchaus froh, nun doch nicht erbärmlich zusammengeschlagen zu werden. Calvin lachte noch immer, als die beiden näherkamen. „Hast du dich eingenässt, Trent?“, höhnte er, auch wenn er selbst in dieser Situation wohl nicht mutiger gewesen wäre. „Verpiss dich“, antwortete angesprochener und trat nach seinem Kumpel, der allerdings geschickt auswich. „Meint ihr der ist tot?“, fragte Trip, während der mit der Fußspitze den Jugendlichen antippte. Bei dieser Frage klang er nicht sonderlich besorgt. Trent hockte sich neben den Kerl und beobachtete ihn kurz. Schien noch zu atmen. Aber Trent hatte nicht sonderlich Mitleid mit dem Typen. „Nur ausgeknockt glaub ich“, sagte er als und wandte sich wieder ab, um seine fallengelassenen Feuerwerkskörper aufzusammeln. Auch Trip und Calvin hatten ihre Beute noch – offenbar waren sie ihren Verfolgern ebenfalls glimpflich entkommen. Über die Freude, nun doch bewaffnet ins neue Jahr starten zu können vergaß Trent sogar seine schmerzende Wange. Fröhlich über ihren Erfolg plaudernd trieb es die drei zurück zu ihrer Basis: dem Klettergerüst auf dem nahegelegenen Spielplatz. Ein Blick auf Calvins altes Klapphandy verriet, dass es bereits fast zwölf war, weswegen die drei keine Zeit verschwendeten, ihre (un)ehrenhaft erbeuteten Feuerwerkskörper aufzubauen. Als das Handy 0 Uhr anzeigte, begannen sie voller Eifer, die ersten Raketen und Batterien anzuzünden, während sie nebenbei an ihren Vodka-Cola Gemischen nippten. Glücklich grinste Trent, als er in den Himmel blickte und dort laut knallend bunte Lichter aufflackerten. Etwas wankend legte er die Arme um die Schultern seiner besten Freunde.   “Should auld acquaintance be forgot And never brought to mind?”   Hätte er nicht getrunken, wäre er wohl nie auf die Idee gekommen plötzlich anzufangen zu singen (auch wenn es mehr ein schreien als ein singen war), doch diese ganze Situation gab dem Elfjährigen das Gefühl, das jetzt der richtige Ort und Zeitpunkt für das traditionelle Lied war.   “Should auld acquaintance be forgot And auld lang syne?”   Stimmten seine beiden Freunde laut und betrunken ein, bevor unter lautem Gesing-schreie eine weitere Rangelei der drei entstand.   “For auld lang syne, my dear For auld lang syne We'll tak a cup o' kindness yet For auld lang syne”   Weitere Stimmen ertönten. Nicht mehr die lauten und schrillen Stimmen dreier angetrunkener Elfjähriger, sondern mehr Stimmen, andere, die Trent erst langsam wieder zuordnen konnte. Er erwachte. Mit aufgestütztem Kopf war er kurz am Tisch eingeschlafen, ebenjener Tisch, an dem seine Wohngruppe zuvor auf das neue Jahr angestoßen hatte. Trent war nicht mehr elf, sondern 17, und weder Trip noch Calvin waren hier. Sein Cousin war irgendwo in den USA, und Calvin vergnügte sich vermutlich grade mit irgendeinem Weib in Croxteth, während Trent hier gefangen war. Gelangweilt blickte er in die Gesichter der anderen Jugendlichen, manche freiwillig hier, manche so wie er. Die meisten von ihnen hatten Sylvester lieber auf einer Party und nicht in der Wohngruppe verbringen wollen, doch das waren die Regeln. Einzig die Sozialarbeiter schienen mit widerlichem Enthusiasmus dabei zu sein. War es nicht bitter für einen Teenager, dass er sein bestes Sylvester als Elfjähriger verbracht hatte? Das letzte Sylvester, an dem Trip, Trent und Calvin noch zusammen gewesen waren. Er hatte lange nicht daran zurückgedacht. Ein leises Grinsen schlich sich auf seine Lippen. Er vermisste diese beiden kleinen Wichser. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)