Calypsoklänge von _Delacroix_ ================================================================================ Kapitel 3 --------- The difference is our differences Maybe small or great Variety add spice to life So we should celebrate       Arista wusste nicht, wie weit sie geschwommen war, doch den Marktplatz hatte sie bereits ein Weilchen hinter sich gelassen. Noch immer rauchte die Wut in ihr. Was sie diesem Menschen alles erzählt hatte, glaubend, dass er ohnehin nicht verstand, was sie von sich gab. Er musste sie ja für den letzten Dummfisch halten. Genau wie Attina. Dabei hatte sie es wirklich nicht gemerkt.   Wieso passierten solche Sachen immer ihr? Wieso konnte nicht mal Aquata die Dumme sein? Oder Andrina? Oder Ari -   Arista seufzte. Arielle hätte das alles bestimmt viel besser gelöst als sie. Dabei war sie die Ältere. Sie sollte in solchen Momenten den Durchblick behalten, so wie Attina ihn behalten hatte. Arista seufzte noch einmal. Attina ... Ein wenig grollte sie ihr immer noch. Warum hatte sie sich auch einmischen müssen? Gerade als sie angefangen hatte, sich mit dem Menschen zu amüsieren. Sie dachte an die Planktonpastete und versuchte nicht zu grinsen. Eigentlich war ihr Abstecher ein voller Erfolg gewesen, bis –   Etwas Warmes legte sich auf ihre Schulter und Arista machte vor Schreck einen kleinen Satz. „Wie? Was?“, entfuhr es ihr. „Oh, Kocoum...“ Arista wandte sich ab. Sie wollte ihn nicht sehen, auch wenn ihr die Frage auf der Zunge brannte, wie er es geschafft hatte, ihr so schnell zu folgen und warum er ihr überhaupt nachgeschwommen war. Die Hand auf ihrer Schulter bewegte sich keinen Millimeter und für einen Augenblick legte sich eine Grabesstille über sie.   „Es tut mir leid.“   Arista spitzte die Ohren. Hatte er gerade – „Warum hast du nichts gesagt?“, wollte sie wissen.   Er erlaubte es sich, reumütig auszusehen. „Ich wollte, aber dann hast du angefangen zu erzählen und da habe ich lieber zugehört. Du hast eine schöne Stimme.“   „Zugehört?“   Er nickte. „Ich hatte immer den Eindruck, Pocahontas schätzt es nicht sonderlich, wenn ich meine Meinung sage.“   „Wer ist Pocahontas?“   Er zögerte kurz. „Ein Mädchen aus meinem Stamm.“   Arista schwamm neugierig eine Runde um ihn herum. „Ist sie hübsch?“, wollte sie dann wissen.   Er nickte noch einmal.   „Dann ist sie deine Freundin?“   Stille.   „Kocoum? Jetzt sag schon.“   Einen Augenblick lang glaubte Arista, er würde wieder schweigen und sie wollte schon frustriert zu protestieren beginnen, da öffnete er doch noch den Mund. „Mein Stamm glaubt, man müsse auf das hören, was das Herz einem sagt und meines sagt, es hat sie an ein anderes Ufer verschlagen.“   „Hä?“   „Sie interessiert sich nicht für mich.“   „Oh.“ Arista zog eine Schnute. „Nun, sieh es so, es gibt noch viele andere Fische im Meer.“   Er nickte. „Offensichtlich.“           Arista kicherte, während sie durch das Palasttor schwamm. „Und du hast ihr wirklich ein ganzes Haus gebaut?“, fragte sie ungläubig.   Kocoum nickte. „Vom Boden bis zum Dach“, bestätigte er. „So verlangt es die Tradition.“   „Und was hat sie dazu gesagt?“     „Ehrlich gesagt hat sie es sich noch gar nicht angesehen.“   „Das ist schade. Ich wette, es ist ein hübsches Haus.“   „Nun, jedenfalls sieht es ganz anders aus als dieses hier. Wer hat es gebaut?“   Arista überlegt. „Bau-Kraken, nehme ich an.“   „Interessant.“   „Nein, eigentlich nicht“, entgegnete sie, „In Atlantica gibt es viele Grotten und Höhlen, die ein schönes Zuhause bieten würden. Ich finde es viel spannender, dass ihr das an der Oberfläche alles selber machen müsst. Ich meine, wie baut man ganz ohne Korallen eine Wand?“   „An der Oberfläche ... mit Lehm“, entgegnete Kocoum knapp.   Arista kicherte erneut. Eigentlich hatte sie keine Ahnung, was dieses Lehmzeug sein sollte, aber sie fand es interessant, dass er solche Dinge wusste. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie man ein Haus baute. Sie hatte auch noch nie darüber nachgedacht. Ihr Zuhause war einfach schon immer da gewesen. Der Gedanke, dass es jemand gebaut haben musste, war ihr bisher nie gekommen.   Arista schwamm ein bisschen langsamer und hielt schließlich vor den goldenen Flügeltüren inne. „Hier ist es“, erklärte sie dann, „Das ist der Thronsaal. Wir schwimmen da jetzt rein und erzählen meinem Vater, dass du wieder zurück an Land musst. Und dann -“ Sie stockte. Die Vorstellung, dass er bald wieder an der Oberfläche leben würde, gefiel ihr nicht. Die Oberfläche war so schrecklich weit entfernt. Und wahnsinnig gefährlich. Als Arielle sie verlassen hatte, hätten sie sie fast verloren. Und Kocoum ...   Arista ließ den Kopf hängen.   „Ich kann dich besuchen.“   Ungläubig blickte sie wieder auf. „Kannst du das?“, fragte sie.   „Ich bin gut im Schwimmen, und wenn du ein Stück nach oben tauchst, können wir uns treffen. Kannst du über Wasser atmen?“   Sie nickte überrascht. „Manchmal schwimmen wir hoch zu Arielle.“   „Dann kannst du auch zu mir kommen.“     „Und dann erzählst du mir, was du gebaut hast“, schlug Arista vor.   Kocoum nickte.   „Und wie es mit Pocahontas läuft.“   Er hielt mitten in der Bewegung inne. „Ich sagte doch schon, dass sie mich nicht will“, erinnerte er sie.   Arista schüttelte den Kopf. „Sie wird schon noch merken, was ihr mit dir entgangen ist. Du wirst schon sehen. Vielleicht dauert es ein paar Gezeiten, aber ich bin mir sicher, dass sie es sich überlegen wird.“   „Vielleicht habe ich es mir inzwischen überlegt“, murrte er unzufrieden.   Arista kicherte ein weiteres Mal. „Gibt es denn noch andere hübsche Mädchen, die du kennst?“   Kocoum schwieg und Arista beschloss, dass das vielleicht auch besser war. Wenn es in seinem Stamm weitere Mädchen gab, die ihm gefielen, wollte sie das lieber nicht wissen. Zögerlich hob sie die Hand und klopfte an die Tür. Ein Zeichen dafür, dass sie keine weitere Antwort von ihm erwartete.   Sie geduldete sich ein paar Sekunden, dann griff sie nach der Klinke und schwamm in den Thronsaal hinein. Ein erster Blick bestätigte ihr, was sie, ob der fehlenden Antwort, schon befürchtet hatte. Der Thron ... war leer. Unsicher warf sie einen Blick zu Kocoum, der genauso unsicher zu ihr zurückblickte.   „Ist dein Vater auf die Jagd gegangen?“   Arista schüttelte den Kopf. Nein, das konnte nicht sein. Ihr Vater ging nicht jagen. Vielleicht war er in einem anderen Zimmer, oder – „Vater?“, hob sie die Stimme, doch niemand antwortete ihr. Unsicher sah Arista sich um. Hatte sie einen Termin vergessen, oder war ihr Vater überraschend irgendwohin aufgebrochen? Doch immer wenn er das tat, hinterließ er eine Nachricht und Anweisungen. Meist in Form von - „Aha“, machte es hinter ihr, und als sie sich umdrehte, um zu schauen, was Kocoum diesen Kommentar entlockt hatte, sah sie eine kleine, rote Krabbe, die fast in seiner Faust verschwand.   Arista holte tief Luft. „Kocoum, lass ihn los“, forderte sie und atmete erleichtert auf, als dieser widerstandslos gehorchte.   „Unverschämtheit!“, schimpfte Sebastian und ließ sich unglücklich auf der Lehne des Throns nieder. „Hast du deinem Freund nicht beigebracht, dass man diese Krabbe nicht zerquetscht? Was glaubst du, was ich bin? Ein Krabbenhäppchen?“   Kocoum schenkte ihm einen unlesbaren Blick. Möglicherweise fand er die Häppchenidee gar nicht so schlecht. Immerhin war er ein Mensch und Menschen – Arista schüttelte sich. Sie wollte lieber nicht zu genau darüber nachdenken,   was Menschen alles aßen.   „Sebastian? Weißt du zufällig, wo mein Vater steckt?“, fragte sie, um ein bisschen von dem unleidlichen Thema abzulenken. Und tatsächlich, die kleine Krabbe räusperte sich umständlich, warf Kocoum einen letzten, bitterbösen Blick zu und erklärte: „Ihre Majestät ist losgeschwommen, um sich um einige Anomalien im südlichen Teil des Landes zu kümmern. Er wird in ein paar Tagen zurück sein. Ich soll ausrichten, dass er wie immer tadelloses Benehmen von seinen Töchtern erwartet und ...“   Arista blendete den Rest der Erklärung einfach aus. Das musste sie erst einmal verdauen. Ihr Vater war unterwegs und nicht zu erreichen und das, obwohl sie seine Hilfe gerade wirklich dringend brauchte.   Sie wusste nicht, wie sie es schaffte, Sebastian trotzdem dankbar zuzunicken und Kocoum mit sich zurück vor die Tür zu zerren, ohne das die Krabbe anfing Fragen zu stellen, doch irgendwie gelang es ihr.   Es war furchtbar. Eine Katastrophe! Ihr ganzer Plan war fehlgeschlagen!   Und Kocoum? Der schwamm einfach nur neben ihr her und sah so ruhig und gelassen aus wie immer. Hatte er keine Angst? War er ihr nicht böse?   Unsicher sah Arista ihn an. „W-Wir haben noch eine Chance“, murmelte sie, doch so ganz konnte sie nicht daran glauben. „Wir schwimmen gleich los. Ich weiß in etwa, wo Pari wohnt. Wir suchen ihr Zuhause und dann – dann muss sie eben sehen, wie sie das wieder hinbekommt. Sie hat dich einmal verwandelt, sie verwandelt dich bestimmt auch wieder zurück. Du musst nicht über Tage auf die Rückkehr meines Vaters warten. Das kann niemand von dir verlangen.“   Einen schrecklich langen Augenblick schwieg Kocoum sich einfach aus, dann schüttelte er überraschend den Kopf. „Vielleicht ist es besser, wenn wir warten“, erklärte er ihr.   Arista schenkte ihm einen überraschten Blick. „Wie kommst du darauf?“, erkundigte sie sich. Sie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Um ehrlich zu sein, hatten die meisten ihrer Ideen eher mit einer langen Suche nach ihrer Kugelfischfreundin zu tun. Und Kocoum? Der wollte einfach aufgeben? Warum? Sie hatten es doch noch nicht einmal versucht?   „Ein paar Tage, sind noch nicht die Welt“, klärte er sie auf, „Und da oben erwartet mich nichts. Ich kann auch warten, bis dein Vater wieder nach Hause kommt.“   „Du weißt, dass das gut und gerne eine ganze Woche dauern kann?“     Er nickte knapp. „Eine Woche, zehn Tage und mit Pech auch noch ein paar Tage mehr. Ich habe schon verstanden.“   „Und trotzdem willst du warten?“   Er nickte noch einmal. „Es bietet eine einmalige Gelegenheit“, erklärte er ihr.   Arista sah ihn fragend an. „Welche?“, wollte sie neugierig wissen.   „Ich kann dich noch etwas besser kennenlernen.“   Arista spürte, wie sie rot um die Nasenspitze wurde. „U-Und dann?“, entfuhr es ihr.   „Was auch immer uns das nächste Ufer bringen mag ...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)