Heartbeats von Khaleesi26 (Michi-Woche) ================================================================================ Kapitel 3: Connection --------------------- "If I could fall into the sky Do you think time would pass me by? 'Cause you know I'd walk a thousand miles If I could just see you tonight" ― Vanessa Carlton, A Thousand Miles Mimi Kaum zu glauben, dass schon vier Wochen vergangen waren, seit ich Tai das letzte Mal gesehen hatte. Nach seinem unerwarteten Besuch in New York, hatten wir ein traumhaftes Wochenende. Es war, als wäre das Stück, dass mir die ganze Zeit fehlte, zu mir zurückgekehrt. Und das hatte sich unglaublich gut angefühlt. Und jetzt? Vier Wochen später? … Stand ich hier und hatte mich kein einziges Mal bei ihm gemeldet. Seit vier Wochen hatte ich nicht seine Stimme gehört. Hatte seine Anrufe und Mailboxnachrichten ignoriert. Und das nur, weil ich vermutlich der dümmste Mensch auf der Welt war. Denn nun stand ich hier, in einem engen, stickigen Aufzug, den Finger schwebend über der Taste meines Handys. Sein Name leuchtete auf meinem Display auf. Er war nur einen Knopfdruck entfernt und trotzdem schaffte ich es nicht, abzuheben. Ich konnte es einfach nicht. Mein Herz hämmerte wie wild gegen meine Brust, meine Finger zitterten. Bis er aufgab. Eine weitere Nachricht auf meiner Mailbox erschien. Eine weitere Nachricht, die ich nicht abhören würde. Es würde mir das Herz zerreißen, seine Stimme zu hören. Seufzend und mit einem schlechten Gefühl in der Magengegend steckte ich das Handy wieder in meine Tasche. Warum konnte ich nicht das tun, was mein Bauch mir sagte? Wieso war ich nur so schwach? Das Wochenende mit ihm war atemberaubend gewesen und ihn nach einem Jahr wiederzusehen, war das absolut Schönste für mich. Ich wollte mit ihm zusammen sein. Das wollte ich wirklich! Aber da hatte ich nicht gewusst, dass zusammen sein auf dieser Distanz so schwer sein würde. Ich hatte ihn immer vermisst – während all der Zeit in New York. Aber nachdem er bei mir war, wir uns so nah wie nie zuvor gekommen waren … wurde aus dem einfachen Vermissen Sehnsucht. Schmerzhafte Sehnsucht. Und ich wusste, dass es ihm genauso ging. Wollten wir uns beide das wirklich gegenseitig antun? Der Fahrstuhl hielt plötzlich an und die Türen vor mir öffneten sich, was mich wieder zurück in die Realität riss. Ach, ja. Da war ja noch was. Nämlich mein Job, der gerade meine vollste Aufmerksamkeit forderte. Ich war auf einer After Show Party eingeladen, wo sich auch einige, der zur Zeit gefragtesten Models in New York befanden. Und ich sollte sie interviewen. Endlich! Ich durfte meinen eigenen Artikel schreiben. Die harte Arbeit der letzten Tage hatte sich also bezahlt gemacht und mein Chef setzte auf mich, dass ich diese Aufgabe nicht vermasselte. Ich hatte gerade schlichtweg einfach keine Zeit, an Tai zu denken. Ich musste das hier jetzt durchziehen. Und es war eine perfekte Ablenkung für meine Gefühle, die mich jeden Tag wieder zu übermannen schienen. Ich atmete noch einmal aus, strich mein schwarzes Kleid glatt und straffte die Schultern, ehe ich mein bezauberndstes Journalistin-Lächeln auflegte und aus dem Fahrstuhl trat. Ich mischte mich schnell unter die Leute, stellte mich vor und sprach mit den richtigen Personen, um neue Kontakte in der Branche zu knöpfen. Eins stellte ich ziemlich schnell fest: diese Leute liebten Alkohol. Viel, sehr viel Alkohol. Der Champagner, von dem ich nicht wissen wollte, wie teuer er war, floss in der Mitte des Raumes in einer gläsernen Pyramide verschwenderisch hinab. Nur so zur Deko. Natürlich gab es auch noch Angestellte, die das prickelnde Zeug auf Silbertabletts servierten. Oh, man. Wenn nur einer dieser Leute hier wüsste, in was für einer Behausung ich lebte … Tai hatte es nichts ausgemacht. Er hatte sich pudelwohl bei mir gefühlt. Ach, Tai … was er wohl gerade machte? „Hallooo?!“ „Ehm …“ Das blonde Model, das gerade vor mir stand und mit der ich eigentlich ein Interview führen sollte, wedelte aufgebracht mit der Hand vor meinen Augen rum. „Ja, bitte?“, fragte ich peinlich berührt. „Ob Sie das aufgeschrieben haben? Gott, warum schicken die eigentlich immer die Praktikanten?“, beschwerte sie sich lautstark, als wäre ich gar nicht anwesend und warf ihre langen Haare nach hinten. Was für eine Kuh. Immer schön freundlich bleiben, Mimi. „Keine Sorge, ich habe alles aufgeschrieben“, beschwichtigte ich sie, während sie die Hände in die Hüfte stemmte und mich von oben herab musterte. „Gut. Und schreiben Sie ja meinen Namen richtig. Ich werde das überprüfen. Mit C und nicht mit K, klar?“ „Ja, natürlich“, meinte ich nur und stöhnte in mich hinein. Das Model ließ mich ohne sich zu verabschieden stehen und begrüßte überschwänglich einige ihrer magersüchtigen Freundinnen. Ob die sich gegenseitig eigentlich leiden konnten? Schwer vorstellbar … Die Spitze meines Bleistiftes ruhte auf meinem Notizblock. Wie war ihr Name noch gleich? Irgendwas mit C oder K … keine Ahnung. Ich hatte es vergessen. Ohnehin war dieses Interview grottig gewesen und meine Notizen nicht zu gebrauchen. Na ja, wie auch immer. Vielleicht hatte ich ja bei der Nächsten mehr Glück. Ich drehte mich um und wollte gerade mein nächstes Zielobjekt ansteuern, als ich plötzlich ins Wanken geriet. Vor meinen Augen begann sich alles zu drehen und die lauten Stimmen im Raum drangen nur noch gedämpft an mein Ohr. Als würde mein Kopf unter Wasser stecken. Ich konnte mich gerade noch so auf den Beinen halten und schüttelte verwirrt den Kopf. Was war denn nun los? Warum war mir so schwindlig? So viel hatte ich doch gar nicht getrunken. Irritiert blickte ich mich um. Alle sahen mich an. Warum sahen mich alle an? Panik kroch in mir hoch und das Atmen fiel mir zunehmend schwerer. Ich griff an meine Brust, doch es wollte einfach kaum Luft in meine Lungen dringen. Alle sahen mich an. Alle lachten. Warum taten sie das? Sie sollten damit aufhören! Jemand trat vor mich und ich hob den Kopf. Schwitzte ich etwa? „Oh, Mimi.“ Was? Wieso war mein Boss hier? Er war doch übers Wochenende verreist. Was machte er hier? Wollte er mich kontrollieren? „Oh, Mimi. Du hast es wirklich vermasselt“, sagte er amüsiert, während ich ihn voller Entsetzen ansah. „Ich wusste, auf dich kann man sich nicht verlassen. Du bist eben nur eine kleine Praktikantin.“ Was zur Hölle …? Ich blickte mich um, panisch, völlig außer mir. Sie lachten. Sie lachten immer lauter. Er lachte, sie lachten. Alle lachten mich aus. „Aber … Aber ich habe d-doch …“, stammelte ich. „Ich habe doch das Interview geführt, ich habe doch …“ Ich sah hinab auf den Notizblock in meiner Hand und dort stand nur ein Wort. Versager. Was? Nein, das konnte nicht sein! Ich blätterte um. Versager. Versager. VERSAGER. Ja, so war es. Ich war ein Versager und sie lachten mich aus. „Hört auf“, begann ich zu wimmern und der Notizblock glitt mir aus der Hand. Er fiel zu Boden und ich neben ihm auf die Knie. Alle blickten von oben auf mich herab und dieses eine Wort, dass mein Schicksal besiegelte, hallte in meinem Kopf wieder. Ich kniff die Augen zusammen. Es tat weh. Es tat so weh. Sie sollten aufhören damit. Konnten sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? „Hört auf! Hört endlich auf!“ Tränen rannen mir über die Wange, während ich meine Finger in meinen Haaren vergrub. Ihre Stimmen in meinem Kopf schmerzten und wurden immer lauter. „Hört auf, hört auf, HÖRT AUF!“ Ich schrie. Und plötzlich … wurde es ruhig. Das Einzige, was ich noch hörte, war mein eigenes, klägliches Wimmern. Ich wagte es, den Kopf zu heben und blickte in die Augen eines fremden Mannes, der vor mir kniete und mich besorgt ansah. Das war nicht mein Chef. Verwirrt und immer noch völlig aufgelöst sah ich mich um. Alle starrten mich an. Doch keiner lachte. Die Gespräche waren verstummt und der Mann, der vor mir kniete, legte mir eine Hand auf die Schulter. „Geht es Ihnen gut?“ Ich antwortete nicht, sondern richtete stattdessen meinen Blick auf den Notizblock neben mir. Er war leer. „Soll ich … soll ich einen Arzt rufen?“, fragte der Mann sorgenvoll. Endlich schaffte ich es, mich zu regen und schüttelte den Kopf. „Nein, es ist … mir geht es gut … es ist nur …“ Ich richtete mich auf und versuchte die Blicke zu ignorieren, die immer noch entsetzt auf mir ruhten. „Ich brauche frische Luft“, erklärte ich lediglich und drängte mich an dem Mann und den anderen Leuten vorbei, hinaus auf die Dachterrasse. Ich spürte, wie sämtliche Augen mir folgten. Konnten sie mich nicht einfach alle in Ruhe lassen? Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, wurde die Party fortgesetzt als wäre nichts gewesen. Musik und die Gespräche der Leute drangen durch die Glastür nach draußen, während ich erleichtert aufatmete. Frische Luft. Ja, das brauchte ich wirklich. So langsam ordneten sich meine Gedanken wieder und ich ging an den Rand der Terrasse, um mich auf der Brüstung abzustützen. Was um alles in der Welt war da drin mit mir geschehen? Hatte ich so was wie eine Panikattacke? Oder verlor ich jetzt völlig den Verstand? Getrunken hatte ich jedenfalls nicht genug, um diese Halluzinationen zu rechtfertigen. Aber zugegeben … es war nicht das erste Mal, dass ich mich merkwürdig benahm. In letzter Zeit hatte ich immer mehr das Gefühl mir selbst zu entgleiten. Als wäre ich nicht ich selbst. Es gab bereits einige merkwürdige Vorfälle, die ich jedoch alle dem Stress zuschob. Ein Mal war ich während einer Vorlesung panisch aus dem Hörsaal gestürmt, weil ich glaubte, ich hätte draußen jemanden schreien hören und keiner, der anderen hatte darauf reagiert. Ein anderes Mal las ich immer und immer wieder denselben Artikel, weil ich der Meinung war, dass der Fehler, den ich schon längst korrigiert hatte, immer wieder wie von Geisterhand auftauchte. Die halbe Nacht saß ich an diesem Artikel, weil er einfach immer wieder kam. Wie eine Fliege, die mich ärgern wollte. Ich dachte, der Laptop sei vielleicht kaputt und kaufte mir daraufhin am nächsten Tag einen neuen. Von den Kopfschmerzen und den Schlafstörungen mal abgesehen. Vielleicht hatte Tai recht gehabt und ich hätte wirklich zum Arzt gehen sollen. Tai … Der altbekannte Schmerz, wenn ich an ihn dachte, breitete sich erneut in meiner Brust aus und raubte mir den Atem. Ich dachte nicht weiter nach, sondern zückte mein Handy. Ich musste mit ihm sprechen … Jetzt! Taichi Wieder ging sie nicht ran. Und wieder wird sie keine meiner Nachrichten abhören. Schwer seufzend steckte ich das Handy zurück in meine Hosentasche und schloss die Tür zu meiner Wohnung auf. Was war nur mit ihr los? Wir hatten ein wundervolles Wochenende miteinander verbracht und Mimi sagte, sie wolle mit mir zusammen sein. Aber seit ich nach Tokio zurückgekehrt war, hatte sie sich nicht ein Mal bei mir gemeldet. Es hatte sich so richtig angefühlt, zu ihr zu fliegen. Warum fühlte es sich jetzt plötzlich falsch an? Lag es an mir? Hatte ich sie verunsichert? Lag es an den vielen Kilometern, die uns trennten? Wir hatten nicht direkt darüber gesprochen, ob der Kuss unter dem Sternenhimmel uns zu einem Paar gemacht hatte oder nicht. Und irgendwie war ich auch dankbar dafür. Ich wollte die wenige Zeit, die ich mit ihr hatte genießen und mich nicht fragen, wie es weitergehen sollte mit uns. Vielleicht war das ja der Fehler …? Was auch immer. Das ganze Grübeln brachte mich kein Stück weiter, solang Mimi nicht bereit war, mit mir zu reden. Ich öffnete die Balkontür, trat hinaus an die kühle Luft und lehnte mich über die Brüstung. Am liebsten würde ich sofort wieder in den Flieger steigen und zu ihr fliegen. Sie zur Rede stellen – warum sie nicht bereit war, uns eine Chance zu geben. Ich gab ja zu, eine Fernbeziehung auf diese Distanz ist nicht gerade einfach und war eigentlich das, was wir nie wollten, weswegen wir uns damals dazu entschieden hatten, unseren Gefühlen nicht nachzugeben. Aber … verdammt! Was sollte man denn tun, wenn das Herz so sehr nach jemanden verlangte, förmlich danach schrie? Ich hätte jetzt sagen können: ich hätte sie niemals küssen dürfen. Nicht das erste Mal. Und ganz sicher nicht das zweite Mal. Aber so sehr es auch wehtat, jetzt von ihr getrennt zu sein, so sehr wollte ich auch diesen Schmerz spüren. Denn er zeigte mir, wie viel sie mir bedeutete und dass ich für unsere Liebe kämpfen musste – ganz egal, wo auf der Welt sie war. Sie war die Eine, die ich immer lieben würde. Ob sie das nun wollte oder nicht. Das Klingeln meines Handys riss mich aus meinen Gedanken. Wahrscheinlich war das nur Kari, die fragen wollte, ob ich heute Abend zum Essen vorbeikomme. Ich holte das Ding aus meiner Hosentasche und wollte schon einfach so rangehen. Doch dann sah ich ihren Namen. Mimi. Groß und breit leuchtete er mich an, während mir das Herz in die Hose rutschte. Rief sie gerade wirklich zurück? Und ich war zu perplex um ran zu gehen? Gott, reiß dich zusammen, Tai! Schnell hob ich ab, ehe sie es sich wieder anders überlegen konnte. „Mimi?“ „Tai, ich …“ Ihre Stimme klang nur leise und sie musste gar nicht mehr sagen. Ich spürte, dass etwas nicht mit ihr stimmte … Mimi Es klingelte. Und ich wollte plötzlich nichts mehr, als dass er abhob. Obwohl ich ihn wochenlang zurückgewiesen hatte … ich war mir sicher, er würde rangehen. Tai ließ mich nicht im Stich. Niemals. Mein Herz schlug schneller, mit jeder weiteren Sekunde, in der er nicht abhob. Und dann … „Mimi?“ Ich schluckte. Ihn meinen Namen sagen zu hören war wie eine Erlösung für mich. Warum hatte ich ihn nicht schon eher zurückgerufen? Ich war so dumm … „Tai, ich …“, brachte ich lediglich hervor. Dann brach meine Stimme. Eine Träne rollte mir über die Wange und es war, als hätte Tai es gesehen. „Was ist passiert?“, fragte er sofort. Typisch, Tai. Ich konnte ihm eben nichts vormachen – nicht mal am Telefon. „Es ist …“ Ich musste erst mal Luft holen, also zwang ich mich, ein paar Mal so ruhig es ging ein und aus zu atmen und Tai gab mir die Zeit. „Es ist“, setzte ich erneut an „Es ist seltsam, Tai. Ich glaube, mit mir stimmt was nicht.“ Diesen Satz überhaupt laut auszusprechen, kostete mich einiges an Überwindung. Doch was eben auf der Party passiert war, konnte ich nicht länger ignorieren. Ich hatte ein Problem. Und das machte mich irgendwie hilflos. „Ich fühle mich nicht gut, Tai“, sagte ich schließlich. „Was meinst du damit, du fühlst dich nicht gut?“, fragte Tai sofort. Besorgnis und Aufregung schwang in seiner Stimme mit. „Bist du krank?“ „Nein … Nein, das ist es nicht“, antwortete ich. Ich hatte keine Ahnung, wie ich ihm das erklären sollte. „Ich habe einfach das Gefühl, dass ich nicht mehr ich selbst bin.“ Ich stützte mich auf der Brüstung ab und fuhr mir mit der freien Hand durchs Haar. „Hast du wieder zu viel gearbeitet?“, hakte Tai nach. „Nein … Ja, schon. Aber das ist es nicht.“ „Sondern?“ Ich überlegte. Wie sollte ich etwas erklären, dass ich selbst nicht verstand? Womöglich war ich am Ende tatsächlich nur gestresst und dies äußerte sich nun in Schlafstörungen und Panikattacken. Wäre jedenfalls nichts Ungewöhnliches und eine logische Erklärung. „Ich weiß nicht“, gab ich offen zu. „Wahrscheinlich hast du recht und ich bin einfach überarbeitet. Vielleicht brauche eine Auszeit von allem. Ich habe das Gefühl, dass mir irgendwie alles über den Kopf wächst.“ Stille. Warum sagte er nichts dazu? „Tai? Bist du noch da?“, vergewisserte ich mich. „Bin ich“, hörte ich ihn sagen und atmete erleichtert auf. „Warum kommst du nicht zu mir, Mimi?“ „Was?“ Irritiert hob ich eine Augenbraue. „Wie meinst du das, ich soll zu dir kommen?“ „Ich meine damit, dass du dir diese Auszeit einfach gönnen solltest. Kauf dir ein Ticket und flieg zu mir nach Tokio.“ Ich lachte auf. „Tai … das kann nicht dein Ernst sein. Ich kann doch nicht einfach …“ „Du kannst“, unterbrach Tai mich und klang dabei ziemlich entschlossen. Wow. Er meinte es also wirklich ernst. „Komm nach Hause, Mimi. Komm zu mir zurück.“ Er klang weder bittend, noch flehend. Er sagte es mit einer Überzeugung, als wäre es das einzig Richtige für mich. Und tief im Inneren wusste ich, dass er recht hatte. Mein Traum hier zu leben, wuchs mir so langsam über den Kopf und der Gedanke, jetzt bei ihm zu sein, fühlte sich verlockender an denn je. Tai war so was wie mein sicherer Hafen. Mein Anker, bei dem ich mich voll und ganz fallen lassen konnte. Ich lehnte mich locker gegen die Brüstung und warf einen Blick hoch in den Himmel. Dann lächelte ich. „Weißt du, was ich mir gerade ansehe?“ „Was?“ „Die Sterne.“ Ich konnte hören, wie er verschmitzt grinste und stellte mir sein Gesicht dabei vor, denn er wusste genau, dass ich immer an ihn dachte, wenn ich mir die Sterne ansah. „Tja, ich wünschte, ich könnte dasselbe behaupten“, sagte er amüsiert. „Aber ich sehe hier keine Sterne.“ „Bist du gar nicht böse auf mich, weil ich mich nicht gemeldet habe?“, platzte es plötzlich aus mir heraus, da mir diese Frage schon die ganze Zeit auf der Zunge lag. „Wieso sollte ich?“, entgegnete Tai ruhig. „Ich habe dich sehr vermisst und wäre am liebsten mit den nächsten Flieger zurück nach New York geflogen. Aber ich dachte mir, dass du sicher deine Gründe hast. Und außerdem …“ „Außerdem?“, hakte ich weiter nach. „Außerdem wusste ich, dass du es nicht ewig ohne mich aushältst.“ Sein gewitztes Grinsen konnte ich bis hier her hören. „Du arroganter Kerl“, lachte ich auf, musste jedoch zugeben, dass er recht hatte. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, zu glauben, dass ich ihm und meinen Gefühlen ewig aus den Weg gehen konnte? Oh Mimi, wie dumm du doch warst … Auch Tai musste lachen und ich war froh, dass wieder alles in Ordnung zwischen uns war. „Es tut so gut, deine Stimme zu hören“, gab ich zufrieden zu. Mir wurde ganz warm ums Herz. Als wäre schon wieder mein verlorener Teil zu mir zurückgekehrt. „Und weißt du was?“, fügte ich noch hinzu. „Wenn ich könnte, würde ich sofort den ganzen Sternenhimmel überbrücken, um dich zu sehen.“ Tai schwieg kurz, sagte dann jedoch: „Dann tu`s doch einfach.“ Ich wollte erneut protestieren, doch Tai ließ mir keine Zeit dazu. „Warum tust du nicht ein Mal das, was dein Herz dir sagt, Mimi? Ich weiß genau, dass du gerade nicht glücklich bist und ich weiß, dass du jetzt genauso gern bei mir wärst wie ich bei dir. Warum erlauben wir uns nicht, unsere Gefühle zuzulassen? Warum machen wir es uns so schwer, wenn wir doch beide wissen, was das Richtige ist?“ Seine Worte gingen mir unter die Haut. Warum fühlten sich diese Worte an, als wären sie direkt aus meinem Herzen gekommen? Und warum erlaubten wir unseren Herzen nicht, zusammen zu sein, wenn sie schon im selben Takt schlugen? „Du hast recht“, sagte ich plötzlich. „ … Was?“ „Du hast recht“, wiederholte ich mit Nachdruck. „Okay, das war jetzt irgendwie zu einfach“, überlegte Tai stutzig und ich musste lachen. „Aber du hast recht, Tai. Was soll ich sagen? Wir haben schon viel zu lang darauf verzichtet beieinander zu sein. Und ich kann dir auch nicht versprechen, dass ich mein Leben hier von heute auf morgen aufgeben werde. Aber ich kann dir versprechen, dass ich morgen bei dir sein werde. Ich will mir endlich wieder gemeinsam mit dir die Sterne ansehen.“ „Du willst … Warte mal! Hast du gerade gesagt, dass du morgen hier sein wirst?“, hakte Tai ungläubig nach. Ich nickte, auch wenn er es nicht sehen konnte. „Habe ich.“ „Mimi, bist du dir …?“ „Ich war noch nie so sicher, wie jetzt gerade“, beendete ich seinen Satz. Ich konnte hören, wie er lächelte und ich stellte mir vor, wie es sich anfühlt, sein Lächeln wiederzusehen. „So, tut mir leid, Tai, aber ich muss jetzt auflegen. Ich muss einen Flieger erwischen.“ Tai lachte. „Du bist total verrückt.“ „Manchmal muss man verrückte Dinge tun, um glücklich zu sein.“ Der Gedanke, morgen endlich wieder bei ihm zu sein, fühlte sich so befreiend an. Viel befreiender als ihm aus den Weg zu gehen. Also, wie konnte das dann falsch sein? „Ich freue mich auf dich, Mimi“, sagte Tai zum Abschied. „Ich freue mich auch“, lächelte ich zufrieden, bevor ich auflegte. Wie hatte ich nur ernsthaft glauben können, dass ich für diesen Jungen nicht um die halbe Welt fliegen würde, um ihn zu sehen? Und um ehrlich zu sein, hätte ich das schon viel eher tun sollen. Wie viel Zeit hatten wir verloren, weil ich an der Vorstellung festgehalten hatte, wir könnten es nicht schaffen? Wenn es jemand schaffen konnte, dann wir. Davon war ich nun fest überzeugt. Überschwänglich und mit Schmetterlingen im Bauch drehte ich mich um. Ich würde in diesen Flieger steigen und nichts und niemand würde mich davon abhalten können. Bis auf mein Kopf … Ich schwankte zur Seite, stolperte und fiel hin. So plötzlich, wie der Schmerz vorhin verschwunden war, so plötzlich war er wieder da, zog sich durch meinen ganzen Kopf, bis hin in meine Fingerspitzen. Ich verkrampfte mich. Meine Fingernägel bohrten sich in die Innenseite meiner Hand. Ich versuchte den Kopf zu heben, doch alles, was ich erkennen konnte, waren Lichter, die sich miteinander vermischten, zu einer großen bunten Welle wurden. Bis die Lichter schließlich schwarz wurden und die Welt gänzlich vor meinen Augen verschwand … Taichi „Ich freue mich auch“, sagte sie und legte auf. Ich steckte das Handy zurück in die Hosentasche und sah geradewegs in den Himmel. Ein Lächeln zierte mein Gesicht. Morgen würden wir uns die Sterne endlich wieder gemeinsam ansehen können. Ich war so froh, dass sie angerufen und sich mir anvertraut hatte. Mimi brauchte mich jetzt mehr denn je und ich hatte vor, für sie da zu sein. Egal, was es kostete. Mein Herz erwärmte sich bei dem Gedanken daran, dass ich sie morgen endlich wieder in meine Arme schließen und ihren Duft einatmen konnte. Wahrscheinlich wäre es besser, wenn ich vorher noch den Kühlschrank auffüllte. Mimi hatte schließlich gar nicht gesagt, wie lang sie vorhatte zu bleiben. Doch selbst, wenn es nur ein Tag sein sollte – wir würden ihn voll und ganz auskosten. Ich wandte mich um und legte eine Hand auf den Griff der Balkontür, als mich plötzlich ein Schmerz durchzuckte. Abrupt blieb ich stehen und starrte auf meine Hände. Der Schmerz zog sich bis in die Fingerspitzen. Dann setzte er sich in meinem Herzen fest und raubte mir fast den Atem. Ein Gefühl, dass ich gerade etwas Wichtiges verlor, erfasste mich mit so einer Heftigkeit, dass ich zu Boden sank und mein Shirt umklammerte. Meine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Woher diese plötzliche Angst kam, wusste ich nicht. Auch nicht, warum sie sich tief in mein Herz setzte, dort einnistete, als würde sie nie wieder von dort verschwinden. Gerade noch fühlte ich mich vollkommen und jetzt … Jetzt war es, als würde eine tiefe Leere mich erfüllen. Als hätte man mir den Teil, den ich gerade erst wiedergefunden hatte, wieder entrissen … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)