Was im frühlingshaften Palastgarten nicht alles geschehen kann... von Mondsicheldrache (The Vessel and the Fallen Sidestory 1) ================================================================================ Kapitel 6: Possierliche Vögelchen --------------------------------- *-*. Der nächste Wintermorgen brach ebenso kalt und düster an, wie der Tagesbeginn gestern. Und vorgestern. Und vorvorgestern. Und vorvorvorgestern. So dunkel, wie eigentlich schon die ganze eisige Jahreszeit über, fand Hakuren. Zuerst wollte er sich einfach die Decke über den Kopf ziehen und weiter schlafen, wonach es ihn höchstens im widerlichen Winter verlangte, doch dann fiel dem Jungen schlagartig ein, dass er sich ja mit dem kleinen Koumei treffen wollte. Heftige Freude schoss durch seine Adern. Sein neuer Freund war einfach ein tolles Kerlchen. Viel besser als der hochnäsige Hakuyuu oder der steife Kouen. Ob er bereits wach war? Hakuren brannte darauf, es herauszufinden und mit ihm loszuziehen. Aber davor musste er wohl oder übel noch ein paar Unterrichtsstunden über sich ergehen lassen. Diese Plackerei würde er vor lauter Ungeduld niemals überstehen. Hakuren knurrte ruhelos. Am liebsten wäre er jetzt schon zu den Gemächern seines Cousins gerannt und hätte mit ihm die Tauben angeschaut. Allerdings kamen bereits die Dienerinnen in sein Zimmer geschwärmt, um ihn für den heutigen Tag zurechtzumachen. Sie überredeten ihn gutmütig und unerbittlich wie immer aufzustehen, was für gewöhnlich kein Problem darstellte, weil Hakuren nicht gerne schlief. Ganz egal, was er für ein teures Himmelbett besaß, dessen Schnitzereien sogar kämpfende Drachen zeigten, das Wörtchen „Ausruhen“ konnte er nicht leiden. Auch weiche Kissen oder Decken verloren ihren Reiz übermäßig schnell, sobald die Schlafenzeit anbrach. Die Kindermädchen gerieten über seine Sturheit regelmäßig in tiefe Verzweiflung, weil er einfach nicht zur Ruhe kam. Er könnte ja etwas verpassen! Dementsprechend ließ er sich auch an diesem unwirtlichen Wintertag recht schnell aus dem Bett rufen. Außerhalb der wärmenden Laken herrschte eine widerlich niedrige Temperatur. Die Kohlepfanne war wohl erloschen. Dafür erleichterten ihm die netten Frauen das Wachwerden mit einem warmen, grünen Tee, aromatisiert mit Pflaumen und einem kleinen, süßen Gebäckstück, welches der zweite Prinz genüsslich herunterschlang, ehe sie ihn ankleideten und er sich voll übersprudelnder Energie auf den Weg zum Unterricht machte. Ein paar Stunden später, es war immer noch Vormittag, hüpfte der junge Prinz frohen Mutes, durch den Palast zu der Unterkunft der Verwandten. Der Unterricht hatte sich als genauso quälend und öde erwiesen, wie erwartet. Hakuyuu und er hatten etwas über das mit Kou verfeindete Königreich Kina gelernt. Zumindest hatte der Lehrer versucht, ihnen etwas darüber beizubringen, was sich bei Hakurens überdrehtem Herumgezappel als unmöglich erwies. Der Junge hatte wie wild auf seinem Stuhl herumgewippt, sodass dieser unter höllischem Lärm umgekippt war. In Folge dessen zierten nun rote Striemen seine Hände. Doch die Stockschläge und Schimpfe stimmten ihn nicht weiter traurig. Hakuren mochte diesen Lehrer ohnehin nicht. Es existierte also kein Verhältnis, das sich verschlechtern könnte. Der Drohung des Mentors, ihn das nächste Mal übers Knie zu legen, schenkte der Kaisersohn wenig Glauben. Wenn man an zweiter Stelle der Thronfolge stand, überlegten sich die Menschen harte Strafen äußerst gründlich, bevor sie sie ausführten. Mit einem möglichen Thronfolger wollte man es sich nicht übermäßig verscherzen. Sein Vater erzählte immer unter großem Gelächter, wie er damals nach der Thronbesteigung seinen unliebsamen Lehrer bestraft hatte und die Geschichte kursierte heute noch als eine Art Gruselmärchen unter der Dienerschaft. Natürlich hatte der Kaiser dem Lehrer nichts Gefährliches angetan, doch die Scham darüber, von den Wächtern kurzer Hand splitterfasernackt und kopfüber in Eiswasser getunkt zu werden, machte die Bediensteten vorsichtig. So vermutete Hakuren, dass er von dem strengen Mann nichts zu befürchten hatte und grinste schadenfroh vor sich hin. Er malte sich bereits in den buntesten Farben aus, womit man dem Kerl später den besten Denkzettel verpassen konnte. Darüber hinaus hatte er sich bei dem Sturz glücklicherweise nicht verletzt. Sowieso konnte der Junge nur noch an Koumei denken. Er freute sich so sehr, einen neuen Freund gefunden zu haben, den Hakuyuu ihm nicht direkt vor der Nase weggeschnappt hatte, dass er am liebsten vom Boden abgehoben wäre. Sobald er ohne zu klopfen in das Zimmer seines Cousins geplatzt war, staunte er nicht schlecht. Während er sich am frühen Morgen erzwungenermaßen mit Fehden zwischen Ländern herumgeplagt hatte, lag der Kleine selig schlummernd in einem Berg von Kissen, die Decke bis zur Nase hochgezogen. Ob er seit gestern Morgen durchgeschlafen hatte? Möglich erschien es durchaus, immerhin herrschten hier behagliche Temperaturen. Ein leises, unauffälliges Schnarchen drang aus seinem leicht offenstehenden Mund. Höchst interessiert beobachtete Hakuren den dünnen Speichelfaden, der aus Koumeis Mundwinkel rann und nach und nach auf die edlen Stoffe tropfte. Auf der Decke hatte bereits sich ein dunkler, feuchter Fleck gebildet. Anstatt sich daran zu stören, grinste Hakuren beglückt. Dieser Knirps sah wirklich knuffig aus, wenn er schlief. Aber ein wenig enttäuscht war der Prinz über dessen Schläfrigkeit schon. Hakuyuu hätte diese Schlafmütze keines zweiten Blickes gewürdigt, doch sein jüngerer Bruder tickte da anders. Vorsichtig wischte er die Spucke mit dem blauen Ärmel seiner Robe fort, woraufhin ein behagliches Schmatzen ertönte und Koumei sich genüsslich gegen seine ausgestreckte Hand schmiegte. Behutsam tätschelte Hakuren die vernarbte Wange. Die unreine Haut fühlte sich seltsam an, doch seine zarte Berührung weckte den Cousin leider nicht auf. Also wuschelte er mit der freien Hand etwas fester durch das rote Haar, sodass es in alle Richtungen abstand. Überraschenderweise waren die zotteligen Strähnen recht rau und nicht so weich wie erwartet. Trotz seiner Bemühungen entwich dem Vetter lediglich ein träumerisches Seufzen. Wie hartnäckig er auf seine Bettruhe bestand! „Mei… Meichen… Koumei… es ist Zeit aufzustehen“, flüsterte Hakuren in demselben Tonfall, in dem er früher seinen Vater geweckt hatte. Ja, seinen Vater hatte er früher vergöttert, eigentlich tat er das immer noch. Bis vor ein, zwei Jahren war er frühmorgens immer kreischend in die Gemächer seiner Eltern eingefallen und hatte sie dann, falls man von seiner überaus aktiven Natur wusste, überraschend umsichtig aus den Federn geholt. Natürlich hatte seine sanfte Weckmethode bei der kleinen Schlafmütze hier keinen Zweck, er erhielt lediglich ein genuscheltes: „Mama?“ Vielleicht hatte er sich allerdings auch verhört, denn angeblich war die Mutter seiner Cousins ja dem Kindbettfieber erlegen, was auch immer das darstellen sollte. Egal, er wollte keinen nuschelnden, sondern einen wachen Cousin! „Och Mei, jetzt komm, du wolltest doch die Tauben sehen und gleich gibt es Mittagessen, wir haben also wenig Zeit!“, quengelte er. Plötzlich hob sich skeptisch ein Augenlid. Der Kleine wirkte vollkommen orientierungslos, so fahrig wie sein Blick über die fremde Umgebung taste. „Tauben?“, piepste Koumei verschlafen und blinzelte verwirrt zu Hakuren auf. Ein stolzes Lächeln erschien auf dem frechen Gesicht des Älteren. Das Stichwort lautete also „Tauben“! Er hatte einen Weg gefunden, die Aufmerksamkeit des Kleinen zu gewinnen! Endlich konnte er mit seinem Cousin reden und sie würden eine Menge Spaß haben, wie er schon gestern beschlossen hatte. Bis sie allerdings Aufbruch bereit waren, verging noch einige Zeit, da Koumei ewig zum wach werden benötigte und Hakuren ihn immer wieder unsanft daran erinnerte, dass das Bett nicht dafür gedacht war, in einem fort darin zu liegen. Na gut, eigentlich schon, aber man sollte wenigstens ab und an aufstehen. Schließlich musste man sich selbst im bitterkalten Winter bewegen, um in Form zu bleiben! Es gab so tolle Möglichkeiten seiner Kraft freien Lauf zu lassen, selbst zu dieser Jahreszeit! Leider schien nur er selbst das so zu sehen. Der Rothaarige wirkte verstimmt, besonders als Hakuren ihm einfach die Roben anzog, weil er sich selbst zu ungeschickt anstellte. Nun gut, in diesem Alter war das nicht weiter verwunderlich. Aber Koumeis Unmut, als er angekleidet wurde, verwunderte den Prinzen, da sein Freund ihn gestern noch um selbiges gebeten hatte. Doch schließlich gelang es ihnen, die anfänglichen Schwierigkeiten zu überwinden und das behaglich warme Zimmer zu verlassen. Allerdings folgte das nächste Problem auf dem Fuße, sobald sie den Flur betreten hatten. Hakuren befand sich fast schon am Tor, als er bemerkte, dass Koumei ihm nicht mehr folgte. Erschrocken riss er den Kopf herum. Oh je, wenn sein Cousin verschwunden war… was würde Kouen dann mit ihm anstellen? Er maß zwar einen guten Kopf weniger als er, war aber ziemlich stark. Auch wenn der Prinz es nie zugab, er hatte ziemlichen Respekt vor dem Jüngeren. Nervös rannte er zurück und entdeckte das Objekt seiner Suche sogleich: Das kleine Kerlchen kauerte mit verzweifelter Miene auf dem Teppichboden und fröstelte bemitleidenswert. „Was ist denn los?“, rief Hakuren besorgt und eilte schleunigst an seine Seite. Koumei blinzelte betrübt. Bibbernd fiepte er: „Meine Beine sind kürzer als deine, ich kann nicht mit dir mithalten, Ren. Und es ist so kalt… Trägst du mich?“ Wie niedlich! Er braucht meine Hilfe!, freute sich Hakuren. Dann jedoch kam ihm ein unheimlicher Gedanke: Hoffentlich erfriert er nicht… „Herr Hakuren?“, hakte Koumei plötzlich nach und zerstörte mit der ehrfurchtsvollen Anrede alle Ängste. Diese Bitte konnte der zweite Prinz natürlich nicht zurückweisen. Zu sehr wurde er von dem flehenden roséfarbenen Blick eingenommen. Außerdem hielt er sich selbst für einen zuvorkommenden Menschen und musste die anderen um jeden Preis von seiner Selbstlosigkeit überzeugen. Grade wollte er seinen Cousin an sich ziehen, um ihm die kalten Finger warm zu reiben und ihn auf den Arm nehmen, als plötzlich ein höchst interessantes Geräusch seine Aufmerksamkeit erregte. Aus dem Zimmer vor dem sie zufällig standen, drangen zwei hohe, lebhafte Stimmchen. „Gib das her!“, verlangte die eine.   „Nein, das ist meins!“, verteidigte sich die andere, woraufhin ein heftiger Streit entbrannte. „Lügnerin! Die Puppe gehört mir! Du lügst immer nur! Hör auf damit, Jaku!“ „Aber ich will jetzt mit Riri spielen!“, kreischte es überraschend aggressiv. „Ich bin die Ältere, also darf ich auch mit meinen Puppen spielen, wann ich will!“, fauchte es. „Nein, du bist doof und dumm wie Bohnenstroh!“, keifte die zweite wieder. „Blöde Fettfratze!“, heulte es. „Fischgesicht!“ „Zerquetschte Kuh!“ Daraufhin brach großer Spott aus: „Haha, was soll das denn sein? Hast du schon mal eine zerquetschte Kuh gesehen? Ich finde, ich bin viel älter als du, weil ich viel schlauer bin!“ „Froschhintern!“ „Widerlicher Dreckspatz!“ „So solltest du dich selber nennen, Jaku! Spatzen sind nur dazu da, um Abfälle zu fressen und fett zu werden! Genau wie du! Du bist so dick und hässlich, wie ein aufgequollener Reissack!“ Koumei schüttelte angewidert den Kopf. Er wirkte äußerst abgestoßen von solch ungehobelten, verletzenden Worten. Hakuren hingegen staunte nicht schlecht. In der Umgebung der ehrenwürdigen Familie Ren gehörte es offenbar zur Tradition, in seiner Jugend einen Haufen kreative Schimpfwörter zu erfinden. Natürlich testete man sie auch direkt an geeigneten Versuchsobjekten. Oh, wie sehr dem zweiten Prinzen das gefiel! Dann hörten sie nur noch ein wildes Gerumpel und hohe, quietschende Schreie. Eine verzweifelte Frauenstimme rief: „Nun beruhigt euch doch endlich, Kinder!“ Fragend blickte Hakuren zu Koumei hinab, der alles anschaute, außer der Tür, hinter der sich scheinbar zwei kleine Mädchen in die Haare bekommen hatten. Neugierig tappte der zweite Prinz hinüber. Bevor er die Flügel auseinanderschieben konnte, zerrte sein Cousin verbissen an seinem Gewand. „Ren, geh nicht da rein, bitte!“, fiepte er eindringlich. „Aber wieso? Weißt du vielleicht wer das ist?“ Koumei errötete schlagartig und wollte scheinbar am liebsten in Grund und Boden versinken. Wie reizend er aussah! Schließlich erwiderte der kleine Junge zaghaft: „Das sind meine beiden Schwestern Kourin und Koujaku. Sie streiten immerzu. Es ist unklug, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen…“ Aber da war Hakuren schon längst in den Raum hineingeplatzt, denn die lieben Schwestern seines süßen Cousins musste er unbedingt kennenlernen! Kaum schwangen die Türflügel knallend auf, verstummten die streitenden Mädchen. Der Anblick, der sich den hereinkommenden bot, erinnerte an ein Gemälde, welches einen aberwitzigen Moment einfing: Die Schwestern hockten voreinander auf dem Boden, die winzigen Fäustchen fest im Haar der jeweils anderen vergraben. Doch scheinbar hatten sie ihren Streit für den Augenblick vergessen. Wie gebannt starrten sie ihren Cousin an, der aus heiterem Himmel erschienen war und sie nun entzückt lächelnd musterte.  Als dann auch noch ihr jüngster Brüder folgte und seine kleine Hand furchtsam in die des Prinzen schob, amüsierten sich die beiden sichtlich, während ihre Aufpasserin missbilligend die Stirn runzelte. Hakuren jedoch kümmerte sich nicht darum, schließlich nahm er eine höhere Stellung ein als diese Frau. Koumeis Enthüllung, zwei Schwestern zu haben, hatte ihn wirklich überrascht. Begeistert besah er sich das Zimmer und die Mädchen, die ungefähr in Koumeis Alter sein mussten. Der Raum glich einem Schlachtfeld. Überall lagen Spielsachen verstreut, die überwiegende Mehrheit bestand aus Puppen in allen erdenklichen Größen, Formen und Farben. Daneben gab es bunte Bälle, strohgefüllte Stofftiere und hölzerne Reifen. Nach einer Weile entschloss sich der Prinz seine Cousinen zu begrüßen, in der Hoffnung, mehr über sie zu erfahren: „Hallo ihr zwei, ich bin der zweite Prinz Hakuren Ren und wie heißt ihr?“ Die beiden wechselten einen seltsamen Blick, der alles bedeuten konnte. Das dünnere der beiden Mädchen antwortete am schnellsten: „Oh, Prinz Hakuren! Welch eine Freude! Ich bin Kourin Ren, die älteste Tochter von Koutoku Ren, es ist mir eine Ehre, eure Bekanntschaft zu machen!“ Mh, die Grußformeln hat man ihr aber gut eingebläut, erfasste er still. Kaum verklangen ihre Worte, wurde sie von der etwas molligeren Cousine zur Seite geschubst. „Mach endlich Platz, Kourin, du dumme Nuss!“, piepste sie zornig. „Junge Dame, so sprecht Ihr garantiert nicht mit dem kaiserlichen Prinzen!“, rügte das Kindermädchen und sah ihn entschuldigend an. Die Kleine streckte ihr lediglich die Zunge heraus, ehe sie Hakuren freudig anstrahlte und sich kerzengrade aufrichtete. „Ich bin Koujaku, die jüngste Tochter von Koutoku. Aber ich bin stärker und schöner als Kourin, was sagst du, Ren?“ Die Dienerin fiel bei dieser respektlosen Anrede beinahe in Ohnmacht. Sicherlich befürchtete sie, zur Strafe ebenfalls ins eiskalte Wasser geworfen zu werden, falls ihr die Geschichte jemals zu Ohren gekommen war. Aber der ältere Junge entgegnete erst einmal gar nichts. Er registrierte nicht einmal, wie Kourin ihrer Schwester einen erbosten Stoß in die Magengrube versetzte, den diese mit einem beherzten Haken konterte, und wie ihre erschöpfte Zofe die beiden Streithennen auseinanderzog. Nein, der Blick des Prinzen wanderte fasziniert von der einen zur anderen Schwester und er dachte sich, dass Koujaku mit ihrer prahlerischen Behauptung durchaus richtig lag. Zwar besaß Kourin eindeutig die damenhaftere Ausdrucksweise, doch sie war trotz ihres jungen Alters gertenschlank, beinahe abgemagert. Außerdem fand er ihre korrekte Art öde. Sie würde sicherlich mal eine langweilige, feine Dame werden. Während schon Kourins rotes Haar in keinster Weise mit dem Leuchten von Koumeis Mähne mithalten konnte, besaß Koujaku lediglich braune Strähnen, deren Rotschimmer man sich fest vorstellen musste, um ihn zu bemerken. Und doch entfachte das kleine, pummelige Mädchen Hakurens Interesse stärker als ihre Schwester. Mit ihrer winzigen spitzen Nase und dem aufgeweckten Temperament erinnerte sie an einen quirligen Vogel, am ehesten tatsächlich an einen Spatz, wie ihr Name schon sagte. Das einzige, was Hakuren wunderte war das vollkommen unterschiedliche Aussehen der Geschwister. Keiner der drei ähnelte sich in dem Maße, wie er und Hakuyuu es taten. Verwirrt beäugte er die drei jüngeren Kinder und versuchte herauszufinden, weshalb sie sich kaum glichen. Alle besaßen rotes Haar, doch der Farbton unterschied sich wirklich völlig, reichte von Koujakus Rotbraun über Koumeis dunkles Purpur bis hin zu Kourins hellem Scharlach. Erst später sollte er erfahren, dass die drei lediglich Halbgeschwister waren und Onkel Koutoku nicht nur eine Frau besaß, wie sein Vater, sondern mehrere, was die Frage nach dem unterschiedlichen Aussehen der Kinder erübrigte. Zu Hakurens Bedauern blieb es erst einmal bei dieser flüchtigen Begrüßung und dem unverhohlenen gegenseitigen Gestarre. Sobald sich die Zofe, welche sich um seine Cousinen kümmerte, wieder gefangen hatte, schickte sie die Jungen nach draußen. Enttäuscht schlurfte der Prinz mit Koumei an der Hand den Flur hinunter. Wie gerne hätte er die kleinen Mädchen mit zu den Tauben geführt. Gleich drei liebe Verwandte waren mehr, als er sich zu erhoffen gewagt hatte, selbst Kourin, die ihn am wenigsten beeindruckte, fand er noch interessant genug, um sich ihre Gesellschaft zu wünschen. Nun musste er allerdings mit Koumei vorlieb nehmen. Das störte ihn natürlich nicht übermäßig, da Koumei bis grade eben ohnehin der einzige gewesen war, mit dem er sich heute gemeinsam die Zeit vertreiben würde. Der Winzling schien beinahe kleiner als seine Schwestern zu sein, stolperte über seine kurzen Beinchen und wirkte nicht traurig, die beiden Mädchen bei der Dienerin zurückzulassen. Alles in allem war Hakuren wirklich froh, dass, wenn schon nur eines der Geschwister mit ihm kam, es sich dabei um den Sohn seines Onkels handelte. Mit Jungen konnte er einfach mehr anfangen, als mit reizlosen Mädchen, obwohl er sich fragte, ob sich dies mit Kourin oder Koujaku nicht ändern könnte. Ihren Streit und die Vorstellungsrunde hatte er verzückt mit angesehen, sie waren so quirlig und aufgeweckt. Ihren Bruder übertrafen sie mit ihrem Temperament um Längen. Jedoch mochte Hakuren Koumei vor allem, weil er schlau, niedlich und schüchtern war und ganz klar seine Hilfe brauchte. Ohne ihn würde der Kleine bestimmt niemals das Tageslicht erblicken, sondern arm und verlassen in seinen Gemächern eingesperrt bleiben. Das durfte nicht passieren und so nahm er das kleine Kerlchen wieder auf den Arm, da dieses schon wieder langsamer wurde. „Meichen, spielst du viel mit deinen Schwestern?“, erkundigte er sich und schlüpfte mit ihm in die Kälte hinaus. Schlagartig erzitterte Koumei und presste sich frierend an ihn. „N-Nein, sie sind mir zu a-anstrengend und z-z-zu k-kindisch“, stotterte er und klapperte vor Kälte mit den Zähnen. Kein Wunder, Hakuren hatte vergessen, dass sie im tiefsten Winter vielleicht wärmere Kleidung benötigten als gewöhnlich. Allerdings wollten sie ja nur zu den Tauben, da mussten sie bloß eine winzige Strecke im Freien zurücklegen. „Heißt das, du machst nie etwas mit deinen Schwestern?“, fragte Hakuren weiter. Koumei nickte. Anscheinend sahen sie sich meist nur beim Essen und selten beim Lernen. „Findest du es nicht schade, dass ihr nichts miteinander zu tun habt?“, hakte der Prinz also nach und betrachtete ihn mitleidig. „Ach… nein… sie s-s-sind mir zu wild“, antwortete Koumei, was Hakuren irgendwo sogar nachvollziehen konnte, dabei lebte er praktisch nach dem Motto „je wilder, desto besser“. Bald erreichten sie das Nebengebäude, in dem die kaiserlichen Haustauben hausten. Gewöhnlich konnten zumindest die Brieftauben den Taubenschlag verlassen und hineinfliegen, wann sie wollten, doch wegen der Kälte hatte ihr Pfleger die Ausfluglöcher verschlossen. Gut, so würden sie alle Tiere bewundern können. Sobald sie die wohlige, wenn auch unterschwellig nach Vogeldreck müffelnde Luft umhüllte, sah Koumei viel entspannter aus. Er hörte auf zu frösteln und wollte nun selber laufen. Sein Cousin war darüber einerseits glücklich, da ihm bereits der Rücken schmerzte, andererseits fühlte er sich so schön erwachsen, wenn er den kleineren Jungen auf dem Arm trug. Außerdem schien es dem Rothaarigen zu gefallen, sich nicht anstrengen zu müssen, da er mit dieser schwächlichen Konstitution geschlagen war, wie Hakuren es gestern bemerkt hatte. Strahlend vor Stolz setzte er Koumei auf dem Boden ab und ging mit ihm zu den Einzelkäfigen, sowie den großen Taubenvolieren. Bereits beim Betreten des Hauses hatte Koumei seltsam zufrieden gewirkt. Fasziniert spähte er durch die Gitterstäbe aus Bambus oder geschnitztem Holz. In den verschiedenen Volieren befanden sich nicht nur Tauben, aber sein Cousin mochte bestimmt auch andere Vögel. „Schau mal, hier sind unsere Pfauen, im Winter ist es ihnen draußen zu kalt!“, verkündete Hakuren direkt, weil er Tauben für wenig beeindruckend hielt. Pfauen waren groß und imposant, außerdem gaben sie einen gewaltigen Braten ab, besser als so eine mickrige Taubenbrust. Fast hätte er seine Ansichten laut verkündet, doch Koumeis Blick hatte sich bereits an den kleineren, gurrenden Vögeln festgesogen. Die gezüchteten Haustauben liebte er scheinbar über alles und ging erst einmal die Käfige ab, deren Einrichtung sich auf ein wenig Stroh, eine Sitzstange, sowie Futter- und Wasserbehälter beschränkte. Er beobachtete ein hübsches, dunkelbraunes Tier, welches ihn ebenfalls aus seinen schwarzen Augen musterte. „Sie brütet“, murmelte der Junge. „Mh?“, machte Hakuren und eilte neben ihn, wobei die Taube erschrocken aufflatterte. Mit einem dumpfen Laut stieß sie gegen die Käfigdecke und fiel benommen auf ihr Gelege zurück. „Oh ja, das sind mindestens drei Eier!“, rief der Prinz überrascht. Koumei schaute ihn bekümmert an. „Du musst leise sein, sie können sonst in Panik geraten und sogar an dem Schock sterben. Wenn nie jemand hier herein kommt, sind sie Lärm und schnelle Bewegungen nicht gewöhnt.“ Etwas verstört starrte Hakuren auf seinen winzigen Cousin hinab, der ihm grade so erwachsen erklärt hatte, wie er sich verhalten musste. Der vorwurfsvolle, strenge Ton in seiner Stimme ließ ihn schaudern. Wie unheimlich. „Tut mir leid!“, flüsterte er, um Fassung bemüht, während der andere vorsichtig einen Finger durch die Stäbe schob und das schöne Gefieder streichelte. Eigentlich erwartete der Schwarzhaarige, dass die Taube Koumei beißen würde. Nach ihm und Yuu hatten sie immer gehackt. Na gut, wenn man sie ärgerte, ärgerten sie einen wohl zurück. Ihr Cousin hingegen besaß offenbar ein untrügliches Gespür für die Tiere hier. Es gelang ihm, auch die folgenden Tauben zu berühren. Der Ausdruck auf seinem Gesicht, so konzentriert und entspannt zugleich, fesselte den Siebenjährigen. Koumei wirkte überhaupt nicht mehr müde! Da hatte er wirklich eine perfekte Idee gehabt, um ihn ins Freie zu bekommen. Wobei… sie befanden sich schon wieder in einem Gebäude… Darüber hinaus fand Hakuren es eigentlich ein bisschen einschläfernd, in einem fort ruckende Hälse und scharrende Klauen zu beobachten. Mit viel Glück erwischte man vielleicht ein Tier, welches sich putzte, was zu bemerkenswerten Verrenkungen führen konnte, aber spannend war das auch nicht grade. „Können wir auch mal in eine Voliere gehen?“, bat Koumei nach einer Weile. Er hatte alle Käfige trippelnd abgeklappert und war zu dem Schluss gekommen, dass hier zwar nicht solch außergewöhnliche Tauben lebten wie bei ihm zu Hause, er sie aber trotzdem mochte. Mittlerweile zierte seine Miene ein nahezu seliges Lächeln, welches Hakuren nur erwidern konnte. Also stimmte er zu, obwohl sein Vater und der Pfleger es den Kindern strengstens verboten hatten und die Viecher ihn nicht besonders in ihren Bann zogen. Egal, er hatte es ihm versprochen. Was sollte bei Koumei auch schon passieren, er war so sanft zu den Tieren, dass sie alle freiwillig zu ihm kommen würden. Niemals könnte er ihnen etwas zu Leide tun und er würde sie sicherlich auch nicht aus den Käfigen entkommen lassen. Nach kurzem Zögern bugsierte er seinen Cousin durch die Tür einer Voliere, schloss sie hektisch hinter ihm und beobachtete dann zufrieden, wie dieser sich bequem auf dem staubigen Boden niederließ. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis die ersten Tauben mit lautem Flügelschlag zu seinen Füßen landeten. Schnell bemerkten auch die anderen, dass der fremde Neuankömmling überaus nett zu ihnen war. Als Koumei ein paar Körner aus einer der Futterschalen griff, flogen einige sogar auf seinen Kopf, um sich füttern zu lassen. Selbst die Tiere, die sich in die aufgehängten Taubenkästen zurückgezogen hatten, spähten hungrig nach draußen. Bald verschwand der kleine Junge in einem flügelschlagenden Haufen aus weißen, grauen, braunen und schwarzen Federn. Hakuren machte sich fast ein wenig Sorgen, dass er unter den ganzen Viechern ersticken könnte. Wie sollte er Kouen auch erklären, dass sein Bruder in einer Wolke aus Federn umgekommen war? „Koumei?!“, rief er prüfend. „Ren?“, kam es völlig gelöst zurück. Schön, dass wenigstens einer von ihnen grade in seinem Element war. Der Cousin hatte seinen Spaß. „Komm doch rein“, schlug Koumei ungewohnt heiter vor und für einen kurzen Moment blitzte sein narbiges Gesicht aus dem Gewühl hervor. „Ach, lass mal, ich steh nicht so auf die Viecher“, wehrte Hakuren ab. Genaugenommen fand er Tauben todlangweilig und machte dies alles nur mit, um dem anderen einen Gefallen zu tun. Und ja… er wollte auch nicht gebissen werden. „Sie sind ganz lieb“, beteuerte Koumei. Offenbar wünschte sich der Knirps Gesellschaft. Seufzend quetschte sich Hakuren durch die Tür, welche er nur einen Spalt öffnete, um keine Tiere entwischen zu lassen. Seine Sorge vor scharfen Schnäbeln erwies sich vorerst als unbegründet, weil keiner der Vögel sich in seine Nähe wagte. Sie hatten ja schon seinen Cousin, der ihnen liebevoll über das weiche Gefieder strich und sie mit Samen fütterte. Die ruhige Art des Kleinen eignete sich gut, um sie anzulocken. Plötzlich streckte sich ihm ein zitternder Arm entgegen. Kein Wunder, wenn er vier fette Tauben auf seinem Arm hocken gehabt hätte, hätte Hakuren sich auch nicht mehr so mühelos bewegen können. „Das ist eine weiße Hochzeitstaube!“, verkündete Koumei und meinte damit wohl das erste Vieh, das zutraulich gurrte und dann aus heiterem Himmel auf Hakurens Knie sprang. „Oh!“, rief dieser unbehaglich und lehnte sich ausweichend nach hinten. „Sie ist ziemlich neugierig“, stellte Koumei fest. „Oh ja und was soll ich jetzt mit ihr anfangen? Sie will mich doch nicht auffressen? Ist sie gefährlich?“, wollte der Prinz wissen, weil er das Gefühl der scharfen Krallen, die sich durch den dünnen Stoff der Robe bohrten, nicht ausstehen konnte. Koumei ignorierte ihn und reckte ihm die nächste Taube auf seinem Arm entgegen. Dieses Monster wirkte abgrundtief hässlich mit dem großen, schwabbeligen Kehlsack oder was auch immer es war, den langen, staksigen Beinen und diesen widerlich roten Augen. „Und das ist ein Kröpfer[1]… aber dieser große Kropf muss ziemlich unangenehm für die Taube sein…“, mutmaßte der Jüngere. Ehe Hakuren ihm sagen konnte, dass er dieses scheußliche Biest ganz und gar nicht auf sich haben wollte, hatte Koumei den Kröpfer auf seine Schulter geschoben, wo er bedrohliche Laute ausstieß. Verdammter Mist, jetzt habe ich echt Angst! Hoffentlich kommt das Biest nicht auf dumme Ideen! Dieses Viech besaß einen verstörend großen Schnabel. Die tiefen Töne vibrierten unheilvoll in dem kompakten Tierkörper. „Balzt der mich grade an?“, stieß der Prinz entsetzt hervor, als sich die Taube plötzlich an ihm rieb. So ungehobelt wie sich das Biest verhielt, konnte es nur ein Männchen sein. „Glaube ich nicht“, entgegnete Koumei. „Du glaubst? Kennst du dich etwa nicht damit aus?“ „Doch, aber ich kann nichts sehen“, piepste der Kleine. „Na, er gurrt so komisch und er kommt meinem Gesicht viel zu nahe!“, brummte Hakuren in dezenter Panik. „Dann setzt ihn einfach ab“, empfahl Koumei. „Und wie?“ „Schieb ihn runter.“ Das war doch nicht mehr der kleine, hilflose Junge, mit dem er am gestrigen Morgen Bekanntschaft geschlossen hatte?! Gestern war Koumei noch fast gestorben und hatte sich von ihm ins Bett bringen lassen. Heute gab sein vierjähriger Cousin ihm Ratschläge, wie er sich am besten aufdringlichen Vögeln widersetzte. Ob das überhaupt klappen würde? Wahrscheinlich würde er sich gleich schmerzhafte Blessuren einhandeln. Aber Hakuren tat wie geheißen. Vorsichtig schob er seine Hand zwischen das Tier und seinen Kopf und drückte es zaghaft fort. Und… der fette Kröpfer flatterte beleidigt davon. Etwas schwerfällig zwar, doch das war mit diesem dicken Kropf nicht weiter verwunderlich. Dann allerdings drehte er ab. Mit einem lauten Flügelflappen fiel er genau auf Hakurens Kopf. „Ah! Hilfe!“, brüllte der Prinz und sprang hektisch auf, wobei er die unschuldige Hochzeitstaube ganz vergessen hatte, die sich auf seinem Knie zur Ruhe gebettet hatte. Irritiert glitt der weiße Vogel von ihm herunter, während die dicke Taube immer noch auf ihm saß. „Mei, was macht der da?!“ Der Kröpfer zupfte gurrend an seinen Haaren. „Geh weg, dämliches Biest!“, fauchte der Prinz. Erfolglos. Seine gute Laune verflüchtigte sich ungewöhnlich schnell. „Mei, was soll ich machen? Warum reißt der mir die Haare aus?“ „Vielleicht will er ein Nest in deinen Haaren bauen. Er muss sich bei dir sehr wohlfühlen, Ren“, mutmaßte dieser. „Das Monster soll sich aber nicht bei mir wohl fühlen! Ich will meine Haare behalten!“, jaulte Hakuren schmerzerfüllt. Weshalb musste er sich vor seinem winzigen Cousin nur diese Blöße geben? „Tauben sind keine Monster“, erklärte Koumei völlig nüchtern. „Tauben sind nützlich und schön. Die meisten Haustauben sind ganz zahm und Brieftauben können lange Strecken zurücklegen, um Nachrichten zu überbringen. Man kann mit ihnen kuscheln und man kann sie sogar mit ins Bett nehmen. Dann wärmen sie einen.“ Er lächelte verträumt. „Darauf kommt es doch jetzt nicht an! Bitte hilf mir, der bringt mich noch um!“, wimmerte Hakuren, als sich der Kröpfer auch noch mit den krallenbewehrten Füßen in seiner Kopfhaut verhakte. Dann entlockte ihm ein heftiges Picken auf den Kopf einen gequälten Schrei. Diese Kraft hätte man dem plumpen, weichen Körper des überraschend schweren Vogels gar nicht zugetraut. Am liebsten würde er dieses Vieh heute Abend der Köchin zum Rupfen und Braten überreichen. Allerdings bekäme er dann wahrscheinlich große Probleme mit Koumei… „Jetzt hilf mir doch mal, Mei“, bettelte er. Noch nie hatte er wegen eines recht kleinen Tieres solche Ängste ausgestanden. Zum Glück hatte der kleine Junge ein Einsehen mit dem einfältigen Prinzen. Die Tauben, die den Winzling grade noch zutraulich belagert hatten, flogen plötzlich auf und Koumei stolperte missmutig zu ihm herüber. Hakuren sah das mit großer Erleichterung, denn seine Kopfhaut würde bestimmt nicht mehr lange durchhalten. Koumei stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte sich, um den dicken Vogel zu streicheln. Kurzdarauf hob er ihn ein wenig ungeschickt von dem malträtieren Schädel des Prinzen. „Danke, du bist mein Retter!“, seufzte Hakuren erschöpft, denn das Monster hatte ihm einen ganz schönen Schreck eingejagt. Ein wenig beschämt ließ er sich in das schmutzige Stroh fallen und beobachtete mit leichtem Unbehagen, dass Koumei den Kröpfer auf einer nahegelegenen Kletterstange absetzte. Hoffentlich würde das Biest jetzt genug von ihm haben! Noch einen Angriff auf seine Haare würde er nicht überleben, ohne dem Tier den Hals umzudrehen! Seine Überzeugung, dass Tauben zu nichts zu gebrauchen und blöd waren, wuchs grade noch ein ganzes Stück… Auf einmal erklang ein entzückter Laut. Neugierig, aber mit einer bösen Vorahnung schielte er hinüber zu seinem Cousin, der offenbar eine besonders stattliche Taube entdeckt hatte. „Ren, ihr habt ja Pfautauben!“, rief er mit seiner hohen Stimme, was ihm noch einen begeisterteren Anschein verlieh. „Bestimmt“, murmelte Hakuren, denn er fühlte sich seit dem Schnabelangriff ein wenig angeschlagen und hegte nach diesem schmerzhaften Überfall nicht länger das Verlangen, wie gewöhnlich wild drauflos zu quatschen. Außerdem wusste er nicht wirklich, wie eine Pfautaube aussah, da er sich nicht für irgendwelche Tierrassen interessierte. Er mochte zwar sehr gerne Pferde und Hunde, aber warum die Erwachsenen sie nach ihren Wünschen züchteten, erschloss sich dem Jungen noch nicht. Also beobachtete er nur den putzigen Koumei bei seinen Versuchen einen herrlich weißen Vogel, dessen Schwanzfedern tatsächlich wie ein Pfauenrad aufgestellt waren, auf seine ausgestreckte Hand zu locken. Wie winzig klein er im Vergleich zu den properen Tieren wirkte! Doch nicht nur das faszinierte den Kaisersohn. Der hibbelige Hakuren staunte über Koumeis Feinfühligkeit gegenüber den Tauben, er selbst hätte nie die Geduld besessen, sie still an sich herankommen zulassen, bis sie Vertrauen fassten. Die Bemühungen seines Cousins zeigten schnell Erfolg. Der prächtige Vogel, dessen Schönheit selbst der desinteressierte Prinz bemerkte, stakste mit ruckendem Kopf auf ihn zu und fraß aus der ausgestreckten Hand. Es dauerte nicht lange, da lag er gurrend im Schoß des Kleinen und ließ sich genüsslich kraulen. Wie machte Koumei das nur? Sobald Hakuyuu und er versuchten eine Taube zu streicheln, handelten sie sich Schnäbel- und Krallenhiebe ein und wenn diese ausnahmsweise ausblieben, wirkten die Tiere gestresst und angespannt, als gefielen ihnen die Berührungen nicht. Manche verfielen sogar in panisches Zetern. Das Bild, welches sich hier bot, ließ von Panik nichts erkennen. Wenn Hakuren überlegte, konnte er sich daran erinnern, diese Art von Tauben oft durch den Garten fliegen oder trippeln gesehen zu haben. Sie wirkten überaus lebendig und ansehnlich. Kein Wunder, dass sie offenbar Koumeis Lieblingstiere darstellten. Sie verbrachten noch gefühlte Stunden in der Voliere, zumindest erschien es dem zweiten Prinzen so. Ein wenig überrascht von sich selbst registrierte er, dass er die ganze Zeit ruhig dagesessen hatte. Zwischendurch waren ein paar Tauben zu ihm gekommen, aber sie zeigten erfreulicherweise kein Interesse an ihm, welches dem des fetten Kröpfers ähnelte, sondern ließen sich manchmal sogar eine kleine Streicheleinheit gefallen. Sein Cousin versank immer tiefer in seiner Leidenschaft zu den Tieren: Koumei erzählte mit der Zeit begeistert von seinen eigenen Tauben, so erfuhr Hakuren, dass er ebenfalls Pfautauben besaß, vor allem schwarz-weiß gescheckte. Natürlich waren das nicht die einzigen Tiere, die er hielt, doch sie hatten es ihm offenbar besonders angetan. Hakuren nickte geduldig und stellte sogar interessierte Fragen. Vor allem, dass Koumei tatsächlich ab und an einige Tauben heimlich von dem Pfleger in sein Bett schmuggeln ließ, weil sie herrlich wärmten und er sie die ganze Zeit füttern und streicheln konnte, fand er großartig. Na gut, schlafen könnte er in der Nähe solcher Krallen und Schnäbel wohl nicht, aber wenn es seinem Cousin gefiel… Normale Kinder spielten eben mit ihresgleichen, während Koumei sich die Tauben als Spielgefährten auserkoren hatte. Wahrscheinlich benahmen sich die Vögel des kleinen Jungen noch unverschämter als hier, weil sie von vorne bis hinten verwöhnt wurden. Meichen ist viel spannender, als man denkt!, erkannte er stolz und lauschte den Worten des anderen. Ja, erstaunlicherweise hörte der Prinz dem Kleineren wie gebannt zu, denn wenn dieser einmal anfing über sein Lieblingsthema zu sprechen, konnte man dem winzigen Jungen ansehen, dass die Vögel ihm wirklich wichtig waren. Beinahe beneidete Hakuren die Tauben, da diesen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde als ihm. Wäre Kaiser Hakutoku anwesend gewesen, hätte er über die Konzentrationsfähigkeit seines Sohnes gestaunt. Irgendwann jedoch hielt Hakuren es nicht mehr aus. Ihm wurde langweilig. Das ganze Abwarten wirkte schrecklich ermüdend und eintönig. Er brauchte dringend eine Abwechslung von der schlechten Luft und dem gierigen Gegurre. Unruhig rutschte er auf dem Stroh hin und her, bis Koumei ihm seine großen Augen zuwandte. „Lass uns mal gehen, gleich gibt es Mittagessen!“, drängte der Prinz, weil er bereits sein eigenes, fürchterliches Magenknurren spürte. Die Mundwinkel des Rotschopfes verzogen sich langsam nach unten. „Lass uns lieber noch ein bisschen hier bleiben“, bat Koumei und strich der Taube auf seinem Unterarm über das hübsche Federkleid. Allerdings knurrte auch sein Magen unüberhörbar, weshalb Hakuren sich schnell durchsetzen konnte. Im Hinausgehen präsentierte er Koumei noch rasch die echten Pfauen, die ebenfalls in dem Gebäude untergebracht waren, doch die prächtigen, bunten Tiere, welche mit empor gerecktem Hals und schleppengleichen Schwanzfedern in ihrer Voliere herum stolzierten, ließen den Sohn seines Onkels überraschend kalt. Der Prinz schwärmte ihm zwar ein wenig von den imposanten Rädern vor, welche die Männchen manchmal schlugen, wobei die wahre Schönheit der edlen Vögel erst so richtig zum Vorschein kam, doch Koumei ließ sich nicht davon beeindrucken. „Hübsch“, war sein einziger Kommentar, ehe er an Hakurens Ärmel zupfte, um ihm zu signalisieren, dass er wieder getragen werden wollte. Etwas beleidigt, dass der Knirps nicht viel auf seine Ansichten gab, obwohl Hakuren die großen Pfauen tausendmal toller fand als Tauben, hob er ihn hoch. „Weist du, wenn Pfauen schreien, hören sie sich manchmal an, wie Katzen!“, versuchte er nun seinerseits dem anderen etwas beizubringen, indem er begann, einen unendlichen Monolog über die Tiere zu halten. Doch Koumei drückte sich lediglich zum Schutz vor der Kälte an seine Brust und ließ sich durch die eisige Gartenlandschaft zurück ins Hauptgebäude tragen. Immerhin schlief er nicht ein. Der Prinz, den die eigenen Worte sehr beschäftigten, bemerkte dies kaum. Dann würde er es das nächste Mal eben mit exotischen Papageien versuchen. Die könnte Koumei streicheln und bestimmt würde er, auf Grund ihrer Sprachfähigkeit, wie verzaubert von ihnen sein. Außerdem freute er sich zu sehr auf das Mittagessen, wo auch der Rest der kaiserlichen Familie zusammenkommen würde, um Koumei in diesem Augenblick irgendetwas übel zu nehmen. Zumindest der erste Teil des Tages hatte sich als voller Erfolg entpuppt und ihn seinem Cousin mit Sicherheit ein ganzes Stück näher gebracht. Was würde wohl der Nachmittag für spannende Geschehnisse bereithalten? Hoffentlich ließe sich Koumei zum Spielen überreden, aber bis dahin blieb ihnen allen noch etwas Zeit. Er musste sich einen guten Plan überlegen, damit die Kälte Koumei nicht den Spaß verdarb. Fest entschlossen, dass sein kleiner Cousin den Rest des Tages an seiner Seite im winterlichen Sonnenlicht verbringen sollte, betrat Hakuren mit ihm auf dem Arm den kaiserlichen Palast und wurde sogleich von einem vorwurfsvollen Räuspern empfangen…   *-*. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)