Drachengeburten und andere Sorgen von Chaosbande ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Ich heiße Mary und eigentlich führe ich ein ganz normales Leben. Eins wie das Vieler. In aller Herrgottsfrühe plärrt mein Wecker. Verschlafen und mit klitzekleinen Augen schäle ich mich aus dem Bett. Begebe mich ins Bad, richte mich her und das nächste Ziel ist das Verlangen nach Kaffee zu stillen. Frühstücken und dann beginnt meine Arbeit. Und dies ist der Punkt, an dem sich mein Leben von dem Anderer unterscheidet. Denn für meine Arbeit ziehe ich festes Schuhwerk an, befestige Messer an meinen Shorts, sowie einen Bogen auf dem Rücken. Doch mein wichtigstes Hilfsmittel ist ein kleiner Stab: Mein Drachenstab. Mein Name ist Mary, ich wohne bei Stonehenge und bin dessen verantwortliche Wächterin. Ich überwache diesen Übergang in meine Heimatwelt: Die Dimension Eldarium. Dies ist die Welt aller Magie, sowie seltsamen Tier- und Menschenwesen. Zugleich bin ich die einzige erfahrene Heilerin in mehreren Kilometern Umkreis. Kein Wunder, nachdem alle anderen nach Hause geflüchtet sind und mich alleine zurück ließen! Doch meine wichtigste Aufgabe ist wohl, die Aufsicht über die letzten Drachen dieser und meiner Heimatdimension zu haben. Es ist eine verdammte Welt. Eine Welt in der die Existenz von Magie und magischen Wesen keine reinen Fantasyprodukte mehr sind. Eine Welt, in der Jagd auf alles ‘Ungewöhnliche’ gemacht wird, um es in irgendeiner Weise zu nutzen. Sagte ich, mein Leben ist normal? Nun, für mich schon. Aber nun … tja, nun ist es selbst für mich unnormal! Warum, fragt ihr euch? Nun, ich will euch erklären, wie mein Leben erneut auf Links gedreht wurde. Der Wind ließ das lilafarbene Haar der jungen Mary in der Luft tanzen, während sie aus blauen Augen - die Ihresgleichen suchten - aufmerksam die Umgebung beobachtete. Nach den Maßstäben unserer Welt zählte sie fünfundzwanzig Jahre. Tatsächlich existierte sie nur diese Zeit in unserer Welt. Denn in eldarischen Maßeinheiten lag ihre Lebenszeit bei deutlich mehr Jahren. Kratzte gefährlich an der ersten dreistelligen Zahl und doch war sie nur ein ‘Junggemüse’. Denn als Mischling aus Lichtelfin und … für sie unnakzeptierbarem Vampir hatte sie eine ganz andere Lebenserwartung, als all diese normalen Menschen. Ein kellertiefes Seufzen verließ die Kehle der jungen Frau und die Augenbrauen zogen sich zusammen. “Irgendwas ist komisch”, murmelte sie und ließ den Blick erneut schweifen. Doch sie entdeckte nichts weiter als grünes Gras, Hügel, Stonehenge, Wälder, ihr Haus und das nur schwach zu erkennende Dorf der Normalos - wie die Bewohner dieser Dimension genannt wurden. Dazu ein paar verstreute Schafe, Rehe und Vögel am Himmel. Nichts ungewöhnliches und doch … doch sagte ihr Bauchgefühl, dass etwas anders war. Die Luft schien dichter und die Magieflüsse waren irgendwie … anders. Auch die Drachen waren heute für ihre Verhältnisse recht unruhig. Aber gut, das konnte auch an der beginnenden Schlüpfzeit liegen. Da herrschte, mehr oder weniger, immer ein Chaos. Man wusste nie, wie viele Drachen lebendig schlüpften. Mal ganz davon abgesehen, dass Drachen nur ungefähr alle zehn Jahre Junge bekamen. “Es bringt ja alles nichts.” Die bunte Haarpracht zu einem Zopf zaubernd, schulterte die junge Frau ihren Bogen und überprüfte den Sitz der Waffen. Sie wusste, sie würde keine Ruhe finden, ehe sie eine Erklärung fand. Allein schon die Neugierde machte ihr da einen Strich durch die Rechnung. Von der Verantwortung, die sie hatte, ganz zu schweigen. “Tayron?”, rief Mary laut und nur wenige Augenblicke später hörte sie das laute Aufschlagen von Hufen, die sich in die Erde gruben. Nur Sekunden später knabberte ein Schnabel vorsichtig ihrem Zopf. Lachend entwand sie sich der Liebesbezeugung und drehte sich zu ihrem langjährigen Freund herum. “Du frecher kleiner Hippogreif”, schmunzelte die Frau und tätschelte den Hals des Wesen, welches an Gurren erinnernde Geräusche von sich gab. “Lust nochmal eine Runde zu drehen? Irgendwas ist komisch …” Als hätte das imposante Tier nur darauf gewartet, fiel es auf die Knie, sodass die Halbelfin ohne Probleme aufsteigen konnte. “Na dann, auf, auf”, meinte sie gut gelaunt und während sie einen Verschleierungszauber über sie beide legte, hob das Wesen nach einem kurzen Galopp in die Luft ab. Natürlich nicht ohne dabei Spiralen zu drehen, denn er wusste, dass dies seiner Reiterin Angst und Spaß zugleich machte. “Das ist doch scheiße, verdammt”, fluchte die Lilahaarige, einige Zeit später, wüst vor sich hin. Alles, was sie gefunden hatte, war ein Fuchs, der in die Falle eines Normalos getappt war. Schnell war dieser betäubt, befreit, verarztet und wieder erweckt worden. Noch etwas taumelig war das kleine Tier schließlich wieder im Gestrüpp verschwunden und die Falle in Asche verwandelt. Ein Hoch auf Magie. Ein Hoch auf ihre Heilerausbildung an Erdentier und magischen Tierwesen. “Irgendwo muss doch was sein! Die Eldenwölfe wissen nicht, was Sache ist. Bei den Harpien ist auch nichts Ungewöhnliches … vielleicht sind es ja doch die Drachen? Was meinst du, Tayron?” An einen Baum gelehnt fixierte sie ihren Begleiter. Doch dieser schnaubte nur, ehe er die kurz vorher erbeutete Ratte im Ganzen herunterschluckte. “Sehr appetitlich, mein Lieber und nicht hilfreich”, grummelte Mary gefrustet und ließ ihren Kopf gegen den Stamm sinken. “Wenn du fertig bist, fliegen wir noch mal zu den Drachen. Ich werde mit Altron reden. Vielleicht kann er uns helfen. Wozu ist der zig Jahre alt und der ‘Oberdrache'?” Und so machten sich die Gefährten - nach drei weiteren Ratten - auf den Weg zum Rückzugsort der Schuppentiere: Dem ‘Tal des Todes’ - wie es die Normalos nannten. Sie waren gerade in die breite, trostlose Schlucht hineingeflogen, als ihnen auch schon einer der jüngeren Drachen entgegenflog. Es war Jamur, ein Sohn Altrons und mehr oder weniger der Postdrache zwischen ihr und der Kolonie. Doch niemals würde die Wächterin diesem ihren geheimen Spitznamen für ihn verraten. In ihrem Stolz verletzte Drachen waren keine angenehmen Gesprächspartner! “Jamur, wir waren gerade auf dem Weg zu euch”, rief Mary dem Drachen entgegen und dieser bremste in der Luft, nur um direkt umzudrehen. “Beeile dich, junge Heilerin”, erklang es gehetzt in ihrem Kopf und schon schoss der Schuppenträger wieder in Richtung der Kolonie davon. “Los, schnell hinterher, Tayron.” Sogleich beschwor sie einen Windstoß hinter ihnen und der Greif legte an Geschwindigkeit zu. Die Erklärung, weswegen der junge Drache so aufgeregt war, bekam sie, kaum dass die Tiere in Hörnähe kamen. Lautes Grollen - welches an rollende Steine erinnerte -, vermischt mit einzelnem Brüllen und leiserem hohen Quietschen, war zu hören. War heute Morgen nur die Aufregung und Hoffnung auf gesunde Schlüpflinge zu spüren gewesen, so waren dies hier jetzt wirklich mehr als chaotische Zustände. Alle Drachen schienen auf den Beinen zu sein. Nicht wenige flogen hin und her. Von Nest zu Nest. “Elfin, beeile dich Mutter geht es nicht gut!” Und da verstand die junge Frau ein Teil der Aufregung. Nitara war die Mutter des jungen Drachen, Gefährtin Altrons und man konnte sie gut und gerne die Weise der Kolonie nennen. Wenn es Nitara schlecht ging, hatte das auch Einfluss auf die gesamte Kolonie. Sich einen Weg durch die aufgescheuchten Drachen bahnend, landete sie einige Augenblicke später an der Höhle der Anführer. Ohne darauf zu warten, dass Tayron sich niederkniete, sprang sie von dessen Rücken und marschierte schnell in die kühle Höhle hinein. Ein seltsamer Duft erfüllte schon hier schwach die Luft. “Jamur? Nitara? Altron? Irgendjemand?” “Kleine Elfin, hier hinten”, dröhnte Altrons unverkennbar tiefe Stimme in ihrem Kopf. Diese Stimme ging ihr immer wieder durch Mark und Bein. Allein die Macht, die in ihr zu hören war, sorgte für eine Gänsehaut. Eilig rannte sie der Stimme entgegen, bog um eine Ecke und bremste abrupt und schlitternd. Das Bild, welches sich ihr bot und der Geruch, welcher ihr nun entgegenschlug, ließ sie hektisch nach Luft schnappen. OH MIST! “Was … wie … aber … WAS ZUR HÖLLE IST PASSIERT?” ‘Nicht gut gehen’ war wirklich eine nette Umschreibung dafür, dass an Nitaras linker Seite ein riesiger Schnitt prangte, aus dem unablässig Blut ran. Eine nette Umschreibung dafür, dass der angestrengt atmenden Altdrachin ein Teil der vorderen Klauen fehlte. Das Blut der beiden Wunden vermischte sich und ließ es wirken, als wenn die Drachin im eigenen Blut schwamm. Die Verärgerung über Jamur beiseite schiebend, rannte sie zu ihrer alten Freundin. Noch im Laufen zog sie ihren Drachenstab und ließ neben einem Diagnosezauber auch einen Blutabkühlungszauber auf der Drachenweisen nieder. Das gab ihr Zeit. “Jamun, flieg zu mir und hole Mikhail. Ich brauche ihn hier!”, befahl sie streng und der Jungdrache folgte ohne zu zögern ihrem Befehl. Wie gut, dass sie vor fünf Jahren den Elfen bei sich aufgenommen und in der Drachenheilung unterrichtet hatte. “Nitara, was ist dir passiert?”, erkundigte sich die Heilerelfin und ließ sich neben dem stattlichen Kopf nieder. Doch anstelle einer Antwort erhielt sie nur ein angestrengtes Röcheln. Kein Wunder, hatte ihr der Zauber doch auch eine leichte innere Blutung angezeigt. Es war Altron, der böse grollte: “Jäger … wir wurden angegriffen. Haben mit den Jungen Jagen gelernt. Plötzlich waren diese Jäger da …”, an der Stelle brach die Stimme des Altdrachen und Mary nickte. “Genaueres später, jetzt sehen wir erst mal zu, dass wir dich wieder zusammenflicken, Nitara.” Und so machte sie sich an die Arbeit. Hoffend, dass Jamun schnell genug mit Mikhail wieder kam und an das Notfall Kit mit Tränken und Kräutern gedacht hatte. Mit einer Hand den Schweiß von der Stirn wischend, warf sie mit der anderen einen weiteren Pfeil zur Seite. Nach der ersten Handvoll Titankugeln und fünf Diamantspitzenpfeilen hatte sie aufgehört zu zählen. Es brachte eh nichts. Die Wut in ihrem Bauch war zu einem festen Ball geworden und alles in ihr schrie nach Rache! Dies hier war keine Attacke einfacher Jäger und Sammler - einfacher ‘Monsterkopfgeldjäger’ - gewesen, sondern eine von Profis durchgeführte Aktion. Eine, garantiert von der Regierung der Normalos, hoch bezahlte Jagd. Es war vor allem das Titan, welches der Drachin die Selbstheilung erschwerte und ihr die Kraft raubte. Wo blieb nur die Unterstützung? “Ich bin da, Meisterin”, erklang in diesem Moment Mikhails Stimme und ein erleichtertes Seufzen verließ Marys Lippen. “Wurde verdammt noch mal auch Zeit. Ich hoffe, du hast …” “Das Notfallköfferchen mit? Aber sicher doch. Für dich ist auch was drin. Erdbeersandwich.” Gerade noch konnte sie den Beutel, welchen ihr Assistent ihr zuwarf auffangen, kam dabei jedoch aus dem Gleichgewicht und fiel auf den Hintern. “Kümmer dich um die weitere Versorgung. Die großen Sachen habe ich bereits geschlossen”, grollte sie ganz in Altron Manier und schnell kam der Jüngere diesem Befehl nach. Wusste er doch, was gut für ihn war. Wie lange sie letztendlich gebraucht hatten, wusste die junge Halbelfin nicht, doch schließlich trat sie, erleichtert ausatmend, aus der Blutgeruch geschwängerten Höhle heraus. Ihre Klamotten konnte sie wohl wegschmeißen, denn den Geruch und die Flecken bekam sie wohl niemals raus. Aber was machte das schon? Erstens war dies ihr Job - ihre Berufung und Aufgabe - und zweitens war ihr Nitara eine gute Freundin in den letzten fünfundzwanzig Jahren geworden. Dass diese nun so weit wieder hergestellt war, dass ihre Selbstheilungskräfte anschlugen, war ein unglaublicher Glücksfall. Nun wurde sie durch jüngere Drachen wieder aufgeheizt und die speziellen Drachentränke und Salben halfen ebenso. Den Blick in den inzwischen Sternen überzogenen Himmel gerichtet, dachte sie ein wenig selbstzufrieden, dass sie nicht umsonst den Beinamen ‘Drachenelfe’ trug. Das Klappern von Hufen ließ sie herumdrehen und erschöpft lehnte sie sich gegen Tayron. “Es war verdammt knapp, mein Junge. Wie gut, dass wir eh auf dem Weg waren. Aber ich hasse es, wenn mein Bauchgefühl Recht hat. Vor allem, weil mein Bauch mir sagt, dass es das noch nicht war.” Schnäbelnd rieb ihr Gefährte den fedrigen Kopf an ihrem, als wolle er ihr Mut spenden, doch lange hielt dieser ruhige Moment nicht an. Erklang doch Altrons lautes Gebrüll und Feuerzungen erhellten die Nacht. So löste sich die Halbelfin, zog einen Flakon aus ihrer Tasche und trank diesen ohne zu zögern. Augenblicklich spürte sie die Süße des Holundersirups auf der Zunge und wie die Kräuter sowie die Urmagie ihren Energiehaushalt auffüllten. Energiedrink auf Elfenart. “Lass uns nachsehen, was Altron plant. Ich fürchte, in seiner Wut begeht der Alte einen fatalen Fehler.” Und so flogen die Zwei zum Versammlungsort der Drachenältesten. “Altron, was machst du nur wieder für einen Lärm? Das hört man ja bis Eldarium”, kommentierte die Heilerin trocken, als sie ankam. “Rache … Töten … Blut für Blut …”, kam es abgehakt vom Oberhaupt der geflügelten Sagentiere. Zu aufgebracht war der Altdrache, um für sie verständlich zu reden. Verfiel immer wieder in die Drachensprache aus Schnauben, Zischen und Grollen. Kopfschüttelnd sprang Mary von Tayrons Rücken und schritt entschieden auf den großen Drachen zu. Dass ihr dabei all die umstehenden Drachenältesten Platz machten, erfüllte sie mit unglaublichem Stolz und großer Dankbarkeit. “Beruhig dich und erklär mir, was genau passiert ist”, schrie sie dem Anderen schon beinahe zu. Einen Augenblick lief das Wesen noch aufgebracht hin und her, ehe es stehen blieb und den Kopf senkte. Sanft legte die Halbelfin ihre Hand auf die breite Schnauze. “Du weißt doch Altron, Rache hat noch niemanden glücklich gemacht. Es bringt nur noch mehr Leid. Auch wenn ich dich sehr gut verstehen kann.” Mitfühlend bettete sie ihre Stirn auf die weiche Haut zwischen den Nüstern. Sandte ihrem Drachenfreund beruhigende Magie und tatsächlich kam der Drache nach und nach zur Ruhe. “Wie ich sagte, brachten wir den Jungen das Jagen bei. Nitara zeigte den Weichschuppen gerade verschiedene Flugmanöver und plötzlich wurde sie von Netzen umhüllt. Ich wollte ihr helfen, doch sie befahl mir, die Kleinen in Sicherheit zu bringen. Sie würde die Zweibeiner aufhalten. Du weißt ja, junge Elfin, wie sie ist und ich habe mich ihr gefügt. Als die Kleinen in einer nahen Höhle verschlossen waren, flog ich so schnell zurück, wie ich konnte … doch …”. Der Schmerz über das Erlebte war deutlich in seiner Stimme zu hören und Mary gab dem Altdrachen Zeit um sich zu sammeln. “Als ich zurück kam, kämpfte meine tapfere Nitara wie eine Verrückte, doch der Regen aus Pfeilen und Kugeln … dazu das Netz, welches ihre Flügel behinderte … ließ sie zu Boden gehen. Es war grausam. Ich schoss auf die Jäger zu und ließ mein Feuer auf sie nieder; verbrannte sie zu Asche und machte mich daran meine Nitara zu befreien. Doch einige Jäger entstiegen der Asche und griffen nun auch mich an. So griff ich sie erneut an. Ich glaube, ich habe immer noch einen von ihnen zwischen den Zähnen.” Belustigtes Drachenlachen erklang um sie herum und auch Mary konnte ein Schmunzeln nicht verhindern. “Ich hole ihn dir da raus, wenn du mir sagst, wie ihr da entkommen seid”, versprach die Heilerin. “Ich werde dich daran erinnern, junge Elfin”, meinte der alte Drache und hüllte die Lilahaarige in warme Atemluft ein. “Genau gesagt bin ich mir da wirklich unsicher. Plötzlich erschien Nitara neben mir, im Maul einen der Netzträger - besser gesagt eine Hälfte dessen - und meinte, wir müssten schnell nach Hause. Ich roch das Blut, doch ich dachte mir nicht dabei. Kam nicht mal dazu, denn sie drängte mich die Weichschuppen zu holen und in Sicherheit zu bringen. So sahen wir zu, dass wir davon kamen, die blutige Wiese hinter uns lassend. Alles, was ich weiß, ist, dass ich einen dunklen Schatten unter uns davon huschen sah. Von der Stelle, an der Nitara lag. In der Höhle brach meine geliebte Nitara dann zusammen und ich sah das Ausmaß ihrer Verletzungen. Immer wieder murmelte sie etwas von einem schwarzen Mann. Dass man ihn finden müsste. Sofort schickte ich Jamur zu dir. Den Rest kennst du.” Erschöpft legte sich der Drache nieder und wie in alten Zeiten kuschelte sich Mary an dessen Hals. Schweigen senkte sich über die Gruppe, ehe die blauäugige Frau es brach. “Hatten die Jäger Drachenschuppenpanzer?” Das Grollen Altrons sowie der Umstehenden war Antwort genug. Kein Wunder also, dass die Jäger den Feuerangriff relativ unbeschadet überstanden hatten. “Hat sie mehr über den dunklen Mann gesagt?” Irgendwie ließ der Gedanke an diesen ominösen Mann sie nicht los. Wer war er und was war seine Rolle in diesem Drama? “Nein, nur, dass wir ihn finden müssen.” “Das werde ich”, versprach Mary und verfluchte ihr loses Mundwerk und die Neugierde, die sie ergriffen hatte. “Hab Dank, kleine Drachenelfe”, flüsterte der Altdrache in ihrem Kopf und Mary hörte deutlich die Erschöpfung. So einen Tag steckte selbst ein über siebenhundert Jahre alter Drache nicht einfach weg - oder vielleicht gerade dann nicht. “Ruh dich aus. Wir werden uns auf den Weg nach Hause machen. Wenn etwas ist, werdet ihr mich finden. Mikhail wird bis morgen hier bleiben und Nitaras Heilung überwachen. Sollte ich dem Geheimnis ‘Schwarzen Mann’ auf die Schliche kommen, sage ich euch Bescheid.” Schnell löste sie noch ihr Versprechen ein und zog den Armstumpf zwischen Altrons Zähnen hervor. “Mögen die Gestirne dir den Weg leuchten, der Wind unter euren Flügel stetig wehen und die Beute reich sein”, verabschiedete sich der Altdrache, als Mary wieder auf Tayrons Rücken saß. “Habt Dank. Möge das Feuer ewig in deinen Adern brennen und die Feinde in Asche verwandeln”, gab die Halbelfin den klassischen Drachengruß zurück. Das Letzte, was die Wesen an diesem Abend von ihrer Drachenelfe vernahmen, war ein spitzer Schrei, als der Hippogreif unvermittelt eine scharfe Kurve zog. Ja, die Drachen ehrten diese junge, starke Frau und sie wussten, auf sie war Verlass. Mochten ihre Artgenossen und Familie sie als eine Aussätzige ansehen, für sie war die Frau ein Teil ihrer Gemeinschaft. Für sie war die Heilerin mehr Elfe, als all die feigen Vollelfen, welche sich in Eldarium versteckten und diese Dimension sich selbst überlassen hatten. Dass sie dem rätselhaften Mann so schnell und so einfach auf die Schliche kommen würde, hätte sie auch nicht gedacht. Es war zwei Tage her, dass sie bei den Drachen gewesen war und laut Mikhail machte Nitara gute Fortschritte. Immer wieder hatte die Altdrachin auf den Jungheiler eingeredet, den schwarzen Mann zu finden. Doch mehr hatte sie nicht verraten, nur betont, dass es wichtig war. Was wiederum ein riesiges ‘Warum’ bei Mary entstehen ließ. Doch alles Grübeln brachte nichts und so ging sie ihrer Arbeit nach, Augen und Ohren nach dem Fremden offenhaltend. Gerade befand sie sich auf einem Kontrollgang am Rand des magisch geschützten Gebietes um Stonehenge. Trotz all der starken Magie gab es immer wieder Normalos, die es hierher wagten. Die auf die Gefahren pfiffen um zu dem heiligen Ort zu gelangen. Nicht selten musste sie Männer und Frauen bewusstlos aus ihrem ‘Revier’ ziehen und auf Normalogebiet ablegen. Dass die aber auch nie aus ihren Fehlern lernten! Musternd schob sie mit dem Fuß die Überreste eines Nachtmahls der Eldenwölfe umher. Ihr Analysezauber zeigte nur Reh und Hase an - kein Normalofleisch, was auch ab und an vorkam. Ein Knacken zu ihrer Rechten ließ sie mit gezogenem Messer herumwirbeln. Man wusste ja schließlich nie. Eine ganze Zeit lauschte sie einzig ihrem Atem und dem Wind in den Blättern, ehe es erneut laut knackte und eine Gestalt taumelnd aus dem Dornengebüsch vor ihr brach. Skeptisch sprang sie ein Stück zurück. ‘Wer … wie … was … wo’, sprudelte es durch die Gedanken der Lilahaarigen, doch dann bemerkte Mary es: Schwarz! Schwarze Haare und schwarze Kleidung. Der ominöse ‘Schwarze Mann’! Mary hatte ihn tatsächlich gefunden - oder er sie - aber egal, der Typ vor ihr sah wirklich nicht gut aus. Frisches und getrocknetes Blut verzierten das fremde Gesicht. Der Atem war so laut röchelnd, dass es ein Wunder war, dass die Halbelfin ihn nicht gehört hatte. “Hi … Hilfe”, gab der Mann unter Qualen von sich, stolperte, taumelte; konnte schließlich das Gleichgewicht nicht mehr halten und kippte gurgelnd nach vorne. Doch bevor der Fremde den Boden erreichte, war Mary, vollkommen im Heilermodus, nach vorne gesprungen um ihn aufzufangen. “Uff, schwer. Hey, Alter! Wach bleiben! Komm schon … man bist du schwer!” Mühsam zog sie den bestimmt zwei Köpfe größeren Mann auf ihren Rücken. Jetzt rächte es sich, dass sie so wenig gegessen hatte. “Tayron? TAYROOOOON, ANTRETEN ABER ZACKIG!”, brüllte sie laut genug um einige Krähen aufzuscheuchen. Mit der Hilfe des treuen Hippogreifes, hatte die junge Halbelfe den Mann zu ihrem Haus bekommen. Eine Mischung aus Schwebezauber und Elfenkraft hatte den Fremden schließlich auf den, zum Untersuchungstisch umgewandelten, Küchentisch verfrachtet. Es war wohl Schicksal, dass Mikhail heute Morgen nach Eldarium aufgebrochen war um Bericht zu erstatten. “Ok … was brauch ich alles … ähm …” Hektisch rannte die junge Heilerin in ihr Labor. Hier bewahrte sie hoffentlich noch etwas Menschen kompatible Medizin auf. Mit dem anderen Zeug … nun da hätte die Frau den Fremden auch direkt im Wald lassen können. Schnell lief sie wieder zurück, sandte einen Diagnosezauber aus und war erleichtert darüber, dass der Fremde der Ohnmacht erlegen war. Verletzungen durch Drachen, schwere Brandverletzungen, die bereits zu eitern und stinken begannen. Dieser Kerl war eindeutig Nitaras schwarzer Mann! Und verdammt, die Verletzungen deuteten darauf hin, dass er ein Angreifer war! Was, wenn sie hier einen der Handlanger liegen hatte? Nochmals sandte die Heilerin einen Zauber aus, flößte dem Fremden mühevoll die Tränke ein und schnitt überrascht zwei Diamantspitzen aus seinem Rücken. Warum war er selbst damit verwundet und WARUM zum Geier wirkten die Tränke nicht, jedoch die Selbstheilungskräfte - wenn auch zögerlich? Eigentlich konnte dies nur eins bedeuten: Das hier war kein Normalo! Schnell überprüfte die neugierige Heilerin ihren Verdacht. Und runzelte frustriert die Stirn, als durch den Bluttest das Ergebnis kam: “Nachweis von magischem Blut bestätigt. Ergebnis der Artenbestimmung in drei Tagen.” “Ach verdammt … kann es nicht einmal einfach sein?” In den drei Tagen war der Kerl verreckt, denn seine Heilkraft reichte nicht aus. “Du stirbst mir hier nicht auf dem Küchentisch, hast du das verstanden?” Fauchend und Verwünschungen über alles und jeden ausstoßend, verschwand sie im Labor. “So aufwachen, Herzchen!” Damit schickte sie einen Energiestoß in den Fremden und rüttelte zeitgleich an ihm. Die zwei, drei Ohrfeigen halfen wohl ebenso, dass der Mann langsam dem Delirium entglitt. Orientierungslos flackerte der Blick unter zusammengekniffenen Augen hin und her. “Trink das hier, dann kannst du weiterschlafen.” Auffordernd hielt ihm die Heilerin den Flakon hin. Das Laudanum in diesem würde ihrem Patienten auch keine andere Wahl als Schlaf lassen. Nur langsam drehte der schwarze Mann seinen Kopf; klappte den Mund auf und zu, als wolle er etwas sagen. Aus einem Reflex heraus füllte die Lilahaarige ein Glas mit Wasser und half dem Fremden einige Schlucke zu sich zu nehmen. “Blau … so blau. Zu Blau … blau und rot macht Lila … weg … weg” Auch wenn das mit den Farben keinen Sinn ergab, schien der Mann die letzten Worte ernst zu meinen. Machte er doch Anstalten, vom Tisch zu robben. Resolut ergriff Mary die Schultern des anderen und pinnte ihn auf dem Tisch fest. Ein leises, halbherziges Fauchen erklang von diesem. Schnalzend schüttelte Mary den Kopf, ehe sie wieder ernst wurde. “Liegen geblieben, Trank schlucken und gesund schlafen. Ich hab dich doch nicht zum Sterben hergeschleppt!” “Ge … Gefahr”, krächzte der Schwarzhaarige und versuchte sich nun stärker gegen Mary zu wehren. Doch er hatte die Rechnung ohne die Heilerin gemacht. Schneller als der Mann sich versehen konnte, hockte die Frau über ihm und presste ihn auf den Tisch. Nicht ohne gehörige Schmerzen durch die zahlreichen Verletzungen und doch … wie sie so aus den immer dunkler werdenden blauen Augen auf ihn nieder starrte … ihr schlanker, kleiner und doch kräftiger Körper auf seinem. Das Dunkle in ihm begann darauf zu reagieren und gegen seinen Willen zog er die Oberlippe hoch. Grollte leise. “Hör auf, dich gegen die Heilerin zu wehren, du Depp. In deinem Zustand hast du keine Chance!”, knurrte Mary inzwischen wirklich genervt. “Noch irgendwelche letzten Worte vorm Schlafen?” “Heiße … Pumamnicuc … Gefahr … weg.” “Hallo Puma und gute Nacht!” Mit diesen Worten kippte sie dem Mann blitzschnell den Flakoninhalt in den Mund und hielt diesen sowie die Nase zu. Erstaunlicherweise klappte es tatsächlich und nur wenig später schickte die Medizin den Patienten in einen tiefen Schlaf. Tief durchatmend kletterte Mary von dem Fremden herunter und strich sich durch ihre wirren Haare. Wer war dieser … Puma-irgendwas? Nun, in spätestens drei Tagen sollte sie mehr wissen. Vielleicht verschwand dann auch dieses komische Gefühl in ihrem Magen und das Kribbeln auf ihren Händen. Dass ihr verhasster Blutsanteil so sehr in Rage geriet, war lange nicht geschehen. Genau drei Tage später hielt Mary erneut ein Pergament in den Händen und fluchte, dass die Wände wackelten. War das Schicksal in Spiellaune oder was? Der Artentest hatte ergeben, dass dieser Puma nichts anderes als ein Vollblutvampir war! Ein verhasster, dreckiger, ohne all das Blut ziemlich hübscher … Stopp! Kopfschüttelnd lief die Frau in ihrem Labor Rillen in den Boden. Was sollte sie nun tun? Jetzt hatte sie zwar die Erklärung, warum die Heilung nur so schleppend vonstatten ging, und wusste auch, wie sie helfen konnte. Aber wollte sie das? Es wäre so leicht, den Vampir einfach nach draußen zu schleppen, damit er langsam starb. Oder die Wölfe auf ihn zu hetzen. Doch … irgendwie drehte sich ihr dabei der Magen um. Was sie auf ihre Heilerehre schob, die Leben erhielt und nicht aus sozialen Gründen tötete. Auch wenn die Vampire Schuld an der aktuellen Lage waren, da sie sich gegen das Abkommen wendeten und für mehr Macht, Freiheit und Blut outeten … trotzdem hatte Puma doch nicht den Tod verdient, oder? Auch konnte Mary dann niemals ihre Neugierde stillen, was der Schwarzhaarige mit dem Drachenangriff zu tun hatte. “Zum Hippogreife melken!”, rief die junge Frau; raufte sich die Haare. Nein, sterben lassen kam nicht in den Sinn, das könnte sie einfach nicht mit sich vereinbaren. Der Entschluss war gefallen und so schnappte sie sich das letzte Fläschchen synthetischen Blutes und stampfte ins Wohnzimmer. Im beinahe stockdunklen Wohnzimmer blieb die Heilerin einen Moment stehen und betrachtete ihren Patienten. Dieser hing wie ein nasser Sack auf der Couch und schien zu lauschen. Warum bei diesem Anblick schon wieder dieses komische Gefühl in ihr aufstieg, wusste sie nicht. Allerdings verwirrte es und das machte Mary … ja, man konnte es zickig nennen. “Hier, trink das.” Ohne auf eine Reaktion zu warten schmiss sie das Fläschchen zur Couch. Pumas Reaktion kam zu langsam und so landete es auf dem weichen Stoff. “Was ist das?”, kam es skeptisch. “Synthetisches Blut. Du Idiot kannst ja nicht einfach deinen Mund aufmachen und sagen, was Sache ist, was? Wenn du sterben willst, geh. Ansonsten trink und schlaf!” Damit wandte sich Mary wütend ab und marschierte aus dem Haus, die Haustür laut hinter sich ins Schloss fallen lassend. Als sie einige Zeit später mit Tayron in der Drachenkolonie ankam, beherrschte die stumme Hoffnung Puma möge nicht verschwinden, ihre Gedanken. Nachdem die sechs neuen Babydrachen untersucht waren, ging die Heilerin zu der Altdrachin. So ein- bis dreihundert Fragen lagen ihr noch auf der Zunge. “War das Schicksal dir gewogen, kleine Drachenelfe?”, erkundigte sich die Altdrachin freundlich. “Nitara, wusstest du, dass der Typ ein Vampir ist?” Wie so oft fiel die Halbelfe mit der Tür ins Haus. Der Ausdruck auf den Drachenlippen, den die Lilahaarige als Schmunzeln deutete, war ihr Antwort genug. “Warum hast du es nicht gesagt?” Bedrückt ließ sich die Frau neben dem Drachen nieder. “Er roch wie du … nur stärker”, säuselte Nitara liebevoll in ihrem Kopf. “Du weißt … ich hasse diesen Teil. Er hat mein Leben nicht leichter gemacht.” Resigniert ließ Mary den Kopf hängen und knibbelte an ihren Shorts herum. “Und doch bist du auch deswegen hier. Deswegen bist du, wer du bist. Deswegen sitzen wir hier und du - und niemand anderes - bist unsere Heilerin, Wächterin, Freundin.” Sanft drückte sich die Drachin gegen die Lilahaarige. “Warum musst du nur immer Recht haben, Nitara?” Ein leises Lachen war von der Altdrachin zu hören. “Sag mal Nitara … was mache ich, wenn er gleich nicht mehr da ist? Ich habe ihm gesagt, er muss das Blut trinken oder verschwinden und sterben. Wie soll ich mit ihm umgehen? Der Typ verwirrt mich! Er spricht kaum, meidet es mich anzusehen, wehrt sich gegen meine Untersuchungen. Ich muss ihn teilweise mit Magie ausknocken.” Ein kellertiefes Seufzen entwich ihr. “Was soll ich nur machen?” Eine Weile herrschte Schweigen, ehe die Drachendame erneut in ihrem Kopf ertönte. “Gib ihm eine Chance.” Damit erhob sich das Wesen unvermittelt, sodass Mary quietschend auf dem Rücken landete. “Und nun, kleine Elfin, lass uns Essen fassen. Jamur hat einen Hasen für dich gefangen und ich werde ihn dir so feuern, wie du ihn magst.” Sprach sie, trat einige Schritte nach vorne und hob mit kräftigen Flügelschlägen ab. Dass Drachen aber auch die ‘Rätselsprache’ liebten! Ein Abend unter Freunden mit Geschichten, leckerem Essen und Witzen hatte Mary gut abgelenkt und innere Ruhe geschenkt. Und doch stand sie jetzt hier, mitten in der Nacht und hielt die Türklinke unschlüssig in der Hand. Was wenn … doch sie kam nicht dazu, die Sorge auszuformulieren. Wurde ihr doch die Tür quasi schon aus der Hand gezogen. “Willst du da noch länger stehen, Heilerin?”, erkundigte sich Puma belustigt. Unter überraschtem Gestotter stolperte Gefragte ungeschickt in ihr Haus. Irritiert stellte sie fest, dass nicht nur Kerzen angezündet waren, sondern anscheinend auch das Frühstückschaos beseitigt worden war. Mit hochgezogener Augenbraue fixierte sie ihren Patienten. “Dir scheint es besser zu gehen, Puma.” “Pumamnicuc oder wenigstens Canchus.” “Wie fühlst du dich?” “...” “Hallo? Ich habe dich was gefragt! Setz dich hin, ich will dich noch mal durchchecken.” Mit erhobenen Händen wich der Mann zurück. “Mir geht es ... gut. Ich … ich wollte nur nicht ohne einen Dank verschwinden. Schließlich verdanke ich dir wohl mein Leben.” Nun schrillten Marys Heileralarmglocken. Die Antwort kam zu schnell und doch zu zögerlich. “Setz dich hin, oder ich knock dich wieder aus!”, fauchte sie und blickte den Größeren ernst an. Unverständliches vor sich hinmurmelnd, setzte sich der Vampir tatsächlich auf einen Stuhl. Wenn er eins gelernt hatte in den letzten Tage, dann, dass die Heilerin diese Drohung wirklich ernst meinte. Mochte sie gegen ihn auch nur klein und schmächtig wirken. Er roch den Vampiranteil in ihr. Elfe und Vampir … konnte es tatsächlich sein … war die Heilerin die Person, von der die alten Geschichten seines Volkes erzählten? Behutsam legte Mary ihre Hand auf die Stirn des Schwarzhaarigen. Sie war mit feinem Schweiß überdeckt und glühte zugleich. “Verdammt, du hast Fieber!”, rief sie aus und merkte nun auch das leichte Zittern des Anderen. “Warum sagst du nicht einfach was?” Überlegend knabberte die Heilerin an ihrem Daumennagel. “Es geht mir gut …”, versuchte es der Vampir erneut, doch die Kleinere beachtete diesen Einwand nur mit einer wegwerfenden Handbewegung. “Das Problem ist ...”, nun richtete sie ihren Blick fest auf den Patienten, “ich habe hier nichts mehr an Vampirspezifischer Medizin.” “Und was machst du, wenn du dich verletzt?” Grimmig blickte die Lilahaarige auf den Sitzenden. “Ich.Bin.Kein.Blutsauger!” Mit jedem Wort war sie ein kleines Stück näher getreten. “Ich bin eine Elfe!” “Eine Halbe und der andere Teil ist Vampir. Dir magst du vielleicht etwas vormachen können, mir nicht!”, gab Canchus ernst zurück. “Schreib es dir hinter die Ohren: Ich bin Heilerin, Wächterin, Vermittlerin und eine ELFE!” Mit jedem Wort hatte sie dem Wesen vor ihr auf die Brust getippt.ok, eher geschlagen. Nun schien es diesem zu reichen, stand er doch unvermittelt auf und Mary musste zu ihm empor gucken. “Kleines, das Dunkle in dir ist momentan stärker in Aufruhr, als du glaubst. Schau in den Spiegel und sag mir, ob du nur eine Elfe bist!” Bestimmt wurde die Frau zum Flurspiegel geschoben. Der Überraschungsmoment war eindeutig auf seiner Seite und so erblickte sie sich selbst mit großen Augen im Spiegel. “Was …. aber …” Ihre sonst fast türkisblauen, strahlenden Augen, waren vom Blau eines Lapislazuli. Dunkel … tief … unheimlich. Ihre Augenform hatte sich weiter zu Schlitzen verengt und erinnerten stark an Katzenaugen. Skeptisch zog Mary mit einem Finger die Oberlippe empor, nur um sie sofort japsend loszulassen. “Ich … ich hab … was zur HÖLLE!” Sie wollte nur zurückweichen. Weg von ihrem Spiegelbild mit der unheimlichen Wahrheit, doch der Mann hinter ihr ließ sie nicht. Umfasste ihre Schultern nur stärker und fesselte die junge Frau mit seinem Blick über den Spiegel. “Dein Vampir reagiert auf mich. Was du anscheinend so lange in dir verschlossen und verleugnet hast, bricht nun an die Oberfläche”, raunte der Schwarzhaarige selbstzufrieden dicht an ihrem Ohr. Was Marys eh dünnen Geduldsfaden nun zum Reißen brachte. Alle Kraft zusammennehmend, löste sie sich und sprang ein Stück zur Seite. “Was laberst du da für einen Mist? Weißt du, wie lange es gedauert hat, mich unter Kontrolle zu kriegen?” Oh, wie gerne würde sie dem Kerl jetzt eine runterhauen. “Das nennst du Kontrolle?”, gab Puma mit hochgezogener Augenbraue und verschränkten Armen zurück. Er schien ihr nicht ansatzweise zu glauben. Doch die aufgebrachte Drachenelfe überging ihn einfach. “Ich wurde gemobbt, verachtet und ausgegrenzt. Ich war immer nur das Bastardkind. Das Bastardkind, welches in ihrer Wut und Verzweiflung immer irgendwen verletzte. Erst eine alte Druidenelfe nahm sich meiner an und lehrte mich Techniken der Normalos, um ruhig zu bleiben. Half mir, den verfluchten Teil zu verschließen. Richtig schlimm wurde es, als ihr scheiß Blutsauger euch offenbart habt! Plötzlich war ich an allem schuld. Fünfundzwanzig weitere Jahre hat es gedauert, ehe ich endlich aus Eldarium verschwinden konnte. Nun bin ich hier und genieße meine Ruhe. Ich führe ein normales Leben und bin glücklich und zufrieden … UND DANN KAMST DU!” Aufschreiend sprang die Kleinere nach vorne. Hieb auf ihren Gast ein. “Du … du bist an allem Schuld! Du geisterst durch meinen Kopf, seitdem Nitara dich erwähnt hat! Ich bin unruhig, fahrig und unkonzentriert. Ich glühe innerlich und fühle mich wie kurz vor dem Platzen. Alles, was ich will, ist …” Tief holte die Aufgebrachte Luft und blickte ihrem Gegenüber fest in die dunklen Augen. “... ist, dass du aus meinem Leben verschwindest!” Zeitgleich ging ein Zucken durch beide Körper. “Ist … dass du bei mir bleibst.” Der lila Haarschopf lehnte, schwer atmend, am Oberkörper des fremden Vampirs. Mary wusste nicht mehr weiter. Alle Gefühle und Gedanke waren so unglaublich widersprüchlich, ergaben allen und keinen Sinn. Jetzt und in diesem Augenblick sog sie bloß tief den Geruch des Mannes vor ihr ein und wünschte sich, dass der Moment nicht enden möge. Sie kannte Gefühle der Freundschaft, des Vertrauens und auch des Zutrauens, aber dies hier … dies hier war ganz anders. Wie konnte sie sich so seltsam hingezogen zu dem Vampir fühlen? Er war ihr doch vollkommen fremd! Das unterdrückte Zittern ihres Gegenüber holte sie in die Wirklichkeit zurück. Beschämt löste sie den Klammergriff aus Pumas Oberteil und blickte vorsichtig nach oben. “Puma?”, erkundigte sie sich besorgt, denn das Zittern wurde stärker und der Vampir kniff die Augen zusammen. “Hey, was ist mir dir?” “Nichts … alles gut. Ich … werde nun gehen …” Damit machte der Vampir einen Schritt von ihr weg, doch Marys Hand schoss schnell nach vorne und sie ergriff den Oberarm des leicht Taumelnden. “Von wegen! Rede gefälligst!” Einen Moment herrschte Schweigen, untermalt vom angestrengten atmen des Mannes. Ein erbärmlicher Abklatsch des ach so stolzen Wesen. “Vertrage … Kunstblut … nicht”, presste dieser schließlich hervor und taumelte erneut. In diesem Moment setzte jegliches logische Denken bei der Elfen-Vampir-Hybridin aus und sie zog den Blutsauger an sich heran. Der Kopf landete schlapp auf ihrer Schulter. “Trink!”, befahl sie sanft und als hätte der Vampir nur darauf gewartet, spürte sie Sekunden später scharfe Zähne, die sich in ihre Halsvene bohrten. Ein leises Stöhnen entfleuchte Mary und die freie Hand flocht sich in die schwarzen Haare. Verflucht geiles Schicksal in Spiellaune! Was geschieht hier nur mit ihr? Seitdem ist ein halbes Jahr vergangen. Ein halbes Jahr, welches mir viel und zugleich nicht eine einzige Frage beantwortet hat. Ich komme von Puma nicht mehr weg. Er lässt mich einfach nicht in Ruhe! Immer und immer wieder wandern Gedanken und Gefühle zu ihm, während er durch das Land streift. Ein ehemaliger, entflohener Regierungsvampir, der irgendwo im Nirgendwo steckt und versucht Antworten und Hilfe zu bekommen. Auch wenn ich ihn irgendwie vermisse, das Schicksal - unser Blut - hatte bestimmt, dass wir gemeinsam kämpfen sollen. Wer sind wir, dass wir uns dagegen wehren? Aber dies alles ist eine andere Geschichte, die ich euch irgendwann einmal erzähle. Vielleicht weiß ich dann auch, warum er mich ‘die Eine’ nennt. Wer redet nun mehr in Rätseln: Mein vampirischer Freund oder die Drachen? Hosted by Animexx e.V. 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