Church and the City von NaokoSato ================================================================================ Kapitel 1: Church and the City ------------------------------ Endlich atmete er wieder die vertraute Luft. Die Abgase, die Hitze, die sich in den Straßen angesammelt hatte, die Wolken aus Deo, Schweiß und Kaffee, die die Menschen um ihn herum um sich hatten. Sie bemerkten den Kater nicht, der sich zwischen ihren Beinen hindurch über den Fußweg bewegte. Sie eilten von einem Termin zum anderen. Sie hielten an und staunten. Sie waren jung, alt, groß, klein, dick, dünn, New Yorker und Touristen, clevere und die, die mitten im Weg der Cleveren standen. Church umlief ihre Beine einfach, lief die Stufen der U-Bahn herunter und wartete mit den anderen Fahrgästen auf die nächste Bahn in Richtung Brooklyn. So ein bisschen hatte er die Stadt vermisst. Ein wenig. Kaum spürbar. Vor ein paar Tagen allerdings hatte er einen kleinen Spaziergang gemacht und schon war er von einem Kind aufgesammelt und in dessen Tasche gestopft worden. Als einzige Entschuldigung, die Church dafür hatte, war ein Moment der Unachtsamkeit gemischt mit Müdigkeit. Jedenfalls hatte das Kind die Tasche im Auto der Eltern versteckt und ihm nur heimlich etwas zu Essen und zu Trinken gegeben. Seine erste Chance zur Flucht hätte Church in New Mexico gehabt, doch wie hätte er von da zurück nach Los Angeles kommen sollen? Er hatte die Familie von New York reden hören. Dorthin waren sie auf dem Weg und für ihn wäre es die perfekte Gelegenheit, alte Freunde zu sehen. Dann also ein heimlicher Ausflug quer durchs Land. Jetzt war er zurück, in der Stadt, die so lange seine Heimat gewesen war. Und aus gut unterrichteter Quelle wusste er, dass einer seiner Lieblingsschattenjäger noch immer dort wohnte, mit dem Hexenmeister, der ihn vor etlichen Jahren nach New York gebracht hatte. Wie praktisch. Sobald das Kind seine Tasche in der Stadt öffnete, wusste Church, dass er da war. Geschmeidig wie es sich für einen Kater gehört, war er geflüchtet und hatte sich auf den Weg gemacht. Die Wärme des Sommers hatte sich in allen Ritzen der Stadt eingenistet, auf den Straßen, in der U-Bahn, selbst auf den schattigen Wegen zwischen den alten Lagerhäusern. Alle waren zu Wohnhäusern umgebaut, einige zur Unkenntlichkeit renoviert, oder vielleicht auch abgerissen und ersetzt. Aber eines war noch unverändert, sein Ziel. Church hatte lange genug in New York gelebt, um zu wissen wo Magnus Bane lebte. Nach seinen Informationen hatte sich das auch in den letzten Jahren nicht geändert. Vor der Haustür stoppte er und sah am Gebäude empor. Ein bisschen Angst hatte er ja, das gab er sich selbst gegenüber mürrisch zu. Würden sie ihn überhaupt wiedererkennen? Würden sie ihn bei sich bleiben lassen? Oder würden sie ihn umgehend im Institut abliefern oder nach Los Angeles bringen? Das und die Tatsache, dass er nicht wusste, wie er auf sich aufmerksam machen sollte, ließen ihn zögern. Die Klingel war zu hoch angebracht, genau wie die Feuerleiter. Die anfängliche Erleichterung über seine Ankunft war nach wenigen Augenblicken verflogen. „Church?!“ Eine vertraute Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und plötzlich kniete Alec Lightwood neben ihm. Der Junge, den er hatte aufwachsen sehen, war erwachsen geworden, auch wenn Church ihn wohl in jedem Alter erkennen würde. Alec kraulte ihn hinterm Ohr und strahlte ihn aus seinen blauen Augen an. „Wie kommst du denn hierher?“ Aus Ermangelung menschlicher Sprache, miaute Church nur und schloss kurz genießend die Augen. „Auch egal“, grinste Alec und hob den widerstandslosen Kater hoch. „So ein bisschen habe ich dich vermisst“, murmelte der Schattenjäger, das Gesicht tief im Fell des Persers vergraben. „Dad? Das Essen wird kalt“, meldete sich ein Kind zu Wort. Ein etwa neunjähriger Junge mit dunklen Haaren und skeptischem Blick. „Und es liegt auf dem Boden.“ „Es ist Sushi, das ist schon kalt. Heb es bitte auf, Rafael, und mach die Tür auf.“ Alec behielt Chruch einfach weiter auf den Armen und trug ihn nach oben. Rafael ging vor ihnen, die schlechte Laune war ihm ins Gesicht geschrieben. In dieser Hinsicht schien er ganz nach seinem Adoptivvater zu kommen. „Da seid ihr ja endlich“, begrüßte ein weiterer Junge sie. Dieser war ungefähr zwei Jahre jünger und blau. Ein Hexenkind. Für einen erfahrenen Kater wie Church sofort ersichtlich. Der Kleine strahlte sie an, die Neugier über Church unübersehbar in seinen Augen. „Was hast du da, Daddy?“ „Nicht was, wen. Das ist Church. Er ist ein alter Freund von mir“, lächelte Alec seinen Sohn an während er Church wieder den Kopf kraulte. Rafael ging einfach an ihnen vorbei in die Küche und packte das mitgebrachte Essen aus. „Ich glaube, die Maki haben den Fall nicht ganz überstanden“, stellte er trocken fest. Kurz verdrehte er die Augen, bevor er versuchte, den Schaden einzugrenzen. „Lass mich das machen“, lächelte sein anderer Vater ihn an. Magnus schnipste kurz, blaue Funken verteilten sich über den Sushi-Rollen und schon sahen sie wieder perfekt aus. „Danke, Papa“, meinte Rafael nur. Er hasste es, wenn Magnus ihm die Dinge abnahm, die er gern selbst gemacht hätte, Sushi-Rollen sortieren, verschüttetes Wasser aufwischen, sein Lieblingsshirt suchen. Und mittlerweile machte sein kleiner Bruder es schon genauso. „Es schadet nicht, wenn du mehr lächelst“, erinnerte Magnus ihn. „Keine Lust.“ „Du kommst wirklich nach Alexander“, stellte Magnus fröhlich fest. „Er hat eine Katze auf der Straße aufgelesen. Er hat echt das Essen fallen gelassen und einen Streuner aufgesammelt.“ Magnus zog die Augenbrauen hoch. „Was für einen Streuner?“ „So einen riesigen, blauen Fellball“, antwortete Rafael und Magnus war aus der Küche verschwunden. Die Augen verdrehend folgte Rafael ihm. Im Flur genoss Church noch immer Alecs Streicheleinheiten und Max stellte eine Frage nach der anderen. „Wollen wir nicht beim Essen über unseren alten Freund hier reden?“, schlug Magnus vor. Die erste Zustimmung erhielt er von Church selbst, der dank der langen Reise und dem Weg durch die Stadt fast verhungerte. Er fühlte sich jedenfalls so. Ein weiteres Schnipsen von Magnus und der Tisch war gedeckt. Für Church war eine Schale Futter neben dem Esstisch erschienen und erst jetzt versuchte der Kater, aus Alecs Armen zu entkommen. „Schon gut, ich lass dich schon nicht verhungern“, lachte Alec und ließ ihn runter. Sekunden später stand ein winziger Kater neben Church und versuchte ebenfalls aus der Schale zu fressen. Eine Bewegung seiner Pfoten schob den Kleinen beiseite, doch der kam wieder. Immer wieder, bei jedem Versuch ihn zu vertreiben. So verscherzte man es sich sehr schnell mit Church. Am Tisch erzählten Alec und Magnus ihren Söhnen Geschichten über den unsterblichen Kater. Rafael schien sich mehr für sein Essen zu interessieren als für Church, doch Max war voll und ganz bei der Sache, stellte Fragen und vergaß dabei das Essen auf seinem Teller. Von Minute zu Minute wurde Rafael dem Neuankömmling sympathischer. Später, als Alec und Max den Tisch abräumten und Magnus den Abwasch erledigte, unter Zuhilfenahme von Magie selbstverständlich, setzte Rafael sich in einen Sessel und las. Church sprang einfach neben ihn auf die breite Sitzfläche und rollte sich an ihn gekuschelt ein. Reisen machte nicht nur hungrig sondern auch müde. Geistesabwesend fing Rafael nach einer Weile an, Church zu streicheln. Im Gegensatz zum Großen Vorsitzenden Miau Tsetung ließ diese Katze einen wenigstens in Ruhe. Von der anderen Seite des Wohnzimmers aus wurden die beiden von Alec und Magnus beobachtet. „Das könnte der Beginn einer großen Freundschaft sein“, flüsterte Magnus lächelnd. „Sieht ganz danach aus“, antwortete Alec ebenso leise. „Wovon redet ihr beide?“, fragte Max. „Und können wir dann was spielen?“ „Klar“, grinste Alec, hob Max hoch und wirbelte ihn so, dass er am Ende kopfüber an ihm hing, die Beine über Alecs Schultern. „Ich möchte euch nur daran erinnern, was passiert ist, als ihr das das letzte Mal so kurz nach dem Essen gemacht habt“, meinte Magnus trocken und schon stand Max wieder auf seinen Füßen. „Dann bauen wir weiter an deinem Lego-Schloss“, schlug Alec dem Kleinen vor. „Das ist nicht irgendein Schloss“, entgegnete Max energisch. „Das ist Hogwarts.“ „Und das ist Simons schlechter Einfluss“, seufzte Alec während er seinem Sohn folgte. „Was liest du da?“, wollte Magnus später von Rafael wissen. „Ein Buch, dass Simon mir vor kurzem gegeben hat. Es geht um den kulturellen Einfluss von Star Wars“, erklärte der Junge ohne aufzusehen. „Simon und seine Geschenke...“, seufzte Magnus. „Aber wie wäre es, wenn du es beiseite legst und ins Bett gehst. Es ist spät.“ „Bin gleich mit dem Kapitel fertig.“ Ein Lächeln huschte über Magnus' Gesicht. Diese Antwort kannte er, und jedes Mal waren es doch noch über zehn Seiten bis zum Ende des Kapitels, welches dann natürlich mit einem Cliffhanger endete, wodurch die Lektüre des nächsten Kapitels mit Taschenlampe unter der Bettdecke notwendig wurde. „Ich nehme es dir weg, wenn du zu lange liest.“ „Solltest du dich nicht freuen, dass ich lese? Viele Kinder in meinem Alter tun das gar nicht mehr.“ „Und du bist viel zu erwachsen für dein Alter“, lächelte Magnus ihn an. „Ich bin Schattenjäger.“ Endlich sah Rafael auf und der Blick, den er Magnus zuwarf, gefiel diesem gar nicht. Viel zu erwachsen, viel zu ernst, viel zu traurig. „Du bist ein neunjähriger Junge, der zu wenig spielt und zu viel grübelt.“ Plötzlich stand Rafael auf. „Ich lese im Bett weiter“, sagte er nur und verließ das Wohnzimmer. Church wachte verwirrt auf, als sein persönlicher Krauler weg war, dann folgte er ihm. Unbemerkt von allen dreien saß auf einem Regal am anderen Ende des Zimmers der Große Vorsitzende und beobachte jede Bewegung des anderen Katers genauestens. Als Rafael aus dem Bad kam, lag Church schon in seinem Bett. „Musst du in meinem Bett schlafen?“, fragte er leise. Church miaute nur müde. „Na gut, aber nur heute. Morgen besorgen wir dir ein eigenes Bett“, gab Rafael nach und legte sich zu dem Kater. Church schmiegte sich an Rafael und dieser legte seine Arme um ihn. „Gute Nacht“, murmelte er, das Buch vollkommen vergessen. „Ich fasse nicht, dass Church das zulässt“, murmelte Alec. „Ich fasse nicht, dass Rafael das zulässt“, erwiderte Magnus. Verschlafen blinzelte Rafael und versuchte vergeblich, Katzenhaare aus seinem Mund zu bekommen. „Guten Morgen“, lächelten seine Väter ihn an. „Morgen“, flüsterte Rafael während Church vom Bett sprang und sich geschmeidig aus dem Zimmer verabschiedete. „Steh auf, das Frühstück ist fertig“, meinte Magnus und Alec ging Max wecken. „Klingt gut. Ich wasche mir nur schnell die Katzenhaare aus dem Mund.“ Magnus lachte. „Wir besorgen ihm heute sein eigenes Bett, keine Angst.“ „Es war fusselig, aber irgendwie angenehm.“ „Er bekommt trotzdem sein eigenes Bett, sonst seid ihr am Ende beide Fellbälle.“ „Wenn es denn sein muss“, antwortete Rafael und stand auf. „Bin gleich da.“ Er schlurfte in Richtung Bad. Im Gegensatz zum Abend war Magnus positiv von ihm überrascht. Normalerweise war Rafael ein wahrer Meister unter den Morgenmuffeln und so viel sagte er vor der zweiten Tasse Kakao selten. An ihren Futterschalen wurde Church schon vom Großen Vorsitzenden erwartet. Der kleine Kater starrte ihn diesmal nur an, folgte jeder seiner Bewegungen mit den Augen. Wütend miaute Church ihn an und wand sich seinem Futter zu, doch der Kleine blieb sitzen. Jetzt fauchte Church ihn an, ebenfalls ohne Effekt. Wenn Fauchen schon nicht half, dann musste Church eben härtete Geschütze auffahren. Mit einem Pfotenschlag traf er den Großen Vorsitzenden mitten ins Gesicht, und endlich verstand der Getroffene. Er tapste ans andere Ende der Küche, so weit weg von Church wie möglich. „Wenn ich das richtig interpretiere, schmollt der Große Vorsitzende“, stellte Magnus verwundert fest, als er in die Küche kam. „Warum sollte er?“, fragte Rafael ihn, doch sein Blick fiel auf den finsteren Gesichtsausdruck von Church, der den Großen Vorsitzenden genauestens beobachte. „Vielleicht mag er es nicht, kein Einzelkater mehr zu sein.“ „Oder Church hat ihm etwas getan.“ Magnus sah Rafael fragend an. „Wie kommst du darauf?“ „Guck dir Church an. Er will nicht, dass der Große Vorsitzende in seine Nähe kommt. Das ist offensichtlich.“ „Da könnte etwas dran sein“, meinte Magnus nach einem Blick auf Church. „Vielleicht sollten wir ihre Futterschalen doch getrennt von einander aufstellen. Sonst verhungert unser Kleiner noch.“ Rafael nickte und kniete sich neben Church. „Du kannst ihn doch nicht einfach so von seinem Futter fernhalten.“ Church sah ihn finster an und wünschte, der Junge würde sein Miauen als das verstehen, was es war. Eine Erklärung. Dass der Große Vorsitzende ihn nervte. Dass er nur in Ruhe frühstücken wollte. Dass er lieber allein wäre, mit Ausnahme von Rafael vielleicht. „Ich wünschte, ich könnte dich verstehen“, seufzte Rafael und kraulte Churchs Kopf. Das wünsche ich mir auch, dachte Church, doch er miaute nur. Nachdem die beiden Kinder ihren Vormittagsunterricht überstanden hatten, und Church sich den halben Tag erfolgreich vor dem Großen Vorsitzenden versteckt hatte, machten sich Magnus und Rafael gemeinsam auf den Weg, ein Katzenbett für Chruch zu besorgen, trotz der wiederholten Beteuerung Rafaels, dass Church gern weiter in seinem Bett schlafen könnte. „Darf es dann wenigstens in meinem Zimmer stehen?“, bettelte Rafael im Luxuszoogeschäft. „Na gut“, gab Magnus seufzend nach und sah sich zielgerichtet das hässlichste Katzenbett an, das Rafael je gesehen hatte: Ein kleines Himmelbett, in Gold lackiert und mit roten Samtkissen und -baldachin. „Papa, bei dem Teil werde ich nie wieder schlafen.“ „An was dachtest du denn?“, fragte Magnus zweifelnd. „Etwas schlichtes, elegantes. So wie Church selbst ist.“ Rafael sah sich um und fand das passende Bettchen: Dunkles Holz, ein graues Samtkissen, kein Schnickschnack. „Lass Church nicht hören, dass er schlicht ist“, lachte Magnus. „Dafür habe ich das richtige für ihn gefunden“, meinte Rafael und zeigte auf das Bett. Magnus seufzte. „Ja, dass passt irgendwie zu ihm und zu dir.“ „Dann kauf es ihm und mir auf dem Heimweg ein Eis“, grinste Rafael. „Okay, ganz ruhig, junger Mann. Seit wann so fröhlich?“ Doch Rafael zuckte nur mit den Schultern, auch wenn er sein Lächeln nicht ganz verbergen konnte. Eine Stunde später, das Bett hatten sie ordnungsgemäß gekauft, darauf hatte Rafael bestanden, hatten beide die letzten Reste ihrer großen Eistüten in der Hand als sie wieder ins Loft kamen. Sofort jammerte Max, dass er kein Eis bekommen hatte, und sofort wunderte sich Alec über das Lächeln Rafaels. „Was hast du mit ihm gemacht?“, fragte er Magnus leise. „Nichts. Ich habe nur erlaubt, dass Churchs Bett in seinem Zimmer stehen darf und ihm ein Eis gekauft.“ „Und du hast ihn das Bett aussuchen lassen“, stellte Alec fest, als er das Bettchen sah. „Ja“, seufzte Magnus. Alec küsste ihn kurz. „Danke.“ „Hört auf zu knutschen und helft mir beim Aufbauen“, meldete Rafael sich plötzlich. „Du liebst ihn, vergiss das nicht“, grinste Alec und zog Magnus in Rafaels Zimmer. Am Abend kam Church hungrig aus einem seiner Verstecke geschlichen, und schon saß der Große Vorsitzende wieder vor ihm. Dieses Mal half das Fauchen und der winzige Kater verschwand aus seinem Blickfeld. Neben seiner Futterschale saß Rafael. „Da bist du ja endlich“, flüsterte er und kraulte den Perser. „Ich wollte dir schon den ganzen Nachmittag etwas zeigen. Der Große Vorsitzende scheint dich zu verfolgen... Würde mich auch nerven. Max habe ich das zum Glück abgewöhnt. Der hat das immer gemacht, seit ich hier bin. An die Zeit vorher erinnere ich mich kaum noch. Weißt du, meine Eltern, also meine richtigen Eltern, sind bei einem Einsatz gestorben, mehr weiß ich nicht. Und jetzt ist Dad auf einem... Ich will nicht, dass er auf Einsätze geht. Ich will nicht, dass er oder Papa sich in Gefahr begeben. Warum können wir nicht eine ganz normale Familie sein? Warum können die beiden nicht Buchhalter oder Versicherungsvertreter sein? Ich will meine Eltern nicht nochmal verlieren.“ Obwohl Rafael immer leiser geworden war, hörte Magnus alles. Er stand im Flur neben der offenen Küchentür und hörte das leise Schluchzen seines Sohnes, das leise Miauen Churchs. Das also war es, was an Rafael nagte, was er ihnen gegenüber nie zugeben würde. Angst. „Rafael? Wo bist du?“, rief er laut durch die Wohnung. „Hier“, antwortete der Junge und wischte sich schnell die Tränen von den Wangen. Mit ein paar Sekunden Verzögerung kam Magnus ihn die Küche und sah zu den beiden. „Ich will nur wissen, was du zum Abendessen möchtest“, lächelte Magnus ihn an. „Nudeln mit Bolognese?“, schlug der Junge vor. „Geht klar. Ich habe die Zutaten alle da, also mecker nicht, wenn ich wenigstens das Kochen lasse. Mein Hunger ist zu groß dafür.“ Mit diesen Worten zauberte Magnus das fertige Abendessen auf den Herd und Kochabfälle in den Müll. „Du hast Glück, dass ich auch Hunger habe“, lächelte Rafael und stand auf. „Gut, dann deck schon mal den Tisch, ich hole Max von seinem komischen Schloss weg.“ „Hogwarts, Papa, das ist Hogwarts.“ Alec kam erst spät in der Nacht wieder, als die Kinder schon längst schliefen. So nahmen er und Magnus jedenfalls an. In Wahrheit lag Rafael wach in seinem Bett bis er die Wohnungstür und die leise Begrüßung durch Magnus hörte. Um seine Nervosität zu senken, hatte Church sich wieder in sein Bett geschlichen und sich von ihm kraulen lassen. Church hasste es, Rafael so ängstlich, so verloren zu sehen. Und ja, er hatte genau verstanden, was das Kind ihm an der Futterschale anvertraut hatte. Er verstand, wovor Rafael Angst hatte. Als Alec den Kopf zur Tür rein steckte, um nach Rafael zu sehen, sah er den Rücken seines Sohnes und dahinter einen Fellberg. „Das mit dem eigenen Bett hat nicht so gut geklappt“, flüsterte er Magnus zu. „Solange es ihm damit gut geht“, flüsterte Magnus zurück und zog leise die Tür zu. „Ich muss dir etwas erzählen.“ Rafael atmete merklich auf, als er Alecs Stimme hörte und schlief endlich ein. In den nächsten Tagen und Wochen hielt wieder Alltag Einzug in ihrem Leben. Church gewöhnte sich langsam an die Aufdringlichkeit des Großen Vorsitzenden. Rafael gewöhnte sich daran, das Church in seinem Bett schlief. Und Magnus und Alec gewöhnten sich an den Gedanken, dass Rafael nicht mit ihren Jobs einverstanden war. Eines Abends im Herbst, es war schon ziemlich kalt geworden, ging Church auf die Dachterrasse, die zum Loft gehörte. Er saß nur auf der Brüstung und sog die kühle Luft in sich auf, die er so vermisst hatte in Los Angeles, wo es keinen Winter gab. Ein leises Miauen riss ihn aus seiner Betrachtung der Stadt. Der Große Vorsitzende saß auf dem Boden und zitterte. Church fauchte ein bisschen, doch in diesem Moment raste eine riesige Eule auf sie zu und versuchte, den Großen Vorsitzenden zu schnappen, aber Church war schneller. Mit einem Satz war er bei dem kleineren Kater, nahm ihn am Genick hoch und rannte zur Tür. Der Große Vorsitzende wusste nicht, was mit ihm geschieht und die Eule, die aus einem nahen Park gekommen war, schlug mit ihren Krallen nach Church aus. Church, erfahrener als alle anderen auf dem Dach, schaffte es jedoch, das schützende Treppenhaus zu erreichen. Eulen kamen einfach nicht durch Katzenklappen, sie schlugen nur gegen die Tür und rauschten irgendwann ab. Church aber ließ den Großen Vorsitzenden sofort los als sie in Sicherheit waren und sackte in sich zusammen. Der andere Kater sah ihn an, sah das Blut, dass durch sein Fell sickerte und lief sofort nach unten in die Wohnung. Auf dem Sofa war Magnus eingeschlafen und Alec spülte schnell noch ihre Weingläser, bevor er Magnus wecken wollte. Als Alec ins Wohnzimmer kam, hockte aber schon ihr kleiner Kater vor dem Hexenmeister, miaute aufgeregt und schlug ihm die Pfote wiederholt ins Gesicht. „Lass das, Miau!“, rief Alec und hob den kleinen hoch. „Was soll das denn?“ Der Große Vorsitzende miaute einfach weiter und kämpfte, um sich aus Alecs Griff zu befreien. „Er will uns irgendwas sagen“, murmelte Magnus verschlafen und stand auf. „Lass ihn runter.“ Alec setzte ihn auf den Boden und der Kater rannte los. An der Tür blieb er kurz stehen, um zu sehen, ob sie ihm auch folgten. Das Gleiche tat er am Fuß der Treppe. „Church!“, riefen die beiden Männer gleichzeitig, als sie den verletzten Kater neben der Terrassentür liegen sahen. „Wer hat dir das denn angetan?“, fragte Magnus während er seine ersten Heilzauber anwendete. „Danke“, murmelte Alec an den Großen Vorsitzenden gewandt, der ihm wieder auf den Arm sprang, immer noch zitternd, aber nicht mehr vor Kälte. Sie brachten Church ins Wohnzimmer und Magnus schaffte es schnell, die Wunden zu schließen. „Und jetzt ruhst du dich aus. Morgen sieht es schon viel besser aus“, flüsterte er dem Kater zu. „Und wir gehen ins Bett?“, murmelte Alec, den Großen Vorsitzenden hatte er noch auf dem Arm. „Wenn du den Kater hier lässt“, lächelte Magnus und Alec setzte den Kleinen neben Church auf dem Sofa ab. „Pass gut auf ihn auf“, flüsterte er und verließ mit Magnus den Raum. Church hob leicht den Kopf und miaute leise. Als hätte er sein Danke verstanden, miaute der Große Vorsitzende zurück, auch er dankbar. Ohne weiter darüber nachzudenken ließ Church es zu, dass der andere sich neben ihm zum Schlafen einrollte, so dicht an Churchs Schwanz, dass sein Atem das Fell dort bewegte. Rafael fand sie am nächsten Morgen vor ihren leeren Futterschalen. Schnell gab er ihnen etwas und nahm sich selbst ein großes Glas Milch. „Wo warst du heute Nacht, Church?“, wunderte er sich laut. Er bekam ein Miau als Antwort. „Das habe ich mir schon gedacht“, murmelte er. Ein weiteres Miau war zu hören, doch dieses Mal vom Großen Vorsitzenden. „Und ihr steckt auch noch unter einer Decke. Schon klar.“ Plötzlich miauten beide Kater zusammen und schlichen um Rafaels Beine. „Jetzt macht ihr mir Angst“, gab der Junge zu und hockte sich hin. „Was ist denn passiert?“ „Irgendetwas hat sie auf der Terrasse angegriffen und Church verletzt“, antwortete Alec, der gerade den Raum betrat. „Was?“ „Wahrscheinlich ein Raubvogel“, meinte Alec. „Die Wunden kamen auf jeden Fall von Vogelkrallen.“ „Und wenn es ein Dämon war?“, fragte Rafael ängstlich. „Dann wüssten wir es. Du weißt, wie Magnus das Gebäude gesichert hat.“ Rafael nickte, doch ganz waren seine Zweifel nicht auszuräumen. „Wir sind hier sicher“, versicherte Alec ihm und nahm ihn in den Arm. „Versprochen.“ „Okay, Dad“, nuschelte Rafael gegen die Schulter seines Vaters. „Wir lassen nicht zu, dass euch etwas passiert“, flüsterte Alec. „Aber was, wenn euch etwas passiert?“ Die Frage platzte einfach so aus Rafael heraus. Alec schob ihn etwas von sich, so dass er dem Jungen in die Augen sehen konnte. „Das lassen wir auch nicht zu.“ Wieder nickte Rafael und wieder hatte er Zweifel. „Du glaubst mir nicht“, stellte Alec traurig fest. „Doch, aber...“ „Trotzdem hast du Angst.“ Rafael sah ihn traurig an und umarmte ihn. „Ich habe immer Angst, wenn ihr weg seid. Eure Jobs sind nicht gerade die ungefährlichsten“, gab er leise zu. „Leider nicht“, seufzte Alec. „Aber ich will nichts mehr, als hier bei euch dreien sein, fünf mit den Katzen. Allein der Gedanke an euch reicht, um mich vorsichtig sein zu lassen. Der Gedanke sorgt dafür, dass ich zurück kommen will. Der und nichts anderes.“ „Wirklich?“ „Ja. Dein grübelndes Gesicht, Max' Lachen, Magnus' Augen. Wenn es schlimm kommt, stelle ich mir diese Dinge vor und ich habe neue Kraft.“ Rafael sah ihn zweifelnd an. „Mein grübelndes Gesicht?“ „Ja, du lächelst viel zu selten“, antwortete Alec trocken und sein Sohn lachte nach einer Sekunde laut los. „Das ist besser, Großer, sehr viel besser“, lachte nun auch Alec. „Was ist denn so komisch?“, wunderte Magnus sich, der gerade in die Küche kam. „Das Leben“, meinte Rafael nur grinsend und holte Tassen aus dem Schrank. „Genau“, grinste auch Alec und küsste Magnus kurz, bevor er Kaffee machte. „Und wie ich sehe, hat unser Patient auch den Verstand verloren“, stellte Magnus fest, als er sah, dass Church den Großen Vorsitzenden aus seiner Schale fressen ließ. „Irgendwann wendet sich doch alles zum Guten“, flüsterte Alec ihm zu. „Und jetzt frühstücken wir.“ Alles wand sich zum Guten, jedenfalls für eine Weile. Die Tage wurden kürzer, Church und der Große Vorsitzende mieden die Terrasse und Rafael redete mehr. Immer öfter schlief auch der Große Vorsitzende in Rafaels Bett, wenn Church nicht aus einer Laune heraus in seinem eigenen Bett schlief. Nachdem Chruch ein paar Tage bei ihnen gewesen war, hatte Magnus eine Katzenklappe in Rafaels Zimmertür gezaubert. Jetzt konnten die beiden Kater in diesem Zimmer ein und aus gehen ohne den Jungen beim Lernen oder Lesen oder Schlafen zu stören. Das machte es ihnen nur leichter, sich merkwürdig zu verhalten. Der Große Vorsitzende war weniger aufdringlich, weniger wild als zuvor und Church schien lebendiger zu werden. Als strahlten ihre Ruhe und ihr Frohsinn aufeinander ab. Die restlichen Mitglieder der Familie sahen das zum Teil verwundert, zum Teil sehr belustigt mit an. Vor allem Churchs neue Angewohnheit, den kleineren Kater vor allem und jedem beschützen zu wollen. So dauerte es nicht lange, bis er Simon, Clary und Isabelle angefaucht hatte, weil sie den Großen Vorsitzenden streicheln wollten. „Irgendwas stimmt definitiv nicht mit euren Katzen“, murmelte Simon. „Sicher, dass sie nie radioaktiver Strahlung ausgesetzt waren?“ „Magischer Strahlung, wenn überhaupt“, grinste Magnus. Die versammelte Runde lachte und die Kater schlichen sich aus dem Raum. Rafael fand sie beim Zubettgehen in seinem Bett und musste sie etwas unsanft zu Seite schieben, damit er sich auch noch hinlegen konnte. An Heiligabend, Alec war gerade von einem Einsatz zurück und Magnus aus dem Haus gestürzt, aus unerklärlichen Gründen, klopfte es leise ans Schlafzimmer, wo der Schattenjäger sich umzog. „Ja?“, rief er und durchwühlte weiter den Kleiderschrank nach einem seiner Pullover. „Dad, kommst du bitte mal?“, fragte Rafael von der Tür her. „Dringend?“ „Sehr.“ Alec seufzte und zog einfach irgendeinen Pullover an, bevor er Rafael folgte. Bei dem Anblick, der sich ihm in dessen Zimmer bot, hätte er einen Kopfsprung in einen Berg aus Magnus Glitzerklamotten vorgezogen. Mitten auf dem Bett seines neunjährigen Sohnes saßen die beiden Kater und... und... „Dad? Was machen die beiden da?“, fragte Max, der den Blick nicht von den Katern abwenden konnte. „Komm mit, dann... ähm... erkläre ich es dir“, murmelte Alec und zog die beiden Kinder aus dem Raum. Im Wohnzimmer setzte Alec die beiden aufs Sofa und ging vor ihnen auf und ab, das Gesicht knallrot. „Also... um Nachwuchs zu zeugen... oder wenn zwei Menschen... oder Kater... sich ganz doll lieb haben, dann... dann tun sie etwas, das... das nennt man... Geschlechtsverkehr... Dabei... dabei... führt der Mann seinen... seinen... seinen... Penis... in die... die... die...“ „Dad!“, unterbrach Rafael das Gestammel seines Vaters. „Für die paar Worte hast du gerade fünf Minuten gebraucht. Und ich weiß, was los ist mit den beiden. Sie sind schwul. So wie du und Papa.“ „Und was haben sie gemacht?“, fragte Max kleinlaut. Rafael seufzte und stand auf. „Ich erkläre es dir. Warte hier.“ Alec, der mittlerweile das Rot einer sehr reifen Tomate angenommen hatte, sah seinem Ältesten hinterher. Er starrte auch noch auf die Tür, als der ein paar Minuten später wiedergekommen war. „So, kleiner Bruder, pass mal auf“, begann Rafael während er sich mit einem Buch neben Max setzte. Dann fing er anhand der Bilder im Buch zu erklären, was es mit Sex auf sich hatte, beobachtet von Alec, der sich weiterhin nicht rührte. „Bin wieder da!“, schallte kurze Zeit später Magnus Stimme durch die Wohnung. Alec war sofort bei ihm. „Wo warst du?“, fragte er verzweifelt. „Was ist passiert?“ Eine leichte Panik erfasste Magnus. So hatte Alec ihn nicht angesehen seit Max vor einem Jahr krank gewesen war und er sein Fieber nicht allein hatte senken können. „Es war schrecklich... Die Katzen... sie haben... und dann hat Max wissen wollen....“, stammelte Alec. Magnus stellte die mitgebrachten Pizzakartons zur Seite. „Alexander, atme tief durch und rede dann.“ „Max hat gefragt, was Church und der Große Vorsitzende machen. Sie hatten Sex“, meldete Rafael sich plötzlich zu Wort. „Und woher weißt du das so genau?“, fragte Magnus Rafael. Dieser hielt ein Aufklärungsbuch für Kinder hoch. „Das hier hat Simon mir letztes Jahr besorgt, als er zwei Wochen unser Babysitter war. Ist zwar für Mundies, aber das unterscheidet sich ja nicht weiter.“ „Und wie kommt Simon bitte auf die Idee, dir so etwas zu besorgen?“ „Ich habe ihn gefragt, was das Wort Sex bedeutet. Er hat genauso rumgestottert wie Dad“, grinste Rafael, dann drückte er Magnus das Buch in die Hand. „Hier, beantworte du Max' restliche Fragen. Auf alles habe ich auch keine Antwort.“ „Wie mir scheint, schon“, murmelte Magnus und ging zu Max. „Lass uns den Tisch decken, Dad“, sagte Rafael nur zu Alec, der ihn verwirrt anstarrte, und nahm die Pizzakartons. „Wie wäre es, wenn wir im Wohnzimmer essen und beim Essen einen Film sehen? Etwas kinderfreundliches“, schlug Alec vor. „Einen Weihnachtsfilm?“ „Genau“, lächelte Alec, der seine normale Gesichtsfarbe wieder hatte und langsam wieder er selbst wurde. „Bin dabei“, grinste Rafael und brachte die Pizzen ins Wohnzimmer, wo Max schneller mit Fragen auf Magnus feuerte, als dieser sie beantworten konnte. „Wir essen hier uns schauen einen Weihnachtsfilm“, verkündete er. „Danke“, seufzte Magnus und suchte nach einem passenden Film. Zwei Stunden später waren von den drei Pizzen nur noch wenige Reste Kruste übrig und die Jungs lagen an ihre Väter gekuschelt auf dem Sofa, auf dem Fernseher lief noch der Abspann. „So, Jungs, ab ins Bett. Es ist spät“, lächelte Magnus sie an. „Dürfen wir bei euch schlafen?“, fragte Max leise und mit großen Augen. Alec und Magnus sahen sich kurz an, dann nickten sie. „Klar“, lächelte Alec. „Lest ihr uns auch noch was vor?“, fragte Max weiter. „Natürlich“, meinte Magnus. „Aber nur wenn ihr euch jetzt mit Zähneputzen beeilt.“ Die Jungen strahlten ihre Väter an, sprangen vom Sofa und rannten ins Bad. „So energisch gehen sie selten ins Bett“, lachte Magnus während er aufstand und es klingelte. „Du gehst an die Tür und verjagst den Störenfried und ich geh schon mal Zähneputzen, okay?“, schlug Alec vor. „Na gut, weil du es bist“, antwortete Magnus, küsste Alec kurz und ging zur Tür. Die Kinder lagen schon im Bett, als Magnus zu Alec ins Bad kam. „Simon...“, murmelte er Kopf schüttelnd. „Was war denn?“, fragte Alec gleich besorgt. „Er hat die restlichen Weihnachtsgeschenke vorbei gebracht.“ „Aber gestern hat er doch schon eine Wagenladung hier abgeliefert!“ Magnus seufzte. „Ich fürchte, solange es in dieser Familie nur unsere Kinder gibt, werden die mit solchen Ladungen überhäuft.“ „Und wir müssen es ausbaden...“ Leise lachte Magnus und küsste Alec. „Ich entschädige dich“, hauchte er. „Morgen dann“, erinnerte Alec ihn. Die Augen verdrehend griff Magnus nur nach seiner Zahnbürste. Rafael hatte längst ihre Lieblingsgeschichte aufgeschlagen, als die beiden zu ihnen kamen. „Dann lass mal sehen“, meinte Alec und griff nach dem Buch. Nachdem er wenige Seiten vorgelesen hatte, sprangen der Große Vorsitzende und Church ebenfalls noch ins Bett und machten es sich neben ihren Köpfen gemütlich. Seufzend setzte Alec die Lesung fort, bis die Kinder schliefen und Magnus noch schnell mit einem Schnipsen den Geschenkeberg unter dem Baum im Wohnzimmer drapiert hatte. Beim ersten Sonnenstrahl wachten Max und Rafael auf, schließlich war Weihnachten. Sie sprangen auf und warfen die Kater, die mittlerweile auf ihren Beinen lagen, unsanft auf die Beine ihrer Väter, so dass innerhalb weniger Sekunden alle Haushaltsmitglieder wach waren. Murrend zogen Church und der Große Vorsitzende ab und überließen das Bett damit endlich seinen rechtmäßigen Besitzern. „Machst du Kaffee?“, murmelte Magnus verschlafen. „Nur wenn du aufstehst“, grinste Alec ihn an. Magnus stand gähnend auf und streckte sich ausgiebig. „Du bist am Zug.“ Alec lachte, stand auf und zog Magnus mit sich ins Wohnzimmer. „Erst will ich das Schauspiel etwas genießen.“ „Na gut“, grummelte Magnus und setzte Magie ein, um seinen Kaffee zu machen. „Das ist wichtiger als Kaffee?“ „Wie meine Kinder Lichtschwerter auspacken? Ja“, strahlte Magnus ihn an. „Wir müssen Simon endlich beibringen, dass er das mit diesem Star Trek-Kram lassen soll“, meinte Alec. „Star Wars“, wurde er von drei Personen gleichzeitig korrigiert. Am anderen Ende der Wohnung, auf Rafaels Bett, schliefen Church und der Große Vorsitzende derweil eng aneinander gekuschelt weiter. Nachdem die Freude über die Weihnachtsgeschenke und die Aufregungen der Feiertage sich gelegt hatten, hielt einmal mehr der Alltag Einzug. Max wurde weiter von Magnus in Sachen Magie unterrichtet, Alec brachte Rafael die Grundlagen eines jeden Schattenjägerlebens bei und alles andere lernten sie von Magnus, der zu oft Geschichten aus seinem eigenen Leben in den Geschichtsunterricht mischte. Mitte Januar wurde aber langsam deutlich, was Alec schon in den letzten Monaten geahnt hatte: Rafael ließ das Kampftraining nur noch über sich ergehen. Er lernte die Runen, er löste seine Matheaufgaben, er wurde immer besser in Französisch, was gar nicht auf dem Stundenplan stand. Aber bei allem, was mit Kämpfen zu tun hatte, waren seine Gedanken weit, weit weg. So verkroch er sich eines Abends ohne Abendessen in seinem Bett und zog die Decke über seinen Kopf. Church hörte das leise Schniefen und das erste Mal seit Monaten schob er den Großen Vorsitzenden zu Seite. Mit einem Sprung war er auf Rafaels Bett. Mit einiger Schwierigkeit konnte er die Worte „Hau ab“ ausmachen, die Rafael nuschelte. Als ob ihn das je aufgehalten hätte. Er kroch unter die Decke und stupste das tränennasse Gesicht des Jungen an, der ihn nur in seine Arme zog und weiter weinte. Die beiden hörten nicht, wie Alec und Magnus ins Zimmer kamen. Sie sahen nicht die besorgten Gesichter, die den zitternden Deckenberg beobachteten und sich dann hilflos ansahen. Besonders Rafael spürte nur den Schmerz, den das Kampftraining bei ihm hinterlassen hatte, und den Schmerz, den er schon lange fühlte, selbst ohne körperliche Verletzungen. Church versuchte, das Kind so gut es ging zu trösten, auch wenn er sich schuldig fühlte. Schließlich hatte er in den letzten Monaten seine Aufmerksamkeit eher dem Großen Vorsitzenden gewidmet als seinem Freund. „Rafael“, flüsterte Magnus schließlich und setzte sich zu ihm aufs Bett, doch Rafael ignorierte ihn. „Großer, bitte komm da raus“, bat Alec während er sich auf die andere Seite des Bettes setzte. In der Höhe des Kopfkissens wackelte es, fast wie ein Kopfschütteln. „Bitte“, flehte Alec fast und streichelte die Schulter unter der Decke. „Lasst mich“, murrte die Decke. „Wir wollen mit dir reden, dir helfen“, sagte Magnus leise aber bestimmt. „Ihr könnt mir nicht helfen. Ihr könnt mein Schicksal nicht ändern.“ „Wovon redest du?“, fragte Alec. Plötzlich wurde die Decke beiseite geschoben und ihr Sohn sah sie an, die Augen rot geweint, die Tränen nass auf seinen Wangen und in seinen Wimpern. „Ich bin als Schattenjäger geboren. Ich muss Schattenjäger werden. Egal, wie wenig ich das will!“ Rafael sah sie wütend an. „Das könnt ihr nicht ändern! Ich kann es nicht ändern! Niemand kann das! Dabei will ich es ändern! Ich will ein normales Kind sein! Ich will Fußball spielen und mit meinen Freunden über Star Wars reden! Ich will normale Freunde haben! Ich will auf eine normale Schule gehen und aufs College und ich will Schauspieler werden und nicht Dämonen hinterher jagen!“ Magnus sah ihn geschockt an, dann zog er ihn in seine Arme und strich ihm beruhigend über den Rücken. „Ganz ruhig, Rafael, ganz ruhig. Du musst nicht“, flüsterte er. „Nicht?“, schniefte Rafael. „Nein“, mischte Alec sich ein. „Du hast die Wahl. Und was immer du wählst, wir stehen hinter dir.“ „Echt?“ Rafael sah ihn mit großen, ängstlichen Augen an. „Echt. Es tut mir leid, wenn ich dir das Gefühl gegeben habe, du müsstest Schattenjäger werden. Wir sind so wenige heutzutage, dass ich gehofft habe, du wirst auch einer. Es ist alles meine Schuld.“ „Ich muss nicht?“, hakte Rafael nach, in seinen Augen sammelten sich neue Tränen. „Nein, du musst nicht“, versicherte Alec ihm und strich ihm durch die Haare. „Aber es wäre schön, wenn du mir verzeihst.“ Rafael sah ihn kurz an, bevor er ihm um den Hals fiel und an seiner Schulter weiter weinte. Ein leises Miau war zu hören und Magnus sah Church an, der die anderen besorgt beobachtet hatte. „Alles wird gut, alter Freund, alles wird gut“, lächelte der Hexenmeister den Kater an und kraulte ihn am Kopf. „Auch wenn du erstmal die Tränen aus deinem Fell bekommen musst.“ Am Ende schlief Rafael erschöpft in Alecs Armen ein und ließ ihn nicht los. „Ich fürchte, wir haben heute Nacht einen Gast im Bett“, flüsterte er Magnus zu und trug Rafael in ihr Schlafzimmer. „Ist es auch in Ordnung für dich?“, fragte Magnus ihn leise. „Ich will, dass er glücklich ist. Und wenn er lieber Fußball spielen will als Kickboxen zu lernen, dann soll mir das recht sein“, lächelte Alec. „Vielleicht ändert er seine Meinung ja auch irgendwann wieder. Aber das überlasse ich ihm.“ Ein paar Wochen später rauchte Rafael der Kopf. So gut er auch in einigen akademischen Fächern war, so wenig wusste er in anderen, besonders die Grundlagen in den Naturwissenschaften, die jedes Kind in der Stadt in der Grundschule lernte, fehlten ihm und die musste er nachholen. Seine Väter waren keine große Hilfe, also lernte er aus den Schulbüchern, die sie ihm besorgten. Nach dem Sommer sollte er in die fünfte Klasse einer ganz normalen Schule mit ganz normalen Kindern und einer Fußballmannschaft kommen. Alecs komplette Familie war geschockt, als sie das ankündigten, doch es war ihnen egal, was sie sagten. Ihr Sohn war endlich wieder fröhlich, er redete und lachte mehr, und er schien das erste Mal seit langem wirklich glücklich zu sein. Church leistete ihm oft beim Lernen Gesellschaft, auch wenn der Große Vorsitzende das mit offener Eifersucht quittierte. „Geh zu ihm“, flüsterte Rafael dem Perser zu, als der winzige Kater wütend an seiner Zimmertür miaute. „Er vermisst dich.“ Aber du brauchst mich, dachte Church und miaute leise. „Ich komme klar“, lächelte Rafael ihn an als hätte er ihn verstanden. „Das hier ist nur ein bisschen Pflanzenkunde.“ Wieder miaute Church und ging mit dem Großen Vorsitzenden. Um tagsüber niemanden zu stören, schlichen sich die beiden Kater immer in Magnus und Alces Schlafzimmer, so sie nach Lust und Laune kuscheln konnten. Wütend zauberte Magnus jeden Abend die Katzenhaare vom Bett. Es wurde Frühjahr und Rafael lernte weiter und weiter. Church bekam bald den Eindruck, dass der Junge schneller als gedacht in die sechste Klasse kommen würde. Sobald die Temperaturen es zuließen, schnappte er sich seine Bücher und setzte sich damit auf die Terrasse. Die frische Luft gefiel ihm eindeutig besser zum Lernen und Lesen. Nur die Kater ließen ihn dann allein. Verwundert beobachteten er und Max, wie der Große Vorsitzende zitternd von der Treppe nach oben saß und Church sich einfach nur von ihr abwendete. „Mh... das sollten wir doch lösen können“, lächelte Magnus am Abend, als sie ihm davon erzählten. „Wie willst du das lösen?“, fragte Rafael. „Ganz einfach. Nachdem die beiden da angegriffen wurden, ist es nur logisch, dass sie Angst vor dem Ort haben. Ich kann aber ein kleines Netz gegen Raubtierangriffe spannen. Eigentlich sogar gegen alles, was keine Katze ist...“ „Lass die Schmetterlinge noch durch“, forderte Max. Magnus nickte. „Ja, die lasse ich durch, keine Angst.“ „Okay, dann mach.“ Ein paar Tage später, nachdem ein deprimierender Dauerregen endlich aufgehört hatte, standen also alle Familienmitglieder auf der Dachterrasse. Magnus und Max, der ihm helfen durfte, waren bereit, den Zauber zu wirken. Alec hatte Church auf dem Arm, der nicht wenige Kratzer auf dem Schattenjäger hinterlassen hatte, und Rafael hielt einen zitternden Großen Vorsitzenden fest. „Keine Angst. Hier ist es sehr bald sehr sicher für euch“, flüsterte Rafael den Katern zu. Magnus zwinkerte Max zu und gemeinsam spannten sie zwischen den bereits hängenden Lichterketten ein feines, goldglänzendes Netz, dass alle Raubvögel und andere ungebetene Angreifer abhalten sollte. „Und als Bonus haben wir unseren eigenen Sternenhimmel in dieser hellen Stadt“, grinste Magnus als sie fertig waren. Wie um zu beweisen, dass das Netz funktionierte, wurde eine Taube, die versuchte zu landen, direkt wieder zurück geschleudert. „Es funktioniert“, freute Max sich. „Sehr ihr? Ihr müsst euch hier oben nicht mehr fürchten“, lächelte Alec Church und den Großen Vorsitzenden an. Die beiden Kater miauten, sprangen ihren Trägern aus den Armen und kuschelten sich in der Sonne gleich wieder zusammen. „Ich werde einfach nicht schlau aus den beiden“, murmelte Alec. „Ich schon“, grinste Magnus und zog Alec nach unten. „Die beiden sind eben verliebt“, stellte Max fest. „Bist du sicher?“, wunderte Rafael sich. „Nur weil sie miteinander schlafen heißt das nicht, dass sie verliebt sind. Ich habe gelesen, dass Katzen das auch tun, um die Rangordnung festzulegen.“ „Aber sie kuscheln die ganze Zeit und werden eifersüchtig, wenn einer von ihnen zu viel Zeit mit uns verbringt“, erklärte Max überzeugt. Rafael grübelte kurz. „Ja... das stimmt. Du hast wohl doch Recht.“ „Wir sollten ihnen eine Party schmeißen.“ „Was für eine Party denn?“, fragte Rafael seinen grinsenden Bruder. Es war ein wunderschöner Frühsommertag als Magnus und Alec mit großen Kaffeetassen in der Hand auf ihre Terrasse kamen und fast über die unzähligen Katzen stolperten, die sich dort versammelt hatten. Zwischen zwei großen Blumenstöcken standen ihre Söhne in ihren besten Anzügen vor einer kleinen Bank. „Was zum...?“, murmelte Alec als Musik einsetzte und Church und der Große Vorsitzende auf einem Kissen durch die Menge gezogen wurden. Max bewegte unauffällig seine Hände dabei. „Wir fragen später. Ich habe das Gefühl, wir werden gerade Zeuge von etwas ganz großem“, flüsterte Magnus. „Hattet ihr schon immer so viele Katzen?“, wunderte sich Simon, der mit seinem Kaffee auch auf die Terrasse trat. „Setzt euch“, meinte Izzy nur leise, sie saß schon auf der Brüstung und beobachtete das Treiben amüsiert. „Was geht hier vor?“, fragte Alec seine Schwester. Eine mögliche Antwort wurde von einem lauten Räuspern unterbunden. „Liebe Gemeinde“, fing Rafael an. „Wir haben uns heute hier zusammen gefunden, um Zeugen zu werden der Vermählung von Church und dem Großen Vorsitzenden Miau Tsetung.“ Alec und Simon versuchten vergeblich ihr Lachen zu unterdrücken und wurden von Magnus und Izzy mit den Ellenbogen in die Seite gestoßen. Max fuhr fort: „Sollte einer der hier Anwesenden einen Grund vorzuweisen haben, der diese Verbindung verhindert, so miaue er jetzt oder schweige für immer.“ Es war nur das Kichern von Simon und Alec zu hören. „Sehr schön“, sagte Rafael, warf den beiden Männern aber einen bösen Blick zu. „Church, willst du den hier anwesenden Großen Vorsitzenden Miau Tsetung zu deinem dir angetrauten Kater nehmen und ihn lieben und ehren bis das der Tod euch scheidet?“ Church miaute. Er hoffte, dass dadurch das ganze möglichst schnell vorbei wäre. „Und Großer Vorsitzender, willst du den hier anwesenden Church zu deinem dir angetrauten Kater nehmen und ihn lieben und ehren bis das der Tod euch scheidet?“ Auch der Große Vorsitzende miaute. Er hatte nur in der Sonne schlafen wollen, als er hier hoch kam. „Dann erkläre ich euch zu Kater und Kater. Ihr dürft euch küssen.“ Die beiden Kater sahen sich verwirrt an und ergriffen die Flucht unter eine der Gartenliegen. „So sollte das nicht laufen“, murrte Max. Auch die anderen Katzen verließen die Terrasse auf schnellstem Wege, nun da die Zeremonie vorbei war und Max' Zauber sie nicht mehr hielten. „Sei froh, dass sie nicht früher abgehauen sind“, versuchte Rafael seinen kleinen Bruder zu trösten. „Ja, jetzt sind sie wenigstens verheiratet.“ Die Erwachsenen gingen zu den Jungs und fragten sie, was sie da gerade gesehen hatten. Und während die Kinder erklärten, warfen sich der Große Vorsitzende und Church unter ihrer Liege einen Blick zu und miauten gleichzeitig. Menschen! Dann rollten sie sich zusammen ein und kamen doch noch zu ihrem wohlverdienten Nachmittagsnickerchen. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)