SPACE 2064 - 01 von ulimann644 (Die Grauen Falken) ================================================================================ Kapitel 2: Neuanfang -------------------- In dem Truppentransporter, der zum Trägerschlachtschiff SARATOGA unterwegs war, hing Lieutenant-Colonel James Anthony Doraner seinen Gedanken nach. Vor drei Tagen hatte ihn überraschend der Befehl zur Versetzung auf die SARATOGA erreicht, und nun befand er sich auf dem Weg zu seinem neuen Kommando. Der Fünfunddreißig Jahre alte Mann fuhr sich nachdenklich, mit der Rechten, über den blonden Vollbart und sah abwesend zum gegenüber liegenden Fenster des Transport-Moduls hinaus, ohne dabei wirklich etwas wahrzunehmen. Er hatte den Mann, dessen Kommando er an Bord der SARATOGA übernehmen würde, im letzten Jahr kennengelernt. Damals war Lieutenant-Colonel McQueen für eine Weile als Taktischer Berater an Bord der COLIN POWELL gewesen. Jenem Träger, auf dem er selbst zuletzt gedient hatte. Bei Friedensverhandlungen mit einem Botschafter der Chigs, vor einer halben Woche, war es zu einem schweren Zwischenfall gekommen, an Bord der SARATOGA. Eine von dem Botschafter mit auf den Träger geschmuggelte Bombe war während der Verhandlung explodiert. Dabei waren mehrere hochrangige Militärs getötet, und McQueen, der CAG der SARATOGA schwer verletzt worden. McQueen hatte dadurch ein Bein verloren. Dabei war bisher immer noch nicht geklärt, welche Rolle der Vertreter von AEROTECH dabei gespielt hatte, und ob die Bombe absichtlich oder versehentlich detoniert war. Anhand der ersten Aussagen von McQueen hatte sich da nur ein vages Bild ergeben. James Doraner wusste um den ausgezeichneten Ruf, den sich McQueen als Taktiker, wie auch als Pilot, erworben hatte. Er war es gewesen, der den gefährlichsten Jäger der Chigs, nach einem harten Zweikampf, abgeschossen hatte. Durch seine Expertise war ein militärisches Desaster bei Ixion und Demios verhindert worden. Doraner war klar, dass er in sehr große Fußstapfen treten würde. Irgendetwas lenkte den blonden Mann ab, ohne dass er zunächst sagen konnte was es gewesen war. Erst nach einem Moment bemerkte er die fragenden Blicke des weiblichen First-Lieutenants, ihm gegenüber. Die zierliche Frau konnte nicht verleugnen asiatischer Abstammung zu sein, auch wenn Doraner schnell an den Rangabzeichen auf ihrer Uniform und am Star-Spangled-Banner, auf dem Ärmel, erkannte, dass sie, so wie er selbst, dem amerikanischen Militär angehörte. Neugierig hob Doraner die Augenbrauen und erkundigte sich mit gedämpfter Stimme bei der Asiatin: „Haben Sie eine Frage, Lieutenant...“ „Michelle Low, Sir“, gab die junge Frau schnell Auskunft, als sie das Zögern ihres Gegenübers bemerkte. „Nun, Sir, ich hörte von dem Zwischenfall auf der SARATOGA, und dass Colonel McQueen dabei schwer verletzt wurde. Ich habe mich gefragt, ob Sie seinen Platz einnehmen werden.“ Die durchscheinend blauen Augen des Lieutenant-Colonels musterten die Asiatin aufmerksam, während er verbindlich lächelnd antwortete: „Ich übernehme an Bord der SARATOGA die Funktion des CAG, wenn das die Frage war, Lieutenant. Aber um das klarzustellen: Es ist dann mein Platz, nicht der Platz eines anderen Offiziers, dem ich nur den Sessel warm halte.“ In den dunklen Mandelaugen der jungen Frau spiegelte sich Verlegenheit wieder, als sie erwiderte: „So hatte ich das nicht gemeint, Sir.“ Das schwache Schmunzeln des Stabsoffiziers vertiefte sich bei den Worten der Frau, und schnell stellte er klar: „Ich meinerseits hatte Ihre Worte auch nicht so aufgefasst. Nur die Ruhe, Lieutenant. Darf ich nun fragen, welche Funktion Sie an Bord der SARATOGA erfüllen werden?“ Michelle Low lächelte erleichtert, bei den letzten Worten des Lieutenant-Colonels. Sie deutete eine Verbeugung an und antwortete: „Ich werde unter Ihrem Kommando stehen, Sir, denn ich bin Jagdpilotin. Meine bisherige Staffel war die 34. Staffel, die Sundown Raiders, die vorgestern erst von der TICONDEROGA zur SARATOGA verlegt worden ist. Ich selbst habe zeitgleich, während meines Urlaubs, der sehr abrupt zu Ende ging, von meiner Rückversetzung zu den Wildcards erfahren.“ James Doraner wurde bei den letzten Worten der jungen Pilotin aufmerksam. „Wann waren Sie bei der 58. Staffel stationiert?“ „Zu Beginn des Krieges. Ich habe mit den Wildcards an der Schlacht bei Jupiter teilgenommen, bevor ich im Anschluss zur 34. Staffel versetzt wurde, Sir.“ Doraner nickte und anerkennend stellte er fest: „Dann sind sie vermutlich Trägerin des Montgomery Star.“ Die Asiatin nickte und erklärte bescheiden: „Ich war zufällig dabei, Sir. Ohne meine Kameraden, von denen ein paar viel mehr geleistet haben, während dieser Schlacht, wäre der Erfolg fragwürdig gewesen.“ Beinahe jungenhaft grinsend gab der Blonde zurück: „Es gibt ein altes Sprichwort, dass da heißt: Bescheidenheit ist eine Zier – doch weiter kommt man ohne ihr. Das sollten Sie vielleicht hin und wieder beherzigen, Lieutenant. Doraner nickte bedeutungsvoll, bis ihn das verwunderte Gesicht der Frau zu einem Lachen reizte. Erst in diesem Moment zeichnete sich auf der Miene der Frau die Erkenntnis ab, dass seine letzten Worte nicht ganz ernst gemeint gewesen waren. Dann veränderte sich seine Stimme etwas und er meinte: „Entschuldigen Sie meine schlechten Manieren, Lieutenant, denn ich habe mich Ihnen noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist James Anthony Doraner. Bisher war ich auf der COLIN POWELL stationiert.“ Doraner beugte sich etwas vor und reichte der Frau die Hand. Michelle Low ergriff sie und gab den Händedruck des Mannes erstaunlich fest zurück. Er lehnte sich gleich darauf wieder zurück und fragte: „Ich vermute, sie freuen sich schon sehr auf das Wiedersehen mit ihren Kameraden, Lieutenant?“ Die Augen der jungen Frau leuchteten auf, als sie bestätigte: „Ja, Sir. Seit der Verleihung des MS und der anschließenden Siegesfeier habe ich keinen meiner ehemaligen Kameraden wiedergesehen. Ich hörte zwischenzeitlich nur von dem hervorragenden Namen, den sich die Staffel durch ihre Leistungen erworben hat. Wieder Teil dieser Staffel zu werden stimmt mich sehr glücklich.“ Erst jetzt fiel Doraner die merkwürdige Ruhe auf, die seit einiger Zeit im Innern des Transporters herrschte, und neugierig hob der Mann seinen Blick. Prüfend sah er in die Runde, und die übrigen zehn anwesenden Männer und Frauen, hauptsächlich Techniker im Rang von Unteroffizieren und Mannschaften, heuchelten Unschuld. Mit ernster Miene, wobei er Low schnell zu zwinkerte, räusperte Doraner sich und sagte vernehmlich: „Meine Damen und Herren, wenn Sie, an Bord der SARATOGA ihren Vorgesetzten auch so aufmerksam zuhören, dann werden Sie es weit bringen.“ Sich mit unbewegter Miene über die Verlegenheit der Anwesenden amüsierend wandte er sich wieder Michelle Low zu, die ein feines Grinsen zeigte. Leise, dass nur sie ihn verstehen konnte, fragte er sie: „Zu viel, Lieutenant?“ Das Grinsen der Frau bekam eine amüsierte Note. „Nicht im Geringsten, Sir.“ James Doraner ließ seine Augen lachen, während er sich auf der Bank des Transporter-Moduls etwas bequemer zurecht setzte. Er und Low wurden abgelenkt, als sich das Verbindungsschott zur Pilotenkanzel öffnete und der Co-Pilot seinen Kopf herausstreckte. In Richtung des Lieutenant-Colonels blickend sagte er rau: „Sir, wir haben eben den Kurs geändert. Der Transporter hält nun Kurs auf einen Rendezvous-Punkt, der uns eben von der SARATOGA übermittelt wurde. Der Träger hat Demios verlassen und hält Kurs auf Planet 2063-Y. Der seit Wochen vermisste deutsche Träger BISMARCK kreuzt in der Nähe und hat von dort aus Kontakt aufgenommen. Ein Chig-Träger ist dort aufgetaucht und hält Kurs auf ihn.“ Übergangslos ernst werdend nickte Doraner und erwiderte: „Danke, Lieutenant. Hat die SARATOGA sonst noch Informationen übermittelt?“ „Ja, Sir. Ich wurde angewiesen, Sie davon zu unterrichten, dass Sie nach der Landung auf dem Träger umgehend das Lagezentrum aufsuchen sollen.“ James Doraner dankte abwesend und registrierte nur unterbewusst, wie der Co-Pilot wieder im Cockpit verschwand. Als er wieder zu Michelle Low sah, meinte er nachdenklich: „Sieht nach unruhigen Zeiten aus, wie mir scheint, Lieutenant. Also rechnen Sie besser damit, sich schnell an Bord einzurichten, bevor es wieder richtig los geht.“ * * * In der Offiziersmesse der SARATOGA saßen sich Nathan West und Cooper Hawkes, beim Abendessen, an einem der Tische gegenüber. Beide stocherten in ihrem Essen herum und sahen, von Zeit zu Zeit, zu einer der Sichtluken hinaus. Es war erst drei Tage her, dass sie drei ihrer Kameraden, in der Nähe des Planeten 2063-Y verloren hatten. Vanessa und Shane waren mit dem abgesprengten Cockpit des von ihnen geflogenen Transporters auf die Oberfläche des Planeten abgestürzt. Ihren Kameraden Paul Wang hatten sie an Bord eines treibenden Transporter-Moduls zurücklassen müssen. Er hatte sich zugunsten der Rettung von Zivilisten, die achtzehn Monate in Gefangenschaft der Chigs gewesen waren, unter ihnen Kylen Celina, geopfert. Mit gemischten Gefühlen aß Nathan West lustlos einen Bissen von seinem Hackbraten. Noch immer rumorte es in der Magengegend des hageren First-Lieutenants, wenn er daran dachte, dass er das Leben seiner Freundin mit dem Tod eines Kameraden getauscht hatte, der längst zu einer Art Bruder für ihn geworden war. Betrübt sah er zu Cooper, für den die Verluste nicht weniger tragisch gewesen waren. In McQueen, der schwer verletzt zur Erde unterwegs war, hatte Hawkes eine Art Vater gesehen, eine Person in seinem kurzen Leben, die er als In-Vitro nie kennengelernt hatte. Shane Vansen war für Cooper halb Schwester, halb Mutter gewesen. Unabhängig dessen, dass sie biologisch ebenso alt war, wie Cooper Hawkes selbst. Unmittelbar nach dem verlustreichen Einsatz bei 2063-Y waren sie beide wie paralysiert gewesen. Körperlich und geistig. Commodore Glen van Ross hatte sie beide dazu genötigt den Bordpsychologen aufzusuchen. Obwohl West dieser Maßnahme eher kritisch gegenüber gestanden hatte, musste er anerkennen, dass er sich mittlerweile etwas besser dadurch fühlte. Es hatte gut getan mit einer unbeteiligten Person darüber zu reden. Seitdem fiel es ihm und Hawkes auch leichter miteinander über die Geschehnisse zu sprechen. Etwas, zu dem sie unmittelbar nach dem fatalen Einsatz nicht in der Lage gewesen waren. West fuhr aus seinen Gedanken auf, als Hawkes ihn unverhofft ansprach: „Michelle Low soll heute auf der SARATOGA ankommen. Ich freue mich, sie wiederzusehen.“ Nathan West sah zu dem Freund auf und nickte, schwach lächelnd. „Ich bin neugierig, zu erfahren, wie sie sich, als Offizier, entwickelt hat. Erinnerst du dich noch daran, wie sie bei der Siegesfeier, nach der Schlacht bei Jupiter, aus sich herausging und einen Toast ausgebracht hat.“ Der In-Vitro nickte ernst. „Ja. Dabei wirkte sie, während der Übungsmission auf dem Mars, noch so schüchtern. Damals dachte ich, dass mich alle im Team hassen. Doch Pags und auch Low waren von Beginn an nie gegen mich.“ Nathan West tauchte in die Erinnerung ein. „Anders als ich, der dir damals am liebsten den Kopf abgerissen hätte.“ Hawkes nickte grimmig. „Ja, damals warst du ein richtiger Stinkstiefel.“ Nathan West schüttelte ironisch den Kopf. „Du hast es nötig. Du warst damals auch nicht gerade der nette Junge von Nebenan, mein Freund. Und dann waren da natürlich auch noch deine Alleingänge.“ „Das sagt gerade der Richtige“, beschwerte sich Hawkes. „Hinter wem mussten Vansen und ich den her um ihm den Arsch zu retten, damals auf Tellus?“ Die Freunde sahen sich betreten an und verstummten. Beide hatten sie es in den letzten Tagen bewusst vermieden die Namen ihrer vermissten Freunde auszusprechen. Sie wurden abgelenkt, als eine junge Frau, im Rang eines Second-Lieutenant an den Tisch trat, und sie beide ansprach. „Lieutenant Hawkes, Lieutenant West. Der Commodore schickt mich. Er wünscht Sie beide umgehend zu sprechen. Ich soll sie zu seinem Quartier bringen.“ Verwundert sahen sich die beiden Männer an und erhoben sich gleichzeitig. Während sie die Messe verließen erkundigte sich West bei der schwarzhaarigen Frau: „Hat der Commodore Ihnen verraten, worum es geht?“ „Nein, tut mir leid, Sir.“ Cooper Hawkes warf seinem Freund einen bezeichnenden Blick zu und grummelte: „Das hätte mich auch gewundert.“ „Wir werden es wohl in Kürze erfahren“, beruhigte West den Kameraden. Sie schwiegen, bis sie vor dem Quartier ankamen. Die junge Frau klopfte fest gegen die Tür, die im Gegensatz zu denen der Standardquartiere, aus Holz bestand, und öffnete sie, als von Drinnen ein vernehmliches Herein aufklang. Commodore Ross sah zu den beiden Männern, die in sein Quartier eintraten und wandte sich dann an die Frau, die am Eingang stehen geblieben war: „Sie können wegtreten, Lieutenant Scott.“ Die junge Frau bestätigte und schloss die Tür von draußen, während sich die beiden Piloten nebeneinander vor dem Schreibtisch des Flaggoffiziers aufbauten. Der dunkelhäutige Commodore der US NAVY sah sinnend auf die Flaggen der USA und der Teilstreitkraft, der er selbst angehörte, die beidseitig der Tür standen, bevor er seine dunklen Augen prüfend auf die beiden angetretenen Piloten richtete. Die Linien im schmalen Gesicht des Flaggoffiziers, das kaum das wahre Alter des Mannes verriet, zeugten von einem harten und entbehrungsreichen Leben. Er wirkte wie Mitte Vierzig, doch er hatte bereits vor mehr als zwei Jahren seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert. „Stehen Sie bequem“, forderte der Commodore die beiden Lieutenants auf. Er selbst erhob sich aus seinem Sessel, umrundete den Schreibtisch und setzte sich auf die Tischkante. Dabei fuhr er fort: „Ich habe Sie beide hierher kommen lassen, weil Sie gegenwärtig die beiden besten und erfahrensten Piloten an Bord der SARATOGA sind. Ich habe vor, den Wildcards neue Piloten zuzuweisen, doch das ist nicht das Problem. Was ich brauche, ist ein neuer Staffelführer, der von mir in den Rang eines Captain befördert wird. Wer von Ihnen beiden könnte das wohl sein?“ Hawkes und West wechselten einen kurzen Blick bevor sie gleichzeitig sagten: „Er!“ Glen van Ross kniff die Augenlider zusammen und setzte eine grimmige Miene auf. „Also schön, meine Herren. Dann entscheide ich das. Lieutenant West: Sie werden, mit sofortiger Wirkung als Staffelführer der Wildcards fungieren.“ „Aye, Sir!“ Sich rasch an den In-Vitro wendend erklärte Ross: „Damit komme ich dann zu Ihnen, Mister Hawkes. Sie können sich ihrer Verantwortung nicht entziehen. Sie werde ich ebenfalls zum Captain befördern. Im Zuge Ihres neuen Ranges übernehmen Sie, nach der offiziellen Beförderung, die 34. Staffel. Den kürzlich zur SARATOGA verlegten Sundown Raiders fehlt seit dem letzten Einsatz ein Staffelführer. Diese Aufgabe werden Sie also ab morgen übernehmen, Captain Hawkes.“ Für einen langen Moment waren beide Piloten sprachlos und es dauerte eine Weile, bis Hawkes bestätigte: „Aye, Sir!“ Ross ließ den beiden jungen Männern keine Zeit zum nachdenken. „Da ist noch etwas, weswegen ich Sie beide sprechen wollte, meine Herren. Vor einer halben Stunde erreichte die SARATOGA ein Funkspruch von der vernichtet geglaubten BISMARCK. Sie kreuzt vor Planet 2063-Yankee. Einer der Piloten der BISMARCK hatte das Glück, einen schwachen Notruf vom Planeten zu empfangen. Es stellte sich heraus, dass er von den beiden vermissten Pilotinnen, Vansen und Damphousse, abgeschickt wurde. Beide leben und werden schnellstmöglich von den Deutschen geborgen.“ Ross beobachtete die Wandlung, die sich mit den beiden jungen Männern vor seinen Augen vollzog. Ihm war nicht entgangen, dass die beiden Piloten, nach ihrem letzten Einsatz, wie paralysiert, beinahe apathisch gewesen waren. Beide umarmten sich spontan und lachten sich an, bevor ihnen bewusst wurde, dass so etwas, im Quartier des Trägerkommandanten nicht schicklich war. Ross kam einer Entschuldigung der beiden jungen Männer zuvor, indem er sagte: „Ich verstehe Ihre Gefühle nur zu gut, meine Herren. Den Zeitpunkt Ihrer offiziellen Beförderung habe ich auf morgen Früh 07:00 Uhr, im Großen Briefingraum, festgelegt. Eine Stunde später werden wir mit der BISMARCK zusammentreffen. Vorab als Information, nur für Sie Beide: Ein Träger der Chigs hält auf die Position der BISMARCK zu.“ Ross ließ seine Worte wirken, bevor er weitersprach. „Die BISMARCK wartet im Ortungsschatten von 2063-Yankee auf den Feind. Wir stoßen dazu und werden den feindlichen Träger in die Zange nehmen, sobald wir das System, gegen 08:00 erreichen. Unterwegs werden wir einen Truppentransporter aufnehmen, der unter Anderem den neuen CAG für die SARATOGA, und einige Ersatzpiloten an Bord hat. Darunter Lieutenant Michelle Low, die Ihnen beiden bekannt sein dürfte. Sie wurde zu den Wildcards zurück versetzt, und ich könnte mir vorstellen, dass Sie Ihre ehemalige und neue Kameradin gerne empfangen würden. Wir werden den Transporter gegen 06:20 an Bord nehmen.“ Es war Nathan West der zuerst seine Freude und Überraschung überwand und erwiderte: „Danke, Sir. Aber was ist, wenn Shane… ich meine, wenn Captain Vansen wieder dienstfähig ist?“ Auf die Lippen des Commodore stahl sich ein flüchtiges Lächeln, was bei einem Mann wie Ross einem Gefühlsausbruch gleichkam. „Ich werde für künftige Einsätze einige der besten Piloten in Führungspositionen brauchen. Captain Vansen wird, sobald sie wieder einsatzfähig ist, die Position des Staffelführers der 59. Staffel übernehmen. Der bisherige wurde beim letzten Einsatz von den Chigs abgeschossen. Mir ist bewusst, wie lange Sie gemeinsam, Seite an Seite, gekämpft haben, doch es wird nun Zeit, dass Sie, als erfahrene Offiziere, größere Aufgaben übernehmen. Und jetzt: Treten Sie weg und ruhen Sie sich aus, denn schon bald werden Sie wieder mitten im Schlamassel stecken.“ Die beiden Piloten nahmen Haltung an, bevor sie Kehrt machten und das Quartier des Commodore verließen. Draußen sahen sich die Freunde an und West erklärte: „Vansen und Damphousse leben. Das ist endlich mal eine gute Nachricht.“ Hawkes grinste schief. „Ja, aber von Paul haben wir nichts gehört.“ West nickte ernst. „Ich habe gesehen, wie das Modul, in dem er zuletzt festgesessen hat, von Chig-Jägern in Stücke geschossen wurde, Coop. Machen wir uns nichts vor, Paul hat nicht so viel Glück gehabt, wie Shane und Vanessa.“ Der In-Vitro nickte mit deprimierter Miene. Dann sah er zu West und erkundigte sich: „Wie ist es, kommst du morgen Früh mit um Low zu begrüßen, wenn die SARATOGA den Transporter erreicht hat?“ „Ja klar, wo denkst du denn hin?“ Sie machten sich auf den Weg zu ihrem Quartier, dass sie immer noch allein bewohnten, seit ihrem letzten Einsatz. Schließlich meinte West voller Tatendrang: „Wir könnten schon mal eine der Kojen vorbereiten, für Michelle. Wird verdammt Zeit, das endlich wieder Leben in die Bude kommt.“ „Ach, bin ich dir vielleicht zu langweilig?“, schnappte Hawkes. „Dann ist mein Fortgang ja vielleicht gar nicht so schlecht?“ West schlug dem Freund kameradschaftlich auf die Schulter und grinste: „Du weißt ganz genau, was ich gemeint habe.“ Die Miene des In-Vitro hellte sich schnell wieder auf. „Ja, aber ein Scherz wird ja noch erlaubt sein.“ West seufzte schwach. „Die waren schon mal besser. Also, was ist? Hilfst du mir, das Quartier auf Vordermann zu bringen?“ Hawkes nickte und erklärte dabei: „Ich freue mich darauf, Low - und bald auch Vansen und Phousse – wiederzusehen.“ Nathan West sah den Freund von der Seite an und sinnierte dabei: „Staffelführer Hawkes und Staffelführer West, wer hätte das gedacht?“ * * * Am nächsten Morgen herrschte, bereits fünf Minuten vor dem Rendezvous mit dem Truppentransporter, reger Betrieb auf dem oberen Steuerbord-Hangardeck. Neben einigen Unteroffizieren der Technischen Abteilungen, die ihre neuen Kollegen in Empfang nehmen sollten, wartete, außer Hawkes und West ein weiterer Offizier auf den Transporter. West, der erkannte, dass es sich bei der Afroamerikanerin um First-Lieutenant Tamika Price handelte, sprach sie an. „Guten Morgen, Lieutenant. Auf wen warten Sie, wenn ich fragen darf?“ Die hagere Frau, mit den ausdrucksstarken, beinahe schwarzen, Augen sah zu Nathan West und erklärte lächelnd: „Der Commodore schickt mich um unseren neuen CAG in Empfang zu nehmen. Ich soll ihn zum Lagezentrum geleiten.“ Hawkes, der hellhörig wurde, warf ein: „Wissen Sie etwas über ihn?“ „Leider nein“, erwiderte Price bedauernd. „Alles was mir der Commodore verraten hat ist, dass er James Anthony Doraner heißt, und dass sein Rang der eines Lieutenant-Commanders ist.“ Nachdenklich sah West von Price zu Hawkes und schnippte mit den Fingern. „Den Namen habe ich schon gehört. McQueen erwähnte ihn mal, kurz nachdem er als Taktischer Berater auf der COLIN POWELL gewesen war. An mehr erinnere ich mich aber nicht.“ „Na, toll“, grollte Hawkes. „Langsam habe ich die Schnauze voll, von dieser ewigen Geheimniskrämerei. Warum werden wir immer auf den letzten Drücker informiert?“ „Die paar Minuten werden Sie nun auch noch überstehen“, schmunzelte Tamika Price. „Der Commodore scheint große Stücke auf ihn zu halten.“ Für einen Moment blieb es still zwischen den drei Offizieren, bevor die Frau mutmaßte: „Sie Zwei warten bestimmt auf Lieutenant Michelle Low?“ West nickte. „Ja, sie begann ihre Ausbildung bei den Marines gemeinsam mit uns und gehörte, zu Beginn des Krieges, kurzzeitig zu den Wildcards. Nach der Schlacht bei Jupiter wurde sie leider zu einer anderen Einheit versetzt.“ „Dann haben wir also bald noch einen Monty an Bord der SARATOGA“, erwiderte Price leichthin. Erst als sie in die verwunderten Mienen der beiden Männer blickte, wurde ihr klar, dass die beiden mit dem Begriff Monty offensichtlich nichts anfangen konnten. „Entschuldigung, aber ich dachte, Sie beide wüssten längst, dass jeder Pilot, der nach der Schlacht bei Jupiter mit dem Montgomery-Star ausgezeichnet wurde, bei der Truppe die verniedlichende Bezeichnung Monty trägt.“ Die beiden Männer sahen sich an und West grinste: „Dann sind wir beide auch Montys, Coop.“ „Montys der Extraklasse!“, lachte der In-Vitro verzweifelt. „Vielleicht sollten wir, zusammen mit Low, den ersten, offiziellen Monty-Club gründen.“ „Schluss mit dem Unsinn“, verlangte West, durch eine der Sichtluken deutend. „Der Transporter befindet sich im Anflug auf die Landeplattform. Lasst uns lieber zum unteren Hangardeck gehen, bevor wir Low und den neuen CAG am Ende noch verpassen.“ Hawkes und Price schlossen sich dem hageren Jagdpiloten an, als er forsch an ihnen vorbei ging und die stählernen Treppen hinunter eilte. Als sie unten ankamen wurde das Landedeck bereits heruntergefahren und das Deckschott schloss sich über dem Transporter. West beobachtete aufmerksam die Anzeigen neben dem Schott. Kaum war der Druckausgleich erfolgt, da öffnete er das Innenschott und schritt auf die Plattform hinaus. Fast in demselben Augenblick öffnete sich das Schott des Militärtransporters und Menschen in grünen Uniformen strömten heraus. Allen voran ein blonder Mann, dessen Rangabzeichen ihn als Lieutenant-Colonel auswiesen. Ihm dichtauf, fast ganz durch ihn verdeckt, folgte eine zierliche Frau, die West und Hawkes gleichzeitig identifizierten. „Low, hier sind wir!“, rief Cooper Hawkes ihr entgegen, während es West bei einem Heben seiner rechten Hand beließ. Das Gesicht von Michelle Low begann zu leuchten, als sie die Kameraden erkannte. Als sie kurz zu ihrem Begleiter sah, schmunzelte Doraner: „Wir sehen uns später, Lieutenant Low. Den Commodore lässt man nicht warten.“ Damit schritt der Stabsoffizier zu Price, die ihn erwartungsvoll ansah. Er ahnte, dass sie seinetwegen gekommen war. Tamika Price wandte sich prompt an ihn. „Sir, Commodore Ross schickt mich. Ich soll Sie umgehend zum Lagezentrum geleiten. Ihr Gepäck kam bereits gestern an und befindet sich in Ihrem Quartier.“ „Dann gehen Sie voran“, erwiderte Doraner launig, warf Low und ihren beiden Kameraden einen kurzen Blick zu und folgte dann der jungen Frau. Beim durchschreiten der engen Gänge des Trägers registrierte Doraner die Geschäftigkeit und jene fast unmerklichen Anzeichen von Hektik, die ihm sagte, dass ein Kampf bevorstand. Lieutenant Price führte Doraner tiefer ins Schiff, und hätte er nicht seit Jahren auf einem Träger derselben Baureihe gedient, er hätte sich hoffnungslos verirrt. So wusste er genau, wo er sich befand, und er wäre auch ohne Price in der Lage gewesen, sich an Bord des Trägers zurecht zu finden. Zwei Minuten später hielten sie vor dem Schott des Lagezentrums und Price wandte sich mit förmlichem Tonfall an Doraner. „Sie werden erwartet, Sir.“ „Danke, Lieutenant Price.“ James Doraner lächelte verbindlich, bevor er sich von der Frau abwandte und das Schott öffnete. Rasch trat er ein und schritt zu dem breiten Tisch, im Zentrum des großen Raumes, hinter dem Commodore Ross stand; mit undurchdringlicher Miene und die Hände auf den Rücken gelegt. Ross warf einen letzten Blick zur Sichtluke hinaus, bevor er sich dem Neuankömmling zu wandte. Er nahm die knappe Meldung des blonden Mannes entgegen und deutete auf einen der beiden Stühle vor seinem Schreibtisch. „Bitte setzen Sie sich, Lieutenant-Colonel. Ich bin froh, dass der Transporter bereits in Reichweite war.“ „Danke, Sir.“ Ross wartete, bis sich der Lieutenant-Colonel gesetzt hatte, bevor er sich in seinem Sessel vor beugte, die Hände auf die Tischplatte legte und sagte: „Wir werden nicht viel Zeit haben, bevor es zum Kampf kommen wird. Darum in Kürze: Der deutsche Träger BISMARCK hat einen Richtstrahl-Funkspruch nach Demios geschickt und um Hilfe ersucht. Wohl in der nicht unberechtigten Annahme, dass wir den Planet genommen haben. In dem Spruch wird berichtet, dass ein Träger der Chigs dort aufgetaucht ist, was Ihnen vermutlich bereits bekannt ist. Was Ihnen nicht bekannt ist: Wir konnten keine Antwort auf den Spruch der Deutschen geben, weil die Chigs, im Gegensatz zu dem ausgehenden Spruch der BISMARCK, einen eingehenden Spruch unsererseits auffangen und abhören könnten. Brigadegeneral Lerach weiß also nicht, dass wir unterwegs sind. Dem zufolge wird Lerach höchstwahrscheinlich eine defensive Taktik verfolgen und versuchen, die BISMARCK und ihre Geleitschiffe, so lange es geht im Ortungsschatten des Planeten 2063-Y zu halten, um im letzten Moment daraus hervor zu preschen, sobald der Chig-Träger in ihre Feuerreichweite kommt. Das zu erwartende Gefecht wird sich also dicht über dem Planeten abspielen.“ James Doraner machte ein nachdenkliches Gesicht. „Nach meinen bisherigen Erfahrungen operieren die Träger der Chigs stets im Verband zu zweit oder zu dritt. Ich befürchte, dass der geortete Chig-Träger nur die Spitze des Eisbergs sein könnte, Sir.“ Ross presste die Lippen zusammen. „Der Gedanke kam mir auch schon, und er gefällt mir ganz und gar nicht, Lieutenant-Colonel. In diesem Fall müssen wir auf die Feuerkraft unserer Kanonenboote und besonders die unserer beiden Schlachtkreuzer, der PERSHING und der SCHWARTZKOPF, vertrauen. Wenn unser Jagdgeschwader die feindlichen Jäger soweit abdrängen kann, dass die Schiffe nahe genug an die Träger heran kommen, dann haben wir eine Chance, sollte sich Ihre Befürchtung bewahrheiten.“ Doraner wusste um die Feuerkraft der beiden 900-Megawatt-Lasergeschütze, die als Hauptbewaffnung gegen feindliche Großkampfschiffe auf jedem dieser 384 Meter langen Schlachtkreuzer der LONDON-KLASSE installiert waren. Dabei handelte es sich um Neukonstruktionen, die erst zur Mitte dieses Jahres Serienreife erlangt hatten. Vielleicht würden sie nun erstmalig im Kampfeinsatz zeigen können, wozu sie in der Lage waren. Der Lieutenant-Colonel sah seinem Vorgesetzten in die Augen, als er sich bei ihm erkundigte: „Wie ist der Einsatzstatus des Bordgeschwaders, Sir. Während der letzten Kämpfe gab es sicherlich Verluste.“ „Das ist richtig“, bestätigte Ross. „Momentan sind gerade einmal einhundertvierundvierzig, von einhundertzweiundneunzig Jägern einsatzbereit. Ich habe die Größe der Staffeln, nach den Kämpfen bei Ixion, erweitert und auf acht Maschinen pro Staffel angehoben. Damit stehen Ihnen insgesamt achtzehn Staffeln zur Verfügung, Lieutenant-Colonel. Inklusive der Sundown Raiders. Zwei weitere Staffeln stelle ich gerade aus dem Rest unserer mehr oder minder angeschlagenen Jäger zusammen. Piloten haben wir dafür. Doch einsatzbereit sind diese Staffeln noch nicht.“ „Wie viele Jäger und Bomber werden die Chigs wohl gegen uns einsetzen, Sir?“ Glen van Ross musterte den neuen CAG verdrießlich und erwiderte rau: „Wir müssen uns mit dem herumschlagen, was da ist. Egal wie viel. Außerdem werden die Jagdverbände der BISMARCK kräftig mitmischen. Ich denke, unsere Chancen stehen nicht schlecht.“ Doraner nickte zustimmend. Mit verändertem Tonfall erklärte Ross: „Da wäre noch etwas zu erledigen, bevor wir in die Schlacht ziehen, Lieutenant-Colonel. „Ich habe vor, zwei meiner erfahrensten Piloten, vor der Besprechung im Großen Briefingraum, zu befördern. Ich werde die Beförderungen vornehmen und ich möchte Sie bitten, mir dabei zur Hand zu gehen. Ihre erste offizielle Handlung als CAG sozusagen. Danach werden Sie die Einsatzbesprechung abhalten und den einzelnen Staffeln ihre Aufgaben zuweisen. Da die Piloten der Wildcards und der Sundown Raiders aktuell ziemlich zusammengewürfelt sind, halten Sie diese beiden Staffeln als Flankenschutz bei unserem Verband.“ „Verstanden Sir“, gab Doraner zurück. „Welche der verbleibenden Staffeln verfügen über die erfahrensten Piloten?“ „Die Vikings und die Killer Bees.“ Doraner machte sich eine Gedankennotiz und erwiderte dann: „Danke, Commodore. Dann werde ich diese beiden Staffeln dazu einsetzen, den Kampf gegen die feindlichen Jagdverbände anzuführen. Mit Ihrer Erlaubnis werde ich mich einer dieser beiden Staffeln anschließen, um den Jägereinsatz anzuführen.“ „Abgelehnt!“, gab Ross ohne zu zögern zurück und ignorierte den unausgesprochenen Widerspruch des Lieutenant-Colonels. „Sie werden zwar dort draußen sein, aber Sie werden sich den Wildcards anschließen. Ich kann es mir nicht leisten, Sie eventuell durch einen dummen Zufall sofort wieder zu verlieren. Das würde die Moral der Truppe massiv untergraben. Ich hoffe, Sie verstehen das, Lieutenant-Colonel Doraner.“ „Natürlich Sir“, schnarrte Doraner, mit einem Tonfall, der ebenso gut zu einem Fahren Sie zur Hölle gepasst hätte. Ross, dem dieser Tonfall nicht entging, lächelte grimmig. „Ich weiß, dass Ihnen dieser letzte Befehl nicht gefällt, Lieutenant-Colonel. Aber ich weigere mich, das Schicksal herauszufordern. Ich brauche Sie länger, als nur für einen Tag.“ Commodore Ross machte Anstalten sich zu erheben und gab Doraner dabei die Gelegenheit, vor ihm aufzustehen. „Das wäre soweit Alles, Mister Doraner. Ach und noch eins. Willkommen an Bord der SARATOGA.“ Ross reichte dem CAG, über den Schreibtisch hinweg, die Hand, und Doraner gab den festen Händedruck seines Vorgesetzten zurück. „Danke, Sir. Wir sehen uns dann um Null-Siebenhundert.“ Ross nickte knapp. „Wegtreten, Lieutenant-Colonel.“ Der Commodore beobachtete den neuen CAG der SARATOGA aufmerksam, als er ging, und er stellte dabei unwillkürlich Vergleiche an, zwischen ihm und seinem Vorgänger Tyrus Cassius McQueen. So unterschiedlich beide Männer auch sein mochten, eines hatten sie gemeinsam: Beide hatten Hummeln im Hintern, wenn es um einen wichtigen Einsatz ging. Bei dieser Feststellung umspielte ein flüchtiges Lächeln die Lippen des sonst zumeist ernsten Kommandeurs des Trägerverbandes. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)