SPACE 2064 - 01 von ulimann644 (Die Grauen Falken) ================================================================================ Kapitel 4: Kameradschaft ------------------------ Das Schlimmste daran, beinahe zu sterben, war jedesmal das Erwachen danach. Als Shane Vansen ihre Augen öffnete, da fühlte sie sich zwar ausgeruht, aber immer noch so, als habe man sie bei vollem Bewusstsein durch den Wolf gedreht. Außerdem spürte sie einen unangenehmen Druck im Kopf, und sie vermutete, dass ihr Erwachen ohne schmerzlindernde Mittel geradezu ein Albtraum gewesen wäre. Mit dem Erwachen kehrten gleichzeitig die Erinnerungen an die letzten Ereignisse zurück, und sorgenvoll wandte sie ihren Kopf zur Seite. Sie entdeckte, im Bett neben sich, Vanessa Damphousse. Am leichten heben und senken ihres Körpers erkannte Vansen, dass die Freundin noch lebte, und sie atmete erleichtert auf. Sie hatten es also beide geschafft, diesem lebensfeindlichen Planeten und den Chigs zu entkommen. Bei diesem Gedanken empfand sie Dankbarkeit gegenüber ihren unbekannten Rettern. Sie stellte die Vermutung an, dass es sich bei dem Landekommando, so wie bei den Piloten der Jäger, die sie auf der Planetenoberfläche deckten, ebenfalls um Deutsche gehandelt hatte. Vielleicht konnte sie sich später bei ihnen bedanken. Im Moment spürte sie nur eine tiefe Erleichterung darüber, noch am Leben zu sein. Das war nicht immer so gewesen. Es hatte, während der letzten Jahre, immer wieder Momente gegeben, in denen sie geglaubt hatte keine Kraft zum Leben mehr zu haben. Lange Zeit hatte sie, nach der Ermordung ihrer Eltern durch einen Trupp Silikanten, ein quälender Albtraum verfolgt. Ein Albtraum, der in unzähligen Varianten immer wiedergekehrt war. Irgendwann, während der letzten sechs Monate, waren diese Albträume weniger geworden bis sie schließlich ganz aufgehört hatten. Möglicherweise lag das an ihrer Nichte Marion. Ihre Schwester, Ann, hatte sie nach ihrer Mutter genannt. Seit die kleine Marion auf der Welt war spürte sie eine besondere Verpflichtung, alles daran zu setzen damit die Terraner nicht gegen die Chigs unterlagen, in diesem Krieg. Damit Marion ohne all die Sorgen und Albträume, die sie selbst verfolgt hatten, in Frieden aufwachsen konnte. Shane Vansen seufzte schwach und schloss für einen Moment lang die Augen. Als sie sich nach einer Weile erneut im Zimmer umsah, da erkannte sie geringfügige Unterschiede zu der Krankenstation der SARATOGA, auf der sie leider auch schon mal gelegen hatte. An einer der Wände hing ein gerahmter Spruch. Ein Vierzeiler, den sie nicht entziffern konnte, da sie diese Sprache nicht beherrschte. Obwohl die einzelnen Nationen der Erde nicht mehr länger gegeneinander, sondern in diesem harten Krieg miteinander kämpften gab es immer noch diese Unterschiede, die die Menschen der Erde noch voneinander trennten. Auch diese Unterschiede würden irgendwann verschwinden, doch das würde vermutlich noch viele Generationen dauern. Aber die ersten Schritte dahin waren gemacht. Bevor Vansen diesen Gedanken vertiefen konnte öffnete sich die Zimmertür und drei Frauen, in Begleitung eines Arztes, traten ein. Zumindest vermutete Vansen, dass es sich bei dem Mann im weißen Kittel um einen Arzt handelte. Die drei Frauen waren uniformiert, wobei jede von ihnen eine andere Art von Uniform trug. Es stand schnell fest für Vansen, dass die hochgewachsene Frau, die in der dunkelblauen Uniform gekleidet war, die ranghöchste von ihnen war. Sie wirkte gleichfalls älter als ihre Begleiterinnen. Mit einem angedeuteten Lächeln trat die Frau an das Fußende des Krankenbettes und sagte, in hart akzentuiertem Englisch: „Ich bin Brigadegeneral Carina Lerach, die Kommandeurin dieses Trägers, der BISMARCK, und seiner beiden Geleitschiffe. Ich begrüße Sie und Ihre Kameradin herzlich an Bord und ich bin froh, dass wir rechtzeitig vor Ort waren um Sie beide zu retten. Im Wesentlichen haben Sie das Major Strogoff zu verdanken, die hier zu meiner Rechten steht. Zu meiner Linken sehen Sie Hauptmann Melanie Oberleitner. Ein Pilot ihrer Staffel war es, der Ihren Notruf empfing.“ Vansen warf den beiden jüngeren Frauen einige Blicke zu, bevor sie sich wieder auf den General konzentrierte. Vansen kannte sich mit den Rangsystemen der verbündeten Truppenteile einigermaßen aus. So wusste sie, dass der Rang der Frau, die mit ihr sprach, dem eines Commodore der NAVY entsprach. „Mein Verband befindet sich, wie auch die Fünfzehnte Flotte, momentan bei Ixion“, fuhr Carina Lerach fort. „Wenn der Arzt an meiner Seite bestätigt, dass Sie und Ihre Kameradin transportfähig sind, dann werden Sie an Bord der SARATOGA gebracht. Bis dahin wünsche ich Ihnen beiden eine schnelle Genesung, und dass Sie sich wohl fühlen, an Bord der BISMARCK. Die Fragen, die Sie sicherlich beschäftigen, werden Major Strogoff und Hauptmann Oberleitner beantworten, nachdem der Arzt Sie untersucht hat.“ Damit traten die drei Frauen in den Hintergrund, während der Arzt nun mit seiner Untersuchung begann. Während dieser Tätigkeit erwachte auch Vanessa Damphousse. Die beiden Pilotinnen ließen die Untersuchung geduldig über sich ergehen. Schließlich wandte sich der Arzt zu Carina Lerach um und meldete ihr: „Dafür, dass beide Frauen extrem dehydriert waren, bin ich mit ihrem jetzigen Zustand hoch zufrieden. Beide besitzen eine robuste Konstitution und befinden sich auf einem guten Weg der Besserung. In vierundzwanzig Stunden werden wir sie zur SARATOGA bringen können; solange möchte ich beide noch hier behalten, General.“ Da der Arzt auf Deutsch gesprochen hatte bekamen Vansen und Damphousse nicht mit worum es ging, und fragend sahen sie zu Carina Lerach. Die Kommandeurin sah beide Frauen an und erklärte: „Der Chefarzt ist zuversichtlich, dass wir Sie, in vierundzwanzig Stunden, zur SARATOGA verlegen können. Ich werde Ihren Kommandeur von Ihrer morgigen Verlegung unterrichten. Sie entschuldigen mich nun, meine Damen, aber die Pflicht kennt kein Erbarmen, wie es so schön heißt.“ Damit wandte sich Brigadegeneral Lerach ab und verließ, gemeinsam mit dem Arzt, den Raum. Dafür traten nun die beiden anderen Frauen vor. Shane Vansen und Vanessa Damphousse erkannten, dass eine von ihnen einen Fliegeroverall trug, während die kleiner gewachsene Frau einen Kampfanzug mit einem feinen Tarnmuster an hatte. Diese kleiner gewachsene Frau deren Narbe im Gesicht auffiel, war es auch, die nun zu ihnen sprach. „Ich bin Major Ernestyna Strogoff. Die Männer und Frauen meines Teams haben Sie beide von dem Planeten geholt und zur BISMARCK gebracht. Ich bin froh, dass wir Sie lebend zurückbringen konnten.“ Shane Vansen nickte schwach. „Ich danke Ihnen und Ihren Leuten, Major. Ich fürchte nur, dass Vanessa… ich meine, dass Lieutenant Damphousse und ich davon nichts mitbekommen haben. War vielleicht nicht das Schlechteste.“ „Ja, diesmal hatten die Chigs uns ganz schön am Kanthaken.“ Ernestyna Strogoff bemerkte die verständnislosen Blicke der beiden Pilotinnen und beeilte sich zu erklären: „Ich meinte, dass die uns ziemlich eingeheizt haben. Zum Glück hatten wir eine gute Luftdeckung, durch die Grauen Falken. Hauptmann Melanie Oberleitner ist die Staffelführerin der Grauen Falken.“ In Vansens Gesicht arbeitete es. Dann sagte sie verstehend: „Die Grauen Falken sind doch identisch mit der siebenundvierzigste Staffel, nicht wahr? Von dieser Einheit habe ich eine Menge gehört, während des Krieges. Diese Staffel genießt einen ähnlich legendären Ruf, wie seinerzeit die Angry Angels – vor deren Vernichtung.“ Ein schiefes Grinsen überflog das hübsche Gesicht der hochgewachsenen, deutschen Jagdpilotin, bevor sie erwiderte: „Bitte warten Sie noch damit, es als Heldenepos zu verfassen, Captain Vansen. Zumindest, bis nach dem Krieg.“ Vansen hob fragend ihre Augenbrauen und beobachtete, wie sich Strogoff und Melanie Oberleitner kurz auf Deutsch unterhielten. Eine irgendwie harte Sprache, bei der man den Eindruck gewann, die Beteiligten würden sich gegenseitig beschimpfen. Schließlich nickte Strogoff, und die Staffelführerin der Grauen Falken ergriff wieder das Wort. „Falls sie sich über meinen ernsten Tonfall eben gewundert haben. Das liegt daran, dass unser momentan gemischter Verband aus einem heftigen Kampf kam, bevor Sie beide wieder zu sich kamen. Die Chigs haben uns von Demios vertrieben. An Bord ihrer Träger hatten sie jeweils einen Stealth-Jäger. Offensichtlich handelte es sich dabei um jenen Typ von Jäger, der uns vor einem halben Jahr einigen Kummer gemacht hat. Einer von denen hat einen Kamikaze-Einsatz gegen einen Ihrer Schlachtkreuzer durchgeführt. Wir konnten nicht verhindern, dass die PERSHING vernichtet wurde. Das Oberkommando rechnet damit, dass die Chigs in der nächsten Zeit noch mehr dieser Jäger zum Einsatz bringen wird.“ Auf den Gesichtern von Vansen und Damphousse lag gleichermaßen ein Zug von Entsetzen, bei den Worten der deutschen Jagdpilotin. Wenn ich richtig informiert wurde, dann sind Sie beide seinerzeit einen Einsatz gegen diesen Stealth-Jäger geflogen.“ Vansen nickte, während Damphousse es dabei beließ die Lippen aufeinander zu pressen. Beiden war der Einsatz noch in unguter Erinnerung. Ernestyna Strogoff mischte sich ein und meinte: „Wir lassen Sie beide jetzt erst einmal wieder in Ruhe. Sie müssen sich ausruhen. In ein paar Stunden wird meine Kameradin sie erneut aufsuchen und Sie auf den aktuellen Stand der Dinge bringen.“ Die beiden Besucherinnen verabschiedeten sich und gingen. Währenddessen ließen die beiden amerikanischen Pilotinnen die Informationen auf sich wirken, die sie von Hauptmann Oberleitner bekommen hatten. Wenn die Chigs wirklich in der Lage sein sollten, diese neuen Stealth-Jäger in Massen zu produzieren, dann konnte sich das Kräfteverhältnis in diesem Krieg extrem zugunsten der Chigs verschieben. Keine der beiden entkräfteten Frauen sagte etwas, nur Vansen gab nach einer Weile ein leises Seufzen von sich. Als Vanessa bereits wieder eingeschlafen war, flüsterte sie unhörbar: „Na, das kann ja heiter werden.“ * * * „Warum fällt dir eigentlich eigentlich nie jemand anderes ein, wenn es um solche Langweiler-Aufträge, wie diesen Krankentransport, geht, Oberleitnerin?“ Hagen Gronau stand im Hangar der BISMARCK vor seinem Cockpit und sah grimmig abwartend in das Gesicht seiner Staffelkameradin. Ein spöttischer Zug lag auf dem Gesicht der blonden Frau, als sie erwiderte: „Willst du mir schon wieder den Tag vermiesen, Freund Hagen?“ Entrüstet stemmte Gronau seine Fäuste in die Hüften. „Wann habe ich dir denn jemals den Tag vermiest, Oberleitnerin?“ „Na, du bist doch aan Preiß - und du bist heute Morgen aufgestanden, oder etwa nicht?“, konterte Melanie Oberleitner trocken und amüsierte sich über den Gesichtsausdruck ihres Kameraden. „Na, klasse“, knurrte Hagen Gronau, gespielt finster. „Jetzt weiß ich Bescheid.“ Melanie zwinkerte ihm spitzbübisch zu, bevor sie ernst wurde und meinte: „Du warst dran, das ist Alles. Also keine langen Diskussionen und ab in dein Cockpit.“ „Jawohl, Frau Hauptmann“, gab Gronau übertrieben zackig zurück, folgte aber schnell der Anweisung seiner Kameradin und kletterte in das Cockpit seiner Jagdmaschine, als sich die Miene der Blondine verfinsterte. Hauptmann Oberleitner sah ihm sinnend nach, bevor sie sich abwandte um ihr eigenes Cockpit aufzusuchen und hinein zu klettern. Ein junger Hangar-Techniker kam hinzu und reichte ihr den Helm. Er half ebenfalls dabei, ihn zu schließen und hob dann seinen Daumen. Melanie Oberleitner erwiderte die Geste, nahm Kontakt mit dem Kommandozentrum auf und gab durch, dass sie alle Checks vorgenommen hatte. Nachdem auch Hagen seine Kontrollen abgeschlossen hatte, gab sie Startbereitschaft durch. Sie sah zur Seite. Die Frauen und Männer der Hangar-Crew verließen eilig das Hangardeck und kaum dass der Bereich abgeschottet, und die Atmosphäre abgesaugt worden war, entriegelten sich die Andockklammern der beiden Cockpits. Beide Cockpits glitten in die Klammern der Kupplungs-Automatik und wurden von dieser in die Jäger eingekoppelt. Die Staffelführerin der Grauen Falken spürte auch diesmal den typischen leichten Ruck, wenn das Cockpit automatisch in der Halterung des Jägers einrastete und die Verbindung mit den Steuerleitungen der Jagdmaschine hergestellt wurde. Einen Moment später waren die Andockklammern bereits wieder eingefahren, und die breiten Hangartore fuhren nach oben und unten in die abgeschrägte Panzerhülle des Trägers ein. Durch die entstandene Öffnung erkannte Melanie Oberleitner die samtene Schwärze des Weltalls mit seinen Myriaden von Sternen. Im nächsten Moment wurde der Jäger ins Weltall katapultiert und die Frau aktivierte die Triebwerke des Jägers. Zu ihrer Rechten tauchte die Maschine ihres Staffelkameraden auf und formierte sich etwas nach Hinten versetzt. Ohne ein gesondertes Kommando an Hagen zu geben steuerte sie ihren Jäger zur flachen Oberseite der BISMARCK, nach Backbord. Dorthin, wo sich die Hangars für die größeren Beiboote des Trägers befanden. Der Truppentransporter stand bereits auf der herauf gefahrenen Hebeplattform des großen Innenhangars. Offensichtlich hatten die Piloten des Transporters nur auf ihr Erscheinen gewartet, denn kaum waren sie auf Höhe des Hangars, da hob er ab und nahm Fahrt auf. Ihr gemeinsames Ziel war die SARATOGA, die momentan an einer anderen Stelle der Umlaufbahn von Ixion kreuzte. Oberleitner und Gronau formierten sich zu beiden Seiten des Transporters und die Staffelführerin der Grauen Falken nahm Funkverbindung zum Transporter auf: „Krankentransport Null-Zwei – hier Silberfalke. Wir haben uns formiert und geleiten Sie zur SARATOGA. Geplante Ankunft in zehn Minuten und dreißig Sekunden. Ende.“ „Hier Krankentransport Null-Zwei: Danke, Silberfalke. Ende und Aus.“ Der Flug verlief ohne Probleme und nach exakt der von Melanie Oberleitner angegebenen Zeitspanne tauchte die SARATOGA vor der kleinen Formation auf. Obwohl dieser Träger annähernd baugleich war, mit der BISMARCK erkannte die Frau dennoch gleich die Unterschiede zu ihrem Mutterschiff. Im Gegensatz zu diesem Träger besaß die BISMARCK zwei Geschütztürme mit insgesamt vier 350-Megawatt-Laserkanonen mehr. Eine Tatsache, die darin begründet lag, dass die BISMARCK zum Projekt-2900 gehörte, und nicht, wie die SARATOGA und alle anderen amerikanischen Träger, zum etwas betagteren Projekt-2800, des AEROTECH-Trusts, der diese Trägerschlachtschiffe produzierte. Als Anführerin der Formation nahm Melanie Oberleitner Kontakt zur SARATOGA auf und meldete ihre Ankunft. Während der Pilot des Transporters wusste, wo sein Landeziel lag, warteten die beiden deutschen Jagdpiloten einen Moment lang, bevor der Landeleitstrahl der SARATOGA aktiviert wurde, und die beiden Maschinen, über die Anzeige ihrer HUD´s, zu einem freien Jägerhangar leitete. Noch während die beiden Jagdmaschinen ihren Landeanflug einleiteten öffnete sich bereits eins der Hangarschotts auf der Steuerbord-Seite des Trägers. Der Einflug und das anschließende Auskoppeln der Jägercockpits funktionierte so reibungslos, wie auf der BISMARCK und als die beiden Cockpits auf dem Hangardeck der SARATOGA einkoppelten, da war beiden Piloten zunächst nicht so, als seien sie nicht auf ihrem eigenen Träger gelandet. Das änderte sich schnell, als sich nach dem erfolgtem Druckausgleich die Cockpits öffneten und die Hangar-Crew herein strömte. Hier fanden die Gespräche der Hangar-Crew, anders als auf der BISMARCK, auf Englisch statt. Zwei der Techniker nahmen ihnen die Helme und das Fluggeschirr ab, und halfen ihnen anschließend beim Aussteigen aus ihren Cockpits. Nachdem sich Melanie Oberleitner bedankt hatte, trat sie zu Hagen und sah sich um. Dabei fiel ihr ein etwas älterer Afroamerikaner auf, der direkt auf sie zu hielt. Sie entdeckte den Stern am Kragen seiner beigefarbenen Uniform und realisierte, dass es sich um den Commodore selbst handelte. Unauffällig stupste sie ihren Kamerad an und raunte: „Wow, der Alte persönlich will uns begrüßen.“ Einen Moment später hatte der Mann, dessen harter Blick den beiden Piloten sofort auffiel, sie beide erreicht. Melanie Oberleitner wusste, dass die Grußregel an Bord der amerikanischen Kriegsschiffe etwas anders gehandhabt wurde, und nachdem sie Haltung angenommen hatte, grüßte sie vorbildlich. Hagen Gronau folgte ihrem Beispiel, während sie meldete: „Hauptmann Melanie Oberleitner und Oberleutnant Hagen Gronau bitten darum, an Bord kommen zu dürfen, Commodore.“ Der Flaggoffizier erwiderte den Gruß und sagte: „Erlaubnis erteilt. Ich bin Commodore Ross und ich begrüße Sie beide herzlich an Bord der SARATOGA. Ihre Kommandeurin berichtete mir, dass Sie beide es waren, die zwei der drei so überraschend aufgetauchten Stealth-Jäger der Chigs abgeschossen haben.“ Melanie Oberleitners Miene wurde übergangslos ernst. „Ja, Commodore. Aber wir konnten leider nicht verhindern, dass die PERSHING vernichtet wurde.“ „Das ist nicht Ihnen anzulasten“, wehrte Ross ab. „Ich bin mir sicher, dass Sie Ihr Bestes gegeben haben, Hauptmann Oberleitner. Ich möchte Sie und Ihren Begleiter noch darüber informieren, dass Sie bis morgen Früh an Bord der SARATOGA bleiben werden, da sich dieser Träger gerade auf dem Weg zur anderen Seite der Umlaufbahn von Ixion befindet. Dorthin, wo der Planet steht. Dort nehmen wir Nachschub auf. Die BISMARCK wird uns dort erst morgen eingeholt haben. Ihre Kommandeurin ist informiert und einverstanden. In der Backbord-Messe werden Sie in etwa einer halben Stunde auf Captain Cooper Hawkes treffen. Momentan begrüßt er seine beiden Kameradinnen, die von Ihrer Einheit gerettet worden sind. Er wird Ihnen zeigen, welches der Gästequartiere Sie benutzen können. Sie beide entschuldigen mich nun.“ „Natürlich, Sir!“ Der Commodore nickte ihnen nochmal zu und entfernte sich. Hagen Gronau sah ihm hinterher und meinte dann: „Okay, dann auf zur Messe, würde ich vorschlagen.“ Melanie Oberleitner erwiderte seinen fragenden Blick. „Du sagst es.“ Gemeinsam machten sie sich auf den Weg. * * * Nach etwas mehr als einer halben Stunde betraten zwei Marines-Piloten die Backbord-Messe der SARATOGA und sahen sich für einen Moment suchend um. Melanie Oberleitner fielen sie in der nur spärlich besuchten Messe auf, und sie gab Hagen Gronau ein Zeichen. „Du, einer dieser Beiden, die gerade hereingekommen sind, könnte vielleicht dieser Captain Hawkes sein, von dem Commodore Ross vorhin geredet hat. Zumindest machen die Zwei den Eindruck, als würden sie wen suchen.“ Hagen Gronau sah über die Schulter zu den beiden Männern, die ebenfalls kurz miteinander sprachen und dann auf ihren Tisch zu steuerten. Melanie Oberleitner entdeckte auf der rechten Brustseite des etwas höher gewachsenen der beiden Captains den Namen Hawkes. Langsam erhob sie sich und schritt auf den Mann zu. Hagen Gronau erhob sich ebenfalls, blieb jedoch dort stehen. Er überließ das Reden in diesem Fall gerne seiner Staffelführerin. Melanie Oberleitner übernahm die Initiative indem sie Hawkes ansprach: „Guten Abend, Captain Hawkes, ich bin Hauptmann Melanie Oberleitner, und das hier neben mir ist mein Staffelkamerad, Oberleutnant Hagen Gronau. Ihr Commodore sagte, Sie würden sich um unsere Unterbringung kümmern.“ Cooper Hawkes musterte die Frau zunächst nur, ohne etwas zu sagen. Dann fiel ihm gerade noch rechtzeitig ein, dass es unhöflich war, eine Frau so lange anzustarren, auch wenn sie so ausgesprochen hübsch war, wie diese deutsche Pilotin. Etwas verlegen erwiderte er: „Äh, ja. Ich bin Captain Cooper Hawkes, und das hier ist mein Kamerad, Nathan West.“ „Angenehm“, richtete West das Wort an die Frau und er wirkte irgendwie amüsiert, als er zuerst ihr und danach Hagen Gronau die Hand reichte. „Ich habe bereits Einiges von den Grauen Falken gehört, während des Krieges.“ „So, wie wir von den Wildcards“, erwiderte die Frau höflich distanziert. „Sie waren es wohl, die während der Schlacht bei Jupiter mit Musik in den Kampf flogen?“ Nathan West grinste jungenhaft. „Ja, aber das hat Coop hier zu verantworten.“ Hagen Gronau trat einen halben Schritt vor. „Und wer von Ihnen beiden hat es zu verantworten, dass Sie zwei Ihrer Kameradinnen, auf einem lebensfeindlichen Planeten, zurückgelassen haben? Ich dachte stets, das wäre bei den Marines unüblich.“ Wut glomm in den Augen von Cooper Hawkes auf und mit einem schnellen Schritt war er heran und legte seine Hand auf die Schulter des Deutschen. Bevor irgendeiner der drei Männer etwas unternehmen konnte, handelte Melanie Oberleitner bereits. Mit überraschend festem Griff ihrer linken Hand packte sie den linken Oberarm des In-Vitro und zerrte ihn halb herum. Cooper Hawkes sah noch zwei wütend funkelnde, blaue Augen und einen Schemen, der auf ihn zu kam. Im nächsten Moment glaubte er, etwas würde in seinem Gesicht explodieren. Mit einem Ächzen ging der hochgewachsene Mann rücklings zu Boden. West, der sich aus seiner Starre löste, wollte auf die Frau zu gehen, doch eine abwehrende Geste und ein warnender Blick ihrerseits hielten ihn davon ab. Gleichzeitig legte sie ihre linke Hand auf die Brust ihres Staffelkameraden und hielt ihn davon ab, sich Cooper Hawkes zu nähern. Dabei sagte sie ruhig, zu West gewandt: „Niemand fasst ungestraft einen Grauen Falken gegen seinen Willen an.“ Auf dem Boden berappelte sich Hawkes langsam. Er schüttelte seinen Kopf und ächzte dabei: „Mann, was für ein Hammer.“ Mehr belustigt, als ernsthaft sauer beugte sich Melanie Oberleitner zu ihm hinunter und reichte ihm ihre Hand. Dabei erklärte sie schmunzelnd: „Ich habe vor dem Krieg Kampfsport betrieben. Geht es Ihnen nicht gut, Captain Hawkes?“ Cooper Hawkes erfuhr in diesem Moment eine Art von Deja vú. Es war während der Ausbildung auf dem Mars gewesen. Damals war er mit West aneinander geraten, und nachdem West ihn niedergeschlagen hatte war es Mike „Pags“ Pagodin gewesen, der ihm seine Hand gereicht hatte. Er war der erste Mensch gewesen, den Hawkes als Freund angesehen hatte. Pags starb wenig später, durch die Waffe eines Chig. Gleichzeitig kochte in diesem Moment etwas von seinem früheren Misstrauen gegen alle normal geborenen Menschen, außerhalb seiner Einheit, wieder in ihm hoch. Darum zögerte Hawkes die Hand der Frau zu ergreifen und sagte stattdessen schroff: „Nur damit Sie Bescheid wissen, Miss Oberleitner. Ich bin ein Tank.“ Die Frau runzelte die Stirn, ohne ihre Hand zurück zu ziehen. „Ich finde, Sie sollten nicht ein derart menschenverachtendes Wort für sich verwenden, Captain Hawkes. Wir sind Fliegerkameraden, die gegen denselben Feind kämpfen.“ Mit diesen Worten reichte sie etwas weiter nach unten und forderte mit fester Stimme: „Und jetzt schwingen Sie gefälligst wieder Ihren Arsch nach oben.“ Erneut verdutzt ergriff Hawkes die Hand der Frau, die ihn mit erstaunlich großer Kraft nach oben zog. Die Frau zwinkerte ihm verschmitzt zu und erkundigte sich dann scheinheilig: „Alles noch dran, Captain Hawkes?“ „Ja, so ziemlich“, gab Hawkes knurrig zurück. „Eine Art haben Sie…“ „Nichts für Ungut, Captain Hawkes.“ Damit wandte sie sich zu West und meinte: „Wenn Sie und Ihr etwas knurriger Kamerad und Sie uns jetzt das Gästequartier zeigen würden, wären wir Ihnen sehr verbunden.“ Mit einem sanften Lächeln wandte sie sich zu Hawkes um. „Und damit Sie, Captain Hawkes, nicht länger so sauer in der Gegend herumlaufen lade ich Sie beide zu einem Drink im Casino der SARATOGA ein. Dieser Träger besitzt doch ein Casino?“ West grinste belustigt. „Natürlich besitzt die SARATOGA ein Casino. Folgen Sie beide mir.“ Dabei warf er Hawkes einen auffordernden Blick zu. Noch immer etwas brummig stapfte Cooper Hawkes an den beiden deutschen Piloten vorbei und ging ein paar Schritte voraus. Ein Blick von Melanie veranlasste Hagen Gronau zu dem In-Vitro aufzuschließen, während sie selbst sich an Nathan West wandte. „Sagen Sie, ist ihr Kamerad immer so düster drauf, oder hebt er sich das für ganz besondere Momente auf?“ West wies mit einer Geste nach vorne. „Coop ist schon in Ordnung, Hauptmann. Aber als In-Vitro lebt er erst seit sieben Jahren, und dementsprechend rudimentär sind seine sozialen Kompetenzen ausgebildet. Dasselbe gilt für seinen Umgang mit Frauen, da ihm fast vollständig jene Erfahrungen fehlen, die für Sie und mich selbstverständlich sind.“ „Ja, natürlich“, erwiderte die Frau nachdenklich. „Daran hatte ich nicht gedacht.“ Melanie Oberleitner bemerkte den bittenden Blick des Hageren und sie fügte rasch hinzu: „Ich verspreche Ihnen, dass ich dieses Thema, Ihrem Kameraden gegenüber, nicht weiter vertiefen werde.“ West nickte erleichtert. „Kommen Sie, ich bin neugierig darauf, zu erfahren, wie Sie und Ihre Kameraden, Shane und Vanessa von dem Planeten gerettet haben.“ * * * Die ersten Stunden im Casino verbrachten die vier Flieger an einem der Tische, wobei sich Melanie Oberleitner und Hagen Gronau dabei abwechselten zu berichten, wie sie auf Vansen und Damphousse aufmerksam geworden waren. Anschließend tauschten sie sich gegenseitig aus, wie sie die Raumschlacht erlebt hatten. Zwischenzeitlich hatte sich Hagen Gronau dabei für seine etwas provokante Bemerkung bei Hawkes und West entschuldigt, und sie waren, beim zweiten Bier das sie miteinander tranken, zum Du übergegangen. Der deutsche Oberleutnant nahm schließlich einen Schluck von seinem Bier und erklärte bezüglich der Rettungsaktion: „Dass wir überhaupt in dieses System einflogen, war reiner Zufall, und der Tatsache geschuldet, dass die BISMARCK ziemlich beschädigt wurde, während der Schlacht bei Ixion. Und nun sind wir wieder in diesem verdammten System.“ „Ja, im Krieg sollten Soldaten nicht allzu kritisch denken“, lachte West. „Denn sonst könnten sie am Ende noch auf die vollkommen irrsinnige Idee kommen, dass ihre Vorgesetzten absolut keinen Plan davon haben, was sie eigentlich tun. Ein Gedanke, der mir übrigens gar nicht gefällt.“ Hagen Gronau hob sein Glas und meinte: „Du bist ein Zyniker, Nathan.“ West grinste schief. „Ja, kann schon sein.“ Sie prosteten sich alle Vier zu und tranken ihr Glas aus. Dabei warf Melanie einen langen Blick zu dem Kicker-Tisch, der eben frei wurde. „Spielen wir eine Partie? Aber ich sage es lieber gleich, ich spiele grottenschlecht.“ Hawkes stimmte begeistert zu und Hagen Gronau wollte es ihm bereits nach tun, als ihn der Stiefel von West heftig gegen das Schienbein traf. Noch während der Deutsche West verständnislos ansah, erklärte dieser: „Ich kann dieses Spiel absolut nicht leiden, spielt ihr zwei Kicker-Fans lieber allein.“ Hagen wusste zwar immer noch nicht genau, worum es ging, doch er verzichtete ebenfalls. Erst als sich Melanie und Hawkes entfernten fragte er: „Was, zur Hölle, ist denn mit dir los, Nathan?“ West lachte unterdrückt: „Das fragst du nur, weil du Coop nie hast spielen sehen. Ich sage dir, das willst du nicht am eigenen Leib erleben. Kommst du mit zur Bar? Von da aus können wir uns das sich anbahnende Fiasko viel besser ansehen. Denn das wird es zweifellos wenn das, was Melanie eben über ihr Spiel sagte, stimmt.“ „Klingt geradezu erschreckend“, antwortete Hagen zustimmend und folgte West hinüber zur Bar. Cooper Hawkes, der von der Absage seines Kameraden etwas irritiert war, warf einen Blick über die Schulter, hinüber zu ihm und Gronau. Doch auch der hochgehobene Daumen des Freundes brachte für ihn kein Licht in dessen seltsames Verhalten. Nathan liebte das Kicker-Spiel, und nun behauptete er, dass er es nicht mochte. Sehr seltsam. Inzwischen hatte sich Melanie Oberleitner zur anderen Seite des Tisches begeben, dorthin von wo aus die Bälle ins Spiel befördert wurden. Sie deutete auf die Figuren, die aussahen wie Marines und Chigs, und meinte: „Um es mal mit deutlichen Worten zu sagen: Als Frau, die einer großen Fußballnation entspringt, finde ich das irgendwie schräg.“ Hawkes grinste breit. „Das ist Marines-Humor. Wirf lieber den Ball rein.“ Melanie griff sich eine der elf roten Kugeln und beförderte sie durch das Einwurfloch des Kickertisches. Im nächsten Moment konzentrierte sie sich auf das Spiel und sie versuchte, ebenso wie ihr Gegenüber, den Ball mit einer der Figuren zu treffen. Seelenruhig kullerte der Ball zwischen den Figuren hindurch, tickte an der gegenüber liegenden Bande an und rollte ein Stück zurück, bevor Melanie ihn schließlich, mit einer ihrer blauen Marines-Figuren erwischte. Der Ball prallte jedoch von einer der grauen Chig-Figuren ab und Cooper Hawkes drosch ihn in die entgegengesetzte Richtung. Mit etwa demselben Erfolg, wie zuvor die blonde Frau, ihm gegenüber. An der Bar wandte sich Hagen Gronau, erschüttert von dem Spiel, zu West. „Das ist schlimmer, als es deine Worte haben befürchten lassen.“ „Ich habe es dir prophezeit“, lachte West. „Und es wird eher schlimmer, als besser, darauf gebe ich dir mein Wort. Also tu dir das nicht länger an und verrate mir endlich, wie ihr diesen neuen Stealth-Jägern entkommen seid.“ Hagen Gronau nahm einen Schluck von seinem dritten Bier an diesem Abend und meinte: „Diese Jäger waren brandgefährlich, aber ich hatte den Eindruck, dass die Piloten wohl weniger intensiv an diesen neuen Jäger gewöhnt waren, als Chiggy von Richthofen. Versteh mich nicht falsch, die konnten was, aber als besonders herausragend hätte ich ihr fliegerisches Können nicht bezeichnet.“ „Vielleicht liegt es an der Art, wie sie mit ihren Raumschiffen in Verbindung stehen“, orakelte West in Gedanken. Hagen Gronau wurde hellhörig und erkundigte sich, plötzlich sehr aufmerksam: „Hey, wie meinst du das? In Verbindung stehen? Das hört sich seltsam an.“ West machte ein entschuldigendes Gesicht. „Ich hatte kurz vergessen, dass du nicht auf der SARATOGA stationiert bist. Nun, wir hatten mal einen ihrer Bomber hier an Bord, den wir als Trojanisches Pferd eingesetzt haben. Na ja, mit eher mäßigem Erfolg. Dabei haben wir herausgefunden, dass die Steuerung des Bombers biotechnischer Natur ist. Man hat dabei seine Arme in eine Art Körperöffnung geschoben um an die Kontrollorgane zu gelangen, wobei dem Wort hier eine ganz neue Bedeutung zukommt.“ „Hört sich ekelig an“, gab Gronau zurück und schüttelte sich. „Du meinst also, dass man diese Raumschiffe mehr intuitiv steuert, als es bei unseren Raumschiffen der Fall ist?“ West nickte. „Ja, es hatte den Anschein. Wenn das stimmt, dann hatten die Piloten der Stealth-Jäger, auf die wir kürzlich gestoßen sind, vielleicht keine so intensive Eingewöhnungszeit, wie Chiggy von Richthofen. Oder eine weniger lange.“ „Hm...“, machte Gronau. „Vielleicht sind wir nur deshalb auf lediglich drei dieser Jäger gestoßen. Vielleicht haben sie bereits sehr viel mehr und sie wollten herausfinden, ob die Piloten bereits dazu bereit sind, mit diesen Jägern ins Feld geschickt zu werden.“ „Mal den Teufel nicht an die Wand“, erwiderte West und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas. „Auf jeden Fall müssen sich unsere Ingenieure bald etwas einfallen lassen, damit wir mit diesen neuen Jägern mithalten können.“ Hagen hob zustimmend sein Glas, nahm einen Schluck und sah, so wie West, wieder hinüber zum Kickertisch. Dort nahm das Trauerspiel seinen Lauf. Mit seltsam anmutenden Verrenkungen flogen die Hände von Melanie Oberleitner und Hawkes zu den Griffen der Stangen, drehten hektisch daran und ließen sie wieder los. Dabei versuchten beide, den Weg des jeweils im Spiel befindlichen Balles zu folgen. Als Melanie ihr erstes Tor schoss riss sie die Arme in die Luft und lachte. Der Hinweis des In-Vitros, dass sie immer noch mit Vier zu Eins hinten lag, veranlasste sie dazu grimmig zu erwidern: „Jetzt beginnt die Aufholjagd!“ Es dauerte zwar eine halbe Ewigkeit, doch sie erzielte tatsächlich vier Tore hintereinander und wütend trat Hawkes gegen den Tisch. „Das letzte Tor war Abseits!“ Die Augen der blonden Frau weiteten sich. „Abseits? Der war gut!“ Wirf endlich den nächsten, verdammten Ball ein!“ „Da kommt er!“, lachte Melanie, mehr über die Reaktion ihres Gegenübers, als über das eigentliche Spiel. Dabei musste sie an die Worte von Nathan West denken. Im Moment verhielt sich Cooper Hawkes nämlich tatsächlich wie ein Siebenjähriger. Dieser Wechsel, von einem Erwachsenen, der jeden Tag lebensgefährliche Einsätze im Krieg absolvierte, hin zu einem großen, verärgerten Kind verwirrte sie. Hawkes nutzte ihre momentane Abwesenheit und schoss ein weiteres Tor. „Da hast du es. Ich liege in Führung und gewinne dieses Spiel!“ „Abwarten“, knurrte Melanie Oberleitner gespielt finster und warf den nächsten Ball ein, um den ein ebenso wilder Kampf entbrannte, wie um alle anderen zuvor. Mit einem Glücksschuss beförderte Melanie ihn von der Mitte aus, zwischen Freund und Feind hindurch, krachend in das Tor des Gegners. „Ha, Ausgleich!“, lachte die Blondine und hielt den letzten Ball hoch. „Jetzt geht es um die Wurst, Coop.“ „Wirf den Ball rein und achte darauf, wie ich den in deinem Tor versenke!“, konterte Hawkes giftig und sah Melanie herausfordernd an. „Träum weiter“, reizte die Frau ihn und gab den letzten Ball frei. Fast fünf Minuten lang kämpften beide verbissen um diesen letzten Ball, und zwei weibliche Marines, die nach ihnen spielen wollten sahen ihnen dabei ungeduldig zu. Hawkes erwischte den Ball mit einem satten Schuss einer seiner Figuren und der Ball flog blitzartig auf das Tor seiner Gegnerin zu, wobei er etwas vom Belag des Tisches abhob. Geistesgegenwärtig bewegte Melanie Oberleitner ihren Torwart an die richtige Stelle und erwischte den Ball im Flug. Die beiden weiblichen Marines duckten sich. Gerade rechtzeitig, damit ihnen der Ball, der nach schräg oben in den Raum jagte, nicht an den Kopf flog. Melanie riss den Kopf herum und verfolgte mit zusammengekniffenen Augenlidern, wie der Ball mit einem satten Plutsch in einem Bierglas der Anwesenden landete. „Autsch!“, entfuhr es ihr, und entschuldigend lächelnd rief sie den beiden Marines an dem Tisch zu: „Entschuldigung! Mein Fehler!“ Zögerlich begab sich Melanie Oberleitner zu dem Betroffenen um sich bei ihm nochmal zu entschuldigen. Dabei sagte sie: „Wenn Sie nichts dagegen haben, dann würde ich gerne den Ball zurück haben.“ Der Marine nahm grimmig sein Glas vom Tisch und goss den Inhalt, inklusive des Balls, in ihre ausgestreckte Hand. „Da!“ Melanie Oberleitner sah etwas ratlos auf den Ball in ihrer vom Bier nassen Hand. Dann schnitt sie dem Mann eine Grimasse und zischte: „Vielen Dank.“ Zurück am Kickertisch sah sie in die feixende Miene des In-Vitro. Mit einer schnellen Handbewegung warf sie ihm den Ball an den Kopf und meinte: „Das war zur Hälfte deine Schuld, also sollst du auch was davon haben.“ Für einen Augenblick sahen sie sich über den Tisch hinweg an. Dann entspannte sich ihre Haltung und fast gleichzeitig begannen sie schallend zu lachen. Eine der beiden weiblichen Marines unterbrach sie: „Spielen Sie beide noch?“ Melanie schüttelte den Kopf. „Nein, dieses Spiel endet unentschieden.“ Achtlos den nassen Ball auf dem Kickertisch liegen lassend umrundete sie den Tisch und Hawkes meinte auffordernd zu ihr: „Ich könnte jetzt selbst ein Bier vertragen.“ Auf dem Weg zur Bar erwiderte die Frau ironisch: „Nach diesem Katastrophenspiel brauche ich eher fünf.“ Hawkes sah Melanie Oberleitner etwas überrascht an, als sie ihn, etwas abseits ihrer Kameraden auf einen der Barhocker dirigierte. Dabei erklärte sie: „Hagen und Nathan unterhalten sich gerade großartig, wie es scheint. Da stören wir besser nicht.“ Hawkes nickte nur und setzte sich. Dabei musterte er Melanie aufmerksam. Als sie sich neben ihn gesetzt hatte, fragte er, mit einer umfassenden Geste: „Bist du auch auf deinem eigenen Trägerschiff so zugeknöpft?“ Melanie sah sich im Casino um und stellte fest, dass sie wirklich die Einzige war, die sich hier in tadellos sitzender Fliegermontur aufhielt, während der Rest relativ leger gekleidet war. Selbst Hagen war mittlerweile aus dem Oberteil seines Overalls geschlüpft und hatte die Ärmel vor dem Bauch verknotet. Den teils fragenden, teils herausfordernden, Blick des In-Vitros erwidernd, zog Melanie Oberleitner, aufreizend langsam, den Reißverschluss ihrer Montur immer tiefer, bis unter den Bauchnabel. Mit fließenden Bewegungen schälte sie sich aus den Ärmeln und verknotete sie schließlich, so wie Hagen, vor ihrem Bauch. Unter ihrem schwarzen, kurzärmligen T-Shirt malten sich, vor Cooper Hawkes Augen, die straffen Brüste der Frau ab. Mit einem angedeuteten Lächeln nahm sie ihre Hände hinter den Kopf und bog, für einige Augenblicke, den Rücken leicht durch. Irgendwo im Casino, in dem es verdächtig ruhig geworden war, zerschellte klirrend ein Glas am Boden, während die Deutsche ihre Hände wieder herunter nahm. Dabei fragte sie Hawkes, mit unschuldigem Augenaufschlag: „Ist es so besser, Coop?“ Hawkes schluckte und erwiderte kratzig: „Viel besser.“ Fragend beobachtete Melanie den In-Vitro und erkundigte sich schließlich amüsiert: „Also, was ist nun? Trinken wir ein Bier, oder was?“ „Äh… ja klar!“ Hawkes winkte die Ordonanz heran und bestellte für Melanie und sich zwei Bier, wobei ihm die Ordonanz verschwörerisch zu zwinkerte. Was nicht gerade dazu beitrug, seine momentane Aufgewühltheit einzudämmen. Nachdem sie ihr Bier bekommen hatten prosteten sie sich zu und nahmen beide einen tiefen Zug. Als sie die Gläser auf dem Tresen abstellten fragte Melanie, wobei sie ihr nackenlanges Haar mit einer anmutigen Kopfbewegung zurückwarf: „Hast du eigentlich eine feste Freundin, Coop, oder bist du noch zu haben?“ „Diese Frage brachte Hawkes erneut aus dem Konzept. Er nahm einen weiteren großen Schluck Bier und antwortete schließlich: „Ich hatte noch nie eine feste Freundin. Nun ja, da gab es eine Frau auf der BACCHUS-Station. Aber da ist nichts gelaufen. Der Dienst lässt auch nicht viel Zeit dazu, jemanden kennenzulernen.“ Melanie Oberleitner seufzte schwach. „Ja, das ist leider wahr.“ Hawkes sah sie bei diesen Worten überrascht an. „Du meinst, dass du ebenfalls Single bist? Eine so hübsche Frau, wie du?“ Ein verlegenes Lächeln überflog die Lippen der jungen Frau und mit einer sanften Geste legte sie kurz ihre Hand auf den Unterarm ihres Gegenübers. „Das war ein sehr nettes Kompliment, Coop. Na ja, Hagen hatte es, vor einiger Zeit, mal heftig erwischt, was mich betrifft, doch er ist nicht mein Typ.“ Hawkes, der die Anspielung nicht mitbekam, fragte neugierig: „Und welcher Typ Mann wäre dein Typ.“ Das sanfte Lächeln der Blondine vertiefte sich wobei ihre Hand am Arm ihres Gegenübers hinunter glitt, bis sie seine Hand berührte. Die Hand des Mannes fest drückend raunte sie ihm leise zu: „Reicht das, als Antwort?“ Langsam ging Hawkes ein Licht auf, auch wenn er es noch immer nicht glauben wollte. Darum erwiderte er: „Nein, ich fürchte das war nicht deutlich genug.“ Sich etwas zu ihm beugend raunte die junge Frau zurück: „Dann werde ich es dir etwas besser erklären, aber nicht hier, wenn du verstehst. Warte einen Moment, ich muss nur ein paar Worte mit Hagen wechseln.“ Cooper Hawkes beobachtete Melanie Oberleitner dabei, wie sie zu West und Gronau hinüber ging, etwas zu den beiden Männern sagte und Hagen Gronau schließlich einen derben Schlag auf die Schulter gab. Als sie zu ihm zurückkehrte sagte sie leise: „Hagen wird heute Nacht im Quartier der Wildcards übernachten. Wir sind also ungestört im Gästequartier.“ Sie reichte Hawkes ihre Hand. Wie in Trance ergriff der In-Vitro sie und folgte Melanie Oberleitner willig aus dem Casino. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)