Majora's Mask von Labrynna ================================================================================ Kapitel 1: Maskenkobold ----------------------- Nachdem Zelda die beiden Abenteurer in ihre Kindheit zurückgeschickt hatte, hatten Link und Navi beschlossen, sich aufzuteilen. Link hatte sich zunächst zu Schloss Hyrule begeben, wo er die hylianische Thronerbin getroffen und sie auf die vor ihnen liegenden Gefahren vorbereitet hatte. Anschließend war er zu den Goronen weitergezogen, um ein weiteres Mal Dodongos-Höhle von den gefährlichen, Goronen-fressenden Reptilien zu säubern und so die Hungersnot der felsenessenden Gesteinswesen erneut zu beenden. Wie erwartet hatte der Junge sich dieses Mal, wo er wusste, was auf ihn zukam und er über deutlich mehr Kampferfahrung verfügte, wesentlich geschickter angestellt als zuvor und war abgesehen von einigen oberflächlichen Kratzern unbeschadet aus der Höhle wieder herausgekommen. Darunia hatte ihn erneut zum Bruder der Goronen ernannt und mit Reichtümern überschütten wollen, aber Link hatte dankend abgelehnt. Er wollte nichts außer der Gewissheit, dass es seinen Freunden gut ging. Navi war unterdessen zu den Zoras aufgebrochen, um sie vor Ganondorf, der in Bälde Lord Jabu-Jabu, den Schutzpatron der Fischwesen, verfluchen würde, zu warnen und vor allem Prinzessin Ruto von dem weißen Wal fernzuhalten, damit dieser sie nicht verschluckte. Doch als Link nach der Säuberung von Dodongos-Höhle in Zoras Reich angekommen war, hatte dort dieselbe hektische Aufregung geherrscht wie zuvor. Zunächst hatte der Recke sich keinen Reim darauf machen können, doch dann hatte er begriffen, dass alles beim Alten gewesen war: Prinzessin Ruto war verschwuden! Nachdem Link sie ein weiteres Mal aus dem Inneren von Lord Jabu-Jabu befreit hatte – dieses Mal hatte er gut Acht gegeben, sich nicht wieder versehentlich mit dem Zora-Mädchen zu verloben – hatte der Junge sich mit wachsender Sorge und Angst unter den Fischwesen umgehört, ob sie seine Fee gesehen hatten. Doch niemand konnte ihm sagen, wo Navi sein könnte… Link erinnerte sich, wie er mit Mia, einer Leibdienerin König Zoras, auf dem Steinpfad vor dem Wasserfall, der unbefugten den Zugang zu Zoras Reich versperrte, gesessen und sie gefragt hatte: „Und du hast Navi wirklich nicht gesehen? Sie ist etwa so…“, er hatte Daumen und Zeigefinger soweit gespreizt wie er konnte, „… groß, hat langes, goldenes Haar, dunkelgrüne Augen und das Mundwerk eines Bauarbeiters.“ In Mias Augen hatte sich ein dunkler Schatten des Bedauerns breit gemacht, als sie erneut verneinen musste. Link hatte sie bestimmt schon zehnmal nach seiner Fee gefragt, aber egal wie sehr sich die Zora-Frau auch bemühte, sie konnte sich nicht daran erinnern, Navi gesehen zu haben. Schließlich war Link zu dem Schluss gekommen, dass seine Freundin nie bei den Zora angekommen war. Doch was mochte sie abgehalten haben? Und – noch viel wichtiger – wo war sie jetzt? In der Hoffnung, etwas über den Verbleib seiner Fee in Erfahrung zu bringen, hatte der Junge sich anschließend in das nahegelegene Kakariko und sogar auf die Lon-Lon-Farm begeben, aber auch dort hatte niemand Navi gesehen. Das einzig Positive an diesen Abstechern war der Umstand, dass Link seit seinem Besuch auf der Farm nicht mehr zu Fuß gehen musste. Als er Epona, mit der er in der Zukunft viel Zeit verbracht hatte und die ihm in so manch brenzliger Situation aus der Patsche geholfen hatte, gesehen hatte, hatte der Junge ohne nachzudenken geseufzt: „Ich wünschte, ich könnte sie mitnehmen…“ Zu seiner großen Überraschung waren Talon und Malon damit tatsächlich einverstanden gewesen, obwohl die Stute noch nicht einmal ausgewachsen war. Anschließend war Link in sein Heimatdorf im Kokiri-Wald zurückgekehrt. Es war der letzte Ort gewesen, von dem er sich hatte vorstellen können, dass man dort etwas über den Verbleib seiner Fee wissen könnte. Vielleicht hatte sich ja aus ihm unbekannten Gründen nachhause zurückkehren müssen. Doch auch hier war Link lediglich auf ratlose Gesichter gestoßen… Aus Verzweiflung und Ratlosigkeit hatte Link sich dazu entschlossen, für einige Tage im Kokiri-Dorf zu bleiben, obwohl er sich mehr als unwohl dabei gefühlt hatte. Zwar hatte er sich darüber gefreut, ein wenig Zeit mit Salia, seiner besten Freundin, verbringen zu können, bevor er Hyrule für sehr lange Zeit verließ, aber auf der anderen Seite hatte ihn die permanente Angst gequält, Ganondorf könnte auf der Suche nach ihm in den Kokiri-Wald einfallen. Zudem hatte er sich nun, da er wusste, dass er kein Kokiri, sondern Hylianer war, noch unglücklicher und deplatzierter in seinem Heimatdorf gefühlt als zuvor. Am Abend des dritten Tages war plötzlich Salia in seinen Wohnbaum geplatzt. Ihre alabasterfarbenen Wangen waren mit roten Flecken überzogen gewesen und ihre Augen hatten gefunkelt wie ein Sternenmeer. „Ich glaube, wir haben eine Spur von Navi!“, hatte sie gerufen, bevor Link sich hatte erkundigen können, was sie von ihm wollte. „Wo ist sie?!“ Der Junge war derart schnell aufgesprungen, dass der Stuhl, auf dem er gesessen hatte, um einen Riss in einer seiner grünen Tuniken zu nähen, hintenüber gekippt und mit einem dumpfen Knall zu Boden gefallen war. „Wir wissen es nicht genau“, hatte Salia sich sogleich bemüht seine womöglich unbegründete Hoffnung zu dämpfen. Dann hatte sie ihm erzählt, dass Tia, ihre Fee, das Gerücht aufgeschnappt hatte, in dem Feenbrunnen in den Verlorenen Wäldern sei eine neue Fee aufgetaucht, die angeblich aus einer Feenquelle nahe des Zora-Flusses stammte und von einem Überfall berichtet hatte, der in etwa zu der Zeit stattgefunden haben musste, als Navi verschwunden war. Ohne ein einziges Wort zu entgegnen, hatte Link sich an Salia vorbei aus der Tür gedrückt und war in die das Kokiri-Wald umschließenden Verlorenen Wälder gerannt. Selbst, als seine Lunge dermaßen gebrannt hatte, dass er geglaubt hatte, sie müsste platzen, hatte der Junge seine Schritte nicht verlangsamt. Am Feenbrunnen angekommen, hatte er sofort nach Hira, eine der Anführerinnen des hier ansässigen Feenstamms gesucht. Da er in der Zukunft bereits einmal diese Feenquelle besucht hatte, wusste er, dass Hira trotz ihrer Skepzis Hylianern und Kokiri gegenüber aufgeschlossen genug war, um sich sein Anliegen anzuhören. Zu Links großer Überraschung hatte er sich jedoch nicht rechtfertigen müssen. Kurz nachdem er die Quelle betreten hatte, war plötzlich Tia, die von Salia hinter ihm hergeschickt worden war, neben ihm aufgetaucht und hatte sich dafür verbürgt, dass dem Jungen zu trauen war. Dennoch hatte ihn die zugewanderte Fee mit ängstlichen Blicken gemustert, bevor sie stockend berichtet hatte: „Es… Es war an einem Nachmittag vor fast zwei Wochen. Ich erinnere mich noch, dass die Sonne geschienen hat und einige meiner Freundinnen überlegt haben, ob sie das Erdloch, in dem sich unser Brunnen befand, verlassen sollten, um am Zora-Fluss ein Sonnenbad zu nehmen. Es war ein wirklich wunderschöner Tag… Aber dann tauchte plötzlich ein Mann in unserer Quelle auf. Zuerst dachte ich, es wäre dieser widerwärtige Zauberladenbesitzer aus Hyrule-Stadt. Ich hatte ihn schon häufiger in der Nähe unseres Brunnens herumlungern sehen und glaubte, nun wäre es ihm schlussendlich doch noch gelungen, unser Zuhause zu finden. Bei genauerem Hinsehen habe ich jedoch feststellen müssen, dass es nicht der Betreiber des Zauberladens war. Erst war ich darüber erleichtert, aber heute wünschte ich, er wäre es gewesen… Denn obwohl er schon seit Jahren versucht hatte, Feen aus unserer Quelle zu fangen, hatte er sich dabei nie besonders geschickt angestellt. Dieser Fremde jedoch… Er kam mit einem Schmetterlingsnetz und bewegte sich unglaublich schnell. Kaum eine von uns ist ihm entkommen… Es war nur Glück, dass ich an seinem Netz vorbei nach draußen schlüpfen konnte. Dort habe ich mich hinter einem Busch versteckt, weil ich vor Schreck so schwach war, dass meine Flügel mich nicht mehr trugen. Als der Fremde schließlich auf sein Pferd gestiegen ist, habe ich an seinem Gürtel eine Flasche mit einer Fee bemerkt, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, was mich überrascht hat – meines Wissens nach gibt es in der Nähe unserer Quelle keinen anderen Feenbrunnen. Außerdem war es keine Feenweise und damit für den Verkauf völlig unbrauchbar.“ Bei diesen Worten war ein Stromstoß durch Links Körper geschossen und er hatte sich bis in die Haarspitzen angespannt vorgelehnt: „Hatte diese Fee langes, goldenes Haar und dunkelgrüne Augen?“ Sein Gegenüber hatte zögerlich genickt, woraufhin Link am liebsten laut gejubelt hätte, obwohl Angst ein Stahlband um sein Herz gelegt und langsam zugezogen hatte. Endlich hatte er eine Spur entdeckt! „Weißt du, wohin er geritten ist?“ Link war drauf und dran gewesen, die Antwort aus der armen Fee herauszuschütteln, als diese in nachdenkliches Schweigen verfallen war. Doch dann hatte sie endlich mit kraus gezogener Stirn geantwortet: „Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, er ist nach Süden geritten. Vermutlich wollte er in das Land jenseits der Berge, um seine Beute dort zu verkaufen.“ Daraufhin war Link aufgesprungen und ohne ein Wort des Dankes aus dem Brunnen heraus gehastet. Zurück im Kokiri-Dorf hatte er sämtliche Essensvorräte und Kleidung, die er auf die Schnelle hatte finden können, in seinen Wunderbeutel gestopft und war auf Eponas Rücken aus den Wäldern galoppiert. In seiner Hast hatte er sogar vergessen, sich von Salia zu verabschieden. Seitdem war bereits eine gute Woche vergangen, in der er nur dann kurze Pausen gemacht hatte, wann immer Epona zu erschöpft gewesen war. Inzwischen war sein Po wundgescheuert und sein Rücken war derart verspannt, dass er so hart wie Holz war. Trotzdem trieb Link sich und sein Pferd in der stetigen Hoffnung, den Fremden doch noch einzuholen, weiterhin unbarmherzig an. Was der Unbekannte wohl mit Navi vorhatte? Die geflohene Fee hatte Recht gehabt, als sie angemerkt hatte, eine normale Fee sei für den Verkauf ungeeignet. Nur die magiebegabten Weisen konnten Verletzungen heilen oder Zaubertränke verstärken. Ob der Fremde den Unterschied nicht erkannt hatte? Link glaubte nicht wirklich an diese Theorie. Die Beschreibung, die er von dem Feenfänger erhalten hatte, klang nach einem Profi. So jemand musste Feenweise und normale Feen auseinanderhalten können. Warum hatte der Unbekannte Navi gefangen? Und viel wichtiger: Wohin hatte er sie gebracht? Link wurde unsanft aus seinen Grübeleien gerissen, als Epona plötzlich ein erschrockenes Wiehern ausstieß und sich aufbäumte. Da er sich nicht besonders gut festgehalten hatte, wurde Link bei der unerwarteten Bewegung vom Rücken der Stute geworfen und schlug unsanft auf dem Boden auf. Mit dem Kopf knallte der Junge auf die Wurzel eines in der Nähe stehenden Baumes und sogleich begann die Welt vor seinen Augen sich zu schnell zu drehen und von den Rändern ausgehend schwarz zu werden. Das Letzte, was Link sah, bevor Ohnmacht ihn überwältigte, war ein kleines geflügeltes Mädchen mit langem, gewelltem Haar, das goldgelb schimmerte und vor ihm in der Luft schwebte. Navi…? Während Link vollkommen regungslos unter der stämmigen Eiche lag und Epona nervös auf der Stelle tänzelte, gesellte sich eine zweite Fee zu der zuerst aufgetauchten. Der geflügelte Junge hatte halblanges, zerzaustes Haar und fast schwarze Augen, die Link skeptisch musterten. Das Auffälligste an ihm war jedoch der brombeerfarbene Schimmer seines Feenglanzes. „Sieht so aus als wäre er völlig weggetreten“, stellte der Feenjunge fest und warf einen Seitenblick auf das geflügelte Mädchen neben ihm, das mit einem grimmigen Zug um die Lippen nickte. „Dann ist es jetzt Zeit. Hey, Horrorkid“, die Fee ließ ihre Stimme zu einem lauten Rufen anschwellen, „du kannst jetzt rauskommen!“ Aus den Nebelschwaden tauchte ein eigentümliches Wesen auf. Es war in etwa so groß wie Link, aber seine Extremitäten schienen aus trockenen Ästen und Zweigen zu bestehen. Seine Füße steckten in zusammengewickelten Lumpen und auch seine knielangen Hosen und sein rotes Hemd waren zerrissen und ausgefranst. Auf seinem Kopf saß ein offenbar selbstgebastelter, hoher Hut aus Grashalmen und dünnen Zweiglein. Insgesamt hätte das Horrorkid nicht besonders angsteinflößend gewirkt, wäre da nicht die sonderbare Maske gewesen, die es vor dem Gesicht trug. Sie sah aus wie ein mit wilden, bunten Wirbeln bemaltes Gesicht, in dessen Mitte außergewöhnlich große, gelbglühende Augen prangten. Diese aufgemalten Pupilen schienen bis zum Grund eines jeden blicken zu können, der ihrer ansichtig wurde. An den Rändern der Maske waren bunte, spitz zulaufende Stacheln angebracht, die den bedrohlichen Eindruck noch verstärkten. Mit langsamen, schleppenden Schritten näherte sich das Horrorkid dem noch immer ohnmächtigen Link und den beiden Feen. Für einen Moment schien es den am Boden liegenden Jungen zu betrachten, dann wandte es seine Aufmerksamkeit der Okarina der Zeit zu. Die magische Flöte war Link aus den Händen gefallen, als er von Eponas Rücken gestürzt war, und lag noch immer neben seinen leicht gekrümmten Fingern im Laub. Als der Waldkobold sich nach der Okarina bückte, drang ein düsteres Lachen aus seiner Brust, das selbst seinen beiden Feen die Haare zu Berge stehen ließ. „Was haben wir denn hier?“ Die Stimme des Kobolds war überraschend tief und hatte einen merkwürdigen Beiklang, der an das Rascheln von trockenen Blättern erinnerte. Während das Horrorkid geradezu ehrfürchtig mit der flachen Hand über die dunkelblau glasierte Oberfläche der Flöte strich, schwebte das Feenmädchen zu ihm herüber und stellte fest: „Es scheint eine Art Musikinstrument zu sein.“ „Ja, meinst du?“ Der Waldkobold, der in seinem Leben noch nie ein anderes Instrument gesehen hatte als die langgezogenen, aus ausgehölten Zweigen bestehenden Flöten seiner Artgenossen, warf seiner Begleiterin einen neugierigen Seitenblick zu. Diese nickte und sagte: „Ganz sicher.“ Dann deutete sie auf das Mundstück der Okarina und forderte: „Versuch mal, hier reinzupusten!“ Sofort schob das Horrorkid seine Maske ein wenig hoch und versuchte, auf der Okarina zu spielen. Da die klaffende, dunkle Öffnung seines Mundes keine Lippen hatte, dauerte es einige Minuten, bis es dem Horrorkid gelang, der Flöte einen Ton zu entlocken. Da dieser auch noch völlig schief klang, brachen der Kobold und das geflügelte Mädchen neben ihm in Lachen aus. Unterdessen betrachtete der Feenjunge mit deutlicher Sorge in den Augen das Heft von Links Schwert, das über die Schulter des Knaben hinweglugte, und rief: „Äh… Leute… Ich will ja wirklich kein Spielverderber sein, aber ihr solltet die Flöte zurücklegen und dann sollten wir verschwinden, bevor er hier“, er deutete auf den noch immer besinningslosen Link, „wieder zu sich kommt.“ „Entspann dich, Tael“, forderte das Feenmädchen, dessen Gesichtszüge eine erstaunliche Ähnlichkeit zu Taels aufwiesen. „Wir erlauben uns doch nur einen kleinen Spaß.“ Einen erneuten Blick auf Links Schwert werfend murmelte der Feenjunge: „Ich hoffe, er wird das genauso amüsant finden wie ihr…“ Seine Bemerkung ging jedoch völlig in dem Gelächter unter, das einem weiteren misslungenen Flötversuch des Horrorkids folgte. Der Kobold und seine geflügelte Begleitung waren noch immer mit der Okarina beschäftigt, als Link Minuten später die Augen wieder aufschlug. Sein Schädel dröhnte und die Welt schien sich um ihn herum zu drehen und zu beben. Es dauerte einige Herzschläge lang, bis es dem Knaben endlich gelang, seinen Blick wieder scharf zu stellen, und noch länger, bis er begriff, dass er sich die komischen, fiependen Geräusche neben sich nicht nur einbildete. Als ihm dann auch noch mit reichlich Verzögerung auffiel, dass er vor seinem Sturz die Okarina der Zeit in den Händen gehalten hatte und diese nun verschwunden war, rappelte Link sich so schnell er trotz seines Schwindels konnte auf. Etwa zeitgleich warf Tael ihm einen weiteren Blick zu und rief alarmiert: „Taya! Horrorkid! Er ist wach!“ Sofort wirbelten die Beiden zu Link herum, wobei das Horrorkid die Okarina hinter seinem Rücken verbarg. Link betrachtete skeptisch die Maske des Waldkobolds. Trotz der knalligen, bunten Farben, mit denen sie bemalt war, hatte sie etwas unsäglich Düsteres. Je länger Link auf die strahlendgelben Augen starrte, desto mehr bekam er das Gefühl, eine eiskalte, schwarze Hand strecke sich nach seinem Herzen aus. Fröstelnd sah der Junge zur Seite und machte vor Schreck beinah einen Satz nach hinten. Wieso sah Navi ihn so geringschätzig an?! Was hatte er sich dieses Mal zuschulden kommen lassen? Erst bei genauerem Hinsehen fiel Link auf, dass die Fee, die neben dem Horrorkid in der Luft schwebte, nicht Navi war, sondern ihr nur zum Verwechseln ähnlich sah. Ihr Haar war in etwa gleich lang und strahlte in demselben gelbgoldenen Ton, ihre Lippen hatten einen ähnlichen Schwung und auch das Stubsnäschen hätte Navis sein können. Doch im Gegensatz zu Navi hatte diese Fee haselnussbraune Augen. Der auffälligste Unterschied war jedoch die Herablassung, mit der Taya ihn betrachtete. Navi hatte ihn niemals so angesehen, selbst dann nicht, wenn er furchtbaren Mist gebaut hatte… „Wir… äh… wollten gerade gehen!“, platzte das Horrorkid in Links Gedanken und machte einen Schritt nach hinten. Link schüttelte jedoch den Kopf und streckte die rechte Hand aus. „Nicht, bevor ihr mir nicht meine Okarina zurückgegeben habt.“ „Deine was?“ Das Horrorkid legte den Kopf schief und schien den Jungen vor sich neugierig zu mustern. Während Taya amüsiert grinste, warf Tael, der inzwischen zu den beiden herübergeschwebt war, dem Kobold einen besorgten Seitenblick zu. „Du weißt ganz genau, von was ich rede.“ Link zog ein grimmiges Gesicht mit hart aufeinander gepressten Lippen und zu Schlitzen verengten Augen, bevor er präzisierte: „Das Ding, das du hinter deinem Rücken vor mir zu verstecken versuchst!“ Das Horrorkid schob das Kinn leicht zum Hals so als würde es ein überraschtes Gesicht machen. „Ich? Ich soll etwas vor dir verstecken?“ Als vermeintlichen Beweis, dass es nichts verbarg, streckte es erst die eine, dann die andere Hand flach vor sich aus. Als Tael sah, dass sich Links Mimik daraufhin noch verfinsterte und der Junge langsam die Linke nach seinem Schwert ausstreckte, raunte er dem Waldkobold zu: „Was machst du denn da, Horrorkid? Gib ihm einfach seine blöde Flöte zurück!“ Doch das Horrorkid ignorierte ihn… Während sie beobachtete, wie Link sich leicht vornüberbeugte und zum Angriff ansetzte, machte sich auch auf Tayas Antlitz Sorge breit und sie stimmte Tael zu: „Ja, Horrorkid, gib ihm seine Okarina zurück. Wir wollen keinen Ärger.“ Aber der Kobold reagierte auch dieses Mal nicht… Da Link nur ungern Gewalt anwendete, entschied sich der Knabe jedoch dagegen, sein Schwert zu ziehen. Stattdessen wollte er sich auf das Horrorkid stürzen, es zu Boden ringen und ihm auf diese Weise die Okarina entreißen. Nie im Leben hätte der Herr der Zeiten damit gerechnet, dass das Horrorkid seinem Angriff würde ausweichen können… Entsprechend überrascht war Link, als der maskierte Kobold plötzlich über ihn hinweg sprang und mit einer eleganten Drehung in der Luft auf Eponas Rücken landete. Die junge Stute bäumte sich vor Schreck auf, wiehrte und rannte in blinder Panik davon. Nur mit Mühe gelang es Link gerade noch rechtzeitig, herumzuwirbeln und sich mit einem Hechtsprung an das Bein des Horrorkids zu hängen. Dieses rutschte bei dem plötzlichen, einseitigen Mehrgewicht beinah vom Pferd, klammerte sich aber tapfer in Eponas Mähe fest. Taya und Tael wechselten derweil besorgte Blicke und beeilten sich, das galoppierende Pferd und seinen Reiter einzuholen. Link wurde unsanft über den Waldboden geschleift und riss sich an Zweigen und spitzen Steinchen die Haut auf. Das Horrorkid bemühte sich derweil nach Kräften, den Jungen mit Tritten abzuschütteln – jedoch ohne Erfolg. Tatsächlich gelang es Link sich am Bein des Kobolds immer weiter nach oben zu ziehen, bis... … bis Epona einen besonders engen Haken schlug. Sofort rissen die Fliehkräfte an Links Körper, bis er sich nicht mehr halten konnte und mehrere Meter weit in einen Busch geschleudert wurde. Sich mehrfach überschlagend kam der Junge im weichen Moos zu liegen. Obwohl der Schwindel von zuvor mit doppelter Intensität zurückkam und er Schürfwunden am ganzen Körper hatte, sprang Link sogleich wieder auf die Füße und rannte hinter der fliehenden Epona her. Es war wenig überraschend, dass der Junge nicht mit seinem verschreckten Pferd mithalten konnte, obwohl er so schnell lief wie ihn seine Füße trugen. Mit brennender Lunge und schmerzenden Muskeln fiel er immer weiter zurück, bis von Epona und dem Horrorkid nichts mehr zu sehen war. Dennoch verlangsamte er seine Schritte nicht. Er durfte die Okarina der Zeit nicht verlieren! Er durfte Epona nicht verlieren! „Verdammt, wo sind sie hin?“ Keuchend sah Link sich zu allen Seiten um und verfluchte dabei stumm den weichen Moosboden, der sämtliche Spuren schluckte wie ein Schwamm. Doch auch nach mehreren Minuten Suchen konnte der Junge kein Anzeichen entdecken, das ihm die Richtung verraten hätte, in die das Horrorkid geritten war. Da waren keine abgeknickten Zweige, kein von Hufen herausgerissenes Moos, keine an Sträuchern hängen gebliebene Haare oder Stofffetzen… Der Junge war bereits drauf und dran, vor Verzweiflung in Tränen auszubrechen, als er aus den Augenwinkeln zwei leuchtende Lichtkugeln entdeckte, die zielstrebig auf den dunkelsten Teil des Waldes zuhielten. Taya und Tael! Mit neuer Hoffnung hetzte Link den beiden hinterher. Das Blätterdach war in diesem Waldabschnitt dermaßen dicht, das kein einziger Lichtstrahl hindurchfiel, obwohl der Mond voll und hell am Himmel stand. Link zog unbehaglich die Schultern vor, als er bemerkte, dass es hier vollkommen still war. Zu still… Kein einziges Tier war zu hören, kein Knacken von Holz. Es war beinah als hause der Tod selbst in diesem Wald… Was konnte das Horrorkid an einem solchen Ort bloß wollen? Link hatte jedoch keine Gelegenheit, sich lange Gedanken über die Absichten des Kobolds zu machen. Denn wenige Minuten, nachdem er den beiden Feen in den düsteren Waldabschnitt gefolgt war, stolperte er plötzlich über eine Wurzel, die er in der Finsternis übersehen hatte. Doch anstatt lang hinzuschlagen, stürzte der Junge kopfüber in ein Loch, das so dunkel und tief war wie der Abyssos. Er fiel und fiel und fiel… Während er durch die undurchdringliche Finsternis stürzte, zogen verschiedene Bilder seines Lebens vor seinem geistigen Auge vorbei. Er sah sich zusammen mit Navi vor dem verschütteten Eingang zu Dodongos-Höhle eine Rast machen. Damals hatte Navi ihm eröffnet, dass Feen keine gewöhnliche Nahrung zu sich nehmen konnten und sich stattdessen von den schönen Dingen der Natur ernährten. Link erinnerte sich, wie ihr Feenglanz in der Sonne bunt gefunkelt hatte und er sich gefragt hatte, wie Sonne wohl schmecken mochte. Er sah Epona, die wie wild durch die Gerudo-Festung getobt war, um für genügend Durcheinander zu sorgen, dass er, Link, ungesehen aus seiner Gefängniszelle entkommen konnte. Er sah Salia, die als grün leuchtende Lichtgestalt vor ihm gestanden und ihm eröffnet hatte, die Weise des Waldes zu sein. Oh, wie schuldig hatte er sich ihr gegenüber gefühlt, weil er es nicht geschafft hatte, ihr Leben zu retten! Er sah Shiek wie er im Gästesaal der Gerudo-Festung auf seiner Bettkante gesessen und ihm bis auf den Grund seiner Seele geblickt hatte. Shiek… Zelda… Ein tiefer Stich fuhr dem Jungen mitten ins Herz und er wünschte sich zum wiederholten Mal, er hätte den Mut aufgebracht, der Prinzessin seine wahren Gefühle zu zeigen. Aber nun war dies alles egal. Er würde bald auf den Boden aufschlagen und zerschmettert werden… Doch zu seiner großen Überraschung blieb der schmerzhafte Aufprall aus. Stattdessen war es als fiele er in eine Art magisches Spinnennetz, das seinen Fall bremste, bis er sanft und leicht federnd auf dem Untergrund aufsetzte. Rätselnd sah der Junge sich um. Den hölzernen Wänden nach zu urteilen, schien sich in einer Art hohlem Baum oder Wurzelstrang zu befinden. Hier und da wuchsen dicke, pinke Blüten und von der Decke hingen fluoreszierende Pilze, die die Höhle in ein mystisches, blaues Licht tauchten. Inmitten dieses Lichtkegels schwebte das Horrorkid von seinen beiden Feen flankiert in der Luft und schien Link süffisant anzugrinsen. Während auf Tayas Lippen ebenfalls ein amüsierter Ausdruck lag, zog Tael ein unglückliches Gesicht. Der Herr der Zeiten wollte sich sofort auf den Kobold stürzen und notfalls aus ihm herausprügeln, wo Epona abgeblieben war, aber sein Körper war vollkommen bewegungsunfähig. Ob das Horrorkid ihn mit einem Zauber paralysiert hatte? „Was ist eigentlich mit deinem dummen Esel los?“ Wandte sich das Horrorkid nach einem Moment gegenseitigen Anstarrens an Link. „Er gehorcht keinem meiner Befehle… Aber keine Angst, ich hab dir die Arbeit abgenommen, den ollen Klepper loszuwerden.“ Obwohl jede seiner Muskelfasen gelähmt zu sein schien, spürte Link wie sich seine Augen mit Tränen füllten, bis diese schließlich über die unteren Lider traten. Er hatte Epona verloren! War es nicht schlimm genug, dass Navi weg war? Wie hatte er nur so unachtsam sein können und noch eine weitere Freundin verlieren können? Unterdessen fuhr das Horrorkid fort: „Ich hab mir, als dein störrisches Ross mich abgeworfen hat, einen Finger verknackst. Das ist – wie du dir vielleicht vorstellen kannst – bei meinen hölzernen Händen wirklich unangenehm! Wobei…“, der Kobold schien Links zu Fäusten geballte Hände zu betrachten, „… bei genauerer Betrachtung glaube ich nicht, dass du das nachvollziehen kannst. Aber das lässt sich ja ändern!“ Mit diesen Worten schnippste das Horrorkid mit den Fingern der rechten Hand und plötzlich senkte sich tiefschwarze Finsternis über Links Augen. In dieser unnatürlichen Dunkelheit nahm Link zunächst nichts anderes wahr als das immer lauter werdende, schaurige Lachen des Kobolds. Doch dann taucht aufeinmal wie aus dem Nichts eine ganze Horde Laubkerle auf, die ihn mit Deku-Nüssen beschossen. Der Junge versuchte, blind in die Finsternis davon zu rennen, aber er kam nicht vom Fleck, während die Laubkerle immer mehr aufholten und ihn schließlich unter sich begruben… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)