Haus ohne Fenster - eine Wintergeschichte von Suzette_Godault (Geschichte einer Beziehung) ================================================================================ Kapitel 1: Ankunft ------------------ Endlich hatte ich es geschafft – nach mehrstündiger Fahrt durchs Gebirge war ich mitten in der Nacht im Haus meiner Mutter angekommen. Und da ich so fertig war, hatte ich meinen Koffer einfach unten im Flur stehen lassen. Mich selbst schleppte ich mit einer Reisetasche behängt hoch ins Obergeschoss. Meine Mutter hatte mir gesagt, dass die dritte und die zwölfte Stufe knarzen würden. Ich solle darauf achten. Ja, ich hörte tatsächlich etwas, aber es war mir im Moment egal, denn ich war mehr damit beschäftigt, nicht außer Puste zugeraten. Die Holztreppe war steil wie eine Stiege und die Reisetasche schwer. Und so zog ich mich am Geländer weiter hoch, ohne die zweite Tür rechts aus den Augen zu lassen, denn hinter der, so hatte mir meine Mutter immer wieder gesagt, befände sich das Gästezimmer. Es waren nur noch wenige Stufen. Ich holte tief Luft und zwang mich, einen Fuß vor den anderen zu setzen, ehe ich tatsächlich die Tür erreichte, die Klinke drückte und meine Reisetasche an Ort und Stelle fallen ließ. Ich war fix und fertig: mein Herz raste, meine Hände schwitzten und meine Beine zitterten. Ich wollte nur noch ins Bett und endlich schlafen. Die Fahrt hatte lange gedauert: nahezu neun Stunden. Gleich nach Vorlesungsende war ich in Paris losgefahren und hatte damit gerechnet, höchstens sechs Stunden unterwegs zu sein. Doch dann war der Schnee gekommen. In der Ebene noch hatten sich die Flocken als zahme Wirbel ausgenommen. Hin und wieder hatte ich den Scheibenwischer angestellt. Doch als die Dämmerung heraufzog, tanzte es wie irr im Scheinwerferlicht und große, wasserfeuchte Flocken klatschten wie Vogeldreck auf die Windschutzscheibe. Binnen Sekunden sah ich nur noch eine weiße Wand vor mir. Und selbst die Scheibenwischer vermochten es nur, mir einen kleinen Ausguck zu gewähren. Ich war im Gebirge angekommen und wusste, dass ich die Autobahn irgendwann würde verlassen müssen. Mir graute davor, denn die Unebenheit der hiesigen Straßen, die Schmalheit der sich in Serpentinen emporschwingenden Steige … Auch von ihnen hatte mir meine Mutter erzählt und dazu matt gelächelt. Und erst dann, wenn es nicht mehr weiterging, wenn man ganz oben war, dann war man da … Aber ich, ich war noch lange nicht da und ich hatte auch keine Zeit, mich in den Erinnerungen meiner Mutter zu ergehen. Ich musste darauf achten, dass der Wagen in der Spur blieb, denn trotz der Winterreifen mochte er den Schnee nicht. Die Vorderräder ruckten, ich riss das Steuer herum, spürte, wie ich ins Schlingern zu kommen drohte. „Warum“, hörte ich mich rufen, als ich den Wagen wieder unter Kontrolle hatte und ballte die Hand zur Faust. „Warum tue ich mir das überhaupt an?“ Jetzt lag ich hier, in diesem Gästebett, in einer mir vollkommen fremden Umgebung und wusste nur, dass ich allein dem Wunsch meiner Mutter gefolgt war. Sie hatte mir von ihrer Kindheit und Jugend erzählt und das im Grunde noch nicht einmal so, als erinnerte sie sich gern an diese Zeit. Sachlich, kurz angebunden – und doch von einem Mitteilungsbedürfnis ergriffen, das ich an ihr nicht kannte. So hatte sie mir all das wortwörtlich vor die Füße geknallt. Sie war hier, in diesem Gebirgsdorf geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen. Punkt. „Und warum soll ich dann dorthin, wenn …?“ „Geh, fahr hin!“, war ihre Antwort gewesen. Ich war ihrer Bitte gefolgt, ohne recht zu wissen. Und nun suchte ich den Schlaf, den ich so dringend brauchte und doch nicht fand, eben weil mich diese Gedanken – jetzt in der Stille überkamen. Aber so still, wie ichmeinte, war es nicht. Ganz und gar nicht. Wenn ich lauschte, dann knackte es hier, knackte dort. Mal schien es mir so, als regte sich direkt neben meinem Bett etwas. Ich wusste, dass dem unmöglich sein konnte, dass nur das Holz arbeitete, sich spannte und entspannte. Dass nichts weiter dabei war, wenn es Geräusche von sich gab. Das wusste ich. Wovor sollte ich mich also fürchten? Vielleicht hatte ich tatsächlich etwas Schlaf gefunden, vielleicht war es aber auch nur ein leichter Dämmer, der mich befallen hatte, jedenfalls hörte ich es plötzlich wieder knacken. Aber diesmal … es war laut, lauter als sonst. Mein Herz begann zu rasen. Und wieder knackte es: laut, eindringlich. Da war etwas. Einen Moment lang blieb ich reglos im Bett liegen, lauschte … ich war kein Schisser … und als sich nichts tat, gab ich mir einen Ruck, richtete mich im Bett auf, knipste das Licht an und sah mich im Raum um. Aber da war nichts! Wie auch? Wie sollte denn etwas zur verschlossenen Tür hereinkommen können? Es war sicher nur das Holz. Das verdammte Holz und ich, die ich nach der langen Fahrt noch immer so unruhig war, hatte … Aber da, schon wieder ein Knacken. So laut, dass … und diesmal wusste ich auch, woher es kam. Ich starrte die Tür an, die sich meinem Bett genau gegenüber befand. Es waren nicht zwei Stufen, die knackten, sondern drei … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)