Cruel Fairytale von May_Be (- Hänsel & Gretel -) ================================================================================ Kapitel 1: Nur eine einzige Regel --------------------------------- ~ 1990 ~   Mein Name ist Hyde Shinya, ich bin 17 Jahre alt. Eigentlich gibt es über mich nicht viel zu sagen. Ich bin ein ziemlich schwieriger Jugendlicher, wenn man das so nennen will. Aber wer ist das bitte nicht? Ich lege wenig Wert auf gesellschaftliche Konventionen und Normen, was wahrscheinlich der Grund dafür ist, dass ich regelmäßig Probleme mit Lehrern und anderen Erwachsenen habe. Aber das juckt mich wenig. Die Erwachsenen haben mir noch nie etwas Gutes getan, also warum sollte ich mich auf ihre Regeln einlassen und ihnen gehorchen? - Genau. Ich sehe darin auch keinen Sinn.   Ich lehnte mich aus dem Fenster und atmete tief die frische Luft ein. Es fühlte sich wunderbar an, wenn sich die Lungen mit Leben füllten. Während der Pause tobte stets ein reges Durcheinander in der Klasse. Vor allem weil die Ferien vor der Tür standen. Niemand konnte seine Freude zügeln. Bis auf mich. Einer meiner Freunde legte seinen Arm um meine Schulter und gesellte sich zu mir. Es war Nanda Watami, der Klassenclown. Mit ihm hatte man immer etwas zu lachen und er hatte gegen meine robuste, schroffe Art nichts einzuwenden. „Oh, schau mal, ist das nicht Ayumi?“ Ayumi war meine kleine Schwester. Sie war 15 Jahre alt und 2 Klassen unter mir. Wenn man es genau nahm, war sie meine Halbschwester. Aber wir machten da keinen Unterschied. Als ich zwei Jahre alt war, hatte mein Vater dieses kleine Mädchen zu uns gebracht. Die Geliebte meines Vaters war schwanger geworden, konnte das Mädchen jedoch nicht versorgen. Sie wollte sie in einem Heim unterbringen, doch Vater war strikt dagegen. Er hatte die Verantwortung übernommen und sie bei sich aufgenommen, um ihr ein besseres Leben zu ermöglichen. Doch die Wahrheit war, dass sie wahrscheinlich in einem Heim besser aufgehoben wäre. Aber wer hätte ahnen können, dass das Leben so unberechenbar und grausam sein könnte...   Auch andere Jungs stellten sich an die Fenster und glotzten hinaus. Die Schule war in zwei Distrikte unterteilt: Mädchen- und Jungendistrikt. Die Gebäude zu den geschlechtsspezifischen Bereichen befanden sich jeweils auf der linken und rechten Seite des Schulgeländes und hatten sogar eigene Schulhöfe. Wir trafen nur selten auf die Mädchen, wenn sie zum Beispiel wie heute Sport hatten, denn dann mussten sie zum Jungendistrikt, wo sich die Sporthallen befanden. Darauf waren meine Klassenkameraden und überhaupt alle Typen dieser Schule versessen, denn dann konnten sie die Mädchen ausgiebig begaffen, auch wenn es nur von hier oben war. Sie bekamen in der Schule ja sonst nur Männerhintern zu Gesicht. Ich hingegen war null an diesen Hühnern interessiert. Ich packte Nanda am Kragen und zerrte ihn zum Teil aus dem Fenster, sodass er einen erschrockenen Schrei von sich gab. „Du gaffst doch nicht etwa meine Schwester an, oder?“, zischte ich bedrohlich, während Nanda sich an den Fensterrahmen klammerte und versuchte nicht aus dem Fenster zu stürzen. „Nein, man! Würde ich niemals machen!“ „Würd' ich dir auch raten!“ Ich hörte die Antwort, die ich hören wollte, ohne meinen Freund jedoch sofort loszulassen. Ja, er war wirklich mein Freund. Aber wenn man mit mir befreundet sein wollte, hatte man eine Regel zu befolgen: Finger weg von meiner Schwester. „Hyde, nun lass den Scheiß!“ Zufrieden ließ ich Nanda aus dem eisernen Griff und schlug ihm grinsend auf die Schulter, als hätte ich gerade nicht versucht, ihn aus dem Fenster zu werfen. Wenn es um meine Schwester ging, reagierte ich sehr empfindlich. Sie war die einzige Person auf dieser gottverlassenen Welt, die ich mit meinem Leben beschützen würde. Ich versuchte es so gut es ging, sie vor diesen Arschlöchern fernzuhalten, aber diese Geier waren einfach überall! Warum zum Teufel musste sie auch so hübsch sein. Ayumi hatte japanische Gesichtszüge, jedoch sehr helles Haar und grüne Augen. Das lag daran, dass mein Vater damals eine Affäre mit einer ausländischen Bediensteten hatte, die jetzt natürlich nicht mehr bei uns eingestellt war. Das hieß, wir hatten Bedienstete, als Ayumi und ich noch klein waren, aber mittlerweile war Vaters Geschäft Pleite gegangen und sein ganzer Reichtum war in Rauch aufgelöst. Vater war nun ein normaler Angestellter wie jeder andere auch. Alles, was er sich mit Mühe und Fleiß erarbeitet hatte, hatte er verloren. Nun musste er härter denn je für sein Geld arbeiten, aber den Lebensstandard, den wir vor Jahren hatten, konnte er niemals wieder erreichen. „Oh man, da ist ja fast keine hübsche dabei!“, hörte ich einen Deppen aus meiner Klasse sagen. Tomoya Takarai. „He?? Bist du blind! Da sind mindestens fünf, die ich flachlegen würde!“, konterte Watashi Ogawa. „Hm, weiß nicht. Die eine da würde vielleicht noch fürs Bett reichen!“ „Welche meinst du?“ „Na die, mit den hellbraunen Haaren. Die sieht gar nicht mal so schlecht aus.“ Im Raum wurde es auf einmal ganz still. Jeder wusste, wen er gemeint hatte. Es gab nur eine einzige, die solche markanten hellbraunen Haare hatte. „Ey man, sag das doch nicht so laut!“ „Eh, wieso? Die ist doch eine heiße Nummer, oder nicht?“ „Das ist Ayumi Shinya!“ „Ja, und?“ Ich spürte, wie meine Schläfen bereits anfingen zu pochen. Die Wut sammelte sich in meinem Inneren, wartete nur darauf auszubrechen. Jeder im Raum konnte die Anspannung deutlich spüren, bis auf Tomoya. Alle Jungen, die noch nahe genug bei ihm standen, nahmen langsam Sicherheitsabstand ein. „Was ist?“, fragte er unsicher, als ihm endlich das komische Verhalten seiner Klassenkameraden auffiel. Dann weitete er vor Schreck die Augen, als er mich auf sich zukommen sah. Doch es war zu spät für ihn mir auszuweichen. „Er hat sein Todesurteil unterschrieben“, murmelte jemand in unmittelbarer Nähe, bevor ich zum Schlag ausholte und Tomoya mitten im Gesicht traf. Meine Hand schmerzte, aber ich kümmerte mich nicht darum, sondern stürzte mich wieder auf ihn. Keiner wagte es, dazwischen zu gehen, weil sie zu feige waren, etwas abzubekommen. Umso besser. Ich würde diesem Kerl eine Tracht Prügel verpassen, damit er sich das nächste Mal an dem Namen meiner Schwester verschluckte. Plötzlich wurde ich von hinten gepackt und von meinem Opfer weggezogen. Ich versuchte mich loszureißen, aber er war zu stark. Sofort wusste ich, wer es war. Yuji Murai. Er war eine Klasse über mir und er war Vertrauensschüler der Oberstufe. Wenn irgendwo ein Streit herrschte, war er sofort zur Stelle. Wie er das immer wieder schaffte, war mir immer noch ein Rätsel. „Lass mich los!“, brüllte ich, „dieser blöde Arsch hat noch nicht genug!“ Ich trat wild um mich herum und traf mit dem Fuß einen Stuhl, der zu Boden knallte. Yuji zerrte mich unbeeindruckt aus der Klasse und knallte mich mit voller Wucht gegen die Wand. „Du kleiner Rotzbengel! Immer musst du dich prügeln!“ Ich rang nach Luft und grinste ihm nur frech entgegen. Er spielte seine Rolle so gut. „Wisch dir dein dämliches Grinsen aus dem Gesicht, du Pisser“, meinte er noch zu mir, bevor er mich an der Kehle packte. „Du wirst dich beherrschen, verstanden?“ Ich wusste genau, dass er nicht eher ging, bis ich ihm gehorchte. Also nickte ich widerwillig und er ließ mich endlich los. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)