Being a musical boy von Erenya (Fragen die eine Frau schon immer hatte) ================================================================================ Prolog: Musik der Freiheit -------------------------- Sono te o nobaseyo omoi kiri Yakedo shisou na hodo atsui yume ni sasou Show no maku wa aki ore wa ima hikari no mannaka de Flying high (flying high) kiseki ni naru   In meinem Traum hörte ich diese Melodie. Gesungen von Itsuki Otori, oder viel mehr seinem Seiyuu, dem ollen Schwaben. Ich liebte diesen Song. Als ich ihn im Anime gesehen hatte, war mir das Herz aufgegangen. Ich hatte mich verliebt, in Starmyu. Nicht, dass es nicht schon Folge eins geschafft hätte. Der singende Schülerrat war einfach nur Klasse. Ich spürte, dass ich schmunzelte. Selbst in meinen Träumen konnte ich Kraft aus der Musik schöpfen. Musik die mein Herz berührte. Musik die mir das Gefühl gab, dass ich endlich einmal frei von allem schlechten war und fliegen konnte. Gelöst von den Fesseln, die ich mir Tag für Tag selbst auferlegte. Wie sehr wünschte ich mir, diese Freiheit. „OIIIII!“ Ein Schrei lies mich aufschrecken. Geistig und auch ein wenig körperlich. Ich vernahm zumindest das Rascheln meiner Kleidung, welches die Musik in meinem Kopf unterbrach. Ich ärgerte mich darüber, dass es wieder so laut war. Wahrscheinlich sollte ich mein Fenster auch über Nacht geschlossen lassen. Dann konnte mich früh niemand mehr stören. Seien es nun Kindergartenkinder oder Schüler, die sich lautstark unterhielten. Mein Biorhythmus sagte mir, dass es eindeutig zu früh zum aufstehen war. Und selbst wenn mein Biorhythmus mir das verriet, ich konnte nicht einfach liegen bleiben. Ich setzte mich auf und öffnete blinzelnd die Augen. Sonne. Viel zu viel Sonne. War es doch schon später als gedacht? Ich hob meine Hand um mich vor der Sonne zu schützen. Weißer Stoff blitzte auf und hing mir etwas über die Augen. Dabei war er eng. Eng um mein Handgelenk geschlungen. Ich schüttelte den Kopf und sah an mir hinab. Wie durch einen Schleier hatte ich bemerkt, dass keine Decke auf meinem Körper ruhte. Dafür war ich langärmlig gekleidet. In eine weiße Jacke mit grünen Muster an Kragen und den Seiten. Eine Uniform, die ich nur zu gut kannte. Ich strich über den glatten Stoff, der nur so weit angeraut war, dass man wusste, dass es kein teurer Stoff war. Erwerbbarer. Und doch war er edel verarbeitet. War das doch nur ein Traum? Ein luzider Traum vielleicht. Oder... ein Wachtraum? „Akechi!“ Ich hob eine Augenbraue hoch und sah mich um. Akechi? Echt jetzt? Dieser Charakter aus Persona 5 in einem Starmyu-Traum? Was sollte das bitte für ein absurdes Crossover werden? Nicht das ich was gegen Crossover hatte, aber das war doch nun weit von allem Möglichen entfernt. Sicher handelte es sich um einen anderen Akechi und mein Hirn bildete sich nun nur ein, das Goro Akechi gemeint war. „Mensch Akechi... Du läufst echt weg um hier ein Nickerchen zu machen?“ Die Stimme kam näher und ich erkannte, als ich mich erneut umsah, dass ein junger Mann auf mich zukam. Seine blauen Augen funkelten mich fassungslos an und er stemmte seine Hände in die Seiten. Viel zu weiblich für so eine männliche Uniform wie die der Ayanagi. Und irgendwie passte es nicht zu den groben, männlichen Zügen in seinem Gesicht. Seiner viel zu schmalen Nase und den wirren schwarzen Haar, dass an einzelnen Stellen Löckchen formte, die seine Schläfen umspielten. Alles in allem war er weit davon entfernt als mein perfekter Traummann zu gelten, aber welcher Mann war das schon. „Hörst du mir zu, Akechi?“ „Was?“ Es war die wohl entsetzlichste Antwort, die ich geben konnte. Nicht weil sie in etwa selten dämlich war, oder unhöflich, sondern weil meine Stimme nicht mehr... meine Stimme war. Sie klang tiefer und unweiblich. Es war definitiv die Stimme eines jungen Mannes. Ich schluckte und sah an mir hinab. Eindeutig war ich wohl... Akechi. Na hoffentlich sah ich nicht wie der aus Persona 5 aus. „Das ist nicht dein ernst, oder? Du hast mir versprochen, dass du mir das nicht antust.“ „Dir was nicht antun?“ Ich war wirklich ahnungslos. Ich wusste ja nicht einmal, wer dieser Typ vor mir war. Aber mit Sicherheit hätte ich ihn nur mehr verärgert, wenn ich ihm das gesagt hätte. Er schien mir sowieso schon nicht sehr erfreut zu sein. Noch während er mir seine bösen Blicke schenkte, erhob ich mich und nahm die Umgebung um mich herum klarer wahr. Ich befand mich an einem bekannten Ort. Die kleine Freiluftbühne aus Starmyu, da wo Hoshitani ihn gesehen hatte. Den Grund, warum er ausgerechnet an die Ayanagi Gakuen wollte. Die Frage war nur, was wollte ich hier? „Wir haben so lange darauf hin gearbeitet. Auf diesen Tag. Mensch, Akechi, wir sind in der Ayanagi angenommen wurden. Weißt du was das heißt?“ Er sah mich erwartungsvoll an. So als müsste ich nun etwas bedeutungsträchtiges sagen. Doch alles was das bedeutete war... ich war ein Kerl, in einer Fantasiewelt, die nicht real war. Das hieß es. Nicht mehr und nicht weniger. „Dass ich ein Problem habe?“, antwortete ich ihm Wahrheitsgetreu und kassierte dafür von ihm eine Kopfnuss, die sich echt gewaschen hatte. Kein liebevoller Ditsch, sondern eine richtige Breitseite mit der Faust. „Wir haben die Aufnahmeprüfung geschafft, also sei ruhig. Wir sind dazu bestimmt hier zu sein. Genauso war es Schicksal, dass unsere Eltern sich getroffen haben. Damit wir hier unsere Zukunft in Angriff nehmen können.“ Ich hob eine Augenbraue. Was er sagte klang arg romantisch. Und verdammt dämlich. Doch für meinen Blick kassierte ich erneut eine Kopfnuss. „Du sollst nicht immer so schauen! Außerdem... wir müssen uns beeilen. Die Eröffnungszeremonie beginnt bald. Und weißt du was das bedeutet?“ „Der Schülerrat wird singend erscheinen und dabei verdammt awesome aussehen?“ Nun hob er eine Augenbraue und schüttelte den Kopf. „Du redest heute wieder richtigen Unsinn. Nein. Es bedeutet, wir werden uns für die Starteams bewerben. Du weißt schon, um in das Musical Department zu kommen. Du hast meiner Mom versprochen, dass du mich dabei unterstützen wirst. Und wenn wir uns verspäten, verlieren wir diese einmalige Chance.“ Er seufzte und schüttelte den Kopf während er in die Richtung sah, aus die er gekommen war. Es war schon seltsam, wie viel ich von ihm erfuhr. Scheinbar kannten wir uns schon länger und seine Familie kannte mich. Und ich hatte seiner Mutter etwas versprochen. Wahrscheinlich war meine Anwesenheit in dieser Schule dann auch nur dafür da, um auf ihn aufzupassen. Wobei ich bezweifelte, dass er jemanden brauchte, der auf ihn aufpasste. „Beweg dich endlich!“, forderte er nachdrücklich und sah mich weiter mahnend an. Ich wusste nicht richtig, ob ich ihm folgen sollte. Aber mal ehrlich, was sollte schon passieren. Das hier war doch ein Traum. Die Anwesenheit in Starmyu und mein Name waren Beweis genug dafür. Und wenn ich mir schon bewusst war, dass dies ein Traum war, dann konnte ich das Spiel doch einfach mitspielen und sehen, wohin er führte. Jetzt würde er mich auf jeden Fall zum Schulgebäude führen und dass ich besser nicht länger zögerte, machte mir der nette Herr an meiner Seite klar. Ich erhob mich von der harten Steinbank und sah noch einmal in die Tiefen, dahin wo die Bühne war. Eine Musikschule... Tanzen... singen, Schauspiel. Ob das gut gehen konnte? Vielleicht würde mein Freund mir ja noch so einige Fragen beantworten. Kapitel 1: Ayanagi Gakuen. -------------------------- Die Uniformen waren wirklich überall zu sehen und sagten mir, dass ich Recht hatte. Die Ayanagi Gakuen also. Das ich mit dieser Person, die wohl mein Kumpel war, hier war, sagte mir, dass wir beide in irgendeiner Weise eine musikalische Affinität hatten. Jeder hier hatte sie in irgendeiner Weise, selbst Hoshitani. „Das ist der Himmel, Akechi. Auf diesen Himmel haben wir so lange hin gearbeitet und nun sind wir hier.“ Ich hob eine Augenbraue und sah zu ihm. Er klang wie ein verliebtes Teeniegirl und das war in gewisser Weise... „Schwul...“ „Hey!“ Erneut eine Kopfnuss von meinem Freund. Ich musste schon ein richtiger Dickschädel sein, denn es schien ihn nicht einmal zu stören, dass er mir diese Kopfnüsse vergeben musste. Scheinbar war dies ein gewohnter Ablauf. Ebenso mein verschwinden und das Nickerchen auf der Steinbank. Was verriet mir das über mich selbst? Einiges. Zum einen, war ich nicht sonderlich daran interessiert an dieser Schule zu sein und zum anderen war ich es wohl nur wegen meinem Freund. Was mir verriet, dass mir viel an ihm liegen musste. Wahrscheinlich verdankte ich es sogar nur seiner Mutter, der ich ja versprochen hatte auf ihn aufzupassen, dass ich hier war. Ich war wenn also nur aus Gefälligkeit hier nicht aus eigenen Antrieb. „Das du deine Gedanken echt nie für dich behalten kannst. Reiß dich wenigstens zusammen, wenn wir für den Schülerrat treten. Du weißt was wir für eine Chance bekommen.“ „Du meinst eines der drei Mitglieder als Senpai und Trainer zu bekommen?“ „Wie oft noch? Fünf!“ „Nah ich glaube wir haben nur die Aussicht auf drei der Mitglieder.“ „Was? Woher willst du das wissen? Hast du geheime Informationen die sonst niemand hat?“ Er beugte sich zu mir rüber, mit einem Ausdruck der Panik in seinem Gesicht. Scheinbar sah er soeben seine Chancen dahin siechen. „Ist auch egal. Wir nutzen dieses Vorsprechen als Chance um andere potentielle Mitglieder für unsere Gruppe zu finden. Wichtig ist nur das Endergebnis, nicht die Mittel wie man dazu kommt.“ Er war motiviert, das musste man ihm lassen, doch ich hasste solche Motivation. Vor allem wenn sie nur halbherzig war. Mich konnte er damit nicht mitreißen, was wiederum bedeutete, dass er sich selbst nicht zu 100% glaubte. „Können wir langsam rein? Ich müsste mal aufs Klo“, merkte ich an und spürte wie mich mein Kumpel in den Schwitzkasten nahm. „Du mieser... ich hab dir vor dem herkommen gesagt du sollst aufs Klo gehen.“ „Kann ja nicht jeder eine Wanderblase wie du haben.“ Kaum dass mir dieser Satz über die Lippen gekommen war, machte sich doch schon Verwunderung in mir breit. Etwas stimmte nicht. Entweder spielte ich einfach dieses Spiel zu gut mit, oder etwas stimmte ganz und gar nicht. Ich sprach zu vertraut mit diesem Typen. Er war eigentlich ein vollkommen Fremder und doch fühlte er sich so vertraut an. Die Art wie er mir Kopfnüsse vergab, dass er mich in den Schwitzkasten nahm, das alles. Mein Körper schien das alles gewohnt zu sein. Ebenso mein Geist, der einfach in seiner gewohnten Art reagierte. Oder mir vorzugeben schien, wie ich diese Rolle zu spielen hatte. Vielleicht aber redete ich mir das auch ein, da ich die Fakten über diesen Akechi bereits interpretiert hatte und glaubte zu wissen, wie er reagieren würde. „Komm schon, Akechi. Nimm das bitte ernst. Als ich dich fragte ob du diese Schule mit mir besuchen würdest und du ohne zu zögern „okay“ sagtest, dachte ich, dass du doch etwas Interesse daran hast. Es ist deine Chance. Haruto ging an diese Schule und sieh ihn dir an, er ist ein Star! Du könntest deine Familie unterstützen, wenn du ähnlichen Ruhm erntest. Die Rechnungen für die Krankenhausrechnungen deiner Mutter wären kein Problem mehr, dein Vater müsste die Bäckerei nicht aufgeben...“ Er löste den Schwitzkasten und sah mich ernst an. Er sorgte sich. Nicht einmal unbedingt um mich, sondern um meine Eltern, die ihm scheinbar sehr ans Herz gewachsen waren. Ein Zeichen dafür, dass wir uns wirklich sehr nahe standen. Gleichzeitig fragte ich mich, wie ich diese Schule bezahlen konnte, wenn meine Eltern solche Geldprobleme hatten. Oder... Hatte ich mich vielleicht in Akechi geirrt? Wollte er vielleicht wirklich an diese Schule und war nur zu höflich um sich übermäßig zu freuen? Sicher wusste seine Mutter auch von den Geldproblemen meiner Eltern, was wiederum bedeutete... Meine Gedanken stoppten, als die Menge plötzlich ein respektvolles Raunen ertönen ließ. Mein Kumpel und ich sahen auf und erkannten wieso. Der Ayanagi Gakuen Kaokai. Wie schon im Anime regnete es auf einmal Kirschblüten und eine Geige erklang begleitend zu dem eleganten Gang der vier Mitglieder des Schülerrates. Sie positionierten sich vor dem Eingang des Schulgebäudes und setzten zu ihrer pompösen Begrüßen an.   Kirameki Tokimeku Bokutachi wa Mabushiki shouchou   Ich hörte wie mein Kumpel in Schnappatmung verfiel. Den Schülerrat singen zu hören schien für ihn das größte zu sein. Ein Blick zu ihm verriet mir, dass er wirklich angetan von ihren Auftritt war und so wie ich ihn einschätzte, wollte er nach ihrem Auftritt nur noch unbedingter Mitglied eines Starteams werden. Er würde mir also sagen, dass wir 100% geben mussten, wenn nicht sogar noch mehr. Mein Blick wandte sich wieder dem singenden Schülerrat zu. Wie gerne hätte ich nun aber lieber Otoris einsamen Auftritt gesehen. Sicher saß er in diesem Zimmer und sang und tanzte diesen Song doch. Lieber wäre ich auch in seinem Starteam gelandet. Doch das war unmöglich, ebenso Hiragis. Wenn ich also Chancen hatte, egal wie klein, dann waren es die anderen drei und in Akatsukis Team wollte ich nicht. Dafür drückte ich Team Otori viel zu sehr die Daumen und das noch bevor sie überhaupt Team Otori waren. „Schau sie dir an. Jede Bewegung ein Zeichen von Perfektion. Jeder Ton sitzt. Das sind die Stars von morgen. Unsere Senpai...“ Er war eindeutig gerade in einer anderen Welt und ich schüttelte nur den Kopf. Dennoch, ich konnte es mir nicht nehmen lassen, ihm eine Frage zu stellen. „Wenn du wählen könntest, in wessen Team würdest du dann kommen wollen?“ „In Sazanami-senpais. Er wirkt so cool und Erwachsen. Wie jemand, auf den man sich verlassen kann.“ Ich sah zu dem Mitglied des Schülerrates, das mein Kumpel meinte. Selbst jetzt während des Tanzens saßen seine dunkelbraunen Haare perfekt. Nur Dunkel erinnerte ich mich daran, dass er wirklich eine ehrliche und vernünftige Seele war. Besonders Otori gegenüber und dessen Team. Aber sonst war er mir nicht wirklich in Erinnerung geblieben und ich hatte ihn sogar als höchst uninteressant gesehen. „Schön, dann sorgen wir dafür, dass dein Senpai dich bemerkt und nimmt.“ „Und du, Akechi?“ Sorge schwang in seiner Stimme mit. Fast so als fürchtete er, dass ich schon das Handtuch warf, bevor wir es überhaupt versuchten. „Na solange ich nicht in Akatsukis Team komme, ist alles okay. Da nehme ich sogar die grünhaarige Trap.“ Dieses Mal war es weder der Schwitzkasten noch eine Kopfnuss, sondern ein freundlicher Seitenhieb. „Die Trap heißt Yuzuriha Christian Lion.“ „Als ob ich mir seinen Namen merken würde. Für wen hältst du mich?“ „Für jemanden der gute Chancen hat zum Musical Department zu kommen, wenn er es nur versucht. Egal was meine Mutter sagt, sieh es nicht nur als deine Pflicht hier zu sein wegen mir. Ergreife deine Chancen.“ „Und wenn wir Rivalen werden? Ich meine wenn wir in unterschiedliche Teams kommen?“ „Dann wärst du mein würdigster Gegner und ich würde alles daran setzen dich zu übertrumpfen. Und dasselbe erwarte ich von dir.“ Ich schüttelte schmunzelnd den Kopf, ergab mich aber. Ich war in Sachen Konkurrenzkampf wirklich nicht gut. Vorallem nicht wenn ich diesen mit Freunden führen sollte. Mir tat es schon immer weh, wenn Shicchi mir sagte, dass ich ihre Schreib-Rivalin war. Das wollte ich nicht sein, denn eine Rivalin zu sein bedeutete, dass jemand einen als Gefahr ansah oder als talentiert. Beides Dinge die ich nicht sein wollte. „Oh verdammt, nun hab ich das Lied nicht richtig gehört...“, grummelte mein Kumpel neben mir. „Keine Sorge, sie haben nur gesungen wie toll sie sind. Mehr war das nicht.“ „Was? Du hast sogar zuhören können?“ „Irgendwie. Komm rein, die Begrüßungszeremonie beginnt gleich, oder?“ „Richtig, die hätte ich fast vergessen!“ Ich schob meine Hände in die Hosentasche und lief langsam zum Schuleingang. Der Schülerrat hatte sich bereits zurückgezogen und eben jene hölzernen, großen Türen wurden geöffnet. Scheinbar näherte man sich immer den wichtigsten Punkten des Tages. Der Rede des Direktor, der des Schülersprechers, dem Zuweisen der Klassenzimmer und schließlich die Wahl für die Teams zum Musical Department. Es würde im Klartext ein langer Tag werden und ich freute mich auf das Bett, dass mich im Schulheim erwartete. Ganz egal wer mein Mitbewohner sein sollte.   Dafür dass mein Kumpel so viel Energie an den Tag gelegt hatte, war er ziemlich schnell bei der Rede des Schulleiters eingeschlafen. Er lehnte mit dem Kopf an meiner Schulter und ich konnte seinen ruhigen Atem spüren. Ich überlegte sogar, ob ich ihn bei Hiragis Rede wecken sollte, entschied aber, dass es besser war ihn schlafen zu lassen. Er würde sich schon früh genug ärgern, dass er verpennt hatte. Ich selbst bekam nicht viel von der Rede mit, denn ich versuchte gerade herauszufinden, was alles in diesem Traum abging, indem ich mehr über mich erfahren wollte. In meiner Tasche fand ich einen Schülerausweis. Seltsamerweise konnte ich die japanischen Schriftzeichen lesen, aber hey, das war nur logisch, nachdem ich scheinbar ein japanischer Kerl war. Meguro Akechi stand dort geschrieben. Alter 15 Jahre. Na super, die Pubertät. Ich hoffte, dass ich den Stimmbruch schon hinter mir hatte. Heimatstadt, irgendetwas japanisches, dass mir so spontan nichts sagte aber scheinbar keine Großstadt war. Ich konnte mich später darüber informieren wo die Stadt Himeji lag. Da ich ja nun doch nicht so schnell ins Bad konnte, sah ich mir das Bild von Akechi genauer an. Schmale, braune Augen. Das Braun hatte schon einen klaren und aufrichtigen Glanz. Dennoch wirkten sie so ernst. Was vielleicht auch nur daran lag, dass mein Ich nicht lächelte. Und bei dem Anblick fragte ich mich, ob dieses Ich überhaupt lächeln konnte. Und wenn wie würde das aussehen? Sicher hatte er dann Grübchen, wenn er die Mundwinkel verzog. Die Wangen waren zumindest Pausbäckig. Definitiv würde dieses Ich Grübchen beim Lächeln haben. Während ich das Foto betrachtete, tastete ich mein Gesicht ab. Ja, ich hatte definitiv Pausbacken. Mein Gesicht war also eher rund als oval. Genau das hatte ich mir beim Anblick des Bildes gedacht. Es wirkte dadurch, wie würde ich sagen, chubby. Dick war ich nun nicht, vielleicht etwas breiter als schlank, aber das waren vielleicht auch nur Muskeln. Ich würde das am Abend rausfinden. Nach einer Dusche. Immerhin ich hatte noch einiges mit meinem weiblichen Ich gemeinsam. Blasse Haut, eine Stupsnase, die zu den etwas männlicheren Zügen so gar nicht passen würde. Den Titel als „Miss Universe“ konnte ich mir damit wohl in die dunkelblonden Haare schmieren. Hiragi hatte gerade seine Rede begonnen, als ich weiter in der Tasche nach schnüffelte. Ich fand ein Notenheft. Ein dickes, nicht so ein dünnes Ding wie ich es in der Realität kannte. Es hatte einen festen Einband, schwarz. Und wirkte unglaublich abgegriffen. Scheinbar benutzte ich das öfter. Im Dunkeln würde ich allerdings nicht viel darin ausmachen können. Außerdem fand ich noch einen MP-3 Player. Sehr altes Model wenn man bedachte, das I-Pods wohl eher geläufig waren. Ich würde mir später anhören, was ich darauf fand. Doch das interessanteste war ein Geschenk. Ich zog es hervor und betrachtete es. Eierschalenfarbenes Papier wurde von einer grünen Schleife mit goldenen Rand zusammengehalten. Es erinnerte mich an die Uniform der Schule. Darauf prankte ein Aufkleber. „Für Kousuke Ogami“, stand auf diesem und ich konnte nicht anders als zu meinem Kumpel sehen, der immer noch schlief. Er sah aus wie ein Kousuke. Die Frage war nur ob er es auch war und warum ich ein Geschenk für ihn in der Tasche hatte. Vor allem wann hatte ich vor ihm das zu geben? Seltsam... Ich wollte nicht weiter darüber nachdenken und sah weiter in die Tasche. Zettel mit Notizen flogen darin herum. Einige hatten Füße abgezeichnet, bei denen Zahlen standen und die mit gestrichelten Linien zu anderen führte. Wahrscheinlich Tanzschritte? Andere hatten Textphrasen stehen. „Burning bright, like a newborn phoenix entfalte ich meine Flügel, der Freiheit entgegen.“ Noch eine Gemeinsamkeit. Akechi und ich waren wenigstens auch kreativ tätig. Na gut, es war ein Traum, da war es selbstverständlich, dass ich doch diverse Eigenschaften mit Akechi gemein hatte. Alles andere wäre absurd gewesen. Ein letztes Mal packte ich etwas in die Tasche und spürte wie sich mein Kumpel bewegte. Er hob seinen Kopf von meiner Schulter und sah auf die Bühne, wo Hiragi gerade seine Rede beendete. „Oh mann... ich habs verpasst“, fluchte er leise und grummelte. „Hättest du ein Nickerchen gemacht wie ich, wäre das nicht passiert.“ „Sei ruhig. Was hat Hiragi-senpai gesagt?“ Ertappt. Ich hatte Hiragi nicht zugehört und starrte meinen Freund an, der meinen Blick ermahnend erwiderte. „Er sagte irgendwas von... er stand vor drei Jahren an derselben Stelle wie wir... und das wir uns anstrengen sollen um unser erstes Jahr erfolgreich zu absolvieren... glaube ich.“ „Du hast also nicht zugehört.“ „Jop. Tut mir leid, Kousuke.“ Eigentlich passte es mir, dass wir dieses Gespräch führten, denn so konnte ich diesen Namen ins Spiel bringen, den ich auf dem Geschenk gelesen hatte. Nun hatte er die Gelegenheit mich zu korrigieren, oder zu reagieren. Und er reagierte. Scheinbar hatte ich Recht behalten und dieses Geschenk war wirklich für ihn bestimmt. „Das ist unverzeihlich. Ich hab schon ihr Lied verpasst.“ Er seufzte und schüttelte den Kopf, wobei er die Lippen schmollend nach vorne schob. „Vielleicht hat jemand den Auftritt aufgenommen. Außerdem... wenn wir uns für das Musical Department bewerben, befinden wir uns im selben Raum wie der Schülerrat, also beruhige dich. Du wirst noch genug von ihnen bekommen. Vielleicht sogar zu viel.“ „Du bist echt unverbesserlich. Gerade frage ich mich, warum du eigentlich die Prüfung mitgemacht hast, wenn du das eigentlich nicht wolltest. Wir haben gemeinsam gelernt und sogar für das Vorsprechen für das Musical Department gemeinsam trainiert... wozu wenn es dir also so egal ist?“ Ich schwieg und sah zu meiner Tasche. Akechi mochte Musik, oder liebte sie zumindest. Wenn er wirklich mit Kousuke trainiert und gelernt hatte, dann wollte er vielleicht wirklich an diese Schule, aber bewahrte sich eine gewisse Distanz. Warum? Ich fügte Stück für Stück die Puzzleteile zusammen. „Egal ist es mir nicht, aber... ich bin wahrscheinlich nicht gut genug dafür. Und wenn sie das hier erkennen, bin ich wahrscheinlich schneller raus als mir lieb ist.“ „Was redest du da? Du komponierst, spielst Klavier, schreibst auch noch Songtexte... das ist fast schon mehr als ich zustande bekomme. Und das obwohl ich mehr Musikstunden hatte als du. Selbst das Schauspielern scheint dir im Blut zu liegen. Ja du singst manchmal schief oder lässt dich zu sehr gehen und ja Tanzen ist jetzt auch nicht gerade deine Stärke, aber deine Spezialitäten sind eben andere Fähigkeiten.“ „Ja, Fähigkeiten, die Hiragi und die anderen sicher nicht interessieren.“ „Wir haben hart dafür trainiert. Dank Mom hatten wir immerhin eine Ahnung was für Dinge getestet werden. Das wird. Allerdings nur, wenn du es auch wirklich versuchst und nicht schon aufgibst, bevor wir uns der ersten Prüfung gestellt haben. Und wenn es kein Starteam wird, dann eben ein anderes. Egal in was für ein Team man dich steckt, hab Vertrauen und zeig allen was du kannst.“ Noch eine Gemeinsamkeit, die ich mit Akechi hatte. Tanzen war nun wirklich nicht meine Stärke. Würde es wahrscheinlich auch nie sein. Tänzerisch hatte ich das Rythmusgefühl einer Ente. Und selbst die waren noch besser im Takt als ich. Aber vielleicht hatte Kousuke Recht. Wer wusste wohin es mich führen würde, wenn ich es einfach ernsthaft versuchte? „Also gut. Ich werde mein bestes geben. Für irgendein Team wird es schon reichen. Wenn auch nicht für die Starteams.“ „Richtig. Okay, komm, gehen wir in unsere Klasse.“ Das Licht im Auditorium war bereits angegangen und eine Hand voll Schüler hatte sich auf den Weg zu ihren Klassenräumen gemacht. Bis zum Vorsprechen würde es noch einige Zeit dauern. Erst würde man uns unseren Klassenlehrer vorstellen, danach den Unterrichtsplan und sonstige organisatorischen Dinge. „Was meinst du wer in 1-C ist?“ „1-C? Ich bin in 1-A.“ „Was? Heißt das wir gehen in verschiedene Klassen?“ „Scheint so. Aber hey, es gibt die Pausen und vielleicht teilen wir uns im Wohnheim ein Zimmer. Also keine Sorge, wir werden noch oft genug aneinander hängen“, erklärte ich Kousuke und grinste dabei breit. Ich war irgendwie froh, ihn ein paar Stunden mal loszuwerden. Bisher war seine Euphorie mehr anstrengend als ansteckend gewesen. Auch wenn ich zugeben musste, dass er wirklich bemüht darum war, dass ich Vertrauen in mich hatte.   Gleich drei saßen dort. Im selben Raum wie ich. Drei Charaktere der Serie. Ich hatte es wohl irgendwie verdrängt oder vergessen, dass diese drei in eine Klasse mit mir gehen würden. Das lag allerdings eher daran, dass ich diesen Anime schon ewig nicht mehr gesehen hatte und da die ein oder andere Gedächtnislücke hatte. Ich wusste ehrlich nicht, ob ich mich freuen oder leiden sollte, denn Tengenji war mir nicht gerade als super sympathisch in Erinnerung, in seinen Anfängen zumindest. Und als Flegel oder Lümmel wollte ich mich auch nicht bezeichnen lassen. Es war also besser, wenn ich auf Abstand ging und ein gutes Mittel dafür war ein Platz weit genug von ihm entfernt. Zu meinem Glück konnte ich mir einen Platz am Fenster sichern. Die Aussicht war nun nicht atemberaubend, aber ich musste gestehen, dass die Grünanlagen der Schule wirklich gut gepflegt waren. „Was du willst dich jetzt noch eintragen?“ Mein Blick wandte sich zu Hoshitani und Nayuki. Ein Schmunzeln lag auf meinem Gesicht, denn daran erinnerte ich mich noch dunkel. Das war der Moment, an dem Hoshitani Nayuki davon überzeugte zum Casting für das Musical Department zu gehen. Er selbst hielt gerade das Bewerberformular hoch, welches Kousuke und ich scheinbar schon längst abgegeben hatten. Anders konnte ich mir nicht erklären, dass wir bereits so früh davon gesprochen hatten am Casting teilzunehmen. Noch dazu hatte ich dieses Formular nicht in meiner Tasche gefunden. „Lass uns das gemeinsam machen, Nayuki.“ „Hä? W-Weißt du Hoshitani, ich glaube nicht das ich das tun sollte. Ich meine ich schaffe das sicher nicht.“ „Das weißt du doch gar nicht, wenn du es nicht versuchst. Ich habe nie mehr als den Musikunterricht in der Schule gehabt und mich hier dennoch beworben. Und nun bin ich hier. Wenn man es nicht versucht, weiß man doch nicht, was möglich ist, oder?“ Hoshitani lächelte Nayuki aufmunternd an und ich musste schmunzeln. So etwas ähnliches hatte Kousuke auch zu mir gesagt. Ich sollte es einfach versuchen und sehen wohin es mich führte. Außerdem, das war doch ein Traum. Warum machte ich mir so viele Sorgen zu versagen? Selbst wenn ich versagte, würde ich aufwachen. Hingegen würde ich mich mehr ärgern, wenn ich erwachte und es nicht anständig versucht hatte. 'Also gut... versuchen wir es doch einfach. Was soll schon passieren?'   Da meine Klasse irgendwie schneller im organisatorischen Teil durch war als gedacht, wartete ich vor Kousukes Klasse. Doch um der lärmenden Stille entgegenwirken zu können, hatte ich den MP3 Player angeschaltet und lauschte der Musik auf diesem. Ich war ehrlich überrascht. Das Lied des Schülerrates schien ebenfalls eine Tradition zu haben, denn ich hatte es neben dem Ayanagi Showcase-Song auf diesen gefunden. War Akechi in Wahrheit doch ein heimlich Fan? Die Beweise sprachen immer mehr dafür. Doch es waren nicht nur bekannte Lieder von der Schule selbst zu hören, sondern auch von Tsukigami Haruto und einige Songs, die mir vollkommen unbekannt waren. Doch sie hatten etwas wärmendes, und ließen mein Herz höher schlagen. Es war zwar nur die Melodie, aber man konnte sie noch füllen mit Worten, mit Lyrics, mit noch mehr Leben und Leidenschaft.   Die Teilnehmerzahl war zu erwarten groß und ich bewunderte Kousuke, dass er so ruhig blieb, während er sich in der Menge umsah. Scheinbar überprüfte er, inwiefern die anderen hier eine Gefahr für unsere Chancen waren. „Oh oh, schau mal da. Da ist Tsukigamis Bruder. Ich glaube wir haben ein Problem“, flüsterte Kousuke mir zu und zeigte auf den jungen Mann, mit dem perfekten Haarschnitt. Gestriegelt und geleckt und absolut desinteressiert was die Meute hier anging. Vielleicht lag es auch einfach nur daran, dass er nicht von jedem als Tsukigamis kleiner Bruder gesehen wollte. „Hör auf. Er ist Teilnehmer wie jeder andere auch. Das heißt er muss mit seinem eigenen Können weiterkommen nicht mit seinem Namen. Außerdem kann ich mir vorstellen, dass er echt angepisst ist, wenn jeder ihn belagert nur weil er mit Haruto verwandt ist. Mich würde das nerven.“ Kousuke hörte mir aber nicht mehr zu, sondern sah, schnappatmend, in eine andere Richtung. „Das ist das Kabuki-Talent Tengenji! Unglaublich.“ „Ach naja...“ „Weißt du was für eine Ehre es ist, dass wir hier mit ihm dieselbe Luft atmen?“ „Die atme ich schon im Klassenraum.“ „Er ist in deiner Klasse?“ Ich hob eine Augenbraue und sah zu Kousuke. Das er Ahnung von Musik hatte war mir ja klar, aber dass er wirklich so etwas wusste, war unglaublich. Entweder hatte er mit aller Leidenschaft für diese Schule gelernt, oder er war wirklich affin für solche Themen. „Du weißt schon, dass du dich gerade voll peinlich benimmst, oder? Ich meine er ist auch nur ein Mensch mit Blut in den Adern. Und noch dazu ein Arsch. Guck doch.“ Ich wies mit meiner Hand zu Tengenji der soeben Hoshitani zurückwies und diesen als bürgerlichen Flegel bezeichnete. Gut hörbar für alle. „Ich fände das nun echt so prickelnd, wenn man mich so nennen würde nur weil ich keinen Namen habe.“ „Dann wird er dich nicht mehr so nennen, wenn du heute zeigst was du kannst. Du hast immerhin bei meiner Mutter gelernt. Dem Engel der Ogamis.“ Ich lachte los als er von seiner Mutter so sprach und stieß ihm sanft meinen Ellenbogen in die Seite. „Ich wette du bist der einzige der deine Mutter so nennt.“ „Und wenn schon. Ich will damit nur sagen, du hast auch bei einer namentlich bekannten Größe gelernt. Und du wirst den Namen Meguro auch noch groß machen.“ Es war schon ermutigend zu wissen, dass Kousuke mir wirklich so viel zumutete. Vielleicht war das aber auch etwas zuviel. Immerhin wusste ich nun, dass seine Mutter wohl kein unbeschriebenes Blatt war. Dennoch passte etwas nicht. Wie hatten meine Eltern Kousukes kennengelernt? „Wir beginnen nun mit den Vorsprechen für das Musical Department. Jene die teilnehmen machen sich bitte schnellstens auf dem Weg zu den ihnen zugewiesenen Prüfungsräumen.“ Alle sahen auf, als die Stimme des Lautsprechers verkündete, dass es nun ans angemachte ging. Die Anspannung stieg nur mit diesen wenigen Worten, denn es war eine seltene Chance die alle erwartete. „Als erstes ist das Schauspiel dran bei uns. Gehen wir. Ich bin echt schon nervös“, gestand Kousuke und ich spürte wirklich, dass etwas an seiner Aura sich verändert hatte. Das Energiebündel war nun zu einem Nervenbündel mutierte. Er wusste nicht wohin mit seinen Händen und und schien jeden Fingern einzeln massieren zu wollen, während er sich umsah und seinen Fokus auf andere Dinge legen wollte. „Keine Sorge. Wir werden das irgendwie gemeinsam schaffen. Wir haben doch viel geübt und unsere harte Arbeit wird sich auszahlen. Wenn du willst stell ich mich extra dämlich an, damit sie merken wie grandios du bist.“ „Untersteh dich, Akechi. Gib du auch dein Bestes. Du bist jetzt mein Rivale und wir kämpfen beide ebenbürdig darum in ein Star-Team zu kommen. Einer von uns muss das schaffen.“ Er umgriff meine Schultern und drückte fest zu, während er mir mahnend in die Augen sah. Er meinte es ernst. Und erneut mochte ich diesen Druck nicht. Er war mein Freund und doch wollte er mich als Rivalen sehen. Doch wozu? Ich verstand es nicht und wenn ich ehrlich war, verstand ich auch Shicchi nie, warum sie mich so sehen sah oder vielleicht sogar so sehen wollte.   Neben einigen Lehrern, befanden sich im Vorsprechraum für Schauspiel auch Akatsuki und Lion, die meine Gruppe bewerten und auf Herz und Nieren prüfen würden. Es waren immer zwei von uns, die eine vorgegebene Szene improvisiert darstellen sollten. Sie nannten ein Thema unsere Rolle und Motivation und wir mussten das irgendwie rüberbringen. Dass diese Art von Schauspiel nicht jedem lag, wurde schnell deutlich, den von Stottern, bis hin zur Out of Character Darstellung war alles dabei. „Du hast gesagt, du würdest ihr nichts tun! Wir sind Freunde, hast du das etwas vergessen?“ „U-uhm... I-Ich...“ „Nun stottere nicht so, weil ich dich erwischt habe! Sag mir einfach die Wahrheit!“ Ich staunte nicht schlecht, wie sich Kousuke mit seinem Spielpartner schlug. Sein Partner war eindeutig nervös und wusste nicht, wie er auf diese ganze Situation reagieren sollte. Doch Kousuke ließ sich nicht beirren, was wirklich irgendwie cool war. Er nutzte die Unsicherheit seines Partners, um seinen Charakter in dieser Situation nur noch besser darzustellen. Er war derjenige, dessen Freundin von seinem Spielpartner verletzt worden war. Aus Eifersucht. Seine Rolle hatte den anderen in die Ecke gedrängt und sollte ihn nun zu einem Geständnis zwingen. Kousuke schaffte es, mir glaubwürdig zu machen, dass sein Partner nicht stotterte, weil er nervös war, sondern weil er wirklich mit dem Rücken zur Wand stand. „Hör auf! Du hattest sie nicht verdient, mit all deinem Getue. Du hast sie doch belogen und nun tust du so, als würdest du dich dafür interessieren, dass ihr etwas zugestoßen ist? Dir war doch wochenlang egal wie sie ich fühlte! Und dann kam sie immer zu mir und heulte sich die Ohren aus. Dabei war sie in diesen Momenten bei jemanden der sie wirklich liebte. Doch als ich ihr meine Liebe gestand, wollte sie mich von sich stoßen und... da habe ich die Kontrolle verloren!“ Wie auch immer Kousuke es geschafft hatte, die Nervosität seines Partners war auf einmal dahin und er ging vollkommen bei Kousuke mit. Bewundernswert, denn es zeigte deutlich, dass Kousuke eine Fähigkeit besaß andere mit zu reißen. Vielleicht hatte er damit die Fahrkarte für ein Star-Team erhalten. „Sehr gut. Die nächsten zwei bitte.“ Kousuke und sein Partner gaben sich die Hand, bedankten sich höflich beieinander und machten Platz für meinen Spielpartner und mich. Er war etwas größer als ich. Hatte rotes Haare, das einem etwas stufigeren Bobschnitt ähnelte und seine braunen Augen ruhten aufmerksam auf dem Prüfer. „Meguro-san und Nanaki-san, eure Szene spielt an einer Promenade. Ihr kennt einander schon länger. Nanaki-san du wirst Meguro-san ein Geheimnis erzählen. Fangt an.“ Kaum das der Prüfer uns das Go gab, änderte sich Nanakis Haltung. Er tat so, als würde er sich an die Promenadenreling lehnen, betont lässig und locker, während er seinen Kopf gen Decke hob. „Ah, was für ein Tag. Sieh dir nur die Sterne an, sie funkeln auf uns herab. In der Stadt sieht man sie nur schwer, egal wie sehr sie sich anstrengen. Aber hier, hier brauchen sie keine Kraft.“ Seine Stimme klang schwer, bedrückt, fast so als läge ihm etwas schweres auf der Seele, doch so als versuchte er nicht daran zu denken und einfach diesen Moment zu genießen. Ich wandte meinen Kopf ebenfalls gen Decke, hielt mich aber in meiner Körperhaltung zu ihm gerichtet. „Du bist doch nicht nur mit mir hergefahren um über die Sterne zu reden“, erwiderte ich und versuchte dabei seine Vorgabe irgendwie umzusetzen. Ich sah wieder zu ihm und erkannte ein Lächeln auf seinen Lippen, war mir aber unsicher, ob er es war der lächelte, oder seine Rolle. „Du hast es immer so verdammt eilig. Du warst schon immer so. Manchmal habe ich dich dafür gehasst.“ Es klang so endgültig was er sagte. Wie der Dialog einer Szene, in der der Protagonist seinem Freund offenbarte, dass er nicht mehr lange in dieser Welt verweilen würde. War es das worauf er hinaus wollte? Ein Geheimnis, das hieß, dass er bald sterben würde? Er baute die Stimmung dafür gut auf. „Du klingst als würdest du mich nicht mehr dafür hassen.“ „Die Zeit dazu habe ich auch nicht mehr.“ „Was meinst du damit?“ Er schwieg und wandte sich um, so dass er nun mit dem Blick auf das imaginäre Meer blickte. Ich hatte richtig gelegen. Er würde gleich die „Ich werde bald sterben“-Bombe platzen lassen. „Ich heirate nächsten Monat.“ Er erwischte mich eiskalt damit und zerstörte damit vollkommen die Stimmung. Ich sah ihn fassungslos an, als er zu mir auf lächelt, doch da war etwas in seinen Augen, dass nicht gespielt war. Etwas herausforderndes. Gleichzeitig fragte ich mich, wie ich darauf reagieren sollte, wie mein Charakter darauf reagieren würde. „Shesh, du hast mir Sorgen bereitet. Du und deine Dramaturgie. Aber ich glaube, dass ist eher ein Grund um dir zu gratulieren, statt so düster zu sein. Hoffentlich macht deine Frau aus dir noch einen anständigen Kerl.“ „Danke, das reicht.“ Ich war erleichtert als es vorbei war und fragte mich, ob meine Reaktion wirklich glaubwürdig war. Ich meine, dank der Tatsache, dass ich schrieb und auch an Schauspielerei interessiert war, hatte ich es irgendwie geschafft, etwas zu sagen, was meiner Meinung nach ganz gut passte. Anders als Kousuke gaben Nanaki und ich uns nicht die Hand. Doch ich spürte, wie er mich belustigt ansah, als ich mich wieder in die Reihe der Teilnehmer begab. „Das war es für diesen Part der Prüfung. Als nächstes geht ihr bitte zur Gesangsprüfung.“ Synchron verbeugten wir Teilnehmer uns vor der Jury und verließen das Zimmer. „Man, was dieser Nanaki abgezogen hat, war echt mies. Das war kein Miteinander arbeiten, sondern ein Gegeneinander“, grummelte Kousuke, der selbst versuchte hatte seinen Partner irgendwie zu helfen. „Wir sind hier immerhin Rivalen. Da muss man mit so etwas rechnen. Es würde nicht gerade ein gutes Licht auf mich werfen, wenn ich nun ins stocken geraten wäre. Auf einer richtigen Bühne kann immer mal etwas unvorhergesehenes passieren. Wichtig ist dann nur wie man darauf reagiert. Es gab mal in Deutschland eine Theateraufführung, bei der ein Requisit nicht zerbrechen wollte, obwohl es das musste. Die Darsteller mussten auch improvisieren.“ „Dennoch, wir sind keine Profis. Da ist das doch zuviel verlangt.“ „Oder vielleicht auch nicht. Es ist doch auch egal, Kousuke. Wir haben diesen Part überlebt, gehen wir zum vorsingen. Ich will die Tonleitern endlich hinter mir haben.“ Gemeinsam gingen wir zu dem Raum, aus dem gerade eine andere Gruppe ihr Vorsingen beendet hatte.   Von einem Vorsingen hatte man nicht wirklich reden können. Es wurden nacheinander nur die Tonleitern geträllert. Im Klartext, man musste nur die Töne halten, ordentlich und laut genug singen und dabei selbstbewusst wirken. Alles kein Problem. Doch meiner Meinung nach, zeigte es nicht wirklich, was man konnte oder eben nicht konnte. Genauso war es beim Vortanzen. Wir drehten ein paar Pirouetten in der Reihe und mussten schnell ein paar Tanzschritte aufnehmen, die einer der Prüfer vorgezeigt hatte. Alles in allem waren diese Prüfung machbar, wenn man Ausdauer und etwas können mitbrachte. Der schwierigere Part wohl das Interview, welches nach Beendigung der Prüfungen anstand. Nachdem mich das Tanzen doch ausgelaugt hatte, nippte ich an meiner Wasserflasche, die ich mir aus einem nahegelegenen Automaten gezogen hatte und wartete darauf, dass Kousuke mit seinem Interview fertig war. Er befand sich gefühlt sich seit Stunden darin. Meine Anspannung stieg, denn ich wünschte mir für ihn, dass er es in eines der verbliebenen drei Star-Teams schaffen würde. „Dankeschön“, erklang seine Stimme, als er die Tür öffnete und den Raum verließ. „Und?“ „Ich kann das ehrlich nicht einschätzen. Aber ich bin froh, dass es vorbei ist.“ „Als nächstes, Meguro Akechi.“ „Na dann, halt die Ohren steif. Ich warte hier“, erklärte Kousuke und machte mich damit nur noch nervöser. Dennoch betrat ich den Raum für das Interview und erblickte sogleich vier der fünf Mitglieder des Schülerrates. Nicht das ich nicht schon jeden einzelnen von ihnen bei den Prüfungen gesehen hatte. „Setz dich bitte.“ Im Raum stand nur ein einzelner Stuhl, mit großer Entfernung, gegenüber von den Mitgliedern. Meine Nervosität gaugelte mir vor, dass uns mehr als nur ein paar Meter trennten. Es waren Lichtjahre. Ich setzte mich, wie es mir Hiragi gesagt hatte und holte noch einmal tief Luft, bevor ich die Mitglieder keine Sekunde mehr aus den Augen ließ. Ich wusste, dass mich Hiragi schon vor den Prüfungen in eine Kategorie eingeteilt hatte und nun wahrscheinlich meine Leistungen prüfte um herauszufinden, was er mich fragen konnte. „In deiner Bewerbung zeigte sich deutlich, dass du Klavier spielst und komponierst. Aber du hast dich für das Vocal Department beworben. Wieso?“ Ich schluckte, den zielgerichtet hatte Hiragi eine Frage gestellt, deren Antwort mich um meine Chance bringen konnte. Ich fragte mich, was Akechi antworten würde und ob meine Gedanken für eine Antwort wirklich das wären, was der Wahrheit entsprach. „Das hat mehrere Gründe. Zum einen wegen meinem Freund Kousuke, den ich schon von Kindesbeinen an kenne. Zum anderen weil ich seiner Mutter versprochen habe auf ihn aufzupassen und in einem anderen Department wäre das schwer und weil ich Songs schreibe um sie auch selbst singen zu können. Ich denke im Vocal Department kann ich genug lernen, um ihnen mehr Leben einzuhauchen.“ Das war doch mal eine vielschichtige Antwort die gut klang und dennoch hatte ich das Gefühl, nicht alles gesagt zu haben, was wohl wirklich Akechis Antwort gewesen wäre. Aber für den Moment musste es reichen. „Warum willst du dann ins Musical Department?“ Es war nun an Akatsuki ein weitere kritische Frage zu stellen. Und noch einmal konnte ich nicht damit antworten, dass ich es nur wegen Kousuke tat. Ich glaubte nicht mehr, dass dies der Wahrheit entsprach. Akechi hatte sich sicher nicht nur deswegen für das Musical Department beworben. Die Musik auf dem MP3 Player hatte das deutlich bewiesen. „Es geht mir dabei nicht um den Rang den ich damit inne hätte. Sondern darum in allen Bereichen die mir wichtig sind, eine Verbesserung herbei führen zu können. Im Musical Department habe ich das Gefühl, kann ich auch meine Fähigkeiten als Komponist verbessern, oder mehr über Schauspiel und über Tanz lernen. Ich denke, das Musical Department ist der beste Bereich dafür.“ Vielleicht hätte ich das Wort weitläufiger sagen sollen, denn ich hatte nicht das Gefühl, dass ich verständlich machte, worum es mir eigentlich ging. „Was glaubst du, qualifiziert dich für ein Star-Team?“ Ich fluchte innerlich über diese Frage die mir Lion stellte. Ich hasste sie bei Bewerbungsgesprächen, denn nun musste ich selbstbewusst alles an mir aufzählen, was mich besser dastehen ließ als andere, aber nicht zu gut um arrogant zu wirken. Ein Drahtseilakt den ich gerade jetzt unbedingt schaffen wollte. „Meine Leidenschaft, mein Talent, meine Durchhaltevermögen, meine Zielstrebigkeit und vor allem auch mein Drang zur harten Arbeit. Selbst wenn ich in den Prüfungen vielleicht diverse Aspekte nicht zu 100 % perfekt erfüllen konnte, so arbeite ich doch immer hart an mir und das nicht nur für mich selbst, sondern auch für die Leute, denen ich dabei helfen will. Sicher, in einem normalen Team könnte ich diese Aspekte auch verbessern aber ich denke, mit einem überragenden Senpai, kann ich meine Fähigkeiten viel gezielter entwickeln.“ „Und wer von uns könnte dieser überragende Senpai sein?“ Sazanami sah mich ernst an, aber nicht strafend, sondern irgendwie interessiert. Wobei ein Hauch Belustigung in seiner Stimme lag, als er das Wort überragend wiederholte. Irgendwo hatte scheinbar Lion abgefärbt. Ihm hätte ich so etwas eher zugetraut. „Es würde mir schwer fallen mich da festzulegen. Jedes Mitglied des Schülerrates hat seine Stärken und erstrahlt auf seine eigene Weise. Wenn ich aber wirklich wählen müsste, wären es wohl Sazanami-senpai und Lion-senpai die zu meiner ersten Wahl gehörten. Was nicht heißen soll, dass Akatsuki-senpai und Hiragi-senpai weniger talentiert seien, ebenso wenig wie Otori-senpai. Ich glaube einfach... ich kann die Anforderung die Hiragi-senpai an sein Team hätte nicht erfüllen. Und bei Akatsuki-senpai habe ich nicht das Gefühl, dass die Chemie für eine Zusammenarbeit stimmen würde. Was Otori-senpai betrifft...“ Ich stockte und sah zu dem leeren Stuhl, auf dem er erst sitzen würde, wenn Hoshitani sein Interview hatte. Doch ich lächelte leicht und sah wieder zu den anderen Mitgliedern. „Ich denke in sein Team passen am besten die Personen die sich wirklich in vielerlei Hinsicht disqualifiziert haben und doch zu den strahlendsten Talenten dieser Schule gehören. Und leider bin ich keines dieser Talente.“ Ich hörte wie sich die Mitglieder des Rates Notizen machten. Meine Antworten hatten ihr Urteil endgültig festgelegt. „Danke für deine Offenheit. Die Ergebnisse werden morgen verkündet.“ Damit war da Interview beendet. Ich erhob mich von meinem Platz und verbeugte mich vor den Mitgliedern des Schülerrates, bevor ich den Raum verließ und nur noch hörte, wie man Tsukigamis Namen aufrief. Kapitel 2: Head on Shoulders ---------------------------- Ich sah Tsukigami an mir vorbeigehen, als ich den Raum verließ, doch viel eher bemerkte ich meinen Freund Kousuke, der mit ernsten Blick zu mir sah. „Und?“, fragte er sogleich und ich überlegte, was ich da drinnen eigentlich getan hatte. Ich war ehrlich gewesen. Vielleicht zu ehrlich. Und wie sagte man so schön, manchmal konnte gnadenlose Ehrlichkeit einen das Genick brechen. Wie sollte ich Kousuke das also erklären. „Schon wieder? Wirklich Akechi? Du hast es echt versaut? Hast du ihnen etwa erzählt, dass du gar nicht interessiert bist?“ „Huh? Nein. Ich hab schon erwähnt welches Star-Team ich bevorzugen würde. Und ich habe mich äußerst vorbildlich verhalten. Aus meiner Sicht.“ „Aus deiner Sicht... oh je. Hoffen wir einfach, dass du überhaupt ein Team bilden kannst. Und Mom sagte du sollst auf mich aufpassen. Ich glaube, ich muss eher auf dich aufpassen.“ Kousuke seufzte verzweifelt und schüttelte mit dem Kopf. „Naja, was passiert ist, ist passiert. Wir sollten einfach abwarten. Vielleicht haben unsere Senpais Erbarmen und lassen Gnade vor Recht ergeben.“ Schmollend schob ich meine Unterlippe vor und sah ihn an. Dabei versuchte er doch immer so positiv sein und nun musste er den Pessimisten mit wenig Hoffnung mimen. „Wir sollten langsam ins Wohnheim und unsere Zimmer finden. Und hör auf zu schmollen. Wir wissen beide, dass du mich damit nicht weich kriegst.“ „Ja, ja... Schon verstanden. Dann suchen wir mal unsere Zimmer. Weise mir den Weg oh großer Führer.“ „Sei nicht so albern.“ Ich verdrehte die Augen, denn irgendwie nahm Kousuke das ganze wohl wirklich viel zu ernst. Wenn ich ehrlich war, es hätte mich schon gefreut, wenn ich in irgendein Star-Team käme. Allerdings waren für besondere Dinge nur besondere Menschen bestimmt. Und ich war alles andere als besonders. Selbst in meiner Realität, außerhalb dieses Traumes führte ich das Leben einer Komparse. Ich war einfach unbedeutend und nicht dazu bestimmt große Dinge zu leisten. „Du bist auch hier?“ „Cool, dann können wir wieder zusammen Musik machen.“ Um mich herum hörte ich noch andere Teilnehmer, die sich scheinbar, genau wie Kousuke und Akechi schon länger kannten und sich hier wieder trafen. Die Frage war nur, wie lange würde Kousuke noch so etwas wie ein Freund für mich bleiben, wenn er vielleicht talentierter war. Ich war mir sicher, dass ich irgendwo auf der Strecke bleiben würde. Das passierte mir immer mit meinen Freunden. Irgendwann blieb ich auf der Strecke und wurde irgendwie ausgeschlossen. Geistig wäre es also besser, wenn ich mich bereits darauf einstellte. Es würde passieren. Früher oder später. Weil ich niemand besonderes war. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich nicht mehr wirklich auf meinen Weg achtete und einfach nur gerade aus lief, bis ich einen anderen Schüler über den Haufen rannte. Dieser schien ebenso in Gedanken versunken gewesen zu sein, wie ich. „Sorry“ „Es tut mir leid.“ Gleichzeitig entschuldigten wir uns bei dem anderen. Es war schon irgendwie witzig. „Du hast dich auch beworben für ein Star-Team?“ Auch wenn es witzig war, es war unangenehm und mein Unfallpartner schien es mehr zu fühlen als ich, weswegen er irgendwie das Eis brechen wollte. „Jap. Ich bezweifle aber dass ich in ein Star-Team komme. Die Konkurrenz ist doch schon sehr stark.“ „Oh ja. Tsukigamis Bruder... Tengenji und ich hab da noch den ein oder anderen gesehen der einiges auf dem Kasten hatte.“ „Da gibt es einige. Dennoch... ich drück dir die Daumen.“ „Danke. Ich dir auch. Vielleicht sieht man sich wieder. So groß ist das Schule nicht.“ „Richtig.“ Es war zwar nur ein kurzes Gespräch, aber es brachte mich irgendwie von meinen negativen Gedanken ab. Und zurück in die Realität. Als mein Gesprächspartner an mir vorbei gegangen war, merkte ich, dass ich etwas oder besser jemanden, verloren hatte. Kousuke. Ich konnte es nicht glauben, denn eigentlich hatte ich ihn keinen Augenblick lang aus den Augen gelassen. Wobei halt, das war gelogen. Ich hatte nicht darauf geachtet, wohin er gegangen war, geschweige denn wohin ich selbst meine Schritte geführt hatte. „Das ist so ein Klischee... Und leider ist das meine traurige Wahrheit.“ Ja, ich nutzte dieses Klischee ungewollt sehr oft. Es geschah sehr oft, dass ich jemanden aus den Augen verlor, wenn meine Aufmerksamkeitsspanne nicht mehr bis zu meinen Begleiter reichte. Manchmal wollte ich etwas anderes sehen als mein Begleiter und dachte mir „Ach findest du wieder“. Meist war das der Moment in dem das Schicksal entschied, dass wir einander verlieren würde. Und hin und wieder ging ich sogar freiwillig verloren. Indem ich einfach stehen blieb oder mich wortlos von der Begleitung oder der Gruppe trennte. Das passierte mir besonders oft, in Gruppen, wenn ich einfach keine Lust mehr hatte zu viele Menschen um mich herum zu haben. Alles in allem bedeutete es, dass ich verdammt gut darin geworden war, verloren zu gehen. Ja, es war ein Klischee, machte es aber nicht weniger realistisch. Das schlimmste daran das man jemanden verlor, den man nicht verlieren wollte war, dass man hinterher nicht mehr wusste, wo man hin musste. Ich hatte damit nicht nur Akechis Freund verloren, sondern auch die einzige Person, die ich kannte, die mich kannte, und die mir wahrscheinlich helfen konnte zu den Schülerwohnheimen zu finden. Gleichzeitig ärgerte ich mich, dass ich mich von meinem Zusammenstoß so schnell verabschiedet hatte. Vielleicht hätte er gewusst, wie ich zum Wohnheim kam. Doch nun war ich auf mich allein gestellt und musste mich irgendwie zurecht finden. Hier im Gebäude zu bleiben würde mir auf jeden Fall nicht helfen. Soviel war klar. Immerhin wusste ich, wie ich dieses Gebäude verlassen konnte. Einige Wegweiser hatte ich mir gemerkt. Räume mit ihren Bezeichnungen. So etwas wie Tanzstudio eben. Sie dienten mir als meine Eckpunkte der Orientierung. In meiner Welt klappte das auch immer ganz gut, auch wenn ich letzten Endes nie jemanden helfen konnte, der mich nach irgendwelchen Straßen fragte. Das war das einzige Problem bei dieser Art er Wegführung. Doch auch hier stellte sie sich als sehr exakt heraus, denn ich hatte mich in Null Komma nichts aus den Hallen der erbarmungslosesten Prüfung gefunden. Die Sonne lächelte mir noch entgegen, so als wollte sie mich aufmuntern und ermutigen für all das, was mir noch bevorstand. Ich hoffte mittlerweile, dass es aber nicht mehr ganz so viel war. Vor dem Schülerrat zu stehen, hatte wahrscheinlich mein „Glück“ für das restliche Leben aufgebraucht. Auch wenn Otori noch fehlte. Aber man konnte ja nicht alles haben. Suchend sah ich mich auf dem Gelände um, während ich einen Fuß vor den anderen setzte und nach den nächsten Wegweisern suchte. Am Haupteingang angekommen fand ich schließlich eine Schaukasten mit einer Karte. In dieser war genau verzeichnet, wo sich was in der Ayanagi befand. Die Schule war förmlich ein riesiger Campus und ich war mir sicher, dass hier massig Geld drin steckte. Scheinbar hatte ich aber doch nicht mein ganzes Glück aufgebraucht, denn auf dem Plan stand ebenfalls, wie ich zu den Unterkünften kam. Auch diese waren nicht weit von dem Gebäude entfernt. Höchstens einen halben Kilometer. Dennoch musste ich mir den Plan einprägen. Besser früher als später. Wie ich mich nämlich kannte, würde ich mich noch das ein oder andere Mal verlaufen. Und so stark blamieren wollte ich mich auch nicht, indem ich immer wieder nach dem Weg fragte.   Dank des Plans hatte ich es recht sicher zum Gebäude der Schülerunterkünfte geschafft. Die letzte Mission für diesen Tag würde also bedeuten, dass ich mein Zimmer fand. Ich griff in meine Tasche und kramte in dieser herum, während ich immer wieder einen Zettel nach dem anderen hervor zerrte und betrachtete. Irgendwo musste doch Akechi stehen haben, in welchem Zimmer er wohnte. Und schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit hatte ich ihn gefunden. Einen Zettel auf dem eine Etage und eine Nummer stand. Meine Odyssee war also noch nicht ganz vorbei. Aber ich war dem Ziel so nahe. Ich freute mich schon darauf. Dank Akechis Notiz, dauerte es auch wirklich nicht lange. Die Etage war schnell gefunden und meine Zimmernummer gehörte zu denen, die näher an der Treppe lagen. Es war damit ein Kinderspiel gewesen. Glücklicherweise. Erleichtert stand ich vor der Zimmertür und las das Schild an dem nicht nur Akechis Name hing. Ich wusste nun nicht, ob es Glück oder Pech war, aber mein Zimmergenosse war nicht Kousuke. Momentan war ich der festen Überzeugung, dass es Glück war. Dort stand er, der Name, der mir aus einigen Otome-Games bekannt war. Also, wirklich nur der Name, die Person war wahrscheinlich eine ganz andere. „Mirai Satokawa also. Bin gespannt wie er ist. Und wie lange dieser Traum noch geht. Wenn ich aufwache, bin ich reif für die Inseln.“ Ich schmunzelte bei dem Gedanken und öffnete die Tür, wobei sich vor mir eine Burg aus Kisten stapelte. Genauso wie ich es bei Hoshitani und Nayuki in Erinnerung hatte. Hier waren also die Habseligkeiten von mir und meinem Mitbewohner verpackt. Doch etwas passte nicht ins Bild. Hinter den Kisten bewegte sich etwas rotes... oder war es blond? Auf jedenfall sah ich einen Schopf der immer wieder hinter den Kisten verschwand nur um dann wieder aufzutauchen. „Klopf Klopf“, machte ich mich bemerkbar, denn scheinbar war die Person zu vertieft im Auspacken gewesen um bemerkt zu haben wie die Tür aufgegangen war. Und tatsächlich, der Schopf schoss in die Höhe und ich erkannte die langen Haare, die die femininen Gesichtszüge des oder derjenigen Umspielten, die hinter den Kisten verborgen gewesen war. Auch wenn mein Gegenüber doch sehr weiblich wirkte, ging ich nicht davon aus, dass ich es hier mit dem einzigen Mädchen in einer reinen Jungsschule zu tun hatte. Das hier war High School Star Musical nicht Hakuouki Sweet School Life. „Ich nehme an, du bist Satokawa-kun?“ Er nickte und ich war fast schon stolz auf meine Kombinationsgabe. Sherlock Holmes hätte mich dafür als Laien bezeichnet. „Sehr erfreut. Ich bin dein neuer Mitbewohner Meguro Akechi.“ Ich lächelte und erneut nickte er, wobei ich ein zurückhaltendes „Ebenfalls sehr erfreut“ wahrnahm. Wirklich viel zu einem Gespräch trug er nicht bei und ich wusste ehrlich nicht, wie ich dieses Gespräch weiterführen sollte. „Uhm, es tut mir leid, dass ich etwas zu spät hier bin. Ich war noch bei dem Vorsprechen und kann mich noch nicht so gut auf dem Campus orientieren.“ „Ich bin auch noch nicht so lange hier. Das Vorsprechen ging doch schon einige Zeit.“ Innerlich jubelte ich, denn scheinbar hatte ich mit mehr Glück als Verstand ein gemeinsames Gesprächsthema gefunden. Das Vorsprechen. „Oh, du warst auch da? Wie lief es bei dir?“ „Es war in Ordnung.“ Innerlich murrte ich, denn es konnte doch nicht sein, dass er einfach nur mit einem „Es war in Ordnung“ antwortete. Hilfreich war das nicht gerade, denn er hatte es geschafft, damit die Unterhaltung die ich in Aussicht hatte, sofort wieder abwürgen. „Bei mir war es etwas naja. Ich glaube ich hab mich ins Aus katapuliert. Aber immerhin habe ich es versucht. Es wäre ein Wunder wenn ich in ein Star-Team käme. Dabei habe ich gar keine musikalische Ausbildung genossen. Abgesehen von der Mutter meines Freundes, die mich etwas unterrichtet hat. Wie sieht es bei dir aus?“ „Gehört das Keyboard dir?“ Ich war nicht sehr erfreut über diesen Themenwechsel, denn irgendwie hatte ich gehofft, mehr über ihn zu erfahren. Stattdessen verwies er auf ein verpacktes Keyboard, welches in der Ecke neben einem Karton stand. „Ja. Hin und wieder spiele ich etwas darauf. Wenn dich das stört sag es, ich hab sicher auch meine Kopfhörer eingepackt und kann diese einstecken.“ „Das ist schon okay. Es würde mich nicht stören.“ „Ah, okay. Sag mal, das Doppelstockbett... schläfst du lieber oben oder unten?“ „Ich würde es bevorzugen unten zu schlafen, wenn du nichts dagegen hast.“ „Nein, nein alles in Ordnung. Dann schlafe ich oben.“ Wieder kehrte Ruhe ein, aber es war nicht mehr ganz so unangenehm, immerhin hatten wir doch ein paar mehr Worte miteinander gewechselt. Mit Sicherheit würden wir noch warm miteinander werden, wenn wir länger hier zusammen hockten. Oder aber einer von uns beiden fand den anderen so unangenehm, dass wir lediglich hier schliefen. „Wir sollten unsere Kisten ausräumen.“ „Ah richtig. Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid.“ Es würde schwer werden, aber immerhin konnte ich keine deutlich Abneigung gegen mich spüren. So schlimm konnte Mirai also nicht sein. Dennoch, er hatte Recht, es war besser, wenn wir unsere Kisten erst einmal ausräumten. Heute war noch genug Zeit, sobald die Schule begann, brauchten wir nicht einmal mehr daran denken. Noch dazu war ich gespannt, was Akechi alles mitgebracht hatte, und wie er so tickte. Das er kreativ war ahnte ich ja nun. Das Keyboard unterstrich das noch einmal. Ich war froh darüber, dass die Kisten mit Namen beschriftet waren. So war es einfach die Privatssphäre zu wahren. „Der rechte Schrank ist deiner“, erklärte Mirai, als ich den erste Karton öffnete und in diesem einige Kleidungsstücke zum Vorschein kamen. Einen schlechten Geschmack hatte Akechi nicht. Er war schlicht, aber dennoch modisch. Wahrscheinlich war das aber nicht gerade Trend gerichtete Mode, sondern eher welche die Akechi gefiel. „Danke“, murmelte ich und zog einen Stapel Kleidung hervor und ging zum rechten Schrank. Ich achtete dabei darauf, nicht über Mirai zu stolpern, wobei ich nun einen besseren Blick auf ihn bekam. Er war zierlich und die langen Haare waren nicht einfach nur zu einem Zopf gebunden, sondern geflochten. Offen hätte er sicher einige Wellen drin gehabt. Selbst nach dem kurzen Gespräch war der Gedanke nicht gewichen, dass er gut auch ein Mädchen hätte sein können. Seine Stimme war sanft, bedacht und ziemlich leise. Fast so wie eine Geisha. Zumindest stellte ich mir so Geishas vor.   Mit jeden Karton den ich entleerte, wurde meine Habe immer deutlich. Klamotten hatte ich in allen Variationen. Sommeruniform, Winteruniform, Trainingsanzug, Badeanzug, Freizeitsachen, Handtücher... Dann noch ein paar Bücher, einen Laptop und andere Kleinigkeiten die man so mit sich führte, wenn man seine neue, temporäre Unterkunft etwas heimatlicher gestalten wollte. Doch etwas entscheidendes fehlte. Hygieneartikel. In keine der Kisten hatte ich auch nur so etwas wie einen Kulturbeutel entdeckt und ich musste innerlich verzweifelt lachen. Ja, das hätte mir wirklich passieren können. Sicher stand bei Akechi irgendwo Zuhause eine gepackte Kulturtasche und seine Mutter schüttelte den Kopf und würde meinen, dass er auch seinen Kopf vergessen würde, wenn dieser nicht festgewachsen wäre. „Sag mal, Satokawa-kun, du weißt nicht zufällig wo hier in der Nähe ein Kombini ist?“ „Es tut mir leid, aber ich bin mit dieser Gegend noch nicht so vertraut. Ich denke aber selbst wenn in der Nähe einer ist, stehen die Chance nicht gut, dass er um diese Uhrzeit noch offen ist.“ ich versuchte mir in Erinnerung zu rufen, ob ich auf der Campuskarte einen Kombini gesehen hatte. Sicher war hier einer in der Nähe, doch wenn ich es recht überdachte, hatte Mirai wohl Recht. Ein Shop der zu einer Schule gehörte würde keine 24 Stunden geöffnet haben. Ich hatte also keine andere Wahl als mir irgendwie Duschgel und Zahnbürste mit Zahnpasta zu organisieren. Eine Bürste würde ich nicht brauchen. Deswegen mochte ich kurze Haare, selbst wenn sie wild herum lagen, keiner würde es hinterfragen. „Ich frag besser mal herum, ob jemand etwas Duschgel und so entbehren kann.“ „Wenn du eine Bürste brauchst, kannst du meine benutzen.“ Verwundert sah ich zu Mirai. Dieses Angebot kam irgendwie unerwartet. Ich lächelte. „Schon okay. Ich finde Sturmfrisuren echt gut.“ Mit diesen Worten winkte ich ihm zu und verabschiedete mich temporär, bevor ich unser Zimmer verließ.   Meine Schüchternheit belehrte mich wohl eines besseren. Ich lief den Gang entlang und überlegte, wo ich klopfen sollte und was andere von mir denken würden. Andererseits, was war schon dabei? Es gab genug Menschen in dieser Welt, die ihren Kopf nur als hübschen Schmuck trugen. Und es war ja nicht so, dass ich, also Akechi, es mit Absicht vergessen hatte. Wahrscheinlich war er einfach nur zu nervös gewesen. Noch dazu hatte ich eine gute Ausrede, warum ich außerhalb meines Zimmers war und die verschiedene Schilder neben den Türen betrachtete. Ich suchte immerhin Kousuke, den ich irgendwann verloren hatte. Es dauerte auch einige Zeit, bis ich seinen Namen an einer Tür bemerkte. Wie auch ich, hatte er kein Einzelzimmer. Scheinbar stand dieses Privileg nur speziellen Leuten wie Tengenji zu. Mutig wie ich war und wissend, dass hier mein Freund untergekommen war, klopfte ich an die Tür, welche nur wenige Sekunden später geöffnet wurde. Doch es war nicht Kousuke, der mich begrüßte, sondern ein vollkommen unbekannter Typ. Wahrscheinlich sein Mitbewohner. „Hi, ist Kousuke da?“, fragte ich vorsichtig. „Nö, der ist mit ein paar Freunden weg. Er sagte irgendwas von 'Wer rastet der rostet'.“ Ich hob eine Augenbraue und fragte mich, was das wohl wieder heißen sollte. Akechi wusste mit Sicherheit was dieser meinte, ich konnte nur ahnen, dass er selbst jetzt nach dem Vorsprechen in irgendeiner Weise übte. Und mit Sicherheit hatte er den ein oder anderen Anhänger gefunden, der mit ihm gemeinsam trainieren wollte. „Achso. Danke. Wenn er wieder kommt, sag ihm bitte, dass Akechi da war.“ „Jo.“ Ich wandte mich von Kousukes Mitbewohner ab, den ich doch ziemlich merkwürdig fand. Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass Kousuke mit ihm sonderlich dicke wurde. Es reichte doch schon, dass er so einen Sonderling wie mich ertrug. Die Tür schloss sich hinter mir wieder und meine Suche nach Kousuke hatte damit ein jähes Ende gefunden. Dennoch hatte ich immer noch kein Zahnputzwerkzeug und auch kein Duschgel oder sonstiges. Es gab also keine Ausreden mehr, ich musste andere Bewohner fragen. „Okay... ich les einfach nicht die Schilder, dann... dann ist es nur halb so peinlich.“   Gesagt getan, ich las wirklich keine Namen und starrte auf einen halb vertrauten Charakter aus der Serie, der mich mehr als nur desinteressiert ansah. Seine blauen Augen wirkten kühl und schnürten mir förmlich die Worte im Halse ab. Wartend sah er mich an und ich nahm all meinen Mut zusammen, um ihm zu sagen, weswegen ich ihn belästigte. „Hallo, ich habe meine Kulturtasche wohl vergessen und bräuchte da ein paar Hygie-“ Noch bevor ich meinen Satz beenden konnte, schlug er mir dir Tür vor der Nase zu. „H-Hey! Das ist nicht gerade höflich!“ Nun war mir egal wie peinlich diese Situation gerade war. Denn ich entschied, doch noch die Namen zu lesen. „Ageha... werd ich mir merken... arrogantes Gemüse...“, murmelte ich grummelig und ging zum nächsten Zimmer. Zum Glück las ich nun doch die Schilder, sonst hätte ich wahrscheinlich aus versehen an Tengenjis Tür geklopft. Wahrscheinlich ersparte ich mir damit die nächste Peinlichkeit. Ich klopfte nur noch bei Türen, deren Namen mir so gar nichts sagten. Zwar hatten nicht gerade viele Leute das Interesse mit mir zu reden, aber sie erklärten mir immerhin freundlich, dass sie mir leider nicht weiterhelfen konnte. Nach der gefühlten Hundertsten Tür, es wahr wahrscheinlich gerade mal die vierte, stand ich vor einem Mitschüler der verständnisvoll nickte, als ich ihm meine Situation erklärte. „Nervös gewesen huh? Kenne ich. Ich hab etwas für dich, warte.“ Er verschwand erneut in seinem Zimmer und kam wenige Sekunden später mit einer Flasche wieder, die unmännlich pink war. „Ist mir wohl vor Nervosität in die Tasche gerutscht. Das gehört eigentlich meiner kleinen Schwester und ehrlich, ich kann es eigentlich nicht nutzen, aber wenn du kein Problem damit hast, gehört es dir.“ Ich konnte es echt nicht glauben, dass ich doch noch etwas Glück besaß. Ein Duschgel. Es war wie der heilige Gral, weil ich nun immerhin nicht stinkend in die Schule gehen musste. War doch egal, dass ich wie eine süße Tropenlandschaft roch. „Danke. Du hast was gut bei mir. Wenn du mal Hilfe brauchst, ich bin Meguro Akechi. Sag einfach Bescheid.“ Ich lächelte, doch er winkte nur ab. Dennoch bedankte ich mich erneut mit einer Verbeugung, bevor ich meine Suche weiter fortsetzte. Leider stellte ich fest, dass alle unbekannten Namen abgeklappert waren. Ich musste es also riskieren und klopfte daher an der Tür von jemanden der mir einigermaßen aber im Endeffekt gar nichts sagte. Nach dem aufwachen müsste ich diesen Namen sicher erst einmal googlen, um ein Gesicht dazu bekommen. Natürlich nur, wenn er die Tür nicht öffnete. Mutig klopfte ich und bemerkte schnell, kaum dass die Tür aufgegangen war, dass dieses Gesicht gar nicht mal so unbekannt war. „Entschuldige die Störung. Ich habe eine kleine Herausforderung. Irgendwie habe ich wohl meine Kulturtasche vergessen. Ich hab jetzt zwar ein Duschgel, also ein halb volles, aber mir fehlt noch etwas Zahnpasta. Du kannst nicht zufällig welche entbehren?“ Er sah mich ernst an, aber immerhin schlug er mir nicht wie Ageha die Tür vor der Nase zu. Dennoch ich wollte nicht wissen, was er über mich dachte, nachdem ich nun vor seiner Tür stand. „Du brauchst sicher auch noch eine Zahnbürste, oder?“ Ich errötete, denn eigentlich wollte ich nicht so dreist sein und danach fragen. Doch ich nickte. „Ich hab immer Ersatz Zahnbürste und Zahnpasta dabei. Man weiß nie was passiert. Du kannst sie haben.“ „Wirklich?“ Er nickte und ich musste den Drang niederkämpfen, ihn um den Hals zu fallen. Es war wirklich unglaublich, wie freundlich er war. „Danke.“ Er verschwand noch einmal kurz in seinem Zimmer und kam mit einer Zahnbürste und einer kleinen Tube Zahnpasta wieder. „Danke nochmal. Du bist echt ein Lebensretter.“ „Schon in Ordnung. Ich wünsche dir noch eine gute Nacht.“ Die Tür schloss sich vor mir und ich konnte selbst noch mit einem „Gute Nacht“ antworten, bevor sie endgültig ins Schloss fiel. Mein Blick hingegen richtete sich auf das Türschild. Sawatari, so schnell würde ich sein Gesicht nicht wieder vergessen. Hoffte ich zumindest, denn ich hatte ein echt schlechtes Gesichtergedächtnis.   Ich war glücklich, als ich in einen Jogginganzug gehüllt, der als Schlafanzug diente, zurück in mein Zimmer kam. Meine Haare rochen nach Beeren, ebenso mein Körper. Ich machte da nicht große Probleme, ob man Duschgel als Shampoo nutzen konnte. Solange es schäumte, war es geeignet. Zumindest in meiner kleinen naiven Welt. Mirai hatte sich bereits, ins Bett gelegt und schien ruhig zu schlafen. Daher hatte ich es vermieden das Licht anzumachen, denn ich wollte ihn nicht wirklich wecken. Noch dazu musste ich mich bei ihm ja auch nicht unbeliebter machen, als ich es vielleicht schon war. Förmlich blind tastete ich mich zum Schrank vor und verstaute meine Errungenschaften, indem ich sie auf ein paar Handtücher legte. Es war nicht gerade leicht, da noch ein paar Kisten herum standen. Doch mit der Zeit gewöhnten sich auch meine Augen an die Dunkelheit, so dass ich mich einigermaßen sicher zwischen Kisten bewegen konnte. Ich spürte zwar, dass ich hin und wieder mal gegen eine Ecke stieß, aber dank Jogginganzug war ich gut genug geschützt, so dass ich nicht schmerzhafte Laute von mir gab. Erst vor dem Bett wurde mir bewusst, dass ich die obere Hälfte hatte. Und nur zu gut erinnerte ich mich noch an die Frankreichreise, bei der ich ebenfalls oben gelegen hatte. Gott was hatte ich mich immer abgemüht hoch und wieder runter zu kommen. Ich konnte nur hoffen, dass ich als Mann dann wesentlich eleganter aussah. Und nicht wie ein nasser Sack, der panisch mit den armen wedelnd aus dem Bett stürzte. Ebenso hoffte ich, dass ich nicht während der Nacht aus dem Bett fiel. Mirai war zu zierlich um mich zu tragen. Und ich glaube, für Mord konnte man von der Schule fliegen. Kousuke würde mir das nie verzeihen. Kapitel 3: Team Surprise ------------------------ Ich erinnere mich daran, wie ich mit jedem neuen Schuljahr empfunden hatte, als ich älter, aber nicht wirklich klüger am Morgen nach dem ersten Schultag erwachte. Ich hatte mir zwar einen Wecker gestellt, doch irgendetwas hatte mich vorzeitig aus den Tiefen des Schlafes gerissen. Es war Bewegung in das Zimmer gekommen, doch meine innere Uhr war zu stur und befahl mir, einfach liegen zu bleiben und das zu tun, was ich am besten konnte. Mich umdrehen und weiterschlafen. Zumindest so lange bis der Wecker mich endgültig aus allen friedlichen Harmonien riss, die mein Schlaf beinhaltete. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, dass ich ihn für so früh gestellt hatte und hätte schwören können, dass Kousuke sich wahrscheinlich abends in mein Zimmer geschlichen und an der Uhr gedreht hatte. Zuzutrauen war es ihm. „Sorry, Satokawa-ku-“ Ich wollte mich gerade bei meinem Mitbewohner entschuldigen, hielt aber inne, als ich merkte, dass er gar nicht mehr im Raum war. Sein Bett war gemacht, ordentlich und ebenso standen seine Sachen an ihrem Platz. Einzig die Schuluniform fehlte. Und die Schultasche und wahrscheinlich noch andere Dinge, die er am Abend zuvor vorbereitet hatte. Seufzend ließ ich mich noch einmal in die Kissen sinken und schloss die Augen. Ich war definitiv noch nicht ausgeschlafen genug, immerhin war ich noch in diesem Traum gefangen, in dem ich ein Kerl war. Ich wusste nun immerhin, wie Männer sich am frühsten Morgen fühlten. Die Beklemmung in meiner Sporthose war real und gerade wünschte ich mir wieder ein Mädchen zu sein. Eine Morgenlatte war da ein Fremdwort und meist auch das kleinste Problem. Für einige Männer war es aufgrund der Größe vielleicht ein kleines Problem, für mich fühlte es sich aber gerade wie ein riesiges an. Vielleicht sollte ich später mal, wenn mein Mitbewohner nicht da war, nachmessen, wie groß es wirklich war. Die Frage war nur eregiert oder doch eher uneregiert. Vielleicht lernte ich auch noch damit umzugehen, allerdings war heute nicht gerade der beste Tag dafür, weswegen ich mich aus dem Bett hievte und meine Sachen dafür zusammensammelte, die Toilette zu besuchen.   Mit einer Scheibe Toast, die ich mir gemacht hatte, bevor ich zu meinem Zimmer zurückgekehrt war, stand ich verwundert vor Kousuke, der mir meine Tasche entgegenhielt und voller Tatendrang war. „Morgen, Akechi. Und bereit zu erfahren in welchen der Star-Teams wir sind?“ „Du bist ganz schön überzeugt, dass wir es geschafft haben.“ Ich hob eine Augenbraue und musste ehrlich gestehen, dass ich Kousuke für diesen Optimismus fast schon ein wenig beneidete. Ich persönlich zweifelte nach meinem Interview, dass ich es überhaupt in ein Star-Team schaffte. Es müsste schon ein Wunder geschehen. Noch dazu standen die Teams ja schon fest, bevor ich es überhaupt versucht hatte. Es würden die Seriencharaktere sein, die in ihren Teams waren. Rui bei Hiragi und die Bande um Hoshitani bei Otori. Egal was passierte, ich würde sie versuchen zu unterstützen und in meinem No-Name-Team wenigstens ein wenig versuchen zu glänzen. Wenn ich überhaupt in einem No-Name-Team aufgenommen wurde. „Komm schon, ich will es endlich wissen. Am besten bevor wir zum Unterricht müssen.“ Kousuke drückte mir meine Tasche in die Hand und machte damit klar, dass es keinen Raum für Diskussionen gab. Irgendwie konnte ich mich schon daran gewöhnen, dass er so bestimmend war, allerdings wusste ich nicht, ob ich das von Anfang an gleich so ertragen wollte. Zumindest am frühen Morgen war es alles andere als erträglich und doch nahm ich es hin. Wie bei so vielen Freunden die mich mit ihrer Art förmlich davon gespült hatten.   Vor dem schwarzen Brett war im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle los. Jeder der bei dem Vorsprechen teilgenommen hatte suchte seinen Namen auf den ausgehangenen Listen. Ich konnte sehen wie einige sich enttäuscht abwandten, andere schienen erleichtert und ich erkannte auch das ein oder andere bekannte Gesicht, welches zufrieden mit seinem Ergebnis schien. Die Glücklichen. „Von hinten nach vorne, Akechi.“ Gemeinsam mit mir kämpfte sich Kousuke durch die Menge. Dahin, wo die Teams mit den lateinischen Buchstaben aufgelistet war. Fünfzehn an der Zahl. Doch bei den hintersten viern stand keiner von uns. „Keine Sorge, Akechi. Das sind nur vier Teams. In einem der anderen sind wir sicher.“ Ich fragte mich gerade, ob er das nur sagte, weil er nun doch beunruhigt war. Ich denke, ihm war bewusst, wie stark die Konkurrenz um die Star-Teams war und dass er auch wusste, dass er froh sein konnte, wenn er ein kleines No-Name Team bekam. Immerhin hatte er damit dann noch die Chance um das Musical Department zu kämpfen. Bei K entdeckte ich den Namen meines Mitbewohners. Kein Star-Team. Aber immerhin im Rennen. Ich wusste, dass ich ihm später noch gratulieren würde, wenn ich ihn mal im Zimmer wieder sah. „Verdammt, Team F...“ hörte ich Kousuke neben mir fluchen und sah sofort zu dem Buchstaben. Da stand er, sein Name. Immerhin die Chance hatte er. Und egal was passieren würde, ich würde ihn unterstützen. „Hast du deinen Namen schon, Akechi?“ „Nope.“ „Warte ich helfe dir. Keine Sorge sicher hast du es auch noch in einer Gruppe von E bis A geschafft.“ Es war schon ein bisschen ironisch, dass er mir nicht einmal zutraute in einem Star Team zu sein, aber gut, nicht einmal ich tat das. Warum also sollte er es dann tun? Ich überflog die Listen. Mein Name war nicht bei den No-Name Teams. Ich hatte es also nicht geschafft. Was eigentlich klar gewesen sein sollte. In meinem Interview hatte ich mich wohl vollkommen aus dem Aus gekickt. „Gratuliere, Kousuke. Scheint als würdest du unseren Traum des Musical Departments leben können.“ „Wie kann das sein? Du bist nicht auf der Liste? Das muss ein Irrtum sein. Hast du richtig geguckt?“ „Abgesehen von den Star-Teams jap. Ich schau mir mal an, wer es alles in die Star-Teams geschafft hat. Vielleicht erkenne ich ein paar meiner Klassenkameraden und kann ihnen gleich gratulieren.“ „Gute Idee. Ich schau auch mal nach.“ Gemeinsam rutschten wir noch die letzten Meter vor und sahen auf die fünf Star-Teams. Doch, was ich sah gefiel mir gar nicht. Tengenji im Team Sazanami. Tsukigami und Nayuki in Team Yuzuriha. Es stimmte so ziemlich gar nichts mehr in den Teams. Doch wenn jene, Mitglieder, die ursprünglich zu Team Otori gehören sollten, nun in anderen Star-Teams waren... was blieb dann für Otori und Hoshitani? Wild klopfenden Herzens rutschte ich den letzten Schritt und fixierte Team Otori. Abgesehen von Hoshitani war nichts mehr wie es mal war. Marino Angelo... kein Charakter aus der Serie. Tanizaki Izuho... ebenfalls unbekannt. Fujisaki Fumi, noch so ein unbeschriebenes Blatt. Und... „Meguro Akechi...“, hörte ich es neben mir flüstern und als wäre dies eine tragische Hiobsbotschaft, sah ich zu ihm. Zu Kousuke, dessen Körperhaltung nichts mehr von dem lockeren Freund hatte, den ich seit dem Vortag kannte. In seinen Augen lag Enttäuschung, Entsetzten und auch ein Funken Wut. Ich konnte es verstehen. Denn das hatte ich nicht gewollt, dass ich in einem Star-Team war und er in einem No-Name Team. Wenn es in dieser Welt schon kein mir bekanntes Team Otori gab, dann hätte es wohl doch besser Kousuke erwischt und nicht mich. „Uhm, Kousuke...“ „Ich geh mal. Sonst komme ich zu spät zum Unterricht.“ Er würdigte mich keines Blickes, sondern wandte sich von mir ab, als wäre ich eine ansteckende Krankheit. „Warte!“ Ich versuchte noch irgendwie durch die Menge durchzukommen und war fasziniert und gleichzeitig auch schockiert, wie Kousuke so wendig sein konnte. Ich hingegen kam nur schwer voran. Fast so als hätte man einen Stein an mich gebunden und ins Wasser geworfen. Als ich aus der Menge raus war, war es zu spät. Kousuke war nicht mehr zu sehen. Wahrscheinlich hatte er fluchtartig das Gebäude betreten. In einem Horrorfilm wäre ich nun der Kettensägen-Mörder der ihn ins oberste Stockwerk mit dem kleinsten Fenster jagen wollte. Nur dass dies nicht mein Plan war. Und Kousuke hatte auch Recht. Der Unterricht begann bald und ich wollte nicht gerade jetzt schon dafür sorgen, dass Akechi schlecht vor den Lehrern dastand. Vor allem nicht jetzt, da Otori scheinbar einen schlechten Witz versuchte und mich ins Team genommen hatte.   Irgendwie schaffte es Mathe auch in einer anderen Welt ein Grauen zu sein. Auch wenn ich mich fragte, wofür man hier Mathe brauchte. Literatur hätte ich verstanden, Musiktheorie und Musikgeschichte. Mathe passte da irgendwie nicht in mein Verständnis. Englisch ja. Aber Mathe? Verfolgte mich dieser Albtraum wirklich über all hin? Mein Hirn war dementsprechend mehr als nur Matsch. Ich musste diese Pause also nutzen wenn ich für Theatergeschichte wieder fit sein wollte. „Meguro-kun, komm mal bitte her.“ Ich sah von meiner Tischplatte hoch zu einem meiner Klassenkameraden der bei Hoshitani stand und gerade in einem Gespräch mit diesen war. Hoshitani hatte sich ebenfalls zu mir umgewandt und lächelte mich freundlich an. Unser erster Augenkontakt kam damit doch früher als ich gehofft hatte. Na schön. Ich hatte keine Wahl, denn scheinbar erwartete Hoshitani nun auch, dass ich mich auf bemühte. Da wir in einem Team waren und Klassenkameraden, wäre es nur unhöflich gewesen beide einfach zu ignorieren. Auch wenn ich nicht wusste, wer dieser Riese mit minzgrünen Haar war. Sicher er war ein Klassenkamerad, soweit hatte ich das mitgeschnitten, aber der Name war mir immer noch ein Rätsel. Genauso, wie es mir ein Rätsel war, warum der liebe Gott dachte, dass rosafarbene Augen zu minzgrünen Haar passten. „Meguro! Tanizaki ist mit uns in Otori-senpais Team. Er wollte mit uns beiden reden bevor wir heute mit dem Training anfangen.“ Hoshitani hatte definitiv einen zu großen Hang zur Vertrautheit. Wir waren weder Freunde noch besonders gute Vertraute und doch sprach er mich mit meinem Vornamen an, als sei es das Verständlichste der Welt. „Worüber möchtest du reden?“ Ich erinnerte mich dunkel daran, dass ich Izuhos Vornamen auf der Liste gesehen hatte und versuchte seinen Nachnamen irgendwie zusammen zu puzzeln. Tanizaki hieß er mit Nachnamen, wenn ich mich recht erinnerte. „Wir sind nun ein Team. Das heißt, ich muss wissen was eure Fähigkeiten sind. Also, schießt los.“ Fragend sahen Hoshitani und ich uns an. Lange fackelte Tanizaki wirklich nicht. Noch dazu wusste ich nicht, was er nun erwartete zu hören. „Ich komme von einer normalen Mittelschule und hab im Prinzip nur den Musikunterricht an meiner Schule mitgemacht. Ich kann aber sehr schnell laufen und etwas Blockflöte spielen. Auch wenn ich noch viel lernen muss, war ich in Musik doch einer der besten der Klasse. Genauso wie Sport. Ich bin körperlich also Topfit und bereit für das Training.“ Auch jetzt war Hoshitani wieder so erfrischend positiv. Er schien nicht einmal zu vermuten, dass Tanizaki ihn auf Herz und Nieren prüfen wollte um herauszufinden inwiefern man mit ihm arbeiten konnte. Wahrscheinlich war es ein Fehler von ihm überall so offen zu erzählen, dass er keinerlei musikalische Ausbildung hatte. „Und du, Meguro-kun?“ Ich seufzte. Wahrscheinlich war ich genauso dumm wie Hoshitani. Aber dann hatte er immerhin einen Verbündeten im Team. „Wie Hoshitani-kun, komme auch ich von einer normalen Mittelschule. Im Musikunterricht bediente ich allerdings das Klavier. Als einzige... einziger in der Klasse. Doch ich hatte das Glück, dass ich bei der Mutter meines besten Freundes noch lernen konnte. Sie ist im Showbiz tätig. Sie war eine gute Lehrerin und hat mir die Grundlagen des Tanzes und der Schauspielerei beigebracht. Und noch ein paar andere Dinge. Neben dem Training bei Ogami-san komponiere ich selbst hin und wieder und schreibe eigene Songtexte.“ Ich holte tief Luft und überlegte, was ich noch erzählen konnte. Nebenbei beobachtete ich aber Tanizakis Gesicht um irgendwie herauszufinden, was er von mir oder Hoshitani hielt. Er hatte aber bei keinem von uns das Gesicht auch nur einmal verzogen. Weder im positiven noch im negativen. „Wow, du komponierst selbst, Meguro? Das ist unglaublich!“ Anders als Hoshitani, der klar deutlich machte, dass ihn wohl meine Fähigkeiten faszinierten. Aber ihn faszinierte alles, was mit dieser Schule oder mit Musik zu tun hatte. Selbst Tengenji, der im hinteren Teil der Klasse darüber prahlte, dass es nur absolut logisch war, dass er einen Platz in einem Star-Team hatte. „Nur ein wenig. Ich experimentiere gerne.“ Ich gab mich lieber etwas zurückhaltender. Zum einen weil ich nicht wusste, wie gut es um Akechis Fähigkeiten stand und zum anderen weil ich noch kein Werk von ihm gehört hatte. Ich musste wohl noch einmal auf dem MP3 Player suchen. Oder in seinen Unterlagen. „Und du Tani-“ Gerade als ich fragen wollte, worin seine Expertise lag, klingelte es zum Unterricht. Tanizaki wandte sich ohne ein Wort ab, machte aber klar, dass er wieder zu seinem Platz gehen würden. Erneut sahen Hoshitani und ich uns an und fragten uns, was er wohl über uns dachte.   Immerhin war Mathe das einzig schlimme an diesem Tag. Neben der Tatsache, dass Kousuke auf keine meiner SMS geantwortet hatte. Ich hatte mir daher fest vorgenommen, mich in der Pause mit ihm zu treffen. Irgendwo musste man ihn ja aufgabeln können. Vor seinem Klassenzimmer sicher. Den Tag zuvor hatte das auch schon super geklappt. Ich sehnte mir daher die Mittagspause herbei. Noch dazu hatte ich Hunger. Und ein paar Reisbällchen aus der Mensa wirkten sicher Wunder gegen den Hunger. Auch wenn ich hoffte, dass sie nicht unbedingt nur Thunfisch hatte. Mit dem konnte ich mich selbst heute noch nicht anfreunden. Lachs, kein Thema. Schrimps, mittlerweile auch erträglich, aber Thunfisch, niemals. Mein Bein hibbelte bereits, noch während unser Lehrer über das Kabuki-Theater sinnierte und darüber, dass es seine Blütezeit im Samurai-Zeitalter hatte, als noch junge Knaben die Frauenrollen spielten. Was er dabei nicht erwähnte war die Tatsache, dass sie die Samurai auch diese Knaben zum heißen Liebesspiel in ihre Gemächer geholt hatten. So hatte ich das zumindest mal aus einer Arbeit einer Mitschülerin im Abitur gelesen. Es war unglaublich, dass ich mir das nach all der Zeit gemerkt hatte. Vielleicht lag es aber auch daran, dass es der interessanteste Fakt in der gesamten Arbeit gewesen war. Und schließlich, kaum dass der Lehrer zu einem weiteren Monolog ansetzen wollte, erlöste mich die Schulglocke. „Ah... Wir machen beim nächsten Mal da weiter. Lest bitte noch einmal das Kapitel über das Kabuki-Theater durch und notiert euch die wichtigsten Fakten. Tengenji, fasse dich bitte allgemein.“ Der Blick des Lehrers war vielsagend, denn da Tengenji ein Darsteller am Kabuki-Theater war, kannte er sich darin bestens aus. Schon während des Unterrichts hatte er darüber berichtet, wobei es mehr zu einer Werbesendung seiner selbst wurde. Ich klappte müde das Buch zu und packte es in meine Tasche. Wobei mein Blick sich zu Nayuki und Hoshitani wandte. Beide unterhielten sich, zumindest solange bis die Tür aufgeschoben wurde und jemand hereinstolperte. Laut und Aufmerksamkeit erregend. Mein Blick hob sich etwas mehr und ich konnte den braunblonden Schopf sehen, der sich etwas erhob und verlegend lachend zu den anderen sah. „Hachiya-kun? Was machst du hier? Hast du dich verletzt?“ „Nein, nein alles in Ordnung. Nayuki-kun, Riku und die anderen essen heute gemeinsam zum Mittag. Komm mit, du gehörst doch auch zum Team Yuzuriha.“ „Uhm, aber eigentlich wollte ich...“ Hachiya hatte Nayuki am Arm gegriffen und deutete an, mit ihm zu gehen, doch Nayuki stemmte sich dezent gegen ihn und sah zu Hoshitani. Dieser lächelte aber und winkte ab. Scheinbar verstand er, was Nayuki sagen wollte. „Geh nur Nayuki. Mach dir keine Sorgen um mich.“ Hachiya nahm Hoshitanis Worte als Anlass und zog den wehrlosen Nayuki aus dem Klassenzimmer. Irgendwie tat mir Hoshitani leid. In der richtigen Fassung wäre er nun wahrscheinlich mit Nayuki zum Essen gegangen. Nun aber, da das normale Team Otori nicht bestand... war er allein. Ohne Tengenji, ohne Shu, ohne Nayuki und Tsukigami. Und dennoch lächelte er, als er sein Bento nahm. Vermutlich hatte Nayuki es gemacht. Vielleicht war das sein letztes Bento von Nayuki. Wer wusste schon, ob er im Team Yuzuriha noch Zeit finden würde zu kochen. In Gedanken bei dem alten Team Otori, nahm ich meine Tasche und machte mich auf dem Weg zur Tür des Klassenzimmers, als mich plötzlich eine Stimme rief. „Meguro, warte!“ Ich hielt inne und blickte zurück, dahin wo er stand. Hoshitani, mit einem strahlenden Lächeln. „Wie wäre es, wenn wir gemeinsam essen gehen.“ „Oh... Eigentlich naja... hatte ich was anderes vor.“ „Huh? Was denn?“, fragte er unschuldig und ich erinnerte mich daran, dass ich ihm nicht erzählt hatte, dass ich Ärger mit Kousuke hatte. Wie auch, unser erstes richtiges Gespräch war gerade Mal ein paar Stunden alt. „Eigentlich wollte ich mit meinem besten Freund zu Mittag essen und mit ihm über einige Dinge reden.“ „Er kann doch auch mit essen. Komm wir schauen, ob er in der Mensa ist.“ Wie es Hachiya bei Nayuki getan hatte, griff Hoshitani nach meinen Handgelenk und zog mich hinaus in den Flur. Schneller noch als ich reagieren konnte, passierten wir diesen, ebenso Kousukes Klassenzimmer. Ich warf einen Blick auf den Raum, aus dem Schüler strömten und versuchte dort irgendwo Kousuke zu erkennen. Doch ohne Erfolg. Hoshitani zog mich zu schnell an dem Raum vorbei und ich ärgerte mich, dass ich ihm nicht stärker Parolie geboten hatte.   Vor mir standen drei Reisbällchen, gefüllt mit Gurke und Lachs. Innerlich sabberte ich gerade, doch mein Blick wandte sich auf Hoshitani, der immer noch freudig lächelte. „Ich hätte sie auch bezahlen können“, erklärte ich, da mich Hoshitani eingeladen hatte, kaum dass ihm klar geworden war, dass ich nicht so etwas wie ein Bento besaß. „Keine Sorge. Nayuki hat mir ein Bento gemacht. Ich spare heute also das Geld für das Mittagessen.“ Es schien für ihn eine Selbstverständlichkeit zu sein, dass was er hatte zu teilen. Dabei war er sicherlich auch nicht aus besseren Hause. Der reale Hoshitani war damit nicht nur genauso wie der Serien Hoshitani sondern wahrscheinlich auch der bessere Mensch. „Dann, danke dafür.“ Ich nahm einen der Reisbällchen und biss in diesen. Der Reis war gut gewürzt, die Gurken frisch, ebenso der Lachs. Wobei etwas Käsecreme dem ganzen noch einen entsprechenden Kick gegeben hätte. „Ist es nicht unglaublich? Hier sind so viele verschiedenen Personen und alle haben irgendwie einen musikalischen Hintergrund. Es tut gut jemanden zu kennen, der wie ich aus einer normalen Mittelschule kommt. War dein Freund auch da?“ Ich seufzte innerlich und fluchte. Denn ich wusste so gut wie nichts über Kousuke, wie sollte ich also auf Hoshitanis Frage antworten? Akechi hätte die Antwort sicher gewusst. Mir blieb also nicht mehr übrig als einfach auf den ersten Gedanken zu hören und zu hoffen, dass dieser der richtige war. „Nope. Er war ebenfalls auf einer Schule die mehr in Richtung Bühne ging. Ich bin auch nur hier, weil seine Mom meine Ausbildung bezahlt. Als Gegenleistung soll ich auf Kousuke aufpassen, Wird nur nicht gerade leicht, wenn er mir jetzt aus dem Weg geht...“, letzteres murmelte ich leise und seufzte, wobei ich den Kopf zurücklegte. „Wieso geht er dir denn aus dem Weg?“ Hoshitani schien verwundert darüber zu sein. In seiner Welt gab es wahrscheinlich kein Differenzen mit Freunden. Nicht einmal mit Nayuki. Wie auch? Beide waren in einm Star-Team. Anders als es bei mir und Kousuke aussah. „Kousuke ist sehr motiviert und Feuer und Flame für die Star-Teams gewesen. Leider hat er es nicht in ein Star-Team geschafft. Und ich, die eigentlich eher weniger Motivation gezeigt hatte und nur mitmachte wegen ihm, ist in einem Star-Team. Das erscheint ihm sicher nicht fair. Und ich verstehe es ehrlich auch nicht so ganz.“ „Huh? Heißt das, du freust dich nicht darüber in Otori-senpais Team zu sein?“ Ich sah Hoshitani an und fragte mich, wie er mir so eine Frage stellen konnte, nachdem ich ihm erklärt hatte, wo das Problem eigentlich bestand. Gleichzeitig aber fragte ich mich ob ich mich nicht doch insgeheim freute. „Doch. Ich freue mich. Vor allem weil ich nicht damit gerechnet habe. Ich dachte ich hab mich gestern aus dem Aus geschossen. Aber ich habe mich geirrt, wie mit so vielen Dingen.“ „Das Gefühl kenne ich. Ich war total aufgeregt und nun bin ich meinem Traum einen Schritt näher gekommen.“ Ich wusste ja was sein Wunsch war, doch es war besser wenn ich mitspielte und einfach fragend drein sah. „Deinem Traum?“ „Ja. Ich habe mal einen Schüler des Musical Departments tanzen gesehen. Er ist der Grund, warum ich hier bin. Eines Tages, stehe ich mit ihm gemeinsam auf der Bühne.“ Ich schmunzelte. Irgendwie war es ja doch schon süß, dass er mit seinen Träumen so hoch griff. „Dafür musst du ihn nur finden. Oder du machst ihn auf dich aufmerksam. Das heißt wiederum, du musst dich anstrengen.“ „Was sind deine Träume, Meguro?“ Ich blinzelte, denn auch diese Frage kam unerwartet. Was war wohl Akechis Traum? Weswegen war er wirklich hier? Ich konnte mir nicht wirklich vorstellen, dass er wirklich nur auf diese Schule ging, weil Kousukes Mutter bezahlte und er Kousuke nicht alleine an dieser Schule lassen konnte. „Ich will meine eigenen Lieder komponieren. Meine eigenen Musicals, Opern und ich möchte auch gerne in ihnen auf der Bühne stehen.“ Der erste Gedanke war wohl doch der Richtige. Zumindest fühlte sich diese Antwort nicht falsch an. Es fühlte sich wirklich wie eine Antwort an, die Akechi gegeben hätte. „Das ist unglaublich. Ich meine das du komponierst. Du musst mir unbedingt mal eines der Lieder vorspielen. Oh ich weiß, vielleicht wenn die anderen aus unserem Team dabei sind und Otori-senpai.“ Ich schmunzelte und sah zu Hoshitani, der sich gerade einen Bissen Reis in den Mund steckte. „Was denkst du werden wir heute als erstes üben?“, fragte Hoshitani zwischen zwei weiteren Bissen und ich dachte nach. In der Serie bestand das erste Training daraus, dass sie den Ayanagi Murdercase vorführen mussten. Und das Hoshitani dabei nicht gerade ein gutes Bild bei den anderen hinterließ. „Vielleicht einen Test für die Gruppendynamik. Einfach um zu sehen, woran wir arbeiten müssen. Immerhin sind wir einander vollkommen fremd.“ „Ich denke es wird alles gut werden.“ Hoshitanis Optimismus war wirklich unglaublich. Er schien noch nicht einmal zu ahnen, dass es andere Mitglieder gab, mit denen er ursprünglich in einem Team hätte sein sollen. Dank der Tatsache, dass mein Wissen nutzlos war, wusste ich im Prinzip gar nichts mehr. „Wird es, wenn wir einen guten ersten Eindruck hinterlassen. Zu spät kommen sollte daher nicht in Frage kommen.“ „Hatte ich nicht vor. Ich wollte nach dem Essen direkt zum Trainingsraum gehen.“ „Dann solltest du schnell essen.“ Ich konnte an Hoshitanis verwunderten Blick sehen, dass er scheinbar nicht verstand, worauf ich hinaus wollte. Er war wirklich unschuldig und naiv. Irgendwie niedlich. Und das musste ich nicht nur das erste Mal feststellen. „Im Showbiz ist es immer besser dass man früher da ist. Vor allem als Darsteller. Man muss sich aufwärmen, einsingen und so weiter. So zehn oder zwanzig Minuten vor dem vereinbarten Zeitpunkt da zu sein, ist daher nie falsch. Deswegen, solltest du wohl schneller essen. Wir wissen nicht, was uns heute erwartet, deswegen müssen wir uns auf alles vorbereiten.“ Seine Verwunderung schlug in Staunen um, als er meinen Worten lauschte. Ich versuchte dabei, dass ganze so logisch wie möglich zu erklären, denn da Hoshitani nicht aus der Welt der Bühne kam, sondern auf diesem Weg in sie eindrang, konnte er das nicht wissen. Ich hätte das wahrscheinlich auch nicht gewusst, wenn ich nicht im Chor gesungen hätte. Auch dort war es wichtig früher da zu sein um sich vorzubereiten. „Danke für den Hinweis, Meguro. So habe ich das noch gar nicht gesehen. Ich werde überpünktlich sein.“ Er war Feuer und Flamme. Vollkommen motiviert. Anders als ich, die eigentlich mehr diese Begegnung mit den anderen fürchtete. Und die dachte, dass sie eigentlich nicht dafür gemacht war in einem Star-Team zu sein. Auch das war anders. Während die meisten nicht daran zweifelten, und sich einfach darüber freuten in einem Star-Team zu sein, konnte ich es einfach nicht akzeptieren. Oder war es etwas in diesem Körper das es nicht konnte, Akechi selbst? Ich stopfte mir genüßlich die letzten Bisse des Reisballes in den Mund und knüllte das Papier zusammen, in das sie gehüllt waren. „Wir sollten allmählich zurück in die Klasse.“ Ich sah zu Hoshitani der nickte und die Bentobox gut verschloss. Er hatte noch nicht alles aufgegessen, aber sicher würde er den Rest auch noch nach der letzten Stunde verspeisen. Ich hingegen würde nach der letzten Stunde wohl erneut versuchen Kousuke zu finden.   In seiner Klasse war Kousuke nicht zu finden, was mich zur Annahme verleitete, dass er bereits zum Training mit seinem Team gegangen war. Die Frage war nur wo? Und die Antwort nicht offensichtlich. Die Schule hatte einige Trainingsräume. Wenn man Abstriche bei den privaten des Schülerrates machte, blieben nicht mehr viele übrig. Meiner Meinung nach würden die anderen 45 Teams sich in die Woche reinteilen. Manche würden sogar parallel trainieren müssen. Und wiederum andere würden sich andere Orte suchen, an denen sie trainieren konnten. Hoffen konnte ich also nur, dass Kousukes Team zu jenen gehörte, die lieber hier in der Schule übten. Ich musste also nur jene Trainingsräume besuchen, die nicht für die Star-Teams gedacht waren. Und das waren nur vier. Vier, verstreut über den gesamten Campus. Einmal Arsch der Welt und zurück, sozusagen. Ich sah auf meinem Zettel, auf dem ich geschrieben sah, wo diese Trainingsräume waren. Es war schwer abzuschätzen, in welchem sich Kousuke tummeln würde. Mit seinem Team. Und wenn ich es recht berechnete, konnte ich auch niemals alle Räume aufsuchen. Dazu reichte die Zeit nicht. Wenn ich Pech hatte, reichte sie nicht einmal um mit Kousuke zu reden. Ich wandte kurz meinen Blick von dem Zettel, viel zu spät wohlgemerkt, und nutzte erneut, ungewollt, das Klischee des zusammenstoßens. Zu schade nur, dass der pinkhaarige Lockenkopf nicht mein Traumprinz war. Und schon gar nicht mein Typ. Das hätte auf eine gute Handvoll anderer Statisten und Hauptcharaktere zugetroffen, nicht aber auf den Typen, den ich so eben erfolgreich über den Haufen gerannt hatte. „Kannst du nicht aufpassen wo du hinläufst?“ Zum Glück besaß er das bessere Gleichgewicht. Was deutlich zeigte, dass er wohl auch im Tanzen wesentlich besser war wie ich. „Sorry ich... war abgelenkt.“ „Du glaubst auch, nur weil du größer bist, gehört dir der Gang und trampelst wie ein Kamel deines Weges entlang, huh?“ Ich hob eine Augenbraue und fragte mich, ob er das wirklich ernst meinte, als er sich mir gegenüber stellte und beleidigt ansah. Ich war höchstens ein paar Zentimeter größer. Wenn überhaupt. Der Unterschied erschien mir nicht gravierend, weil wir einfach auf Augenhöhe waren. Doch sein beleidigter Blick schwand und stattdessen verzog sich seine Mimik zu einer fies grinsenden Grimasse. „Wie kommt so ein Trampeltier wie du in das Musical Department? Sicher nur eines dieser No-Name-Teams.“ Sympathisch war er mir schon in der Serie nicht gewesen und wie Tengenji kribbelte es mir gerade irgendwie in der Hand. Oder viel mehr in den Stimmbändern. Denn mit einer spitzbübischen, sadistschen Freude, hätte ich nur zu gerne gesagt, dass ich in einem Star-Team war. „Selbst ein No-Name-Team kann ein Star-Team schlagen, wenn sie sich genug anstrengen und gut entwickeln. Abgesehen von dem Trainer der im Schülerrat sitzt, unterscheiden wir uns doch nicht von ihnen.“ Sein Lächeln schwand kurz. Scheinbar verstand er, was ich ihm gerade indirekt auf die Nase gebunden hatte. Es war aber nur ein kurzer Siegesmoment. „Dann gehe ich davon aus, dass du eine der Pfeifen aus Team Otori bist. Man hört schon so einiges, besonders über euren Trainer. Gleich und gleich gesellt sich eben gerne. No-Names zu No-Names und Sonderlinge zu Sonderlingen.“ Ich blies meine Backen auf. Der Typ hatte echt Nerven und vor allem hatte er gerade deutlich gemacht, dass ich nicht normal genug für ein No-Name-Team war. „Dann strengt euch mal an, sonst überholen euch wirklich noch die No-Names.“ Er grinste vielsagend und lief an mir vorbei, wobei er seine Arme hinter dem Kopf verschränkte. Ich hingegen ballte meine Hand zur Faust. Dieser Typ hatte echt Nerven. Und strapazierte meine. Er war schlimmer als meine Kunden, wobei die schon mit sehr harten Mitteln darum kämpften auf seinem Platz zu sein.   Dank Ugawa hatte ich meinen tollen Plan nach Kousuke zu suchen über den Haufen werfen können. Das kurze Gespräch war lang genug gewesen um mich kostbarer Minuten zu berauben. Und da ich überpünktlich beim Training sein musste, hatte ich kehrt und mich auf dem Weg zu Otoris Trainingsraum gemacht. „OI! Meguro!“ Ich wandte mich um und sah Hoshitani, der gerade vom Seiteneingang des Pausenhofes reinkam. Ich winkte ihm und hielt in meinen Schritten inne. Scheinbar hatte er sich an meinen Rat erinnerte und wollte wirklich früher zum Training erscheinen als in der Serie. „Pünktlich wie ein Maurer.“ „Du wolltest auch gerade zum Training, oder? Wir können ja gemeinsam gehen.“ Hoshitani lächelte mich an und ich nickte. Warum sollte ich nun auch nein sagen? Unser Weg war derselbe und alles andere wäre echt seltsam rüber gekommen. „Können wir gerne machen.“ „Da fällt mir ein, hast du deinen Freund noch gefunden?“ „Leider nicht. Die Zeit hat dafür einfach nicht gereicht. Ich denke ich werde es heute Abend mal ganz altmodisch halten und ihm eine Nachricht per SMS schicken und ein Date vereinbaren. Ich hab sowieso noch ein Geschenk für ihn, dass ich ihm gestern schon geben wollte.“ Hoshitani staunte nicht schlecht, als ich das Geschenk erwähnte. Es ruhte immer noch in meiner Tasche und irgendwann zwischen Mathe und Musikgeschichte war es mir wieder ins Blickfeld gerutscht. „Was ist es denn für ein Geschenk?“ Hoshitanis Neugier war einfach nicht zu bremsen. Und erneut musste ich mir ihm gegenüber eine Lüge oder Ausrede einfallen lassen, denn ich wusste absolut nicht, was Akechi seinem besten Kumpel wohl hatte schenken wollen. „Nur eine Kleinigkeit. Als Gratulation, dass er es an diese Schule geschafft hat. Und nun auch als Gratulation, dass er es in ein Team für das Musical Department geschafft hat. Wobei ich glaube, dass er mich erschlägt wenn ich ihm das sage.“ Zumindest vermutete ich das. Kousuke schien seit dem Morgen kein Interesse mehr daran zu haben Zeit mit mir verbringen zu wollen. Oder den Kontakt zu suchen. Vielleicht musste er sich aber einfach nur erholen nach dem, was wohl für ihn ein Schock gewesen war. „Scheint als wären wir da. Also auf ins Training. Oder viel eher ins Warm-Up. Hilfst du mir beim Dehnen?“ Wir waren gerade vor der Tür angekommen und ich sah zu Hoshitani. Dieser stieß aber begeistert und inbrünstig die Tür auf. „Entschuldigung!“ Just in diesem Moment wollte ich im Erdboden versinken. Seine Ankündigung dafür, dass wir nun den Raum betraten, war einfach zu motiviert und begeistert. Ich sah an Hoshitani vorbei und erkannte zwei unbekannte und ein bekanntes Gesicht. Tanizakis. Er war gerade dabei sich umzuziehen genau wie die anderen beiden. Rechts von ihm stand ein gut gebräunter, exotisch aussehender Typ. Weil er sich gerade ein Shirt über den Kopf gezogen hatte, wirkten seine schwarzen Haare wuschelig. Seine grünen Augen hingegen musterten Hoshitani kurz. Anders als sein Spindnachbar, der gerade nach seiner rosafarbenen Brille tastete und diese aufsetzen musste, um scheinbar besser sehen zu können. Er fuhr sich mit seiner Hand durch das karottenrote Haar und richtete so das, was das Umziehen zerstört hatte. Er würdigte uns allerdings keines Blickes. Und Tanizaki... der murmelte nur ein „Hallo, Hoshitani-kun“ mehr aber auch nicht. Scheinbar waren wir in dem Bewerbungsgespräch bei ihm mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Eine Tatsache, die mich doch schon stark störte. „Komm Hoshitani, ziehen wir uns um.“ Ich wusste nicht, wann es passiert war, aber irgendwie hatte ich nun doch alle Höflichkeiten fallen lassen und dafür gesorgt, dass ich Hoshitani wirklich vertraulicher ansprach. Ich brachte mich damit irgendwie auf eine neue Vertrauensebene. So wie es Hoshitani getan hatte, als er bewusst entschieden hatte, mich beim Vornamen anzusprechen. Ich ging zu dem Spind, auf dem mein Nachname stand. Otori schien wirklich an alles gedacht zu haben. Mein Spind war jener am linken Äußeren. Der erste von Links, der Letzte von Rechts. Rechts von mir war Hoshitani. „Was meint ihr, was wir heute alles machen, Marino-san, Fujisaki-san.“ Innerlich seufzte ich, denn Tanizaki machte nicht gerade einen Hehl daraus, dass er sowohl mich, als auch Hoshitani ignorieren würde. Die anderen beiden waren da scheinbar wesentlich vielversprechender was ihre Rolle im Star-Team anging. „Otto-senpai hat sich sicher etwas ganz unglaubliches für die erste Sitzung einfallen lassen. Vielleicht erklärt er uns, warum er uns gewählt hat und zeigt uns etwas von den Dingen die er schon hier gelernt hat.“ „Otto-senpai? Ich dachte unsere Trainer ist Vogel-senpai.“ Ich sah über meine Schulter hinweg zu dem gut gebräunten Kerl mit ausländischen Akzent. Die Art wie er sprach war langsam, fast schon bedacht. So als überlegte er wirklich jedes Wort. Und die Tatsache, dass er aus Otori-senpai ein O-Tori-senpai, also einen Vogel machte, war schon absurd. Dabei waren die Schriftzeichen nicht einmal ansatzweise die für einen Vogel gewesen. Was nur noch deutlicher machte, dass die Sprache wohl etwas problematischer war. „Otori-senpai...“, berichtete Tanizaki und sah zu Fujisaki. „Du solltest Marino-san nicht so verwirren. Als Gaijin hat er noch Probleme mit der Sprache.“ Gaijin... für viele Japaner schien das wohl so etwas wie ein Eigenname zu sein. Immerhin war dieses Wort ein Ausdruck für Ausländer. Höflich aber nicht gerade nett. Wenn man es so umschreiben konnte. „Sorry. Aber ich denke nicht wir sollten uns verdrehen. Er versteht doch scheinbar genug.“ „Ich haben japanische bei mir in der Schule gelernt. Meine Schule in Italia und die Ayanagi seien Partner. Deswegen ich haben diesen Austausche gemacht.“ Das Italienisch hatte er drauf. Auch wenn es sehr gebrochen und mehr nach Klischee klang. Der Pate hätte ihm dafür sicher kein Angebot unterbreitet. Ich zog den Reisverschluss des Trainingsanzuges zu und stellte mich an eine andere Ecke des Raumes, wo ich etwas weiter von den anderen entfernt war. Dennoch konnte ich beobachten, wie sie sich dehnten. Marino machte sogar Situps, was mit einem Mal in mir die Assoziation hervorrief, dass er wohl ein Six-Pack hatte. Sobald er sich nach dem Training umziehen würde, musste ich also darauf achten. Einfach um es herauszufinden. „Wie stellst du dir dein erstes Training hier vor, Marino-san?“, hakte Tanizaki nach, während er die Arme kreisen ließ und dabei versuchte sich so gut wie möglich zu strecken. „Ich hoffe, dass viel Blute fließen wird. Je anstrengender das Training, desto größer das Ergebnis. Aus Italia bin ich viele harte Training gewohnt.“ Marino schien wirklich nicht sprachfest zu sein. Sonst hätte er nicht wie ein Mafioso gesagt, dass er Blut sehen wollte. „Du meinst Schweiß...“ „Das ich haben doch gesagt, oder nicht eh?“ Tanizakis und Fujisakis Blicke ruhten auf Marino. Kurz zweifelnd. Wahrscheinlich überlegten sie, ob sie ihn verbessern sollten. Ich schüttelte den Kopf und wandte mich zu Hoshitani, der sich auch endlich umgezogen hatte und mit Dehnübungen begann. Welche die er wahrscheinlich aus dem Sportunterricht kannte. Andere hätte ich wohl auch nicht gemacht. Ich stellte mich ihm gegenüber, so dass wir synchron wie ein Spiegelbild diese Übungen fortführten. Wir hatten aber nicht viel Zeit dafür, denn die Tür wurde geöffnet und Otori tänzelte graziös hinein. Während er sang. Das war also definitiv kein Irrtum gewesen. Dass hier scheinbar jeder seinen eigenen Titelsong sang und tanzte, statt einfach mal ein „Hi“ reinzuwerfen. Das wäre an einer Musikschule wahrscheinlich zu viel verlangt gewesen. Dennoch es zeigte auch deutlich, was unser Trainer drauf hatte. Und das war wirklich eine Menge. Seine Schritte saßen perfekt, sie wirkten ungezwungen und frei. Es schien ihn nicht einmal anzustrengen, dass er nebenbei noch singen musste. Die Töne saßen perfekt und als der letzte Tanzschritt getan war, stand er vor uns. Ohne das kleinste Anzeichen einer Anstrengung. „Willkommen im Team Otori!“, begrüßte er uns und lächelte charmant. Ich folgte Hoshitani, der sich zu den anderen gesellte, hielt aber doch noch genug Abstand. „Für den Rest des Jahres werden wir viel Zeit miteinander verbringen und gemeinsam trainieren. Strengt euch an und erfüllt euch eure Träume.“ Der Teil der kurzen Rede war neu. Im Original hatte Tengenji ihn unterbrochen und darauf aufmerksam gemacht, dass jemand scheinbar aufgrund eines Fehlers im Team war. Doch dieses Mal gab es keinen Tengenji und Tanizaki traute sich scheinbar nicht, Hoshitanis oder meine Anwesenheit in Frage zu stellen. „So, da wir nun alle hier sind, fangen wir doch am besten damit an, uns vorzustellen. Angefangen bei dir.“ Wie auch in der Serie war Otori auf Hoshitani zugegangen und hatte sich etwas zu ihm hinab gebeugt. Überrascht, aber doch noch zögernd, tat er das einzige, was er tun konnte. „Ich bin Hoshitani Yuta. Ich freue mich sehr darauf mit allen hier zusammen zu arbeiten.“ „Fujisaki Fumi. Ich bin stolz in Otori-senpais Team sein zu dürfen!“ Fujisaki schien wirklich sehr motiviert. Und der Name den er gerade vor Otori ausgesprochen hatte, klang anders als der, den er ohne seine Gegenwart gesagt hatte. „Tanizaki Izuho...“ Kurz und knapp. Das war scheinbar Tanizakis Art. Etwas womit ich nicht leben konnte, wenn er mit seinen prägnanten kurzen Sätzen keine wichtigen Infos weitergab. Für eine Vorstellung seinerseits reichte es aber. „Angelo Marino aus die Bella Italia. Ich freue mich sehr auf ihre... Eure... seine... Ich freue mich.“ Ein Lächeln lag auf Otoris Lippen, als Marino scheinbar etwas das er sagen wollte über den Haufen warf, weil er einfach nicht wusste, wie er es im japanischen ausdrücken sollte. „Meguro Akechi, sehr erfreut.“ Wie die anderen auch, verbeugte ich mich dezent. Auch wenn diese Verbeugung mehr Otori als dem Rest galt. „Sehr schön. Von heute an seid ihr Jungs ein Team. Um dieses Jahr zu überleben, müsst ihr fünf zusammen arbeiten und hart trainieren.“ „Überleben?“ Fast zeitgleich mit Hoshitani stellte auch Marino diese Frage. Wahrscheinlich hatte er gerade andere Bilder im Kopf als Hoshitani selbst, der einfach nur ahnungslos schien. „Nur weil ihr in diesem Vorsprechen ausgewählt wurdet, bedeutet das nicht, dass ihr schon im Musical Department seid.“ „Sind wir nicht?“ Ja, Hoshitani war definitiv ahnungslos, weswegen ich dankbar war, das Otori als unser Trainer nun den Erklärbär mimte. „Weil das Musical Department ein spezieller Kurs ist, werdet ihr diesem erst im zweiten Jahr offiziell beitreten. Mit anderen Worten als erster Jahrgang seid ihr nur Kandidaten. Die zwanzig Teams, die fünf Star-Teams eingeschlossen, die ausgewählt wurden, haben es gerade mal durch die erste Runde des Begutachtungsprozesses geschafft. Nach der zweiten Runde, welche der Auftritt des Newcomer Debüts ist, wird die Hälfte dieser Teams, also zehn, eliminiert. Die letzte Auswahl wird auf der Bühne des Ayanagi Festivals getroffen. Dort wird die nächste Hälfte eliminiert. Nur fünf Teams, also 25 Schüler, werden offiziell im Musical Department aufgenommen.“ „Nur 25 Schüler...“, hörte ich Hoshitani flüstern, der sich scheinbar erst jetzt bewusst wurde, was das bedeutete. „Deswegen sollte es offensichtlich sein, dass selbst wenn ihr in einem Star-Team seid, ihr keine besondere Behandlung bekommt. Den einzigen Vorteil den ihr habt, ist der das ihr von uns lernen könnt, dem Schülerrat.“ „Aber ist das nicht schon ein großer Vorteil?“ Innerlich musste ich lachen, denn selbst ich empfand es als großen Vorteil. Auch wenn es uns nicht daran hindern sollte hart zu trainieren. Gleichzeitig war es auch ein Nachteil, immerhin stand jeder Trainer von einem Star-Team mit seinen Namen dafür ein. Zu scheitern würde also, in meiner Welt, bedeuten, dass man dem Trainer Schande bereitete. Fast wie beim Fußball, nur das hier nicht der Trainer für die Schlampigkeit des Teams zahlen würde. „Das hängt von jedem einzelnen von euch ab. Nun denn, warum fangen wir nicht einfach an. Also, boys! Es ist Zeit zum spielen.“ Ich spürte die Röte in meine Wangen schießen, denn zu hören das es Zeit zu spielen war, löste in mir ein paar zweideutige Gedanken aus. Ich verfluchte die Tatsache, dass Suwabes Stimme, also Otoris, so sexy war. Das machte diese Schein-Zweideutigkeit nur noch schlimmer.   Aus einer Tasche die Otori mitgebracht hatte, zog er fünf Manuskripte. Jeder von uns bekam eines und es war auf einmal ein seltsames Gefühl zu wissen, was es war und dieses Wissen in den eigenen Händen zu halten. „Ayanagi Akademie Mordfall 4. Akt.“ Genau wie ich es am Morgen gedacht hatte. Immerhin eine Konstante gab es. Auf Otori war eben doch noch, fast, verlass. „Ich lasse euch heute das hier vorführen.“ „Ayanagi Akademie Mordfall...?“, las Hoshitani laut vor und starrte ein wenig überrascht auf das Script. Bei Marino hingegen konnte ich so etwas wie Enttäuschung und Frust ablesen. „Das Script enthält den Höhepunkt der Geschichte. Der Direktor der Ayanagi Akademie wurde ermordet und der Detektiv hat die vier Verdächtigen, die vier Söhne des Direktors, versammelt und ist dabei den Täter zu entlarven. Ich werde euch eure Rollen zuweisen. Tanizaki, du bist der erste Sohn. Er streitet mit seinem Vater darüber, wie die Schule geführt werden soll.“ Mein Blick zu Tanizaki, der mit einem kurzen „Jawohl“ antwortete. Im deutschen hätte das sicher doof geklungen. Im japanischen hingegen hatte es was militantes. „Fujisaki, du spielst den ruhigen, zweiten Sohn. Er ist nicht sehr erfreut über seinen Vater, wegen ihrer verstorbenen Mutter. Meguro, du spielst den talentierten dritten Sohn.“ „Hä? Was ich?“ Ich konnte es eigentlich nicht glauben, was er da sagte. Denn in Starmyu hatten die Rollen charakterlich irgendwie zu den Mitgliedern seines Teams gepasst. Kuga der ruhige, Tsukigami der besonnene, Tengenji der talentierte. „Genau du. Er wurde-“ „Ich weiß, er wurde von ihrem Vater beinahe enterbt.“ „Oh? Da scheint jemand das Stück zu kennen.“ Ich sah etwas in Otoris Augen aufblitzen. Und bereute sogleich mein Wissen. Verdammt. Damit hatte ich vielleicht Erwartungen geweckt, die ich allerdings nicht erfüllen konnte. „Marino wird den vierten, schüchternen Sohn spielen. Er wollte immer, dass sein Vater ihn anerkennt. Und der Detektiv, der den Täter fassen will wird von Hoshitani gespielt.“ „I-Ich soll den Detektiv spielen?“ „Ja. Also. Macht euch bereit.“ Mein Blick wandte sich zu Hoshitani, der aufgeregt und freudig über seine Rolle zu sinnieren schien. Ich hingegen dachte darüber nach, wie ich das nun überleben sollte, wenn dann nur noch leere Seiten auf mich warteten. Dieses Mal gab es eben keinen Kuga der sich zum Täter machen würde. „Also dann, fangen wir an.“ „Ohne es einmal zu lesen?“, fragte Tanizaki und sah dabei zu Hoshitani. Es war so als zweifelte er daran, dass besonders Hoshitani ohne den ersten Durchgang etwas zustande bringen würde. „Natürlich. Auf diese Weise kann ich mehr von euren Fähigkeiten sehen.“ „Otori-senpai denkt wirklich an alles. Unglaublich.“ Fujisaki begab sich abermals in den kleinen Fanboy-Himmel. Doch dabei entging ihm, wie Otori seinen Blick dezent zum Fenster wandte. Ich folgte ihm unauffällig, wissend wer dort stehen würde. Und auch Hiragi erwies sich als sehr verlässlich. Da stand er und beobachtete Otori oder viel mehr sein Star-Team. „Der Ayanagi Akademie Mordfall beginnt!“ Das Licht ging auf Otoris Befehl hin an und ohne zu zögern setzte Tanizaki auch schon ein. „Wurde Vaters Tod nicht als Unfall dokumentiert?“ Er klang aufgeregt, was man wohl auch wäre, in Angesicht der Tatsache, dass nun auf einmal einer der Brüder der Mörder sein sollte. Ich seufzte aber leise und wandte mich dezent von Hoshitani ab, um meiner Rolle etwas mehr Ausdruck mit ihren Worten zu verleihen. „Ich habe keine Zeit für so etwas!“, erklärte ich in meiner Rolle, über die Schulter hinweg und versuchte dabei kühl zu klingen. So als wäre mir all das egal. „Warum haben sie uns hier versammelt, eh?“ Auch wenn Marino sich bemühte, seinen italienischen Akzent bekam er doch nicht raus. Aber er wirkte doch mit einem Mal viel japanischer. Vor allem da er von dem Script ablesen konnte. „Ich weiß wer der Täter ist“, verkündete Hoshitani mit deutlicher Kunst in der Stimme. Am Script konnte es nicht liegen, auch wenn es nur so vor Klischees triefte. Dennoch, ganz wie das Script es forderte, reagierte jeder auf seine Weise auf diese Ankündigung. Ich wandte mich nun doch wieder etwas mehr zu Hoshitani, der uns den Rücken zugewandt hatte und dabei war sich zu uns umzudrehen. „Der Täter ist... einer von euch!“ Ja, er übertrieb wirklich. Seine Stimme war zu laut, die Handbewegung von irgendeinem Billigdetektiv abkopiert und alles andere als glaubwürdig. Just in diesem Moment dachten wir wohl alle dasselbe. „D-Das ist grausam. Niemand von uns könnte Vater umbringen.“ Auch wenn er wahrscheinlich überrascht war, reagierte Marino sofort wieder InCharacter. Und ich glaubte ihm wirklich, dass er gerade versuchte die Wogen zu glätten. Die Rolle als gutgläubiger, naiver Sohn stand ihm. Noch dazu war seine Stimme leise, zurückhaltend, wenn auch mit Nachdruck, was deutlich machte, dass er schüchtern war. Und es spielte mir in die Hand. Denn ich konnte ihn ganz einfach übergehen. Seinen Protest. „Sagen Sie schon! Wer ist der Täter!“, forderte ich und wie von selbst hatte diese Forderung einen Unterton, der zweifelnd war. Fast so als wäre es meine Rolle, die der Täter war und nun herausfinden wollte, was de Detektiv wirklich wusste. „Sie haben sicher auch einen Beweis, oder?“, setzte Tanizaki nach. Ebenfalls mit einem seltsamen Unterton. Vielleicht bildete ich mir das aber auch nur ein, weil ich mich einfach darauf einlassen konnte, denn abgesehen von Hoshitani war keiner hier in seinem Schauspiel überzogen. „Natürlich habe ich einen Beweis.“ Auch Hoshitani schien sich mitreißen zu lassen. Er klang plötzlich etwas natürlicher. „Wer soll es dann Ihrer Meinung nach getan haben?“ Ich forderte mehr, vehementer. Und es war doch so natürlich. Nicht wie ich schauspielerte, sondern wie es meine Lippen taten. Wie mein Gedächtnis scheinbar das Stück zu Teilen rezitierte. Akechi dieser Fanboy... „Wer war es? Bitte sagen Sie es uns, Herr Detektiv“, ging Tanizaki erneut auf meine Worte ein. „Also gut, der Täter ist...“, Hoshitani machte es spannend während er auf die leere Seite blätterte. Genau wie wir. Ja, auf Otori war in solchen Fällen immer Verlass. Genauso wie auf die überraschten Gesichter meiner Kollegen. Meine Überraschung hingegen blieb aus, immerhin hatte ich bereits gewusst, was mich zu erwarten hatte. „Ähm... Otori-sen-“ „Macht weiter.“ Fujisaki hatte gerade eine Frage stellen wollen, doch Otori schnitt ihm die Worte ab. „Der Vorhang ist immer noch oben.“ „Wir fangen schon am ersten Tag mit Improv an? Meinst du nicht, dass es etwas zu früh ist?“, fragte Tanizaki und sah besonders zu Hoshitani und mir. Mir war klar, was ihm durch den Kopf ging. „Mach dir um mich keine Sorgen“, konterte ich. „Ähm, was bedeutet Improv?“ „Improvisation...“, antwortete Marino auf Hoshitanis Frage und scheinbar verstand auch er nun, was Otori von uns forderte. „Genau das werden wir machen. Ich möchte, dass ihr diese Geschichte vernünftig zu Ende bringt.“ Kaum das Otori das erklärte, sah Tanizaki zu diesem. Zweifelnd, fast schon ein wenig besorgt. Hoshitani aber, und auch da wurde ich nicht enttäuscht, war vollkommen zuversichtlich. „Dann auf die Plätze. Fangt bei der letzten Zeile des ältesten Bruders auf Seite vier an und macht weiter.“ Zu viert gingen wir wieder auf unsere Plätze. Es gab eben keinen Kuga, der einem Hoshitani auf die Sprünge half. Und ich wäre sicher nicht auf dies grandiose Idee gekommen. Das hieß, ich musste Hoshitani anders helfen. „Also, boys. Haben wir damit noch etwas Spaß.“ Mit einem Klatschen gab Otori das Signal und sofort setzte Tanizaki wieder ein. „Wer ist es? Bitte sagen sie es uns, Herr Detektiv.“ „Also gut. Der Täter ist...“ Schweigen im Walde von Hoshitani, dessen Finger von einem zum anderen schwenkte. Unsicher, wer der Täter sein sollte. „Der Täter ist... Der Täter ist...“ Er hatte wirklich keine Ahnung wie das ganze ausgehen konnte. „Also der Täter ist...“ Ich seufzte und trat etwas weiter vor, was Hoshitani wie aus Reflex zurückweichen ließ. „So ist das also. Sie denken wenn sie hier ein Schauspiel aufführen, wird der wahre Täter entlarvt. Wäre es da nicht besser sie erfinden eine Geschichte von der Mordwaffe und hoffen, dass der Täter sich verplappert?“ „Huh?“, fragte Hoshitani. Scheinbar hatte ich ihn mit meiner Impro ein wenig von den Socken gehauen. „Was sagst du da... Mordwaffe? Vaters Tod war ein Unfall“, konterte Fujisaki, dessen stumme Rolle auf einmal erwachte. „Warum glaubst du daran, dass es ein Unfall war?“, fragte ich und sah Fujisaki an. Irgendwie mussten wir Hoshitani Informationen zuspielen. Etwas womit er einen glaubwürdigen Täter finden würde und Beweise. Wir mussten ihn dirigieren. Doch dafür brauchten wir jemanden, der alle anderen auch noch dirigierte. Ohne zwang, sondern natürlich. „Die Autopsie hat doch ergeben, dass es ein Herzinfarkt war. Etwas vollkommen natürliches, weil Vater schon so alt war.“ Es war wohl die beste Antwort, die man geben konnte, in so einer Situation. Doch damit schob er vor allem Hoshitani wieder in eine Richtung in der er nicht entscheiden konnte, wer der Täter war. „Herr Detektiv... suchen sie nicht weiter. Niemand von uns hat Papa boswillig etwas getan. Es war sicher nur eine Unfall“, mischte sich Marino ein und versuchte so ein schnelles Ende herbei zu führen. Vielleicht war das auch besser so, denn so konnte Hoshitani sich entscheiden ob er wirklich jemanden bezichtigen wollte. „Ich bezweifel das. Jemand hat ihren Vater gezielt umgebracht. Und das über Wochen.“ Nun war ich gespannt, was Hoshitani aus dem Ärmel zaubern würde. Über Wochen hätte immerhin bedeutet, dass jemand den Vater Medikamente eingeflösst haben musste, ohne das dieser es merkte. Medikamente die einen Herzinfarkt auslösen konnten. „Sie wollen uns ernsthaft erzählen, jemand hat den Herzinfarkt ausgelöst? Wie? Und vor allem wie wollen sie das beweisen?“ Tanizaki griff wieder ein. Und da waren wir wieder beim Thema. Hoshitani hatte keinen Beweis. In einer Haltung, die sagte, dass mir das Ergebnis egal war, steckte ich meine Hände in die Jackentasche. Ich hoffte etwas darin zu finden, dass Hoshitani vielleicht helfen konnte. Und da war wirklich etwas. Eine kleine Packung Kaugummi-Dragees die ich mir zuvor geholt hatte, im kleinen Schulshop. Ich zog sie hervor und war auch teilweise wieder fasziniert, wie Dosenähnlich diese Dragees verpackt waren. Fast so, als wäre das eine Pillendose. Ich öffnete den Deckel und nahm eine von ihnen. Der Geschmack war süß. Maracuja. Ich liebte Maracuja. „Entschuldigen sie... ich muss aller paar Stunden ein paar Pillen gegen meinen hohen Blutdruck nehmen“, erklärte ich und packte nebenbei noch den Zaunfahl in die Erklärung. „Ist das immer noch nicht besser geworden?“, fragte Fujisaki und ich schüttelte den Kopf. „Wobei das kann nur noch besser werden. Der Alte bringt mich nicht mehr so oft auf die Palme.“ „Rede nicht so über Vater.“ Tanizaki war es, der mich in seiner Rolle schelte. Ich verzog nur angenervt das Gesicht. „Sie waren es...“, antwortete Hoshitani schließlich und sah mich an. Sein Blick wirkte ernst, fast schon bohrend. „Sie haben ihrem Vater, der kerngesund waren, täglich etwas von ihrem Blutdrucksenkenden Mitteln gegeben. Man kann es nach wenigen Stunden schon nicht mehr nachweisen. Wäre es nur einmal gewesen, wäre das bedenkenlos gewesen, aber Sie haben es mehrere Tage gemacht. Das Herz ihres Vaters konnte das nicht aushalten und der Infarkt wurde ausgelöst. Ist es nicht so?“ Er sah mich weiterhin an, doch ich lächelte nur kalt. Selbstsicher. So als wusste ich, dass er mir nichts nachweisen konnte. „Haben sie Beweise?“ „Herr Detektiv, ich bitte sie jetzt zu gehen. Mein Bruder ist unschuldig. Nur weil er Probleme mit dem Blutdruck hat, ist das kein Beweis, dass er auf diese Art Vater umgebracht hat.“ Ich fühlte mich sicher. Denn was auch immer der Detektiv sagen würde, ich hatte hier drei talentierte Gefährten, die mir helfen würden. „Das Testament ist der Beweis. Ihr Vater hatte einen Termin bei einem Notar. Dort sollte das Testament geändert werden. Ein Anruf bei dem Notar bestätigte, dass der dritte Sohn des Direktors aus dem Testament gestrichen werden sollte. So wie er es bereits mehrfach angekündigt hatte. Sie haben das mitbekommen und wussten, dass Sie handeln mussten, wenn Sie doch noch etwas von dem Geld erben wollten. Ist das nicht so?“ Die Blicke meiner drei Gefährten wandten sich mit gespielter Fassungslosigkeit zu mir. Ja, dass war der logischste Schluss. Und vor allem auch der glaubwürdigste. Mord wegen Gier. „Sag dass das nicht wahr ist“, forderte Fujisaki und packte mich am Kragen. Dadurch, dass er größer war, zog er mich etwas auf die Zehenspitzen und ich konnte die Wut in seinem Blicken spüren. „Sag, dass du ihn nicht nur wegen Geld umgebracht hast!“ Ich sah ihn unbeteiligt an. Auch wenn mir gerade etwas die Luft wegblieb. Fujisaki hatte wirklich einen sehr leidenschaftlichen Griff. Doch Tanizaki ging zwischen uns und trennte ihn von mir. „Antworte!“, forderte Fujisaki dennoch und ich fragte mich, ob er damit wirklich noch IC war. Immerhin war er doch der ruhige Sohn. Allerdings konnten selbst die Ruhigeren aufbrausend sein, wenn sie es wollten. „Ich konnte Mutters kleines Theater nicht aufgeben. Deswegen. Er hat es nicht anders verdient“, gestand ich leise ein und wandte mich von dieser Scheinfamilie ab. „Ich bereue nichts. Außer, dass ich es nicht schon früher getan habe.“ Ich ging etwas mehr auf Hoshitani zu, doch fiel vollständig aus der Rolle, als Otori, den ich vollkommen ausgeblendet hatte, in die Hände klatschte. „Das reicht. Das war schon ganz gut für das erste Mal. Das sollte es auch schon für heute sein“, erklärte er und erhob sich von seinem Platz. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, verließ er den Proberaum und ließ uns zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)