Unwritten von Puppenspieler ================================================================================ August • Flashback ------------------ Die Sonne schien glühend heiß vom Himmel, der strahlend blau und so grell war, dass ein Blick hinauf schon in den Augen schmerzte. Zikaden zirpten, so laut, dass es ohrenbetäubend wurde. Die ganze Welt leuchtete beinahe künstlich grell, die Farben übersättigt. Die Luft flimmerte vor Hitze. Hochsommer. Es war diese Zeit des Jahres, die in Hotaru den Wunsch weckte, sich irgendwo zu verstecken, bis die drückende Hitze verschwand – und mit ihr der Überschuss an Erinnerungen, der dazu führte, dass sie so sentimental wurde, dass sie manchmal in einer Tour seufzte. Es machte sie schwermütig und träge. Sentimental sein war so unglaublich erschöpfend. Sie suchte schattige Plätzchen, weil Sonnenschein und blauer Himmel sie an ein Leben erinnerten, das sie hinter sich gelassen hatte.   Den größten Teil ihres Lebens hatte sie in der Präfektur Hyougo verbracht. Es war im Sommer ihres dritten Mittelschuljahres gewesen, dass sie umgezogen war, weil ihr Vater versetzt worden war. Von Hyougo nach Miyagi, und nun war sie hier, ohne ihre Kindheitsfreunde, ohne die vertrauten Schlupfwinkel.   Ohne Icchan.   Ihr letzter Tag in der alten Heimat war ein glühend heißer Augusttag gewesen. Die Sonne hatte gnadenlos auf ihren Kopf niedergebrannt, dass sie Kopfschmerzen davon bekommen hatte. Oder war es wegen der krampfhaft unterdrückten Tränen gewesen? Dem dröhnenden Lärm der Zikaden? Vielleicht war es auch von allem etwas gewesen. „Wir können uns in den Ferien sehen“, hatte Icchan gesagt und gelächelt. Das grelle Licht malte harte Schatten auf ihr Gesicht und gab ihr einen seltsam unwirklichen Beigeschmack. Als wäre sie nur noch eine Erinnerung, dabei war es so weit doch noch nicht gekommen. Sie war schon immer die Stärkere von ihnen beiden gewesen, die Optimistin, die hoffnungslose Träumerin, die in allem etwas Positives sah. Hotaru hatte genickt, obwohl sie schon damals nicht daran geglaubt hatte. Ferien gehörten dem Clubtraining oder ihrer Familie, so war das schon immer gewesen, und so würde das bleiben, auch wenn Clubtraining zukünftig nicht mehr Icchan bedeutete. Icchan wusste das auch. Aber die Realität war leichter, wenn man sich vorgaukelte, sie sähe anders aus. „Und bei Turnieren! Du spielst doch weiter, nicht?“ Wieder hatte Hotaru genickt, aber diesmal hatte sie es ernst gemeint. Sie würde um kein Geld der Welt mit dem Volleyball aufhören, denn ihre schönsten Erinnerungen waren mit dem Sport verknüpft. „Gut. Also sehen wir uns wieder!“ Icchan strahlte immer noch. Sie zog etwas aus ihrer Tasche, als hätte sie nur darauf gewartet. Es war ein Armband, selbstgeknüpft, gemessen daran, wie unsauber es an einigen Stellen aussah. Hotaru kannte es. Icchan hatte es als kleines Kind auf einem Straßenfest gekauft und es war seitdem ihr persönlicher Schatz gewesen. „Wir sehen uns wieder! Auf dem Spielfeld. Auf der Uni. Wir bleiben Freunde, Hotaru!“ Sie drückte es in Hotarus Hand und sah sie beinahe feierlich ernst an.   „Das ist ein Versprechen.“   Unser Leben ist immer noch verbunden.   Sie hatten sich in den Ferien nicht gesehen.   Sie hatten es bisher auch beide nicht zu einem nationalen Turnier geschafft.   Weil Hotaru es trug, wann immer es möglich war, war das Armband inzwischen abgegriffen. Die grellen Farben waren verblasst, wie ihre Erinnerungen an das alte Haus, in dem sie gelebt hatte, an den alten Schulweg und die alte Schuluniform. Selbst die Erinnerung an ihr letztes Treffen mit Icchan war ausgeblichen wie ein Buch, das den Sommer im Schaufenster eines Ladens verbrachte. Sie telefonierten oft. Schrieben E-Mails oder chatteten. Es war nicht, als wäre Icchan aus ihrem Leben verschwunden, sie hatte aktuelle Fotos, sie wusste, was Icchan tat. Hörte von ihrem neuen Team, ihren neuen Freunden. Und trotzdem waren drückend heiße Sommertage eine ermüdende Erinnerung. Sie waren beide in den Vorrunden zur Inter High rausgeflogen. Hatten sich versprochen, sich zur Spring High mehr anzustrengen. Wie letztes Jahr schon.   Wie nächstes Jahr.   Nächstes Jahr. Letzte Chance. Schon vor dem Umzug hatte Hotaru gewusst, auf welche Uni sie wollte – gemeinsam mit Icchan. Daran änderte sich nichts. Das war Teil ihres Versprechens. Aber sie wollte auch den anderen Teil einlösen. Sie wollte Icchan auf dem Spielfeld wiedersehen, als Freundin, als Rivalin, sie wollte diese losen Fäden, die ihr jeweiliges Schulsportleben gerade waren, packen und miteinander verknoten. Icchan gehörte in jeden Teil ihres Lebens, nicht nur nach Hyougo.   Sie seufzte tief, ließ den Kopf in den Nacken fallen und starrte an die weiße Decke ihres Zimmers.   Es war leichter geworden. Sie vermisste Icchan immer noch schmerzlich, aber sie war glücklich mit ihrem neuen Team und wollte es um nichts in der Welt eintauschen. Du würdest sie mögen, Icchan. Ganz bestimmt. Sie seufzte noch einmal, richtete sich wieder auf. Auf ihrem Schreibtisch stand eine transparente Kunststoffbox, die sie von innen mit Geschenkpapier ausgekleidet hatte. Durch das leicht milchige Material leuchteten ihr Schmetterlinge und Blumen entgegen. Sie sah auf ihr linkes Handgelenk, wo das Armband war, an den Enden schon ausgefranst. Inzwischen hatte sie Mühe, es wieder zuzuknoten, wenn sie es abnahm. Hotaru stieß langsam die Luft aus. Sie liebte dieses Armband. Über alles. Es war ihr kostbarster Besitz, und genau deshalb war sie der Überzeugung, dass es besser war, wenn sie es nicht mehr trug. Das Versprechen mit Icchan trug sie im Herzen, mehr noch als am Handgelenk. Behutsam löste sie das Band, legte es in die Box, die bis einen bunten Umschlag noch vollkommen leer gewesen war.   Ein neues Versprechen.   Nächstes Jahr würden sie gewinnen. Nächstes Jahr, wenn sie, wie schon längst einstimmig beschlossen worden war, Vize-Captain des Teams sein würde, an der Seite von dann-Captain Ritsu. Nächstes Jahr würden sie zur Nationalmeisterschaft kommen, und Hotaru würde Icchan all ihre neuen Freunde, ihr neues Team vorstellen können, auf dass ihre bunte Mädchenclique um Icchan anwachsen würde. Es ging schon lange nicht mehr nur um Icchan. Hotaru hatte zwei große Teile ihres Lebens, die bisher getrennt waren, und sie wollte, dass sie zusammenfanden, wie die ausgefransten Enden ihres Armbands, wenn sie es am Handgelenk verknotete. Es wurde Zeit, lose Fäden zu verknüpfen. Nicht nur einmal kurzzeitig, sondern nachhaltig, für die Zukunft. Deshalb machte es nur Sinn, dass es hier landete. Wenn sie es sich zurückholte, würde Icchan dabei sein.   „Warte in der Zukunft auf mich“, murmelte sie ihrem Schatz zu, ehe sie den Deckel der Box schloss. Sie seufzte noch einmal, sah hinaus in den grellen, strahlenden Sommertag.   Und lächelte.  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)