Symphonie von Des-C-Kudi ================================================================================ Kapitel 4: Akt IV ----------------- Akt IV . . . „Helga G. Pataki und Arnold Shortman.“   Oh nein, nicht mit mir!   Als sich alle in der Klasse verwundert zu ihr umdrehten, merkte Helga, dass sie ihre Gedanken laut ausgesprochen hatte. Aber sie ließ sich nicht unterkriegen. Herausfordernd sah sie ihre Lehrerin an.   „Sie wollen doch nicht ernsthaft, dass ich mit dem da zusammenarbeite?“ Sie zeigte mit dem Daumen auf Arnold.   Mrs. Bienville zuckte mit den Schultern. „So sind die Regeln, Helga. Wenn du eine gute Abschlussnote haben willst, musst du für dein Projekt mit Arnold zusammenarbeiten.“   Helga seufzte lautstark. So ein Mist aber auch. Sie gab sich geschlagen.   Als es klingelte, rauschte sie an ihm vorbei.   „Wir sehen uns nach der Schule in der Bibliothek, Footballschädel. Wehe, du kommst du zu spät. Ich habe Besseres zu tun, als den Nachmittag mit dir zu verbringen“, zischte sie. Sie wartete nicht seine Antwort ab und drückte sich an ihm vorbei.   Sie konnte nicht verhindern, dass ihr Herz Purzelbäume schlug. . . . Er beobachtete, wie sie ungeduldig auf- und abging.   „Ich fasse es nicht, dass diese Schreckschraube von mir verlangt, dass ich mit dir allen Ernstes dieses Projekt durchziehen soll.“ Ihr Redeschwall hörte nicht auf.   Theatralisch warf sie ihre Arme ungeduldig in die Luft. „Ich meine, als ob ich meine Freizeit nicht anders verbringen könnte.“   Unwillkürlich ballte er seine Hände unter dem Tisch zu Fäusten.   Sie ignorierte die mahnenden Blicke der Bibliothekarin und drehte sich stattdessen ruckartig zu ihm um. „Ich habe übrigens vor, mit fliegenden Noten dieses Fach zu bestehen. Wage es also bloß nicht, meine Noten in den Keller zu ziehen.“   Sie warf die Haare über die Schulter und verschränkte die Arme. „Sie hätte mir jeden als Partner zuteilen können, meinetwegen auch Brainy. Aber dass ich ausgerechnet mit dir zusammenarbeiten muss. Dabei kann ich dich nicht leiden, Arnoldo. Absolut. Nicht. Nada.“   Dann passierte es.   Irgendetwas riss in ihm.   Seine Augen bildeten sich zu Schlitzen.   „Wirklich nicht, Helga?“ . . . Sein Blick irritierte sie.   „Ja, natürlich… was denkst du denn sonst, Footballschädel.“ Ihre Stimme hörte sich nicht so fest an, wie sie sich es erhoffte. Sie warf sich ihre Tasche über die Schulter. „Die Aufgaben sind aufgeteilt. Wir sehen uns nächste Woche.“ Sie drehte sich um und wollte gerade aus der Bibliothek marschieren, als sie seine Stimme hörte.   „Morgen für Morgen sehe ich dich trinken, sanft gebeugt über den Brunnen der Liebe.“   Sie erstarrte.   Ihr Herz setzte aus.   Oh. Gott.   Alles in ihr schrie danach, weiterzugehen, aus der Bibliothek zu stürmen, sich bloß nicht umzudrehen, bloß nicht-   „Mein Herz erzittert, wenn ich dich stehen sehe zu meiner Linken.“   Sie drehte sich langsam um.   Er lehnte gegen ein Bücherregal und las von einem auseinandergefalteten Zettel ab.   „Wie tief, ach, wie tief muss ich sinken, gefangen im Netz meiner Triebe.“   Er hob den Blick und sah sie gelassen an. „Dieses Gedicht weckt den Anschein, dass du mich mehr als gut leiden kannst, Helga.“   „Woher…?“ Mehr brachte sie nicht heraus. Ihr Hirn war wie leergefegt.   Er zuckte mit den Schultern. „Beim Durchforsten von Mr. Simmons Akten bin ich über einen Stapel Gedichte gestolpert. Wer hätte je geahnt, dass Helga G. Pataki so eine poetische Ader hat“, fügte er hinzu. Das Grinsen konnte er nicht unterdrücken.   Unvermittelt brach sie aus ihrer Erstarrung.   In zwei Schritten war sie bei ihm und riss ihm den Zettel aus der Hand. „Her damit.“ Sie zitterte vor unterdrückter Wut. Bereitwillig überließ er ihr den Zettel. „Ich habe mehr davon.“   „Bild dir bloß nichts darauf ein“, fauchte sie, „Diese Gedichte waren nie an dich gewidmet. Eher wird mir schlecht, als dass du jemals meine Muse spielen wirst.“ Erleichtert erinnerte sie sich daran, dass sie nie Arnolds Namen in ihren Gedichten für den Schulunterricht erwähnt hatte.   Sein Lächeln verschwand.   „Ruhe dahinten!“ Die scharfe Stimme der Bibliothekarin riss sie aus ihren Gedanken.   Ungeduldig drehte sich Helga um. „Sehen Sie nicht, dass ich hier gerade ein Gespräch-“   Weiter kam sie nicht.   Arnold packte sie an der Hand und zog sie hinter ein Bücherregal.   Er baute sich vor ihr auf und presste sie gegen die Bücherrücken.   „Verkauf mich nicht für dumm, Helga“, flüsterte er. Überrascht bemerkte sie, dass Arnold wütend war. Wut und Arnold- zwei Wörter, die sich nur schwer kombinieren ließen.   „Wieso hättest du mich sonst damals auf dem Dach des FTi-Gebäudes geküsst? Du hast mir doch selbst deine Liebe gestanden.“   Sie konnte ihr Spiegelbild in seinen Augen sehen.   So nah war er ihr.   Langsam keimte Panik in ihr auf.   Sie wandte ihr Gesicht ab. „Ich dachte, wir hätten das längst hinter uns. Du hast es einfach in den falschen Hals bekommen.“   Als ob er sie nicht gehört hätte, beugte er sich näher zu ihr. Die Alarmglocken schrillten in ihr auf. Nervös drückte sie sich ans Regal. Sie wusste, was jetzt unweigerlich folgen würde.   „Gib’s zu, Helga. Du warst verliebt in mich.“ Er starrte sie eindringlich.   Sie antwortete nicht.   Plötzlich änderte sich sein Blick.   Sie wusste nicht, was es war, aber instinktiv spürte sie, dass seine Gedanken abdrifteten.   Er tastete ihr Gesicht langsam mit den Augen ab.   „Und vielleicht bist du es immer noch“, murmelte er schließlich.   Da.   Arnold hatte es ausgesprochen.   „Nein“, keuchte sie. Die Panik nahm Überhand und bevor sie einen klaren Gedanken fassen konnte, stieß sie ihn von sich. Sie nutzte den kurzen Überraschungsmoment aus, um aus der Bibliothek zu fliehen. Sie schaute nicht zurück. . . . Er machte sich bittere Vorwürfe.   Arnold verschränkte die Arme und legte seinen Kopf auf den Tisch. Es hatte den Anschein, als ob er sich im Literaturkurs von Mrs. Bienville langweilen würde, aber tatsächlich war seine ganze Aufmerksamkeit auf Helga gerichtet. Unter halbgesenkten Augenlidern beobachtete er sie.   Er hatte sie in die Ecke gedrängt und verjagt.   Aber irgendwann war ihm einfach der Kragen geplatzt, als sie lang und breit ausgeführt hatte, wie sehr es sie anwiderte, in seiner Nähe zu sein.   Dabei hatte er ihre Gedichte gelesen.   Jede einzelne Zeile war gefüllt mit unmissverständlichen Liebesbotschaften, gewidmet an einen Fremden.   Und dieser Fremde war wohl er.   Er musste schon gehörig auf den Kopf gefallen sein, um nicht eins und eins zusammenzählen zu können. Alle Einzelheiten fügten sich wie Teile zu einem Puzzle zusammen. Ihr ständiges Triezen, ihr ambivalentes Verhalten ihm gegenüber, ihre Liebeserklärung… Irgendwie überraschte ihn diese Entdeckung gar nicht. Als ob er es tief drinnen immer geahnt hätte.   Aber dass sie ihn vielleicht immer noch lieben würde, hatte ihm ziemlich den Wind aus den Segeln genommen.   Dieser Gedanke war ihm spontan gekommen, als er vor ihr gestanden und sie tunlichst seinem Blick ausgewichen war. Ihre Reaktion sprach Bände.   Okay, wie reagiert man am besten darauf, wenn man herausfindet, dass die selbsternannte Nummer-eins-Schulprovokateurin aus Grundschultagen schon immer in einen verknallt war?   Na, indem du sie heiratest, Kurzer.   Als die Stimme seines Großvaters durch seinen Kopf tönte, lächelte er. Er konnte sich nur zu gut an die Unterhaltung mit seinem Großvater erinnern, die er vor vielen Jahren geführt hatte. Damals hatte er auf einen weisen Ratschlag von ihm gehofft, da ihm Helgas Tricksereien zeitweise richtig auf die Nerven gingen. Großvater, der selbst sowas Ähnliches in seiner Kindheit erlebt hatte, hatte dann aber zu seinem Entsetzen verkündet, dass er mit seinem Schulalptraum vor Altar gelandet war.   Arnold bezweifelte, dass seine Beziehung zu Helga jemals so enden würde. Dafür müsste er mehr empfinden als nur… ja, was empfand er für sie? Verwirrt über seine eigenen Gedankengänge, zog er die Augenbrauen zusammen.   Stattdessen dachte er an ihre Gedichte, die zugegebenermaßen ziemlich kreativ waren für eine Zehnjährige.   Ich versinke in deinen smaragdgrünen Augen und sehne mich danach, dass du meinen Blick erwiderst, mit der gleichen brennenden Liebe, die ich auch für dich empfinde.   Der wilde Tornado des Verlangens reißt mich mit, sobald du mich berührst. Gefangen bin ich in den Armen der Liebe und nur du, ach nur du, hast mich dazu verführt.   Jede Morgen und Abend bete ich deinen Schrein an, gewidmet an dich. Denn du bist meine Sonne und mein Mond und nur dir bin ich willig.   Oh dreh‘ dich zu mir um, Liebster und lass mich deine Lippen verschließen mit meinen. Verboten sind meine Gedanken und dennoch sehne ich mich nach deinen.   Sein Blick wanderte über ihr Profil. Konzentriert starrte sie auf die Tafel, als Mrs. Bienville eine Frage stellte. Nachdenklich tippte sie sich mit dem Stift an den Mund. Wie von selbst blieb sein Blick an ihren Lippen hängen.   Er fragte sich, wie es wohl wäre, sie zu küssen.   Ein richtiger Kuss. Nicht die unschuldigen Lippenkontakte, die er unzählige Male –mal mehr und mal weniger freiwillig- mit ihr in seiner Kindheit ausgetauscht hatte.   Er wollte ihre Arme um sich spüren, sie an sich pressen und sie küssen, bis sie ganz atemlos wurde.   In seinem Bauch hatte sich ein Knoten gebildet. Bevor er es verhindern konnte, hatte sich der Wunsch bereits in seinen Gedanken manifestiert. . . . Zufrieden betrachteten sich beide Mädchen im Spiegel.   Phoebe hatte sich für ein hellblaues Abendkleid entschieden, das wunderbar ihre zierliche Statur zur Geltung brachte. Zur Abwechslung hatte sie sich Kontaktlinsen eingesetzt und ihre mandelförmigen Augen umschmeichelte ein dramatischer Lidstrich. Helga war sich sicher, dass Gerald nicht die Finger von ihr heute Abend lassen würde.   Phoebe drehte sich zu Helga um und lächelte ihre Freundin an. „Du siehst so toll aus, Helga. Ich freue mich riesig, dass du dich entschlossen hast, dieses Jahr am Frühlingsball teilzunehmen.“   Helga hatte ein dunkelrotes, bodenlanges Kleid ausgewählt, das ärmelfrei war und vorne fast schon züchtig mit dem hochaufgeschlossenen Ausschnitt wirkte, wenn es nicht hinten komplett rückenfrei gewesen wäre. Ihre Haare hatte sie mit dem Lockenstab bearbeitet und mit Phoebes Hilfe zu einer kunstvollen Hochsteckfrisur verwandelt. Kleine blonde Locken umrahmten ihr Gesicht und ihre Füße steckten in schwarzen Riemchenstilettos.   „Danke, Phoebe. Dieses Kompliment kann ich nur zurückgeben“, antwortete sie, während sie ihren Lippenstift nochmal nachzog. „Ab und zu sollte sich frau auch mal auf solche gesellschaftlichen Anlässe blicken lassen.“   Eigentlich stimmte die Story nur teilweise.   Sie erzählte ihrer Freundin nicht, dass sie auf den Herbstball einzig und allein nur seinetwegen erschien.   Vielleicht konnte sie nicht mehr rückgängig machen, was in der Bibliothek passiert war und dass sie unwiderruflich mehr von ihren Gefühlen preisgegeben hatte, als sie es jemals vorgehabt hatte- aber verdammt sollte sie sein, als dass er den Eindruck bekam, ein verliebtes Mauerblümchen vor sich zu haben, das nach seiner Pfeife tanzte. Er würde nie ihre Gefühle erwidern, aber sie hatte immer noch ihren Stolz. Sie war Helga G. Pataki, die sich von nichts und niemanden unterkriegen ließ.   Sie würde Arnold gehörig den Kopf verdrehen.   Sie nahm ihre Handtasche und sah ihre Freundin auffordernd an „Lass uns gehen, Phoebs. Die Herren der Schöpfung warten schon.“ . . . Er stand bei Stinky, Harold und Harolds Freundin Patty, die anders als ihr Freund immer noch die Highschool besuchte. Arnold nippte an seinem Punsch und hörte Harold zu, als er von einer kuriosen Begegnung mit einem Kunden in der Metzgerei berichtete. Plötzlich weiteten sich Stinkys Augen und er stieß ein anerkennendes Pfeifen aus.   „Wow, Helga sieht heiß aus.“   Arnold drehte sich um und folgte Stinkys Blick. Das Glas in seiner Hand ließ er sinken.   Sie betrat gerade mit Phoebe, Sid und Gerald im Schlepptau den Saal. Als sein bester Kumpel ihn entdeckte, lächelte er Arnold an und steuerte direkt auf ihn zu. Aber Arnold beachtete ihn nicht. Stattdessen konnte er nicht die Augen von Helga abwenden. In Gedanken musste er Stinky zustimmen- sie sah wirklich… gut aus.   Kurzzeitig kreuzten sich ihre Blicke, aber dann schaute sie weg und zog Sid demonstrativ auf die Tanzfläche. . . . Sid war vielleicht ein begnadeter Sänger und wusste, wie man aus einer E-Gitarre das Beste herausholen konnte, aber auf dem Parkett versagte er auf ganzer Länge, da er eindeutig mit zwei linken Füßen auf die Welt gekommen war.   Zu diesem Schluss kam Helga, als sie ihn nach dem Tanz um eine Pause bat. Schmerzhaft zog sie ihre Zehen ein. Während der letzten zwei Tänze war er ihr unzählige Male auf die nackten Zehen getreten.   Schuldbewusst kratzte sich Sid an den Kopf. „Tut mir Leid, Helga. Tanzen liegt mir einfach nicht. Kann ich dir irgendetwas zu trinken holen?“   „Schon gut.“ Sie machte eine abwehrende Geste. „Bediene dich lieber am Büffet, bevor Harold alles wegisst.“   Seine Miene hellte sich auf und sekundenspäter war er in der Menge untergetaucht.   Erleichtert lehnte sie sich gegen eine Säule. Vielleicht sollte sie sich langsam auf den Weg machen. Sie hatte ihre Mission erfüllt- Arnold hatte sie herausgeputzt und in männlicher Begleitung gesehen, sie hatte sich amüsiert –zumindest hoffe sie, dass es so auf Außenstehende wirkte- und jetzt wollte sie sich nur noch müde in ihr Bett verkriechen und ihren Füßen eine Verschnaufpause gönnen. Vielleicht würde sie sich noch einen Film reinziehen. Sie sollte es ausnutzen, dass Bob und Miriam erst morgen Abend wieder zu Hause sein würden-   Ein leichtes Tippen an ihrer Schulter riss sie aus ihren Gedanken.   Sie hob den Kopf und blickte in bekannte grüne Augen.   „Darf ich um den nächsten Tanz bitten?“ . . . Er war einfach auf sie zugesteuert, als sie sich von Sid getrennt hatte. Den ganzen Abend hatte er sich auf kein Gespräch konzentrieren können, weil er in der Menge immer wieder unwillkürlich nach ihr Ausschau gehalten hatte. Als sie nun gedankenverloren an der Säule lehnte, hatte er die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Ehe er sich versah, stand er vor ihr.   Mit großen Augen starrte sie ihn an.   Lächelnd streckte er die Hand aus. Zögernd sah sie ihn an.   „Angst, Helga?“, fügte er ironisch hinzu.   Seine Sticheleien wirkten. Ihre Augen bildeten sich zu Schlitzen. „Nicht vor dir, Arnoldo.“   Sobald sie ihre Hand in seine legte, umschloss er sie und zog sie in Windeseile auf das Parkett. Als sie vor ihm stehen blieb und keine Anstalten machte, ihn zu berühren, nahm er ihre linke Hand und legte sie sanft auf seinen Oberarm. Dann umschloss er ihre rechte Hand mit seiner und seine andere Hand legte sich zwischen ihre Schulterblätter. Die Haut unter seiner Hand fühlte sich warm an. Sofort spürte er, wie sich feine Härchen auf der Haut aufstellten.   Es gefiel ihm.   Sie so in seinen Armen zu halten, fühlte sich einfach richtig an.   Sie fingen an, sich zu einem langsamen Walzer zu bewegen.   Helga ließ ihn nicht aus den Augen. „Wo ist deine Begleitung?“   „Ich habe keine.“   „Wollte dich keine?“ Spöttisch hob sie eine Augenbraue.   „Nicht die Richtige.“   Das schien ihr die Sprache verschlagen zu haben. Sie biss sich auf die Lippe und schaute weg. Ein zarter Rosaton färbte ihre Wangen.   Schweigend tanzten sie zu dem Takt, den die Band auf dem Podium vorgab. Obwohl sie durch ihre Absätze einige Zentimeter größer war als er, passte sie sich perfekt an seine Schritte an.   Als er sie schwungvoll in einer Pirouette drehte und sie dann wieder in seine Arme zurückkehrte, sagte sie: „Du tanzt gut.“ Ihre Stimme hörte sich etwas atemlos an.   Er zog sie näher an sich.   „Du musst es doch am besten wissen, Helga“, antwortete er amüsiert. „Erinnerst du dich nicht mehr an den Aprilscherz, als du dich blind gestellt hast und ich dann gezwungen war, dein Tanzpartner zu sein?“   Statt beleidigt zu sein, verdrehte sie die Augen. „Wie könnte ich das vergessen? Am Ende sind wir alle im Pool gelandet.“   Er lächelte sie an. „Wir waren schon damals ideale Tanzpartner.“   Ihre Hand auf seinem Oberarm wanderte höher. Sie schaute ihm tief in die Augen. „Flirten Sie etwa mit mir, Mr. Shortman?“   „Und wenn, Miss Pataki?“, erwiderte er rau.   Er konnte nicht den Blick von ihr losreißen. Sein Herz spielte total verrückt und hörte nicht auf, wie wild zu klopfen. In seinem Bauch kribbelte es, als ob Tausendfüßler eine Party veranstalten. Er fühlte sich ganz leicht und beschwipst an, dabei hatte er keinen Alkohol angerührt.   Ihre bloße Anwesenheit reichte wohl aus.     Er beugte den Kopf runter und murmelte ganz nah an ihr Ohr: „Ich wundere mich, ob du immer noch Schreine von mir baust?“   Kurzzeitig befürchtete er, zu weit gegangen zu sein. Sie schwieg, aber dann lehnte sie sich an ihn und flüsterte ganz in seiner Manier: „Und wenn, Mr. Shortman?“   Sein Mund klappte auf und bevor er eine passende Antwort parat hatte, drückte sie sanft mit flachen Händen auf seine Brust und löste sich aus seiner Umarmung.   Sie drehte sich um und verschwand zwischen den Tanzenden.   Nachdenklich starrte er hinter ihr her. . . . Helga winkte Phoebe hinterher, als diese mit Gerald im Auto mit blinkenden Scheinwerfern um die Eckte bog und verschwand.   Sie lehnte sich an ihre Haustür und schloss die Augen.   Sie konnte immer noch seine Arme um sich spüren und seinen Atem, wie er über ihre Haare und Gesicht strich. Der bloße Gedanke an ihn genügte, dass die Schmetterlinge in ihrem Bauch wieder ausbrachen. Am liebsten wäre sie wieder zu ihm zurückkehrt und hätte den ganzen Abend nur mit Tanzen verbracht.   Sie zwang sich, ihre Gedanken zu klären. Fokus, Pataki. Lass dir bloß nicht den Kopf verdrehen, nur weil er mal mit dir geflirtet hat.   Sie öffnete ihre Handtasche und kramte nach ihren Hausschlüsseln.   Die anscheinend nicht zu finden waren.   Leise fluchend riss sie die Tasche weiter auf. In der Dunkelheit konnte sie nur schwer den Inhalt ausmachen, aber das spärliche Straßenlampenlicht reichte aus, um ihre Befürchtungen zu bestätigen.   Sie hatte nicht nur ihre verdammten Schlüssel vergessen, sondern ihr verdammtes Mobiltelefon hatte auch keinen Akku mehr.   „Verflixt und zugenäht“, murmelte sie frustriert. Die gute Laune von vorhin war verpufft. Sie drehte sich zum Wohnhaus um. Die Fenster in jedem Stockwerk waren dunkel. Bob und Miriam würden nicht vor Anbruch des nächsten Tages zurückkehren.   Fieberhaft rasten die Gedanken durch ihren Kopf. Um diese Uhrzeit fuhren keine Busse mehr und bis zu Phoebe war es ein ganzes Stückchen zu Fuß hin. Bestimmt war Gerald bei ihr und leider würde Helga ihr kleines Rendezvous stören müssen, aber sie konnte ja schlecht die Nacht auf der Straße verbringen. Oder sollte sie doch lieber zur Polizei? Die nächste Station lag genau in der entgegengesetzten Richtung und war ähnlich weit entfernt.   Sie drehte sich um und starrte in die Dunkelheit. In der Ferne hörte sie irgendwo lautes Grölen und männliches Gelächter. Sie war kein besonders ängstlicher Mensch, aber sie fröstelte bei dem Gedanken, in ihrem Aufzug nachts durch die menschenleeren Straßen zu wandern.   Verzweifelt setzte sie sich auf die Treppenstufen und vergrub das Gesicht in den Händen. Kurzzeitig überlegte sie, einfach hier im Schutz der Dunkelheit sitzen zu bleiben, aber sie konnte schon spüren, wie die feuchte Kälte durch den dünnen Stoff ihres Kleides drang.   Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, während sie so auf den Stufen saß. Irgendwann hörte sie lautes Motorbrummen und das Quietschen von Autoreifen. Sie hob den Kopf und blinzelte, als Scheinwerfer sie blendeten. Ein grüner Käfer hielt vor ihr an und niemand anderes als Arnold selbst stieg aus.    In Sekunden war er bei ihr und schaute sie verwundert an. „Helga, wieso sitzt hier draußen in der Dunkelheit?“   „Was glaubst du wohl, Footballschädel?“, entgegnete sie säuerlich. Er schaute an ihr vorbei und betrachtete das Gebäude hinter ihr. Kein Licht brannte im Haus.   Man musste keine Leuchte sein, um die richtige Schlussfolgerung zu ziehen.   Sein Gesichtsausdruck änderte sich. Er sah sie plötzlich entschlossen an. „Komm mit mir. Du wirst hier draußen nicht die Nacht verbringen.“   Bevor sie etwas entgegnen konnte, hatte er sie bereits an der Hand genommen und zog sie auf die Beine hoch. . . . tbc… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)