Symphonie von Des-C-Kudi ================================================================================ Kapitel 3: Akt III ------------------ Akt III . . . Sie flüchtete aus dem Klassenzimmer, sobald es klingelte.   Oh bitte, mach, dass er mir nicht hinterherkommt…   „Helga, warte!“   Leise fluchend lieb sie stehen und drehte sich ruckartig zu ihm um. Er kam vor ihr zu stehen. Zu nah. Automatisch trat sie einen Schritt zurück. Sie musste den Blick heben, um ihm in die Augen zu schauen. Es fühlte sich ungewohnt an. Verlegen rieb er sich den Nacken.   „Hey. Wir haben uns lange nicht gesehen. Ich dachte schon, du hättest mich vergessen.“   Statt ihm zu antworten, ließ sie ihren Blick über sein Gesicht wandern. Die grünen Augen standen in starkem Kontrast zu seiner gebräunten Haut. Aus der Nähe konnte sie blonde Stoppel an seinem Kinn erkennen.   Er sah gut aus. Aber das war er schon immer für sie.   Sie schluckte schwer.   Sie gab sich innerlich einen Ruck und starrte ihn herablassend an. „Deinen Footballschädel kann man so nicht so leicht vergessen, Arnold. Aus dem bist du anscheinend auch nicht herausgewachsen bist.“   Sie wartete nicht seine Reaktion ab. Sie machte auf dem Absatz kehrt und ließ ihn im Gang stehen. . . . Er starrte auf seine Mathe-Notizen.   A und B seien Vektorräume der Dimensionen n und m… Daraus folgt, dass die Basis U so zu wählen ist…   Er versuchte, Mrs. Pattersons Erklärungen zu folgen, aber seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Statt sich auf den Unterrichtsstoff zu konzentrieren, konnte er nicht verhindern, dass er den Kopf hob und den Blick nach vorne richtete.   Sie saß einige Reihen vor ihm und machte sich fleißig Notizen. Aus ihrem Pferdeschwanz hatten sich einige blonde Strähnen gelöst und kräuselten sich nun in ihrem Nacken.   Sie hielt plötzlich in der Bewegung inne, als hätte sie seinen Blick gespürt. Aber dann schrieb sie zögernd weiter. Es war Ironie des Schicksals, dass nach all den Jahren, in denen er während der P.S. 118 vor ihr sitzen, ihre Papierkügelchen und die blöden Kommentare erdulden musste und sie dabei nie zu Gesicht bekam, die Karten sich plötzlich gewendet hatten. Diesmal saß er hinter ihr und konnte sie ungestört angucken so viel und so lange er wollte. Er fragte sich, wieso sie ständig in seinem Kopf herumspukte.   Dabei hatte sie ihm deutlich klar gemacht, dass sie nichts mit ihm zu tun haben wollte.   Seit er wieder nach Hilwood zurückgekehrt war, war es, als wäre er nie weggeblieben. Er wurde sofort von seiner alten Clique aufgenommen, im Mietshaus waren alle Parteien wie üblich schräg drauf und jeden Morgen, wenn er die Haustür öffnete, rannte an ihm eine Horde Hunde, Katzen und sowie ein Schwein vorbei. Alles wie immer. Nur sie spielte ihm etwas vor.   Sie stolzierte immer noch mit erhobenen Haupt durch die Gänge, als würde ihr die Highschool persönlich gehören, ihre Noten waren, soweit er es mitbekommen hatte, immer noch im oberen Drittel und ihr aufbrausendes Temperament kam immer mal wieder zum Vorschein. Aber ansonsten war sie insgesamt ruhiger. Stiller.   Ab und zu, wenn sie an ihm vorbeikam, konnte sie sich einen bissigen Kommentar nicht verkneifen. Aber es fehlte die Schärfe, als ob sie es nicht wirklich meinte. Sie mied seinen Blick, behandelte ihn manchmal wie Luft, aber dann wiederum ertappte er sie dabei, wie sie ihn anstarrte.   Er wurde nicht schlau aus ihr.   Wie aufs Stichwort drehte sich Helga plötzlich zu ihm um. . . . Krampfhaft hielt sie den Stift fest. Sie versuchte sich auf ihre Notizen zu konzentrieren, aber sie merkte, dass sie irgendwann selbst nicht mehr verstand, was sie da gerade fabrizierte.   Sie konnte die Blicke in ihrem Nacken spüren.   Bildete sie es sich ein oder starrte Arnold sie an?   Am liebsten hätte sie sich umgedreht und ihn angeschnauzt, dass er aufhören sollte, sie anzuglotzen. Stattdessen ermahnte sie sich, ruhig zu bleiben. Sie würde sich einfach die nächste Stunde umsetzen. Als ob Mrs. Patterson, diese alte Schachtel, es überhaupt bemerken würde.   Er war grad mal seit ein paar Tagen wieder da und schon hatte er ihr ganzes Leben aufgewirbelt. Dabei war alles schon kompliziert genug. Sie versuchte, seine Anwesenheit auszublenden und sich wie immer zu benehmen, aber es war leichter gesagt als getan. Sie ertappte sich manchmal selbst dabei, wie sie ihn beobachtete, wie ihr warm wurde, wenn sie sein Lachen hörte oder er irgendetwas arnoldtypisches sagte. Aber dann wachte sie immer aus ihren Tagträumen auf und merkte, dass sie jetzt erwachsen war und kein Kind mehr. Dann teilte sie wieder Seitenhiebe aus, sobald er ihr zu nah kam. Es war, als ob sie wieder zehn wären.   Sie fragte sich, ob sie jemals über ihn hinwegkommen würde.   Wer weiß, wie viele gebrochene Herzen er im Dschungel hinterlassen hat…   Sie konnte nicht verhindern, dass sie sich ausmalte, wie er unzählige Freundinnen in den unterschiedlichsten Ländern der Welt hatte. Schließlich war es leicht, sich in ihn zu verlieben. Er hatte eine liebenswürdige Persönlichkeit, die nur schwer zu widerstehen war.   Und du sehnst dich immer noch nach einer alten Sandkastenliebe, Pataki. Wie erbärmlich.   Entschlossen legte sie den Stift ab und drehte sich zu ihm um.   Ein Was-glotzt-du-so-Footballschädel lag ihr schon auf der Zunge, aber stattdessen versagte ihre Stimme.   Sie erwartete jeden Moment sein typisches Lächeln zu sehen, aber er erwiderte nur ruhig ihren Blick.   Obwohl sich alles in ihr zusammenzog und sie das Gefühl hatte, in seinen grünen Augen zu versinken, zwang sie sich, nicht wegzuschauen.   Ich schaffe das, ich schaffe das, ich schaffe das, ich-   Sie ertrug seinen Blick nicht mehr länger und wandte sich ab. . . . Er ließ sich von Mr. Kokoshka den dampfenden Gumbo-Eintopf reichen. Seine Großmutter hatte beschlossen, diese Woche getreu dem Motto ehemaliger spanischer Kolonisten zu leben und dementsprechend gab es deftige kreolische Küche. Mit wehenden Röcken schwirrte sie zwischen ihnen umher und stellte sicher, dass auch wirklich jeder gut versorgt war. Anschließend setzte sie sich ans Klavier und holte theatralisch weit aus, bevor sie auf die Tasten hämmerte.   „Kommt diese Frau denn auch jemals zur Ruhe?“ Laut grummelnd schaufelte sich Mr. Potts das Essen in den Mund.   „Ach Ernie, lass doch Pookie ihren Spaß.“ Liebevoll schaute Großvater seine Frau an. Dann wandte er sich an Arnold. „So, erzähl mal, wie war die Schule, Kurzer?“ Er kicherte plötzlich. „Kurzer bietet sich aber auch nicht mehr an. Du bist ganz schön in die Höhe geschossen, mein Lieber.“   Oskar nickte ihm zustimmend zu. „Das stimmt.“ Die Worte wurden durch seinen tschechischen Akzent stark auseinandergezogen. „Was immer die dir da drüben zu essen gegeben haben, muss unglaublich gut sein.“ Er warf einen vielsagenden Blick zu dem eher kleingeratenen Ernie. Empört schnappte dieser nach Luft.   Bevor zwischen den beiden eine heftige Diskussion entbrennen konnte, mischte sich Suzie ein. Sie lächelte Arnold an. „Die Mädchen werfen sich dir bestimmt alle an den Hals, nicht wahr?“   Ehe er antworten konnte, stieß sein Großvater ein laut gackerndes Lachen aus. „Ich glaube, da hat seine kleine hässliche Freundin mit der Monobraue noch ein Wörtchen mitzureden.“ Nachdenklich tippte er sich ans Kinn. „Na, wie hieß sie denn nochmal? Die Blonde, die ständig mit zwei Zöpfen herumlief und dir immer hinterhergeschlichen ist.“   „Helga“, murmelte Arnold.   „Das hässliche Entlein ist jetzt ein schöner Schwan!“, rief seine Großmutter vom Klavier.   „Wie wahr, wie wahr, Pookie“, kicherte Großvater.   Plötzlich sprang seine Großmutter auf den Esstisch und tanzte ausgelassen einen längst vergessenen Tanz aus einem anderen Jahrhundert. Im Esszimmer brach das Chaos aus. Während die einzelnen Tischanwesenden durcheinander schrien, versuchte Phil verzweifelt, seine Frau vom Tisch herunterzuziehen.   Keiner bemerkte die Röte in Arnolds Wangen. Er blieb schweigend am Tisch sitzen. . . . Sie wollte gerade über die Türschwelle schreiten, als sie hinter sich ihren Namen hörte.   „Helga, Baby! Wie schön, dich hier anzutreffen!“   Innerlich seufzend drehte sie sich um. „Ich wohne hier, Olga.“   Sie sah, wie ihre hochschwangere Schwester aus einem blauen SUV ausstieg. Sie winkte ihr begeistert zu. Ihr Ehemann half ihr aus dem Wagen. Er nickte Helga zu, als beide auf sie zusteuerten.   Es konnte immer noch keiner so recht glauben, dass Olga so einen… Langweiler geheiratet hatte. Er hieß Howard, war Anfang Dreißig und Banker. Das schüttere Haar hatte er wie immer zu einem ordentlichen Bürstenhaarschnitt gekämmt. Sie war sich ziemlich sicher, dass Bob immer noch nicht so richtig warm mit ihm wurde.   Na immerhin ist er eine Steigerung zu diesem Loser Doug LeSham.   Sie erinnerte sich an den notorischen Lügner, den ihre Schwester um ein Haar geheiratet hätte. Hätte Arnold ihr nicht ins Gewissen geredet, hätte Helga nie-   Sie hielt inne und ballte die Fäuste. Arnold. Arnold. Arnold. Verflixt, gab es denn keine Sekunde, in der sie nicht an ihn denken musste?   Plötzlich tauchte Miriam im Türrahmen auf. Sie strahlte Olga und Howard an. „Da seid ihr ja, ich habe euch schon die ganze Zeit erwartet.“   Helga verdrehte die Augen. Sie war sich ziemlich sicher, dass Miriam heute Morgen noch tief ins Glas geschaut hatte. Sie drängelte sich an ihrer Mutter vorbei und ging auf ihr Zimmer. Es war besser für ihr Seelenheil, sich für den Rest des Tages zu verdrücken. . . . Mr. Simmons lächelte ihn an. „Oh Arnold, ich finde es einfach wunderbar, dass du mir deine Hilfe anbietest.“   Arnold machte eine wegwerfende Handbewegung. „Kein Problem, Mr. Simmons. Mache ich doch gern.“   Er war vor ein paar Tagen seinem alten Grundschullehrer über den Weg gelaufen. Dieser suchte jemanden, mit dem er sein Büro ausmisten konnte. Gegen einen kleinen Obolus hatte sich Arnold bereiterklärt, ihm zu helfen. Mr. Simmons zeigte ihm, in welche Ordner was verstaut werden musste und welche Papiere getrost in den Aktenvernichter verschwinden konnten. Anschließend ließ er Arnold allein, damit er noch einige Besorgungen erledigen konnte.   Er fing an, alle Ordner kategorisch durchzugehen. Wie es der Zufall wollte, fiel ihm irgendwann ein Ordner mit der Aufschrift Die Höhepunkte meiner Lehrerkarriere in die Hände. Neugierig blätterte er durch die einzelnen Seiten. Er merkte schnell, dass hier nichts zum Wegwerfen war. Der Ordner enthielt eher besondere Erinnerungsstücke. Er fand Fotos vom damaligen Theaterstück Romeo und Julia und einen ausgeschnittenen Zeitungsartikel, der über die Aufführung lobend berichtete. Dann fand er noch Hausarbeiten diverser Klassenkameraden, die bei Mr. Simmons einen besonders guten Eindruck hinterlassen hatten.   Plötzlich hielt er einen Stapel Gedichte in der Hand.   Er überflog den Titel vom ersten Gedicht.   Brunnen der Liebe von Unbekannt   In der oberen linken Ecke war der Name Helga G. Pataki hingekritzelt.   Seine Augenbrauen schossen in die Höhe.   Er lehnte sich an die Wand und fing an zu lesen. . . . tbc… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)