Die Prinzessinnen von New York von Kaname-chan (Another romantic version) ================================================================================ Kapitel 1: Eins --------------- Gerade erst fuhr einer der großen Züge aus dem Westen in den Bahnhof New Yorks ein. Neuankömmlinge, Angehörige reicher Familien, die von Besuchen ihrer Verwandtschaft zurückkehrten und diejenigen, die als Letztes aus den Waggongs stiegen - Reisende dritter Klasse, die ihr Glück in der schnell wachsenden Stadt versuchen wollten, weil Amerika es ihnen nicht leicht gemacht hatte. New York war im Wandel, aber die verschiedenen Schichten waren auch hier immer spürbar. Mister und Misses Thompson gehörten zur oberen Schicht und waren die Ersten, die aus dem Zug stiegen. „Endlich wieder fester Boden unter den Füßen“, meinte die schlanke Dame und sah den Angestellten dabei zu, wie sie das Gepäck aus dem Abteil hoben und auf die Kutsche luden, die für die Familie bereit stand. „Wir haben doch schon zuvor längere Reisen unternommen“, erwiderte ihr Ehemann, rückte seine Melone zurecht und besah sich die Anlage. Er war gespannt, wie es hier für seine Geschäfte laufen würde. Gebürtig kamen er und seine Frau aus Chicago. Dort war es ihnen gut gegangen, aber wenn man etwas erreichen wollte, das hatte ihm sein Vater immer gepredigt, musste man hart arbeiten. Auf einer Stelle stehen zu bleiben wäre falsch. So also hatten sie Illinois hinter sich gelassen und waren mitsamt Hab und Gut nach New York gekommen. Hier würde er ein weiteres Geschäft eröffnen und das Beste hoffen. Es war der Sommer 1899 und Matthew Thompson war guter Dinge. Schon heute Abend waren sie auf eine Abendgesellschaft eingeladen. Dort würde er die ersten Kontakte knüpfen und zukünftige Kunden werben. „Die Kutsche ist jetzt bereit“, sagte eine der Zofen, die sie aus ihrem alten Haus mitgenommen hatten, und er wandte seinen Blick von der großen Lok ab, die gerade zur Abfahrt bereit gemacht wurde. „Nun, dann sollten wir uns auf den Weg in unser neues Zuhause machen“, meinte er zu ihr. „Sir, Ihre Tochter ist noch nicht zu uns gestoßen“, erwiderte diese und seine Frau blickte sich empört zu ihr um. „Wo steckt dieses Kind schon wieder? Vor dem Halt hat sie noch bei uns gestanden.“ Er lächelte hinter seinem blonden Schnauzbart und achtete darauf, dass seine Frau es nicht sah. „Was stehst du noch hier herum? Geh sie suchen!“, zischte Dorothea und die Zofe entschuldigte sich knicksend. „Dorothy, es sind viele neue Eindrücke und Chicago war von Geburt an ihre Heimat. Ihr wird es schwer fallen das alles hinter sich zu lassen.“ „Kein Grund unsere Weiterreise zu verzögern. Sie weiß, dass wir noch viel zu erledigen haben. Es ziemt sich nicht, gleich bei der ersten Einladung zu spät zu erscheinen.“ „Wir liegen im Zeitplan“, beruhigte er sie, warf einen Blick auf seine alte Taschenuhr und bot ihr den Arm, um ihr in die Kutsche zu helfen, „Und kommen wir nicht als Erste, ist uns die Aufmerksamkeit der Anderen gewiss.“ „Sie ist kein kleines Kind mehr. Und, hör auf, sie ständig zu verteidigen!“ Dorothea hatte sich in all den Jahren nicht verändert. Sie mochte nichtstandesgemäßes Verhalten nicht und das ihrer Tochter schon gar nicht. Diese hatte von klein auf immer die besten Lehrer für Manieren, Tanz und Lehrstoff gehabt und wusste es richtig einzusetzen, sie tat es nur leider zu selten. In Chicago hatte ihr Vater sie ständig beschützt, aber hier in New York würde sie das nicht zulassen. Matthew würde genug mit dem Ausbau seines Geschäftes zu tun haben, sodass sie sich intensiv um die Erziehung ihrer Tochter kümmern konnte. Ihr schwarzes Haar glänzte in der Sonne und sie spannte ihren kleinen Schirm auf, weil die Strahlen sie blendeten. Der Schatten dessen verhärtete ihre strengen Gesichtszüge nur noch mehr. Die Zofe kehrte ein wenig außer Atem zurück, ihre Tochter im Schlepptau. „Fahren wir“, meinte Matthew und half auch seiner Tochter hinauf, die während der Fahrt durch die Straßen New Yorks jeglichen Blick auf ihre Mutter vermied. Sie seufzte hin und wieder und vermisste bereits jetzt die Weite Chicagos.   Der laue Abendwind trieb den Duft des salzigen Wassers auf die Terrasse des Anwesens der Schoonmakers, auf der sich Henry aufhielt. Er war vor Penelope Hayes geflüchtet und drückte sich, ein Glas Whiskey in der Hand, in eine der dunklen Nischen. Vor ungefähr zwei Stunden hatte er sich heimlich davonmachen wollen, war allerdings seinem Vater in die Hände gefallen, auf dessen Geheiß festlich eingekleidet und auf den Ball geschleift worden. William Sackhouse Schoonmaker gab diesen Ball, um neue Stimmen vorzuwerben. Er hatte sich doch tatsächlich in den Kopf gesetzt, in die Politik zu gehen. Diesem Mann war jedes Mittel recht um an noch mehr Macht zu kommen. Henry kam in dieser Hinsicht so gar nicht nach ihm und war darüber nicht im Geringsten traurig. Jemand stieß mit einem Glas an das seine und versteckte sich mit ihm in den Schatten. „Ich wusste, ich würde dich hier finden“, begann der junge Mann, „Lass mich raten,… du flüchtest vor Miss Hayes?!“ „Teddy! Gott sei Dank. Ich hatte schon geglaubt, sie hätte mich entdeckt.“ Sein bester Freund trank einen Schluck Bourbon und lächelte dann. „Nein, aber du solltest dir besser ein neues Versteck zulegen. Es wird nicht lange dauern, dann wird sie auch hier suchen. Eben hat sie sich bereits in der Nähe aufgehalten.“ Henry stöhnte auf. „Sag mir, wenn ich mich irre, aber hast du nicht noch vor wenigen Tagen gesagt, sie wäre amüsant?“ „Möglich. Aber sie ist einfach nur noch wie jede Andere.“ Beide sahen kurz in den Saal und ließen ihre Blicke über die vielen kichernden jungen Damen schweifen, die sich über all diese belanglosen Dinge unterhielten. Henry war es leid. Erst taten sie alle als würden sie keusch leben, nur um sich ihm dann im Schutze der Dunkelheit an den Hals zu werfen und mit sich taten ließen, was er wollte. Penelope war ihm anders vorgekommen. Sie war jetzt 18, eine Schönheit mit dunklem Haar und einer wirklich aufreizenden Figur, aber… Auch sie hatte jeglichen Reiz verloren, nachdem er sich einmal vernünftig mit ihr hatte unterhalten wollen. Er hatte gern Spaß, aber ein Mädchen, das sich nur für Intrigen, Geld und Macht interessierte, brauchte er nicht. „Ich hörte“, meinte nun Teddy, der es längst aufgegeben hatte seinem Freund von der schönen Zukunft mit Frau und Kindern vorzuschwärmen, weil es ja doch keinen Sinn machte, „dass dein Vater noch ein paar Gäste aus einem anderen Staat erwartet.“ Er erinnerte sich dunkel an ein paar solcher Worte, als er vorhin auf diesen Ball zu gehen genötigt worden war. „Irgendjemand, der hier ein neues Geschäft aufziehen möchte. Aber ich habe nicht richtig zugehört, weil es wieder mit einer ausschweifenden Rede über die Industrialisierung New Yorks endete.“ Er verdrehte theatralisch die Augen und nippte an seinem Glas, nur um enttäuscht festzustellen, dass es bereits leer war. Teddy nickte wissend. Auch er war bereits Zeuge einer solchen Ansprache geworden und glaubte sich zu erinnern, dass es am Ende gar nicht so spannend gewesen war, wie es der ältere der Schoonmaker-Männer angepriesen hatte. Die Musik im Saal wurde leiser und verstummte dann gänzlich. „Nun, wir werden es wohl jeden Moment erfahren…“ Sie stahlen sich aus ihrem Versteck und begaben sich langsam zur Empfangshalle. Bedacht auf jeden Schritt, um der jungen Miss Hayes nicht zu begegnen.   „Mister und Misses Matthew Thompson und ihre Tochter, Miss Emma Thompson“, verkündete ein schmaler Herr am bogenförmigen Eingang zum Tanzsaal, der in einen eng anliegenden Frack gekleidet war, während ein Anderer ihr die Stola von den Schultern nahm. Aller Augen wandten sich ihren Eltern zu, die von einem großen Herrn begrüßt wurden. Hierbei schien es sich um den Gastgeber zu handeln. Sein Gesicht war von roten Flecken gezeichnet, ein deutliches Anzeichen für häufige Wutausbrüche, und ein schwarzer Bart kräuselte sich über sein rosa Kinn. Sein Haar - definitiv gefärbt - war tintenschwarz. Und doch erkannte sie feine aristokratische Gesichtszüge und freute sich überraschenderweise darauf, seine Bekanntschaft zu machen. Eine junge blonde Frau stand neben ihm, wunderschön anzusehen und in ein hübsches roséfarbenes Kleid gehüllt. Sie wirkte wie eine Fee. Emma schätzte sie auf Mitte Zwanzig. „Miss Thompson, es freut mich auch Sie in unserem Heim begrüßen zu können. Mein Name ist William Schoonmaker. Dies hier ist meine Frau, Isabell. Eigentlich müsste auch mein Sohn Henry hier irgendwo sein, aber…“ Ihn schien es nicht sonderlich zu überraschen, dass sein Sprössling nicht anwesend war. Es kam wohl öfter vor und sie nahm an, dass er es aufgegeben hatte, sich über seinen Sohn aufzuregen, da dieser sein Verhalten nicht überdenken würde. Wahrscheinlich hatte er auch wegen ihm so viele rote Flecken, die ihn zeichneten. „Hier, Vater. Sie haben mich gesucht?“ Sie erhob sich aus ihrem Knicks und blickte kurz zu dem hinzu gestoßenen Herrn auf. Er sah aus wie sein Vater, zumindest was die Gesichtszüge und das schwarze Haar betraf, aber er war schmaler und seine Augen - ein klein wenig größer als die seines Vaters - schienen als würde er daraus schelmisch lächeln. Emma wandte sich wieder William zu und antwortete: „Ich danke Ihnen sehr für die Einladung und fühle mich geschmeichelt, dass Sie mich persönlich so herzlich begrüßen.“ „Es ist eine schöne Gelegenheit, Sie und Ihre Eltern kennen zu lernen. Und außerdem ist es Ihnen dadurch möglich, sich Ihren künftigen Nachbarn und Freunden vorzustellen.“ Sie lächelte leicht und machte noch einen Knicks. Er bot seiner Frau den Arm und gab den Musikern ein Zeichen, wieder zu spielen. Sie folgte ihren Eltern und kümmerte sich nicht um all die Blicke. Es war klar, dass man sie heute Abend anstarren würde. Sie waren neu in der Stadt, kamen von weit her. Einem anderen Staat aus dem großen Land mit den unbegrenzten Möglichkeiten. Ihr Blick fiel auf eine junge Frau mit dunklem Haar und blitzenden Augen. Das feuerrote Kleid ließ sie noch stärker aus der Masse hervortreten und dann erst bemerkte sie, dass der Sohn ihres Gastgebers an ihrer Seite aufgetaucht war. „Möchten Sie vielleicht ein paar der Gäste kennen lernen?“, fragte er und seine Stimme war warm, während sein Mund ein wenig spöttisch wirkte, „Ich kann Sie gern herumführen und vorstellen.“ Ein paar junge Damen seufzten auf, doch er überging diese Reaktion gekonnt. Er war sich seiner Wirkung auf die Damenwelt durchaus bewusst und schien es normalerweise sehr zu genießen. Und genau das war es, was sie vorsichtig werden ließ. Mit abschätzendem Blick sah sie zu ihm auf. „Das wird nicht nötig sein“, antwortete sie ihm, erntete damit einige erschrockene Laute der eben noch seufzenden Mädchen, und fuhr unbeeindruckt fort: „Ich bin mir sicher, Sie haben noch einige angenehmere Verpflichtungen an diesem Abend, Mr. Schoonmaker. Daran möchte ich Sie wirklich nicht hindern.“ Sie neigte ihren Kopf und schritt mit raschelndem Kleid davon.   Er konnte sich nicht rühren. Es war das erste Mal, dass man ihn zurückgewiesen hatte. Mit solch einer Reaktion hatte er wahrlich nicht gerechnet. Als er sie das erste Mal im Torbogen erblickt hatte, war er sich so sicher gewesen, dass sie sich über seine Gesellschaft freuen würde. Ihre helle Porzellanhaut, das kastanienbraune Haar, die großen bernsteinfarbenen Augen, die ihn sofort fesselten; der fein geschnittene Mund mit diesen weichen Lippen, die er zu gern berührt und geküsst hätte und dann diese atemberaubende Figur in dem dunkelgrünen Kleid mit dem schwarzen Spitzenbesatz. Doch als er zur Begrüßung erschienen war und sie sich sofort wieder seinem Vater zuwandte, hatte er bereits erkannt, dass sie nicht leicht zu knacken war. Entweder war sie wirklich nicht interessiert - was er für ausgeschlossen hielt - oder aber sie gab sich absichtlich so abweisend, damit er glaubte, sie sei nicht leicht zu haben. Ein schmaler Arm hakte sich bei ihm ein. „Kommen Sie, Henry, ich werde Sie entführen. Dieser Ball ist doch wirklich nichts für Sie“, säuselte Penelope und fuhr, vor anderer Augen unbemerkt, mit ihren Fingern über seinen Arm. „Ich weiß etwas, dass Ihnen mehr Spaß bereiten wird.“ Noch immer mit dem Gefühl belastet von Emma Thompson verschmäht worden zu sein, ließ er sich von Penelope mitziehen und vergnügte sich an diesem Abend mit ihr.   Er bereute den gestrigen Abend bereits. Eigentlich hatte er sich vor dieser machtbesessenen jungen Dame verstecken wollen und war ihr gestern doch wieder ins Netz gegangen. Er schob es auf seinen verletzten Stolz. Dass man ihn so zurückwies, hätte er nicht gedacht. Doch machte es Emma gleich noch interessanter. Vielleicht war genau das ihr Plan gewesen. Er hatte sie immer mal wieder beobachtet. Und Teddy hatte ihm erzählt, dass sie keinen einzigen Tanz wahrgenommen hatte. Jeden Junggesellen hatte sie vertröstet oder entschuldigend fortgeschickt. Sie hatte es auf ihre Müdigkeit geschoben, die lange Anreise aus Chicago. Heute würde es ein Pferderennen für wohltätige Zwecke geben, ein Ereignis, das sich die Thompsons sicher nicht entgehen lassen würden. Und diese Chance würde er besser nutzen. Noch einmal würde sie ihn nicht zurückweisen.   Auf der Rennbahn war mehr los als gewöhnlich. Teddy hatte sich einen der sicheren Plätze auf der Tribüne gesucht, wo er den besten Blick auf das Geschehen hatte. Er war sich sicher, dass Henry ihn hier finden würde. Ein paar Damen lächelten und nickten ihm zu, während sie an ihm vorüber gingen. Er indessen prostete ihnen freundlich zu. Seitdem er als Reedereierbe Edward ‘Teddy’ Cutting bekannt war, war auch sein Beliebtheitsgrad gestiegen. Er bildete sich darauf nichts ein, weil er einfach zu jeder Person nett war, egal, ob er sie leiden konnte oder nicht. Obwohl Letzteres nicht oft vorkam. Er sah in fast jedem Menschen die positiven Seiten und konzentrierte sich auf diese. Dann fiel sein Blick auf Emma Thompson, die auch heute wieder sehr hübsch aussah, in einem hellen Kleid und mit weißem Hut, der mit blauem Schleifenband befestigt war. Sie schien etwas oder jemanden zu suchen und er winkte sie zu sich hinüber, als sich ihre Blicke begegneten. „Entschuldigen Sie, dass ich Sie so herüber zitiere, aber kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein, Miss Thompson?“, fragte er freundlich und sie seufzte erleichtert, als sie zu ihm hinaufsah. „Das wäre wirklich sehr nett von Ihnen. Von dort oben haben Sie doch sicher einen besseren Blick. Würde es Ihnen etwas ausmachen, sich nach meinen Eltern umzusehen? Ich habe sie hier irgendwo aus den Augen verloren, Mister…“ „Cutting. Edward Cutting, aber jeder nennt mich Teddy. Wir wurden einander gestern leider nicht vorgestellt. Aber ich helfe Ihnen gern, lassen Sie mich sehen…“ Sie lächelte ihm dankbar entgegen. „Meine Mutter trägt einen roten Hut mit…nun, ich weiß nicht genau, was es sein soll, aber Sie werden sicher wissen, was ich meine, wenn Sie ihn sehen.“ „Roter Hut… roter Hut. …Ah, ich glaube, das ist sie. Ja, eindeutig, der Mann neben ihr ist Ihr Vater, kein Zweifel. Gehen Sie einfach noch zwei Meter in diese Richtung. Dann werden Sie sie nicht verfehlen.“ „Haben Sie vielen Dank, Mister Cutting. Es hat mich sehr gefreut, Sie kennen zu lernen.“ „Ganz meinerseits. Wir werden einander sicher noch öfter über den Weg laufen.“ „Nicht auszuschließen, wo meine Familie und ich jetzt hier wohnen.“ Sie lachte leise und verabschiedete sich dann. „Was habt ihr miteinander geredet?“, fragte plötzlich Henry und er erschrak. „Schleich dich doch nicht so an… Sie hat ihre Eltern gesucht, die sie bei dem ganzen Gedränge aus den Augen verloren hatte. Ich habe von hier oben mehr sehen können. Siehst du?“ Er deutete in nördliche Richtung, wo Emma gerade bei ihren Eltern eintraf und sofort einigen Leuten vorgestellt wurde, die bei ihnen standen. „Eifersüchtig? So kenne ich dich gar nicht, mein Freund.“ „Ich bin nicht eifersüchtig. Es ist mir nur unbegreiflich, warum sie gestern so abweisend reagiert hat.“ „Sie ist neu hier, vielleicht solltest du ihr ein wenig Zeit zur Eingewöhnung geben.“ „Mit dir hat sie sich doch normal unterhalten, oder?“ „Ja, schon.“ „Nun, dann kann es nicht an der ihr unbekannten Stadt liegen.“ Er kannte diesen Blick seines Freundes. Henry hatte sich dieses Mädchen in den Kopf gesetzt und würde alles daran setzen, sie zu erobern. Wenn er einmal Feuer gefangen hatte, war es schwer ihn davon abzuhalten geschweige denn ganz abzubringen. Darum ließ er sich mit seinem Glas in einen der Sitze plumpsen und sprach nicht weiter von Emma, die ihm persönlich sehr nett erschien. Abweisend überhaupt nicht. Ihn beschlich der Gedanke, dass sie vielleicht einfach nur einen anderen Geschmack hatte, als die Damen hier aus New York oder sie bereits all die Gerüchte um Henry kannte. Aber das würde er sicher noch früh genug erfahren. Das Rennen begann und Teddy prostete wieder ein paar Damen zu, die sich kichernd von ihnen entfernten. Er war 22 Jahre alt und konnte nur immer wieder darüber staunen, wie gut es das Leben mit ihm meinte.   Emma hatte sich vor ein paar Minuten bei ihrem Vater abgemeldet und war zu den Pferdeboxen gegangen. Dieses ganze Verhalten, das ihre Mutter in all den Jahren versucht hatte zu perfektionieren, war ihr zuwider. Sie verstand natürlich, dass man sich einen Namen machen musste und, dass es für ihren Vater gerade jetzt sehr wichtig war nur mit positiver Presse und lobenswerten Worten in den Stadtgesprächen erwähnt zu werden, aber das sie dadurch völlig entgegen ihres sonstigen Lebensstils handeln sollte… Ein Jockey grüßte sie freundlich und verließ die Ställe, sodass sie jetzt ganz allein war. Von einigen Pferden abgesehen natürlich. Ein schwarzer Hengst streckte den Kopf ein Stück vor, sodass seine Nüstern nahe an sie heranreichten. Sie streifte einen ihrer Handschuhe ab und streichelte den weißen Fleck auf seiner Stirn. „Du bist ja ein hübscher Bursche“, wisperte sie und er wieherte leise. An der Box stand der Name. „Rasa, wie wundervoll. Dein Besitzer hat wirklich Glück mit dir. In Chicago habe ich auch einen Hengst wie dich. Ihr seht euch unglaublich ähnlich.“ Das Tier blickte sie aus großen schwarzen Augen an und sie lehnte ihre Stirn an die seine. Mit jeder Minute vermisste sie ihr Zuhause mehr. Chicago war weit und groß, hier stand Haus an Haus und der Verkehr war furchtbar. Überall war es laut, kein ruhiges Eckchen, wo man einfach mal durchatmen konnte. Der Industriesmog begegnete einem überall. Und die Menschen hier waren auch so völlig anders. Die Etikette war viel strenger und sie sehnte sich nach einem Ausritt mit Rasputin, ihrem tiefschwarzen Hengst, über die weite Ebene Chicagos. Eine einzelne Träne rann über ihre Wange und Bilder vergangener Tage verschlimmerten nur die Tatsache, dass sie sich hier in New York elend und allein fühlte. Der gestrige Abend hatte sie kurzzeitig abgelenkt, sie hatte sich geschmeichelt gefühlt von all den jungen Männern zum Tanz aufgefordert zu werden. Aber am Ende war dies doch nur dem Grund geschuldet, dass sie neu in der Stadt war. Das Pferd scharrte mit den Hufen und sie wischte die Träne fort. „Wenn ich nicht Gefahr laufen würde, dafür Ärger zu bekommen, würde ich jetzt mit dir ausreiten, Rasa. Aber das lassen wir besser“, seufzte sie. „Mein Vater wäre böse mit mir. Das möchte ich nicht.“ Emma trat einen Schritt zurück und zog sich den Handschuh wieder an. „Das bleibt unser Geheimnis, ja?“ Der Hengst nickte ein paar Mal und wandte sich dann seinem Futter zu. Sie lächelte kurz und richtete dann Kleid und Hut. Als sie sich dem Ausgang der Ställe zuwandte, fiel ihr Blick auf einen Mann in grauem Anzug, der einfach dastand und sie ansah. Sie wusste nicht, ob er alles mitbekommen hatte und wie lange er schon da stand, aber sie tat einfach so, als sei nichts gewesen. Emma hob ihr Kleid ein Stück an und schritt erhobenen Hauptes dem Tor entgegen, an dem der Mann lehnte. Ihr Herz klopfte laut, doch sie hielt ihre Atmung ruhig. „Miss Thompson“, sagte der Mann, nickte und lüftete kurz seinen Hut. „Guten Tag“, antwortete sie ruhig und nickte ebenfalls, um dann einfach weiterzugehen und diesen Ort zu verlassen. Sie hatte keine Ahnung, wer er gewesen war, aber irgendetwas beunruhigte sie sehr an seinem Lächeln und der Art, wie er sie angesehen hatte. Vielleicht würde ihr Vater sie schon ins Haus zurückfahren lassen.   „Miss Emma? Sie sind früh zurück, geht es Ihnen nicht gut?“, fragte Charlotte, ihre Zofe, und nahm ihr den Hut ab. „Alles in Ordnung, Char, aber mir sind diese Pferderennen nicht geheuer. Und dass man Pferde für so etwas benutzt, ist furchtbar.“ Sie zog ihre Handschuhe aus und wollte die Treppen hinaufgehen, als es an der Tür klingelte. „Ich gehe schon“, meinte sie und Charlotte verschwand in dem Eingang zur Küche, um den Tee vorzubereiten. „Guten Tag. Miss Thompson, nehme ich an?“, fragte ein älterer hagerer Mann und sie nickte kurz, um ihm dann den Weg ins Haus frei zu machen. „Wenn ich mich vorstellen darf? Dr. Shriver, der Hausarzt vieler New Yorker Familien.“ „Angenehm. Darf ich Ihnen vielleicht einen Tee anbieten, Herr Doktor?“ „Nur keine Umstände, ich wollte nur meine Karte da lassen. Ich hatte eigentlich gar nicht damit gerechnet, jemanden der Familie anzutreffen. Das Pferderennen wird sonst von jedem besucht.“ „Ich war da, aber ich muss zugeben, dass ich kein Freund von dieser Art Veranstaltung bin. Und Sie? Sie sind auch nicht dort.“ „Wir teilen denselben Gedanken. Ich mag Pferde, aber darauf zu wetten, dass sie gegen Artgenossen in einem Wettbewerb gewinnen, ist nicht die Art, in der ich sie zu sehen bevorzuge. Auch wenn es für einen guten Zweck ist.“ Sie mochte diesen Mann sehr. Er lächelte und schaute sie über seine schmale Brille hinweg aus leicht trüben blauen Augen an. Dr. Shriver reichte ihr die Karte und lüpfte kurz seinen Hut, um dann wieder zu gehen. „Es hat mich sehr gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen“, sagte er und sie öffnete ihm die Tür. „Das erwidere ich mit Freuden. Ich werde meine Eltern von Ihrer Vorstellung unterrichten, Dr. Shriver. Einen schönen Tag noch.“ „Danke, Miss Thompson. Den wünsche ich Ihnen ebenfalls.“ Sie schloss die Tür, nachdem der Herr auf den Kutschbock gestiegen war und seinem Pferd das Zeichen zum Losritt gegeben hatte. „Miss? Möchten Sie den Tee auf Ihrem Zimmer einnehmen?“, fragte Char hinter ihr und sie wandte sich lächelnd zu ihr um. „Nein, bring ihn bitte in den Salon. Ich werde lieber ein paar Handarbeiten beginnen…“   Henry hatte bereits sein viertes Glas Whiskey in der Hand und versuchte nicht allzu missmutig auszusehen, doch es gelang ihm nicht recht. „Mein Freund, du solltest ein anderes Gesicht machen. Die jungen Damen werden sich nur noch mehr Sorgen machen und dich dann belagern. Ich bezweifle, dass dir das im Moment recht wäre.“ Teddy blickte gut gelaunt in die Runde. Ihm schienen die ständigen Bälle und Dinnerpartys überhaupt nicht die Laune zu verderben. Henry war neuerdings nur anwesend, weil er Emma zu sehen hoffte. Früher hatte er sich vorher wegstehlen und seine Zeit in einem Pub verbringen können. Wo diese, seiner Meinung nach, schneller und angenehmer verging. Man musste nicht ständig alle jungen Damen begrüßen; keine Tänze mit ihnen hinter sich bringen, die man sowieso nur damit verbrachte, zu lächeln, wenn sie einem mal wieder auf den Fuß traten oder man ihr Geschwätz über sich ergehen lassen musste. Und vor allem musste man sich später nicht vor seinem Vater rechtfertigen, warum man dem Alkohol wieder mehr zugesprochen hatte, als den schwerfälligen Damen. Heute aber, oder eher in letzter Zeit, interessierte ihn eine junge Dame ganz besonders. Nur gelang es ihm einfach nicht, sie allein anzutreffen. Gerade so, als ob sie sich absichtlich mit jungen Mädchen, ihren Eltern oder den Junggesellen umgab, damit er nicht in den Genuss eines Gespräches mit ihr kam. Er unterstellte ihr immer mehr Absicht. Noch vor wenigen Augenblicken hatte er gesehen, dass es heute Diana Holland war, die sich angeregt mit ihr unterhielt. Beide hatten laut gelacht und sich nicht um die kritischen Blicke der Umstehenden geschert. Er hatte nichts gegen die 16-jährige geschweige denn dagegen, dass sie sich miteinander anfreundeten, aber auch sie verhinderte, dass er die Chance bekam, sich korrekt vorzustellen. Emma hatte ihn einfach nicht richtig kennen lernen können. Das war das eigentliche Problem. Und bei dem Pferderennen vor einigen Tagen hatte er sie deshalb gesucht, nur um dann die Auskunft zu erhalten, sie wäre bereits früher nach Hause zurückgekehrt. Abends darauf war es dann die Familie Jones, die sie bei einem Dinner in Beschlag nahm. Den Tag darauf wiederum war sie ständig von anderen Junggesellen zum Tanz aufgefordert worden. Langsam konnten das doch wirklich keine Zufälle mehr sein. Wollte sie, dass er sich immer elender fühlte und dann vor ihr zu Kreuze kroch? Nein, oder? Gott, sie war ständig in seinen Gedanken. Sie hatten bislang noch keine weiteren Worte gewechselt, als die an ihrem ersten Abend hier in New York und dennoch wollte er… Eigentlich wusste er gar nicht, was er wirklich wollte. Doch immer wieder wanderte sein Blick zu ihr, er betrachtete ihre wundervolle Gestalt, lauschte ihrem Lachen und erkundigte sich ständig danach, was sie tat und mit wem. War sie anwesend, zählte die restliche Umgebung nicht. Alles, was sie betraf, erschien ihm wichtig. Fiel ihr Name in einem Gespräch anderer Leute, hielt er inne und lauschte. Er erkannte sich selbst kaum wieder und fragte sich, wie abhängig er noch von ihr werden würde.   „Penelope Hayes auf drei Uhr“, raunte Teddy und sie trennten sich im stillen Einverständnis voneinander. Er musste ein schnelles gutes Versteck finden. In Gedanken ging er die Möglichkeiten durch, die er die letzten Male im Hause der Havertons genutzt hatte, um sich mit ein paar Mädchen zu amüsieren. Er bog scharf nach rechts ab und verschwand in einem der Zimmer, die in dem dunklen Flur lagen. Wenige Augenblicke später hörte er die schnellen Schritte Penelopes, die an der Tür vorbeilief und dann immer weiter den Flur hinabging. Er seufzte erleichtert und erkannte dann, dass er in einer der kleinen Bibliotheken gelandet war. Das Gute war, dass der Hausherr ein Genießer guten Scotches und alter Weine war. In jedem Zimmer war mindestens eine Flasche Alkohol zu finden und Henry wusste, dass eine Fehlende davon nicht auffallen würde. Gerade in dem Moment, als er den großen Globus in der Ecke neben dem Kamin inspizieren wollte, fiel ihm die junge Dame in dem hellbraunen Kleid auf, die sich einen bequemen Platz auf einem der Ledersofas weiter hinten im Zimmer gesucht hatte. Sie blickte ihn überrascht an, nicht ganz sicher darüber, wie sie sich verhalten sollte. Während er seinen Kopf gerade nach einem guten Thema durchsuchte, erhob sie sich und sah aus, als wolle sie gehen. „Nicht, warten Sie. Bleiben Sie, bitte“, flehte er und verlor sich fast in ihren Augen, die im leichten Licht der Lampe, die sie auf einem der kleinen Beistelltische angeknipst hatte, zu funkeln begannen. „Das sollte ich lieber nicht tun“, wisperte sie und berührte den kleinen Anhänger, der an einer Kette an ihrem Hals baumelte. „Wieso nicht?“, fragte er, einfach nur um ihre Stimme zu hören, die ihn sanft umschloss. „Weil es aussieht, als hätten wir uns hier verabredet, wo ich erst seit wenigen Tagen in New York bin. Noch dazu in einem fremden Haus, bei schummriger Beleuchtung. Ein Zusammenspiel, das man so besser nicht von anderen entdecken lassen sollte.“ Sie versuchte ihn nicht anzusehen. „Sie wurden gewarnt, nicht wahr?“ Es war, als schäme sie sich dafür, dass er das so schnell erraten hatte. „Als Warnung würde ich es nicht bezeichnen wollen.“ Er machte vorsichtig einen Schritt auf sie zu, um sie nicht zu verschrecken. „Wie dann?“ „Ist das wichtig? Am Ende zählt nur, ob es wahr ist. Und wenn dies der Fall sein sollte, scheint es besser zu sein, sofort zu gehen.“ Ihre Wangen waren leicht gerötet, ebenso wie ihre Augen. Wieso war sie hier? Ganz allein und hatte geweint oder zumindest versucht es nicht zu tun. „Eigentlich zählt nur, ob Sie all dem Glauben schenken. Ich nehme an, dass Sie wissen, das oft übertrieben wird bei dieser Art von Gerüchten und Geschichten…“ „Die Hälfte davon waren eindeutig Lügen und Übertreibungen, aber der Rest klang sehr überzeugend. Daher ist es besser, wenn wir uns jetzt voneinander verabschieden würden, Mr. Schoonmaker.“ „Und wenn ich Sie bitten würde mir Gehör zu schenken, damit ich es Ihnen erklären kann?“ Sie rang mit sich. Er hatte gewusst, dass sie ein guter Mensch war. Jemand, der beide Seiten hören wollte und sich nicht auf eine Meinung allein verließ. Ein kurzes Funkeln erhellte ihre Augen. „Erklären? Meinen Sie denn, man sollte einer Frau so etwas ausführlich erläutern?“ Er konnte es sich nicht verkneifen und lachte leise. Emma atmete tief durch, sah ihn dann an und meinte nun: „Lassen Sie mich eine Frage voranstellen und, bitte, sagen Sie mir die Wahrheit: Was denken Sie gerade?“ „Das mich niemand von den Anderen wirklich kennt. Ich gebe zu, dass ich vielen der Damen dort draußen schöne Augen gemacht habe, nur um mich mit ihnen zu amüsieren. Mich hat der Mensch dahinter nicht interessiert. Tut es auch jetzt nicht, weil sie alle dieselbe oberflächliche Art teilen. Aber Sie sind anders. Sie haben mich schon am ersten Abend mit nur einem Blick abgeschätzt und gewusst, was hinter meinem Lächeln steckt. Ist es nicht so?“ „Ich mag New York nicht. Es ist laut und voll. Und dieses ganze Gehabe, diese Heuchelei ist mir zuwider. Sie waren genauso. Und als man mir dann ein paar Geschichten über Sie erzählte, bewahrheitete sich meine Meinung über Sie. Ich bin normalerweise niemand, der vorschnell über andere Menschen urteilt, aber bei Ihnen fiel es mir erstaunlicherweise nicht sonderlich schwer.“ Ihre Worte trafen ihn sehr. Niemand zuvor, abgesehen von seinem Vater, hatte je eine solche Meinung über ihn geäußert. Dessen Ansicht war ihm nur immer egal gewesen. Aber Emma… Henry schluckte. Wie sollte er das je in ein positives Licht rücken? „Allerdings“, sagte sie dann und nahm wieder auf dem Sofa Platz, „bin ich sehr froh, dass Sie so offen mit mir reden. Daher bin ich durchaus bereit Ihnen weiter zuzuhören, wenn Sie ehrlich bleiben. Verstellen Sie sich nicht.“ „Gern.“   Ihm war heute sehr viel leichter ums Herz. Seit er mit Emma gesprochen hatte, fühlte er sich ganz anders. Sie hatten sich mindestens eine Stunde lang über alles Mögliche unterhalten. Die Geschichten über die Frauen hatte er nicht erwähnt und die wollte sie ebenso wenig hören. Er hatte sie lachen hören - ein wundervolles Lachen - und sie besser kennen gelernt. Ihre Ansichten waren erstaunlich. Und er hatte versucht sich jedes kleine Merkmal von ihr einzuprägen. Die Art wie sie sprach; wie sie ihr Haar zurückstrich; wie sie reagierte, wenn er ihr ein Kompliment über ihre Offenheit machte. Er mochte sie sehr. Gerade erst hatte er einen Kurier mit einer kleinen Karte zu ihr geschickt und hoffte auf eine schnelle Antwort. Die Vorfreude darauf, sie bald wiederzusehen, ließ ihn kaum atmen. Sie hatte sich sogar bereit erklärt, sich bei nächster Gelegenheit wieder mit ihm allein zu unterhalten. Und sie hatte zugestimmt beim nächsten Ball mit ihm zu tanzen. Sein Herz schlug kräftig und fröhlich in seiner Brust. Es war unglaublich lange her, dass er sich so gefühlt hatte. Obwohl, hatte er sich überhaupt jemals so gefühlt? Er erinnerte sich nicht daran. Henry prüfte sein Haar im Spiegel und ging dann in den Salon hinunter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)