Bayrische Hitze von Fara_ThoRn ================================================================================ Kapitel 7: IV. Überkochende Angst (Ohne Adult) ---------------------------------------------- IV. Überkochende Angst (Ohne Adult) ~Henning~ "Heiko?" "Ja?" "Caroline ist da. Ich mach's. Jetzt." Ich stehe in der Küche. Direkt neben Heiko, der wiederum vorm Herd steht und mit einer Pfanne herumhantiert. "Was machst du jetzt?", fragt er, ganz konzentriert auf seine Arbeit. "Es ihnen sagen." Heiko scheint verwirrt, doch dann lichtet sich der Nebel. "ES? Du sagst ihnen ES? Jetzt?" Die Pfanne ist vergessen. Er sieht mich mit großen, erschrockenen Augen an, während der Pfannenwender klappernd gegen den Rand der Pfanne schlägt. "Ja." "Ich kann hier nicht weg." "Das sollst du auch nicht. Ich muss das allein durchziehen." Damit du, falls es hart auf hart kommen sollte, nicht auch noch Schwierigkeiten bekommst. "Ja aber ...!" "Bitte Heiko." Ich schaue rüber zu Gertrud. Sie beäugt uns schon misstrauisch. Wahrscheinlich haben Heiko und ich eben mehr Worte miteinander gewechselt, als sie es jemals erlebt hat. "Du musst da nicht alleine durch. Das haben wir doch vorhin noch miteinander besprochen", flüstert er mir zu. "Ich weiß, aber ich will nicht, dass du in die Schusslinie gerätst." "Schusslini... So ein Quatsch!" Gertrud räuspert sich. "Deine Rösti, Heiko." "Wie? ... Verdammt!" Es riecht angebrannt. Zeternd zieht Heiko die Pfanne von der Kochstelle. "Scheiße! Alles verbrannt." "Wie ich sehe, hast du zu tun. Ich gehe besser", nutze ich die Gunst der Stunde und verlasse die Küche. "Was? Nein! Henning warte!" 'Sorry mein Süßer. Da muss ich alleine durch. Es ist nur zu deinem besten.' "Henning!" Es rappelt, ein weiterer Fluch. Feste, schnelle Schritte. Heiko hechtet hinter mir her und packt mich an der Schulter. "Heiko, die Gäste warten." Ich lasse nicht gern den Chef heraushängen. Besonders bei ihm, aber ich will unter keinen Umständen, dass er mit dabei ist, wenn ich mit meinen Eltern rede. "Nur kurz", wiegelt er ab. Ich gebe seufzend nach. "Bist du dir sicher, dass ich nicht mit soll?" "Bin ich", nicke ich entschlossen. Heiko beißt sich auf die Unterlippe. Er ringt mit sich. "Okay", gibt er nach, wenngleich auch sichtlich ungern. "Aber sobald du mit deinen Eltern gesprochen hast, kommst du zu mir. Das gilt auch, wenn irgendwas ist, und du meine Hilfe oder Unterstützung brauchst. Verstanden?" Schmunzelnd streichle ich über Heikos Wange, nachdem ich mich vergewissert habe, dass uns niemand sieht. "Lach nicht! Ich meine es ernst!" "Gut. Ich verspreche es." "Fein." Heiko nickt, dann wird sein Blick weicher. "Viel Glück. Ich denke jede Sekunde an dich." "Dito", lächle ich ihn an. "Das mache ich übrigens schon seit fünf Jahren." Heiko verzieht den Mund. "Idiot." Wir geben uns einen flüchtigen Kuss, ehe Heiko wieder an die Arbeit geht und ich mich auf dem Weg zu meinen Eltern mache. Heute Mittag sind wir beide uns noch einig gewesen. Heute werde ich mit meinen Eltern reden. Und Heiko unterstützt mich. Allerdings, als ich während der Arbeit länger darüber nachdachte, desto unsicherer wurde ich mir, ob es wirklich eine so gute Idee ist, Heiko gleich mit hineinzuziehen. Falls meine Eltern tatsächlich auf die schlimmstmögliche Weise auf mein Outing reagieren, und nichts mehr von mir wissen wollen, dann sollte wenigstens Heiko nicht noch davon betroffen sein. Ich will nicht, dass er seine Arbeit verliert. Außerdem wäre es vielleicht erstmal besser, meine Eltern nicht gleich mit allem zu überfallen. Gleich zu erfahren, dass ihr einziger Sohn schwul, und dann noch mit dem Koch zusammen ist, das wäre sicher zu viel für sie. Aufgeregt bis in die Haarspitzen lege ich die Hand auf meinen Bauch. Er rebelliert und fühlt sich gar nicht gut an. Und das Gefühlt wird immer stärker, je näher ich dem kleinen Haus auf der anderen Straßenseite komme, in dem meine Eltern wohnen. 'Jetzt oder nie', dachte ich vorhin, als Caroline, eine unserer Aushilfen, kam. Meine Eltern sind beide zu Mittag, was sie nicht oft tun, weil keine Zeit dafür ist. Und im Hotel war vorerst alles erledigt, was es zu erledigen gab. Caroline würde den Rest allein schaffen. Der ideale Zeitpunk also, für mein Outing. Schweißnass sind meine Hände, als ich die Haustür aufschließe und das Haus betrete. Als das kleine Bauernhäuschen vor ein paar Jahren zum Verkauf stand, schlugen meine Eltern gleich zu. Sie liebäugelten schon lange darauf, es zu kaufen. Damit gehörte unser Wohnhaus neben dem Hotel allein mir. 'Heiko könnte bei mir einziehen ...' Was denke ich da wieder? Erstens ist es viel zu früh über so etwas nachzudenken und zweitens 'Vielleicht muss ich das Haus in den nächsten Tagen räumen ...' Am liebsten würde ich wieder umkehren. Aber nein! Heiko und ich sind uns einig. Ich muss da jetzt durch, egal, wie viel Angst ich vor der Reaktion meiner Eltern habe. Ich habe Heiko sogar das Versprechen abgenommen, mir diesbezüglich in den Hintern zu treten, falls ich doch einen Rückzieher machen sollte. "Ist gut. Wenn du das wirklich willst, mache ich das", hatte er nachgegeben. Ich brauche Druck. So war es schon immer. Sobald ich vor etwas Angst habe, oder was nicht machen will, aber weiß, dass es wichtig ist, benötige ich ein Druckmittel, das mich nicht einknicken lässt. Meine Willensstärke ist nicht die beste. Wahrscheinlich habe ich auch deshalb so lange gebraucht, bis ich Heiko meine Gefühle offenbaren konnte. Nics Meinung, er sei sicher, dass Heiko auch in mich verliebt ist, und die Vorstellung, ihn irgendwann an jemanden anderen zu verlieren, wenn ich nicht bald handele, war auch so ein Druckmittel. Ohne das alles, würden wir heute noch umeinander herumtanzen. 'Hoffentlich knicke ich nicht wieder ein.' ~Heiko~ Ich sitze sprichwörtlich auf heißen Kohlen. Henning will ohne mich mit seinen Eltern reden. Um mich aus der Schusslinie zu halten! Irgendwie habe ich das Gefühl, da steckt mehr dahinter. Besonders nach seiner Bitte vorhin. Ich soll ihm in den Arsch treten. Komische Bitte, aber gut. Wenn er das braucht. "Von meiner Seite aus muss du das noch nicht tun", habe ich zu ihm gesagt, als wir über seinen Entschluss, sich zu outen, redeten. "Ich weiß, wie schwer es ist." "Ja?" "Hmhm." Henning bat mich, ihm von meinem Outing zu erzählen. Sehr hilfreich war das nicht gerade. Aber es bestärkte ihn wohl bei seinem Vorhaben. "Wenn ich das jetzt nicht tue, dann traue ich mich vielleicht gar nicht mehr." Guter Einwand. Trotzdem ... "Ich bin für dich da. Egal für was du dich entscheidest." "Ich weiß." Henning lächelte mich an. "Jetzt oder nie." "Gut. Dann stehe ich voll und ganz hinter dir." "Schön, dass du das sagst, weil ..." "Weil?" Ich runzelte die Stirn. "Falls ich einen Rückzieher mache, dann bitte, tritt mir in den Arsch und erinnere mich hieran, ja?" Ich bin aus allen Wolken gefallen. Was sollte ich tun?! "Bitte Heiko. Ich kenne mich. Ich bin ein Angstschisser. Sobald ich vor einer Situation stehe, bei der mir nicht wohl ist, flüchte ich. Du musst mein Gewissen sein. Die Vernunft, die mir den richtigen Weg zeigt. Machst du das?" Was hätte ich darauf erwidern sollen? Nein Henning. Mach deinen Scheiß selbst? Wahrscheinlich hätte ich das bei jedem anderen getan, mit dem ich noch nicht mal einen Tag lang zusammen gewesen wäre. Doch nicht bei Henning. Mit Henning ist alles irgendwie anders … Ich kenne ihn jetzt schon so lange. Und ich weiß, wenn er etwas sagt, dann meint er es auch so. Bei ihm gibt es keine Worte hintenherum. Keine aufgesetzte Freundlichkeit. Henning ist durch und durch ehrlich und echt in allem, was er tut. Also stimmte ich zu. Ich werde Hennings Gewissen spielen. Komme was wolle. 'Und dann? Dann drängst du ihn, woraufhin sich seine Eltern gegen ihn wenden. Was dann? Dann hasst er dich irgendwann dafür.' "Shit!" Ich feuere das Messer auf die Arbeitsplatte. "Hast du dich geschnitten?" Gertrud, die mir noch beim Aufräumen hilft, sieht besorgt zu mir rüber. "Äh ja. Ist aber nicht schlimm", erwidere ich und laufe zur Spüle. "Kein Wunder. So abwesend, wie du bist." Sie hat es also bemerkt. "Hast du dich mit dem Junior gestritten?" Der Junior. Damit meint sie Henning, der unter uns Angestellten so genannt wird. "Nein, habe ich nicht." "Sah vorhin aber so aus." Sie lässt nicht locker. Allein an ihrem Tonfall erkenne ich das. Gertrud kann es nicht leiden, wenn wir streiten. Selbst wenn es mit den Chefs ist. Sie vermittelt zwischen uns und ... Mir kommt da eine Idee. 'Warum nicht?' "Gertrud?" "Hm?" "Ich muss dir was gestehen." Ich laufe rüber zu ihr. Wissbegierig sieht sie mich an und hört sogar auf, die großen Töpfe abzutrocknen. "Ich bin schwul." Es kam mir so leicht über die Lippen. Viel leichter, als damals vor meinen Eltern. 'Ob Henning auch schon ...?' "So?" Ich nicke. Gertrud legt den Kopf schief. Ihr Blick durchdringt mich. "Hast du dich deshalb mit dem Junior gestritten? Will er dich deshalb etwa feuern?!" Gertrud gerät richtig in Rage. "Das geht aber nicht! Wo leben wir denn?! Dem muss ich ..." "Gertrud! Gertrud beruhige dich!" Eigentlich steht mir gar nicht der Sinn danach, aber ich fange an zu Grinsen. "Er will mich nicht feuern", beruhige ich sie. "Ganz und gar nicht ..." Erst blickt sie verwirrt, doch dann "Ah...", macht sie und lächelt. "So ist das." Blitzgescheid, diese Frau. Und allem aufgeschlossen. Deshalb mag sie auch jeder und deswegen kann sie sich Dinge herausnehmen, für die andere Aushilfen schon längst gefeuert worden wären. "Henning sagt es seinen Eltern gerade." "Allein?" "Ja. Er wollte es so." Sie nickt eifrig. "Vielleicht besser." Das sehe ich anders. "Was meinst du? Wie werden sie reagieren?" Gertrud zuckt mir den Schultern. "Die zwei waren schon immer sehr weltoffen." "Also meinst du, sie werden es gut aufnehmen?" "Kann gut sein." Irgendwie erleichtert mich das nicht. "Und falls nicht, rede ich mal mit ihnen." Ich fange an zu lachen und lege einen Arm um die rüstige Dame. Mit Mitte siebzig ist sie noch gut in Schuss. Trotzdem drücke ich sie nicht allzu fest. "Habe ich dir jemals gesagt, wie wundervoll du bist?" "Nein. Aber das musst du auch nicht. Das weiß ich selbst." Lachend schüttle ich den Kopf. "Und jetzt Marsch, Marsch! Das Abendbrot vorbereiten." Sie wedelt mit dem Küchentuch. Komplimente kann sie gar nicht leiden. Sie wird sogar ein wenig rot um die Wangen herum. ~Henning~ Vorsichtig und leise schließe ich die Vorplatztür hinter mir und laufe langsam den kurzen Flur entlang. Es duftet nach Essen. Hinter der Küchentür höre ich die Stimmen meiner Eltern. Sie diskutieren. Bestimmt geht es dabei um unser Hotel. Das ungute, flaue Gefühl in meinem Bauch wird wieder stärker. Ich rufe mir das Bild von Heikos Gesicht vor Augen. 'Viel Glück. Ich denke jede Sekunde an dich.' Das gibt mir Kraft. Entschlossen klopfe ich an die Küchentür. "Ich bin's." "Komm rein", bittet mich meine Mutter. "Möchtest du auch? Ich habe Kaiserschmarrn gemacht." Eigentlich sollte ich ablehnen und gleich zu meinem Anliegen kommen, doch: "Ja gern. Danke." Kaiserschmarrn von Mama. Vielleicht das letzte Mal ... Meine Mutter holt mir einen Teller und ein Glas, während ich mich setze. "Dein Vater und ich überlegen gerade, was wir ab nächstes Jahr unseren Gästen als Highlight anbieten könnten", plaudert sie und füllt meinen Teller. "Ich dachte an eine Zusammenarbeit mit Herberts Busunternehmen. Wir könnten spezielle Fahrten anbieten. Zu Sehenswürdigkeiten in der Nähe, oder eine Städtetour", erklärt mein Vater. "Zur Brauerei wäre auch eine Möglichkeit. Die wollen viele unserer Gäste besichtigen." "Hört sich gut an." Eine gute Idee von ihm. "Aber ich hätte gern noch etwas anderes", meint meine Mutter. "Etwas Spezielles, das man nur in unserem Hotel geboten bekommt. Mach dir doch auch mal bitte Gedanken darüber, Schatz." Sie sieht mich mütterlich streng, aber auch mit ihrem typischen Lächeln an. "Vielleicht etwas am See. Außer Baden und Boot fahren", überlege ich. "Schöner Gedanke", lobt Papa. "Da ließe sich noch mehr machen. Uns muss nur einfallen was." "Hmhm." Ich nicke, da ich den Mund voll habe. 'Das würde mir so fehlen.' Die Gespräche mit meinen Eltern, das Planen und Organisieren rund um unser Hotel. Eben all das, was mein Leben bis jetzt ausgemacht hat. Ich schlucke hart. Meine Kehle fühlt sich plötzlich wie zugeschnürt an. Die Gabel in meiner Hand zittert. Ich lege sie beiseite und trinke hastig einige Schlucke Wasser. 'Ich kann nicht! Ich kann es ihnen nicht sagen!' Wieder taucht Heiko vor meinem geistigen Auge auf und ich versuche, erstmal Ruhe zu bewahren. 'Iss erstmal, dann sieh weiter', rede ich auf mich ein. "Wisst ihr was?", plaudert meine Mutter weiter und schaut in die Runde. "Wie wäre es, irgendwas für verliebte Pärchen auf die Beine zu stellen? Hinten am See ist es so romantisch. Besonders im Sommer. Für unsere Flitterwochen Gäste wäre so ein romantisches Highlight bestimmt super." "Sehr schön!", jubelt mein Vater. "Aber was?" "Eine Übernachtung. Nur zu zweit. Ungestört in einer ganz eigenen Welt", überlege ich abwesend, wobei ich mir natürlich Heiko und mich vorstelle ... Ganz allein am See … "Ja!" Ich schrecke auf und schaue zu meiner Mutter. Sie hat ganz leuchtende Augen. "Sowas meine ich!" Ich brauche einen Moment um von dem Film, der gerade in meinem Kopf gelaufen ist, loszukommen. "Am besten, du übernimmst das." Mama strahlt mich regelrecht an. "Was?" "Na das Flitterwochenspezial am hinteren See. Lass dir was einfallen." "Ich?" Sie nickt. "Aber ich ... ich bin ... ich hab doch gar keine Ahnung ..." "Henning nicht wieder stottern", mahnt mich Papa. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Mit dreißig Jahren muss ich mir noch von Papa sagen lassen, dass ich nicht stottern soll. Dabei tue ich das kaum noch. Früher dagegen war mein Stottern ganz schlimm. Nur manchmal kommt es noch raus. Wenn ich nervös bin oder betrunken. Ersteres kommt leider hin und wieder vor, während ich zweiteres weitgehendst versuche zu vermeiden. "Du machst das schon Henning", beruhigt mich meine Mutter. "Auch in dir steckt ein kleiner Romantiker." "Aha", murmle ich. "Wenn du meinst." Wenn sie wüsste ... Meine Gedanken eben, Heiko und ich am See, würde sie sicher nicht als romantisch betiteln. Obwohl sie es waren. Mit dem wundervollen Abendlicht, den Kerzen im Sand, die zirpenden Grillen, Heikos lustvolles Stöhnen, als ich mich tief in ihn … "Henning?" Ich zucke heftig zusammen. Papa guckt mich stirnrunzelnd an. "Du bist ganz rot im Gesicht. Alles klar?" "Ähm ... Ja." Shit! "Mama hat dich wohl verlegen gemacht, was?" Er lacht leise und kassiert von meiner Mutter einen halbherzigen Schlag auf den Handrücken. "Wird Zeit, dass du wieder eine Freundin findest, Henning. Dann klappt das auch mit der Romantik, ohne rot zu werden." Mir rutscht das Herz in die Hose. 'Die Gelegenheit! Sag es. Sag es!' "Jetzt dräng den Jungen doch nicht so." Mama straft ihn mit einem strengen Blick. Derweil versinke ich im Erdboden und komme mir vor, wie damals, als wir beim Kinderarzt waren, der meinen Eltern mit der Holzhammermethode erklärte, dass ich ziemlich langsam für mein Alter sei. Aber das ist vorbei. Inzwischen bin ich erwachsen, habe einen guten Schulabschluss gemacht, trotz meiner Lernbehinderung. Gut, das Stottern ärgert mich manchmal immer noch, aber wer ist schon perfekt? Deshalb macht es mich auch wütend, dass ich mich schon wieder so fühle wie früher, als wäre ich der arme, dumme Junge, dem man alles haargenau erklären muss. Ich weiß, meine Eltern meinen es nicht so, aber ich reagiere trotzdem empfindlich darauf. "Ich will keine Freundin", erwidere ich aus diesem Grund auch gleich trotzig. "Immer noch wegen Linda?" Mitleid zeigt sich auf Mamas Gesichtszügen. Ich schüttle den Kopf. "Ach Schatz." Sie tätschelt meine Hand. Allem Anschein nach glaubt sie mir nicht. Ist ja auch kein Wunder. Irgendeinen Grund muss es ja schließlich haben, dass ich jedes Angebot anderer Frauen immer wieder abblocke. "Hör auf damit", knurre ich und entziehe ihr meine Hand. "Ich will sie wirklich nicht mehr zurück." Mein Vater seufzt, sagt aber nichts. Ich nehme all meinen Mut zusammen. "Es ist was anderes", beginne ich und spiele nervös mit meinen Fingern. "Ich ... ich ..." Ich stottere schon wieder! Verlegen senke ich den Blick. "Was denn Schatz?" Mama mustert mich. "Hast du wieder jemanden?" Mir entgeht der hoffnungsvolle Ton in Papas Stimme natürlich nicht. Er hofft immer noch auf einen Nachfolger fürs Hotel. Den wird er so schnell nicht bekommen ... Meine Kehle schnürt sich zu und ich muss mich räuspern. "Ich habe ... ähm nein. Also ich ... ich bin ..." 'SCHWUL!' "Ich bin ..." 'Sag es! Los! Die Chance!' "... bin ... sch..." 'Dreht sich der Teller vor mir?' "Ich b-bin sch-sch..." "Henning", unterbricht mich mein Vater. "Schön langsam ja?" Mir ist so schwindelig. "Schatz? Trink mal was." Meine Mutter schiebt mir mein Wasserglas zu. Total neben mir schnappe ich mir das Glas und trinke so lange bis es leer ist. "Besser?" Ich schüttle den Kopf. 'Ich denke an dich.' Heiko … Ich nehme all meinen Mut zusammen, schaue meine Eltern abwechselnd an und straffe mich. "Ich bin sch..." Scheiße! 'Raus damit! Los Henning!' "Ich bin sch... schon verliebt." Nein! Doch nicht so! Beide Augenpaare durchbohren mich. "Wirklich?", fragt meine Mutter mich glücklich. "Wir schön!" "Kennen wir sie?" "Liebt sie dich auch?" "Stell sie uns doch mal vor." "Martin! Lass den Jungen doch mal ausreden." Mein Vater brummt, verstummt aber. Schweigen. Was Mama nicht lang aushält. "Nun?" 'Ja, ihr kennt denjenigen. Aber sie ist ein er. Heiko. Unser Koch. Und ja, er liebt mich auch. Vorstellen?' Vorstellen ... Man könnte sich so vieles vorstellen. Zum Beispiel, wie Mama mir glücklich um den Hals fällt, und Papa mir väterlich auf die Schulter klopft, da ich endlich mit meiner großen, bis vor kurzem noch heimlichen Liebe zusammen bin. Oder auch, wie sie mich angeekelt anschauen, Papa aus dem Haus stürmt und Heiko fristlos Kündigt, weil er seinen armen, dummen Jungen verführt hat. Und danach bin ich dran. '"Pack deine Sachen und geh! So lange, bis du wieder zur Vernunft gekommen bist!"' Mama, die heulend neben ihm steht und sich fragt, was sie falsch gemacht hat. Der Kaiserschmarrn kommt mir beinahe wieder hoch. Ruckartig erhebe ich mich von meinem Stuhl. "Entschuldigt mich. Ich muss wieder rüber. Ich kann Caro nicht so lange alleine im Hotel lassen." Meine Eltern schauen mir perplex hinterher. "Henning?" Sorry Mama. Ich kann nicht. Ich flüchte. Wieder einmal. ~Heiko~ Für das Abendessen habe ich alles fertig gemacht. Noch schnell die letzte Platte mit belegten Broten in die Kühlung, dann habe ich erstmal Pause. Gertrud ist auch schon gegangen. Aber nicht, ohne mir vorher nochmal zu sagen, dass sie sofort kommt, sollte es Probleme geben. Sie ist wirklich ein Engel. Ich schließe den Kühlraum, ziehe meine Kochjacke aus und hänge sie auf. Henning ist immer noch nicht aufgetaucht. Vorn an der Rezeption treffe ich Caroline. "Ist Henning wieder da?" "Bis jetzt noch nicht", antwortet sie mir. "Möchtest du gehen? Dann sage ich ihm Bescheid, wenn er ..." "Nein, nein", winke ich ab. "Ich wollte ihn nur ..." Eine Bewegung in meinem Augenwinkel. Die Hoteltür geht auf. "Was für ein Timing", lacht Caroline. "Da ist ja der Chef." Henning läuft auf uns zu. Er sieht aus, als wäre er total durch den Wind. 'Oh nein!' Das ist kein gute Zeichen! "Henning? Herr Tauber hat angerufen. Wegen der Reservierung nächsten ..." "Später." Henning unterbricht sie barsch. "Heiko?" Er stürmt an mir vorbei. Ich folge auf dem Fuße. Wir finden uns im Büro wieder, dessen Tür er hinter uns abschließt. Die vorige Geschäftigkeit weicht völlig aus seinem Körper. In sich zusammengesackt bleibt er an der Tür stehen, die Stirn dagegen gelehnt. "Scheiße. So schlimm?" Langsam gehe ich auf ihn zu und berühre seinen Rücken. Henning dreht sich zu mir, sieht mich traurig an und lehnt sich schließlich an mich. Er schüttelt den Kopf. Ich bin verwirrt. "Nicht? Dann lief es gut?" Wieder ein Kopfschütteln. Mir dämmert es. "Du konntest es nicht?" Ein schwaches Nicken. "Mach dir nichts draus. Es war dein erster Versuch. Beim nächsten Mal klappt es. Bei mir hat es auch ein paar Anläufe gebraucht." "Wirklich?", fragt er mit gedämpfter Stimme. "Hmhm. Das ist kein Beinbruch." Henning seufzt und vergräbt sein Gesicht in meiner Halsbeuge. "Ich konnte nicht", flüstert er. "Ich ... Es war ..." "Schon gut." Ich streichle sanft über seinen Rücken. "Nein!", ruft Henning plötzlich und löst sich von mir. "Gar nichts ist gut!" Unruhig läuft er in dem kleinen Raum hin und her. "Es war die Gelegenheit! Aber ich konnte es nicht! Es ging nicht! Weil ich so ein Feigling bin! Ein blöder, stotternder Feigling, der kein einziges beschissenes Wort raus bringt!" Henning schlägt mit den Handflächen auf die Tischplatte des Schreibtischs. So fest, dass es selbst mir beim bloßen Zuschauen schon weh tut. Mit hängendem Kopf bleibt er regungslos stehen. Ich schaue ihn erschrocken an. So habe ich ihn noch nie erlebt. Sonst ist er immer sehr ruhig und überhaupt nicht aufbrausend. Ich bin leicht mit der Situation überfordert, weiß nicht, was ich tun soll. "Heiko?" "Ja?" Ich bin sofort an seiner Seite. "Ich weiß nicht, ob ich das schaffe." Nachdenklich mustere ich ihn und erinnere mich an das Versprechen, das ich ihm geben musste. Soll ich es einhalten? Am liebsten würde ich ihm sagen, dass es nichts macht, wenn er erstmal abwartet. Aber das wollte Henning nicht. Zumindest heute Mittag war das so. Und ihm war zu diesem Zeitpunkt schon klar gewesen, dass er wahrscheinlich einen Rückzieher machen würde. Sonst hätte er mir dieses Versprechen erst gar nicht abgenommen. Aber wie sage ich es ihm? Wie löse ich mein Versprechen ein, ohne zu viel Druck auf ihn auszuüben? Das ihn der Zustand sehr mitnimmt ist nicht zu übersehen. Und solange er sich weiter versteckt, wird das auch nicht besser werden. Er hat sich schon so lange versteckt. Vor seinen Eltern, vor mir. Vielleicht wird es wirklich Zeit, den nächsten Schritt zu tun. "Henning? Was wünschst du dir?" "Was?" Er dreht den Kopf zu mir. Ich packe ihn sanft bei den Schultern und richte ihn wieder vorsichtig auf. Als ich vor ihm stehe, nehme ich seine Hände in meine. "Was du dir wünschst", wiederhole ich mit ruhiger Stimme. Sein Blick ruht einen Moment lang forschend auf mir, dann huscht plötzlich ein kleines Lächeln über seine Lippen. "Ich wünsche mir, ewig mit dir zusammen zu sein." Ich erwidere sein Lächeln. "Genau das wünsche ich mir auch." Mehr als alles andere. "Ich habe nachgedacht. Wenn du es ihnen nicht sagst, es immer wieder probierst und dich doch nicht traust, wirst du immer wieder hier stehen und dich schlecht fühlen, weil du wieder Angst davor gehabt hast, ihnen die Wahrheit zu sagen." Henning senkt den Blick. Er weiß, dass ich recht habe. Und er will es ihnen ja auch sagen. Er muss nur den Mut dazu finden. "Es geht dabei nur an zweiter Stelle um uns. In erster Linie geht es um dich. Damit du der sein kannst, der du bist und dich nicht mehr verstecken musst. Und sollte es soweit kommen, dass deine Eltern dich wirklich verstoßen, dann bin ich für dich da." Er lächelt mich an. "Dann machen wir eine kleine Herberge auf. Du machst die vier Gästezimmer, während ich koche." "Nur vier Zimmer?" Henning grinst. "Klar. Damit wir auch genug Zeit für uns haben, wenn unsere Gäste versorgt sind." Lachend zieht Henning mich an sich. "Dann ist das unser Plan B? Eine Herberge zu zweit?" "Alles was du willst. Ich bin an deiner Seite." "Keine Angst, weil wir erst seit ein paar Stunden zusammen sind?" "Nö." Ich schüttle den Kopf. "Wir haben schließlich schon 5 Jahre gemeinsame Berufserfahrung. Was soll da schon schief gehen?" "Auch wieder wahr", grinst mein Spatz und küsst mich. ~Henning~ Heiko hat recht. Solange ich meinen Eltern meine Gefühle verschweige, desto schlechter fühle ich mich dabei. Und sicher würde sich das auch irgendwann auf unsere Beziehung auswirken. Das will ich auf keinen Fall. Jetzt, wo wir endlich zusammen sind. Als ich Heiko noch nicht an meiner Seite hatte, hatte ich noch keinen Grund dazu, mich zu Outen. Aber jetzt ist es anders. Ich liebe ihn so sehr … "Danke für den Arschtritt", flüstere ich gegen Heikos Lippen. "Immer wieder gern", grinst dieser und klopft mir sachte aufs Gesäß. "Freut mich zu hören. Vielleicht brauche ich bald wieder einen." "Ich werde zur Stelle sein." Das glaube ich ihm auf's Wort. "Weil ich nämlich beim nächsten Versuch an deiner Seite sein werde." Heiko sieht mich voller Entschlossenheit an. "Das musst du nicht", wiegle ich ab. Auch wenn ich meinen Eltern schon verraten habe, dass ich verliebt bin, will ich immer noch verhindern, dass ihm etwas passiert. "Doch ich muss. Wir sind jetzt ein Paar. Vergessen?" "Wie könnte ich?", wispere ich. "Was dich betrifft, betrifft auch mich. Und anders herum genauso." "In Ordnung", gebe ich nach. Natürlich werde ich auch ich zur Stelle sein, falls Heiko mal Hilfe braucht. Oder einen Tritt ins Hinterteil. Obwohl mir da gleich andere Dinge einfallen würden, die ich mit seinem Knackpo anstellen könnte ... Wie gut, dass ich das Büro abgeschlossen habe, als wir es betreten haben. Aus diesem Grund muss ich auch nicht befürchten, dass jemand hinein geplatzt kommt, und kann ungestört und ohne Angst, erwischt zu werden, Heikos süße Lippen einfangen. Er gibt ein leises Seufzen von sich, erwidert meinen Kuss und lässt kurz darauf meine um Einlass bittende Zunge in seinen Mund gleiten. Freudig wird sie dort empfangen. Meine Sorgen um das fällige Gespräch mit meinen Eltern gerät in den Hintergrund. Blind ziehe ich Heiko mit mir, um den Schreibtisch herum, wo ich mich auf den breiten Bürostuhl fallen lasse und Heiko weiter in meinen Armen behalte. Der Stuhl keucht ungesund, hält uns aber aus. Auch, als Heiko sich rittlings auf mich setzt und die Knie neben meine Oberschenkel platziert, beschwert er sich nur kurz über das zusätzliche Gewicht. "Wie lange hast du Pause?", möchte ich von ihm wissen. Meine Finger fummeln derweil am hinteren Bund seiner Hose. "Noch bis achtzehn Uhr." "Wunderbar." Genug Zeit für uns. Caroline wird noch ein paar Minütchen ohne mich auskommen. ~Heiko~ Von Null auf Hundertachtzig. Das bringt nur Henning bei mir fertig. Früher hat nur ein Blick von ihm gereicht, und in mir explodierte dieses Kribbeln. Aber jetzt, wo wir uns endlich so nahe sein können, wie noch nie zuvor, ist dieses Gefühl um ein vielfaches stärker, bündelt sich blitzartig in meiner Körpermitte und bringt mich zum Taumeln. 'Gut, dass ich sitze ... Sicher auf Hennings Schoß.' * ~Henning~ "Heiko ... Das war ... Hab noch nie ..." Oh Mann! Was wollte ich eben sagen? Heiko richtet sich auf und hockt sich wieder auf meinen Schoß. "Noch nie?", fragt er mich amüsiert. "Du hattest noch nie einen Blow Job?" Ich schüttle den Kopf. "War das jetzt ein nein, ich hatte schon einen, oder ein nein, ich hatte noch keinen?" Hä? Für solcherlei komplexen Fragen bin ich noch nicht aufnahmefähig. "Hatte noch nie ... so einen", schnaufe ich einfach und hoffe, damit ist seine Frage beantwortet. Er lacht und busserlt meine Wange. Das war offensichtlich die richtige Antwort. "Ich liebe dich", wispert er. Mein Mundwinkel wird geküsst, und noch ehe Heikos Lippen von meinen verschwinden können, habe ich sie auch schon eingefangen. Während wir uns küssen, lässt er mir noch weitere Streicheleinheiten zukommen. Ich könnte glücklicher nicht sein. Beide Arme um Heikos Rücken gelegt, drücke ich ihn beherzt an mich. Ich möchte ihn am liebsten nie wieder loslassen. Leider können wir nicht ewig hier sitzen bleiben. Caroline wartet sicher schon auf mich und auch Heikos Pause dauert nicht ewig. "Heiko? Wir müssen langsam." So leid es mir tut. "Ich weiß", seufzt er. "Aber heute Nacht holen wir das nach, ja?" "Auf jeden Fall", grinse ich. "Wieder bei mir, oder soll ich mal mit zu dir kommen?" Diese Woche habe ich zum Glück Nachts keine 'Bereitschaft', was bei uns bedeutet, die Klingel der Rezeption läutet, sollte einer der Gäste etwas brauchen, drüben bei meinen Eltern. "Bei dir", entscheidet Heiko sich jedoch sofort. "Ich fahre schnell heim und hole mir Wechselkleidung." "Wenn dir das nicht zu umständlich ist." "Auf keinen Fall", säuselt er und schmust mit seiner Nase an meiner entlang. "Wenn ich hier übernachte, sind wir eher im Bett, als wenn wir erst zu mir fahren müssten." "Verstehe", lache ich. "Klingt sehr logisch." "Meine Meinung." Noch ein Kuss, dann stehen wir auf und richten unsere Kleidung wieder. "Mist!" Ich schaue zu Heiko rüber. Der reibt an seinem Shirt herum. "Flecken", kommentiert er nur. Ich weiß, es ist gemein, aber ich fange an zu lachen. Ganz zum Leidwesen Heikos, der die Schultern hängen lässt. "Ich kann dir ein Shirt von mir leihen", biete ich ihm an. "Nein. Schon gut. Ich will ja sowieso gleich zu mir fahren." "Wie du meinst." Ich schmiege mich seitlich an ihn. "Und falls jemand fragt, kannst du ja sagen, du hast dich beim Kochen eingesaut." "Ha ha", macht er, grinst allerdings. "Was denn? Du warst doch am Kochen ... So heiß, wie du warst", schnurre ich und schnappe nach seinem Ohrläppchen. Heiko lacht. "Du hast mich überkochen lassen." "Oh verzeih. Ich bin kein guter Koch." "Nicht schlimm", kichert Heiko. "Dafür hast du ja jetzt mich." "Ja?" "Hmhm ..." An Heikos Lippen könnte ich ewig hängen ... ~Heiko~ "Henning? Wenn ich rechtzeitig wieder hier sein soll, muss ich jetzt langsam wirklich los." "Bleib hier", nuschelt er und lässt seine Zunge hinter meinem linken Ohr verschwinden. "Geht nicht", seufze ich und winde mich aus seinen Armen. Er sieht mich daraufhin wie ein armer, wimmernder Welpe ab, dessen Mutter ihn nicht mehr säugen möchte. "Nicht traurig sein", tröste ich meinen Spatz. "Heute Abend gehöre ich ganz dir." Lange ist es nicht mehr bis dahin. Henning atmet tief ein und fährt sich mit den Händen durchs Haar. "Ich weiß doch. Aber es ist trotzdem schwer, dich gehen zu lassen." "Das geht nicht nur dir so", versichere ich ihm und nehme seine Hand, um ihn mit mir zu ziehen. Vor der Tür küssen wir uns noch einmal, ehe Henning aufschließt und sie öffnet. "Vergiss aber nicht, dass wir noch was brauchen für heute Nacht", meint er mit einem verschwörerischen Ausdruck auf dem Gesicht. Ich runzle fragend die Stirn. "Was denn?" "Kondo…" "Hoppla!" Plötzlich stehen Hennings Eltern vor uns. Wir vier schauen uns erschrocken mit großen Augen an. Henning neben mir erstarrt regelrecht. Und auch mir jagt der Schreck durch die Glieder. Vom Bauch aus saust er hinab bis in die Fußzehen und hinauf bis in die Fingerspitz... Schock Nummer zwei schlägt ein. Unsere Hände! Wir halten immer noch Händchen! Für einen Bruchteil einer Sekunde überlege ich, sie einfach so zu belassen, Henning damit einfach die Last seines Outings auf diese Weise abzunehmen, doch meine Vernunft siegt. "Ha!", lache ich unbeholfen und drängle mich vor Henning, damit ich unsere Hände unauffällig lösen kann. "Karambolage im Büro", scherze ich und grinse, in der Hoffnung, die Situation so irgendwie auflösen zu können. Es scheint mir zu gelingen. Martin und Agnes lächeln und entspannen sich etwas. "Was macht ihr hier drinnen?", möchte Agnes allerdings wissen. Zu früh gefreut. Ich schiele rüber zu Henning und bekomme Schreck Nummer drei. Seine Gesichtsfarbe spricht mehr als tausend Worte. "I-Ich mu... muss zu Caro... Caroline!" Ungelenk flüchtet er an uns vorbei. Seine Eltern starren ihm bloß nach. Sichtlich irritiert. Wieder ist es seine Mutter, die sich an mich richtet. "Was ist hier los?" "Ach nur wegen meinem Dienstplan. Ich brauche nächste Woche einen halben Tag frei", lüge ich. Ob sie mir glauben, bezweifle ich. Es erklärt ja auch nicht Hennings Abgang oder sein Stottern, das nur zum Vorschein kommt, wenn er nervös ist. Ich atme einmal tief durch. "Henning geht es nicht gut", starte ich den Versuch, seinen Zustand zu erklären. "Kopfschmerzen." "Kopfschmerzen?" Sein Vater wirkt mehr als skeptisch. Doch dann seufzt er. "Ich werde aus dem Jungen nicht mehr schlau." Agnes guckt besorgt in die Richtung, in der Henning verschwunden ist. "Ihn belastet etwas", meint sie und sieht auf einmal mich an. Ich zucke regelrecht zusammen. "Oder?" "Äh ... Kann sein." Ihr Blick wird stechend. "Ähm, es tut mir leid, aber ich muss noch schnell Besorgungen machen. Meine Pause ist bald rum. Bis nachher." Ich schlängle mich an den beiden vorbei und laufe eilig zur Hintertür. Erst, als ich in meinem Auto sitze, legt sich mein starkes Herzklopfen. Henning hatte recht. Er muss mit ihnen reden. Nicht erst in einer Woche, einem Monat oder gar erst in einem Jahr. Er muss es jetzt tun. Die beiden machen sich Sorgen um ihren Sohn. Und wer weiß? Vielleicht ahnen sie ja schon etwas. Und falls sie das noch nicht vorher getan haben, dann spätestens jetzt. Das heißt, wenn sie gesehen haben, wie ihr Sohn mit dem Koch Händchen hält. Doch so, wie mich Hennings Mutter gerade angeschaut hat, befürchte ich das Schlimmste. ****** Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)