Naruto Kurzgeschichten von Chi_desu (Sammlung meiner oneshots) ================================================================================ Kapitel 1: Schmerz ------------------ Sowas hatte ich schon länger geplant, hier möchte ich alle Naruto Kurzgeschichten / One-Shots posten, die ich so schreibe, damit ich nicht jedes mal einen neuen Thread aufmachen muss. Die erste Story wird ziemlich düster, Sasuke ist mein absoluter Lieblingschara und ich muss ihn mal ein bißchen leiden lassen... Schmerz Warm und hell schien Sonnenlicht durch die großen Fenster der Wohnung. Der strahlend blaue Himmel lockte draußen die Menschen nach den langen Regentagen wieder ins Freie. Kinder spielten unten auf der Straße, man konnte ihr Lachen bis oben hin hören. Fast höhnisch strahlte die Sonne in das große Zimmer und tauchte den Raum in ihr warmes Licht. Auf dem Holzfußboden bildeten sich unregelmäßige Schatten ab von den Blutspritzern auf dem Glas der Fenster. Blassrosa Haar glänzte im Licht, aber die gebrochenen grünen Augen reflektierten die warmen Sonnenstrahlen nicht mehr. Ein Kind lag zusammengekrümmt neben der Leiche der jungen Frau. Auch seine Augen waren weit aufgerissen. Die Klinge des Messers, das in der Brust der Frau steckte, warf das Licht auf seinen kleinen, blutbefleckten Körper. Durch die offene Wohnungstür strömte der abgestandene Geruch des Treppenhauses, aber er vermochte den Geruch von Blut nicht zu überdecken. Ein Kunai lag neben der im Tode gekrümmten Hand der jungen Frau, aber die Klinge war sauber, unbenutzt. Stimmen drangen von unten in das Zimmer hinauf. In einer Ecke saß jemand. Der junge Mann mit den dunklen Augen war unversehrt, das Blut, das warm an seinen Händen klebte, war das der toten Frau. Er war blass und seine schwarzen Stirnfransen fielen ihm ins Gesicht. Seine Augen waren weit aufgerissen, auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck unbeschreiblichen Entsetzens. Er zitterte ganz leicht. Sein Atem ging flach und seine starren Augen fixierten einen Punkt im Zimmer. Die Stimmen kamen näher. Schritte. Männer stürzten in das Zimmer und blieben wie erstarrt stehen, als sie die Leichen sahen. "Schnell, hol einen Arzt! Nein, noch besser, hol Tsunade!", schrie einer von ihnen und ein anderer rannte los, zurück aus dem Haus. Die anderen Männer richteten ihren Blick auf den einzigen Überlebenden, der sie noch nicht einmal bemerkt zu haben schien. "Sasuke! Sasuke, was ist hier passiert?!" Beinahe das ganze Dorf war am Tag der Beerdigung zusammengekommen. Alle trugen schwarz, schwiegen bedrückt. Niemand hatte geglaubt, dass so eine Tragödie mitten im Dorf passieren könnte. Der Schock saß noch zu tief. Man hatte Mutter und Sohn zusammen begraben, ein marmorner Stein mit ihren Namen war auf das Grab gestellt worden. Niemand mochte wirklich glauben, dass Sakura und ihr Sohn tot waren. Aber noch schlimmer war die Tatsache, dass Sakuras Ehemann, Sasuke, die Tragödie als einziger überlebt hatte. Er war nicht zu Hause gewesen, als die Männer eingedrungen waren und die Frau und ihr Kind getötet hatten. Als er zurückkam, war es schon zu spät, auch Tsunade konnte sie nicht mehr retten. Sasuke Uchiha wirkte gefasst, als er vor dem Grab stand und mit ausdruckslosem Gesicht der bedrückten Rede von Tsunade lauschte. Seine besten, und vielleicht auch seine einzigen Freunde standen links und rechts neben ihm, so als wollten sie ihn stützen. Hatake Kakashi, der links von ihm stand, wirkte ebenfalls gefasst, auch wenn in seinem Auge eine Traurigkeit lag, die bei Sasuke fehlte. Naruto Uzumaki hingegen weinte herzzerreißend während der gesamten Zeremonie. Sasuke blieb stumm. Er weinte nicht, er weigerte sich, Blumen auf das Grab zu legen oder über den Tod der beiden zu sprechen. Er stand einfach da und ließ die Dinge geschehen, so als sei er gar nicht wirklich dabei. Manche hielten ihn für gefühllos, aber die, die ihn kannten, wussten, dass er so etwas schon einmal durchlebt hatte. Als er gerade sieben Jahre alt war, wurden seine Eltern von seinem älteren Bruder getötet. Auch damals stand Sasuke gefasst am Grab und man sah ihn nie weinen. Und doch war es jetzt anders. Er hatte zum zweiten Mal seine gesamte Familie verloren und war als einziger Überlebender übrig geblieben. Seine Augen wirkten leblos, es war, als wäre er selbst an jenem Tag auch gestorben. Es war nicht so, dass er nicht weinen wollte. Er konnte es ganz einfach nicht mehr. Nach dem Begräbnis drehte er sich wortlos auf dem Absatz um und verschwand. Naruto wollte ihn zurückhalten, aber Kakashi hielt ihn davon ab. "Wir können ihm nicht helfen", sagte er schlicht. "Niemand kann das." Der junge Uzumaki Naruto wischte sich über das Gesicht. "Er ist wie eine Puppe. Er sagt nichts, tut nichts, fühlt nichts. Ich habe Angst um ihn." "Er hat zum zweiten Mal seine Familie gewaltsam verloren. Wie viel Schmerz kann ein einzelner Mensch ertragen?" Zuerst schienen die Dinge in Konoha langsam wieder ihren natürlichen Lauf zu nehmen. Man blieb entsetzt über die Tragödie, die geschehen war, aber die Menschen hatten ihr eigenes Leben und ihre eigenen Sorgen. Man machte sich auf die Suche nach den Tätern, aber als man sie fand, waren sie bereits tot. Man hatte ihre Leichen grausam entstellt und die Gerüchte, dass Sasuke seine Familie auf diese Weise gerächt hatte, hielten sich hartnäckig im Dorf. Aber man erfuhr nie die Wahrheit, denn Sasuke schwieg beharrlich. Seit dem Tod seiner Familie hatte er fast kein Wort mehr gesprochen. Er war früher schon ein Einzelgänger gewesen und auch wortkarg, doch nun schien er einfach nicht mehr die Kraft zu haben, etwas zu sagen. Er erschien nicht mehr zum Training, was ihm aber niemand verübeln konnte. Als Naruto und Kakashi ihn besuchten, hatte er seine Ninja Ausrüstung bereits weggeworfen, zusammen mit allem, was ihn an seine Frau und seinen Sohn erinnert hätte. Es war nicht einmal ein Foto von ihnen übrig geblieben. Seine Freunde machten sich ernsthafte Sorgen um ihn, aber er schien auf seine eigene Art damit umzugehen. Man sah ihn wieder im Dorf, er ging einkaufen und richtete sich neu ein, kaufte sich neue Kleidung. Man nahm an, dass er auf dem Wege der Besserung war, und er sich wieder fangen würde. Bis Naruto ihn eines Abends mit aufgeschnittenen Pulsadern im Badezimmer fand. Die Wohnungstür stand weit offen, als Naruto kam um nach seinem Freund zu sehen. Er konnte Sasuke nirgends finden, bis er etwas aus dem Badezimmer hörte. Das Plätschern von Wasser. "Sasuke? Bist du da drin?", fragte er laut und schob die Tür auf, als keine Antwort kam. Sasuke lag voll angezogen in der halbvollen Badewanne. Seine Augen waren offen und starr an die Decke gerichtet. Das kalte Wasser hatte sich rot gefärbt von dem Blut, das aus den offenen Schnitten an seinen Handgelenken schoss. Naruto hatte noch nie so viel Blut gesehen. Er stürzte zur Badewanne und packte Sasuke. "Was hast du da getan, Sasuke??", schrie er und versuchte, seine Handgelenke festzuhalten um die Blutung zu stoppen. Sasuke schien ihn nicht mal zu bemerken. Er wehrte sich nicht, als Naruto ihn aus der Badewanne zerrte und Handtücher um seine Handgelenke band. Naruto stürmte ins Wohnzimmer und riss das Fenster auf. In Panik schrie er nach draußen: "ICH BRAUCHE HILFEEE!!!" Teilnahmslos schaute Sasuke aus dem Fenster, als Naruto und Kakashi den Raum betraten. Er saß auf seinem Bett, das bis auf den Schrank und den Fernseher der einzige Einrichtungsgegenstand im Raum war. Naruto setzte sich auf die Bettkante, während Kakashi stehenblieb. Sasuke ignorierte sie vollkommen. Seine Arme waren dick eingewickelt in Bandagen, obwohl sein Selbstmordversuch bereits eine Woche her war. "Wie fühlst du dich, Sasuke-kun?", fragte Kakashi nach ein paar Minuten absoluter Stille. Sasuke drehte endlich den Kopf und warf ihm einen ausdruckslosen Blick zu. "Gut", antwortete er und so ziemlich alles an ihm strafte seine Worte Lügen. Die Verbände um seine Handgelenke, seine blasse Haut, der leere Blick, die Gurte am Bett, die Tatsache, dass sämtliche spitzen Gegenstände aus dem Zimmer entfernt worden waren. Und das war alles was er sagte. Er wollte nicht wissen, wann er die Anstalt wieder verlassen durfte. Er machte nicht den Versuch, seine Tat zu erklären. Naruto nahm das Gespräch, wenn man es denn so nennen konnte, wieder auf. "Wir machen uns Sorgen um dich, Sasuke. Wir möchten dich öfter besuchen, wenn dich das nicht stört." Sasuke zuckte gleichgültig die Schultern. "Die Ärzte sagen, du musst noch etwas bleiben. Sie fürchten, du könntest wieder versuchen, dir etwas anzutun." Sasuke starrte wieder zum Fenster hinaus. "Sasuke. Willst du den Rest deines Lebens hier verbringen? In der Psychiatrie?", fragte Kakashi, nur um irgendeine Reaktion von Sasuke zu bekommen. "Du musst anfangen, darüber zu reden. Du musst über ihren Tod hinweg kommen, sonst lassen sie dich hier nie mehr raus." Sasuke bewehte sich nicht. Das Sonnenlicht ließ seine Haut strahlen und täuschte darüber hinweg, wie blass er in Wahrheit war. "Sasuke!", rief Naruto verzweifelt. "Sag doch was. Das kann dir doch nicht alles egal sein! Wir waren doch immer Freunde, oder nicht? Bitte sprich mit uns!" Sasuke schloss seine Augen. "Ich habe nichts dazu zu sagen", sagte er langsam, so als wollte er die Worte auf sich selbst wirken lassen. Naruto schniefte. Er war den Tränen nahe. Kakashi legte ihm die Hand auf die Schulter. "Wir müssen jetzt gehen, die Besuchszeit ist bald vorbei. Wir kommen nächstes mal früher." Widerwillig stand Naruto auf und ließ sich von Kakashi zur Tür schieben. "Machs gut, Sasuke. Pass auf dich auf." "Bis morgen", sagte Kakashi und Sasuke antwortete ohne den Blick auf sie beide zu richten ebenfalls mit: "Bis morgen." Zu dritt saßen sie im frisch gemähten Gras des Anstaltsgartens. Sasuke saß in der Mitte, Kakashi und Naruto links und rechts von ihm. Kakashi las Icha Icha Paradise und Naruto erzählte irgendwas über das Training und über Ramen und was ihm sonst noch so interessantes einfiel. Sasuke saß da und hatte seinen Blick ins Nichts gerichtet. Man konnte nicht sagen, ob er zuhörte oder nicht. "Und dann hat Hinata gesagt, sie will mit mir ausgehen! Ist das zu fassen? Ich hätte nie gedacht dass die schüchterne Hinata ausgerechnet mit mir ausgehen will!", quasselte Naruto. "Denkst du wirklich, mit Geschichten über dein glückliches Liebesleben baust du mich auf?", fragte Sasuke ohne Ankündigung. Für gewöhnlich war es das höchste der Gefühle, wenn er zu Narutos Ausführungen mal ein "Hn" rausbrachte. Naruto starrte ihn entgeistert an und auch Kakashi ließ sein Schundheft sinken. "T-tut mir leid....", murmelte Naruto verlegen. "Ich wollte dir nur mal so erzählen was so alles vor sich geht bei uns. Wirklich, ich wollte dich nicht kränken." Aber Sasuke wirkte nicht gekränkt oder auch nur verstimmt. Er sah aus wie immer. Er warf einen Blick über das Areal und sagte tonlos: "Von hier aus kann man die Mauern nicht sehen." Naruto biss sich unsicher auf die Unterlippe und auch Kakashi schwieg dazu. Sie waren sich einig, dass wenn Sasuke sich mal dazu entschied, etwas zu sagen, sie ihm zuhören mussten. Ein Windstoß fegte über sie hinweg und zerzauste Sasukes Haar. Er hob seine knochige Hand zum Kopf um es sich aus dem Gesicht zu streichen. "Ich bin ein Gefangener, also tut nicht so als sei das hier ein Freundschaftsbesuch. Auch wenn man die Mauern nicht sehen kann, sie sind da. Und die Ärzte. Und das Zimmer das man von innen nicht aufschließen kann. Ich habe versucht, mich umzubringen und deswegen bin ich jetzt in der Irrenanstalt, um das alles mal auf den Punkt zu bringen." "Falsch", sagte Kakashi ernst. "Du bist hier, weil du Sakura und deinen Sohn nicht vergessen kannst." "Ich würde lieber hier drin versauern als sie zu vergessen." "Aber du musst endlich über ihren Tod hinweg kommen, Sasuke. Denkst du, sie hätten gewollt dass du dich selbst so quälst?" "Denkst du, sie wollten von irgendwelchen dahergelaufenen Typen einfach abgeschlachtet werden während ich meine Zeit damit verschwende, eine Technik zu trainieren mit der ich sie hätte beschützen können, wenn ich rechtzeitig zu Hause gewesen wäre?", fragte Sasuke. Das Fehlen jeder Emotion in seiner Stimme war beängstigend. "Ich habe sie nicht beschützt und dafür verdiene ich es, für die Ewigkeit die Hölle auf Erden zu durchleben." "Was sagst du da? Du konntest nicht wissen, dass es passieren würde!" "Ist das eine Entschuldigung dafür, dass mein Sohn nicht die Chance hatte, aufzuwachsen und selbst über sein Leben zu entscheiden?" "Denkst du, dein Sohn wäre stolz auf dich, wenn er dich so sehen könnte?" "Und denkst du, du kannst mich mit so banalen Provokationen aus der Reserve locken?" Kakashis Augenbraue zuckte. Sasuke hatte voll ins Schwarze getroffen. Seinen scharfen Verstand hatte er nicht verloren. Trotzdem gab Kakashi noch nicht auf: "Und was willst du jetzt tun? Weiterhin dich in Selbstmitleid ertränken und dich selbst bestrafen, indem du hier verrottest?" "Nein", antwortete Sasuke simpel und Stille kehrte wieder ein. Er hatte wohl nicht vor, ihnen zu erklären, was er statt dessen vorhatte. Schließlich ergriff Kakashi wieder das Wort. "Die Besuchszeit ist bald vorbei. Wir müssen los. Morgen kommt Naruto allein, ich geh auf eine Mission mit meinen Schülern. Ich komm wieder sobald wir zurück sind." Sasuke reagierte nicht. "Bis morgen", sagte Naruto und stand auf. "Bis morgen", murmelte Sasuke. Wie Kakashi es gesagt hatte, kam Naruto am nächsten Tag allein. Sasuke war in seinem Zimmer als er kam und so blieben sie dort. Sasuke war wortkarg wie immer und Naruto redete auf ihn ein, diesmal aber sichtlich bemüht, nichts über funktionierende Beziehungen zu erzählen. Kurz vor dem Ende der Besuchszeit sagte Sasuke dann doch was. Naruto quasselte gerade irgendwas über Ramen, da sagte Sasuke: "Denkst du, sie lassen mich hier raus, wenn ich über den Tod meiner Familie mit den Ärzten spreche?" Sofort verstummte Naruto. Er schaute Sasuke prüfend an und nickte dann. "Nicht sofort, schätze ich, aber sie würden dir sicher helfen, darüber hinweg zu kommen und dann könntest du entlassen werden." "Dann sollte ich das vielleicht tun." Ein Lächeln umspielte Narutos Lippen. "Das wäre... wundervoll, Sasuke! Du fehlst uns allen so. Alle warten darauf, dass du zurückkommst." Er legte seine Hand auf die Schulter seines Freundes. "Ich will hier raus", sagte Sasuke. Naruto nickte traurig. "Wenn Kakashi es mir nicht verboten hätte, würde ich dich hier sofort rausholen." "Hättest du keine Angst, dass ich es wieder versuchen würde?" Naruto schüttelte den Kopf. "Ich vertraue dir, Sasuke", antwortete er ehrlich. "Was passiert ist war furchtbar, aber du bist kein Feigling. Um in dieser Welt zu leben braucht es sehr viel Mut. Ich weiß du schaffst es." "Danke, Naruto", sagte Sasuke schlicht. Naruto lachte. Er war froh, dass Sasuke endlich wieder etwas sagte, und seine Worte versprachen Hoffnung, dass sich alles zum Guten wenden würde. Er umarmte Sasuke und stand dann auf. "Wir sehen uns morgen, ja?" Sasuke stand ebenfalls auf und nickte ihm zum Abschied zu. Er beobachtete mit wachsamen Augen, wie Naruto an die Tür klopfte und als sie geöffnet wurde den Raum schweigend verließ. Er wartete etwa eine Minute, nachdem sich die Tür geschlossen hatte, dann gestattete er sich, sich zu entspannen und zog den Kunai, den er Naruto bei der Umarmung gestohlen hatte, aus dem Hosenbund. Auf diesen Moment hatte er lange gewartet. Er wartete noch ein paar Minuten, um sicherzugehen, dass Naruto fort war. Dann klemmte er den Kunai zwischen die Zähne und drückte den Knopf um eine Schwester zu rufen. Er formte ein Fingerzeichen und sammelte Chakra in den Füßen. Er setzte einen Fuß an die Wand und ging daran entlang bis er von oben von der Decke hing. Als die Schwester in den Raum kam, hielt er ihr von oben den Kunai an den Hals und sagte: "Bringen Sie mich hier raus, wenn Ihnen ihr Leben lieb ist." Freiheit. Sasuke fühlte den kühlen Wind auf seinem Gesicht und atmete tief ein. Es hatte ihn viel Mühe gekostet, das Hokage Monument zu erklimmen, denn sein ausgemergelter Körper war längst nicht mehr so kräftig wie früher. Aber jetzt stand er oben und konnte das Dorf überblicken. Er wusste nicht einmal, wie lange es her war, seit er zum letzten Mal eigene Entscheidungen hatte treffen dürfen. Er hatte sich lange, viel zu lange in dieser Anstalt festhalten lassen. Aber Kakashi hatte ihn immer scharf beobachtet, das war ihm nicht entgangen. Eine Waffe zu stehlen, solange sein ehemaliger Lehrer dabeigewesen war, wäre sinnlos gewesen und hätte jede Chance zu entkommen zunichte gemacht. Naruto dagegen war weit vertrauensseliger gewesen, und genau darauf hatte er auch gehofft. Er ließ den Kunai fallen, jetzt brauchte er ihn nicht mehr. Tut mir leid, Naruto. Du hast dein Vertrauen in den Falschen gesetzt. Die Zeit in dieser Anstalt, wo er aller Freiheiten beraubt gewesen war, war seine Strafe gewesen, das wusste er jetzt. Die Strafe dafür, dass er seine Frau und seinen Sohn nicht beschützt hatte. Vielleicht hätte Kakashi ihn dort rausgeholt, wenn er ihm je gezeigt hätte, wie sehr er dort gelitten hatte, wie furchtbar es für ihn gewesen war, auch sein letztes Gut zu verlieren.... die Freiheit. Es war ihm noch nicht bestimmt gewesen, zu sterben. Er hatte zuerst büßen müssen, dafür dass er seine Familie im Stich gelassen hatte. Aber jetzt war es endlich soweit. Er hatte genug gesühnt, jetzt würde er diesem Elend ein Ende bereiten. Vielleicht warteten sie auf ihn, wo auch immer sie jetzt waren. Aber er glaubte nicht, dass er sie wieder sehen würde. Er war ein Sünder, ein schlechter Mensch, der sein Training stets über seine Familie gestellt hatte und der sich nun aus dem Leben schlich wie ein erbärmlicher Feigling. Sasuke war sich sicher, dass er direkt zur Hölle fahren würde. Aber selbst das erschien ihm verlockender als ein Leben mit den Erinnerungen an das, was er verloren hatte. Er hatte sie so sehr geliebt. Sakura, zu der er lange, lange Zeit so abweisend gewesen war. Als sie ihm einen Sohn geschenkt hatte, war er zum ersten Mal seit dem Tod seiner Familie wirklich glücklich gewesen. Sein wunderschöner Sohn, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war, und der den Namen der Uchiha Familie zu neuem Leben hätte verhelfen sollen. Vielleicht ist es gut, dass unser Clan mit mir ausstirbt. Itachi war schlecht und auch ich habe mich immer zur dunklen Seite hingezogen gefühlt. Es ist gut, dass unser tragischer Name mit mir stirbt, hier und heute. Der Schmerz, als er seine Familie tot aufgefunden hatte, war unbeschreiblich gewesen. Es war, als hätte man sein Innerstes in Fetzen gerissen, sein Herz zerbrochen. Er erinnerte sich noch an das Blut, das überall gewesen war, und daran, wie er Sakura in seine Arme genommen und versucht hatte, ihren Puls zu fühlen. Dabei war ihr der Kunai aus der Hand gefallen, den sie selbst im Tode noch umklammert hatte. Ihre Gegenwehr hatte nichts genützt. Dieser Abschaum menschlichen Lebens hatte erst Sakura und dann seinen Sohn brutal ermordet. Natürlich hatte Sasuke Rache genommen. Er hatte diese Männer nicht weniger bestialisch abgeschlachtet, aber die Rache hatte ihm keine Genugtuung gebracht. Aber das hatte er auch nicht erwartet. Er machte sich keine Illusionen, jemals Frieden oder Vergebung zu finden. Er hörte leises Kinderlachen und schloss die Augen. Was würde er darum geben, seinen Sohn noch mal lachen zu hören? Sakura noch einen Kuss geben zu können. Noch einmal das Glück einer Familie zu spüren? Er trat vor, bis seine Zehen über den Fels hinaus ragten, und schaute nach unten in den Abgrund. Er dachte an Naruto und Kakashi. Sie würden niemals verstehen, was er durchgemacht hatte. Auch sie hatten ihre Bürde zu tragen, aber keiner von beiden wusste, wie es war, zweimal das Glück einer Familie zu erleben und dann hilflos mitansehen zu müssen, wie es einem brutal entrissen wurde. Er wusste die Freundschaft der beiden zu schätzen, aber das reichte einfach nicht aus. Es reichte nicht mehr, um den Schmerz des Lebens zu ertragen. Er breitete die Arme aus und atmete noch einmal die frische Luft ein. Ein Schrei riss ihn aus seinen Gedanken und er fuhr herum. Ein blonder Wirbelwind kam angerannt. Sasuke hob die Hand. "Keinen Schritt weiter, Naruto!" Sofort blieb Naruto stehen. "Sasuke, was machst du da? Komm da weg!" Er schüttelte traurig den Kopf. "Ich kann nicht. Du verstehst nicht, wie schmerzhaft es für mich ist. Ich kann und will es nicht mehr ertragen. Ich will nie wieder mitansehen müssen, wie die, die ich liebe sterben." "Du Feigling! Denkst du, Sakura und dein Sohn hätten gewollt, dass du so was tust?" Sasuke schenkte ihm ein trauriges Lächeln. "Wie viel Schmerz muss ich noch ertragen, Naruto? Ich habe alles verloren. Nicht nur meinen Lebensinhalt, sondern auch meine Hoffnung, meine Zukunft. Die Welt hat ihre Farben verloren. Für mich ist alles grau." "Aber das muss nicht so sein! Du hast Freunde! Es wird besser werden, ich verspreche es! Es gibt Menschen die dich lieben und dich brauchen! Tu das nicht!" Sasuke biss sich auf die Unterlippe. Für einen Moment war er unentschlossen. Die Hoffnung in Narutos Augen berührte etwas in ihm. Aber dann sah er dieses Bild vor Augen, die blutigen Leichen seiner Familie, und er begriff, dass er nie Ruhe finden würde. "Es tut mir leid, Naruto", sagte er traurig. "Aber ich kann das nicht. Ich bin nicht so stark wie du." Naruto riss die Augen auf, erkannte seine Absicht. "Nein!", schrie er und formte ein Fingerzeichen. "Das lasse ich nicht zu! Kage Bunsh..." Er verstummte, als er blaues Feuer in der rechten Hand seines Freundes sah. "Chidori...?" Sasuke nickte langsam. "Ich lasse mich nicht aufhalten. Zwing mich bitte nicht, dich zu töten." Widerstrebend ließ Naruto die Arme sinken. Es passte nicht zu ihm, so einfach aufzugeben, aber er hatte die Entschlossenheit in Sasukes Blick gesehen. "Hab keine Angst um mich, Naruto. Sie werden dort auf mich warten." "Sasuke, bitte! Ist dir klar, wie weh du mir tust, wenn du mich auch noch verlässt?" Verzweifelt schüttelte Sasuke den Kopf. Er wünschte niemandem denselben Schmerz, der ihn täglich quälte, am allerwenigsten Naruto. "Es tut mir so leid." Es reichte nicht aus. Er breitete die Arme aus und begleitet vom entsetzten Schrei seines Kameraden ließ er sich nach hinten fallen. Er bekam kaum noch Luft und rasend schnell wurde der Felsvorsprung über ihm kleiner. Er sah noch den blonden Haarschopf, der dort auftauchte, während er fühlte wie der Boden ihm immer schneller entgegenraste. Habe ich das richtige getan? Er schaute in den blauen Himmel und vor seinem inneren Auge sah er das lächelnde Gesicht seiner Frau. Er schloss die Augen und erwartete den Aufprall. OWARI Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)