Lilienkampf von FanFicFreak98 ================================================================================ Kapitel 9: Zeichen der Lilie ---------------------------- Ein Arzt betrat das Zimmer, stellte sich vor mein Bett und sah mich mitleidend an. Ich wollte es eigentlich gar nicht wissen. Welches Schicksal hatte mich nun wieder heimgesucht? Ich ahnte, jetzt würde eine weitere Moralpredigt folgen. „Es gib schlechte Neuigkeiten. Es geht um Tim“ fing der Arzt an. Sofort wandte ich meinen Blick zu ihm. Die Ignoranz, die mir bis eben noch offensichtlich anzusehen war, wandelte sich in Besorgnis und Angst. Ich hatte ein ungutes Gefühl im Bauch. Wenn ein Arzt so anfing, konnte das nie etwas Gutes bedeuten. „Was ist passiert?“ fragte ich mehr als vorsichtig. Ich wollte wissen was passiert war, aber gleichzeitig hatte ich Angst, die Wahrheit zu erfahren. „Ich darf dir keine Einzelheiten nennen, da du nicht zur Familie gehörst. Aber du solltest wissen, dass er einen schweren Autounfall hatte – schon vor ein paar Tagen“, fuhr er fort. Ich spürte, wie dieser Raum mir plötzlich viel zu eng vorkam. Ich bekam keine Luft, spürte einen Kloß in meinem Hals. Es war als würde mir jemand die Kehle zu schnüren. „Ist er...? Kann ich zu ihm?“ stotterte ich. Es war mehr ein Hauchen, ein Flehen, das mir in der Seele weh tat. Ich wollte zu ihm. Alles in mir wollte ihn sehen, wissen, wie es ihm geht. Alles was ich zuvor über ihn dachte, schien vergessen. Der Zorn, die Wut. Die Angst und die Enttäuschungen waren wie weggeblasen. Nur noch die Angst und Panik herrschten über mich. Der Arzt sah mich traurig an, wusste ganz offensichtlich nicht genau, was er sagen sollte. Oder besser gesagt, wie er etwas sagen sollte. „Ich bringe dich zu ihm“, sagte er leise. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Widersprach aber auch nicht. Denn das war das einzige, was ich wollte. Ich wollte zu ihm und sehen, dass es ihm gut geht. Deshalb nickte ich einfach nur, zog mir in Rekordzeit etwas halbwegs ansehnliches an und folgte dem Arzt. Wir gingen in ein anderes Stockwerk. Die Spannung im Aufzug war mehr als angespannt und unangenehm. Die Nervosität war deutlich zu spüren, sowohl beim Arzt, als auch bei mir. Schließlich öffneten sich nach gefühlten Stunden endlich die Türen und ich folgte ihm den Gang entlang, bis zum letzten Zimmer. Dort saß eine Frau. Vielleicht ende sechzig, Anfang siebzig. Ihre mausgrauen Haare hingen ihr leicht über die Handflächen, in die sie das Gesicht gestützt hatte. Ihr Schultern bebten, was mir zeigte, dass sie weinte. Wir näherten uns ihr und ich befürchtete, dass sie zu Tim gehörte. Dass sie wegen ihm weinte. Mir schwante nichts Gutes, wollte eigentlich schon auf halben Wege umkehren, aber meine Beine trugen mich weiter, als gäbe es kein halten. Schließlich blieben wir neben ihr stehen. Sie schien so sehr in Gedanken zu sein, wirkte so verzweifelt, dass sie uns nicht einmal bemerkte. Unsicher schaute ich zum Arzt, der mir mit einem Nicken meine unausgesprochene Frage bestätigte. Sie war Tims Mutter. Ich kniete mich vor sie, legte meine Hand auf ihre Schulter, um sie zu beruhigen und gleichzeitig ihre Aufmerksamkeit zu wecken. Sie schreckte kurz zusammen, sah mir aber dann direkt in die Augen. Es bestand kein Zweifel. Sie war tatsächlich Tims Mutter. Sie hatte die gleichen grünen Augen, wie er. Ich erkannte ihn in ihren Augen wieder, was mir ungewollt Tränen in meine trieb. Ich hatte Angst, was jetzt auf mich zukommen würde. „Sie haben dieselben Augen...“, begann ich leise. Ich wusste nicht, was ich sonst sagen sollte, es schien mir richtig. Die alte Dame schenkte mir ein klitzekleines Lächeln, wischte sich die Tränen weg. „Sie waren ein Freund von Tim? Er hat mir von Ihnen erzählt. Sie waren Ihm sehr wichtig“, antwortete sie darauf, doch konnte ich mich über die Worte nicht freuen. Denn es gab eine kleine, anscheinend unwichtige, Silbe, die den kompletten Satz unschön machte. „War...?“, fragte ich ungläubig und spürte genau, wie sich mir das Herz zusammen zog. Eine Kälte umhüllte mich, verpasste mir eine unangenehme Gänsehaut. Spürte genau, wie sich die Blässe in meinem Gesicht breit machte und mein Körper zu zittern begann. „Tim ist tot“, mischte sich der Arzt ein und beantwortete somit meine Frage. Sofort wurde das Schluchzen der Frau wieder heftiger und ich warf dem Arzt einen bösen Blick zu. Noch bevor ich wirklich realisierte, was diese Nachricht in mir auslöste, dachte ich darüber nach, wie herzlos dieser Arzt war. Eine Mutter verlor gerade ihren Sohn und er sagte es so, als wäre es das Normalste auf der Welt. „Er kam auf der Autobahn ins Schleudern und fuhr in einen Straßengraben. Durch den Aufprall erlitt er ein Schädel-Hirn-Trauma und schwere Hirnblutungen. Wir konnten nichts mehr tun“, fuhr er im selben monoton Ton fort und hatte Glück, dass er schließlich über sein Notfalltelefon zu jemand anderen gerufen wurde, denn ich konnte nicht versprechen, dass ich mich noch lange hätte zurück halten können. Erneut ein Schluchzen der Frau. Ich nahm sie in den Arm, versuche sie zu trösten. Doch auch erst jetzt bemerkte ich, wie sich eine Träne meinerseits einen Weg über die Wange bahnte. Nach wenigen Minuten löste sich die Dame aus der Umarmung, stand auf und ging ohne ein Wort zu Tim ins Zimmer. Ich schaute durch das kleine Fenster, durch welches ich sie beobachten konnte. Sie setze sich zu ihm ans Bett, nahm seine Hand und küsste sie. Ihr Mundwinkel bewegten sich, sie sprach mit ihm. Ich konnte mir in etwa denken, was sie ihm zu sagen hatte, wollte es aber mir lieber nicht zu sehr ausmalen, weil ich wusste, ich würde selbst in Tränen ausbrechen. Noch einmal gab sie ihm einen Kuss auf die Stirn, wagte einen letzten Blick auf die Leiche und machte dann kehrt. „Sie können zu ihm. Und ich weiß, wie sehr Sie das wollen“, sagte sie leise, als sie die Tür öffnete und mich mit verweinten Augen anschaute. Und ja, sie hatte Recht. Nichts sehnlicher wollte ich in diesem Moment. Ich nickte ihr leicht zu, ging dann in das graue Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Es war unheimlich zu sehen, wie er da lag. Ein einzelnes Bett, in einem Raum. Keine Maschinen, keine Schläuche. Ein Fenster erhellte den Raum in den warmen rot-orange Tönen. So als wolle man die Situation schön reden. Aber das ist nicht möglich. Denn Tim war tot. Ich wollte etwas sagen, etwas womit ich mich verabschieden konnte. Doch es gab nichts. Nichts konnte ich sagen, was das alles hier irgendwie ändern würde. Kein 'hey', kein 'Bitte', kein 'Ich liebe dich' würde diese Situation irgendwie verbessern. Es würde vermutlich alles schlimmer machen. Schließlich entschied ich mich für das einzige, was ich ihm nie gesagt hatte, obwohl ich es ihm schuldig war. Was ich immer dachte, aber nie akzeptieren wollte. Was aber so offensichtlich war, dass es beinahe unheimlich war. „Danke. Danke für alles. Ohne dich gäbe es mich nicht mehr und das werde ich wieder gut machen. Versprochen“, flüsterte ich leise. Und ich meinte es genauso, wie ich es gesagt hatte. Ich würde nicht aufhören zu kämpfen. Tim hatte mir ein Leben geschenkt und jeden Atemzug, den ich machen werde, widme ich ihm. Ich werde nicht nur für mich Leben, sondern alles was in Zukunft tun werde, werde ich auch für ihn mit leben. Werde all das tun, wofür er keine Chance mehr hat. Ich werde leben, als wäre es mein letzter Tag. Denn ich habe gelernt, es kann schneller vorbei sein, als man glaubt. Denn es ist so. Du kannst nie vorhersehen, was passiert. Das Leben ist skrupellos und es schert sich nicht, wenn du jemanden verlierst, den du liebst. Auch nicht, wenn du nicht mal mehr de Chance hast, dich zu verabschieden. Ich erhob mich von meinem Stuhl. Begutachtete seine Gesichtszüge, bis ich ein letztes Mal seine Lippen mit meinen berührte. Doch sie waren kalt und leblos. Gaben keine Zärtlichkeit zurück, sondern ignorierten mich regelrecht. Trotzdem erfüllte es mich ein letztes mit Wärme. Ich glaubte sogar seine Wärme in mich aufzunehmen. Es war Schwachsinn, gab mir aber ein gutes Gefühl und lies ihn mit einer schönen Erinnerung gehen. Ich wusste nicht, ob es Liebe war. Aber ich wusste, dass Tim mir mehr bedeutet hatte, als jeder andere zuvor. Er hat das geschafft, was viele in den letzten Jahren vergeblich versucht haben. Und obwohl es nicht seine Absicht war, gelang es ihm trotzdem. Er hat mich glücklich gemacht. Glücklicher, als je zuvor. Ich löste mich, schaute auf die geschlossenen Lider. Wie sehr wünschte ich mir, nur noch ein letztes Mal in diese Augen sehen zu können. Hätte ich gewusst, dass ich während der Chemo ein letztes Mal in diese sehen würde, hätte ich meinen Mut zusammen genommen und ihn zurück gehalten, bevor er dann aus meinem Zimmer verschwunden war. Wer weiß. Vielleicht wäre vieles anders gewesen. Doch sie blieben geschlossen. Und zwar für immer. Ich ging aus dem Zimmer. Sah Tims Mutter vor mir, die einen Strauß Blumen in der Hand hielt, welcher mir noch gar nicht aufgefallen war. Es waren Lilien, genauer gesagt. Ob das Schicksal ist? Denn Lilien sind das Symbol für Licht und Hoffnung. Sie streckte sie mir entgegen, während sie mir mit ihren smaragdgrünen Augen in meine sah. „Ich wollte sie Tim ans Bett stellen. Aber... ich glaube, Sie helfen Ihnen nun mehr“, sagte sie leise. Ich konnte ihren Schmerz förmlich spüren und es tat mir weh, sie so leiden zu sehen. Ich wollte etwas tun, doch es gab nichts. Nichts half, wenn man jemanden gehen lässt, den man liebt. Man kann demjenigen nur trauern lassen und muss ihm Zeit geben. Sie drückte mir die Blumen in die Hand, zwang sich zu einem Lächeln. Auch ich lächelte ihr zu, verabschiedete mich aber dann mit einer Umarmung und wandte ihr den Rücken zu. Ich wollte gerade wieder in den Aufzug steigen, da hörte ich, wie mir Tims Mutter noch einmal zurückrief. „Junger Mann? Ich kenne noch gar nicht Ihren Namen. Würden Sie mir diesen verraten?“. Ich drehte mich zu ihr um, sah sie mit einem echten, glücklichen Lächeln an und stellte mich ihr mit denselben Worten vor, wie ich mich auch Tim vorgestellt hatte. „Leo. Leo Hope“. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)