INSANE von Baka_Red (Am Rande des Wahnsinns) ================================================================================ Prolog: Was genau bedeutet eigentlich Glück?~ --------------------------------------------- Was genau bedeutet eigentlich Glück?~   Ja, was genau bedeutet eigentlich 'Glück'? Manch einer würde sagen, ein Sechser im Lotto wäre Glück, Andere wiederum bezeichnen ihren Nachwuchs als Glück und dann gibt es Dinge, wie beispielsweise einen schweren Autounfall überlebt zu haben, was als Glück definiert wird. Aber entspricht das auch der Realität? Ist es nicht eigentlich purer Zufall? Oder besser gesagt eine Reaktion einer Aktion? Ein Kind entsteht durch Geschlechtsverkehr zwischen einem Mann und einer Frau, beim Lotto tippt man Zahlen und hat eine gewisse Chance die Richtigen erwischt zu haben und bei einem Unfall spielt Physik eine wichtige Rolle. Warum also bezeichnet man all diese Dinge eigentlich als Glück?    Genau das fragt sich Alexandra Graf, eine junge Frau, die gerade erst eine Ausbildung zur Erzieherin begonnen hat. Glück wird als die Erfüllung eines Wunsches oder eher das erfüllen eines Bestrebens definiert, aber wie genau kommt es eigentlich zu einem solch kräftigen Wort? Kann ein Mensch, der die tiefen Abgründe der Menschheit durchlebt hat so etwas wie Glück wirklich in seinem Wortschatz gebrauchen? Gar so etwas empfinden? Glück...   Ein kleines Wort mit einer starken Bedeutung...   Exakt vierzehn Uhr. Draußen herrschen eisige Grade und die Sonne zeigt sich seit Tagen nicht mehr. Dicke Wolken bedecken den sonst so klaren, blauen Himmel. Obwohl der Oktober gerade erst begonnen hat, werden die Heizungen aufgedreht, die Fenster geschlossen, um nu ja die herrliche Wärme im Raum zu erhalten. Die Winterjacken kommen zum Einsatz, der Schal von Oma liegt um den Hals, die Handschuhe werden aus den Schubladen geholt und über gezogen. So geht das schon seit Tagen. Alexandra steht am Fenster im Wohnzimmer ihrer siebzig Quadratmeter großen Wohnung. Auch ihre Fenster sind geschlossen, die Rolladen gerade heruntergelassen, um die Wärme der elektronischen Heizung zu speichern. Anderenfalls wäre es in der Wohnung eiskalt. Gas hat die junge Frau schon seit längerer Zeit nicht mehr, da die Rechnungen trotz Bezahlung einfach viel zu hoch waren. Der Grund dafür ist klar. Der Boiler in der Küche ist kaputt, die Wohnung liegt direkt unter dem Dach und ist nicht gerade gut isoliert. Ein Seufzen seitens der blonden Frau. Die Hände über Kreuz auf ihren Armen, sie zittert ein wenig. Die Wohnung ist immer noch zu kalt, trotz der Heizung. Dicke Kleidung trägt Alexandra ebenfalls. Sie weiß, die Kälte kommt nicht nur durch die Temperaturen von draußen, nein. Sie hatte schlichtweg keinen erholsamen Schlaf. Auch dafür gab es mehrere Gründe. Die Wohnung in der sie zurzeit mit ihrer Verlobten Maria und den beiden Katzen wohnt ist -auf gut Deutsch gesagt- beschissen. Sie macht sie krank. Schon seit Monaten kämpft die junge Frau mit Husten. Morgens wacht sie mit einem kratzenden Hals auf, ihr Magen und ihr Darm spielen verrückt, der Kopf schmerzt und ein Gefühl von Schwindel durchflutet ihre Nerven. Seit wann war sie so anfällig für Krankheiten? Früher hätte sie nackt durch die Gegend laufen können ohne sich zu erkälten und heute bereiten ihr zehn Grad Außentemperatur solche Beschwerden. Selbstverständlich war Alexandra beim Arzt. Ihr eigentlicher Hausarzt hat derzeit Urlaub, daher musste sie den Anderen nehmen. Genau das wollte sie eigentlich vermeiden, vor allem, weil in der Schule wichtige Klausuren anstehen. Angespannt legt sie ihre rechte Hand an die Stirn. Sämtliche Gedanken prallen auf sie ein. Die Klassenkameraden werden reden, die Lehrer halten sie für Unzurechnungsfähig und Unzuverlässig. Nächste Woche soll der Umzug in die neue Wohnung stattfinden, Geld ist natürlich keines da. Außer Marias Gehalt haben die beiden Frauen nichts. Das Kindergeld kommt erst Mitte Oktober und der Bafög Antrag ist noch nicht durch. Ein Busticket hat Alexandra auch nicht um zur Schule zu kommen. Wegen einhundert Metern weigert sich die Schule ihr eines auszustellen, ein Fahrrad hat sie nicht. Als sie damals zu ihrer Verlobten zog nahm sie nur ein paar Kleider und Konsolen mit, viel mehr besaß sie nicht. Es ist die letzte Woche vor den Herbstferien. Nach diesen soll ein Praktikum statt finden. Einen Platz hat Alexandra nicht. Zu sehr war sie mit anderen Formalitäten beschäftigt. Maria und Alexandra brauchten den Mietvertrag der neuen Wohnung, viele Wochen hatten sie das Treffen mit den neuen Vermietern verschieben müssen, kamen nicht in die Stadt. Kartons für den Umzug haben die Beiden auch zu wenig. Die meisten Möbel werden weggeschmissen. Einen kleinen Hoffnungsschimmer haben sie. Die Küche ist in einem einwandfreien Zustand, gerade erst vier Jahre alt. Neu kostete sie fast viertausend Euro. Der ehemalige Vermieter wollte sie sich ansehen und wenn sie ihm gefällt sogar übernehmen. Da das Paar eine Küche in der neuen Wohnung hat brauchen sie die nicht mehr. Das Geld könnten sie gut gebrauchen. Weder Maria, noch Alexandra besitzen einen Führerschein. Die älteste Schwester Marias, Diana Bach würde vorbeikommen und einen 'Sprinter' fahren, sodass die Möbel die mitkommen ein- und ausgeladen werden können. Der kostet selbstverständlich auch wieder Geld. Hundert-fünfzig Euro Pfandgebühr, vierzig Euro für einen Tag, hundert Frei-Kilometer. Eine gute Sache. Die nächste Wohnung liegt von der aktuellen gerade mal sechzehn Kilometer entfernt. Vor zwei Tagen erst haben sie hundert-fünfzig Euro an den stellvertretenden Klassenlehrer und Abteilungsleiter Alexandras überweisen müssen. Es war bereits Stichtag. Das Geld ist die Anzahlung für die Erlebnispädagogische Seminarfahrt nach Bayern. Die Teilnahme daran ist selbstverständlich Pflicht. Eigentlich freut sich Alexandra auf diese Fahrt, doch die letzten Wochen haben der jungen Frau die Nerven geraubt. Zuvor lag sie zwei Wochen Zuhause im Bett, war krank, konnte sich kaum bewegen. Jetzt steht sie wieder in ihrer Wohnung, zittert vor sich hin, die Augen sind müde, schlafen kann sie aber nicht. Ihr Magen rebelliert, gibt ihr das Gefühl von Hunger, gefolgt von Übelkeit, etwas essen wäre wohl das Richtige, aber sie kriegt den Mund kaum auf. Getrunken hat sie seit dem Kaffee um kurz vor sieben Uhr auch nichts mehr. Alexandra war nie der Typ der viel trank. Selbst an heißen Sommertagen freute sie sich, wenn sie einen Liter herunter bekam. Wieder hält sich die Blondine die Brust und hustet fürchterlich. Das Gefühl der Übelkeit wird stärker. Tränen steigen ihr in die Augen und das Reizgefühl im Schlund gewinnt ebenfalls an Stärke. Nachdem sie schon seit mehreren Minuten am Fenster stand und in die trostlos wirkende Welt hinaus blickte, drehte sie sich um und nahm auf dem Sofa Platz. Die Frage wie sie das alles regeln sollte machte sich in ihrem Kopf breit. Ihre Eltern konnte sie nicht um Geld bitten. Ihre Mutter bekam nur eine kleine Rente und kam selbst kaum über die Runden, ihr Vater ist wieder einmal wie vom Erdboden verschluckt, die ältere Schwester braucht alles für ihre eigene Familie und die Jüngere gibt kein Lebenszeichen von sich. Natürlich wollte Alexandra ihre kleine Schwester nicht um Geld bitten, schließlich bekam Vanessa auch nur ihr Gehalt als Azubi und spart für einen Führerschein. Freunde hat Alexandra kaum. Die Nächste wohnt zwar nur eine Stadt weiter, aber auch sie hat Geldprobleme und bekommt nur Bafög. Was ihren Praktikumsplatz betrifft, suchen könnte sie sich in den zwei Wochen Ferien einen, wäre da nicht die Sache mit dem Führungszeugnis. Dreizehn Euro kostet der Wisch. Geld, was Alexandra nicht besitzt. Bisher konnte sie keinen Cent dafür aufbringen, hatten zeitweise hungern müssen, damit zumindest die Katzen was zu fressen hatten. Die Katzen abzugeben, nur damit sie mehr Geld hätten käme niemals in Frage. Die pelzigen Tiere sind für das junge Paar wie eigene Kinder. Wie oft hat Alexandra in den letzten Monaten gehört, wie glücklich sie sich schätzen kann nach jahrelangem Suchen endlich eine Ausbildungsstelle in der Tasche zu haben? Zu oft. Und doch war sie nicht glücklich. Zwar freute sie sich darüber, aber diese war nur von kurzer Dauer. Jetzt sitzt sie auf ihrem Sofa, kauert sich ein und kämpft mit der Angst die Stelle wieder zu verlieren. Grund dafür waren ihre Fehlzeiten. Der Stoff den sie in Erziehungswissenschaften durch nahmen war nicht besonders schwer, aber Mathematik, Französisch, Gesellschaftslehre...all die Fächer, die ihr nicht unbedingt freundlich gesinnt waren. In Mathematik war sie schon immer eine Niete. Deutsch und Englisch lagen ihr definitiv besser. Spiel, Didaktik und Methodik, die Fächer machten Alexandra Spaß. Sport zählte ebenfalls zu den Fächern die ihr gut lagen, trotz dass sie etwas zugenommen hatte und regelmäßig Zigaretten rauchte. Neben diesen Fächern hatte sie noch Musik, Religion und Biologie. Fächer, in denen sie gewiss nicht die Beste, aber auch nicht die Schlechteste war. Der gute Durchschnitt würde sie tippen. Mittlerweile hatte sie sich eine Decke geschnappt und sie über die Schultern gelegt. Die Augen und Augenbrauen angespannt. In ihr ein Gefühl von Leere. Plötzlich summt ihr Handy. Es gab nur zwei Möglichkeiten von wem die Nachricht stammen konnte. Entweder, es war die Gruppe, mit der sie vor wenigen Monaten über eine Website angefangen hat zu schreiben, oder es waren ihre Klassenkameraden. Ein Blick auf das Display wies letztere auf. Eine Sprachnachricht. Eigentlich war ihr bewusst, dass es sich um ihr heutiges Fehlen handelte und sie das Gerät eigentlich achtlos auf die Couch werfen konnte, doch der innere Schweinehund in ihr sagte, dass sie die Nachricht abhören sollte, damit sie weiß, dass sie eine Versagerin ist. Ein Klick. Die Nachricht spielt ab. "Alexandra, du warst heute wieder nicht in der Schule, Frau H. hat gemeint, du müsstest morgen wegen der Sache mit dem Praktikum zur Schule kommen, du hast doch einen Platz, oder? Wenn nicht wird das Konsequenzen nach sich ziehen. Warum bist du eigentlich wieder krank? Du solltest dich nicht so anstellen, ist es wegen der Wohnung? Dann müsste ich ja auch dauernd krank sein, bei meiner Mutter sind die Zustände nämlich nicht anders...wie gesagt, du musst dein Führungszeugnis noch abgeben, Frau H. meinte nämlich, dass sie dich sonst aus der Einrichtung nehmen wird, weil sie da zuerst drüber schauen wollte...welchen Hausarzt hast du überhaupt? Schreibt der dich bei jedem Besuch einfach krank?" - Ende der Nachricht. Gefolgt von einem Seufzen landet das Handy wieder auf dem Sofa. In Alexandra machen sich Wut, Angst und Trauer breit. Ihr Hausarzt schrieb sie gewiss nicht ohne Grund krank, eigentlich war sie gar nicht der Typ der zu einem Arzt ging, da sie Angst vor diesen hat. Egal für was er zuständig ist. Alle Ärzte jagen ihr Angst ein. Auch dafür gibt es einen Grund. Die schlechten Erfahrungen, die sie mit Ärzten machen musste, die vielen Krankenhaus-Aufenthalte und die Schmerzen, die sie bei diesen durchleben musste. Nun fanden die Tränen endgültig den Weg über die Wangen der jungen Frau. Warum war sie nur in dieser Situation? War sie wirklich selbst daran Schuld? Zum Teil ja. Erschöpft lehnt sie den Kopf an die hochgezogenen Beine an. Weder ein Schluchzen, noch ein Wimmern ihrerseits. Stumm schließt sie die Augen und stellt sich ein weiteres Mal ein und dieselbe Frage: "Was ist überhaupt dieses 'Glück'?" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)