Desires 2.0 von Black_Harmonics (Rak'al Tek'lah) ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Dylan saß in seinem Arbeitszimmer im dritten Stock des Gildenhauses und arbeitete an einigen wichtigen Dokumenten, als die Tür aufschwang und einer der älteren Sergeanten in Begleitung einer jungen Dame in das geräumige und gemütlich eingerichtete Zimmer eintrat. "Dieses junge Fräulein wünscht Euch zu sprechen, Herr", sagte der Sergeant, verbeugte sich knapp und verließ das Zimmer. Nun stand also dieses junge Mädchen, welches eindeutig elfischer Herkunft zu sein schien inmitten seines Arbeitszimmers, einen wilden Ausdruck in ihren rubinrot schimmernden Augen, ihre silbernen Haare kreuz und quer in alle Richtungen abstehend und starrte ihn an, als wäre er ihr Todfeind. Noch bevor er eine Begrüßung murmeln konnte, kam sie ihm schon zuvor. "Mein Name ist Reika Scythe, ich bin 17 Jahre alt und will "Zenobia" beitreten." Das war direkt. "Nun, bevor ich dir diesen Wunsch erfüllen kann, muss ich wissen, woher du kommst und wieso du "Zenobia" beitreten willst." "Ich habe keine Heimat und ich will kämpfen." Das schien sie auch durchaus so zu meinen, wie sie es sagte, dachte Dylan. "Verzeih, aber mit so wenigen Informationen kann ich dir keine Aufnahme hier bei uns gestatten", antwortete er und hoffte, dass dieses unheimliche Mädchen verschwinden würde. Irgendetwas an ihr ließ ihn in seinem Innersten erschaudern und aus irgendeinem Grund hatte er das Gefühl, sie würde nur Probleme mit sich bringen. "Ich werde dieses Zimmer nicht verlassen, ehe Ihr mir gestattet, Euch beizutreten", entgegnete sie. Entweder hatte sie seinen Wink nicht verstanden, oder sie ignorierte ihn absichtlich. Sie schien wirklich darauf zu bestehen, der Gilde beizutreten. "Dann sage ich es direkt heraus: Ich werde dich nicht aufnehmen. Und nun verlasse bitte dieses Anwesen." Überraschenderweise verließ sie tatsächlich sein Zimmer, doch als sie die Türe hinter sich schloss, hörte er ein dumpfes Geräusch, direkt vor der Tür. Seufzend erhob er sich von seinem Tisch und wollte auf den Korridor hinaustreten, doch ließ sich die Tür nicht öffnen. Dieses Mal versuchte er es fester, doch sie ließ sich immer noch nicht öffnen. Irgendetwas blockierte die Tür von außen. Vermaledeites Gebäude! Wieso ließen sich die Türen auch nur nach außen aufschieben! Fluchend trat er an sein Fenster, öffnete es und kletterte behände über die äußere Fassade in den Nebenraum. Glücklicherweise stand das Fenster dort offen, sodass er leichtfüßig hindurchschlüpfen konnte. Als er von von dort aus nun auf den mit magischen Leuchtfeuern beleuchteten Korridor trat, musste er sich einen deftigen Fluch und zeitgleich ein breites Grinsen verkneifen. Da hatte sie sich einfach vor die Türe gesetzt! Seufzend trat er auf sie zu. "Hör zu. Ich werde dir nicht versprechen, dich bei uns aufzunehmen, aber du kannst für eine Weile hierbleiben. Vielleicht gibt es ja einige kleinere Dinge, die du für uns tun kannst." Das Mädchen hob langsam ihren Kopf und sah ihn aus diesen wilden Augen an. "Gut, was kann ich tun?" Es klopfte an der Tür und Dylan schrak aus seinen Erinnerungen hoch. Seit jenem Tag waren nun mehr sechs Jahre vergangen. "Herein." Die Tür öffnete sich und Reika trat mit finsterer Miene in das Arbeitszimmer ein. "Du solltest mal aufräumen, Dylan", bemerkte sie nach einem kurzen, strengen Blick über die Unordnung, die hier herrschte. "Das sagst du so leicht. Seitdem vor vier Tagen die Nachricht über das Turnier über mich hereingebrochen ist, kommt alles andere zum Erliegen, weil jeder meint, mich persönlich davon überzeugen zu müssen, dass er ja der best geeignetste Mann für das Turnier wäre." Wie auf Stichwort klopfte es erneut an der Tür. "Herein", brummte Dylan erneut. Ein junger Kerl, den Dylan vom Sehen her kannte, steckte den Kopf in das Arbeitszimmer. "Ist es wichtig? Ich habe viel zu tun", kam er dem jungen Mann zuvor, bevor dieser etwas sagen konnte. Hastig murmelte er eine Entschuldigung und schloss wieder die Türe. "Siehst du, was ich meine?", grummelte er sichtlich verärgert, gleichzeitig aber auch resigniert. "Du armer Mann", säuselte Reika halbherzig. "Und nun rück mit der Wahrheit raus: Warum willst du, dass ich an diesem blöden Turnier teilnehme? Und wie stellst du dir das mit meinem Rang vor?" Statt einer Antwort kramte Dylan in seinem Papierberg herum, bis er fand, was er gesucht hatte und reichte Reika ein förmlich aussehendes Dokument mit edler Umrahmung. "Verzeih, dass es keine prachtvolle Feier gibt, meine Liebe, aber vom heutigen Tag an bist du eine Kommandantin "Zenobias". Herzlichen Glückwunsch, Reika." Fassungslos sah Reika ihn an. "A-aber.. Was soll das Ganze?", fragte sie schließlich, nachdem sie ihre Fassung wiedererlangt hatte. "Ganz einfach. Ich brauche dort eine Person, der ich uneingeschränkt vertrauen kann. Und du bist dieser Jemand. Wahrscheinlich die Einzige. Es gibt viele unter unseren Kameraden, die dazu ebenfalls geeignet wären, aber ich habe immer noch einige Vorbehalte, was sie betrifft. Nimm daran teil, beobachte ein wenig und lass es mich wissen, falls etwas Wichtiges passieren sollte. Du musst das Ding ja nicht gleich gewinnen." Dylan erkannte an ihrem Blick, dass sie wieder protestieren wollte, doch hob er beschwichtigend eine Hand und schon schloss sich ihr Mund wieder. "Keine Sorge. Für dich springt dabei auch etwas heraus. Du bekommst nach dem Turnier zwei Monate Urlaub - bezahlt, natürlich." Sie schien immer noch Vorbehalte zu haben, doch das Angebot war scheinbar einfach zu verlockend. "Nun gut, du hinterlistiger Fuchs. Ich werde dieses dumme Spiel mitspielen, aber nur für den Urlaub - und weil du mein Freund bist. Aber das zahle ich dir nochmal irgendwann heim." Dieser Gedanke belustigte ihn so sehr, dass er sich ein breites Grinsen nicht verkneifen konnte. "Lach nur, du Schurke. Das Lachen wird dir schon noch vergehen." Dann wurde ihr Blick ernst. "Allerdings machen mir einige Dinge etwas Sorgen." "Was genau meinst du, Reika?", fragte Dylan vorsichtshalber. "Naja, warum sollten sie die Details erst später bekannt geben? Und warum verschicken sie Einladungen von Kol'thor nach Jek'tah? Dazwischen liegt das Meer und das Turnier kann unmöglich so besonders sein, dass man dafür ganze Kontinente überquert, um Teilnehmer anzuwerben." Dylan grübelte darüber nach. Da hatte sie wirklich einen wunden Punkt getroffen. "Dafür kann ich dir auch keine Erklärung geben, aber ein Freund aus Rik'sha in Bala'dena hat ebenfalls eine Einladung für das Turnier für seine Händler-Gilde erhalten. Sein Bote kam heute Morgen mit dem Eilport an." Der Eilport war eine Station zweier verbundener Teleporter, die an bestimmten Punkten mit hoher magischer Konzentration in den Städen der fünf Zivilisierten Völker angebracht waren. Da man aufgrund des hohen Magieverbrauchs allerdings nur eine begrenzte Anzahl Personen pro Tag auf diese Art teleportieren konnte, war der Preis dementsprechend teuer. Das Gesetz des obersten Rates verbot die Überstrapazierung natürlicher magischer Energiequellen, um eine Ausbeutung zu vermeiden. Zudem waren die Teleporter der Vampire und Werwölfe nicht verfügbar, da sie es vorzogen, versteckt zu bleiben. Die Elfen gaben ihn nur in Notsituationen frei aus eben denselben Gründen. "Mit dem Eilport? Das kostet doch 'ne ganze Stange Gold! Und so wichtig war die Nachricht nun auch wieder nicht, als das sich der Aufwand lohnen würde", rief Reika ungläubig aus. "Aber es scheint, dass dieses Turnier so wichtig ist, dass es weltweit verkündet wird." "Nun.. Er hat gewisse... Verbindungen, wenn du verstehst", deutete Dylan an. "Es scheint, dass diese Einladungen an alle zivilisierten Völker hinaus gegangen sind und nicht nur zu den Menschen, wobei diese am meisten vertreten sind." "Selbst zu den Dämonen?" "Das weiß ich nicht, aber zu den Zwergen und Elfen auf jeden Fall. Selbst die Vampire und Werwölfe wurden eingeladen - nun, zumindest diejenigen, deren Städte man ausmachen konnte. Mein Freund hat weitreichende Kontakte." "Sie sind wirklich nicht leicht zu finden", stimmte Reika zu. "Dennoch wundere ich mich darüber, warum das Turnier nach so langer Zeit wieder stattfindet. Was hat es damit auf sich?" Dieses Thema schien sie ja brennend zu interessieren. Und das, obwohl sie sich zuerst weigern wollte, an dem Spaß teilzuhaben. So war sie nun einmal. "Darauf weiß ich auch keine Antwort, Reika. Vielleicht verlor es mit der Zeit an Beliebtheit oder die finanziellen Mittel reichten nicht aus. Vielleicht hatte es auch ganz andere Gründe, aber so genau weiß das scheinbar niemand. Einst fand es in einem Rhythmus von fünf Jahren in den verschiedensten Teilen der Welt statt, aber irgendwann hörte es einfach auf. Niemand hat sich dafür besonders interessiert, auch wenn es zu den Höchstzeiten viele, viele Teilnehmer und Zuschauer gab. Nun findet es wieder statt und die Leute erfreuen sich daran. Lass ihnen doch den Spaß, Kleines. Reika schien so tief in Gedanken darüber versunken zu sein, dass sie nicht mal mehr auf die kleine Stichelei von ihm einging. Es beschäftigte sie wohl wirklich. "Hör zu, Reika. Ich kann dir deine Fragen nicht beantworten. Aber wenn es dich so brennend interessiert, solltest du deine Aufgabe dort ernst nehmen und dich gründlich umschauen. Vielleicht machst du dir zu viele Gedanken darüber, aber für den unwahrscheinlichen Fall, dass dort tatsächlich etwas Seltsames vorgehen sollte, wäre es doch besser, wenn du dich dort persönlich umschaust." Sie hob ihren Blick und sah ihn nun mehr oder minder direkt an. "Gut. Einverstanden. Irgendwie lässt mir das keine Ruhe, auch wenn das vielleicht merkwürdig klingt. Ich werde mir die Sache genauer anschauen." Reika war froh, dass sie endlich diese kratzige Dienstuniform gegen bequemere Kleidung austauschen konnte. Wenn sie im Dienst war, musste sie stets diese furchtbare Uniform tragen, die rein optisch recht schick, aber praktisch recht unbrauchbar war. Sie bevorzugte eindeutig ihre normale Kleidung - weitläufiger, fließender Stoff, der sich leicht und weich auf der Haut anfühlte. Ihr Schwert, das sie nur zu Einsätzen oder bei formellen Feiern tragen durfte, hing in einem prächtig aussehenden Gestell über ihrem Bett, wo sie mit Leichtigkeit herankam, sollte irgendetwas passieren. Dieses Schwert war ein Geschenk Dylans gewesen, als sie zu einem Hauptmann befördert wurde. Natürlich war dies nicht ihre einzige Waffe, die sie besaß, doch darum machte sie nicht viel Wind. Mit ein oder zwei richtigen Waffen an ihrem Körper fühlte sie sich einfach wohler. Reika hatte ihren Titel immer gehasst, da es eine eindeutige Bezeichnung für das männliche Geschlecht war. In ihrer Kultur gab es keine Unterschiede, ob nun eine Frau oder ein Mann ein Krieger war. Es kam lediglich auf Geschick und Stärke an - und davon besaß sie reichlich, genau wie von ihrem Selbstvertrauen. Wenn sie nun an diesem blöden Turnier teilnehmen sollte, hielt sie es für klüger, sich darauf vorzubereiten und dafür eigneten sich die Trainingsanlagen "Zenobias" wunderbar. Die Gilde bestand aus vielen talentierten und weniger begabten Kriegern und Magiern, welche für Geld Aufträge unterschiedlichster Schwierigkeiten erledigten. Zwar waren es zumeist Einzel- oder Gruppenaufträge, doch gab es mitunter auch mal kleinere Gefechte, die sich um Grenzen und Besitz drehten. Reika verstand derlei Verhalten nicht. Menschen schien es stets darum zu gehen, wer am meisten besaß oder wer die weitläufigsten Ländereien vorweisen konnte - oder den höchsten Titel. Reika ging es alleine ums Kämpfen und darum, ihrem eigenen Weg zu folgen, auch wenn sie sich dafür für eine gewisse Zeit unterordnen musste. "Zenobia" besaß viele Trainingsanlagen, die sich mit den verschiedensten Fertigkeiten befassten: Nah- und Fernkampf, Elementarmagie, Beschwörungsmagie, Schwertkunst, Runen und vieles mehr. Reika war sich durchaus darüber bewusst, dass es weitaus stärkere Magier und Krieger als sie gab, aber das hinderte sie nicht daran, noch stärker zu werden. In der ersten Anlage, die sich vor allem mit der Schwertkunst befasste, war einiges los. Viele neue Rekruten, als auch ältere Offiziere übten hier ihr Geschick mit dem Schwert, was im wahrsten Sinne des Wortes eine Kunst für sich war. Schweißnasse Leiber, klirrende Schwerter und zischende Luft waren hier die üblichen Begleiter - genauso wie die Blasen an den Händen am Ende des Trainings. Seit die Nachricht über das bevorstehende Turnier die Runde gemacht hatte, tummelten sich hier mehr Leute als sonst. Und in den üblichen Gesellen erkannte sie einen Ehrgeiz, der ihnen für gewöhnlich fehlte. Für den Anfang nahm sie sich eine Holzimitation eines Schwertes, um warm zu werden. An einer magischen Übungspuppe, die erstaunlich beweglich und manchmal auch recht eigensinnig war, übte sie ihre Beinarbeit und ihre Abwehr. Nachdem sie etwa eine Stunde ihre Beweglichkeit und ihr Geschick trainiert hatte, machte sie eine kleine Pause, trank aus einem der großen Wasserbottiche, die Ausstattung eines jeden Trainingsraumes waren und verließ den Raum. Nach einer kurzen Überlegung hielt sie schließlich auf den Magieübungsraum zu. Dort verbrachte sie einige Stunden in Meditation und einigen heißblütigen Übungen, bis sie schließlich wieder in ihr Zimmer zurückkehrte. Dort wartete ein Dienstmädchen mit einem Umschlag in ihren Händen auf sie. "Haupt.. äh.. Kommandantin Scythe, ein Brief für sie", begrüßte sie das junge Fräulein schüchtern. "Wer schickt ihn?", fragte Reika, während sie auf das Dienstmädchen zu trat und, ihr Handtuch um die Schulter werfend, den Brief mit einem dünnen Lächeln entgegen nahm. "Brigadegeneral Faelson, Herrin", antwortete das Mädchen brav. Dylan also. Was er nun wieder von ihr wollte... "Vielen Dank, du kannst gehen", entgegnete Reika müde lächelnd. Das Mädchen verbeugte sich hastig und verschwand anschließend durch den schwach beleuchteten Korridor. Seufzend betrat Reika ihr Zimmer und warf das Handtuch in eine Ecke. Kurz wusch sie sich über dem Waschbecken in einer kleinen Nische ihr verschwitztes Gesicht. Magie verbrauchte ebenso viel Energie wie körperliche Betätigung. Wenn man es zu sehr übertrieb konnte man leicht in Ohnmacht fallen oder gar Schlimmeres. In einigen Geschichten hatte sie über Magier gelesen, die aufgrund eines Überverbrauchs von Magie starben, da sie übermäßig große Zauber gewirkt hatten oder sie einfach nicht kontrollieren konnten, wodurch sie mehr an magischer Energie fraßen, als eigentlich vorgesehen war. Manche Leute waren echt selten dämlich. Solche groben Fehler würden Reika niemals passieren. In Gedanken über Magier und ihre fehlgeschlagenen Zauber versunken, schlüpfte sie aus ihrer Trainingskleidung in ein schwarzes, schlichtes Kleid. Schließlich wollte sie Dylan ja nicht verschwitzt begegnen. Nachdem sie noch einmal überprüft hatte, wie sie aussah, verließ sie schließlich ihr kleines Zimmer. Es war wirklich klein, aber es erfüllte seinen Zweck. Und nur das war wichtig. Sie konnte nicht verstehen, wieso Menschen immer so auf Größe versessen waren. Größer bedeutete doch nicht immer besser. Wozu brauchte eine einzelne Person einen Raum für zwanzig, wenn sie dort nur schlief? Elfen waren viel bescheidener, was solcherlei Dinge betraf. Sie legten zwar großen Wert auf Schönheit und die Nähe zur Natur, wurden aber nie wirklich anspruchsvoll oder gar gierig. Reika fiel leicht aus diesem Raster heraus, denn für gewöhnlich hielten sich die Elfen von den anderen Zivilisierten Völkern fern. Sie lebten tief in den Wäldern, manche auch in den Bergen, versteckt und nur einige wenige vertraute Verbündete und Botschafter kannten die versteckten Siedlungen und Städte der Elfen. Einzig und allein zu Handelszwecken suchten sie den Kontakt zu den anderen Völkern, mieden dabei aber auch die Zwerge. In ihren Augen waren Zwerge abscheulich dreckige Wesen, die den ganzen Tag nur im Dreck wühlten auf der Suche nach wertlosen Steinen. Reika selbst interessierte sich auch nicht groß für die Menschen, Zwerge oder andere Rassen, aber sie wollte nicht ewig alleine in den Wäldern Dragseels hocken und den Bäumen beim Wachsen zuschauen. Nicht nachdem - ... Ihre Erinnerungen wurden unterbrochen, als ihr bewusst wurde, dass sie schon einige Zeit so gedankenverloren in der Gegend rumstand. Dylan wartete auf sie, also schlüpfte sie schnell in ein schlichtes, schwarzes Kleid und eilte den schwach beleuchteten Korridor entlang, die Treppe herauf in den dritten Stock. Vor der Tür blieb sie stehen, holte tief Luft, klopfte laut an und trat ein. Das erste, was Reika auffiel, war der weißhaarige, ältere Mann, der auf einem der beiden Stühle vor Dylans Schreibtisch saß und sein faltiges Gesicht in ihre Richtung bewegte, als sie eintrat. "Ah, Reika. Du kommst genau zum richtigen Zeitpunkt. Setz dich", begrüßte Dylan sie. Anscheinend hatten sie sich gerade unterhalten, doch als Reika dazukam, hatten sie ihr Gespräch unterbrochen. "Das ist Brigadegeneral Ruvall und er leitet den Trupp, der nach Tuaman aufbrechen soll", stelle er den älteren Mann vor. Reika verbeugte sich tief - ein Zeichen des Respekts - und setzte sich in den Stuhl neben ihn, den er ihr höflicherweise zurückgezogen hatte. Mit einem leichten Nicken bedankte sie sich bei ihm. Er war wohl jemand von der höflichen Sorte. "Brigadegeneral, schön Euch kennen zu lernen." "Die Ehre ist ganz meinerseits, Kommandantin Scythe", entgegnete er mit einem leichten Lächeln. "Nun haben wir der Förmlichkeit aber genüge getan, findest du nicht?" Reika konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, wandte sich dann aber Dylan zu. "Warum hast du mich herbestellt? Ist etwas vorgefallen?" "Das nicht. Ich hielt es für besser, wenn ich euch einander vorstelle, da ihr in Tuaman eng zusammenarbeiten werdet. Thalin ist ein äußerst weiser Mann, aber auch leider sehr bekannt, weshalb er für die verdeckten Ermittlungen nicht in Betracht kommt." "Brigadegeneral Ruvall, ich habe bisher nur Geschichten über Euch gehört", wandte sich Reika an ihren älteren Sitznachbarn. "Ihr sollt in Vrektor, Eurem Bezirk, äußerst heldenhaft gewesen sein. In einem der kleineren Scharmützel tauchten unerwarteter Weise zahlreiche oroshianische Dämonen auf. Ihr allein sollt den Großteil der Feinde dort zermahlen haben. Verzeiht meine Unhöflichkeit, aber wieso sollte ein so mächtiger Mann an so einem dummen Tunier teilnehmen wollen? Schließlich habt Ihr doch dafür Eure Untergebenen." Der Ältere lächelte und ein seltsames Funkeln trat in seine stahlgrauen Augen. "Dylan, wo hast du nur dieses scharfsinnige Mädchen aufgetrieben", wich er ihrer Frage aus, dann aber sah er sie direkt an. "Zuerst einmal: Nenn mich doch bitte Thalin. Dieses ewige Titel-unter-die-Nase-reiben finde ich auf Dauer anstrengend und auch unnötig. Und um noch hinzuzufügen: Vieles von dem, was berichtet wird, ist sicherlich abenteuerlicher ausgeschmückt, als es tatsächlich geschehen ist. Beizeiten werde ich dir die Geschichte erzählen, aber derzeit haben wir zu wenig Zeit für alte, staubige Erzählungen. Ich werde nicht an dem Turnier teilnehmen. Ich bin sozusagen der "Aufpasser", wenn man so will. Veranstaltungen dieser Art neigen dazu auch allerlei finstere Gestalten heraufzubeschwören, wenn du verstehst, was ich meine, mein Kind." "Ihr meint dunkle Magier?" "Wahrscheinlich sogar Schlimmeres. Ich bin nun schon eine ganze Weile auf Rak'al Tek'lah, mein Kind, und habe schon viele Dinge gesehen - gute, wie auch schlechte. Man kann nie vorbereitet genug sein." "Aber da ist noch mehr, nehme ich an." Ein kurzes Lächeln huschte über die Lippen des Älteren. "Das mag durchaus der Wahrheit entsprechen, aber da ich bisher noch keinerlei Beweise habe, werde ich noch nichts offenbaren." "Thalin! Wir müssen es wissen, wenn etwas geschieht", mischte sich nun Dylan erschrocken ein. "Ho, ho, ho! Nun aber langsam, mein Junge. Noch geht keinerlei Gefahr von ihnen aus, daher müssen wir noch nicht als Organisation einschreiten." "Verzeiht, Tahlin, aber ich schätze, Ihr habt ein Auge auf diese gewissen Personen? Ist es diese Organisation, die Euch zu dem Turnier führt?". hakte Reika vorsichtig nach. Unmerklich weiteten sich seine Augen. "Wie kommst du auf den Gedanken, dass es eine Organisation sein könnte, mein Kind?", fragte er nach. "Nun ja, Ihr erwähntet mehrere Personen, auch wenn Ihr sie nicht weiter benannt habt. Wenn Ihr persönlich darauf ein Auge habt, kann es sich kaum um eine einzelne Person handeln, daher der Gedanke der Organisation." Brigadegeneral Ruvall musterte sie abschätzend. Seine stahlgrauen Augen wirkten, als würden sie geradewegs in ihr Inneres blicken, was Reika ziemlich nervös werden ließ. Gleichzeitig beunruhigte es sie. Schließlich war er ein Mensch und Menschen sollten keine derartige Wirkung auf Elfen haben. "Ich frage mich..", setzte Thalin an, ließ den Satz allerdings in der Schwebe. Reika zog fragend eine Augenbraue hoch, doch Thalin ging nicht darauf ein. Ob sie nun wollte oder nicht, wenn er darauf bestand, nicht auf ihre Vermutung einzugehen, so konnte sie ihn nicht dazu zwingen. Immerhin war er einer der höchstrangigen Gildenmitglieder, die "Zenobia" vorweisen konnte - abgesehen vom General, den so eigentlich niemand wirklich kannte oder jemals gesehen hatte. Gilden sollten eigentlich einen Meister haben, der für die Anhänger irgendwie greifbar war, aber ihr Meister zog es vor, nicht mitten im Geschehen zu stehen. Gerüchten zufolge sollte er irgendwo abseits Jek'tahs leben. Anderen Gerüchten zufolge sollte er sich inmitten seiner Anhänger bewegen, unerkannt. Was von dem nun stimmte, wusste Reika nicht, aber es war ihr einerlei, solange sich irgendjemand um die Angelegenheiten der Gilde kümmerte. Das einzige, was wirklich klar war, war die Tatsache, dass der General Kontakt zu den Brigadegeneräle aufnahm, um sie wissen zu lassen, in welche Richtung "Zenobia" gehen sollte. Viele Bürger Nedros, dem Hauptsitz "Zenobias", wo sie sich gerade befanden, sahen die Gilde als Armee an, doch das stimmte nicht direkt. Sie waren zwar Krieger, die mitunter auch mehr oder minder magisch begabt waren, aber sie lösten auch kleinere Konflikte, führten Aufträge aller Art aus, die dann aber je nach Anforderung von den Anhängern niederer Ränge durchgeführt wurden: Suche nach Vermissten oder Gegenständen, Schlichtung von Streitigkeiten, Begleitschutz und Derartiges. Meist agierten die Krieger "Zenobias" nicht als vollständige Armee, sondern eher als kleinere Trupps, welche Grenzen patrouillieren sollten, oder Erkundungsmissionen durchführten. Der letzte tatsächliche Krieg, bei dem sie als einheitliche Armee eintraten, lag schon zwei Jahrhunderte zurück. Dies war lange vor Reikas Zeit. "Nun", wandte Dylan ein. In ihren Überlegungen hatte Reika ganz vergessen, wo sie sich eigentlich gerade befand. "Wir sollten es vorerst dabei belassen, wie es ist. Mit etwas Glück können wir die Sache in Tuaman aufklären, aber bis dahin sollten wir unserer Arbeit nachgehen, wie wir es gewohnt sind." Dem stimmten die beiden anderen zu. "Dann werden wir uns nun voneinander verabschieden, Reika Scythe. Wir werden uns in Tuaman wieder sehen. Hoffentlich werden die Erwartungen eines alten Mannes nicht enttäuscht." Ein beinahe jungenhaftes Grinsen schlich über sein faltiges Gesicht. Reika erwiderte es, dann erhob sie sich. "Ich werde mein Bestes geben, Thalin. - Dylan? Ich werde morgen früh nach Nedros aufbrechen. Ich möchte mich ein wenig in der Stadt umhören, was das Turnier betrifft." Dylan nickte. "Das ist eine gute Idee. Tue das, aber geb dich nicht zu erkennen. Schließlich wollen wir keine Aufmerksamkeit erregen. Du solltest auch mit Dragseel Kontakt aufnehmen. Wenn die Elfen an dem Turnier teilnehmen, könnte die Sache vielleicht größer sein, als zuerst erwartet." Reika wand sich. Seit sie ihre Heimat verlassen hatte, vermied sie jeglichen Kontakt dorthin. "Wie du wünschst", erwiderte sie bedrückt. "Verzeih, aber wir sollten so viele Informationen bekommen, wie wir kriegen können. Ich weiß, dass du es eigentlich lieber vermeiden möchtest." "Ist gut. Ich werde mich darum kümmern. Einen schönen Abend wünsche ich", winkte sie ab. Damit verließ Reika das Arbeitszimmer. Beim hinausgehen spürte sie Thalins forschenden Blick im Rücken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)