Herzenswille von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 8: Sonnenuntergang -------------------------- Drei Tage...   Drei Tage, in denen so viel und zeitgleich nichts passierte...   Drei Tage befanden sie sich schon in der Normandie und verloren kein Wort über den lautlos knisternden und angenehm berauschenden Nachmittag ihrer Ankunft...   Oscar hielt ihr Versprechen und sorgte für André. André hielt seinerseits auch sein Versprechen und nahm ihre Fürsorge gelassen hin, um immer bei ihr zu sein. So konnte es aber trotzdem nicht weiter gehen – die Schweigsamkeit über ihre Gefühle drohte mit jedem Tag zu platzen!   Ein Pistolenschuss donnerte, zerriss mit einem lauten Knallen die Luft und traf ihr Ziel in etwa fünfzig Meter Entfernung: Die leere Flasche zersprang in mehrere Teile, als die Kugel sie durchschnitt. Oscar gab André die abgefeuerte Pistole, damit er sie in die Waffenkiste zurücklegen konnte. „Das war jetzt die letzte Flasche.“, sagte er, während er die Pistole nahm und sie sorgsam in die Kiste legte. Unbeabsichtigt berührten sich dabei ihre Finger und ließ eine gewisse Wärme bei allen beiden durchströmen. Wie lange sollten sie sich gegenseitig noch verschweigen, was in ihnen wirklich vorging? Auch wenn sie das dem anderen ansahen, trotzdem... oder gerade deshalb sollten sie sich endlich aussprechen...   „Wollen wir heute an die Küste, ans Meer ausreiten?“, schlug Oscar unvermittelt vor. Sie waren gerade bei einem Schießtraining und wieder sahen sie sich innehaltend an, bis André als erster den Blick von ihr abwandte. „Wird es aber nicht schon dunkel sein, wenn wir zurück kommen?“   „Das macht mir nichts aus. Du bist ja bei mir.“ Auch Oscar senkte ihren Blick, sie wollte mit ihm unter vier Augen reden – sie wollte endlich einen Schlussstrich ziehen und hatte sich dafür lange vorbereitet. „Ich möchte dir etwas zeigen.“   „Eine Überraschung?“ André hob seinen Blick, nahm die Kiste und stand auf.   „Nein.“ Oscar bewegte langsam ihre Füße. „Ich wollte mit dir einen Sonnenuntergang sehen. Das hatten wir schon lange nicht mehr getan.“   „Einverstanden.“ Obwohl die grauen Wolken ein Vorbote auf Regen war, konnte er trotzdem ihr die Bitte nicht abschlagen und holte sie mitsamt der Kiste ein. Die zersprungenen Glasscherben auf dem Tisch, den sie beide gerade passierten, räumten schon zwei Dienstmädchen weg.   Oscar beachtete das kaum. „Gut. Aber zuvor, vergiss nicht deine Medizin einzunehmen.“, ermahnte sie André und dieser zog seine Mundwinkel leicht nach oben. „Schon erledigt.“   „Dann können wir gleich los.“ Auch Oscar schmunzelte dabei etwas. „Und vielleicht auch um die Wette reiten.“       Um die Wette zu reiten, das war für Oscar ein typisches Spiel. Sie fühlte sich dabei stets frei und sorglos – besonders wenn der Wind ihr ins Gesicht wehte und ihr die salzige Luft nach Meer dabei in die Nase stieg, als sie im rasenden Galopp an der Küste entlang preschten. Das Wasser, die schäumende Gischt spritzte unter den Hufen der Pferde und hinterließ nasse Spuren, die sogleich von den anrollenden, schäumenden Wellen verwischt wurden.   André ritt knapp hinter Oscars Schimmel und versuchte diese Schönheit vor ihm erst gar nicht zu überholen. Wozu denn auch? Wenn sie ihm schon niemals ihre Gefühle gestehen würde, dann konnte er wenigstens diesen kleinen, zauberhaften Anblick für sich gewinnen und genießen – so lange, bis der Moment noch währte...   Im schnellen Galopp erreichten sie die weißen Felsen, die im Gegensatz zu den gewöhnlichen Grauen das Licht der Sonne und die Schatten der grauen Wolken widerspiegelten und im bestimmten Moment aufleuchten ließ. Die grüne Landschaft darauf und drum herum wirkte dabei wie ein grünes Moos, die eine weiße Marmorwand an bestimmten Stellen befallen hatte...   Oscar und André lachten in dem schnellen Ritt ausgelassen – der entgegen wehende, sausende Wind kitzelte ihnen die unbedeckte Haut im Gesicht und trieb sie regelrecht zum Lachen an. Diese Gegend war verlassen und leer, kein Mensch kam hierher und war vielleicht deshalb ein gerngesehener Ort für Oscar. Hier konnte sie ungestört ihren Gedanken nachgehen oder einfach ihre Ruhe von allen Aufgaben und Pflichten haben. Wie gerade jetzt. An einem dieser seltsamen weißen Felsen zügelte sie ihr Pferd - das häufigste Ziel ihrer Wettritte und wartete, bis André sie einholte. „Du hast wieder gewonnen!“ André lachte, als er sein Pferd neben dem ihren zum Stehen bewog. „Aber auf dem Rückweg werde ich bestimmt gewinnen!“   „Wenn du meinst...“ Oscar schmunzelte kurz in sich und schaute zum Horizont. „Was macht dein Auge? Ist es besser geworden?“   Das fragte sie ihn tagtäglich und André erwiderte ihr wie immer darauf ehrlich: „Auf jeden Fall...“   „Das ist gut...“ Oscar schmunzelte wieder kaum merklich. „Schau, es geht los... Die Sonne geht gleich runter... Ist es nicht schön?“   „Ja, wunderschön...“   „Du hast doch gar nicht hingeschaut!“   André schaute kurz auf die rotglühende Sonne, die immer mehr von grauvioletten Wolken umgeben wurde und die salzige Meeresluft schien dabei noch stärker nach dem nahenden Regen zu riechen. „Es sieht schön aus, aber du bist noch schöner.“   „André...“ Oscar warf zu ihm einen kurzen Blick von der Seite. In den letzten Tagen, genauer gesagt nach dem kleinen Zwischenfall am Nachmittag ihrer Ankunft, machte er ihr öfters und meistens unterschwellig derartige Komplimente – auch wenn er sie selbst niemals damit direkt ansprechen würde. Ob er ahnte, dass in ihr eine Veränderung vorging? Konnte man es denn an ihr ansehen? War das etwa so offensichtlich? Sie war doch sonst undurchschaubar! Sie senkte ihre langen Wimpern. „André, du weißt doch, dass es nicht geht. Es tut mir leid.“   „Was meinst du damit?“ André ahnte, was das war, aber er wollte auch, dass sie sich ihm öffnete und dass sie ihren Kummer nicht mehr alleine mit sich trug.   Oscar stieg von ihrem Pferd herab und band es an einem herausragenden Stein. Dann strich sie an den muskulösen Hals des Tieres. Sie war mit ihren Gefühlen hin und her gerissen, obwohl sie äußerlich eine Ruhe ausstrahlte. André verstand, dass sie womöglich zu einer Rede ansetzen würde, die sie vorerst überlegen und zurechtlegen musste. Er machte es ihr gleich und band sein Pferd neben ihrem Schimmel. Dann hielt er sich direkt neben ihr auf und sie drehte sich zu ihm um. Eine Weile sahen sie sich nur an, bis Oscar nachgab und tief Luft holte. „André, versteh mich nicht falsch, aber ich kann nicht noch einmal lieben... Wobei ich das gern tun würde... Aber ich habe mich dem Leben eines Mannes verschrieben und das halte ich auch ein...“   André seufzte kaum hörbar – jetzt oder nie. „Ist das wegen von Fersen?“   „Wie kommst du darauf?“ Oscar sah ihn unsicher an. André schien ihre Gefühlslage durchschaut zu haben und das bestätigte sich, als er seinen Blick senkte und ganz leise, mitfühlend äußerte: „Weil du durch die unerwiderte Liebe zu ihm, verletzt wurdest...“   Oscar lag schon ein spitzer Widerspruch auf der Zunge, aber das brachte sie nicht über sich – sie wollte ihn nicht mehr mit ihrer Zurechtweisung verletzen – das hatte sie schon zur Genüge getan. Vielleicht wäre es besser, wenn sie sich hier und jetzt endlich aussprechen und dieses Kapitel endgültig abschließen? Mit welchem Ausgang auch immer es sein mochte, aber sie war endlich für ein offenes Gespräch bereit – das spürte sie durch einen mulmigen Druck in ihrem Brustkorb. Oscar atmete tief durch, bevor sie zum Reden ansetzte. „Vor ein paar Monaten, ja, das war der Grund gewesen... aber jetzt weiß ich nicht, ob das überhaupt Liebe war, die ich für ihn empfunden hatte... Ich hatte Mitgefühl mit ihm und vielleicht war es genau das, was ich mit der Liebe verwechselt habe...“   André sah sie wieder an. Diese Offenheit hatte er von ihr nicht erwartet und das überraschte ihn aufs Neue. „Oscar...“ Er wollte ihr etwas sagen, aber sie ließ das nicht zu: „Warte, André, ich war noch nicht fertig...“ Oscar atmete wieder tief ein und aus. „Ich weiß nicht mehr weiter... Seit dem unsere Kutsche überfallen wurde, begreife ich, was du mir wirklich bedeutest und wie wichtig du für mich bist... Von Fersen hat uns gerettet, aber ich hatte nur Leere zu ihm gespürt... meine Sorge galt nur dir... André, bitte sag mir, was du darüber denkst...“   „Liebe...“, entfuhr es ihm von den Lippen und ein Glücksgefühl erstrahlte sein Inneres. „Ich habe schon immer gespürt, dass du diese Liebe für mich empfindest. So wie ich für dich.“   „Was?“ Oscar weitete die Augen. Sie erahnte diese Antwort und eine ungewöhnliche Wärme breitete sich in ihr aus, aber sie wollte nicht noch einmal verletzt werden. „André... Ich weiß, dass du mich liebst, aber wie kannst du das? Nach allem was zwischen uns gewesen ist, nach all dem Unglück, das ich dir verursacht habe... Wie kannst du mich dann noch lieben?“   „Wir sind für einander bestimmt...“ André lächelte sie liebevoll an. Endlich gestand sie ihre Gefühle! Und es lag nun an ihm, ob er ihr Herz endgültig für sich gewinnen können würde. „Ich liebe dich mein ganzes Leben und bis in den Tod hinaus.“   „André...“ Oscar konnte nicht mehr. Ihre Augen schimmerten glasig und eine Schwäche breitete sich in ihr aus. Sie lehnte sich an ihn. „Vergib mir... aber ich kann nicht... Ich liebe dich auch, aus tiefsten Herzen, das habe ich erkannt, aber ich kann nicht noch einmal eine Frau sein, wo ich mich doch für das Leben eines Mannes entschieden habe...“   André schloss sie sachte in seinen Armen. „Du bist aber eine Frau, Oscar und ich habe dich schon immer als Frau gesehen...“   „Fang jetzt aber nicht mit dem Vergleich zwischen Rose und Distel an...“, zischte sie gedämpft in sein Hemd.   „Nein, das mache ich nicht...“ André strich ihr sanft durch das Haar, spürte die Weichheit ihrer blonden Locken, sein Herz pochte dabei immer schneller und er selbst war von einem Glücksgefühl erfasst, wie schon seit Langem nicht mehr. „Ich werde niemals etwas machen, was du nicht willst... Und ich vergebe dir, denn ich liebe dich einfach zu sehr...“   Oscar hob ihren Kopf und schaute ihm direkt in die Augen. „Meinst du, wir haben eine Chance, von vorne zu beginnen und miteinander glücklich zu werden?“   André berührte vorsichtig ihre Wange, wartete auf ihre Reaktion und als sie kein Missfallen oder Unwohlsein zeigte, fuhr er leicht mit Daumen die Kontur ihre Lippen nach. „Dafür ist es niemals zu spät, Oscar...“   „Du hast recht...“ Auch Oscar erfasste ein strahlendes Gefühl. „Dann halt mich fest, Geliebter... Ich will nie mehr ohne dich sein... Wenn wir uns lieben, dann wird alles gut...“   „Ja, Liebste...“ André neigte seinen Kopf tiefer und küsste ihre weichen Lippen – kostete den süßen Geschmack, prägte sich jede einzelne Sekunde ein und genoss den kostbarsten Moment, den er je hatte. Wie schön das war! So rein, berauschend und beschwingt... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)