Das Schicksal der Äußeren Kriegerinnen von Ruka_S_Orion ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Kapitel 2 Michis Knie zitterten, ihr Herz raste vor Aufregung. Ihre Ohren lauschten den völlig neuen, unbekannten Klängen und ihre Nase schnupperte nach dem völlig neuen Duft, der sie hier plötzlich überall umgab. Erst als sie spürte, wie Haru ihre Hände fester aber immer noch sanft drückte, traute sie sich, ihre Augen zu öffnen. Ihre Gefährtin, die ihr gegenüber stand, hatte genießend ihr Gesicht in den kühlen Wind gereckt, der ihr vom Westen her entgegen blies. Ihr kurzes Haar war von den Böen erfasst worden und verlieh der jungen Kriegerin des Uranus so ein noch wilderes Aussehen. Neptune blieb an diesem Anblick hängen. Verträumt lächelte sie den Blondschopf an. Erst als sich dessen Lider hoben und silberblaue Augen den Blickkontakt zu strahlenden, türkisfarbenen suchten, blinzelte sich Michi aus ihrer Trance. Haru grinste breit. Noch keine Minute auf der Erde und schon fühlte sie sich lebendiger als je zuvor. „Es ist unglaublich, oder?“ Bevor sie sich von Michi löste, gab sie der Kleineren einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Dann wandte sie sich von ihr ab. Ihre Augen erforschten neugierig die Umgebung. Queen Serenity hatte sie in einen lichten Wald nahe einer Klippe gebracht, über deren Kante hinweg Uranus nun in den Abgrund blickte. Weit unter ihr züngelte sich ein azurblauer, im Sonnenlicht glitzernder Fluss durch dichtere Wälder und weite Wiesen. In der Ferne war ein prächtiger Palast zu erkennen. Im Gegensatz zum weißen Mondpalast waren seine Tore in dunklem Braun und seine Turmspitzen Gold gehalten. „Ich glaube, da müssen wir hin“, murmelte Uranus. Jetzt erst stellte sie fest, dass sich Neptune noch immer nicht bewegt hatte. Die türkishaarige Senshi träumte vor sich hin, ihre Wangen leicht gerötet. „Bist du gar nicht neugierig?“ Die Stimme ihrer Freundin ließ sie hochschrecken. „Was? Ähm, doch! Natürlich bin ich das.“ Lächelnd trat sie neben die Blondine. „Wow!“, war alles, was sie hervorbrachte. Am Horizont, weit hinter dem strahlenden Palast, wurden die Sonnenstrahlen glitzernd wie von einem Spiegel zurückgeworfen. Diese grenzenlose Fläche, die noch über den Rand dieser Welt zu reichen schien, musste das Meer sein. „Lass uns ein Wettrennen machen!“ Neptune riss sich überrascht von der Aussicht los. „Bis zum Palst.“ Uranus war von ihrer eigenen Idee vollauf begeistert. Neptune hingegen zögerte noch einen Moment, ließ sich jedoch schnell vom Enthusiasmus ihrer Mitstreiterin anstecken. Schon als sie den Fuß des Berges, auf dem sie gelandet waren, erreicht hatten, mussten sich die Kriegerinnen in spe eingestehen, dass ihnen die Schwerkraft auf der Erde doch mehr abverlangte, als sie es gedacht hatten. Der Gedanke an ein Wettrennen war schnell wieder verworfen. Stattdessen untersuchten sie fasziniert die Natur, die sie auf dem blauen Planeten und auf dem Weg zum Palast umgab. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto unfassbarer wurde dessen Ausmaß. Unterstrichen wurde die unbeschreibliche Größe des Schlosses durch seine Lage. Viele hundert Meter vor der breiten Treppe zur Eingangspforte traten Neptune und Uranus aus dem lichten Laubwald heraus auf eine weite Wiese, die sich vom Palast aus leicht abfallend etwa gleich weit in alle Richtungen erstreckte. Ehrfürchtig setzten die Senshi ihren Weg fort. Schon nach der halben Strecke erkannten sie, dass sie bereits erwartet wurden. In blass brauner Uniform mit weißem Umhang gekleidet lehnte ein junger Mann, eher noch ein Teenager, an der Mauer, die die Treppe entlang hinaufführte. Der wohl kaum Volljährige musterte die herannahenden Gäste gewissenhaft mit seinen braunen, im Sonnenlicht rötlich funkelnden Augen. Seine braunen, langen Haare, die ihm in Wellen über die Schultern fielen, tanzten leicht im Wind, als er sich gerade hinstellte, um die beiden Senshi zu begrüßen. Er ließ die Arme, die er bisher noch vor der Brust verschränkt hatte, neben seinen Körper fallen und verbeugte sich höflich. Die Mädchen reflektierten seine Geste wortlos. Als sie sich wieder aufgerichtet hatten, begann der Unbekannte zu lächeln. „Willkommen auf unserem Planeten, Kriegerinnen des Mondes, die unter dem Schutz der Planeten stehen. Wenn ich mich vorstellen darf, mein Name ist Nephrite. Ich bin der Ritter der Intelligenz und des Trostes. Ich werde euch im Laufe eurer Ausbildung hier bei uns begleiten und euch mit Rat und Tat zur Seite stehen. Ich bitte euch, mich nicht als euren Lehrer, sondern eher als einen Vertrauten anzusehen. Die anderen drei Generäle werden euch Lehrmeister genug sein.“ Ein leichtes Zwinkern seinerseits sollte den Senshi ihre Anspannung nehmen. „Es ist uns eine Ehre, dich kennenzulernen“, grinste Uranus erleichtert über diese entspannte Begrüßung. Auf dem Weg in den Thronsaal stellten sie und Neptune sich vor und berichteten Nephrite von den überwältigenden Eindrücken, die sie jetzt schon von seinem Planeten hatten sammeln können. Der Brünette schmunzelte über die Banalitäten, über die sich die Mädchen freuten, bis er vor einem Tor aus schwerem Eichenholz stehenblieb und sich seine Gesichtszüge seriös anspannten. Die Kriegerinnen stellten sich rechts und links neben ihn, bevor er die Hände hob und die Türflügel aufschwangen. Der Thronsaal dieses Palastes war nicht weniger beeindruckend als der von Queen Serenity. Nur war sein Boden aus schwarzem Marmor, und die Wände waren mit goldene Musterungen und roten Wandteppichen verziert. Der imposante Thron stand auf der anderen Seite des Raumes, den Rücken vier Fenstern zugewandt, die vom Boden bis unter die hohe Decke reichten und sich fast über die volle Breite der Ostwand erstreckten. Sie gaben die Sicht aufs offene Meer frei. Vor dem Podest des Throns stand eine kleine Gruppe. Die drei jungen Männer, vermutlich nicht älter als Nephrite, trugen die gleiche Uniform wie er, nur jeder mit seinen eigenen, unscheinbaren Farbakzenten. Sie hatten sich den Neuankömmlingen sofort zugewandt, als sich das Tor geöffnet hatte. Jetzt brachten sie Uranus und Neptune mit ihren neugierigen, abschätzenden Blicken in Verlegenheit. Schließlich trat der Größte unter ihnen vor. Sein langes, glattes Haar verlieh ihm mit seinem silberweißem Glanz etwas Einschüchterndes und Dominantes, seine silbergrauen Augen strahlten dennoch eine Art Anmut und Güte aus. „Ich hoffe, ihr hattet keinerlei Probleme, den Weg zu uns zu finden, Uranus und Neptune“, sprach er mit einer für einen so jungen Mann viel zu dunklen und reifen Stimme. „Mein Name ist Kunzite. Ich werde euch im Kampf unterrichten. Das beinhaltet natürlich in erster Linie den Aufbau eurer physischen Kräfte. Ich nehme an, ihr selbst habt schon erfahren, dass auf der Erde stärkere Kräfte wirken?“ Etwas in seinem Grinsen ließ Neptune leicht erröten. Verlegen nickten sie und ihre Gefährtin. „Sobald ihr stark genug seid, wird euch Zoisite zeigen, wie ihr mit euren Elementen umzugehen habt“, fuhr Kunzite fort. Der junge Mann neben ihm nickte zustimmend, wodurch ihm eine seiner langen, blonden, welligen Locken ins Gesicht fiel. „Und zu guter Letzt werdet ihr bei Jadeite erlenen, wie ihr eure Talismane richtig einsetzt.“ Neptune musterte den kurzhaarigen Blonden, der ihr jetzt zulächelte, eindringlich. Seine blauen Augen weckten ein vertrautes Gefühl bei ihr. Am liebsten hätte sie sofort mit dem Unterricht bei ihm angefangen, um vielleicht doch erfahren zu können, wie sie ihren Spiegel dazu nutzen könnte, mit ihrer weit entfernten, einsamen Freundin Kontakt aufzunehmen. Doch bevor sie etwas sagen konnte, erklärte Kunzite weiter: „Nephrite wird euch über seine Aufgabe bestimmt schon informiert haben. Sicher seid ihr erschöpft. Er wird euch eure Gemächer zeigen, wo ihr euch bis zum Abendessen ausruhen solltet.“ Währenddessen Uranus den brünetten General mit allen möglichen Fragen über ihre Ausbildung und über die einzelnen Ritter überhäufte und er ihr jede einzelne mit einer Engelsgeduld beantwortete, versuchte sich Neptune jedes Detail des großen Palastes einzuprägen. So war es nicht verwunderlich, dass die Windkriegerin betreten errötete, ihre Gefährtin aber wissend nickte, als sich Nephrite von ihnen verabschiedete und sagte, er würde sie dann in einer Stunde im Speisesaal treffen. „Du hast keine Ahnung, wo wir sind, oder?“, grinste Michi süffisant, nachdem der junge Mann aus ihrem Schlafsaal verschwunden war. Haru streckte ihr erst eingeschnappt die Zunge raus, bevor sie ihr siegessicher zuzwinkerte: „Dafür hab ich doch dich. Schließlich sind wir ein Team. Du behältst den Überblick und ich…“ „Du machst was?“, schnaubte Michi verhöhnend. „Ich kümmere mich um den Rest.“ Uranus´ Euphorie über Kunzites energische Lehrmethoden ließ schon nach den ersten Stunden nach. Hatte sie auf dem Mond selbst ihre Lehrmeister in den Schatten gestellt und sich sogar mit Pluto messen können, musste sie sich beim Training auf der Erde eingestehen, dass sie noch sehr viel stärker werden müsse. Dass sie von ihrer kleineren Mitstreiterin auf den zweiten Platz verdrängt wurde, gefiel ihr ganz und gar nicht. Ihre Kraft allein reichte nicht aus, um mit den ausgefeilten Techniken Neptunes mitzuhalten. Bald hatten die ständigen Misserfolge ihrem Gemüt so sehr zugesetzt, dass Neptune genug von ihrer Freundin hatte und sich lieber zurückzog, was Uranus´ Laune nur umso mehr verschlechterte. Noch nie hatte man in den weiten Korridoren des Palastes solch zickiges Geschrei gehört, also fasste Nephrite eines Abends den Entschluss, dem blonden Dickkopf Nachhilfe zu geben. Der nächtliche Einzelunterricht mit ihrem Vertrauten brachte Uranus mehr Erfolg als die strengen Trainingseinheiten Kunzites. Und je stärker, schneller und wendiger die mittlerweile dreizehnjährige Schülerin wurde, desto ruhiger wurde es im Schloss. Zu Beginn ihres zweiten Ausbildungsabschnitts auf der Erde hatten sich die Kriegerinnen wieder versöhnt. Mit den Worten: „Das wurde aber auch Zeit! Spätestens jetzt hätte ich meinem Ruf alle Ehre machen müssen“, begrüßte Zoisite seine Schülerinnen zu seiner ersten Lektion. Uranus und Neptune grinsten einander an. Nephrite hatte sie auf die Selbstironie des Ritters der Läuterung und Heilung vorbereitet, die von Außenstehenden gerne als Arroganz missdeutet wurde. Wie viel Gutes in ihrem neuen Lehrer steckte, konnten sie schon nach dem ersten Tag erkennen. Jede der Senshi würde zweimal pro Woche Einzelunterricht bei ihm bekommen, damit sie sich voll und ganz auf ihr eigenes Element konzentrieren konnte. In ihrer ersten Einzelstunde wurde Uranus von Zoisite auf den Vorsprung geführt, von dem aus sie zum ersten Mal ihren Blick auf die neue Welt geworfen hatte. Schon damals hatte der Wind sie beflügelt, ihr Kraft geschenkt. Doch Zoisite zeigte ihr, dass es noch mehr gab. Schon in dieser ersten Lektion verstand sie, was Pluto gemeint hatte. Aber der Wind brachte nicht nur die Pflanzen zum Rascheln, er brachte die ganze Welt zum Sprechen. Sie musste nur noch lernen, genau hinzuhören. Am nächsten Tag kam auch Neptune zum ersten Mal mit ihrem Element in Kontakt. Nach einem kurzen Fußmarsch hatten sie und Zoisite das Meer erreicht und der junge General musste seine Schülerin gar nicht erst anweisen, abzutauchen. Noch bevor er seinen Unterricht überhaupt eingeleitet hatte, lag Neptune schon in den Wellen. Sie fühlte sich frei wie nie und ihr Körper hatte sich selbst auf dem Mond nie so leicht angefühlt. Mit geschlossenen Augen ließ sie sich treiben. Das Rauschen in ihren Ohren und die eigene Schwerelosigkeit sorgten dafür, dass sie sich selbst fast berauscht fühlte. Sie brauchte nicht Zoisites Worte, um zu verstehen, was Pluto gemeint hatte. Das Meer war nicht nur Wasser mit Mineralien, es war mehr als Chemie und Physik, alles Einzelne ergab zusammen mehr als ein Ganzes… Alles, was Neptune noch lernen musste, war der Brandung zu lauschen und die Wellen zu lesen. Ihre freie Zeit während des Einzelunterrichts des jeweils anderen verbrachten Uranus und Neptune mit Nephrite. In der Zwischenzeit war er tatsächlich ein Freund und Vertrauter geworden. Er brachte Neptune wieder der Kunst nahe und erinnerte sie daran, dass sie schon vor ihrer Erweckung als Kriegerin gemalt hatte. Und er erinnerte sie an eine weitere Leidenschaft. An einem Spätsommertag hatte er sich mit ihr im Schlosspark verabredet. Schon sein breites Grinsen verriet ihr, dass er eine Überraschung für sie bereithielt. „Eure Königin hat mir ein Geheimnis verraten. Sie meinte, damit könne ich dir sicher eine Freude machen.“ Wie in Zeitlupe offenbarte er, was er hinter seinem Rücken versteckt gehalten hatte. Neptune hatte ihn skeptisch beobachtet, bis sein Geschenk endlich zum Vorschein kam. Ihr misstrauisches Lächeln wich Ungläubigkeit. Kopfschüttelnd streckte sie ihre Hände aus, um vorsichtig nach dem Geigenkoffer zu greifen. Seit über fünf Jahren hatte sie keine Violine mehr in der Hand halten können, und jetzt wurde ihr eine geschenkt. Hier. An diesem noch immer fremden Ort, der ihr doch so vertraut war. Von einem jungen Mann, über den sie selbst so wenig wusste. Von nun an nutzte Neptune die Zweisamkeit mit ihrem brünetten Ritter, um sich der Kunst oder der Musik hinzugeben. Sein Zuspruch war der reinste Honig für ihre Seele. In den letzten Jahren war sie oft von ihren Lehrmeistern gelobt wurden. Schon auf dem Mond hatte sie sich nicht großartig bemühen müssen, um die Erwartungen zu übertreffen. In den gelegentlichen Trainingseinheiten hatte Kunzite sie nie verbessern müssen, wo ihr die Kraft fehlte, hatte sie ihre Kampftechniken perfektioniert. Und in Zoisites Unterricht konnte sie hin und wieder sogar dem Lehrmeister selbst etwas Neues über ihr Element beibringen. Doch all das Lob bedeutete ihr nicht halb so viel wie Nephrites Begeisterung für Neptunes wahre Leidenschaften. Kunst und Musik waren die Verbindung zu ihrer Vergangenheit, die Verbindung zu der Zeit, in der sie noch keine Kriegerin gewesen war. Kunst und Musik, das war sie selbst. Michi. Nicht Neptune. Und Nephrite schien diese Bedeutung zu verstehen. „… und dann meinte er, er würde die Wärme in meinen Melodien spüren können. Und danach habe ich noch ein anderes Lied gespielt. Ich weiß nicht, wie ich darauf gekommen bin. Ich habe ihn einfach angesehen und der Rest kam dann von allein.“ Seit einer dreiviertel Stunde schwärmte Michi jetzt schon ununterbrochen von ihrer heutigen Freistunde mit Nephrite. Haru hatte sich auf das Bett ihrer Gefährtin geworfen, das Gesicht in ein Kissen gedrückt. Dass die Blondine nur noch hin und wieder knurrte, wenn ihr Michi eine Frage stellte, bekam die Künstlerin gar nicht mit. Nach einer weiteren halben Stunde Schwärmerei über den jungen General reichte es Haru endgültig. Sie stützte sich auf ihre Ellenbogen und sah Michi durchdringend an. „Wieso zeigst du eigentlich nie mal mir eines deiner Bilder? Oder spielst mir etwas vor? Seit Wochen schwärmst du nur von deinem Nephrite… Zeig mir doch auch mal was! Lass mich auch mal teilhaben.“ Michi zog ungläubig die Brauen zusammen. „Ich soll DIR meine Bilder zeigen? DU willst meine Musik hören? DU?“ Michis eigentlich nur skeptische Worte stachen tief in Harus Stolz. Für einen Moment herrschte Stille. Ganz plötzlich sprang die Kriegerin des Uranus aus dem Bett, warf ihr Kissen auf die Matratze und hetzte mit einem gefauchten „Dann geh doch wieder zu deinem Nephrite!“ aus Michis Schlafsaal. Michi hatte diese Reaktion nicht ganz deuten können. Sie wusste nur, dass sie etwas Falsches gesagt hatte, und dass ihre Entschuldigungen scheinbar an ihrer Freundin abprallten. Hingegen hatte Nephrite das Pech, Uranus´ miese Laune völlig ahnungslos ertragen zu müssen. An einem verregneten Novembertag traf er die Blondine in ihrer Freistunde. Wie üblich wollte er mit ihr trainieren. Heute, so hatten sie es vor einer Woche ausgemacht, wollten sie Uranus´ Technik im Schwertkampf verfeinern. Kaum wurde das Tor des leeren Saals aufgeschoben, schnellte der General herum und deutete mit seiner Klinge auf die Kriegerin. Er grinste vorfreudig, doch ihre Mimik offenbarte ihre mal wieder schlechte Laune. „Was ist los?“, fragte er, doch Uranus schüttelte den Kopf. „Überhaupt nichts. Lass uns anfangen.“ Sie zog ihr Lieblingsschwert aus der Scheide und musterte ihn aus den Augenwinkeln heraus. Ihr selbst war ihre Eifersucht nicht bewusst. Sie wusste nur, dass sie aus irgendeinem Grund sauer auf den mittlerweile fast Zwanzigjährigen war. Mit voller Wucht schlug sie ihr Schwert gegen seines. Nephrite hatte den Schlag mühelos abgefangen, trotzdem hob er fragend die Brauen. „Bist du dir sicher, dass nichts ist?“ „Ganz sicher“, knurrte Uranus zurück, machte einen Schritt vor und ließ ihre Klinge ein weiteres Mal in seine Richtung fliegen. Je häufiger er ihre Schläge blockte, desto hitziger wurde die Windkriegerin. Als sie kurz davor war, blind auf ihn einzuschlagen, hatte Nephrite genug. Mit wenigen Hieben hatte er die Blondine entwaffnet. Die Spitze seines Schwertes zeigte auf ihre Kehle. „Sag mir endlich, was los ist“, befahl er ruhig. Uranus atmete schwer und unregelmäßig. In ihrer Tobsucht hatte sie sich völlig verausgabt. Ihre silberblauen Augen funkelten verachtend sein Schwert an. Nach einer Weile ließ er seine Waffe sinken und schob sie zurück in ihren Schaft. Langsam schritt er auf eines der großen Fenster zu und starrte in den Regen. Bald darauf hatte sich Uranus´ Atemfrequenz wieder normalisiert. Nachdem sie ihren Freund eine Zeit lang still beobachtet hatte, stellte sie sich neben ihn und folgte seinem Blick. „Kannst du… Könntest du mir beibringen, wie… Würdest du mir beibringen, wie man ein Instrument spielt?“, fragte sie schließlich kleinlaut. Seine braunen Augen sahen sie abschätzend an. „Was für eins?“ Uranus schluckte. „Ich weiß nicht… Irgendwas, was zu… einer Violine passen würde, vielleicht? Oder so…“ Wissend begann Nephrite zu grinsen. Seit Nephrites Einwilligung, Uranus die Musik nahezubringen, waren Monate vergangen. Er hatte sogar zugestimmt, Neptune noch nichts von der Änderung in Uranus´ Lehrplan zu sagen. Heute wurde die Künstlerin 14. Ihr fünfter Geburtstag in Folge, der nichts Besonderes für sie sein sollte. Es regnete in Strömen, weshalb Zoisite mit seinen Schülerinnen ein paar theoretische Punkte durchnahm. Immerhin mussten sie als Senshi nicht nur das eigene beherrschen, sondern auch die anderen Elemente verstehen. Dennoch erklärte er den Unterricht schon am frühen Nachmittag für beendet und die Senshi trotteten, angeödet vom Wetter und Lehrstoff, durch die Korridore des Palastes. Vor dem Schlafsaal der Violinistin angekommen, wollte die sich schon verabschieden, als Uranus plötzlich nach ihrer Hand griff. „Vielleicht sollte ich dir Gesellschaft leisten, meinst du nicht? Immerhin hast du doch Geburtstag. Da will ich nicht, dass du gelangweilt auf die Bettruhe wartest.“ Neptune war überrascht über die ungewohnt sanfte Stimme ihrer Freundin. Haru hatte ihre Entschuldigung nie offiziell angenommen. In den letzten Wochen hatte sie sich ihr gegenüber zwar immer seltener angriffslustig gezeigt, aber jetzt klang in ihrer Tonlage auch noch etwas wie… Fürsorge mit. Kopfschüttelnd befreite sich Michi aus ihrer Starre. „Nein,… Ich meine ja… Ich meine, du kannst gern mit reinkommen, wenn du willst.“ Haru begann zu lächeln. „Bei dir saßen wir schon so oft. Wir können auch mal in meinem Zimmer Zeit verbringen.“ Indem sie ihre Gefährtin streng zur nächsten Tür dirigierte, ließ sie ihr nicht die Möglichkeit zu widersprechen. Mit einer übertriebenen Verbeugung öffnete sie den Raum und ließ ihre Freundin eintreten. Michi ging lächelnd und kopfschüttelnd an ihr vorbei. Sie hatte erwartet, dass dieser Schlafsaal genauso aufgebaut sein würde wie ihr eigener. Aber als sie ihren Blick wandern ließ, hielt sie abrupt inne. Ihre Augen waren an dem großen, dunklen Flügel hängengeblieben, der mitten im Saal stand. „Haru, stand hier schon immer ein Piano drin?“, fragte sie überrascht und machte ein paar Schritte auf das schwere Instrument zu. „Nein“, antwortete Haru. „Erst seit ein paar Tagen.“ Die Blondine folgte dem Geburtstagskind, überholte es langsam, setzte sich schließlich auf die kleine, dunkelbraune Bank und hob das Verdeck der Tasten an. Dann sah sie wieder zu Michi. „Aber du spielst doch gar nicht Klavier…“, murmelte die mehr zu sich selbst. „Bist du dir sicher?“, zwinkerte die jugendliche Pianistin. Sie rückte ein Stück nach links, damit sich Michi neben sie setzen konnte. Dann legte sie ihre Finger vorsichtig auf das Elfenbein. „Okay, ich gebe zu, ich bin noch nicht wirklich gut. Ich lerne ja auch noch kein halbes Jahr… Aber Nephrite meint, ich mache große Fortschritte und ein paar Lieder beherrsche ich schon ganz gut.“ Den ungläubigen Blick ihrer Sitznachbarin ignorierend, begann Haru langsam zu spielen. Erst nach dem zweiten Lied fand Michi ihre Sprache wieder. „Er hat recht. Für ein halbes Jahr klingt das wirklich schon sehr gut, aber… Wieso? Wie kommst du plötzlich dazu, Klavier spielen zu lernen?“ Harus Wangen röteten sich und sie starrte verlegen auf ihre Tasten. „Ich wollte… Du hast gesagt, dass… Nephrite und du… Ich meine…“, stammelte sie hilflos. Sie schluckte schwer und brachte endlich hervor: „Du hast Nephrite an deinem Leben teilhaben lassen. Und ich wollte endlich auch sehen und hören, was bis jetzt nur er sehen und hören durfte. Immerhin sind wir doch ein Team. Wir haben eine gemeinsame Aufgabe. Und bevor wir die antreten, will ich dich wirklich kennenlernen, Michi.“ Verunsichert sah sie auf. Die türkisblauen Augen ihrer Freundin waren geweitet. Eine halbe Ewigkeit sagte keine der Beiden auch nur ein Wort, bis sich Michi plötzlich vorbeugte, Haru einen Kuss auf die glühende Wange gab und kurz darauf aus dem Saal verschwand. Kaum eine Minute hatte die Blondine Zeit, zu überlegen, ob und wenn ja was sie vielleicht falsch gemacht haben könnte, als die Künstlerin wieder in der Tür erschien, ihre Violine in der Hand. Auch wenn sie viele Lieder mehrmals spielen mussten, da Haru noch nicht viele Titel beherrschte, war es schon kurz vor Mitternacht, als sie ihr Duett beendeten. Gähnend nahm Michi ihre Geige vom Kinn und Haru schloss zärtlich das Verdeck der Tasten. Als die Künstlerin die Blondine dabei beobachtete, breitete sich in ihr eine Art Heimweh aus. Nicht die Art, die sie in den letzten Jahren hin und wieder mal erfahren hatte. Es war ein neues und doch vertrautes Gefühl. Eine Art Sehnsucht… „Alles in Ordnung?“ Harus vorsichtige Stimme holte sie aus ihren Gedanken. Die Wochen vergingen und im Sommer war es endlich soweit, dass die vier Generäle entschieden, es wäre an der Zeit, dass Uranus und Neptune den Umgang mit ihren Talismanen erlernten. Den Spiegel des Meeres und das Kosmische Schwert heraufzubeschwören fiel ihnen jetzt, da sie sie schon einmal gerufen hatten, viel leichter. Jadeite, der Ritter der Geduld und der Harmonie, erklärte, dass nur für deren erste Beschwörung alle drei Talismane beieinander sein müssen. Danach könne jede der Senshi ihren Talisman auch allein rufen. Das ständige Freigeben und Aufnehmen ihrer Herzkristalle kostete den Kriegerinnen so viel Kraft, dass sie in den ersten Wochen immer nur wenige Stunden pro Tag trainieren konnten. Die restliche Zeit über lernte Haru weiter Klavierspielen, malte Michi ihre Bilder, die sie mittlerweile lieber mit ihrer Partnerin statt mit Nephrite teilte, oder sie spielten im Duett. Nephrite hatte auch angefangen, Neptune in einer völlig neuen Kunst auszubilden. Die talentierte Streicherin lernte schnell, wie sie ihre Begabung, die Melodien, die direkt aus ihrer Seele zu fließen schienen, einsetzen konnte, um ihre Gegner zu manipulieren. Nur zu gern testete sie an Uranus die Wirkung ihrer neuen Technik, mal um sie durch liebevolles, zärtliches Streichen anzuziehen, und einmal auch, um sie durch besonders spitze, aggressive Töne in Ohnmacht fallen zu lassen - was der Geigerin im Nachhinein natürlich fast wieder leid tat. Erst im späten Herbst weihte Jadeite die Senshi in die Geheimnisse ihrer Talismane ein. Uranus lernte nach und nach die volle Kraft ihres Schwertes kennen. Und nach fast einem ganzen Jahr stellte sich die Fünfzehnjährige ihrem ehemaligen, weißhaarigen Lehrmeister, dem Ritter der Reinheit und der Gunst, in einem Probekampf. Das zusätzliche Training mit Nephrite, in dem sie, seitdem sie mit dem Klavierspielen angefangen hatte, viel ausgeglichener und gewissenhafter hatte üben können, hatte wahre Wunder bewirkt. Schon nach einigen wenigen Hieben hatte sie Kunzite entwaffnet. Jetzt musste sie nur noch lernen, mit ihrer mächtigen Waffe im Kampf nicht das halbe Umland zu zerlegen, denn aus dem dichten Wald, in dem das Duell stattgefunden hatte, hatte die Kriegerin des Windes versehentlich Kleinholz gemacht. Ganz andere Probleme hatte Neptune mit ihrem Spiegel. Auch sie hatte die Möglichkeit, ihn aktiv als Waffe einzusetzen, aber Jadeite wollte ihr etwas Anderes beibringen. Neptune sollte lernen, in dem Spiegel zu lesen. Sie sollte ihn als Teil ihrer Seele akzeptieren, damit er ihr jede erdenkliche Frage beantworten würde. Zum ersten Mal in ihrer Ausbildung hatte sie Schwierigkeiten, die Theorie in die Praxis umzusetzen. Zunächst stellte sie ihrem Talisman einfache Fragen. Sie wollte in ihm erkennen, wo Uranus gerade steckte, oder er sollte ihr helfen, Jadeite zu finden, der sich irgendwo verborgen hielt. Obwohl ihre Fortschritte zu wünschen ließen, versuchte sie heimlich nachts um das ein oder andere Mal mit ihrer Freundin Kontakt aufzunehmen, die sie seit nunmehr vier Jahren vermisste. In einer verschneiten Winternacht gelang es ihr endlich. Haru saß vor ihrem Flügel und studierte mühsam ein neues Stück ein. Michi kauerte im Bett der Blondine und starrte nun schon seit Stunden konzentriert in ihren Spiegel. Zuerst dachte sie, sie würde sich den roten Schimmer nur einbilden, doch als sie ein paarmal geblinzelt hatte, setzte sie sich ruckartig auf. „Haru…“, flüsterte sie, „Haru, ich hab sie!“ Sofort unterbrach die Pianistin ihr Spiel. Mit einem Satz war sie neben Michi ins Bett gesprungen und starrte nun ebenfalls in das von dem Atem der Geigerin leicht beschlagene Glas. Michi konzentrierte sich noch mehr, rief innerlich Plutos Namen und tatsächlich wurde das Bild klarer und das Leuchten des Garnet Orb kräftiger. Doch ganz plötzlich entfernte sich der rote Schimmer wieder und der Spiegel des Meeres beschlug vollständig. Verzweifelt sah die Künstlerin auf, doch Haru zuckte nur betrübt mit den Schultern. „Mach dir nichts draus. Du bist eben noch nicht so weit. Irgendwann wirst du es schaffen“, versuchte sie ihre Gefährtin aufzuheitern. „Das ist es nicht. Ich glaube, sie hat mich geblockt“, erklärte Michi niedergeschlagen. „Warum sollte sie?“, fragte Haru. Michi schluckte. „Weil sie keine andere Wahl hat. Sie weiß, dass Queen nicht will, dass wir Kontakt zu ihr aufnehmen. Zumindest nicht, solange wir es noch nicht unter Kontrolle haben.“ Betrübt sah sie zurück in ihren Talisman, der mittlerweile ihr eigenes Bild zurückwarf. Resignierend schloss sie ihre Augen, wodurch sie eine einzelne Träne aus ihrer Falle befreite, die ihr jetzt langsam über ihre Wange lief. Haru seufzte unhörbar. Verletzter Stolz, Michis kalte Schulter, die Rügen der Lehrmeister, wenn sie etwas einfach nicht begriff. Das alles konnte sie mehr oder weniger gut vertragen. Nur Michis Tränen ertrug sie nie. Fürsorglich legte sie ihre Arme um den zierlichen Körper der Streicherin. Es war nicht die erste Nacht, in der sich Michi in den Schlaf weinte. Aber es war die erste von vielen Nächten, in denen sie dies in Harus Armen tat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)