To Sir with Love von Zaje ================================================================================ Kapitel 1: An (Un)Royal Performance ----------------------------------- Ein Gähnen entwich meinen Lippen als ich mich wieder auf meinen Platz setzte. Ich beobachtete unseren Professor, wie er ein paar Notizen auf sein Klemmbrett kritzelte und mir hin und wieder kurz einen Blick zu warf. Unsicher lächelte ich. Keine Ahnung wie ich diese Präsentation überstanden hatte, aber ich lebte immer noch. Jaja noch. Alex, ein Studienkollege von mir, wurde aufgerufen und nun lag es an ihm, das Klassenzimmer mit einer ach so spannenden Präsentation zu unterhalten. »Hey, Lea, pass auf dass dein Kopf nicht auf die Tischplatte knallt«, hörte ich eine amüsierte Stimme an meinem Ohr. Etwas schwerfällig wandte ich mich nach rechts und blickte in Annes grinsendes Gesicht. Sie sah auch nicht besser aus als ich. Ihre Augenringe hatte sie zwar überschminkt, aber meinem geschulten Blick entging natürlich nichts. Ich lehnte mich zurück und legte die Hände auf meinen Bauch. Kurz warf ich Alex einen Blick zu, bevor ich mich wieder meiner Freundin zuwandte und leise flüsterte: »Immerhin sehe ich besser aus als Liz.« Ein Grinsen huschte über meine Lippen, als ich meinen Kopf nach links drehte und eben jene Liz musterte. Sie hatte den Kopf auf den Tisch gelegt und ihr müder Blick wanderte zwischen Alex, Prof. Eduard und der Uhr hin und her. Anne kicherte leise, bevor sie sich ebenso wieder auf ihre Bücher bettet und weiter … so tat als würde sie zuhören. Meine Augenlider wurden immer schwerer und als Eduard schließlich in die Hände klatschte, irgendetwas von einem Assignment schwafelte, schrak ich hoch und blinzelte ein paar Mal, bevor ich meine Sachen packte und Liz nach draußen folgte. Während Anne noch mit unserem Professor sprach, warteten wir vor dem Klassenraum und lehnten uns an die Wand. Liz musterte mich mit müden Augen, grinste aber. »Lustig war es schon.« Ich nickte träge. »Das schon. Erinner' mich aber das nächste Mal bitte daran, dass ich meine Sachen erledige bevor ich mich betrinken gehe.« »Ich werde daran denken.« Ein Kichern entwich mir und ich strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr, als ich mich schließlich zu Anne umwandte, die sich inzwischen zu uns gesellt hatte. »Und kommst du noch mit in die Bibliothek?«, fragte ich sie, während wir gemächlich die Treppen vom dritten Stock ins Erdgeschoß runter spazierten. »Ich denke nicht. Ich bin so müde, ich glaube ich brauch' heute 'ne Denkpause. Und so wie du aussiehst solltest du auch darüber nachdenken. Nimm's mir nicht übel, Lee.« Anne stupste mich freundschaftlich in die Seite, als ich ihr die Zunge entgegenstreckte. Gute fünf Minuten später standen wir vor der Universität. Ich kniff die Augen zusammen. »Es ist ziemlich hell hier draußen«, stellte ich fest. »Naja … es ist Winter … im Winter schneit es … Schnee ist weiß … weiß reflektiert«, sinnierte Liz vor sich hin und legte den Kopf schief. »Danke für die Aufklärung«, gab ich zurück und grinste sie an. »Ich denke du solltest wirklich nach Hause fahren und schlafen«, lachte Anne schließlich los und hielt sich schon nach kurzer Zeit den Bauch. Liz und ich warfen uns einen kurzen Blick zu, bevor wir in ihr Lachen mit einstimmten. »Okay, Mädels. Ich denke ich muss wirklich schlafen. Oder 'ne kalte Dusche nehmen um wach zu werden. Zu viel Schlaf in der Prüfungsphase wird doch überbewertet.« Ich grinste schief und umarmte die beiden dann zum Abschied. Als ich sah, dass mein Bus bereits angetuckert kam, beschleunigte ich meine Schritte und lief die letzten paar Meter zur Haltestelle. Bevor ich einstieg winkte ich Anne und Liz noch einmal zu, die sich in die andere Richtung aufmachten. Wie automatisch fanden meinen Ohrenstöpsel den Weg in meine Ohren und schon dröhnten sanfte Klänge in Form von Tyreses Stimme durch meinen Gehörgang. Auch wenn ich nur ein paar Stationen bis zu dem Studentenheim fahren musste, ließ ich mich erschöpft auf einen freien Platz am Fenster fallen. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis ich meinen Kopf dagegen lehnte und die Augen für einen kurzen Moment schloss. In einem angenehmen Rhythmus schlug mein Kopf eher unangenehm gegen die kalte Scheibe. Ein leises Seufzen entwich mir. Da musste ich wohl durch. Gerade als mein Lieblingslied begann, merkte ich, dass ich langsam aber sicher wegdämmerte. Ich öffnete die Augen, blinzelte ein paar Mal und schloss sie sogleich wieder. Die Müdigkeit drohte mich zu übermannen und ich konnte nichts mehr dagegen tun. Meine Methode die Augen wieder zu öffnen und zu blinzeln, verlor schnell seinen Reiz und ich ließ es bleiben, weil es ohnehin nichts mehr brachte. Außerdem würde ich ja bald aussteigen … Meine Augenlider waren schwer wie Blei und schon bald kam es mir so vor, als hätte man sie mit Klebeband zugeklebt. Ich konnte also gar nichts dafür. Ehrlich nicht! Wenn man es gar nicht gebrauchen kann, geht einschlafen ja bekanntlich ganz schnell. Und so kam es, dass ich innerhalb weniger Sekunden im Träumeschlummerland versunken war. Herrlich ~ Zumindest wenn da nicht dieses störende Tippen an meine Schulter gewesen wäre. Echt jetzt, konnte man nach einer durchzechten Nacht nicht einmal mehr in Ruhe schlafen? Ich grummelte irgendetwas Unverständliches und wollte mich auf die andere Seite meines Bettes drehen. Dass ich immer noch im Bus saß, hatte ich schon vergessen, weshalb ich einen Mini-Herzinfarkt bekam, als ich beinahe von meinem Sitz fiel. »Beeilen Sie sich Miss! Wir sind schon am Palast angekommen«, drängte mich eine unbekannte Männerstimme, als ich meine Hände hilfesuchend ausstreckte um dann nur noch uneleganter von der Sitzbank zu rutschen. Halt. Wie in Gottes Namen konnte ich im Bus von meinem Platz rutschen? Das war anatomisch aber sowas von nicht möglich! Zumindest nicht, wenn ich in einer normalen Reihe saß und das tat ich, verdammt noch mal! »Miss! Nun kommen Sie schon. Haben Sie sich verletzt?« Erneut dieses nervende Hintergrundgeräusch, das offensichtlich irgendetwas von mir wollte. »Was denn?!«, entfuhr es mir. Durfte man hier nicht mal mehr in Ruhe schlafen? Offensichtlich nicht. Denn der nette Herr fuhr schon wieder fort und quasselte auf mich ein. »Die vier jungen Männer warten doch bereits auf Sie. Und ziehen Sie bitte Ihre Schuhe an, in Viterras Namen!« Was. Zur. Hölle. Ich rieb mir die Augen und rappelte mich schließlich auf. Beinahe stolperte ich über den schwarzen Stoff meines … Kleides? Wieso? Ich würde beide meiner Hände opfern, denn ich war mir zu tausend Prozent sicher, dass ich heute zur Uni kein Kleid getragen hatte. Und schon gar kein langes, schwarzes Abendkleid, wie ich mit einem Blick an mir hinunter feststellte. Vor mir standen silberne Glitzerschüchen, die es mir furchtbar angetan hätten, wenn ich nicht gerade vollends verwirrt gewesen wäre. Okay. Ganz ruhig. Was zum Teufel war hier los? Der Mann außerhalb des In-was-auch-immer-ich-mich-da-befand, warf mir einen erwartungsvollen Blick zu, als könnte ich in zwei Sekunden den Weltfrieden lösen. So ein Blödsinn aber auch. Ich brauchte mindestens drei! Gerade wollte Mr. Unbekannt den Mund wieder öffnen, als mir ein »Ich komm ja schon!« herausplatzte. Er starrte mich entgeistert an, was ich ihm nicht verübeln konnte ehrlich gesagt. Ich griff nach den Schuhe am Boden und stolperte aus dem … ja in was befand ich mich da eigentlich? Ein O-Bus in der Stadt Salzburg war es nämlich definitiv nicht mehr. Vorsichtig stieg ich die kleine Treppe hinunter, ignorierte dabei die Hand von Mr. Unbekannt - er war wirklich unheimlich! - und spürte im selben Moment kleine Kieselsteinchen unter meinen Füßen, als rechts von mir zwei Pferde wieherten. Eine Kutsche. Was zum Teufel hatte ich in einer verdammten Kutsche, in einem verdammten schwarzen Abendkleid und ohne verdammte Schuhe an den Füßen zu suchen? Das war doch echt nicht mehr normal. Ich sollte Liz sagen, dass sie mich daran erinnern sollte, weniger zu trinken. Oder, dass wir das nächste Mal einen einfachen DVD-Abend veranstalten sollten. Denn das was hier gerade abging, war definitiv nicht gut. Vielleicht hätte ich die Uni heute schwänzen und einfach schlafen sollen? »Kommen Sie, Miss. Sie werden bereits erwartet. Und bitte ziehen Sie Ihre Schuhe an«, fügte der Offensichtlich-Kutscher leise hinzu. Mit einem theatralischen Seufzer wandte ich mich zu ihm um und hob meine Augenbrauen. »Erklären Sie mir bitte, wie ich in diesen Hacken laufen soll? Wollen Sie´s mal probieren? Ist nicht gerade witzig, das kann ich Ihnen sagen. Sagen Sie mir einfach wo ich hin muss, das mit den Schuhen lassen Sie mal meine Sorge sein.« Ich setzte ein süffisantes Lächeln auf, wandte mich ab und verdrehte die Augen. Männer. Erst jetzt kam ich dazu mich umzusehen. Ich musste mich zusammenreißen, dass mir nicht der Mund aufklappte. Denn vor mir … stand ein fetter Palast. Und es war definitiv nicht der Buckingham Palace. Also keine Audienz bei der Queen - schade eigentlich. Aber … wo war der Schnee hingekommen? Durch den Schlafmangel und die vielen Minusgrade war ich vor einer Viertestunde noch halb erfroren. Und jetzt? War ich immer noch hundemüde, aber es war angenehm warm. Das verwirrte mich gleich noch mehr. Wie automatisch strich ich mir eine Strähne aus dem Gesicht hinters Ohr und bemerkte erst da, dass meine Haare in einer lockeren Steckfrisur … steckten. Ich legte den Kopf in den Nacken und meine Augen weiteten sich. Was zur … Kilometer über mir erstreckte sich eine Glaskuppel, die von etwas gehalten wurde, das aussah wie irgendeine Art von Streben. Allzu genau konnte ich mich nicht damit befassen, denn Mr. Offensichtlich-Kutscher-Unbekannt schob mich sanft aber bestimmt Richtung Eingang des Palastes. Was für ein Affenzirkus wurde hier eigentlich veranstaltet? Hatte Prof. Eduard Irgendwie meine Präsentation doch nicht so gut gefallen? Oder hatte ich gestern in der Heimbar einen Drink nicht bezahlt? Wurde ich deshalb heimgesucht? Dieses Rätsel würde ich wohl nicht so schnell aufklären können. Vorerst. »Sie müssen den Gang runter und in diesem Saal dort hinten warten bereits die anderen Kandidatinnen.« Der Offensichtlich-Kutscher und ich tauschten einen kurzen Blick, bevor seine Augen die Schuhe in meiner Hand fixierten. »Ich sage jetzt einfach nichts mehr.« Seine Augen suchten wieder die meinen und ein belustigter Ausdruck lag in ihnen. »Ist vielleicht besser«, gab ich mit einem leichten Grinsen zurück. »Ihr Gepäck wird für Sie in Ihren Turm gebracht, wenn Sie es in die nächste Runde schaffen.« Ich nickte nur, da ich ohnehin keine Ahnung hatte, was er da eigentlich sprach. »Viel Glück, Miss Lea.« »Danke. Ihnen auch. Bei was auch immer.« Mit diesen Worten wünschte ich ihm noch einen schönen Tag und ging dann in die Richtung, in die er vorhin gezeigt hatte. Hatte ich eigentlich schon mal erwähnt, dass ich große Menschenmengen hasste und etwas beängstigend fand? Nein? Na dann: Große Menschenmengen waren mir unheimlich, ich hasste sie und es war beängstigend. Vor allem wenn eben jene Menschenmenge aus lauter quietschenden und quasselnden Mädchen bestand. Jede einzelne in dem großen Saal war schön aufgedonnert und erst da dachte ich über den Aspekt nach, dass ich hier mit meinem dezenten Make-up, das heute wahrscheinlich ohnehin schon verwischt war, auffallen würde wie ein bunter Hund im Gemüsefeld. Ich konnte mir gut vorstellen, dass meine Augenringe so dunkel waren, dass sie auch ohne verwischten Maskara so aussahen als wäre ich ein Pandabär. Aber hey … Pandabären waren knuffig! »Oh tut mir leid, ich hab dich gar nicht gesehen!« Ein rothaariges, hübsches Mädchen war in mich hineingelaufen und ich stolperte einen Schritt zurück. »Ähm …« »Oh du trägst ja gar keine Schuhe! Aber der Boden muss doch furchtbar kalt sein oder? Ach entschuldige, ich bin übrigens Claire. Claire de Clairemont«, quasselte die Unbekannte sogleich auf mich ein und ich riss meine Augen auf. Diesen Namen hatte ich doch schon mal wo gehört! »Ähm«, machte ich wieder. »Ja ich weiß, meine Eltern sind Scherzkekse. Aber nenn' mich doch einfach Claire. Und wie heißt du?« »Ähm …« Ich starrte sie kurz etwas perplex an, bevor sich meine Gedanken langsam ordneten. Claire de verdammt noch mal Clairemont stand mir gegenüber. Einer meiner Lieblingscharaktere aus der Royal-Reihe von Valentina Fast. Das war doch … alles ein schlechter Scherz. »Ich bin Lea. O´Conner«, fügte ich langsam hinzu und wich einen Schritt zurück um mich in Sicherheit zu bringen, sollte sich Claire de verdammt noch mal Clairemont dazu entschließen sich in eine Schlange zu verwandeln, die mich fressen wollte. Bei Träumen konnte man sich da ja nicht so sicher sein. Und das hier musste ein Traum sein, anders konnte ich mir das gar nicht vorstellen. Unauffällig zwickte ich mir in den Unterarm. Autsch. Kein Traum. Mist. »Und bist du schon aufgeregt, Lea? Ich bin schon so gespannt auf die vier jungen Männer. Ob sie wirklich so hübsch sind wie auf den Bildern, die uns geschickt wurden? Oh, wer von ihnen glaubst du ist der Prinz?« »Ähm … ich weiß es nicht«, meinte ich nur langsam und zog die Brauen zusammen. Doch Claire schien mein Zögern gar nicht zu bemerken, denn im nächsten Moment schwärmte sie schon über die Kutsche, die sie hergebracht hatte und über den Palast und über einen Haufen anderer Dinge. Natürlich wusste ich wer der Prinz war. Schließlich konnte ich schon lesen. Aber wahrscheinlich war ich hier bei Versteckte Kamera oder so und wurde auf die Probe gestellt. Ja, das musste es sein. Anders konnte ich es mir gar nicht vorstellen. »Kannst du dir vorstellen, dass eine von uns hier in ein paar Wochen Prinzessin von Viterra sein wird?« Claires begeisterte Stimme riss mich wieder aus meinen Gedanken und ich wandte mich ihr zu. »Nein. Unvorstellbar«, meinte ich nur mit einem leichten Lächeln. Das war wohl die Antwort, die sie hören wollte, denn schon begann sie wieder aufgeregt zu quasseln. Okay. Also wie es aussah stand ich wohl mitten in der Vorentscheidung zur Auswahl der Prinzessin. Na ganz toll. Und wie es aussah kam ich so schnell nicht wieder nach Hause. Also … ganz nach Hause. Denn ›nach Hause‹ könnte ich schon bald kommen - nämlich genau dann, wenn die vier jungen Männer mich nicht weiter wählen würden. Und was tat ich dann? Auf ewig in irgendeinem Dörfchen versauern, ohne Möglichkeit jemals wieder zurückzukommen? Nein, so weit durfte ich es wirklich nicht kommen lassen. »Claire?« Ich unterbrach die Quasselstrippe und grinste, als ich ihren leicht verlorenen Blick sah, nachdem sie mitten in irgendwelchen überschwänglichen Erzählungen stoppen musste. »Ja?« »Wir sind jetzt Freundinnen oder? Ich könnte nämlich eine gute Freundin gebrauchen, der ich vertrauen kann.« Claires Miene hellte sich auf und sie strahlte über's ganze Gesicht. Ihre Augen leuchteten und sie war kurz davor mir um den Hals zu fallen, hielt sich dann aber doch noch zurück. »Ja, das hört sich gut an! Aber was wenn ich es nicht weiter schaffe? Du wirst es bestimmt schaffen. Das Kleid sieht übrigens fantastisch aus. Und die Schuhe erst!« Ich hob kurz die Hand um ihren Wasserfall an Worten wieder zu stoppen. »Glaub mir, du wirst es weiter schaffen. Davon bin ich überzeugt.« Ich zwinkerte ihr kurz zu, woraufhin sie rot wurde. »Ich hoffe, dass du Recht hast …« »Ich habe immer Recht«, gab ich grinsend zurück und wandte mich dann ab um mich umzusehen. »Sag' mal, wo ist hier die nächste Toilette?« Um meinen Plan durchzuziehen, musste ich definitiv noch mal mein Aussehen überprüfen. Ich hatte keine Ahnung was in meinem Gesicht los war und als Fast-Pandabär wollte ich nicht auf diesen mörderischen Laufsteg gehen. Pandabären waren knuffig, ja … deshalb würden mich Phillip, Henry, Fernand und Charles trotzdem nicht weiter wählen wollen. Claire erklärte mir kurz den Weg und versprach dann, hier Stellung zu halten und auf mich zu warten. Dankend lächelte ich ihr zu und tapste unauffällig aus dem Saal. Ich ging Richtung Toilette und erst ein paar Meter vor der Tür schlüpfte ich in diese halsbrecherischen Schuhe. Wie manche Menschen den ganzen Tag darin laufen konnten, war mir ein Rätsel. Okay Lea … bloß nicht durchdrehen. Haha, leichter gesagt als getan. Ich atmete ein paar Mal tief durch und setzte schließlich langsam einen Fuß vor den anderen. Höchst konzentriert überwand ich die fünf Meter, die mich von der Toilette entfernten, als ich ein Kichern hinter der nächsten Ecke hörte. Ich erschrak beinahe zu Tode, ließ ein Quietschen hören und stolperte über meine eigenen Füße. Der Offensichtlich-Kutscher war Schuld! »Was zum … ?«, entfuhr es mir, als ein junger Mann mit schwarzen, kurzen Haaren und so grüne Augen, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte, um's Eck lugte und sich offensichtlich zusammenreißen musste um nicht laut loszulachen. Ich funkelte ihn böse an. »Das ist echt nicht witzig!«, fuhr ich ihn etwas beleidigt an. Das Kichern verstummte und keine Sekunde später hockte er neben mir am Boden. »Tut mir Leid, Miss. Aber das sah gerade unheimlich komisch aus, wie Sie da vor sich hin staksten. Darf ich Ihnen wieder auf die Beine helfen?« Er stand auf und streckte mir die Hand entgegen, doch die bemerkte ich kaum, weil ich immer noch in diese verblüffend grünen Augen starrte. Graue Sprenkel zierten seine Iris, was nicht gerade dazu veranlasste, dass ich zu starren aufhörte. Seine Augenbrauen zogen sich besorgt zusammen, doch selbst das bekam ich nicht mit. »Miss?«, fragte er zaghaft und legte den Kopf etwas schief. »Ähm … tut mir leid.« Ich schüttelte kurz den Kopf und achtete darauf nicht mehr in diese Augen zu blicken. Eigentlich hasste ich es ja sogar in Augen zu blicken, das machte mich nervös. Doch die hier … hatten etwas an sich, das sich nicht erklären ließ. Dankend nahm ich die Hand, die er mir immer noch entgegenstreckte und stand auf. »Geht es Ihnen denn gut, Miss?« Ein tiefes Seufzen entwich mir und ich verdrehte die Augen. »Was ist denn los, Miss?« Ich schnaubte. »Könnten alle hier mal aufhören mich ständig ›Miss‹ zu nennen? Ich heiße Lea, verdammt noch mal«, grummelte ich leise vor mich hin und verschränkte die Arme vor der Brust. »Okay. Also, Lea verdammt noch mal, ich bin einfach nur Henry«, meinte der junge Mann grinsend und streckte mir die Hand zur Begrüßung entgegen. Meine Gesichtsfarbe wechselte von normal, zu hellrot, zu dunkelrot und das innerhalb weniger Sekunden. Ach du scheiße! »Ähm …« Ach wie intelligent du doch bist! Für diese Aussage könnte ich mich tatsächlich selber schlagen. Ein schiefes Grinsen lag auf Henrys Gesicht, was mich noch roter werden ließ, sollte das überhaupt noch möglich sein. »Ich … ähm …« Ich fuchtelte mit meinen Händen in der Luft herum und stolperte schließlich auf die Toilettentür zu. Mein Herz raste und es drohte herauszuspringen. Das war doch … schierer Wahnsinn! Ich fächelte mir mit meiner Hand etwas Luft zu und lehnte mich kurz an die geschlossene Toilettentür. Meine Augen schloss ich für einen Moment, während ich versuchte meinen Atem zu beruhigen. Wie peinlich war das bitte gerade gewesen? Musste ich sicher vor einem der vier jungen Männer, einen Sturzflug der Sonderklasse vollführen und ihn auch noch anschnauzen, weil es sonst ja langweilig wäre. Und dann noch ausgerechnet vor Henry! Das Leben meinte es heute wirklich nicht gut mit mir. Ich öffnete meine Augen wieder und hastete schließlich zum Spiegel. Sofort erschrak ich. Das … das war doch nicht ich! Heute Morgen hatte ich immerhin noch ausgesehen, wie eine wandelnde Leiche. Und jetzt … jetzt war ich ja fast so was wie hübsch! Die Augenringe waren verschwunden, ja es schien beinahe, als hätten sie nie existiert. Der Lippenstift saß perfekt, und das obwohl ich mit dem Ding nicht mal umgehen konnte. Oh Gott, hier war wirklich der Teufel im Spiel! Mein Herz begann wieder wie verrückt gegen meine Brust zu klopfen und mein Puls lag vermutlich schon wieder bei 180. Ich strich mein Kleid glatt und klopfte den imaginären Staub vom schwarzen Stoff. Wie eine aufgescheuchte Henne lief ich den kleinen Raum ungefähr hundert Mal auf und ab. Nach diesem Desaster musste mein Auftritt einfach perfekt werden, damit ich noch in die nächste Runde kam. Wie sollte ich das bitte anstellen? Meine Füße taten weh und ich war mir sicher, dass ich mit das Bein brechen würde, noch bevor ich überhaupt die Treppe auf den Laufsteg gehen würde. Oh Gott, oh Gott, oh Gott. Das war mein Untergang! Und ich würde für immer hier feststecken, ohne irgendeinen Ausweg. Außerdem. Wieso trug ich keine Kette? Ich trug immer eine Kette! Sollte ich zuerst schreien oder gleich zum Heulen übergehen? Panisch blieb ich vor dem Spiegel stehen und blickte in die angsterfüllten, grünen Augen, die mich durch den Spiegel anstarrten. Meine Augen. Ja, ich hatte Angst. Verdammte Angst. Die einzige Möglichkeit hier wieder weg zu kommen, war vorerst hier zu bleiben, das wusste ich. Nur der Palast hatte die technischen Möglichkeiten, die mir vielleicht irgendwie helfen könnten. Ich musste nur … Ruhe bewahren. Doch das war leichter gesagt als getan. Ich brauchte eine Kette. Und zwar sofort! Energisch stürmte ich wieder aus der Toilette. Wohl etwas zu energisch, denn Henry stand immer noch grinsend vor der Tür und schien zu warten. Ich war so erschrocken, dass ich schon wieder stolperte und der Länge nach hin fiel. Am liebsten hätte ich geweint. Und zwar sehr laut. »Hey, Lea verdammt noch mal, so sieht man sich wieder. Hast du dich verletzt?« Ich grummelte irgendetwas Unzusammenhängendes gegen den Marmorboden und hoffte, dass ich so mit ihm verschmelzen konnte. Vielleicht hätte ich J.K. Rowling vorher anrufen sollen um nachzufragen, ob es einen Zauber gab, mit dem so etwas funktionierte. Aber was würde es bringen … meinen Zauberstab hatte ich ja auch nicht dabei. Ohne auf eine Antwort zu warten, griff Henry nach meinen Händen und zog mich hoch. Am liebsten wäre ich liegen geblieben und hätte ihn nie wieder angesehen, doch stattdessen schoss mein Puls wieder in die Höhe und ich erschlug ihn fast mit meinen folgenden Worten. »Wie soll ich es je schaffen, wenn ich nicht mal eine Kette habe? Wo ist meine Glückskette?!« Meine Augen hatten sich panisch geweitet und ich musste mich zusammenreißen, um Henry nicht zu schütteln. Das schien er zu bemerken, denn er löste sanft, meine verkrampften Finger aus seinem Jackett. »Ganz ruhig, okay? Das wird schon alles gut gehen. Aber du solltest jetzt zurück in den Saal gehen, bevor dich jemand suchen kommt. Die Auswahl geht gleich los.« Er schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, das ich ihm am liebsten aus dem Gesicht geprügelt hätte. Wie konnte er nur so ruhig bleiben? Er verstand die Dramatik der Situation echt nicht! »Hals und Beinbruch, Miss«, rief er mir lachend hinterher, als ich mich ohne ein Wort des Abschieds auf den Weg zurück machte. Ohne mich umzudrehen hob ich kurz die Hand, wie ich es immer tat, und konzentrierte mich weiter darauf einen Fuß vor den anderen zu setzen. »Lea! Da bist du ja endlich. Ich habe mir schon Sorgen gemacht!« Claire kam auf mich zugelaufen und fiel mir um den Hals. Ich konnte ihre Nervosität förmlich fühlen, genauso wie sie meine. »Hey, wird schon gut gehen«, meinte sie aufmunternd und lächelte mich an. Ein belustigtes Schnauben entwich mir. »Mich hat es gerade zwei Mal auf die Nase gehauen, weil ich mit diesen Hacken so offensichtlich gar nicht laufen kann, dass es beim Zusehen richtig weh tun muss. Ich brech' mir den Hals, wenn ich da rauf gehe, Claire! Ich kann das nicht.« Meine Hand hatte sich an Claires Unterarm geklammert, ohne dass ich es mitbekommen hatte. So weit war ich also schon! Na bravo. Ein kompletter Psychopath. Plötzlich spürte ich einen brennenden Schmerz auf meiner linken Wange. »Reiß dich zusammen! Du schaffst das schon!«, fuhr Claire mich an, und schien über ihren harschen Ton selbst schockiert zu sein. »Hast du … hast du mir gerade wirklich eine Ohrfeige verpasst?« Claires Augen wurden groß, als würde sie sich erst jetzt darüber bewusst werden, was sie da getan hatte. »Oh mein Gott, Lea, es tut mir so leid!« Die Situation war gerade so lächerlich, dass ich nicht anders konnte, als laut loszulachen. »Dafür bist du mir etwas schuldig«, meinte ich grinsend und stupste sie in die Seite. Gerade wollte Claire etwas sagen, als sie von einer lauten, weiblichen Stimme unterbrochen wurde. Das Geschnatter der Mädchen verstummte und man teilte uns mit, dass die zweite Vorentscheidung gleich losgehen würde. Gerade wurden Startnummern ausgeteilt, die sie an unsere Kleider pinnten und man sagte uns, dass wir uns in der richtigen Reihenfolge aufstellen sollten. Man würde unsere Namen später aufrufen, wir sollten den Laufsteg entlang gehen, stehen bleiben und warten welche Entscheidung die vier jungen Männer treffen würden. You don´t say. Claire, die nun begonnen hatte ihre Finger zu kneten, schien jetzt so nervös zu sein, dass sie ihr eigenes ›Wird schon gut gehen‹-Gelaber nicht mehr glaubte. Als ich sie beruhigen wollte, kam eine Bedienstete auf uns zu um die Startnummern an unseren Kleidern zu befestigen. Claire bekam die Nummer 10, während ich die Nummer 33 war. Na ganz toll. Ich hatte keine Ahnung wie viele Mädchen in dem Raum waren, doch 33 war eine ziemlich hohe Zahl - vor allem wenn nur 19 Mädchen weiterkommen würden. Was tat ich, wenn die Nummer 32 das letzte Mädchen werden würde? Ach herrje! »Viel Glück, Lea«, murmelte Claire und umarmte mich fest. »Danke. Dir auch«, gab ich genauso leise zurück und klammerte mich kurz an ihr fest, als wäre sie ein Rettungsanker, der mich vor dem Ertrinken retten würde. Ich wusste ja, dass Claire weiterkommen würde. Aber das konnte ich ihr ja schlecht unter die Nase reiben. Wir verabschiedeten uns mit einem kurzen Blick und Claire eilte ans vordere Ende der Reihe, während ich mich nach der 32 einreihte und ignorierte, dass hinter mir nicht mehr allzu viele Mädchen standen. 33. Hoffentlich würde die 33 ab sofort meine Glückszahl werden. Es stellte sich heraus, dass die anderen Mädchen noch viel nervöser waren als ich. Eines, das einige Nummern hinter mir stand, atmete so laut aus und ein, dass ich mir sicher war, dass es bald umfallen würde. »Beruhige dich Beth. Das geht schon gut«, hörte ich ihre wahrscheinlich-Freundin murmeln. Ihre Stimme zitterte leicht, doch sie konnte es ganz gut überspielen. Während ein Mädchen nach dem anderen auf die Bühne ging, musterte ich den Raum in dem wir uns befanden. Es war ein gutes Ablenkungsmanöver, zumindest bis mir dann der Gedanke kam, dass ich eigentlich absolut keine Chance hatte. Ich hatte Henry angeschnauzt, hatte mich zwei Mal vor ihm lächerlich gemacht und hatte mich als »Lea, verdammt noch mal« vorgestellt. Wirklich sehr charmant. Immerhin hatte ich einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Und diese Augen … verdammt diese Augen! Allzu viel Zeit blieb mir allerdings nicht mehr um mich mit seinen Augen zu befassen, denn das Mädchen vor mir ging mit einem strahlenden Lächeln auf den Laufsteg und eine Helferin der Show wandte sich zu mir. Sie gab mir die letzten Instruktionen und erklärte mir, dass ich links von der Bühne runtergehen sollte. Wenn ich weiter kam, würde mich meine Vertraute dort empfangen, sonst solle ich den Raum einfach verlassen. Na, wie aufmunternd aber auch, Mrs. Helferin. Sie wünschte mir noch viel Glück und im nächsten Moment hörte ich eine übermotivierte Frauenstimme »Und hier ist Lea O´Conner!« in ein Mikrophon brüllen. Das musste wohl diese komische Gabriela sein. Ich atmete einmal tief durch, schloss die Augen kurz, bevor ich langsam einen Fuß vor den anderen setzte. Vollste Konzentration. Lächeln nicht vergessen. Ich konzentrierte mich auf meine Fußballen, versuchte die Schuhe nicht zu verlieren und gleichzeitig das strahlendste Gesicht aller Zeiten aufzusetzen, als ich diesen ewig langen Laufsteg runterging. Erst jetzt kam mir in den Sinn, dass es doch sein könnte, dass meine linke Wange noch gerötet war. Oder dass Claires Händeabdruck schon von Weitem sichtbar war - und ich konnte nichts dagegen tun. Die ganze Nation würde es sehen. Mit einem nervösen Lächeln im Gesicht blieb ich am Ende des Laufsteges stehen. Ich wusste nicht Recht was ich mit meinen Händen tun sollte. Wieso hatte uns das niemand gesagt? Am liebsten würde ich sie vor der Brust verschränken, doch das würde wohl nicht ganz so gut ankommen. Ich ließ sie also leblos neben meinem Körper baumeln und schon fühlte ich mich wieder wie die wandelnde Leiche von heute Morgen. Das Scheinwerferlicht blendete mich und ich konnte die jungen Männer zwar nur schemenhaft erkennen, doch Henry hatte sich so ein mein Gedächtnis eingebrannt, dass ich ihn wohl unter tausenden schemenhaften jungen Männern erkennen würde. Er sah mich schon wieder so komisch an und grinste schief. Sofort wurde mir heiß und die Röte schoss mir ins Gesicht. Wie peinlich! Die vier wechselten noch einen kurzen Blick, bevor sie ein Schild in die Höhe hielten, welches ich nicht erkennen konnte, doch im nächsten Moment brandete Applaus aus den Zuschauerrängen auf. Was passierte hier gerade? Alles um mich herum verschwamm langsam und ich befürchtete schon, dass ich umkippen würde. Doch im nächsten Moment spürte ich eine kalte Hand auf meiner Schulter, die mich leicht zusammenzucken ließ. Eine Frau mit einem verdammt kurzen Kleid stand neben mir. Gabriela. Ich hatte ihren Nachnamen vergessen, aber das war eine der wichtigsten Fernsehdamen von ganz Viterra. »Herzlichen Glückwunsch Miss Lea. Willkommen in der Auswahl zur Prinzessin von Viterra!«, rief sie erfreut aus und schien die Panik in meinem Blick zu bemerken. Wahrscheinlich hatte eben jene Panik dafür gesorgt, dass ich von einer dunkelschwarzen Aura umgeben war, die alle im Umkreis von zehn Metern in eine tiefe Depression stürzen würde. Okay, ich musste meine innere Dramaqueen wieder einsperren. Gabriela nickte mir aufmunternd zu und ich wandte mich um, ging den Laufsteg wieder zurück und vor der Bühne links hinunter, so wie es mir angeordnet wurde. Bevor ich auch nur irgendeinen klaren Gedanken fassen konnte, lag Claire in meinen Armen. »Ich wusste doch, dass wir es schaffen!« Naja, das wagte ich zu bezweifeln. Ich wusste immerhin, dass sie es schaffen würde. Ich konnte gar nichts mehr zu ihr sagen, denn eine schwarz gekleidete Dame kam auf uns zu. Es stellte sich heraus, dass das meine Vertraute war. Ich hatte gar keine Zeit sie zu mustern, rief Claire noch ein »Bis später« hinterher und wurde von Cassandra, wie sie sich mir vorstellte, schon mitgezogen. Sie drückte mich auf einen Stuhl vor einem ausladenden Schminktisch zupfte hier und da etwas an meinen Haaren herum und ordnete dann an, dass man mein Make-up etwas auffrischen sollte. Cassandra wuselte inzwischen davon und machte sich an einem riesigen Kleiderständer zu schaffen. Zurück kam sie mit einem weißen Kleid, so wie es die anderen Mädchen bereits trugen. Im Spiegel sah ich, dass um die Mitte eine Art Gürtel mit roten Edelsteinen war. Es sah eigentlich ganz hübsch aus. Kaum war man mit meinem Gesicht fertig, zog Cassandra mich auf die Beine und zerrte mich hinter einen Vorhang, wo sie mir das schwarze Kleid förmlich vom Leib riss, bevor sie mich in das weiße steckte. Sie redete andauernd auf mich ein, doch so richtig verstehen tat ich nicht was sie sagte. »Hier, die Schuhe.« Sie stellte mir zum Kleid passende Schuhe vor die Nase, die bestimmt doppelt so hoch waren wie meine alten. Okay, das war vielleicht etwas übertrieben, aber höher waren sie definitiv! Und wie sollte ich es schaffen mit denen nicht auf die Schnauze zu fallen? Das sei wohl dahingestellt. Ich kam nämlich gar nicht mehr dazu Cassandra zu fragen, denn sie hatte mich schon wieder mit sich gezogen. Eine sehr … energische Person. »Okay, Miss Lea, Sie warten hier, ich kümmere mich inzwischen um Miss Bethany. Miss Bethany wird Ihre Turmmitbewohnerin sein. Wir sehen uns später, regen Sie sich nicht allzu sehr auf und wenn Sie etwas brauchen, ich bin da hinten«, flötete Cassandra und ließ mich etwas bedröppelt mitten im Raum stehen. »Okay«, rief ich ihr halblaut hinterher und zuckte mit den Schultern. Ich sah mich in dem Raum um. Es herrschte geschäftiges Treiben und wie es aussah, waren schon so gut wie alle Mädchen gewählt worden. »Lea! Ich bin so froh, dass du es weitergeschafft hast. Komm mit, ich stelle dir Tatyana vor. Oh ich glaub es nicht, dass ich mit ihr in einem Turm sein darf! Ich wurde als Zweite gewählt. Kannst du dir das vorstellen? Als Zweite!« Meine Mundwinkel hoben sich etwas, als ich Claires beruhigendes Gebrabel neben mir vernahm. Es tat gut in dem ganzen Chaos wenigstens irgendjemanden zu haben, der einen nicht als Todfeind ansah. Claire zog mich in den hinteren Teil des Raumes, wo sich eine hübsche Blondine mit einer etwas älteren Bediensteten unterhielt. Schon bevor Claire sie mir vorstellte, wusste ich wen ich da vor mir hatte. Tatyana Salislaw und Erica, die Vertraute von Tanya und Claire. »Hi. Ich bin Lea«, stellte ich mich mit einem freundlichen Lächeln vor und reichte den beiden die Hand. In Ericas Gesicht konnte ich lesen, dass sie nicht genau wusste was sie von mir halten sollte, immerhin hatte Claire mich angeschleppt. Doch das war mir egal ehrlich gesagt. Immerhin wusste ich zufällig, dass es nicht lange dauern würde, bis Erica und Claire sich verstehen würden. »Hallo, Lea. Ich bin Tanya, das ist Erica«, übernahm Tatyana nun das Wort und mein Herz machte einen Freudensprung, als sie sich mir gleich mit ihrem Spitznamen vorstellte. Ich grinste breit und meinte schließlich: »Sei froh, dass du diesen ganzen Stress vorhin nicht hast durchmachen müssen. Ich bin beinahe umgekippt, als ich da vorne gestanden bin.« Und das war nicht mal gelogen. »Aber du hast es weiter geschafft. Gott sei Dank! Als Vorletzte! Lea, ich hatte schon solche Angst, dass du nicht weiterkommst. Ich hätte nicht gewusst, was ich ohne dich hier tun würde. Ich mein, ich hab zwar Tatyana auch noch, aber wir waren doch schon vorher befreundet. Und außerdem … « Belustigt schüttelte ich den Kopf und grinste Claire zu. »Schon gut. Ich bin ja jetzt da«, zwinkerte ich und legte meine Arme kurz um sie. Claires Wasserfallgeschnatter war eine wunderbare Ablenkung von dem ganzen Tamtam hier. Erst nachdem Claire es zum gefühlt tausendsten Mal wiederholt hatte, wurde mir bewusst was gerade passiert war. Ich konnte es nicht fassen. Ich hatte es wirklich geschafft in die Auswahl zu kommen. Und das obwohl ich Henry angeschnauzt hatte! Wie mir das gelungen war, würde ich wohl nie erfahren. Ein seliges Grinsen lag auf meinen Lippen. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Ich war meiner Flucht nach Hause einen Schritt näher gekommen. Ich war so in diesem Glücksgefühl gefangen, dass ich kaum mitbekam was als nächstes passierte. Wir Mädchen wurden nacheinander aufgestellt, wir sollten noch einmal über den Laufsteg und uns dann auf der Bühne aufstellen. Ich war so glücklich, dass ich mich nicht mal über meine doofen Schuhe beschweren wollte. Sie waren zwar hübsch, aber furchtbar um darin zu laufen. Doch das alles war mir egal. Und als ich als Vorletzte beinahe über den Laufsteg schwebte, war ich mir sicher, dass mein Lächeln das breiteste unter allen anderen war. Mein Blick streifte den Henrys, als ich mich umdrehte und ich nickte ihm zum Dank kaum merklich zu. Vielleicht bildete ich mir dieses schiefe Grinsen, das Blitzen seiner grünen Augen und das Zurücknicken nur ein, aber alleine die Vorstellung davon beruhigte mich. Es verging alles furchtbar schnell, ich hatte kaum Zeit um alles auf mich wirken zu lassen. Es wurden Fotos von uns geschossen, dann gesellten sich die vier jungen Männer zu uns, Gabriela stellte sie uns kurz vor und wünschte uns schließlich noch einen schönen Abend. Wir wurden von unseren Vertrauten zu unseren Türmen geführt, damit wir uns noch in Ruhe auf das Abendessen vorbereiten konnten. Ich hatte noch keine Zeit gehabt mich bei Henry zu bedanken und zu entschuldigen. Aber das würde ich früher oder später nachholen. Eher später, ich hatte nämlich irgendwie Panik vor der nächsten Begegnung. Irgendwie hatte ich Angst er würde mich anschreien. Und irgendwie hatte ich Angst er würde es nicht tun. Draußen war es bereits dunkel geworden und eine angenehme Wärme lag in der Luft. Das geregelte Wetter hier hatte eindeutig seine Vorteile. Ich mochte es ohnehin nicht, wenn mir abends kalt war. Ich schob meine Gedanken über Henry und das Wetter beiseite und musterte meine Mitbewohnerin, die vor mir ging und auf Cassandra einredete. Sie hatte blonde Haare, die meiner Meinung nach etwas sehr gefärbt wirkten, was sie mir sofort unsympathisch machte. Aber ich sollte mir keine vorschnelle Meinung über sie bilden. Vor allem nicht nachdem ich bemerkt hatte, dass sie mit ihrem Hinterteil so sehr hin und her schwang, dass es mich wunderte, dass es nicht quer über den Schlossgarten geschleudert wurde. Ich wandte den Blick von Bethany ab und musterte stattdessen Cassandra. Ihre Haut war etwas dunkler und ihre Haare waren braun oder schwarz. So genau konnte ich das bei dem spärlichen Licht nicht ausmachen. Sie war etwas kleiner und ein bisschen rundlicher, aber sie strahlte eine Warmherzigkeit aus, wie ich es bei sonst noch niemanden bemerkt hatte. Außer bei meiner Mutter vielleicht. Meine Mundwinkel hoben sich etwas. Ja, diese Frau war mir sehr sympathisch. Wir erreichten den Turm nach einem kleinen Fußmarsch und bevor ich mich überhaupt nur richtig darin umsehen konnte, warf Bethany sich auf eines der beiden Betten, warf ihre Schuhe quer durch den Raum und seufzte theatralisch. Ich warf Cassandra einen fragenden Blick zu, doch sie zuckte nur mit den Schultern. Unser Gepäck hatte man bereits hierher gebracht und ich stellte verwundert fest, dass eine Gitarre neben dem großen Schrank lehnte. »Ist das deine?«, blaffte Bethany mich an und ich hob etwas überrascht meine Augenbrauen. Jegliches Glücksgefühl war verschwunden und Wut kochte langsam in mir hoch. »Wenn's nicht deine ist, wird es wohl meine sein«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, schwer darauf bedacht ihr nicht gleich ins Gesicht zu springen und ihr die Augen auszukratzen. Bethany zuckte kurz mit den Schultern, bevor sie sich wieder hinlegte. »Ich kann es einfach nicht fassen, dass ich als Letzte ausgewählt wurde. Das ist wirklich eine Schande!«, beschwerte sie sich. Ich verdrehte die Augen, während ich zu meinem Bett ging und mich setzte um mir die Schuhe von den Füßen zu streifen. »Das haben sie doch absichtlich gemacht, dass sie mich erst so spät laufen lassen. Die haben sicher gehofft, dass mich die vier nicht mehr wählen«, ging das Gejammer weiter. »Freu dich doch, dass du jetzt hier bist«, versuchte Cassandra die Blondine aufzumuntern. Doch das bewirkte eher das Gegenteil, denn nun begann Bethany sich noch mehr zu beschweren. Dass man sie gar nicht in der Show haben wollte und dass Charlotte Eddison und Emilia Dupont als wichtige Nachfahrinnen sowieso bevorzugt wurden und blablabla … »Wäre es dir lieber, wenn du jetzt in einer Kutsche nach Hause sitzen würdest? So wie die ganzen anderen Mädchen? Du hast immer noch die Chance den Prinzen kennenzulernen und Prinzessin zu werden!«, entfuhr es Cassandra, sie stampfte mit dem Fuß wütend auf den Boden und stemmte die Hände in die Hüfte. Gerade wollte Bethany etwas erwidern, da sprang ich auf und stellte mich zwischen die beiden. »Okay, okay, beruhigt euch. Wir hatten heute alle einen anstrengenden Tag. Esst etwas Schokolade und seid wieder freundlich«, bat ich die beiden, ging auf Bethany zu und zog sie auf die Beine. Ich ging mit ihr nach oben ins Badezimmer, wohin sie mir nur widerwillig folgte. Ich konnte beinahe fühlen, wie sehr sie auf Streit mit unserer Vertrauten aus war. Oben angekommen schloss ich die Tür hinter uns und lächelte Bethany an. »Cassandra hat Recht. Sei froh, dass du hier bist. Ich bin sicher wir werden eine spannende Zeit zusammen haben. Lass dir ein Bad ein, bis zum Abendessen dauert es ja noch etwas. Ich werde auf dich warten«, versprach ich. »Ach, Lea. Diese Frau versteht mich einfach nicht. Wie soll ich das nur überstehen?«, klagte sie und fuhr sich durch ihre blonden Haare. Ich schenkte ihr ein Lächeln, das hoffentlich nicht allzu gequält aussah und meinte nur: »Deswegen bin ich ja auch noch da. Also, entspann dich und mach dich wieder hübsch.« Ich wandte mich zum Gehen und als ich die Tür erreicht hatte, hielt Bethany mich noch einen Moment zurück. »Danke, Lea. Und … du kannst mich Beth nennen.« Sofort merkte ich, dass es ihr nicht gerade leicht fiel, dass sie von ihrem hohen Ross stieg. Auf meinen Lippen bildete sich ein Lächeln, ich nickte ihr kurz zu und trabte dann wieder nach unten. Cassandra saß am Schminktisch, sah sichtlich deprimiert aus und spielte mit etwas, das aussah, wie ein Gelschreiber. Es stellte sich als Kajal heraus. Fast. »Hey. Keine Sorge, ich hab sie etwas besänftigen können. Ich bin mir sicher, dass es ihr leid tut«, meinte ich und setzte mich neben meine Vertraute. Ich lächelte ihr aufmunternd zu. Was tat ich hier eigentlich? Vermittlung spielen? Sah fast danach aus … »Sie ist eine fürchterliche Person. Auf dem Weg hier her hat sie immer wieder betont, dass sie in einen anderen Turm will, weil sie nicht mit dir zusammen sein will«, schnaubte meine Gegenüber und mir fiel erst jetzt auf, dass sie mich nicht mehr siezte. Ich hatte kein Problem damit, ehrlich gesagt war es mir sogar lieber. »Ach, lass sie reden. Wenn sie sich den jungen Männern gegenüber auch so verhält, ist sie bestimmt nicht mehr lange hier. Aber ich danke dir, dass du so ehrlich zu mir bist.« Lächelnd griff ich nach ihrer Hand und drückte sie kurz. Cassandra war eindeutig eine angenehmere und vertrauenswürdigere Gesellschaft als Beth. Über die musste ich mir erst meine Meinung bilden, doch vorerst hieß es, nicht zu viel ausplaudern. Denn das würde eins zu eins an irgendjemand nicht vertrauenswürdigen weiterfließen, das war mir sofort klar. »Komm, machen wir dich hübsch für's Abendessen. Du musst unseren vier jungen Männern ab morgen den Kopf verdrehen. Ich will nicht, dass sie sich in jemanden wie Bethany verlieben«, meinte Cassandra schließlich und stand auf. Sie zwinkerte mir im Spiegel verschwörerisch zu und ich konnte mir ein leichtes Lachen nicht verkneifen. »Du bist ganz schön gemein.« »Ich weiß. Gemein ist mein zweiter Vorname«, grinste sie und griff nach dem Gelschreiber … äh … Kajal. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)