24 Farben der Liebe von Evilsmile (Adventskalender 2015) ================================================================================ 17. Türchen: Schaukelpferd -------------------------- Das Werbeprospekt des Möbelgeschäfts aus dem Briefkasten geholt, lief Christoph ins Schlafzimmer, wo Gloria halb im Kleiderschrank abgetaucht war. „Süße! Schau mal, das ganze Christbaumschmuck-Sortiment im Angebot! Die haben echt alle Farben! Wollen wir nicht hinfahren und uns umschauen?“ Der Kopf seiner Freundin kam hinter der Eichentür zum Vorschein. Sie strich ihr Haar aus ihrem Gesicht und sah ihn vorwurfsvoll an. „Du kennst meine Meinung dazu, Liebling. Und die lautet wie?“ Zerknirscht ließ Christoph den Kopf hängen. „Ach Mensch. Ich kann es nicht fassen, dass ich dieses Jahr das erste Weihnachten ohne Baum feiern werde…das hat für mich irgendwie immer dazugehört.“ Sie schüttelte heftig den Kopf. „Wir Menschen haben einfach nicht das Recht, Bäume zu kaufen; sie nur deswegen zu fällen, weil sie ihn für ein paar Tage in ihre Wohnzimmer stellen wollen, und sie mit kitschigem Schmuck behängen, wie es ihnen in den Kram passt!“ „Ich hab´s kapiert. Soll ich dich dann ein Stück begleiten, wo ich eh zu Mark gehe?“ Die VHS, wo sie einen Englisch-Kurs belegte, lag auf dem Weg dahin. Sie hob fragend die Brauen. „Zu Mark in die Schreinerei, ich wollte doch das Schaukelpferd abholen.“ „Ach so. Nein, du musst nicht auf mich warten, geh ruhig.“ „Okay. Bis später, Süße!“ Er küsste sie zum Abschied. Mark wohnte nicht weit weg in diesem kleinen Städtchen. Sie waren gemeinsam aufgewachsen und zur Schule gegangen und bis heute gute Freunde geblieben. Mittlerweile hatte er Frau und Kind und führte die Schreinerei seines Vaters, und daher hatte Christoph ihn beauftragt, ein Schaukelpferd für seinen kleinen Neffen anzufertigen. „Wow! Ein Prachtexemplar! Wirklich tolle Arbeit“, staunte Christoph und musterte das fertige Pferd. In liebevoller Feinarbeit waren Augen, Zaumzeug, Schweif und Mähne hinein geschnitzt. Am vorderen Bein hatte es die Steigbügel zum Abstützen der Füße, und an der Mähne Griffe zum Festhalten. Damit hätte er nun alle Geschenke beisammen. Alle, bis auf das für Gloria… Bei keinem seiner Freunde und Verwandte musste er so lange darüber nachgrübeln wie bei ihr. Vom Geschäftlichen kamen sie zum Privaten zu sprechen, saßen bald eine Stunde in seinem Hinterzimmer bei Kaffee. „Chris, das mit dir und Gloria. Ist das was Ernstes?“ „Ich hoffe“, sagte Christoph und lächelte. „Hmm. Verstehe.“ „Was hast du gegen Gloria?“ Er zuckte die Schultern. „Wollen wir nicht mal wieder was zusammen unternehmen, nur wir zwei. Vielleicht lernst du da eine kennen, die von der Mentalität her besser zu dir passt, als diese dahergelaufene Großstädterin...“ „Mark!“, rief Christoph entsetzt aus. Gloria hatte oft angedeutet, dass Mark sie nicht mochte. Doch er hatte es nicht wahrhaben wollen. Mit aufkeimender Wut im Bauch verließ er die Schreinerei. Gloria war ein Stadtkind – na und? Sie passte trotzdem viel besser zu ihm, als es all die anderen getan hatten. Sie war DIE Frau für ihn. ~ Mit dem Schaukelpferd unterm Arm spazierte Christoph durch die abendliche Stadt. Dieses gewisse vorweihnachtliche Etwas, das in der Luft lag, genießend. Nicht unbedingt auf den Weihnachtschmuck bezogen, sondern auf diese unbeschreibliche Magie, die in der Luft lag. Jene Vorfreude, die man nur vor Weihnachten hatte; dass bald etwas Wunderbares gefeiert wurde, und der Zauber, der den Menschen das Herz erwärmte. Er sprang unwillkürlich zur Seite, als sich die massive Haustür zu seiner Linken öffnete und – Gloria heraustrat! Aus der Psychotherapeutischen Praxis, an der er gerade dicht vorbeigelaufen war! Sie hatte die Kapuze ihres roten Pullovers über den Kopf gezogen, über dem sie eine fellbesetzte Steppweste trug. Den Kopf hatte sie eingezogen, sodass sie ihn, vielleicht auch wegen ihrer Haare, gar nicht bemerkte, und sie klammerte sich an ihre Handtasche. Er rief ihren Namen, und sie drehte sich um. Der Schrecken schien ihr in alle Glieder gefahren zu sein und sie starrte ihn nur stumm an. „Süße, was machst du denn hier?“ „Christoph!“ Sie fasste sich ans Herz. „Du solltest mich nicht sehen…“ „Tja – das habe ich aber.“ Er ging auf sie zu, bemerkte die Tränenspuren auf ihren Wangen, die dort Schminke hinterlassen hatten. „Was ist denn mit deinem Kurs?“ „Es gibt keinen…Das war eine Ausrede! Weil ich dir doch nicht sagen konnte, dass ich zu einer Psychologin gehe!“ „Wieso konntest du das denn nicht?“ Sie schüttelte den Kopf. „Zuhause, ja? Da erzähl ich dir alles.“ Er hob das Schaukelpferd in die Höhe, als sie schweigend nebeneinander hergingen, ihre Schritte aneinander angepasst. „Wie findest du es?“ „Süß“, antwortete sie. Danach sprachen sie nichts mehr, bis sie in der Wohnung angekommen waren. Christoph kochte Tee, und Gloria nahm auf der Couch Platz, deckte sich mit der Kuscheldecke zu bis zum Kinn. „Bevor ich dich kennen gelernt habe“, begann sie, „war ich in einer Klinik. Weil ich zusammengebrochen bin, mir ist alles zuviel geworden. Weil weißt, du, vor Jahren, da brauchte ich dringend Geld, weil ich Schulden hatte und…“ Unter heftigsten Schluchzen sprach sie weiter, während ihr der Rotz aus der Nase lief: „und… ich habe die Therapie gebraucht, weil…ich habe …“ Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und fast konnte Christoph es nicht verstehen, als sie sagte: „ich bin anschaffen gegangen.“ Sorgenvoll betrachtete Christoph sie, doch sie bekam es nicht mit, so sehr weinte und zitterte sie. „Erst war ich Kellnerin, in dem Club. Keine Stripperin! Ich dachte, ich hätte das unter Kontrolle… oh Gott, ich weiß nicht, wie es so weit kommen konnte!“ Er setzte sich neben sie auf die Decke, reichte ihr die Teetasse. „Da. Trink den heißen Tee, Gloria.“ Sie schüttelte den Kopf. „Dieser Name! Er passt überhaupt nicht zu mir! Ruhm und Ehre bedeutet er, dabei habe ich weder das eine, noch das andere!“ „Du hast doch viel mehr als das: Du bist ehrlich. Du hättest mir alles Mögliche erzählen können, aber du hast dich für die Wahrheit entschieden, was sehr mutig war. Das verdient Respekt.“ Wut überkam ihm, blinde Wut auf seine Geschlechtsgenossen, die meinten, das Recht zu haben, Sex mit einer Frau zu erkaufen, wann immer sie wollten, und mit ihr dann anzustellen, was ihnen in den Kram passte. Ihre Würde mit Füßen traten. Er schämte sich für all diese Männer. Ganz aufgelöst schaute sie ihm ins Gesicht. „Und jetzt? Christoph, hast du überhaupt verstanden? Ich hab es mit Männern gemacht, und dafür Geld genommen! Ich bin eine Hure!“ „War. Das warst du“, korrigierte er. „Aber du wirst es nicht wieder tun, oder?“ „Nein! Nie wieder, Christoph! Nur über meine Leiche! Ich hasse mich selbst dafür!“ „Gut. Gloria. Süße. Du kannst weder was für deinen Namen, noch für dein Schicksal“, sprach er während er sie beruhigend hin und her wiegte, und sie sich an ihn klammerte. Sie besaß die Gabe, jedem Tag eine andere Farbe zu verpassen; mit ihr würde ihm niemals langweilig werden. Niemals könnte er sie von sich stoßen. „Soll ich meine Koffer packen und gehen?“ „Nein! Du hast doch hier deinen Platz und dein Leben! Und mich. Und wer weiß, vielleicht kommt der Tag, wo ich bei Mark das Schaukelpferd für unser Kind abhole.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)