Ein Moment von Idris (Ryousuke x Mizusawa) ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Ein paar Tage lang ist Taku gespannt ob sich irgendetwas ändert, dadurch dass Tsukimori Ryousuke entdeckt hat, dass er (möglicherweise) bisexuell ist. Aber nachdem keine Parade aufgefahren wird, Ryousuke es nicht über den halben Strand schreit und Wataru keine animierende Rede hält, wieso das total in Ordnung ist, wenn Ryousuke ein ‚Bicycle‘ ist, vermutet Taku, dass das Ganze vielleicht doch nur ein Sturm im Wasserglas war. Eine Probierpackung von „oh vielleicht bin ich bisexuell“. Mit Rückgabegarantie falls es einem doch nicht gefällt. So glücklich müsste er mal sein, denkt er, während er im Spagat auf der Matte sitzt, Yuutas Hände auf seinen Schultern, weil sie sich gegenseitig beim Dehnen helfen. Vielen Dank, aber die Probepackung an Homosexualität hat meinen Wünschen nicht entsprochen. Ich würde sie gerne umtauschen gegen ein normales Leben, danke. „Oi Captain“, sagt eine Stimme über ihnen. „Ich glaube, Wataru zerrt sich da vorne gleich was Wichtiges.“ „Was?“ Yuuta blickt auf. Taku spürt auch ohne aufzusehen wie er beginnt lautlos zu lachen. „Warte, ich mach das schon. Würdest du…?“ „Klar.“ Yuutas kleine, feingliedrige Hände verschwinden von seinem Rücken und werden durch ein neues Paar ersetzt. „Oi“, verkündet Ryousuke, während er sich hinter ihn auf die Matte kniet. „Ich bins.“ Als ob es irgendeine Möglichkeit geben würde, dass Taku NICHT gemerkt hätte, dass er da ist. „Hallo“, erwidert Taku zögernd. Möglicherweise hat sich doch eine Sache geändert, seit ihrem Gespräch im Clubhaus. Nur eine. Und nur eine kleine. Ryousuke ist plötzlich permanent… da. Es ist nicht so als ob sie sich vorher absichtlich aus dem Weg gegangen wären oder so, aber mit einem Mal hat Taku das Gefühl, egal wo er steht und geht (oder in dem Fall sitzt), er muss sich nur umdrehen und schon ist Ryousuke da, der ihn breit anlächelt oder zufällig gerade irgendetwas von ihm will. Er kann nicht behaupten, dass das schrecklich unangenehm wäre, es ist nur sehr… irritierend. „Ist das gut so?“ fragt Ryousuke. Seine gespreizten Finger ruhen auf Takus Schulterblättern ausgebreitet wie Flügel. „Soll ich fester? Oder weniger fest? Härter? Tiefer?“ Taku schnaubt, beinah gegen seinen Willen belustigt. „Vergiss es.“ „Ich lerne doch sonst nichts“, stellt Ryousuke pragmatisch fest. „Sag schon.“ Taku seufzt und wirft einen raschen Seitenblick zu den anderen, aber die sind zum Glück alle selbst beim Dehnen. „Fester“, murmelt er. Ryousuke prustet. Taku rollt mit den Augen und versucht ernst zu bleiben, während er ausatmet und sich weiter nach vorne beugt. Ein Lächeln zerrt an seinen Mundwinkeln. „Bist du zwölf?“ „Tschuldigung“, wispert Ryousuke. Gehorsam drückt er die Handflächen fester auf Takus Rücken. Seine Hände sind nicht einmal so viel größer als Yuutas, das weiß Taku auch, aber sie nehmen gefühlt so viel mehr Raum ein, dass er manchmal gar nichts anderes mehr spüren kann. Er fährt fort gleichmäßig aus und einzuatmen, während er mit den Fingerspitzen nach seinen Zehen angelt. So gleichmäßig er das eben hinkriegt, wenn Ryousuke sich mit vollem Körpereinsatz auf ihm lehnt. „Taku“, sagt Ryousuke leise und direkt an seinem Ohr, sein Kinn auf Takus Schulter. Es hat den Effekt dass er sofort Gänsehaut bekommt, instinktiv und wie ein Reflex. Niemand nennt ihn Taku. Nicht mal Yuuta, der ihn am längsten von allen kennt, nennt ihn beim Vornamen. Vielleicht liegt es daran. Daran oder an dem warmen Atem, der sein Ohr streift, weil Ryousuke das Wort ‚Intimzone‘ nicht mal buchstabieren kann und viel zu nah, zu dicht über ihm hängt, warm und schwer wie eine Bettdecke. „Wir reden eigentlich nicht beim Dehnen“, wispert er. „Echt? Ist mir nicht aufgefallen.“ Wie von selbst wandert Takus Blick hinüber zu Nippori, der lauthals mit Kaneko darüber diskutiert wo er sein Bein hintun soll und Wataru, der zappelnd unter Yuuta liegt und sich bei jeder Bewegung beschwert. Er schnaubt, beinah gegen seinen Willen belustigt. „Ihr habt damit angefangen“, korrigiert er, während er sich aufrichtet und abwechselnd einen Arm über die Brust streckt. „Eigentlich geht es dabei ums Atmen.“ Ryousuke nimmt die Hände von seinem Rücken. „Zeig mir das doch mal“, sagt er. „Mit dem Atmen, meine ich.“ Taku zögert. „Versuchst du zu flirten?“ fragt er misstrauisch und mit einem hastigen Seitenblick, ob das jemand gehört hat. Aber die anderen sind alle mit sich selbst beschäftigt. „Weil das… das geht nicht. Das hatten wir besprochen.“ „Ich versuche nur was zu lernen!“ Ryousuke hat die Augen dramatisch weit aufgerissen. Er ist ein Bild der Unschuld, was ihn gleich noch viel verdächtiger aussehen lässt. Als Taku ihn immer noch skeptisch ansieht, seufzt er abgrundtief. „Hey“, sagt er leise. „Ich mache auch nichts. Ich schwöre es. Du machst. Du hast das Sagen. Du bist der Boss.“ Es fühlt sich an wie eine Falle, und Taku ist beinah sicher, dass es eine Falle ist, aber falls es eine ist, sieht er keine Möglichkeit, wie er ihr ausweichen soll. „Okay“, sagt er zögernd. „Dreh dich um.“ Ryousuke setzt sich mit dem Rücken zu ihm, die Beine V-förmig vor sich ausgestreckt. „Du atmest ein wenn du anspannst, und atmest aus, wenn du entspannst“, zählt Taku auf. Er kniet hinter ihm und seine Hände schweben unentschlossen über Ryousukes Rücken. „Das ist eigentlich schon alles.“ „Versteh ich nicht. Zeig mal.“ „Du stellst dich jetzt mit Absicht blöde, oder?“ „Das ist total die fiese Unterstellung!“ behauptet Ryousuke eiskalt. Er legt den Kopf in den Nacken und zieht eine beleidigte Schnute, die ihn aussehen lässt wie einen Hund, der hoffnungsvoll mit dem Schwanz wedelt. Taku verdreht die Augen. Er verbeißt sich das mutwillige kleine Lächeln, das an seinen Mundwinkeln zerrt, wie fast immer wenn er in Ryousukes Gegenwart ist. „Na gut. Komm her.“ Ryousuke rutscht ihm ein Stück entgegen und Taku beugt sich vor. Er schlingt von hinten die Arme um Ryousukes Taille und legt die Handflächen auf eine Stelle unterhalb seines Rippenbogens. Ryousuke gibt ein fragendes Geräusch von sich. Es vibriert in seiner Brust und kribbelt unter Takus Fingerspitzen. „Da ist das Zwerchfell“, murmelt Taku zur Erklärung und spürt wie er rot wird. „Ah.“ „Zuerst nach links“, befiehlt er und versucht zu ignorieren wie passgenau seine Brust sich an Ryousukes Rücken schmiegt. „Beug dich vor und versuch mit der rechten Hand nach deinem linken Fuß zu greifen. Nein, nicht so. Du musst es hier spüren“, er legt eine Hand auf Ryousukes Hüfte, „nicht im Rücken.“ Ryousuke gehorcht. „Ausatmen“, sagt Taku, während er mit der Bewegung mitgeht. „Ganz langsam. Halten. Und genauso langsam einatmen.“ Er spürt wie sich Ryousukes flacher, harter Bauch langsam unter seinen Händen bewegt als er ein- und ausatmet. Sein Körper ist erhitzt unter dem weichen, pinken T-Shirt, warm und fest und verschwitzt. Es ist eine Qual, es ist unendlich grauenhaft, und gleichzeitig ist es das Beste überhaupt. „Ist das richtig so?“ fragt Ryousuke leise. „Nicht reden“, befiehlt Taku. „Nur Atmen.“ „Ich versuch es ja.“ Ryousuke atmet aus und Taku kann spüren wie die Muskeln unter seinen Händen vibrieren, als er lautlos lacht. Sein Hals fühlt sich mit einem Mal sehr eng an. „Ein“, wiederholt Taku leise. „Und aus.“ Er bewegt sich mit Ryousuke mit, die Hände immer noch auf seinem Bauch, und er lehnt so dicht auf ihm, dass er das Gesicht in Ryousukes Haaren vergraben könnte. An der Oberfläche riecht Ryousuke nach Haarspray und Deo, nach Turnschuhen und Kaugummi und Jungenumkleidekabine. Darunter schwebt sein ureigener Geruch mit, warm und frisch, salzig und süß, der in Taku freifliegende Assoziationen nach Gänseblümchen, Meersalz und Schokolade, und warmer Mittagssonne auf feuchtem Asphalt wachruft. „Ein“, flüstert Taku, während Ryousuke sich unter ihm bewegt. Sein Gesicht brennt. „Und aus…“ Er spürt wie Ryousukes Herz dumpf gegen seine Rippen schlägt, synchron zu seinem eigenen, er spürt jeden Muskelstrang, der sich unter ihm bewegt und jeden einzelnen Atemzug. Sie atmen im Gleichtakt, ein und aus, genauso wie Yuuta ihm das vor Urzeiten mal vorgemacht hat, aber damals ist das alles sehr viel technischer gewesen, viel theoretischer und nicht so. Nicht so… „Ryousuke-san…?“ fragt eine quietschige Stimme langsam. „Mizusawa-san?“ Taku erstarrt abrupt. Ryousuke, der sich überrascht aufrichtet, stößt auf halbem Weg mit ihm zusammen. Reflexartig reißt Taku die Arme von Ryousukes Taille und rutscht hastig drei Meter von ihm weg. Er fühlt sich ertappt. Nippori und Kaneko stehen vor ihnen. Beide haben den Kopf schief gelegt und betrachten sie aufmerksam. „Wir sind fertig“, stellt Kaneko hilfreich fest. „Also mit dem Dehnen. So seit fünf Minuten.“ Nippori nickt bestätigend. „Seit fünf Minuten“, echot er. Takus Kopf fliegt herum und er stellt entsetzt fest, dass die anderen bereits dabei sind sich auf der Matte aufzuteilen. „Wow“, sagt Ryousuke. Es klingt nachdenklich. Takus Herz pocht dumpf in seiner Brust. Er fühlt sich seltsam unwirklich, als ob er gerade aufgewacht ist. Seine Handflächen kribbeln, überall da wo er Ryousuke angefasst hat, wie ein Phantomabdruck. Ruckartig zieht er die Beine an und atmet tief durch. Zum ersten Mal in seinem Leben ist er dankbar, dass seine schwarze Trainingshose nicht so eng ist wie sie sein könnte. „…und jetzt los, jetzt verzieht euch schon, ihr kleinen Blutegel, wir kommen ja gleich“, sagt Ryousuke und macht wedelnde Bewegungen mit der Hand, während er aufsteht. „Shush!“ „Ryousuke-san! So gemein“ jammert Nippori, aber lässt sich gehorsam von Kaneko mit sich ziehen. Ryousuke dreht sich um und streckt Taku die Hand entgegen. „Wir hatten gerade einen Moment, oder?“ fragt er leise und Taku hat ein seltsames Déjà vu zu dem Augenblick im Clubhaus. Zögernd ergreift Taku seine Hand und lässt sich von ihm nach oben ziehen. Er fühlt sich schwerelos, so als könnte Ryousuke ihn mit einer einzigen Handbewegung durch die Decke und hinauf ins All befördern. Hat er irgendwie ja schon. „War das… okay?“ fragt Ryousuke. Taku ist nicht ganz sicher, was er meint, aber es war absolut und eindeutig NICHT okay, auf keiner Ebene war das irgendwie OKAY, großer Gott NEIN… aber vermutlich redet er nur über das Dehnen. „Du bist sehr dehnbar“, bringt er hervor und hämmert sich gleich darauf geistig mit der Hand ins Gesicht. Phantastisch. Das ist GENAU das, was er sagen wollte. GENAU das. Du bist dehnbar. „Ich meinte, du…“ Er zerrt ruckartig seine Hand aus Ryousukes. „Du kannst atmen. Das ist toll. Das wird dir viel weiterhelfen im Leben. Mach weiter so.“ Ryousukes Mund verzieht sich zu einem sanften, kleinen Lächeln, während er ihm zuhört. Es ist sonnig und entzückend, und Taku tut das Herz weh, als er es sieht. Abrupt presst er die Lippen zusammen und atmet tief durch. „Wir sollten jetzt lieber…“ Er macht eine unbeholfene Handbewegung in Richtung der Matte. Ryousuke nickt. „Ja. Aber später könnten wir…“, beginnt er eifrig. „Nein“, sagt Taku scharf, schärfer als beabsichtigt. „Nein“, wiederholt er und sieht wie Ryousukes Lächeln in sich zusammen fällt wie ein Kartenhaus. Es gibt kein später. Das ist alles schon viel zu viel, und viel zu weit gegangen. Im Training sind sie eine Katastrophe. Yuuta hat die dämliche Idee, dass Ryousuke und Taku den gemeinsamen Radschlag mal probieren könnten, wo man sich gegenseitig weiterdreht („Wir könnten das parallel machen, du und Ryousuke hier, und Kaneko und ich auf der anderen Seite, während Hino und Wataru in der Mitte mit dreifach Saltos kreuzen, siehst du, hier…“) und das ist wie erwartet ein einziges Desaster. Beide haben das schon tausend Mal gemacht (okay, Taku hat es schon tausendmal gemacht), sie können beide phantastisch Rad schlagen, aber an der Stelle wo Ryousuke nach seinen Hüften greift, fällt alles in sich zusammen. Sie stürzen ineinander, aufeinander wie ein Unfall in Dauerschleife, wieder und wieder und wieder. Nassgeschwitzte Hände rutschen von erhitzten Hüften, Takus Knie sind wie weichgekochte Spagetti und knicken unter ihm weg, Ryousuke ist steif und zappelig zugleich, und einmal fällt er beim Drehen so hart auf seinen Ellbogen, dass Taku es knacken hört, und es sieht so dramatisch aus, dass Wataru panisch über die Matte sprintet und sich auf seinen besten Freund stürzt. Im Endeffekt ist es nur ein blauer Fleck, aber es reicht um Yuutas Begeisterung für diese neue Choreographie einen gehörigen Dämpfer zu verpassen. „Ich glaube, das vertagen wir lieber auf morgen“, verkündet er am Ende, während er Wataru überwacht, der einen von Satoshi organisierten Eisbeutel auf Ryousukes Ellbogen drückt. Taku kniet ein wenig abseits auf der Matte und sieht dabei zu. Vermutlich sieht er kühl und unbeteiligt aus, aber er hat die Arme um seine Taille geschlungen, damit niemand sehen kann wie sehr seine Hände zittern. Auf eine völlig idiotische Art und Weise weiß er, dass es allein seine Schuld ist. Ryousuke ist verletzt weil Taku schwul ist, und das Schlimme ist, er hat immer gewusst, dass sowas irgendwann passieren würde. Wieso hat er ihn nicht gleich eigenhändig mit einer Eisenstange zu Tode geprügelt. Vage wird ihm bewusst, dass er vermutlich schon zu lange mit Yuuta befreundet ist, wenn er solche Gedanken hat. Es ist trotzdem seine Schuld. Wenn die anderen es niemals herausgefunden hätten, dann hätte Ryousuke niemals angefangen die andere Hälfte seiner Sexualität zu hinterfragen und dann wäre er weiterhin glücklich hinter Mädchen hergedackelt und dann wäre er nicht auf die Idee gekommen mit Taku zu flirten und dann wären sie beide jetzt nicht so durch den Wind und… Taku muss das alles im Keim ersticken, sofort. Besser heute als morgen. Das kann alles nur schief gehen. Es wird schief gehen. ‚Homo…‘ ‚Schwuchtel…‘ ‚War doch klar, dass er auf Schwänze steht…‘ ‚…weiß doch jeder seit dem Trainigscamp…‘ ‚…mich angeguckt? Ich schwöre dir, wenn du mich angeguckt hast, Homo, dann…‘ Er denkt an Ryousukes warmen Atem an seinem Ohr, an seinen sich hebenden und senkenden Bauch unter den Fingerspitzen und daran wie es klingt, wenn Ryousuke seinen Vornamen sagt. Taku… Er hört das Knacken als Ryousuke auf die Matte aufprallt. Und genauso wird es klingen, wenn sie ihm den Schädel einschlagen. Das ist es, was dabei herauskommt, wenn man denkt, dass man so etwas haben kann. Man wird umgehend dafür bestraft. Das… was immer es ist… ist nicht für Leute wie ihn bestimmt. „Siehst du?“ sagt Ryousuke in dem Moment, als hätte er seine Gedanken gelesen, und hebt seinen probeweise seinen Arm hoch und runter. Er lächelt. „Alles noch dran.“ „Ja“, bringt Taku über die Lippen, aber er kann ihm dabei nicht ins Gesicht sehen. „Es ist okay“, beteuert Ryousuke. Ist es nicht. - Im Badehaus sitzt Taku steif und still wie eine Statue in seiner Ecke und hört Yuuta zu, der mit leiser angenehmer Stimme über neue Überkreuzungstechniken plaudert, die ihm letzte Nacht eingefallen sind; und Ryousuke ist so ungewohnt schweigsam und nachdenklich, dass Wataru ihn dreimal fragt, ob wirklich alles in Ordnung ist. Einmal taucht er ihn unter, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Sie sitzen an gegenüberliegenden Seiten des Beckens und sie sehen sich nicht an. „Geh schon vor mal vor“, hört Taku ihn nachher sagen. „Ich komme nach. Nein, ich lass mich nicht verprügeln auf dem Heimweg. Jetzt geh schon.“ Taku, der bis eben getrödelt hat damit seine Klamotten anzuziehen, spürt wie sein Herzschlag sich unwillkürlich beschleunigt. Sorgfältig faltet er sein Trainingsshirt dreimal zusammen und wieder auseinander, und wartet bis Kiyama und Satoshi vor ihm fertig werden und die Umkleidekabine verlassen. Erst dann atmet er aus. Als er endlich rauskommt, als allerletzter, wartet Ryousuke auf ihn. Er lehnt unentschlossen an der Hauswand, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Als er Takus Schritte hört, hebt er den Kopf. Seine nassen Haare sind dunkler als sonst und fallen ihm offen und ungestylt in die Stirn. „Tut es noch weh?“ fragt Taku leise und deutet auf seinen Ellbogen. „Ach das.“ Ryousuke winkt ab. „Ich merk es kaum noch.“ Lügner, denkt Taku. Ryousuke hebt den Kopf und senkt ihn gleich wieder. Er räuspert sich umständlich. „Hör zu…“, sagt er leise. „Das kannst du nicht machen“, platzt es aus Taku heraus, im selben Moment als Ryousuke sagt: „Ich hab absolut keinen Plan, was hier läuft, aber ich hätte gerne mehr davon.“ Taku pausiert. „Was?“ „Was kann ich nicht machen?“ fragt Ryousuke gleichzeitig. Mich durcheinander bringen, denkt Taku mit klopfendem Herzen. Das ist nicht in Ordnung. Aber das sagt er nicht. Was er sagt ist: „Du zuerst.“ „Ich denke die ganze Zeit darüber nach, was du gesagt hast.“ Ryousuke zieht die Schultern hoch und lehnt sich mit dem Rücken an die Wand. Es sieht seltsam defensiv aus. „Dass es mit Jungs nicht das Gleiche ist wie mit Mädchen. Und ich versteh das auch irgendwie. Aber ich weiß nicht, was… oder wie… und du hast nicht gesagt inwiefern es anders ist!“ „Mädchen hauen dir nicht in die Fresse, wenn du sie anbaggerst“, sagt Taku hilfreich. „In der Regel.“ „Ja, gut, okay. Aber trotzdem… ich meine, das kann doch nicht die einzige Regel sein, wenn man auf Jungs steht? Ich meine, was ist denn dein Plan?“ „Mein… Plan?“ „Na ja, wie soll es weitergehen? Was stellst du dir vor?“ Taku starrt ihn an. Als Ryousuke abwartend zurückstarrt, schüttelt er resigniert den Kopf. „Ich werde es so lange vor meinen Eltern geheim halten wie möglich“, zählt er langsam auf. „Sie werden irgendwann verzweifeln, dass ich immer noch kein nettes Mädchen mit nach Hause gebracht habe. Dann werden sie sich irgendwann damit abfinden, dass ich einsam sterben werde.“ „Und dann?“ „Na ja, ich nehme an, dann werde ich einsam sterben.“ „DAS ist dein Plan?“ Taku nickt. „Vielleicht finde ich vorher einen Job. Da bin ich noch nicht sicher.“ „Das ist ein furchtbarer Plan!“ Ryousuke wedelt mit den Armen. „Warum…? Wieso würdest du…? Was…? WIESO…?! HAST du sie noch alle?“ Taku zuckt mit den Schultern. „Willst du nicht… keine Ahnung… mal ausgehen… oder mit jemandem flirten… oder eine Beziehung haben… oder wenigstens guten Sex?“ fragt Ryousuke fassungslos. „Rumknutschen am Strand? Händchen halten auf der Brücke? Zusammengekuschelt einschlafen? Solche Sachen.“ „Oh klar. Weil das genau das ist, was Typen wie mich im Leben erwartet.“ „Typen wie dich…?“ „Der einzige Mensch, der mich jemals küssen wird, ist meine Oma.“ „Typen wie dich?“ wiederholt Ryousuke lauter. Graue, unscheinbare Mäuse, die einen Sport betreiben bei dem man rosa Glitzeranzüge trägt und Rad schlägt und die zufällig schwul sind, stehen sicher GANZ WEIT OBEN auf der Liste von Leuten, die glückliche Beziehungen haben, flüstert die sarkastische kleine Stimme in Takus Innerem. GANZ. OBEN. „Wie auch immer“, lenkt er ab. „Ich weiß sowieso nicht, wieso du nicht einfach weiterhin mit den anderen 50% der Gesellschaft beschäftigst, die Mädchen sind. Das ist doch prima. Das würde dir so viel weniger Probleme machen.“ Und mir auch. „Weil ich dich mag, du Depp!“ platzt es aus Ryousuke heraus und es klingt als ob ihm gerade endgültig der Geduldsfaden reißt. „Das ist das, was ich die ganze Zeit versuche dir zu sagen! Und du bist halt kein Mädchen!“ Taku öffnet den Mund und schließt ihn gleich wieder. Eine Sekunde lang fühlt er sich, als ob ihm jemand in den Bauch getreten hätte. Er atmet ein und aus und es fühlt sich an wie eine Ewigkeit, in der Ryousuke ihn erwartungsvoll anstarrt. „Tust du nicht“, sagt er schließlich. „Entschuldige…?“ „Du bist einfach… verwirrt“, erklärt Taku so rational wie möglich, auch wenn es in seinem Brustkorb zieht und schmerzt wie kurz vor dem Herzinfarkt. „Ich hab dich verwirrt. Weil ich der einzige schwule Junge bist, den du kennst und du… jetzt interpretierst du da was rein. Das ist okay. Das ist normal. Du musst nur…“ „Taku…“ Er macht die Augen zu, um Ryousukes Gesicht nicht sehen zu müssen, und redet einfach weiter. „Du kannst nicht… bitte, du kannst nicht mit Sachen vor meinem Gesicht herum wedeln, die ich sowieso nie haben kann. Vielleicht ist das nur eine Phase für dich und in zwei Wochen merkst du, dass Mädchen doch wesentlich angenehmer zu daten sind als Jungen, und das ist auch okay so.“ Er zuckt hilflos mit den Schultern. „Küssen am Strand und Händchen halten auf der Brücke sind Dinge, die dir passieren werden und nicht mir, und das wissen wir beide“, sagt er leise. Als er die Augen wieder aufmacht, steht Ryousuke direkt vor ihm. Taku weiß nicht, wann er ihm so nah gekommen ist. Ryousuke sieht nicht einmal wütend aus, sondern eher so als ob ihm jemand mit beiden Händen die Kehle zusammendrückt. „Ich bin nicht verwirrt“, sagt er leise. „Du bist…“ Er kommt nicht mehr dazu diesen Satz zu beenden, denn in diesem Moment lehnt Ryousuke sich nach vorne und drückt seine Lippen auf Takus. Es ist der zarteste aller Küsse, nicht mehr als ein Hauch. Er ist eine zuckerwatteweiche, unbeholfene Lippenberührung, süß und warm, und jedes einzelne Wort, dass Taku vielleicht irgendwann mal sagen wollte, löst sich in seinem Kopf in Luft auf. Ryousukes Gesicht ist ein verschwommenes Oval vor ihm, als er langsam zurückweicht. „Oh…“, haucht Taku sprachlos. „Ich bin nicht verwirrt“, wiederholt Ryousuke. „Nicht deswegen, okay? Das ist… das ist wirklich die einzige Sache, die ich weiß. Ich MAG dich und du bist wahnsinnig süß wenn du lächelst, und wenn wir uns anfassen, ist das besser als jedes Date, was ich jemals hatte. Und ich will das alles mit dir machen, Händchen halten auf der Brücke und Küssen am Strand und noch viel mehr. Und wenn du… wenn du mich einfach nicht magst, dann sag es und ich lass dich in Ruhe, ich verspreche es. Ich flirte dich nicht mehr doof von der Seite an und wir machen keine Dehnungsübungen mehr zusammen, und ich dusche ganz viel kalt in nächster Zeit. Aber ich glaube, du hast einfach nur Angst“, sagt er leise. „Und du sagst mir nicht wieso.“ „Du verstehst es nicht“, flüstert Taku. Blut rauscht in seinen Ohren. „Es geht nicht… ich kann nicht…“ Ryousuke wartet stumm. „Es tut mir leid.“ Ryousuke seufzt. Es ist ein langes, tiefes Ausatmen und es klingt seltsam resigniert. Er greift nach seinem Rucksack und schlingt ihn sich über die Schulter, während er einen Schritt zurücktritt. Taku sieht ihm wortlos dabei zu, wie er an ihm vorbeiläuft. Schon jetzt fühlt er sich unendlich weit weg an. Als sie auf einer Höhe sind, hält Ryousuke noch einmal an, aber er dreht sich nicht um dabei. „Wenigstens kannst du jetzt nicht mehr sagen, dass der einzige Mensch, der dich je geküsst hat, deine Oma ist“, sagt er leise. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)