Weihe des Siegelschwerts (neu) von Ubeka ================================================================================ Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Jetzt ist guter Rat teuer. Das ist vermutlich der letzte Ort, an dem ich Sira vermutet hätte – in der verdammten Sammlung irgendeines Stadtwächters mit großem Interesse für antike Geschichte. Und jetzt darf ich nicht bloß tüfteln, wo Griselda und Halsänn sind und wie ich Porstellion zurückkriege, ohne dass der Kommandant durchschaut, was hier vor sich geht; nein, ich muss auch noch irgendwie das seltenste Stück seiner Sammlung befreien, ohne am Galgen zu enden. Nun ja, es steht ja nur mein Leben auf dem Spiel. "K-könnte ich mir das mal näher anschauen?" versuche ich, arglos zu klingen. Cheeta betrachtet mich eisern. Dann reicht er mir langsam die Flasche. "Sei vorsichtig," sagt er, "Ich will nicht, dass du sie aus Versehen zerbrichst und-" Mit einem dumpfen Knall prallt die Flasche auf den Dielenboden. Ich weiß nicht, was schlimmer ist: dass das eine Mal, wo ich etwas absichtlich fallen lasse, es nicht zerbricht, oder dass Cheeta mich wohl hier und jetzt köpfen wird. Ich probiere, entschuldigend zu lächeln, was meine Miene wohl eher in eine gequälte Fratze verwandelt, hinter der ich am liebsten lautlos schreien würde. "Du Trottel!" schimpft er, "Wo ich dir grade noch gesagt habe, dass du aufpassen sollst!" Er hebt die Flasche auf, um das Glas zu putzen und auf Kratzer zu prüfen. Mit einem Hauch Belustigung meint er, "Hast meinen kleinen Gast hier offenbar auch zur Weißglut gebracht. Das Ding schwirrt herum wie 'ne Hummel." Das Ding wird mir später vermutlich noch einen guten Stich verpassen, wenn ich mir nicht schnell was einfallen lassen. Mir kommt jedoch kein einziger Einfall. Der lässt mich so schnell nicht wieder an seine Sammlung, das steht fest. "Ähm... was essen Víly eigentlich? Ich meine, füttert Ihr sie?" Sein Blick gleitet von Sira zu mir, ein wenig verwirrt. "Sie?" wiederholt er mit gerunzelter Stirn, "Woher willst du wissen, dass das ein Weibchen ist?" Verdammt... "Nun... s-sind sie das nicht alle? Ich meine, mal ein oder zwei Geschichten über die Víly gehört zu haben. Wie sie, ähm, Junggesellen in den Wald locken, um sie zu heiraten, und dann morgens wachen sie auf und sind verflucht, auf ewig an ihrer Seite zu bleiben." Und noch ein Dutzend anderer Sagen, die ich zuhause gelesen habe, in einem. Mir ist heißer als in einer Kolpher Esse und ich könnte schwören, am ganzen Leib zu schwitzen. Cheetas Miene indes ist wie eingefroren in Verwirrung. "Was für Geschichten erzählt man sich bitte, wo du herkommst? 'Ne Mücke, die einen Menschen heiratet?" "Wisst Ihr das etwa nicht?" Ich schnappe mir das Glas, um dorthin zu zeigen, wo vermutlich auch der Hintern der echten Sira ist, nicht nur der ihrer Projektion. "Der Stachel hier beinhaltet ein Gift, mit dem sie Leute dazu bringen können zu halluzinieren. Deswegen denken die Männer dann, sie würden eine wunderschöne, normal große Frau heiraten. Geht jedoch selten gut aus." Besonders, wenn alle Víly so unheimlich nett sind wie Sira manchmal. Wenn das eine wahre Geschichte wäre, müsste ich mich wirklich fragen, ob diese Kerle auch nur einmal mit ihren Verlobten gesprochen haben. Wenigstens Cheeta scheint langsam überzeugt. Er spricht, "Hm... doch, ich glaube, davon gehört zu haben. Man sagt auch, dass fünf solche Stiche töten können." Er schmunzelt. "Bin weder auf das eine noch das andere scharf. Aber gut, dass du mich erinnerst, dass ich meinen Schatz hier versorgen sollte, wenn ich ihn wirklich als meinen Glücksbringer mit mir führen will. Danke." Er streckt mir seine Hand entgegen. "Und jetzt gib mir bitte die Flasche zurück, bevor du sie noch mal fallen läs-" Und da versuche ich erneut, es wie einen Unfall aussehen zu lassen, dass das Glas mir aus der Hand rutscht. Und schon wieder denkt es nicht mal dran, auch bloß zu springen! Ihr Götter, was hab ich euch nur getan?! Und was wird Cheeta gleich mit mir machen? Sein Kopf ist mit einem mal rot wie ein praller Apfel. "Verschwinde. Sofort," knurrt er, "Oder ich überlege mir zwei mal, einen Vollidioten wie dich mitzunehmen." Ich wage nicht, etwas darauf zu erwidern, nicht ein mal eine Entschuldigung, sondern entferne mich schnell und leise aus seinem Arbeitszimmer. Vielleicht ist da doch was dran an meiner ausgedachten Geschichte: Víly bringen Unglück. [align type="center"]* * *[/align] Bis zum Abend schlage ich die Zeit tot, indem ich mich in der Kaserne umschaue. Ich gucke den paar Männern und Frauen, die nicht nach Halsänn und Griselda suchen, zu, wie sie halbherzig fechten oder sich um die Pferde kümmern. Schließlich lasse ich mich auf einer kleinen Stützmauer nieder und verzweifle halb über meiner aktuellen Lage, während der ein oder andere Reiter die Kaserne betritt und wieder verlässt. Gerade, als ich schon wieder kurz davor bin, diesen ganzen Mist zur Hölle zu wünschen, kommt Cheeta plötzlich aus seinem Arbeitszimmer und ruft mich herbei. Was will der denn jetzt? Als ich zu ihm hinübergehe, erwartet er mich mit einem listigen Lächeln in seinem hageren Gesicht. Er redet gar nicht erst lang um den heißen Brei herum, sondern offenbart sogleich "Ich hoffe, du bist bereit, Bursche. Wir haben eine Spur!" Die sogenannte Spur entpuppt sich als die kläglichen Überreste eines verlassenen Bauernhofes außerhalb der Stadt. Während wir im rosa Zwielicht des Sonnenuntergangs den Hügelrücken emporkraxeln, schälen sich langsam die Grundmauern der Wohnstube aus dem Gras. Vom Dach des Stalls fehlt die Hälfte, während der Großteil der Westmauer nur noch ein Haufen Geröll ist. Inmitten der kniehohen Halme klafft ein schwarzer Fleck wie das offene Maul eines Ungeheuers, das auf achtlose Beute hofft. Von Nahem betrachtet stellt sich heraus, dass es ein ausgetrockneter, überwucherter Brunnen ist. Als wir näher kommen, tritt ein Wachmann aus dem Schatten eines gekrümmten Olivenbaums, um uns zu empfangen. "War irgendwas?" fragt Cheeta ihn. "Keine Anzeichen von Leben. Niemand kam her, keiner ist weggegangen. Auch sonst ist nichts passiert." "Alles klar. Ihr könnt gehen, wir übernehmen hier." "Aber, Kommandant, was wenn-" Cheeta funkelt ihn böse an. "Ich hab gesagt: Ihr könnt gehen. Gönnt euch 'nen Schluck oder helft den anderen, die Barracken aufzuräumen, aber lasst uns allein." "Jawohl, Kommandant!" Der Wächter salutiert und eilt davon. Was war das denn grade? "Siehst du das?" fragt Cheeta indes mit einem Fingerzeig auf ein paar Stellen, wo das Gras niedergetreten ist. "Jemand war hier." "Eure Männer, oder?" "Nie im Leben. Die haben sich nur nahe an den Wänden bewegt, um unauffällig nachzuschauen, ob jemand da ist. Aber sieht nicht so aus." "Warum sind wir dann überhaupt hier?" Cheeta seufzt entnervt. "Um nach Hinweisen zu suchen natürlich, du Hohlkopf! Dieser Hundesohn Halsänn und das Mädchen mögen nicht mehr hier sein, aber vielleicht haben sie was dagelassen, was uns sagt, wo sie hin sind. Also los, schau im Stall nach! Ich bin bei den Schlafstuben." "Jawohl, Kommandant," äffe ich leise den Wächter nach und verdrehe die Augen, während ich zu dem halb aus den Angeln gebrochenen Tor des Stalls trotte. Als ob die zwei irgendwelche Spuren hinterlassen haben. Ja, genau, bestimmt ist Porstellion da drin und wartet bloß auf mich. Ich erstarre, als ich ein leises Schnauben hinter der Pforte vernehme. Nein... das muss ich mir eingebildet haben. Und dies mal ist es auch keine tatsächlich existierende Víla. Ich erreiche das Tor und öffne es unter langgezogenem, lautem Knarzen und schrillen Kreischen der rostigen Scharniere. Eine Klinge aus Licht fährt langsam ins Dunkel des Stalls. Aber nicht überall mag sie durch die Schwärze schneiden, denn eine große Kreatur mit dunklem Fell wartet im Inneren. Und starrt mich so anteilnahmelos an wie immer. "Porstellion!" rufe ich voll Überraschung. Seh ich richtig? Er ist es wirklich! Das ist mein Sattel und mein ganzes Zeug auf seinem Rücken! Ich könnte dem Gaul um den Hals fallen. "Endlich hab ich dich gefunden!" "Ah, das ist also das Pferd, das meine Leute erwähnt haben." Ich springe auf vor Schreck, als Cheeta plötzlich hinter mir steht. Er ignoriert mich jedoch, geht stattdessen langsam zu Porstellion hinüber und kramt in den Satteltaschen. Mein ganzer Körper verkrampft sich. Ich kann jetzt nicht reinen Tisch machen, aber verdammt noch mal, Porstellion, kannst du nicht wenigstens auf den Fremden neben dir reagieren?! Plötzlich hört Cheeta auf, den Inhalt der Taschen zu durchwühlen. "Interessant," sagt er lauernd, "Halsänn hat ganz schön was gelernt auf der Flucht." Seine Augen liegen plötzlich auf mir, funkelnd wie zwei scharfe Stahlspitzen. "Wusste gar nicht, dass man in der Königsbraut das Lesen lernt." Er dreht sich vollends herum. "Ich hab da vorhin wohl ein paar Fragen vergessen: Wo sind eigentlich diese Bücher, die du abliefern solltest? Du trägst sie nicht bei dir, wie ich sehe. Hast du dir ein Zimmer in einem Gasthof genommen, wo sie jetzt sind? Welches Gasthaus ist es? Was dagegen, wenn ich meine Männer mal dort nachsehen lasse, um zu sehen, ob auch nur ein einziges Wort, das du mir erzählt hast, wahr ist?" Jede Frage drischt wie eine Keule auf mich ein, jedes mal mit mehr Wucht geschwungen. Schließlich bricht mein Schild ein und ich senke meinen Kopf. "Sie sind... in den Satteltaschen. Das Pferd gehört mir-" Ich bin noch nicht mal fertig, da packt Cheeta plötzlich einen Speer aus den dunklen Eingeweiden des Stalls und schlägt mir mit dem Schaft auf die Finger. Ich schreie auf, meine Knie geben nach unter dem Schmerz. Kin, tut das weh! Cheetas Stimme verpasst mir noch eine Ohrfeige, "Du hast mich lange genug zum Narren gehalten!" Mit einem mal steht er direkt vor mir, packt mich am Hals und reißt mich nach oben. Seine Finger fühlen sich eiskalt an, dürr und lang wie die Fasern eines Stricks, der sich langsam um meinen Hals zuschnürt. Ich könnte schwören, dass seine Fingerspitzen sich in meinem Nacken bereits berühren, als er aus dem Stall tritt, langsam auf den alten Brunnen zu. Ich muss gar nicht hinunterschauen, um zu wissen, dass ich direkt über seinem gähnenden Schlund hänge. Es ist um einiges dunkler geworden. "Du hast den nichtsahnenden Jungen nicht schlecht gespielt, muss ich zugeben. Hast nicht mal besonders misstrauisch ausgesehen, als wir hierher gekommen sind," zischt Cheeta, wobei seine verfärbten Zähne fest aufeinandergebissen sind. Sein Zahnfleisch sieht aus wie hängengebliebene Fleischfetzen des letzten Narren, der ihn für dumm verkaufen wollte. "Ich geb dir eine letzte Chance, ehe ich dich da runterschmeiße. Wo ist das Mädchen?" "Ich... ich weiß es wirklich nicht!" krächze ich. "Nun, dann wird auch keiner wissen, wohin du gegangen sein wirs-" "Ich bin den beiden gefolgt...! Wegen eines Wiedergängers, den ich gesehen habe...! Er war hinter ihnen her!" Cheetas Griff wird lockerer, seine Augen weiten sich erschrocken. "Hab sie zufällig getroffen... und zwei und zwei zusammengezählt, so wie sie sich benommen haben. Am nächsten Morgen sind sie mit meinem Pferd abgehauen... aber Griselda wollte, dass ich hierher komme. Sie wollte mir alles erklären!" Cheetas Finger sind plötzlich ganz zittrig, doch ich halte seine Hände an meinem Hals. Sonst plumps ich noch da runter, nur weil er ganz überrascht ist. "Und... jetzt kann ich's ja sagen: die Víla, die ihr gefangen habt... ist meine Begleiterin!" Cheetas Miene ist eine Mischung aus Überraschung, Wut... und Belustigung? Er fängt an zu lachen. "W-was ist so lustig?!" frage ich. "Du, Junge. Du bist der beste Witz, der mir je untergekommen ist. Aber wenigstens warst du dies mal ehrlich. Die Götter mögen's dir vergelten!" Er schmeißt mich plötzlich ins Gras. Ich kann nicht mal versuchen, mich auf den Rücken zu drehen, ehe sein Stiefel mich tiefer in den Dreck drückt. Was wird das denn jetzt?! "Vielleicht merkst du dir fürs nächste Leben, dich aus den Angelegenheiten anderer Leute rauszuhalten." Ich warte nicht ab, was passiert, sondern packe mir verzweifelt einen Hand voll Dreck, drehe mich herum, soweit es sein Fuß erlaubt, und schleudere sie blind in Richtung seines Gesichts. Der Druck seines Stiefels lässt ein bisschen nach, als ich tatsächlich treffe, und ich drücke mich hoch, um flugs zur Seite zu rollen. Kurz spüre ich einen brennenden Schmerz, als die Klinge des Speers meinen Hals streift. Nur ein bisschen langsamer und er hätte mich aufgespießt! Ich springe auf, wobei ich Cheeta genau vor die Brust knalle und ihn zum Stolpern bringe, und weiche gleich aus, ehe sein Speer mich erreichen kann. Endlich kann ich mein Schwert ziehen. "Du Rotzlöffel!" brüllt Cheeta, während er sich auf mich stürzt, den Speer wie eine Lanze haltend. Mit einem Ausfallschritt lasse ich seinen Stich ins Leere gehen und greife selbst an. Komm schon, ich kann ihn erwischen, bevor- Da trifft mich der Schaft am Hinterkopf. Kurzzeitig sehe ich nichts als Sterne. Ich stolpere, Cheeta bringt mich zu Fall und schon bin ich wieder am Boden, ihm schutzlos ausgeliefert. Von wegen! Ich rolle aus seiner Reichweite und rapple mich im selben Atemzug wieder auf. Dies mal bleibt er auf Abstand. Langsam umkreisen wir einander. Zeit genug, ein paar Worte los zu werden, "Ihr steckt also mit dem Wiedergänger unter einer Decke." "Du weißt gar nichts, Bürschchen." "Genau darum bin ich hier. Um rauszufinden, wer hinter alledem steckt. Was wollt Ihr wirklich von Halsänn und Griselda?! Und sagt nicht wieder, sie seien Vogelfreie." "Und sie sind es doch. Mehr brauchst du aber nicht zu wissen. Hehehe, du bist ahnungsloser als ich dachte. Ich könnte mich ausschütten darüber, wie dumm du bist." "Ich glaub nicht, dass ich das ertragen würde, Eure ekelhafte Stimme noch länger zu hören." "Gut, das wirst du nämlich auch nicht!" schreit er da und fällt mich erneut an. Meine Knöchel brennen vor Schmerz von dem Schlag vorhin, als ich das Heft fester greife und seinen Streich pariere. Ich höre noch das dumpfe Geräusch, als der Schaft von meiner Klinge abprallt, als Cheeta herumwirbelt und mich von rechts angreift. Nichts bewahrt mich davor, dass er mir das harte Holz übers Bein zieht. Nach hinten stolpernd entkomme ich einem weiteren Stich nur um Haaresbreite. Da prallt meine Ferse plötzlich an einen Stein. Der Rand des Brunnens! Oh nein! "Und runter mit dir!" lacht Cheeta triumphierend, ehe er den Speer nach vorne stößt. Verflucht, mir bleibt nichts anderes übrig, als mich fallen zu lassen, sonst durchbohrt er mich! Aber der kommt mit mir! Ich packe den Speer direkt unter der Klinge und zerre Cheeta mit mir. Er will loslassen, doch ich bekomme seinen Arm zu fassen und reiße ihn mit hinab in den Schlund in einem Knäuel aus blind um sich schlagenden Gliedmaßen. Der Aufprall kommt später als erwartet. Schlagart werde ich daran erinnert, wo oben und unten sind, als ein lautes Bums und mehrfaches Knacken mir die Haare zu Berge stehen lassen. Einen Augenblick lang bin ich von den Schmerzen überwältigt, im nächsten schlage ich meine Augen auf und bin umgeben von nichts als Schwärze und Stille. Bin... bin ich tot? Da trifft ein Wassertropfen meine Nasenspitze und ich schaue gequält auf – oder zumindest dorthin, wo ich denke, dass oben ist. Ich sehe den dunklen Himmel, kaum zu erkennen am Ende eines langen Schachts aus moosbewachsenen, dunklen Ziegeln. Also bin ich doch noch im Brunnen und nicht in der Unterwelt. Ich lebe noch! Ich hab den Sturz überlebt! Ein wenig angeschlagen, aber ich spür noch all meine Gliedmaßen, wenn auch nicht allzu angenehm. Aber was ist mit Cheeta? Wo ist dieser Hurensohn?! Verflucht, ich kann kaum was sehen, aber ich glaube, das da unter mir ist seine Uniform. Schätze, er hat das meiste abbekommen von dem Sturz und das war sein Rückgrat, das da gebrochen ist, nicht meins. Tja, wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Man, ich schulde den Göttern ein Riesenopfer, wenn ich das nächste Mal an einer Loquie vorbeikomme! Ich kämpfe mich langsam hoch. Fast rutsche ich dabei auf dem leblosen Cheeta aus, als meine Beine sich vehement beschweren, dass ich sie so früh schon wieder benutze. Ich verpasse dem alten Sack einen Tritt, um etwas mehr Platz zu haben. Als er auf die Seite rollt, bemerke ich einen schwachen Lichtschein im Brunnen. Das muss Sira sein! Er hat sie wirklich als Glücksbringer mitgeschleppt. Ich hab doch nur gescherzt, als ich gedacht habe, dass Víly Pech bringen. Vielleicht sollte ich sie bei ihm lassen, sonst geh ich nächstes Mal wirklich drauf, wenn ich in einen Brunnen plumpse. Nein, sowas würde ich nicht tun. Also löse ich die Flasche aus Cheetas Gurt und löse den Korken, um Sira freizulassen. Ihr Licht scheint mit einem mal gar doppelt so hell, als sie aus dem Flaschenhals schlüpft und erst mal ein paar wilde Runden fliegt. Sie ruft, "Endlich! Um Olphes Willen, einen Augenblick länger in dem Ding und ich hätte versucht, mich durch das Glas zu fressen! Urgh, hast dir ja Zeit gelassen, was, Marin?" "Ich bin auch froh, dich wiederzusehen, Sira," entgegne ich trocken. "Oh, keine Sorge, ich bin dir ja dankbar. Aber ich glaube, du musst mir erst mal erklären, wie du mich überhaupt gefunden hast und wieso wir hier sind und wo das überhaupt ist, und warum liegt da ein Toter zu unseren Füßen?" "Ich werd viel Zeit haben, dir das alles zu erklären," seufze ich, während ich zusehe, wie das andere Ende des Brunnenschachts sich zunehmend verdunkelt, "Denn das wird 'ne Weile dauern, da hochzuklettern... falls wir überhaupt das Glück haben, hier rauszukommen." "Ich könnte hochfliegen und Hilfe holen! Vielleicht ist Phentos noch da und-" "Und was, wenn du wieder geschnappt wirst?" "He, das ist ja wohl nicht meine Schuld! Wie wahrscheinlich ist es, plötzlich in eine Flasche gesteckt zu werden?!" "Ist ja gut. Trotzdem... wir... rufen besser niemanden. Uns steht das Wasser längst bis zum Hals. Und wenn uns jemand hier sieht, war's das. Das ist..." Ich ziehe scharf die Luft ein, ehe ich mich verbessere, "Das war der Kommandant der Stadtwache. Den erkennen sie sofort." "Großartig... du hast also einen Wachmann getötet?!" "Er steckt mit dem Wiedergänger unter einer Decke und wollte, dass ich ihn zu Griselda und Halsänn führe! Als ich ihm erzählt hab, was in Welsdorf passiert ist, hat er sofort versucht, mich umzubringen!" Kurz kehrt Stille ein. "... Ich hatte keine andere Wahl. Ich wollte ihn nicht töten, aber... nun, er hat dich gefangen gehalten. Und wer weiß, was er mit Griselda gemacht hätte?" "Schon gut Marin. Es... es tut mir leid, das ist bloß alles ein wenig viel auf einmal. Und ich konnte dir nicht mal irgendwie helfen. Dabei hat Simmias mich genau deswegen gebeten, mit dir zu gehen!" "N-nein! Dich trifft keine Schuld, Sira! Wir konnten ja beide nicht wissen, dass die Stadtwache mit drin stecken würde. Was auch immer los ist in Cardighna... wir sind gefährlich nah dran, es rauszufinden." "Dann lass uns gehen. Wir müssen Griselda finden und reinen Tisch machen. Denkst du, du schaffst es irgendwie, da hoch zu klettern?" "Ich glaube-" Ich verstumme sogleich wieder. "Was ist?" fragt Sira. "Hörst du das nicht? Ich dachte, ich hab grad irgendwas gehört... und, aber da könnte ich mich irren, da ist ein Luftzug, oder?" Ich taste den Brunnen dort ab, wo ich meine, etwas gehört zu haben. "He, da ist eine Fuge zwischen den Steinen!" Sie ist breit genug, um meine Finger hineinzustecken. Just in dem Moment ertönt ein Klicken und ein Teil der Wand schwingt plötzlich wie eine Tür nach innen, um eine dunkle Passage preiszugeben. Sira fliegt etwas näher heran und überlegt, "Ob's da nach draußen geht?" Ich habe noch einen besseren Einfall, "Das könnte das perfekte Versteck sein. Das würde erklären, wieso Porstellion da oben in dem Stall neben dem Brunnen war." "Oh, also haben wir schon mal den Gaul wieder." "Und gleich auch die zwei Gauner, die ihn mitgenommen haben," sage ich und dringe in den langen Gang vor. Ich bin froh, Sira endlich wiederzuhaben – jetzt grade ganz besonders, weil ich nun wenigstens ein bisschen Licht habe, um die Gänge zu erkundigen. Je weiter wir uns vorwagen, umso weniger erinnern die Ziegelwände an die bröckligen, rauen Steine des Brunnens. Stattdessen sind sie verziert mit detailreichen Reliefs. Sie zeigen scharf gezeichnete Bilder von Männern und Frauen, deren Gesichter mit allen Arten von feinen Mustern überzogen sind. Hätte ich bloß die Zeit, sie mir genauer zu besehen und herauszufinden, was es damit auf sich hat. Schon bald weitet die Passage sich zu einem kalten, niedrigen Gewölbe, dessen Boden aus dunklen, gemusterten Fließen besteht. Ich hab keine Ahnung, wie alt dieses Bauwerk sein mag, aber diese Spuren in der dicken Staubschicht auf dem Boden sind mit Sicherheit noch nicht mal eine Woche hier. "Das ist ja einfacher als ich zu hoffen gewagt habe," grinse ich. "Ich bin grad nicht zu allzu großartigen Hoffnungen aufgelegt," meint Sira. Mit einem Schulterzucken folge ich den Spuren in einen weiteren Korridor, der fast genauso aussieht wie der erste und in ein weiteres Gewölbe führt, welches vollkommen leer ist. Auf den ersten Blick, denn plötzlich werde ich von hinten gepackt und ein dicker Lederhandschuh legt sich über meinen Mund, als ich versuche, mich aus dem kräftigen Griff des Mannes zu befreien. "Oh, verfluchte Scheiße!" zischt er, als er mich erkennt. Oh, hurra. Es ist Halsänn. Juhu. Da erspähe ich noch jemandem in der Dunkelheit, die einen Augenblick später dem hellen Schein einer Lampe weicht. Das ist ja Griselda! Ich hab sie kaum richtig gesehen auf dem Bauernhof, merke ich grade. Jetzt erst sehe ich wirklich ihr schillerndes, braunes Haar, so dunkel wie ihre großen, überraschten Augen. Das Licht der Lampe strahlt sanft von ihrer gebräunten, olivfarbenen Haut wider. "Marin!" ruft sie ihre Freude heraus, "Du bist tatsächlich hier!" Ich versuche etwas zu erwidern, doch ich bringe nichts als gedämpftes Gemurmel heraus, während ich altes, trockenes Leder zu schmecken kriege. Griselda wirft Halsänn einen zurechtweisenden Blick zu. "Nun lass ihn schon los! Ich hab doch gesagt, er ist harmlos." "Oh, und ich soll wohl glauben, er ist zufällig über unser Versteck hier unten gestolpert? Das machen keine harmlosen Leute und das weißt du." Ich probiere noch einmal, mich durch seinen Handschuh zu erklären. Griselda schnaubt, "Lass ihn wenigstens sprechen!" Widerwillig gibt Halsänn ihr nach und gibt meine Lippen frei. "Danke," huste ich, "Und um ehrlich zu sein, war das wirklich mehr Glück als alles andere, dass ich euch zwei gefunden habe. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass ich tatsächlich hier rein gestolpert bin." Ich winde mich etwas in Halsänns Armen, um ihn mit dem giftigsten Blick zu bedenken, den ich auf Lager habe. "Danke übrigens, dass ihr euch so wunderbar um Porstellion gekümmert hab. Bin ich froh, dass er noch an einem Stück ist und ihr ihn nicht hier unten zu Eintopf verarbeitet habt." "Es tut mir schrecklich leid, was wir getan haben. Wirklich," sagt Griselda, bemüht, mir ins Gesicht zu sehen, "Wir... haben versucht, wegzukommen. So schnell wie nur irgendmöglich." "Ich weiß. Weg von einem Untoten und einem verrückten Kommandanten der Stadtwache, der mich fast umgebracht hätte, weil ich nach euch gesucht habe." Sie beide starren mich schockiert an, doch ich fahre fort, "Ihr seid durch Doarnb gekommen, nachdem ihr die Salzader überquert habt, nicht wahr? Ich bin eurem Verfolger im Wald begegnet und der hat sich einfach mal als ein Wiedergänger entpuppt, der fast meine Schwester getötet hätte!" "Der Orden der Armen Ritterschaft zu Doarnb hat uns hergeschickt, um herauszufinden, was das alles zu bedeuten hat," fügt Sira hinzu, "Und wir hätten gerne endlich ein paar Antworten! Und vielleicht könnte dieser Edelmann hier zur Abwechslung auch mal beteuern, wie leid es ihm tut, unser Pferd entwendet zu haben!" Ich verstehe nicht ganz, was Halsänn darauf erwidert, aber wenigstens lässt er mich endlich los. Griselda hat indes die Lampe in der Mitte des Kellers platziert und sich auf einer in Stein gehauene Sitzbank an der Wand niedergelassen. Sie starrt auf ihren Schoß, wo ihre Hände nervös zittern. "Ich... ich weiß nicht ganz, wo ich am besten anfangen sollte..." "Nun, vielleicht damit, warum die euch verfolgen," schlägt Sira vor, woraufhin Griseldas Miene nur noch verzweifelter wirkt. Ihre Lippen beben, öffnen sich zögernd und schließen sich sofort wieder, nicht sicher, was sie sagen sollen. Sira seufzt, "Du weißt schon, dass du uns Antworten versprochen hast, oder?" "D... das ist mir bewusst. Aber..." Sie schüttelt den Kopf. "Ach egal. Wenn ihr es wirklich wissen wollt, werde ich euch alles erklären. Aber könntet ihr... euch für einen Augenblick abwenden? Und mich nicht ansehen, ehe ich es euch erlaube?" Moment, wieso will sie, dass wir- "Dreh dich um, Marin," sagt Sira. Ich schaue sie verwirrt an, dann Griselda, die mehr und mehr errötet. "Na los, tu doch einmal, was ich dir sage!" "Ist ja gut!" schnaube ich und wende mich mit verschränkten Armen ab. Halsänn tut es mir gleich, während er den Eingang im Auge behält. Während wir so hier stehen und warten, schnappen meine Ohren ein sanftes Rascheln auf wie von... Stoff, der zu Boden fällt? Woah, Augenblick mal! Die... die zieht sich doch nicht plötzlich aus, oder?! Will sie deswegen, dass wir wegschauen? Aber warum würde sie jetzt... was hat das damit zu tun- "Ihr mögt euch nun wieder mir zuwenden. Verzeiht diese Verzögerung." Ich weiß nicht, was mich gleich erwartet. Es scheint Jahre zu dauern, mich herumzuwenden, bis ich sie wieder sehen kann. Vollständig angekleidet wie zuvor, jedoch plötzlich mit einer gedunkelten Schriftrolle in ihren Händen. Ich schaue das Pergament fragend an. "Das ist der Grund dafür, dass wir verfolgt werden," erklärt Griselda, "Ich wage nicht, dieses Schriftstück irgendwo anders aufzubewahren als direkt an meinem Leibe. Es darf ihnen nicht in die Hände fallen!" "Was... was ist denn so besonders an dieser Schriftrolle?" frage ich, nach wie vor etwas peinlich berührt. "Es ist eine Prophezeiung. Und du tauchst auch in ihr auf, Marin." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)