Vom Winde verweht von Jeleane (Wohin der Wind uns trägt) ================================================================================ Kapitel 1: Traumfänger ---------------------- E I N S Wir alle verbrachten unser Leben im tiefsten Innern einsam und allein. Ganz gleich, wie viel wir mit den Menschen teilten, die wir liebten, irgendetwas hielten wir stets zurück. Manchmal war es eine Kleinigkeit,­ zum Beispiel, wenn eine Frau sich an eine heimliche, längst vergangene Liebe erinnerte. Sie erzählte ihrem Gatten, sie hatte keinen Mann inniger geliebt als ihn, in ihrem ganzen Leben nicht – und das stimmte auch. Allerdings hatte sie einen anderen Mann genauso sehr geliebt.  Manchmal war das Geheimnis in unserem Innern etwas Riesiges und Düsteres – ein Ungeheuer, das direkt hinter uns lauerte und dessen heißen Atem wir zwischen den Schulterblättern spürten. Ein Beispiel: Ein Student erlebte auf dem College, wie eine Frau von mehreren Kerlen nacheinander vergewaltigt wird, doch unser Student sagte kein Wort, zu keinem Menschen. Jahre später wird er Vater einer Tochter. Je mehr er sie liebte, desto größer wurden seine Schuldgefühle. Trotzdem wird er seine inneren Qualen niemandem anvertrauen. Er wird eher Folter und Tod erleiden, als die Wahrheit sagen.  In tiefster Nacht ­in den Stunden, wenn jeder von uns alleine war, kamen diese alten Geheimnisse und klopften bei uns an. Einige klopften lautstark; andere leise, kaum vernehmlich. Doch ob laut oder leise, sie kamen. Keine verschlossene Tür konnte sie aufhalten. Sie hatten den Schlüssel zu unserem Innersten. Wir redeten mit ihnen, bettelten sie an, wir verfluchten sie, schrieen sie an. Wir wünschten uns, mit jemandem über diese Geheimnisse reden zu können, sie jemandem anvertrauen zu können, nur einem einzigen anderen Menschen, um ein klein wenig Erleichterung zu finden. Wir wälzten uns im Bett hin und her, gingen im Zimmer auf und ab, nahmen Drogen oder heulten den Mond an, bis endlich der Morgen dämmerte. Mit dem neuen Tag verstummte das Jaulen und Kreischen unserer dunklen Geheimnisse; sie kapselten sich wieder ein in unserem Innern, und wir taten unser Bestes, mit ihnen weiterzuleben. Der Erfolg bei diesem Unterfangen hang von der Art und Größe des Geheimnisses ab und dem, der es in sich trug. Nicht jeder war dazu geschaffen, mit Schuld zu leben. Jung oder alt, Mann oder Frau, jeder hatte Geheimnisse. Das hatte ich gelernt. Das hatte ich erfahren. Ich wusste es von mir selbst.  Jeder. »Sakura?« Ich blinzelte und schob meine Gedankenkette für den Bruchteil einer Sekunde beiseite. Ich würde mich später über das Leben weiter echauffieren müssen. »Hast du mir überhaupt zugehört?« Nein. »Ja. Wieso fragst du?« »Du sahst vorhin so abwesend aus.« Ino, meine beste Freundin und gleichzeitige Klassenkameradin, hob ihre beiden Augenbrauen hoch. Sie waren feinlich, etwas dünner als meine. »Ist wirklich alles in Ordnung?« Ich nickte. »Alles gut«, log ich, ohne rot zu werden. »M-hmm, klar», flüsterte sie ungläubig. »Dann kannst du mir auch mit Sicherheit die Ursache und Symptome von Trisomie 21 erklären.« Ich konnte ihr scheinheiliges Grinsen bereits schon von zweihundert Metern aus erkennen. »Du pausbäckiger Teufel.« Sie lachte. Ihr Kichern klang schön erfrischend in meinen Ohren, doch leider überhaupt nicht passend zu meiner vorherige Aussage. »Süße, ich will nun wirklich nicht ein auf Streber tun, aber wenn du das Thema nicht kannst, wirst du die Arbeit verhauen. Denk dran, dass Theorie-Praxis-Gesundheitsförderung unser Hauptfach ist und wir da keine schlechte Note haben dürfen.« »Ja, Miss Neunmalklug.« Ich verdrehte die Augen. »Ich meine es ernst.« »Dito.« Ino blinzelte. »Wenn du die Klausur verkackst, dann –« »Bleibe ich sitzen, ich weiß.« Ich seufzte, war aber gleichzeitig genervt von Inos Bemutterung, ersparte mir jedoch einen Augendreher. Ino sollte nicht wissen, dass ich manchmal ihre Art nicht leiden konnte. Es war schön, dass sie sich Sorgen um mich machte, aber dieses ganze Jetzt lerne endlich Getue ging mir allmählich auf den Senkel. Ich lehnte mich am Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, versuchte dabei, mich zu entspannen. Mir fiel auf, dass die Lehrerin noch gar nicht aufgetaucht war. »Was haben wir jetzt für ein Unterricht?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln. Die angespannte Atmosphäre zwischen uns beiden sollte wie eine Piñata zerplatzen und bunte Süßigkeiten regnen lassen. »Ernährung und Hauswirtschaft«, antwortete Ino, und ich konnte aus ihrem Tonfall erraten, dass sie ein wenig verdutzt war. Wortlos packte ich meine Sachen zusammen und schulterte lässig meine beigefarbene Tasche. Ich spürte sehr wohl Inos Blick auf mir, ihre Augen verfolgten jeder meiner kleinsten Bewegung. Und dann realisierte sie es: »Du willst schwänzen?!« Meine Antwort bekam sie, als ich die Klasse verließ. Sitzenbleiben hin oder her, Lust auf zwei Unterrichtstunden mit Anko hatte ich jedenfalls nicht. Doch weit kam ich nicht mehr, denn Ino hielt mich auf, indem sie mich an der Schulter packte und mich nach hinten zog, sodass ich gezwungen wurde, ihr in die Augen zu schauen. »Was soll denn der Mist, Sakura?! Du weißt ganz genau, dass Ms Mitarashi austicken wird, wenn du schon wieder nicht zu ihrem Unterricht erscheinst! Ist dir eigentlich bewusst, dass du mehr als zehn unentschuldigte Fehlzeiten hast?« Dumme Frage. Natürlich wusste ich das. Aber interessierte mich das? Nein. Ich seufzte. »War's das?« Plötzlich wirkten ihre Augen so verschleiert, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. Doch wieso sollte sie bei solch einer unpassenden Situation weinen? Das machte doch keinen Sinn. Irgendwann ergab sich meine andere Hälfte. »Tut mir leid«, sagte ich, und mein Tonfall hatte sich verändert. »Ich bin heute einfach nur schlecht gelaunt, und auf Streit habe ich erst recht keine Lust.« Ino brach den Augenkontakt ab und brachte ein kleines Nicken zustande. Dann fing sie an, mich anzulächeln. Aber es war nicht echt. Ich wusste es einfach. »In Ordnung. Ich sage Ms Mitarashi einfach, dass es dir nicht gut ging und du deswegen gegangen bist.« »Danke.« Ich zog sie in einer kurzen Umarmung, als Dank und Abschied. Manchmal fragte ich mich selbst, warum ich an manche Tagen unausstehlich werden konnte. Aber irgendwie konnte man zu seiner eigenen beste Freundin, die man schon seit dem Kindergarten kannte, nicht lange böse sein, ganz egal, was sie getan hatte. Man wollte diese eine wichtige Person in keinen Umständen verlieren. - ɣ - Gelangweilt verstaute ich meine Hände in die Jackentasche und hörte beim Gehen laute Musik mit meinen Kopfhörern, während meine nackten Beine vom Wind geküsst wurden. Bis heute fand ich die Regel in Japan, dass Schülerinnen zu Röcke tendiere müssen, total absurd. Welcher normale Mensch zog auch schon im kalten Herbstwetter Röcke an? Ich würde im Sommer nicht mal Hotpants tragen. Meine Gedanken wurden unterbrochen, als mein Handy in der linken Hand vibrierte. Neugierig sah ich aufs Display. Nachricht von Ino. Am 15.11.2011 um 10:34 Uhr. Betreff: Mission erledigt! Hattest Glück gehabt. Ms Mitarashi hat nicht nach dir gefragt, sondern sich lieber einen Donut nach den anderen reingezogen. ;-) Pass auf dich auf, Liebes! xoxo, Ino Ich musste schmunzeln. Es war so typisch für Anko gewesen, dass sie nur ans Essen dachte und ihren Job nicht wirklich ernst nahm. Einerseits war ich auch extrem froh darüber, dass sie nicht explodiert war wie ein aufgebrochener Vulkan. Nachricht von Sakura. Am 15.11.2011 um 10:36 Uhr. Betreff: Apropos Essen … Danke fürs Bescheid sagen. Als Dank Ihrer wirklich schweren Mission lade ich Sie herzlich zum Essen bei Café Diosi ein. 16:00 Uhr? xxx' Sakura Nachricht von Ino. Am 15.11.2011 um 10:37 Uhr. Betreff: Siezen? Woher der plötzliche Sinneswandel, Liebes? :-P Aber geht klar. 16:00 Uhr bei Café Diosi, und wehe, du kommst zu spät! xoxo, Ino P.s. Lass uns später simsen, Ms Mitarashi ist irgendwie von ihrem Donut weggekommen, und jetzt starrt sie mich finster an. Ciao! Ich beschloss, ihr nicht zu antworten und kümmerte mich stattdessen um die Umgebung in meinem Umfeld. Von weiten erkannte ich auf dem Bürgersteig sogar etwas, das ich auf dem ersten Blick gar nicht richtig definieren konnte. Es sah irgendwie aus wie ein toter Vogel. Ich verengte die Augen zu kleine Schlitzen. Vorsichtig näherte ich mich zum diesen Etwas, und ich war augenblicklich verwundert, dass das kein toter Vogel, sondern eine Brieftasche war. Doch bekanntlich haben Portemonnaies nichts auf dem Bürgersteig zu suchen, sondern gehörten in die Taschen des Besitzers. Ich bückte mich, um die braunfarbige Brieftasche zu ergreifen. Beim genaueren Hinblick erkannte ich, dass sie eine orginale, italienische Marke besaß – nämlich Gucci. Schlaue Menschen hätten sich all das Geld vom Portmonee geschnappt, um damit ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Doch ich war lieber die Dumme, die das Portmonee ihren eigentümlichen Besitzer wieder zurück gab. Ich sah mich um, erkannte aber keine Menschensseele, die ich hätte fragen können, wem das Portmonee gehörte. Ich legte die Stirn in Falte und suchte bereits schon leicht verzweifelt nach einem Ausweis oder einer Telefonnummer. Das einzige, was mir aber intensiv ins Auge stach, waren die viele Scheinen. »Scheiße, ist das viel Geld«, flüsterte ich fassungslos. War der Besitzer etwa ein Drogendealer oder so? Woher bekam er bitteschön an so viel Geld dran? Entweder verkaufte er wirklich Drogen, oder er war ein verdammt erfolgreicher Geschäftsmann. Ich schüttelte den Kopf. Woher sollte ich denn wissen, dass der Besitzer ein Mann war? Es hätte auch so gut wie eine Frau sein können, immerhin würde es dann die italienische Marke erklären. Kein Mann würde so viel Geld für so etwas Unnötiges ausgeben. Nach dem ganzen Gefummel fand ich letztendlich doch noch einen Ausweis. Es war, so wie ich es mir schon gedacht hatte, eine Frau gewesen, die scheinbar ihre Brieftasche verloren hatte. Die Verwaltungseinheit war ebenso abgebildet, wie es bei japanischen Ausweise nunmal so üblich war. 〒100- 8798東京都- 〒100-8798, Tokyo-to Mrs. Mikoto Uchiha Zum Glück kannte ich Tokyo wie meine Westentasche. Ich brauchte nämlich nicht lange, bis ich am Ziel angekommen war. Weit war es auch nicht gewesen, weswegen mir die Arbeit viel leichter ausfiel. Tokyo war nämlich keine Kleinstadt. Das Haus von dieser Mikoto war erstaunlich groß und in schönen Pastellfarben gestrichen. Der große Kirschblütenbaum verlieh das Gebäude die typische japanische Tradition, dahinter die mit blutroten Beeren schwer beladene Eberesche. Den Garten konnte ich leider nur ganz wenig erkennen, aber es schien mir einen schönen Eindruck zu hinterlassen. Ich entfernte die Stöpseln aus meinen Ohren und schaltete die Musik von Skillet aus. Mit frisch aufgetankten Sauerstoff drückte ich an der Klingel und wartete, bis mir jemand die Tür öffnete. Fünf Sekunden … zehn Sekunden … vierzig Sekunden … eine Minute. Ich klingelte erneut, doch abermals machte mir keiner die beschissene Haustür auf. Mein Unterbewusstsein riet mir ein, dass diese Mikoto wahrscheinlich gar nicht im Haus war. Ich seufzte. Was tat ich denn jetzt? Ich konnte unmöglich das Portmonee behalten. Und wer wusste auch schon, ob es mir nicht irgendwann geklaut werden konnte? »Entschuldigung, junges Fräulein«, hörte ich eine krächzente, älterliche Männerstimme hinter mir, woraufhin ich zusammenschreckte und mich zu der Person umdrehte. Es war ein älterer Herr, bestimmt sechzig oder älter. »Kann ich dir irgendwie behilflich sein?« »Oh, ähm … Moment.« Ich zeigte ihm das Portmonee und den Ausweis. »Ich habe die Brieftasche auf dem Boden gefunden, um es dem Besitzer zurück zu geben. Laut dem Ausweis handelt es sich um eine Mikoto Uchiha. Kennen Sie diese Frau?« »Mikoto Uchiha, sagst du?« Er hob eine graue Augenbraue hoch. »Natürlich kenne ich sie. Ich bin sehr gut mit ihrem Schwiegervater befreundet. Du bist hier schon richtig, doch leider wirst du sie nicht finden. Mikoto hat Frühschicht im Krankenhaus.« Frühschicht. Im Krankenhaus? Ich wusste nicht, ob ich ihm das abkaufen sollte. Es könnte auch so wie jemand sein, der nur aufs Geld absah. Doch irgendwie klang seine Aussage eigentlich ganz realistisch. Plötzlich verfiel er in schallendes Gelächter. »Du glaubst mir nicht, stimmt's, junges Fräulein?« Er verstummte sein Lachen durch ein Schmunzeln. »Wenn du möchtest, kannst du ihren Schwiegervater besuchen, er wird es dir bestätigen. Du findest ihn im Garten. Komm mit, ich zeige dir, wie du dort hingelangst.« Das Geräusch seines Gehhilfe-Stock hallte durch meine Ohren, und als er neben mir stand, um vor ihm zwei Büsche voneinander zuschieben, folgte ich ihm automatisch. Wir betraten den Garten, und mir fielen fast die Augen raus. Der Garten sah atemberaubemd schön aus! Ich kam mir vor wie im Jahre 1975, wo alles in einem klassischen, japanischen Stil gehalten worden war. Heutzutage fand ich kaum so etwas. Im 21. Jahrhundert waren die moderenen Sachen einfach viel beliebter. Ich mochte zwar altmodisch sein, aber ich war der Geschichte des früheren Jahrhunderts immer schon treu geblieben. »Schön hier, nicht wahr?«, sagte der alter Mann, der den Garten genauso sehr betrachtete wie ich. »Sobald Mikoto nach Hause kommt, kümmert sie sich um ihr Garten. Sie leistet viel Arbeit und setzt bei jeder Jahreszeit ihre Kreativität anders um. Mir gefällt ihre künstlerische Art, Dinge viel lebendiger und atemberaubender zu gestalten«, erklärte er und sah mich an. »Komm mit.« Eigentlich hätte ich den Garten weiterhin betrachtet oder sogar schon fotografiert, aber leider war ich nicht gekommen, um dies zu tun, sondern um einer offenbar begabten Künstlerin ihr Portmonee wiederzugeben. Ich nickte, und wir setzten uns in Bewegung. Weiter vorne befand sich ein mittelgroßer Teich, über ihn ein weiterer Kirschblütenbaum. Einige rosafarbene Blüten schwammen an der Wasseroberfläche umher. Ich war so sehr abgelenkt, dass ich den Mann im Rollstuhl vor dem Teich gar nicht bemerkte. Erst als der andere Mann mit den Gehhilfe-Stock mir leicht in die Rippen stieß, löste ich mich aus meiner Traumwelt. »Das, junges Fräulein, ist Madara. Du weißt schon, der Schwiegervater von Mikoto«, klärte er mich auf. »Wenn du mit ihm reden möchtest, musst du ihn vorerst antippen, sonst erschreckt der Arme sich noch und fällt ins Teich.« Er lachte. Und ich verstand nicht, was daran so lustig sein sollte. Besaß der Mann denn kein Mitleid? »Und was ist mit Euch? Wollen Sie denn nicht mit?« Er lächelte. »Ich bin zwar sein bester Freund, aber auch er hat manchmal die Schnauze voll von mir und möchte mich am liebsten gar nicht mehr zur Gesicht bekommen. Aber ich weiß, dass er ein großes Herz hat. Nur er ist zu stur, aber das sind irgendwie alle aus der Familie.« Na super. Ich erwiderte sein Gesichtsausdruck. »Danke fürs begleiten, Mr –« »Hashirama Senju«, unterbrach er mich. Ich verbeugte mich aus Respekt. Er nickte mir lächelnd zu und verschwand. Irgendwie war er sympathisch. Vielleicht ein bisschen verrückt, aber ganz nett. Madara hatte sich bisher kein einziges Mal geregt. Sein langes, graues Haar tanzte mit der kühlen Novemberbrise. Ich sprach, wie Hashirama es mir gesagt hatte, erst Madaras Namen aus, um ihn dann noch zusätzlich anzutippen. Keine Reaktion. Wie von selbst schoss meine rechte Augenbraue in die Höhe, und ich runzelte die Stirn. Mit Mikotos Brieftasche in der Hand begab ich mich vor Madara, um mich zu vergewissern, dass er entweder an Altersschwäche starb oder einfach nur schlief. Mit meiner zweiten Vermutung lag ich richtig. Er schlief tief und fest. Aber wie konnte er einfach so im Garten einschlafen? Ich dachte, im Bett wäre es viel kuscheliger und wärmer, aber scheinbar schien der ältere Herr wohl ein wenig härter zu sein. Oder er war einfach nur ein Naturmensch. Kurz bevor ich am überlegen war, die Geldbörse einfach auf Madaras Schoß zu legen, erschien direkt hinter ihm ein kleiner Welpe, der mit wedelten Schweif zu mir rannte. Oh. Mein. Gott. Ich schrie auf, wie ein Mädchen auf einem Justin Bieber Konzert, und nahm augenblicklich den kleinen, unglaublich süßen Hund in die Arme. Und erst jetzt erschrak Madara aus seinem Schlaf, aber er fiel nicht ins Teich. Beim Gedanken musste ich allerdings grinsen. »Ähm, sorry.« Ich räusperte mich, und er sah zu mir auf. Sein Gesicht hatte dieselbe Struktur wie die von Hashirama, lediglich besaß dieser ein permanentes Lächeln, was man bei Madara sich hingegen nicht einmal vorstellen konnte. »Was hast du hier zu suchen?«, fragte er, mit weniger Gastfreundlichkeit. Seine dunkelbraunen Augen fesselten mich förmlich, sie wirkten bedrohlich, aber auch irgendwie verängstigt. Nur leider war ich mir mit dem zweiten Adjektiv nicht ganz sicher. Der schwarze Welpe, der die Rasse Shiba Inu trug, leckte mich am Kinn, um meine Aufmerksamkeit auf ihn zu ziehen, die ich ihm für kurzer Zeit schenkte. »Ich hab das Portmonee Ihrer Schwiegertochter auf dem Bürgersteig gefunden«, begann ich zu erzählen und kraulte das Tier in meinen Armen weiterhin hinters Ohr. »Ich habe geschellt, aber keiner hat mir die Tür aufgemacht. Erst als Hashirama mich hierhin gebracht hatte, wusste ich auch, warum.« Madara schob seine grauen Augenbrauen hoch. »Hashirama, sagst du?« Er schnaubte. »Ja, das passt wirklich zu ihm.« Ich wusste nicht, wieso, aber irgendwie musste ich doch lächeln. »Scheint so, als wären Sie nicht gerade überrascht.« »Bin ich auch nicht«, antwortete Madara. »Das tut der alte Sack doch ständig, um mich zu triezen. Meint, hier immer angetanzt zu kommen und verirrte Kinder wie dich zu mir zu schicken. Aber vergessen wir das jetzt. Du sagtest, du hättest die Geldbörse meiner Schwiegertochter gefunden, richtig?« Ich nickte. »Und warum haust du dann nicht ab?« Meine Kinnlade klappe herunter. Bitte was? Madara seufzte, als er meine stille Fassungslosigkeit entdeckte. »Heutzutage wird Ehrlichkeit doch nie bezahlt. Jugendliche in deinem Alter hätten sich nicht mal die Mühe gemacht, irgendetwas seinem rechtmäßigen Besitzer zu geben. Besonders nicht, wenn es um viel Geld geht.« »Aber ich bin nicht so«, stritt ich sofort ab und drehte mich leicht säuerlich zu ihm um. »Mag sein, dass Sie solche schlimme Erfahrungen erlebt haben, aber nicht jeder Mensch ist gleich. Sie vergleichen quasi Äpfeln mit Birnen. Ich würde niemals etwas klauen.« Und das stimmte auch. Ich würde niemals übers Herz bringen, etwas zu klauen oder ungefragt an Sachen dranzugehen. Es war nicht meine Erziehung gewesen, die mich dran hinderte, sondern mein gesunder Menschenverstand. Madara durchbohrte mich regelrecht mit seinem undefinierbaren Blick. Was denkt er jetzt gerade? »Geld ist also nicht alles für dich? Habe ich das jetzt richtig verstanden, oder spielst du mir wie Hashirama genauso einen Streich?« »Es ist mein voller Ernst. Geld reagiert zwar die Welt, aber für mich ergibt das alles keinen Sinn. Man kann auch mit nicht so viel Geld ganz gut leben.« So wie ich es tue. »Man braucht keine Villa und teure Sportwagen. Das, was für mich zählt, nennt sich Ehrlichkeit und Herz – und das kann man nicht kaufen.« Für den Bruchteil einer Sekunde starrte mich Madara verblüfft an, ehe er seine Lider schloss und sein Mundwinkel zucken ließ. »Gut.« Er öffnete die Augen, und sie wirkten um einiges wärmer als vorhin. »Ich glaube dir.« Ich brachte den Welpen wieder auf dem Boden, woraufin er anfing zu bellen, als würde er sich lieber weiterhin in meinen Armen gemütlich machen wollen. Gott, irgendwann bekam ich seinetwegen noch Diabetes mellitus. »Hier.« Ich übergab ihm Mikotos Portmonee, und er nahm es an. »Richten Sie ihr viele Grüße aus, und dass sie besser auf ihre Sachen aufpassen soll. Ein anderer hätte es wahrscheinlich gar nicht erst zurückgebracht.« »Genauso pessimistisch?« Er schmunzelte. »Ne, nur realistisch.« Madara öffnete die Geldbörse und hielt mir einen tausender Schein hin, doch ich winkte ab und ging sogar einen Schritt zurück. Ich hob die Hände vor der Brust. »Das ist wirklich nicht nötig!«, stritt ich ab, zumal es nicht mal sein Geld gewesen war. Auffordernd hielt er den Schein hoch. »Papperlapapp. Mikoto hätte es genauso sehr gewollt, dass du das Geld annimmst. Sieh es als Belohnung deiner Ehrlichkeit an«, erklärte er, doch ich nahm es nicht an. »Ich weiß das wirklich zu schätzen, doch ich kann es unmöglich annehmen. Ein einfaches Danke würde mir schon reichen.« »Ganz sicher?« Er hob seine Brauen hoch. »Überleg mal, wie viele Schuhe und Klamotten du dir damit kaufen kannst.« Wollte der Opa mich gerade allen Ernstes testen? »Ich verzichte, wie bereits schon erwähnt«, sagte ich, diesmal mit einer viel kühleren Unterton. Er soll endlich einsehen, dass ich nicht an Geld interessiert war. Ich sah auf meine Armbanduhr, und stellte missmutig fest, dass ich mich noch dringend für das Treffen mit Ino fertig machen musste. »Na, etwas im Ofen gelegt?«, scherzte Madara und rümpfte verärgert mit der Nase. Wow, wie konnte man nur so versessen sein, mit seinen Meinungen immer richtig liegen zu müssen? Ein tiefes Seufzen entwich meiner Kehle. »Ja, und das nennt sich Ino.« Wenn ich zu spät zum vereinbarten Treffen kam, wird Ino mir erstmal zehn verschiedene Arten von Standpauken hintereinander verpassen. »Ich muss jetzt auch schon los. Bis bald!« »Warte!« Ich blieb stehen und sah über meine Schulter hinweg zu Madara. »Ich nehme das Geld nicht –« »Das meine ich auch nicht«, unterbrach er mich, und ich zog die Augenbrauen konfus zusammen. »Ich habe einen Enkel, er ist in deinem Alter. Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn du morgen wieder auftauchen würdest. Mein Enkel wird auch dabei sein.« Ich prustete lautstark. »Wollen Sie mich etwa verkuppeln?« Madara seufzte. »Ein bisschen Frauengesellschaft würde dem armen Jungen schon nicht schaden. Er ist viel zu beschäftigt mit der Schule, dass er dabei völlig vergisst, die Gegenwart zu genießen. Wenn du das Geld schon nicht annimmst, könntest du mir wenigstens diesen Gefallen tun, oder?« Hatte ich denn eine andere Wahl? Ich kicherte wie ein kleines Mädchen, während mein Herz bis zum Hals schlug. »Gut, ich komme morgen wieder.« Was für ein Typ war sein Enkel so? Musiker? Romantiker? Ein Charmeur? Oder vielleicht der reinste Arschloch? Eins wusste ich aber schon vorher: Er war stur. So wie alle das in der Familie waren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)