Deepest Dark von Flordelis (Miracle II) ================================================================================ Kapitel III – Hast du denn eine Spur? ------------------------------------- Am Abend, nachdem es endlich dunkel geworden war – was im Sommer unglücklicherweise erst kurz vor zehn Uhr war –, wartete Kieran vor einem Bahnhof im Industriegebiet. Um diese Zeit war meist alles verlassen in dieser Gegend, abgesehen von zufällig vorbeikommenden Obdachlosen oder zwielichtigen Drogenhändlern, die ihm alle nur einen kurzen Blick widmeten, wenn sie vorbeigingen. Gut, vielleicht waren sie auch keine Drogenhändler, sondern nur herumstreunende, schlaflose Menschen, aber so genau dachte er dann doch nicht darüber nach. Wäre er irgendjemand anderes, käme ihm vielleicht die Frage in den Sinn, für was diese Leute ihn wohl hielten, aber er war eben Kieran und der kümmerte sich nicht um solche Dinge. Nachdem Faren ihm sich als Assistent aufgedrängt hatte, war da die Überlegung gewesen, die für die Streifen notwendigen Waffen in dessen Auto aufzubewahren. Damit wäre es Faren möglich gewesen, Kieran einfach zu Hause abzuholen, was für beide Zeitersparnis bedeutet hätte und für Kieran zusätzlich auch noch weniger Rückenschmerzen – und weniger Geldverschwendung für das Schließfach an diesem Bahnhof. Aber sie waren schnell davon abgekommen, weil immer die Gefahr bestand, dass Faren in eine Verkehrskontrolle geraten könnte. Und wie sollte er erklären, dass er eine Sporttasche mit den unterschiedlichsten Schuss-, Schlag- und Stichwaffen mit sich führte? Außerdem wollte Kieran nicht, dass sein Assistent wusste, wo er lebte. Es genügte, dass Faren seine Handynummer besaß. Gerade als Kieran mit gerunzelter Stirn an diesen dachte, fuhr Faren tatsächlich mit seinem Wagen vor. Der dunkelrote Lack war an manchen Stellen bereits zerkratzt, was nur zeigte, wie unvorsichtig damit umgegangen wurde, auch wenn er selber nie Zeuge davon geworden war. Er wollte sich schon entspannen, als er bemerkte, dass neben Faren noch jemand im Auto saß. Augenblicklich spannte er sich an und begann Faren anzuknurren, als dieser aus dem Wagen stieg: „Was denkst du dir dabei, hier einfach jemanden mitzubringen?“ Eigentlich wäre er lieber laut geworden, aber dafür war hier nicht der passende Ort, deswegen beherrschte er sich. Faren wäre vermutlich ohnehin genauso cool geblieben wie im Moment. Er lächelte Kieran kokett an. „Ja, heute wird aus unserer trauten Zweisamkeit nichts~. Aber wie wäre es mit-“ „Nein“, unterbrach Kieran ihn zischend. „Was auch immer du vorschlagen willst, lass es einfach.“ Während dieses kurzen Schlagabtauschs stieg auch die zusätzliche Person endlich aus, so dass er sie mustern konnte, allerdings konnte er sich nicht erinnern, ihr jemals begegnet zu sein. „Du bist Kieran Lane?“, fragte sie über das Auto hinweg. Sein Blick huschte wieder an ihr hoch und runter, suchte nach sichtbaren Waffen oder Beulen in ihrer Kleidung, die auf versteckte hinwiesen. Er konnte nichts davon sehen und sein Handy reagierte auch nicht, also konnte er problemlos zustimmen. „Und wer bist du?“ „Seline Silverburgh.“ Sie wartete wohl auf eine Reaktion seinerseits, mit der er aber nicht dienen konnte. Diesen Namen – sowohl Vor- als auch Nachnamen – hatte er noch nie zuvor gehört, deswegen hob er ein wenig die Schultern an, um ihr das zu signalisieren. Sie verzog das Gesicht. „Ich bin eine der Jägerinnen aus Lanchest.“ Damit konnte er schon eher etwas anfangen. Cherrygrove war eine große Stadt, aber nichts im Vergleich zum benachbarten Lanchest. Er war noch nie dort gewesen, verspürte auch kein Verlangen danach, aber er hatte einmal gehört, dass es dort derart viele Dämonen gab, dass sie sich nicht in irgendwelchen Seitengassen verstecken oder auch nur verkleiden mussten. Entsprechend gab es auch viele Jäger, die versuchten, das Problem in den Griff zu bekommen. Anders als in Cherrygrove, wo es eben nur ihn gab, solange sein Vater nicht arbeiten konnte. „Was möchtest du dann hier?“ „Ist das nicht offensichtlich?“ Faren konnte wohl nicht ertragen, dass er keine Aufmerksamkeit bekam und lenkte sie deswegen wieder auf sich. „Sie will mehr über dich erfahren, weil du so großartig bist~.“ Auch wenn ihm das wohl schmeicheln sollte, empfand Kieran das als ein wenig unnötig. Er warf ihm einen kurzen Blick zu, der ihm sagen sollte, dass er besser still war. Faren lächelte weiterhin, war aber hoffentlich für den Rest der Unterhaltung leise. „Nicht so wirklich“, meinte Seline auf seine Worte, sprach aber weiter mit Kieran: „Es geht mir eigentlich darum, dass ich auf der Suche nach einem anderen Jäger bin. Ein Schüler meines Vaters, der letzte Nacht in dieser Stadt patrouilliert hat.“ Ein eiskalter Schauer lief Kieran den Rücken hinab. „Er ist derjenige, der verschwunden ist, oder?“ Also war ihr Vater der Freund seines Vaters, über den nie ein erklärendes Wort verloren wurde. Kein Wunder, dass sie eine Reaktion auf ihren Namen erwartet hatte. „Das ist richtig. Und ich bin hier, um ihn zu suchen.“ „Hast du denn eine Spur?“ „Ich weiß, wo sein Handy sich das letzte Mal eingeloggt hat. Von dort wollte ich starten.“ Das war sehr vorteilhaft. Auch wenn Kieran daran zweifelte, dass sie dort jemanden finden könnten, genausowenig wie eine Spur, die sie weiterbrächte. Die einzige Erklärung, die er für das Verschwinden aufbrachte, war eine Entführung durch Dämonen. Aber er wollte auch keine voreiligen Schlüsse ziehen, immerhin bestand die Möglichkeit, dass etwas anderes geschehen und der Dämon vom letzten Monat eine Ausnahme gewesen war. „Wofür brauchst du dann mich?“, hakte Kieran nach. „Ich kenne mich hier nicht aus.“ Kein Zeichen von Verlegenheit oder auch nur die geringste Demut, ihr Gesicht blieb vollkommen ausdruckslos. „Deswegen benötige ich jemanden, der mich zu dieser entsprechenden Straße und weiter bringt.“ Selbst mit einer Karte konnte es schwer sein, seinen Weg zu finden, und wenn man zu Fuß unterwegs war, müsste man laufen, sofern man sich nicht mit dem Bus- und Bahnsystem auskannte. Mit dem Taxi zu fahren barg die Möglichkeit, dass man Misstrauen erweckte oder später identifiziert werden konnte, wenn es zu irgendwelchen Ermittlungen kommen sollte. Also blieb ihr wirklich nur, sich ihm, der über alles Bescheid wusste, anzuschließen, und er wollte sie nicht damit im Regen stehen lassen. Allerdings war es nicht sein Auto, deswegen warf er einen Blick zu Faren, der ihm ernst zunickte. Nach dieser Bestätigung wandte er sich wieder Seline zu. „In Ordnung. Wir machen es.“ Auf der Fahrt erfuhren sie, dass der verschwundene Schüler Russel hieß. In der Nacht zuvor hatte er in einer Gasse patrouilliert, die Kieran zu gut kannte. Es war ein Ort, an dem sich häufig Dämonen aufhielten, meist in menschlicher Verkleidung, um Drogen zu verkaufen. In dieser Nacht war aber keiner von ihnen hier. Während Faren im Auto wartete, wie üblich, blickte Seline sich aufmerksam um. Für Kieran wirkte allerdings alles wie immer, was ihn nur noch einmal darin bestärkte, dass sie hier nichts finden könnte, was ihr weiterhalf. Sie sah allerdings wesentlich genauer hin, ging dann in die Knie und hob eine Brille auf. Die Gläser waren zerbrochen, der Rahmen verbogen. „Er muss angegriffen worden sein.“ Kieran ging einige Schritte an ihr vorbei, zwischen zwei Mülltonnen fiel ihm auch etwas ins Auge. Es war ein Handy und es schien noch zu funktionieren. „Ist das seines?“ Mit raschen Schritten kam Seline näher und kniete sich nun auch neben das Handy, um es aufzuheben. Ein rascher Blick genügte ihr aber, um es zu bestätigen. „Was ist nur passiert?“ „Offensichtlich wurde er von jemandem oder etwas angegriffen.“ Aber es gab keine Leiche, nicht einmal Blut. Das bedeutete, er musste noch leben. Oder er wurde einfach woanders hingebracht, um dort zu sterben. Warum jedoch sollte sich ein Dämon diese Mühe machen? Sie entführen Jäger aus einem anderen Grund. Ich kenne ihn nicht, aber es muss einen anderen Grund geben. Hätte er nur Gelegenheit bekommen, seinen mutmaßlichen Entführer zu fragen. „Aber wo ist er jetzt?“, fragte Seline. Es war sinnlos, ihr nichts davon zu erzählen, stattdessen wurde es wirklich einmal Zeit, nachdem er nun doch schon den Verdacht erhärtet hatte. „Ich denke, er wurde von einem Dämon entführt.“ Seline starrte ihn entgeistert an, als hätte er ihr eben erzählt, dass Außerirdische dafür verantwortlich waren. Also beschloss er, es noch zu ergänzen: „Vor einem Monat hat ein anderer Dämon einmal versucht, mich zu entführen.“ Da er diesen damals getötet hatte, konnte es nicht derselbe sein. Vielleicht war es sogar aus einem vollkommen anderen Motiv heraus geschehen. „Warum hast du das niemandem gemeldet?“ „Wem hätte ich es denn melden sollen?“ Gut, er hätte es Cathan erzählen können, aber wäre das so zielgerichtet gewesen? Sein Vater hätte sich dann nur unnötig Sorgen gemacht, genau das, was Kieran ja vermeiden wollte. Aber Seline gab ihm ohnehin eine andere Antwort: „Es wäre gut gewesen, das Abteracht zu melden.“ Perplex sah er sie an. „Wem?“ Sie wollte ihm wieder antworten, aber da schnitt ihr ein nicht weit entfernter Schrei das Wort ab. Gleichzeitig stürmten sie in die Richtung los, aus der er gekommen war. Nur eine Seitenstraße weiter fanden sie Ursache und Grund des Schreis. Eine Frau kniete auf dem Boden, neben einem leblosen Körper, unter dem sich eine Blutlache auszubreiten begann. Kieran griff bereits nach seinem Handy, um einen Krankenwagen zu rufen, erkannte aber sofort, dass es zwecklos war, als er näherkam. Eine Wunde klaffte auf seinem Hals, tief genug, dass Kieran sehen konnte, dass die Halsschlagader durchtrennt war. Dafür war derart viel Kraft und Entschlossenheit nötig, dass es ein Dämon gewesen sein musste – aber das Opfer hielt selbst eine blutige Rasierklinge in der Hand. Ein derart brutaler Selbstmord, mitten auf der Straße, war ungewöhnlich, das wusste selbst Kieran. Seline übernahm wie selbstverständlich die Opferbetreuung und kniete sich neben die Frau, die inzwischen hemmungslos zu schluchzen begonnen hatte. Kieran blickte sich derweil um, suchte nach Spuren eines Dämons, fand aber, wie erwartet, keine. Dennoch zweifelte er weiterhin daran, dass es sich dabei um einen freiwilligen Selbstmord handelte. Er wollte nicht glauben, dass es jemanden gab, der aus freien Stücken einen solchen Weg wählte. Andererseits hatte er noch nie wirklich darüber nachgedacht. Egal wie schlimm es in seinem Leben gestanden hatte, für ihn war da noch nie die Frage gewesen, ob er sich umbringen sollte, schon allein weil er wusste, was danach aus einem selbst wurde. Vielleicht gab es doch Menschen, die sogar diese Methode dafür wählten? „Er hat einfach“, brachte die Frau schluchzend hervor, „einfach … das Messer gezogen und dann ...“ „Hat er davor irgendetwas gesagt?“, fragte Seline. Die Frau fuhr sich mit der Hand über die Augen, fragte sich womöglich, was das für eine bescheuerte Frage wäre, antwortete aber dennoch: „Er hat plötzlich über alle schlimmen Dinge in seinem Leben gesprochen. Sachen, von denen ich nicht einmal wusste.“ Ihr Körper wurde vom Schluchzen geschüttelt, so dass sie nicht weitersprechen konnte. Kieran war ratlos, was das zu bedeuten hätte – außer dass dieser Mann sich nun bald in einen Suizid-Dämon verwandelte – aber Seline sagte es wohl durchaus etwas, sie hatte ihre Stirn gerunzelt und erhob sich ebenso nachdenklich. „Wir werden Hilfe rufen“, versprach sie der Frau, dann winkte sie Kieran, mit ihr zu kommen. Er folgte dieser Aufforderung und ging mit ihr, bis sie wieder eine andere Querstraße erreichten. „Ich werde ein Münztelefon dafür benutzen“, erklärte sie. „Damit wir nicht zurückverfolgt werden. Unsere Anwesenheit könnte sonst zu unangenehmen Fragen führen.“ Dem konnte er nicht widersprechen, vor allem weil er auch eine Pistole in einem verborgenen Holster mit sich führte. „Auf welches Ergebnis bist du bei der Befragung gekommen?“ Eigentlich interessierte ihn diese Sache mit Abteracht mehr, aber es war auch wichtig zu wissen, ob sie etwas mit diesen Aussagen anfangen konnte. Sie nickte und starrte dabei grimmig geradeaus. „Vor einigen Jahren, als Russel sich uns gerade angeschlossen hat, gab es in Lanchest einen Dämon, den wir getötet haben.“ Er fragte sich, was das mit dieser Sache zu tun hatte, unterbrach sie aber nicht, sondern lauschte weiterhin aufmerksam. „Dieser Dämon tötete Menschen nicht selbst. Er gab ihnen den Wunsch ein, Selbstmord zu begehen, indem sie sich mit einer Klinge die Halsader durchschneiden. Dafür holte er die finstersten Erinnerungen hervor, die sie in ihrem Gedächtnis trugen, bis sie es nicht mehr aushielten.“ Erschrocken sog er die Luft ein. Genau wie bei dem Opfer gerade eben. Aber wenn sie diesen Dämon getötet hatten … „Der Feind damals war Russels Mutter gewesen, sie hat auf diese Weise Selbstmord begangen und wurde damit zu einem Dämon.“ Also gab es doch jemanden, der einen solch drastischen Weg wählte. Aber weswegen? Was konnte derart schlimm sein, dass man sogar so weit ging, sich selbst solche Schmerzen zuzufügen, ehe man an seinem eigenem Blut erstickte? „Aber wenn ihr sie getötet habt, kann sie ja unmöglich jetzt hier sein.“ „Das ist richtig“, sagte sie. „Deswegen denke ich, dass Russel der neue Dämon ist.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)