If looks could kill von Flordelis ([Demonic Reverie]) ================================================================================ Kapitel 4: Ist das so schlimm? ------------------------------ Die Mahlzeiten in Mortes Familie waren schon immer in Ruhe eingenommen worden. Von klein auf war ihr beigebracht worden, dass während des Essens nicht zu sprechen sei, dafür war Zeit, sobald der eigene Teller geleert war. Lediglich die Hintergrundgeräusche unterschieden sich je nach Tageszeit. Beim Frühstück lief dabei eine Nachrichtensendung im Radio, die mit einem monoton sprechenden Mann über die Ereignisse der letzten Nacht berichteten. Mittags lief im Nebenzimmer der Plattenspieler ihres Großvaters, dem es irgendwie immer gelang, die leichten Geigenklänge durch die Luft zu tragen, als stünde der Violinist direkt neben ihnen. Abends war lediglich das Klirren des Bestecks zu hören, hin und wieder unterbrochen von dem Ticken einer großen Standuhr, das alle paar Sekunden stärker in den Vordergrund zu treten schien als es sollte. An diesem Abend herrschte noch dazu eine bedrückte Stimmung im Haus, die Morte natürlich auffiel. Sie wagte nicht, nachzuhaken, woher diese rühre, ließ aber immer wieder den Blick schweifen. Ihr Vater blickte wie immer neutral auf seinen Teller hinab, ihre Mutter konzentrierte sich heute besonders stark darauf, das Essen sorgfältig zu schneiden und ihr Großvater schien aggressiver zu kauen als sonst, seine Kiefer mahlten mit wesentlich mehr Wucht. Da sie selbst noch mit Essen beschäftigt war, wagte sie nicht, etwas zu sagen oder gar zu fragen, warum alle so schlecht gelaunt waren. Doch schließlich beendete ihr Großvater seine Mahlzeit, legte Messer und Gabel fein säuberlich auf dem Teller ab und lehnte sich dann zurück. Dabei bemerkte sie noch einmal seine Unruhe, die sich besonders durch seine leicht gehobenen Schultern bemerkbar machte. „Es kam heute zu einer Sichtung.“ Sein dunkler Bass erfüllte das gesamte Speisezimmer, verdrängte sogar das Ticken und verwies es auf seinen Platz. Ihre Eltern reagierten sofort, hielten beim Essen inne und sahen zu ihm hinüber. Dabei wirkte ihre Mutter zerknirscht, fast schon schuldbewusst, ihr Vater blickte weiterhin gleichgültig als ginge ihn dieses Gespräch eigentlich gar nichts an. „Dabei wurde niemand getötet“, fuhr ihr Großvater fort, „aber es kam zu Verletzten bei einer Explosion.“ Den Seitenblick ihres Vaters, den er in ihre Richtung warf, konnte sie direkt deuten: Er fragte sich, ob das überhaupt ein angemessenes Gesprächsthema für sie war. Aber ihr Großvater nahm darauf keine Rücksicht und sie beklagte sich mit Sicherheit auch nicht darüber, konnte sie so doch immerhin den Stimmen aller lauschen. „Es ist vermutlich ein neuer Weltenbrecher“, sagte ihr Großvater. Kaum war dieses Wort ausgesprochen, hing es wie ein Unheilsbringer in der Luft. Seine Stimme echote im Raum, als wolle sie die Anwesenden nicht verlassen und ihnen stattdessen pausenlos vor Augen führen, welche Fehler sie gemacht hatten. Jedenfalls wenn sie die erschrockenen Blicke ihrer Eltern dabei betrachtete. Ihr Vater sah aber eher so aus, als wüsste er bereits davon und könne es nur nicht glauben, dass es ausgesprochen worden war. „Sind wir denn sicher, dass es ein Weltenbrecher ist?“, fragte ihre Mutter sofort, ihre Stimme gefüllt mit Besorgnis und schleichender Panik. Mortes Vater schüttelte mit dem Kopf. „Wie er bereits sagt, wir können es nur vermuten. Sein Muster stimmt mit deinem von damals überein – und selbst bei dir konnten wir es erst wissen, nachdem du es uns offenbart hast.“ „Vielleicht sollte ich dann-“ „Nein!“ Es genügte ein einziges, emotional ausgesprochenes Wort ihres Vaters, um ihrer Mutter alle weitere abzuschneiden. „Es ist besser, wenn du dich da heraushältst. Parthalan vermutet bereits, dass der neue Weltenbrecher eigentlich nach dir sucht.“ „Verständlich“, schloss sich ihr Großvater der Aussage an. „Für die Weltenbrecher und Albträume giltst du als Verräterin. An dir ein Exempel zu statuieren, dürfte ihr höchstes Ziel sein.“ Morte verstand zwar nicht, was diese Worte bedeuten sollten, aber da ihre Mutter erblasste, musste es sich um etwas wirklich Schlimmes handeln. Das Essen war für Morte inzwischen vollkommen in den Hintergrund getreten, so dass sie immer wieder erst verspätet bemerkte, dass das Essen von ihrer Gabel gefallen war und sie lediglich Luft zu kauen versuchte. Die anderen schienen sich darum glücklicherweise aber nicht zu kümmern, so sehr waren sie in diese Unterhaltung vertieft. „Wir werden uns darum kümmern“, versicherte ihr Vater. „Kein Weltenbrecher soll es jemals schaffen, dieser Welt zu schaden. Auch dieser hier nicht.“ Dabei blickte er ihre Mutter allerdings mit derart glühenden Augen an, dass es für Morte offensichtlich war, dass er ihr mitteilen wollte, dass er vor allem nicht zuließ, dass ihr geschadet würde. Als Reaktion darauf lächelte ihre Mutter und legte ihre Hand auf die ihres Vaters, worauf sich ihre Finger ineinander verschränkten. Als ihr Großvater das beobachtete, musste sogar er lächeln – nur um daraufhin ein leises Seufzen auszustoßen. „Ich sehe schon, ihr werdet euch darum kümmern. Dann verlasse ich mich darauf.“ Er wandte Morte endlich seine Aufmerksamkeit zu. „Du bist dann auch fertig mit Essen, wie ich sehe.“ Erst als er das erwähnte, bemerkte sie selbst, dass nicht nur ihre Gabel, sondern auch ihr gesamter Teller leer waren. Sie legte das Besteck säuberlich auf dem Teller ab und nickte ihm zu. „Wollen wir dann zusammen ins Bücherzimmer?“ „Oh ja~.“ Hastig erhob sie sich von ihrem Platz, ihr Großvater ließ sich derweil wesentlich mehr Zeit. „Erzählst du mir dann die Geschichte von dem Felsenmann weiter?“ „Natürlich.“ Er ergriff ihre Hand und strebte mit ihr in Richtung Ausgang. „Du musst mir vorher nur sagen, an welcher Stelle ich letztes Mal war.“ Mit einem strahlenden Lächeln versicherte sie ihm, dass sie genau das täte, während sie das Esszimmer verließen und damit ihre auch ihre Eltern ihrer Zweisamkeit überließen, die für viele Wochen erst einmal die letzte sein sollte. Selbst am Tag danach war Morte immer noch der Meinung, dass sie die Wette mit Ciar glasklar gewonnen hatte. Egal wie er sich das schönzureden versuchte, sie war diejenige gewesen, die den Albtraum vernichtet hatte. Ganz allein. Ohne Partner. Aber sie empfand es als lästig, ihm deswegen hinterherlaufen zu müssen, also ließ sie es einfach gut sein, machte sich aber bereits Gedanken, wie sie zukünftig verhindern könnte, dass er sie noch einmal derartig über das Ohr haute. Bei einer weiteren Wette – die sicher käme, immerhin kannte sie Ciar gut genug, um einschätzen zu können, wie groß sein Stolz war – müsste sie Konditionen klarstellen, die ihr garantierten, dass sie ihren Gewinn auch wirklich bekäme. Dementsprechend nachdenklich war sie auch, als sie sich auf der Krankenstation einfand. Sie war nicht krank, aber sie hatte auch nicht viel anderes zu tun, also war sie wie üblich dort, als es auf die Mitagessens-Zeit zuging. Sie wollte nie direkt fragen, ob sie mit seiner Familie essen dürfte – aber sie war überzeugt, dass er durch ihr Erscheinen ohnehin schon immer wusste, was sie eigentlich wollte. Und wenn es ihm leichter fiel, sie zu fragen … „Stimmt heute etwas nicht mit dir?“, fragte Vane mitten in ihre Gedanken hinein. Sie blinzelte und wandte ihm dann den Blick zu. Bislang war ihr gar nicht aufgefallen, dass er ebenfalls im Vorzimmer war, sonst hätte sie ihn zuerst angesprochen. „Nein, alles okay. Ich war nur gerade ein wenig nachdenklich.“ Sie sah seinen skeptischen Blick, spürte sein Bedürfnis, sich eine Notiz zu machen und bemerkte auch seine zusammengezogenen Brauen, als er bemerkte, dass er nichts zum Schreiben bei sich hatte. Wo er wohl sein Klemmbrett abgelegt hatte? Vielleicht sollte sie ihm zu Weihnachten kleine, handliche Blöcke und jede Menge Kugelschreiber schenken. Schließlich verwarf er das aber wohl wieder. „Aber gut, dass du da bist, ich wollte ohnehin noch mit dir reden.“ „Worum geht es?“ So ernst wie er dreinblickte, konnte es sich jedenfalls um nichts Schönes handeln. Dennoch erwiderte sie seine gerunzelte Stirn mit einem Lächeln, gab es ihr doch die Gelegenheit, weiterhin seiner Stimme zu lauschen, die sie immer an ihren Großvater denken ließ, von dem sie immerhin sogar geträumt hatte. Seit sie in dieser Welt war, träumte sie angenehm oft von ihrer Familie. „Ich habe mitbekommen, dass du mit Ciar gewettet hast.“ Ihr Innerstes gefror augenblicklich. Gerade er hätte das nie erfahren sollen, eben wegen diesem Blick, den er ihr auch in diesem Moment widmete. Aber sie wollte auch nicht einfach kleinbeigeben und fuhr sich deswegen mit der Hand durch das Haar, um den Eindruck zu erwecken, dass es ihr nichts ausmachte. „Und? Ist das so schlimm?“ „Finde ich schon“, antwortete er ernst. „Morte, das hier ist kein Spiel, selbst wenn du es aufgrund deiner Fähigkeiten vielleicht für ein solches halten magst.“ Sie schwankte zwischen zerknirscht und geschmeichelt sein und entschied sich dann dafür, ein wenig das Gesicht zu verziehen, um es nicht zu deutlich zu machen. „Ich weiß, dass es kein Spiel ist. Das musst du mir nicht erst sagen. Diese Wette war ja auch nicht zum Spaß gedacht. Aber Ciar reizt mich einfach immer so ...“ Auch wenn sie kaum erklären konnte, weswegen das so war – und Vane schien das auch nicht einfach akzeptieren zu wollen: „Du kannst nicht einfach umhergehen und auf jeden reagieren, der dich reizt. Du musst lernen, dich zu beherrschen und deine Arbeit ernstzunehmen. Sie ist gefährlich, und ich will nicht, dass dir etwas dabei passiert, nur weil du wegen solchen Dingen abgelenkt warst.“ Auch wenn er streng dreinblickte, wurde durch seine Stimme mehr als nur deutlich, dass er wirklich besorgt war. Genau wie ihr Großvater damals. Nur für einen kurzen Atemzug erlaubte sie sich die Illusion, dass es sich bei ihm wirklich um ihren geliebten Großvater handelte, der sich noch immer um sie sorgte, dann zerfiel das Bild vor ihren Augen allerdings direkt wieder, ehe es Wurzeln in ihrem Herzen schlagen konnte. „Ich verstehe. Es wird nie wieder vorkommen, ich verspreche es.“ Sie begegnete seinem prüfenden Blick mit einem zerknirschten – und atmete erst auf, als sich seine Stirn wieder glättete und er ihren Kopf tätschelte. „So ist es gut“, sagte er dabei. „Ich bin froh, dass wir das klären konnten.“ „Ich auch.“ Denn gerade mit Vane wollte sie es sich nicht verscherzen. „Willst du dann mit zum Mittag essen kommen? Konia und die Kinder freuen sich bestimmt auch.“ Mortes Herz machte einen freudigen Sprung, um das auch nach außen zu zeigen, klatschte sie in die Hände. „Da kann ich wohl kaum Nein sagen~. Ich komme gern mit.“ Er nickte ihr lächelnd zu, ehe er herumfuhr, um vorauszugehen, worauf sie sich ihm sofort anschloss. Dabei nahm sie sich innerlich vor, auch ein wenig ruhiger werden zu wollen, egal wie. Sie wollte Vane keine Sorgen bereiten, also musste sie sich einfach mehr darum bemühen, ein gutes Mädchen zu sein – und sie wusste, dass sie das schaffen konnte, wenn sie nur wollte. Das würde sie jedem beweisen, der an ihr zweifelte, auch sich selbst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)