Über Katzen und Krähen von Ur (Oneshot-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 3: Punkt 37 ------------------- Yaku führte gerne Listen. Er schrieb Listen über alles Mögliche: Hausaufgaben To Do Listen, seine Volleyballziele für ein Schuljahr, Neuerscheinungen seiner Lieblingsband, für die er in einem Jahr sparen wollte… Er hatte früher schon einmal eine Liste darüber geführt, was ihm an Kuroo alles auf die Nerven ging – Kuroo hatte eben diese Liste gefunden, die damals über zwei Seiten in Yakus feinsäuberlicher Handschrift umfasst hatte. Zuerst hatte Kuroo jeden Punkt abgearbeitet und mit einem Gegenpunkt darüber versehen, was er an Yaku nicht mochte. Anschließend hatten sie ziemlich heftig im Clubraum geknutscht. Eine Erinnerung, die Yaku immer noch die Röte ins Gesicht trieb und ihm vielleicht einen Hinweis darüber hätte vermitteln können, was es bedeutete, dass er in seinem Kopf angefangen hatte eine solche Liste über einen gewissen übergroßen Volltrottel zu führen. Immerhin hatte Yaku aus seinen Fehlern mit Kuroo gelernt und erstellte Listen über Menschen nur noch zu Hause oder im Kopf, wo niemand sie finden konnte. Kuroo bezeichnete Yaku gern liebevoll als Neurotiker, woraufhin Yaku ihn einen kontrollgeilen Sadisten nannte und sie beide kurz an diesen einen Kuss dachten. Zu Yakus Ärgernis wurde Kuroo im Angesicht dieser Erinnerung nie rot. Je nach Lust, Laune und Anlass hatten Yakus Listen auch Unterpunkte – wenn man von einem seiner besten Freunde und Team-Captain schon als Neurotiker bezeichnet wurde, dann sollte man diesem Ruf doch auch gerecht werden. Haibas Liste hatte zum Beispiel an mehreren Stellen Unterpunkte und manchmal war es für Yaku recht anspruchsvoll sich alle zu merken. Um allerdings eine Wiederholung des Kuroo-Dramas zu vermeiden, sollte er duese eine Liste besser nicht schriftlich festhalten. Nachdem Haiba jedoch an einem regnerischen Dienstag beim Training dafür gesorgt hatte, dass Yaku von einem Ball im Gesicht getroffen wurde und davon heftiges Nasenbluten bekam und dann auch noch versuchte, Yaku aus lauter übertriebener Fürsorge im Brautstil zur Schulkrankenschwester zu tragen, war das Fass einfach übergelaufen. Am späten Nachmittag nach Erledigung seiner Hausaufgaben zückte Yaku einen Stift und ein Blatt Papier und fing an, sich seinen Frust über Haiba Lev von der Seele zu schreiben. Er notierte die Überschrift »Dinge, die ich an Haiba Lev nicht ausstehen kann« und betrachtete sie einen Augenblick lang zufrieden, dann begann er mit der Auflistung. 1) Haibas Größe Yaku war nicht einfach nur darüber empört, dass Haiba so unverschämt groß war und allein deswegen einen Vorteil in dem Sport hatte, an dem Yaku seit vielen Jahren hart arbeitete – nein. Yaku war auch empört, wie Haiba bei jeder sich bietenden Gelegenheit implizierte, wie viel größer als Yaku er war oder überhaupt wie klein Yaku war. Yaku machte sich sehr viel Mühe damit, mehrere Beispielgelegenheiten aufzulisten, an die er sich diesbezüglich erinnerte. Was Yaku auch direkt zu seinem nächsten Punkt führte: 2) Haiba hat definitiv nicht genug Respekt vor den älteren Schülern Yaku bestand nicht unbedingt darauf, als ‚senpai‘ angesprochen zu werden, auch wenn er selbst es in den unteren Jahrgängen immer getan hatte. Aber Haibas Ton, sein dauerndes Dazwischengequatsche und seine mangelnde Aufmerksamkeit, wenn man ihm wichtige Dinge erklärte, brachten Yaku zur Weißglut. Es folgten mehrere Unterpunkte in Form von Beispielen. Zwischenzeitlich steckte seine Mutter den Kopf zur Tür herein und erkundigte sich, ob Yaku mit seinen Hausaufgaben fertig war und etwas essen wollte, Aber Yaku hatte keinen Hunger. Unweigerlich schob sich Kuroos grinsendes Gesicht vor Yakus inneres Auge und seine Lippen formten definitiv das Wort »besessen«. Yaku knurrte in die Stille seines Zimmers und wischte das Bild fort. 3) Haibas schlechte Haltung Ja, auch über solche Dinge regte Yaku sich auf. Wenn Haiba abgesehen von seiner miserablen Haltung ein Mustermitspieler und Teamkamerad wäre, würde Yaku derartige Kleinigkeiten vermutlich nicht so streng beurteilen, aber wenn er vor Wut erst einmal richtig in Fahrt war, dann fielen ihm fünfhundert nervige Winzigkeiten auf, die er ansonsten vermutlich großzügig übersehen hätte. Kenma hatte beispielsweise ebenfalls eine grottenschlechte Haltung, aber Yaku störte sich in seinem Fall nicht daran. Dass Haiba wie ein Schluck Wasser in der Kurve in der Gegend herumstand – und das bei seiner Größe, siehe Punkt eins – machte Yaku wahnsinnig. 4) »Ich bin Nekomas Ace«/»Ich werde Nekomas Ace sein!« Dieser Satz aus Haibas Mund war aus Haibas Mund eine Beleidigung für Yakus Ohren und er war ein direktes Resultat aus den folgenden beiden Punkten: 5) Haibas unbegründete, naive Arroganz und 6) Talent statt harter Arbeit Dass Haiba einfach durch schieres Glück, seine Größe und rohes angeborenes Talent einen festen Platz in der Startaufstellung ihres Teams ergattert hatte, fand Yaku ungerecht. Er wusste, dass sie Haiba brauchten, auch wenn er es im Leben nicht laut sagen würde – aber es war unfair, dass viele der Ersatzspieler so hart trainierten, Tipps umsetzten und verlässliche Teammitglieder waren und dann… Yaku selbst hatte sich seine Libero-Fähigkeiten schwer erarbeitet. Die Punkte vier und fünf waren besonders empörend, wenn man Punkt sieben bedachte: 7) Haiba verhunzt selbst die einfachsten Basics beim Spielen und wenn er dann doch einmal etwas gut machte, was meistens nur durch Zufall zustande kam, dann führte Yaku das direkt zum nächsten Punkt. 8) Haiba muss dauernd wegen jeder Selbstverständlichkeit gelobt werden wie ein Hund Yaku hatte sich ein paar Mal dazu herab gelassen, Haiba für etwas zu loben und es waren die schlechtesten Ideen seines Lebens gewesen. Nicht nur hatte er sich Kuroos dummes Grinsen ansehen müssen, das so zweideutig war, dass Yaku ihren Kapitän gerne ins Gesicht gesprungen wäre, nein. Wenn Yaku – oder sonst irgendjemand, Yaku achtete schließlich nicht ununterbrochen auf Haiba – Haiba lobte, dann passierte etwas ausgesprochen Scheußliches. 9) Haiba bekommt wegen Lob ein unerträgliches Funkeln in den Augen und grinst so dümmlich, dass es kaum zu ertragen ist Yaku rief sich einen Augenblick das besagte Funkeln mitsamt dem Grinsen vor Augen, spürte prompt wie sein Gesicht scharlochrot anlief und heiß wurde und fluchte leise, ehe er sich hastig wieder über das Blatt beugte und noch weitere 27 Punkte hinzufügte, eingeschlossen der Art und Weise, wie Haiba aß und dem Unterpunkt, dass er oft mit vollem Mund redete und die Tatsache, dass er immer viel länger als nötig nur in Unterhose bekleidet in der Umkleide herumstand und allen davon erzählte, wie großartig er heute Bälle geschmettert hatte – mitsamt einem Unterpunkt darüber, dass diese Angeberei oftmals maßlos übertrieben war, denn Haiba traf nicht selten nur drei von zehn Bällen, die Kenma für ihn pritschte. Er betrachtete sein Werk von 36 Punkten, die er an Haiba Lev nicht ausstehen konnte und haderte ganze zwei Minuten mit klopfendem Herzen, bevor Yaku beschloss, dass diese Liste ohnehin niemand zu Gesicht bekommen würde. Zögerlich setzte er den Stift auf und schrieb: 37) Ich bin peinlicherweise Hals über Kopf in Haiba Lev verknallt Er strich den Satz peinlich berührt durch, allerdings nicht krakelig genug, als dass man ihn nicht mehr erkennen und lesen konnte und seufzte leise. Kuroos Lachen im Ohr schob er die Liste beiseite, stapelte seine fertigen Hausaufgaben darauf und stand von seinem Schreibtisch auf. Bald war sein letztes Schuljahr an der Nekoma High vorbei und dann würde er sich mit diesem peinlichen und unnötigen Gefühlen nicht mehr herumschlagen müssen. * Leider hatte Yaku nicht mit zwei Dinge gerechnet: Seiner eigenen Zerstreutheit am Morgen und Haibas unglaublicher Fähigkeit immer zur falschen Zeit am falschen Ort aufzutauchen (Punkt 29). Er hatte sich nach dem Matheunterricht mit ein paar Klassenkameraden auf den Weg zur Cafeteria gemacht, um sich ein Melonenbrötchen zu kaufen, als hinter ihm ein Gang ein lautstarkes »YAKU-SAN!« ertönte und Yaku zusammenzucken ließ. Er brauchte sich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, wer da wie ein Wahnsinniger durch den halben Korridor dröhnte und er spürte sofort eine wütende Ader an seiner Schläfe pulsieren, die in den letzten Wochen und Monaten ausschließlich für Haiba reserviert zu sein schien. Yaku wirbelte herum, um Haiba mit strengem Ton zur Ordnung zu rufen, doch in diesem Augenblick stand er schon ihm und Yaku stolperte einen Schritt zurück, verlor das Gleichgewicht und landete auf seinem Hintern. Sein erster Gedanke war, dass Haiba mit seinen drei Meter langen Beinen natürlich so schnell den Korridor durchquert hatte, dann wurde er zornig, weil Haiba ihn vor seinen Klassenkamerden zum Deppen gemacht hatte. Seine Schultasche war ihm von der Schulter gerutscht und seine Sachen hatten sich quer durch den Gang verteilt, er hörte Leute tuscheln und spürte sein Steißbein schmerzvoll pochen. Großartig. »Das tut mir Leid, Yaku-san!«, sagte Haiba und fing emsig an, Yakus Sachen einzusammeln. Yaku rappelte sich hastig auf und bedeutete seinen Freunden, dass sie schon einmal ohne ihn vorgehen und ihm ein Melonenbrötchen ergattern sollten, dann stemmte er die Hände in die Hüften und holte tief Luft, um Haiba eine gepfefferte Standpauke zu halten. Bis ihm die gerade eingeatmete Luft entwich wie einem mit einer Nadel durchstochenen Ballon. Haiba hielt in einem Arm die zusammen gesammelten Schulsachen, in der anderen ein Stück Papier, das Yaku auf grauenerweckende Art bekannt vorkam. Haiba hockte immer noch auf dem Boden und starrte nun auf die Liste, die Yaku in seinem Brausekopf mitsamt seinen erledigten Hausaufgaben in seine Schultasche gesteckt hatte. Obwohl Haiba kniete, war er immer noch unverschämt groß und Yakus Herz rutschte ihm in die Hose, als er Haibas ausdrucksloses Gesicht sah. Unweigerlich dachte er daran, wie Kuroo damals angefangen hatte, Yaku zu beleidigen, aber Haiba schien kein bisschen motiviert, irgendetwas Negatives zu sagen. Er hockte einfach da wie ein verlorener Welpe im Regen und Yaku fühlte sich wie der schlechteste Mensch auf Erden. Als Haiba zu ihm aufsah, musste Yaku schlucken. Verfluchter Mist. Haiba richtete sich auf und drückte Yaku seine Schulsachen in die Hand. Yaku spürte Panik in sich aufsteigen. »Lies den letzten Punkt!«, blaffte er Haiba von unten herauf an und Haiba blinzelte verwirrt und sah aus, als wäre er nicht wirklich in der Stimmung, noch einen Punkt mehr darüber zu lesen, was Yaku an ihm unausstehlich fand. Yakus Herz hämmerte ihm ein Tattoo gegen die Innenseite seines Brustkorbs. Er war der Drittklässler, er sollte sich emotional überlegen fühlen und einen kühlen Kopf bewahren. Leider war er schon seit längerem nicht mehr wirklich in der Lage, rational zu denken, wenn ein gewissen bohnenstangiger Jemand vor ihm stand oder sich auch nur innerhalb eines 500m Umkreises in seiner Nähe aufhielt. Haibas Augen huschten die Liste entlang. »Nummer 36: Haibas Angewohnheit Trinkpäckchen unnötig lange auszusaugen und dabei ein ewiglanges Blubbern zu verursachen.« Yaku war kurz davor, mit dem Fuß aufzustampfen. »Den durchgestrichenen Punkt! Den danach!«, krächzte er und stopfte seine Schulsachen zurück in die Tasche. Leute tuschelten, während sie an ihnen vorbei gingen und Yaku hätte nicht ungerne seine Beine in die Hand genommen und wäre geflohen. Vielleicht konnte er Kuroo dazu überreden, ihn irgendwo im Schulgarten zu vergraben. Haiba war sehr still geworden. Yaku war sich nicht einmal sicher, ob Haiba überhaupt noch atmete. »Yaku-san…« »Ja, schön. Her damit!«, motzte Yaku und entriss Haiba die Liste, knüllte sie zu einem Ball zusammen und rammte seine Hand mit dem zerknitterten Papier darin in seine Hosentasche. Knallrot im Gesicht und mit Beinen, die sich anfühlten wie Pudding, wandte er sich auf dem Absatz um und marschierte den Gang entlang, ohne einen Blick zurück zu werfen. Ihm hätte klar sein müssen, dass Haiba ihm folgen würde. Von wegen Löwe. Hund. Definitiv Hund. »Yaku-senpai«, sagte Haiba, als er ihn eingeholt hatte. Oh Gott. Yaku spürte ein sehr eindeutiges Ziehen in der Magengegend. Sein Leben lag in Scherben. »Eigentlich wollte ich fragen, ob es deiner Nase besser geht«, sagte Haiba erstaunlich leise und Yaku legte noch einen Zahn zu. Wenn er nur die Cafeteria erreichen könnte, dachte er, wäre er vielleicht in Sicherheit. Eine dumme Idee. »Danke, meiner Nase geht es hervorragend«, brummte Yaku. Sein Gesicht glühte immer noch. Verflixter Mist. »Yaku-senpai?« »Hör auf mich so zu nennen!« »Aber Punkt zwei…« Yaku wusste nicht so recht, was in ihn gefahren war, aber er streckte hastig die Hand aus und legte sie Haiba auf den Mund, um ihn vom Sprechen abzuhalten. Seine Haut begann dort zu kribbeln, wo Haibas Lippen seine Handinnenfläche berührte. Haiba schaute ihn aus großen Augen an. Wenn Yaku sich jetzt spontan aus dem Fenster neben ihm stürzen würde, könnte er dieser schrecklich peinlichen Situation entkommen. Allerdings ließ Haiba ihm keine Gelegenheit, aus dem Fenster zu springen. Er griff unerhört sanft nach Yakus Handgelenk, zog sich die Finger vom Mund und betrachtete sie einen Augenblick lang. Dann geschah etwas absolut Unerhörtes. Haiba küsste Yakus Handrücken. Yaku war sich sicher, dass sein Kopf gleich explodieren würde. »Wenn du willst, höre ich auf in Trinkpäckchen zu blubbern, Yaku-senpai«, sagte Haiba mit ernster Miene und Yaku holte gerade Luft um zu antworten, als eine vertraute Stimme hinter ihm sagte: »Na endlich! Das hat ja ewig gedauert! Hat er deine Liste gefunden? Ah, Yaku-san, manche Dinge ändern sich eben nie.« »Sucht euch ein Zimmer!«, dröhnte Yamamotos Stimme und er, Kai, Kenma und Kuroo schritten an ihnen vorbei. Kuroos Gesichtsausdruck war so selbstzufrieden, dass Yaku ihn gerne erwürgt hätte. Haiba ließ Yakus Hand los und fuhr sich verlegen durch die Haare. »Ich kann auch versuchen gerader zu stehen«, schlug Haiba vor. Yaku wischte sich mit der Handfläche über die Augen und stöhnte. Sein Herz war ungefähr auf die dreifache Größe angeschwollen und drückte eindeutig auf seine Stimmbänder, denn er brachte kein anständiges Wort heraus. Es klang mehr nach einem verzweifelten Gurgeln. Er fischte die Liste aus seiner Hosentasche und warf sie in den nächstbesten Papierkorb. »Sprich einfach nie wieder über diese Liste«, wies er Haiba streng an. Haiba lächelte verschmitzt. »Auch nicht über Punkt 37, Yaku-senpai?« »Ganz besonders nicht über Punkt 37! Und hör auf mich so zu nennen!« »Du bist süß, Yaku-senpai.« »Gah!« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)