Quick Time Event von Flordelis ================================================================================ Prolog: Prolog: Sag das nicht. ------------------------------ Noch vor kurzem hätte Faren niemals geglaubt, während eines derart heftigen Orkans seelenruhig an einem Fenster stehen zu können und doch tat er es an diesem Tag. Vor einem gelblich verfärbten Himmel wurden Straßenschilder, abgebrochene Äste und teilweise sogar Parkbänke herumgeschleudert, er glaubte, das Splittern von Fenstern zu hören, aber dafür war der Sturm viel zu weit von seiner Position entfernt. In dieser Schule, dem Notfallquartier seines Viertels, war er vollkommen sicher, er hörte nur den Wind um das Gebäude heulen und glaubte, ein leises, freudloses Lachen darin zu hören. Er wusste, dass es sich hierbei nicht nur um einen einfachen Sturm handelte und das bereitete ihm zusehends Sorgen, weswegen er ihn beobachten musste. Sonst könnte er nur unruhig zwischen den Feldbetten in der Caféteria oder der Sporthalle auf und ab laufen und das wollte er vermeiden. Der junge Mann, der bislang mit ihm hier in diesem Klassenzimmer gestanden und hinausgesehen hatte, wandte sich schließlich ab. So war es Faren nicht mehr möglich seine Augen zu sehen, da das linke von seinem schwarzen Haar verdeckt wurde. „Ich sollte dann mal gehen.“ Die Worte stachen wie Eiszapfen in Farens Brust, auch wenn sie vollkommen nebensächlich gesagt worden waren – das machte es nur umso schlimmer. „Das kannst du nicht tun, Kieran. Überlass den Kampf doch den anderen Jägern. Warum musst du dich auch in Gefahr begeben?“ Vor allem da er gerade noch ein Neuling war, erst seit zwei Monaten war er in der Ausbildung. Niemand konnte ernsthaft erwarten, dass er sich dennoch beteiligte. Kieran wandte ihm den Blick zu, in seinen braunen Augen funkelte Entschlossenheit, die er noch nie zuvor derartig an ihm gesehen hatte. „Ich muss gehen, Faren. Dieser Sturm ist selbst für die Veteranen zu machtvoll. Jede helfende Hand, selbst meine, wird gebraucht. Und das ist alles, was ich jemals wollte.“ Nützlich sein, davon sprach er. Faren kannte seinen Wunsch ganz genau, er wusste, dass Kieran nur deswegen die Ausbildung zum Dämonenjäger angetreten war. Es war nicht an ihm, dem Wunsch seines besten Freundes zu widersprechen, egal wie groß seine Sorge um ihn war. „Es gibt nichts, was dich überzeugen kann?“ Kieran wandte wieder den Blick ab, so dass Faren seine Augen nicht mehr sehen konnte. „Leb wohl, Faren.“ „Sag das nicht.“ Seine Stimme zitterte ein wenig. „Bitte, sag das nicht.“ „Was wäre dir lieber?“ „Wie wäre es mit Bis später?“, schlug Faren hoffend vor. Kieran schwieg einen kurzen Moment, dann hob er die Mundwinkel. „Bis später, Faren.“ Ohne jedes weitere Wort, lief er hastig davon, um das Klassenzimmer zu verlassen und sich in den Kampf zu begeben. Faren blickte wieder nach draußen und wartete auf das versprochene Später. Auch als der Sturm endlich schlagartig endete und einen sonnigen Himmel und Ruinen zurückließ, wartete er. Am Himmel zeigten sich die ersten Sterne, Menschen begannen bereits mit den Aufräumarbeiten, während Faren immer noch wartete. Erst als am frühen Morgen ein Polizist hereinkam, der ihn darüber aufklärte, dass die Gefahr vorbei sei und er die Schule zu verlassen habe, wagte Faren zu akzeptieren, dass er umsonst wartete. Kieran kam nicht mehr zurück. Es gab kein Später. Kapitel 1: Das ist echt gut für die Kondition. ---------------------------------------------- Zwei Jahre waren seit jenem Ereignis vergangen, Kieran war auch in dieser Zeit nicht zurückgekommen. Kaum jemand von denen, die ausgezogen waren, um diesen Sturm zu bekämpfen, war aus dieser Schlacht zurückgekehrt und jene, die es doch waren, hatten schwerwiegende Verletzungen davongetragen. So war es immer, wenn ein derart machtvoller Dämon angriff, hatte Seline, eine der wenigen Überlebenden, ihm versichert, kurz bevor er von ihr gefragt worden war, ob er sich dem Kampf nicht anschließen wollte. Und so war er ein Dämonenjäger geworden. Stets mit der sicheren Erwartung, einen Kampf nicht überleben zu können – aber bislang war er noch immer siegreich gewesen. Wohl aber nicht zuletzt deswegen, weil er noch keinem derart machtvollen Feind begegnet war, wie vor zwei Jahren. Fragte man ihn allerdings, bestand er darauf, dass es an seiner unkonventionellen Trainingsmethode lag, der er auch an diesem Tag wieder einmal nachging. Mit einem metallischen Klang verschwand die Münze im Gerät, worauf sich der Bildschirm änderte. Die blinkende Anzeige Please insert coin verschwand und ließ stattdessen endlich die ihm inzwischen vertraute Umgebung einer Fabrik erkennen. Sein Griff um das Plastik in seiner Hand verstärkte sich ein wenig, sein Blick huschte aufmerksam über die aufgestellten Kisten. Inzwischen wusste er, dass die Aufstellung der Gegner immer rein zufällig erfolgte, das nahm dem Spiel etwas von der sonst üblichen Monotonie, die sich bei Vielspielern gern einstellte. Farens Reflexe reagierten schneller, als er wirklich erfassen konnte, was eigentlich vor sich ging. Kaum erschien der erste feindliche Soldat auf dem Bildschirm, zielte er bereits mit der Light Gun auf diesen und schoss, was er bei jedem einzelnen wiederholte. Er bekam schon nicht mehr mit, was noch alles in diesem Level geschah, welcher Text eingeblendet wurde, er schoss einfach auf alles, was sich bewegte. Wer ihn dabei beobachtete, konnte an seiner gerunzelten Stirn erkennen, wie konzentriert er dabei war, und kaum jemand hätte bei diesem Anblick wohl vermutet, dass er eigentlich ziemlich viel Freude beim Spielen empfand. Schließlich endete der Level, mit dem obligatorischen Boss-Fight, der das einzige war, was sich nie änderte. Ein kurzer Blick auf seine Highscore-Anzahl in der rechten oberen Bildschirmecke, ließ ihn leise seufzen. Es war zu wenig. Wieder einmal. Statt noch mehr Münzen einzuwerfen, ließ er sich daher lieber die Highscore-Liste anzeigen. Das Spiel war beliebt, entsprechend viele Namen fand er daher in der Liste der besten 20, sein Blick heftete sich aber direkt auf die ersten beiden Plätze. Auf dem zweiten stand er unter seinem Pseudonym TheGriff, und auf dem ersten – der ihm ein Dorn im Auge war – stand nur AAAA. Jemand, der sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, sich einen anständigen Namen für diese Liste auszudenken, führte diese bereits seit Monaten an und das mit einem Punkte-Unterschied von über 50 000. Was für Reflexe musste diese Person nur haben? Während er darüber wieder einmal grübelte, konnte er Schritte hinter sich hören. Es war noch Vormittag, an einem Schultag, dementsprechend war er meist eigentlich allein an diesem Ort, der nachmittags stets von unzähligen Stimmen und den Geräuschen der anderen Automaten erfüllt war. Deswegen war es irritierend, jetzt schon jemand anderen hören zu können. Als er den Blick wandte, entdeckte er Seline, die zu ihm getreten war. Das Licht des Bildschirms spiegelte sich in ihrer Brille, so dass er die blauen Augen nur erahnen konnte. Ihr langes blondes Haar bewegte sich im kaum wahrnehmbaren Luftstrom der Klimaanlage. „Denkst du nicht, du solltest vielleicht anders trainieren?“, fragte sie. Als Faren sie das erste Mal gesehen hatte, war er fest davon ausgegangen, dass sie eine helle, mädchenhafte Stimme haben musste – aber stattdessen war es eine angenehm dunkle Stimme, die ihm doch um einiges besser gefiel, als alles, was er sich hätte vorstellen können. Sie hatte ihn damals rekrutiert, aber mit seiner Trainingsmethode war sie nie wirklich einverstanden gewesen. „Warum?“, erwiderte er. „Ob ich jetzt mit einer Light Gun auf virtuelle Gegner ziele oder mit einer richtigen Waffe auf Dämonen, macht doch keinen Unterschied.“ Sie legte ihre Stirn in Falten. „Und ob es einen Unterschied macht, ob du in der vollkommenen Sicherheit einer Spielhalle auf nicht-existierende Pixelhaufen feuerst, oder in einer Situation, in der es um Leben und Tod geht.“ Als vollkommen sicher hätte er diesen Ort zwar nicht eingestuft, aber er wollte auch nicht mit ihr darüber diskutieren. Er kannte die Gefahren der nächtlichen Jagd, wusste auch, wie es war, wenn das eigene Leben nur noch am seidenen Faden hing, das musste sie ihm nicht erzählen. Er wusste auch, dass sie sich darüber im Klaren war, dass es eigentlich überflüssig war. Deswegen würde eine Diskussion wohl zu nichts führen. „Was machst du denn hier?“, fragte er stattdessen. „Ich habe nach dir gesucht. Cerise möchte, dass du dich morgen bei ihr meldest. Du hast letzte Nacht nicht unbedingt deine beste Performance abgeliefert.“ Dabei hatte er sich gar nicht so schlecht gefunden. Sicher, seine Bewegungen waren ein wenig verzögert gekommen, aber nur weil der Gegner ihm das auch erlaubt hatte. Warum sollte er sich übermäßig viel Mühe geben, wenn der Feind doch eigentlich richtig lame ist? Aber wenn Seline schon mal hier an diesem Ort war, konnte er sie auch direkt etwas anderes fragen. Mit dem Daumen deutete er über seine Schulter, tiefer in die Spielhalle hinein. „Hast du Lust, mit mir bei DDR zu trainieren?“ Sie neigte den Kopf ein wenig zur Seite und versuchte an ihm vorbeizusehen, aber seine Statur und die anderen Automaten, die im Weg standen, machten es ihr nicht einfach. Also richtete sie ihren Blick lieber wieder auf ihn. „DDR?“ Sie betonte jeden Buchstaben ganz besonders, als könne sie nicht einmal deren Bedeutung begreifen. „Ich fürchte, ich verstehe nicht, was du damit sagen willst.“ „Dance Dance Revolution“, erklärte er lächelnd. „Das ist echt gut für die Kondition.“ Da sie immer noch zweifelte, ergriff er einfach ihr Handgelenk und zog sie dann mit sich zu dem entsprechenden Automaten. Auf dem Bildschirm tanzte gerade eine Figur zur Demoversion eines Liedes, direkt davor war ein kleines Podest angebracht, auf dem die vier Pfeile zum Spielen montiert waren. Seline sah dieses Gerät aber wohl wirklich zum ersten Mal: „Womit steuert man das?“ Zur Demonstration stellte Faren sich auf eines der Podeste und warf eine Münze in den Automaten. Dann zeigte er ihr, wie die Steuerung funktionierte, damit sie es am zweiten Gerät nachahmen konnte, was sie auch sofort tat. „Und worum geht es hierbei?“, fragte sie dann unsicher. „Um Spaß~. Und Rhythmus.“ Ihm schien, sie wolle doch noch ablehnen, aber dann zuckte sie mit den Schultern und wählte gemeinsam mit ihm ein Lied aus, das sie, wie er hoffte, nicht zu sehr fordern würde für den Anfang. Den Anweisungen auf dem Bildschirm folgend, begannen die beiden, im Takt der Musik auf die Pfeile zu treten. Bei Faren sah es routiniert und bereits wie ein Tanz aus, während Seline noch ein wenig steif wirkte und selbst hierbei ihren ernsten Gesichtsausdruck beibehielt. Erst im letzten Viertel des Liedes verließen die Falten ihre Stirn und ihre Mundwinkel hoben sich, als sie endlich in den Rhythmus hineinfand und fast schon intuitiv den passenden Pfeil traf. Und dabei fiel ihm eines deutlich auf: Sie tanzte, wie sie kämpfte, nämlich mit vollem Körpereinsatz und uneingeschränkter Konzentration. Selbst als er sich irritiert fragte, wo dieses plötzliche Störgeräusch herkam, griff Seline, noch vollkommen im Takt, in ihre Tasche und zog ihr Handy hervor. Ohne mit dem Tanzen aufzuhören nahm sie den Anruf an und hielt sich das Telefon an ihr Ohr. Ihr Blick blieb weiterhin auf den Bildschirm gerichtet, hin und wieder gab sie einen verstehenden Ton oder auch mal ein „Ja“ von sich, aber nichts hinderte sie daran, weiterzutanzen. Schließlich warf sie Faren das Handy mit den Worten „Für dich“ zu. Im Gegensatz zu ihr gelang es ihm nicht, weiterzutanzen. Stattdessen fing er das Handy auf und stolperte dabei rückwärts vom Podest herunter. Er fing sich wieder und hielt sich das Telefon ans Ohr. „Griffin~?“ „Hallo, Faren“, grüßte ihn eine ihm viel zu bekannte tiefe Männerstimme. Automatisch zog er sein eigenes Handy heraus und sah erst einmal nach, wie viele Anrufe er verpasst hatte. Es waren 14, die ihm da auf dem Display entgegenprangten. Das schlechte Gewissen nagte bereits an ihm, aber er schob es einfach mit dem Fuß beiseite, um weiterhin lächelnd ins Telefon sprechen zu können: „Hey, Vince~. Na, wie läuft's?“ „Komm mir nicht so“, erwiderte sein Gesprächspartner gewohnt ruhig. „Du bist schon wieder letzte Nacht nicht nach Hause gekommen und hast es auch nicht für nötig befunden, mich anzurufen. Oder meine Anrufe anzunehmen.“ Das musste wohl ziemlich an ihm nagen und es tat Faren auch leid … ein kleines Bisschen. „Vince, ich bin 19 Jahre alt, ich komme schon klar. Auch ohne deine Kontrollanrufe.“ Er hörte, wie sein Gesprächspartner tief durchatmete und stellte sich dabei dessen ausdrucksloses Gesicht vor, das einem nie verriet, was gerade in ihm vorging. Ein Gesicht, das er vor kurzem noch mit verzweifelter Hoffnungslosigkeit betrachtet hatte, bis ihm aufgefallen war, wie viel man in seinen dunkelblauen Augen lesen konnte, wenn man denn wollte. „Es wäre mir dennoch lieb, wenn du dich ab und an melden würdest, besonders nach deinen Einsätzen.“ Aus seinen Worten sprach unterschwellig die ehrliche Besorgnis, die Faren tatsächlich mit dem Hauch eines schlechten Gewissens erfüllte. „Sorry“, sagte er daher. „Würde es irgendetwas wieder gutmachen, wenn ich dir einen Kaffee vorbeibringe und wir zusammen frühstücken?“ Einen kurzen Moment herrschte Schweigen am anderen Ende. „Für den Anfang vielleicht.“ „Gut, dann besorge ich uns was~. Bin bald zu Hause, Vince.“ Nachdem Vincent sich auch verabschiedet hatte, legte Faren auf und warf Seline das Handy wieder zu. Sie fing es auf, im selben Moment, in dem das Lied endete und stellte sich damit gekonnt in Pose. Wie sie das immer wieder machte, erstaunte ihn, so dass er lächelnd mit dem Kopf schüttelte und dann in die Hände klatschte. „Gut gemacht, Sel. Lass uns irgendwann mal wieder zusammen tanzen.“ Nicht im Mindesten außer Atem stieg sie wieder vom Podest herab. „Du musst also gehen?“ Er nickte. „Tut mir leid, dass du das mal wieder ausbaden musst. Ich sollte vielleicht doch mal selbst an mein Handy gehen, huh?“ Darauf antwortete sie nicht, aber ihre zusammengezogenen Augenbrauen sagten ihm alles. „Wir sehen uns dann, Faren. Und vergiss nicht, dass Cerise morgen noch mit dir sprechen will.“ „Das vergesse ich garantiert nicht“, erwiderte er seufzend. Zehn Minuten später trat Faren mit einer Tüte frischer Croissants und einem Becherhalter mit zwei Bechern Kaffee aus einer nahegelegenen Bäckerei. Glücklicherweise schien an diesem Tag die Sonne, so dass er sich nicht, wie beim letzten Mal, Gedanken darum machen musste, wie er das alles nun trocken zu Vincent nach Hause schaffen sollte. Auch wenn er nur einige Straßen weiter lebte, war Faren damals reichlich nass gewesen. Heute pustete er sich einige der braunen Strähnen aus der Stirn und wollte sich gerade lächelnd in Bewegung setzen – als er plötzlich von einem heftigen Stoß zu Boden gerissen wurde. Becher und Tüte landeten unsanft auf dem Boden, ersteres ergoss seinen Inhalt über letzteres. Aber Faren blieb keine Zeit, seinem Geld nachzutrauern und sich über den Verursacher zu ärgern, da ihm bereits bei jeder Bewegung ein scharfer Schmerz durch den rechten Ellenbogen fuhr. „Ow, fuck it“, fluchte er leise. Vorsichtig versuchte er, den Arm wieder dazu zu bringen, sich anständig zu bewegen. Dabei bemerkte er, dass die Person, die ihn angerempelt hatte, vor ihm kniete und ihn unverwandt ansah, ohne auch nur ein Wort der Entschuldigung zu verlieren. Dabei verlangte ja nicht einmal viel, war das etwa schon zu viel für ihn? Doch als er den Blick endlich seinem Gegenüber zuwandte, wusste er, warum dieser schwieg. Der junge Mann, der da vor ihm kniete, hatte schwarzes Haar, mit einem kaum sichtbaren Blaustich, das ihm bis knapp über die Schulter reichte und zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst war, die braunen Augen waren vollkommen fassungslos von dem, was sie da sahen. Wenn Faren davon absah, dass sein eigenes Haar braun war und er es lieber zu einem hochgebundenen Pferdeschwanz trug, fiel ihm eines ganz deutlich ins Auge. Er holte tief Luft, wie auch sein Gegenüber, bevor sie gleichzeitig dieselben Worte ausstießen: „Alter! Du könntest mein Zwilling sein!“ Kapitel 2: Das kann nicht gesund sein. -------------------------------------- Kurz darauf hatte Faren alles einfach nochmal gekauft und auch ein mitleidvolles „Owww“ von der Verkäuferin hinter dem Tresen erhalten. Aber er fand nicht, dass er ein solches benötigte, immerhin hatte er so die Bekanntschaft mit Ferris gemacht. Ferris war der Name des jungen Mannes, der ihn angerempelt hatte. Schon nach wenigen Minuten kannte er dessen Namen, sein Alter – sie waren gleichalt – und auch seine Handy-Nummer. Sein Ellenbogen schmerzte noch ein wenig, während er neben Ferris herlief, auf dem Weg zu Vincent, der immerhin noch auf ihn wartete. Glücklicherweise hatte sein neuer Freund – für ihn waren sie mit dem Austauschen der Nummern bereits Freunde geworden – sich bereit erklärt, ihm beim Tragen zu helfen, so dass Faren nur die Tüte mit den Croissants hielt. „Gehst du immer so forsch an neue Bekanntschaften heran?“, fragte Faren, als sie an der Ampel darauf warteten, dass es grün wurde. Normalerweise wäre er einfach so über diese Kreuzung gelaufen, aber gerade heute herrschte besonders viel Verkehr, weswegen er es als nicht sonderlich gute Idee empfand. Fast schien es ihm schon wie Schicksal, das ihm möglichst viel Zeit mit Ferris gönnen wollte. Dieser wirkte sehr zerknirscht, als er wieder auf den Zusammenstoß angesprochen wurde. „Das war echt keine Absicht, Mann. Ich war in Gedanken.“ „Und da rennst du immer so herum? Das kann nicht gesund sein.“ Ferris grinste schräg. „Ich hab nicht mal bemerkt, wie schnell ich war. Ich wollte eigentlich nur meine Gedanken sortieren. Aber hey, in dich reinzustoßen hatte doch auch was.“ Spielerisch stieß er Faren den Ellenbogen gegen die Brust, worauf dieser nur lachen konnte. „Sei froh, dass ich mir nicht mehr gebrochen habe, sonst würde ich dich sofort auf Schmerzensgeld verklagen.“ „Da gibt es eh nichts zu holen.“ Dennoch wurde Ferris ein wenig blass, auch wenn sein Grinsen blieb. „Aber gebrochen hast du eh nichts. Einem schönen Mann wie dir geschieht nie was Schlimmes.“ Faren fragte sich, ob das Universum überhaupt auf diese Art und Weise funktionierte. Falls ja, würde es jedenfalls erklären, warum Seline einen derart schnellen Aufstieg zur Third-in-command für Abteracht geschafft hatte. Aber er zweifelte daran, jemals jemanden zu finden, der ihm beantworten könnte, ob es wirklich auf diese Art und Weise ging. „Na ja, das würde ich so nicht behaupten“, erwiderte er daher. Er warf Ferris einen kurzen, musternden Blick zu, ehe er sich wieder auf die Ampel konzentrierte. „Ist denn bei dir etwas Schlimmes geschehen, dass du unbedingt schnell weg musstest?“ „Mehr oder weniger.“ Ferris sprach die Worte nur gedehnt aus, als überlegte er, was er eigentlich genau darauf antworten sollte. Oder dürfte. „Ich bin halt mit meinem Bruder aneinandergeraten, weiter nichts.“ Über diesen wusste Faren noch nichts, deswegen hakte er sofort nach. Die Ampel sprang derweil auf Grün, so dass sie die Straße überqueren konnten. „Er ist mein Vormund“, erklärte Ferris. „Seit dem Tod s-, unserer Eltern. Eigentlich kommen wir ganz gut miteinander aus, aber manchmal eben nicht so. Aber das liegt nur an mir, nicht an ihm. Er ist großartig … und so.“ „Wirklich? Dann würde ich den auch gern mal kennenlernen.“ Ferris lächelte ein wenig gequält, aber Faren machte sich nicht viel daraus. Wenn man sich gerade erst mit jemandem gestritten hatte, war man selten gut auf diese Person zu sprechen, er kannte das zur Genüge. Aber er hätte die Person, mit der er damals oft gestritten hatte, niemals als großartig bezeichnet. Deswegen glaubte Faren, dass die Beziehung der beiden im Grunde wohl eine gute sein musste. „Was hast du denn angestellt, dass ihr gestritten habt?“ „Ach, nichts Großartiges. Ich war nur die ganze Nacht unterwegs, das passt ihm nicht.“ Herzerwärmend. Der große Bruder machte sich Sorgen, weil der kleine Bruder die ganze Nacht nicht nach Hause kam. Eigentlich genau dieselbe Situation, wie er sie gerade mit Vincent durchmachte. Nur dass Vincent nicht sein Bruder war. „War die Party den Ärger wenigstens wert?“ Ferris war kein Dämonenjäger, das hätte er sofort gespürt. Aber er wirkte auch nicht wie jemand, der einfach nachts auf der Straße herumlungerte. Aber das Kopfschütteln sagte ihm, dass es auch keine Party gewesen war. „Ich war bei meinem Freund“, ergänzte Ferris noch. „Wir stehen nicht so auf Parties, sondern sind lieber bei ihm zu Hause. Allein.“ Er betonte das auf eine Art und Weise, die Faren bereits alles sagte, was er wissen musste. „Ah, so ein Freund also~. Dann war es das sicher auf jeden Fall wert.“ Obwohl Faren nach außen hin lächelte, fühlte er sich innerlich … er konnte das Gefühl nicht beschreiben. Es war ein heißes Stechen in der Brust, das ihn wieder einmal an Kieran erinnerte und daran, was er diesem niemals gesagt hatte, nicht einmal als sie sich im Klassenzimmer voneinander verabschiedet hatten. Dabei war ihm in jenem Moment bereits bewusst gewesen, dass Kieran nicht zurückkehren würde. Und dennoch hatte er gehofft und gewartet. Und eigentlich wartete er immer noch. Vielleicht war es Kieran ja, durch irgendeine absonderliche Eigenheit des Schicksals, gelungen zu überleben. Möglicherweise war er nur zu verletzt, lag in irgendeinem Krankenhaus oder an einem sonstigen Ort, wo man sich um ihn kümmerte. Es war doch möglich, dass er nur durch die Informationsmaschen von Abteracht gerutscht war, so eng diese auch sein mochten. Immerhin hatte man niemals seine Leiche gefunden. Aber auch die von vielen anderen nicht, schoss ihm direkt ein Gedanke dazwischen, den er lieber nicht hätte. Und sie sind alle unzweifelhaft tot. Normalerweise, so war ihm erklärt worden, waren Dämonen nicht sichtbar für das menschliche Auge. Sie befanden sich außerhalb der Wahrnehmung der Menschen, waren derart bizarr, dass sich das Auge schlichtweg weigerte, die Informationen umzusetzen und sie deswegen ausblendete. Bei Dämonenjägern gab es zwei Wege, damit sie Dämonen dennoch sahen: Es gab die geborenen Jäger wie Kieran oder Seline, bei denen es genetisch veranlagt war, dass sie alles sehen konnte. Dann gab es noch Quereinsteiger, so wie ihn, die eine Operation dazu benötigten. Genauer gesagt war es eine Laserbehandlung seiner Augen gewesen. Obwohl ihm die Vorstellung Furcht bereitet hatte, war er bereit gewesen, sie über sich ergehen zu lassen und bereute es immer noch nicht. Er war nicht Kieran, der aus idealistischen Gründen gehandelt hatte. Er war egoistisch. Farens einziger Grund, ein Jäger zu werden, war der Wunsch gewesen, Kieran nah zu sein, seine Welt zu erleben, durch seine Augen zu sehen. Dieser Wunsch war ihm erfüllt worden. Aber Kieran war dennoch nicht zurückgekehrt. Ferris schielte zu ihm hinüber, worauf Faren wieder aus seiner Gedankenwelt auftauchte. „Huh?“ Sein neu gewonnener Freund schmunzelte ein wenig. „Ach, ich habe mich nur gerade gewundert, warum du so verträumt wirkst. Du bist wohl auch verliebt, hm?“ „Könnte man so sagen.“ Nur war es ohne jede Zukunft. „Ist das Frühstück dann hier für deine Liebste? Oder deinen Liebsten?“ Trotz der düsteren Gedanken von zuvor, musste Faren bei dieser Vorstellung direkt schallend loslachen. Ein Spaziergänger, der gerade an ihnen vorbeikam, blickte ihn dafür mit gerunzelter Stirn an, aber er kümmerte sich nicht weiter darum. „Nein, nein“, sagte er lieber hastig. „Ich wohne aktuell bei jemandem, der so eine Art großer Bruder für mich ist. Für den ist das Frühstück, als Versöhnungsgeste.“ „Was ist denn mit deinen Eltern?“ Bei seiner wegwerfenden Handbewegung protestierte sein Ellenbogen wieder. Vielleicht sollte er das untersuchen lassen, sobald er bei Cerise gewesen war. „Mein Vater ist vor zwei Jahren bei diesem schweren Sturm gestorben. Meine Mutter arbeitet sehr viel. Da bin ich dann doch lieber bei Vincent untergekommen.“ Eigentlich hatte er es vorgezogen, auf der Straße zu leben, schon vor dem Dämonenangriff. Vincent war er erst später begegnet, aber durch ihn hatte er auch erfahren, dass sein Vater bei dem Angriff ums Leben gekommen war. Nun, Faren weinte ihm keine Träne hinterher. „Das tut mir leid“, sagte Ferris, der ja nichts von Farens Abneigung gegen seinen Vater wusste. „Und warum die Versöhnungsgeste? Habt ihr euch auch gestritten?“ „So ähnlich. Ich war auch die ganze Nacht unterwegs und er hat sich Sorgen gemacht. Da muss ich mich wieder ein bisschen gut mit ihm stellen.“ Für den Hauch einer Sekunde glaubte Faren etwas wie Neid in Ferris' Augen blitzen zu sehen. Aber es war so schnell verschwunden, dass er es sich eingebildet haben musste. Warum sollte Ferris auch auf ihn neidisch sein? Er hatte doch einen eigenen großen Bruder, der sich Sorgen um ihn machte. „Das wird bestimmt schon wieder mit euch“, meinte Ferris optimistisch. Das hoffte Faren jedenfalls. Er sagte es nicht oft, aber er war dankbar dafür, dass Vincent ihn bei sich aufgenommen hatte, obwohl er keinerlei Verpflichtung dazu hatte. Dass er sich derart undankbar zeigte, machte ihm manches Mal selbst Sorgen. „Das mit deinem Bruder und dir wird bestimmt auch wieder“, schloss sich Faren dem allgemeinen Optimismus an. „Blut ist bekanntlich dicker als Wasser, er kann ja nicht ewig wütend auf dich sein.“ „Da wäre ich mir nicht so sicher“, murmelte Ferris. Es war deutlich, dass er nicht weiter darüber reden wollte, also vertiefte Faren das Thema lieber nicht. Immerhin kannten sie sich erst einige Minuten, da wäre es sogar ihm sehr dreist vorgekommen, sich zu sehr in das Leben des anderen einzumischen. „Was machst du denn so, wenn du gerade nicht fremde Leute umrennst?“, fragte er daher lieber. „Ich jobbe. Bin alle paar Wochen in einem anderen Laden und einem anderen Beruf.“ Ferris hob die Schultern. „Ist ganz okay, aber bislang hab ich noch nichts gefunden, was ich wirklich weitermachen will.“ „Das kenne ich. Ich hab zuletzt sogar in einem Fast-Food-Laden gearbeitet. War aber auch nicht so das Wahre.“ Glücklicherweise hatte er das nur sehr kurzzeitig tun müssen, dann war von Abteracht das Angebot gekommen, ihn auch für seine Jäger-Dienste zu bezahlen und ihn nicht mehr wie einen Schüler zu behandeln. Dass es aber so schnell ging, hatte nur an dem akuten Personalmangel durch diesen Dämon gelegen. Ferris schnitt eine Grimasse. „Cowen würde mich umbringen, wenn ich mit so einem Job ankäme.“ Cowen musste dann also der große Bruder sein. Aber Faren konnte sich nicht vorstellen, dass es wirklich so käme. Mit Sicherheit übertrieb Ferris, wie ziemlich viele es gern taten. Keiner von ihnen ging weiter auf das Thema ein, stattdessen ließ Ferris lieber interessiert den Blick schweifen. „Ist ja eine hübsche Gegend hier.“ Vincent lebte in einer Mittelschicht-Gegend. Kleine Häuser reihten sich aneinander, jedes mit einem eigenen Garten, in dem Kinder spielen konnten. Vincent hatte keine Kinder und er weigerte sich auch prinzipiell, Faren zu sagen, wie er an das Geld für das Haus gekommen war – aber möglicherweise ging es ihn auch einfach nichts an. „Ja, ich wohne auch ziemlich gern hier. Besonders im Sommer lässt es sich gut aushalten.“ Mit einem eisgekühlten Drink im Schatten des Baums im Garten zu liegen … es gab kaum etwas Schöneres, fand Faren. Bei Vincents Haus schwenkte er schließlich auf den kleinen Pfad ein, der direkt zur Tür führte. Er war mit hellen Steinfliesen ausgelegt worden, zwischen ihnen wuchs ein wenig Unkraut, um das Faren sich besser mal wieder kümmerte, bevor es zu wuchern begann. Ferris folgte ihm beschwingt bis zur Tür, hielt aber wie elektrisiert inne, als er das Schild daneben bemerkte. Faren war es inzwischen derart gewohnt, dass er es kaum noch beachtete. Vincent Valentine Gesprächs- und Verhaltenstherapie Termine nach telefonischer Absprache Da Ferris sich nicht mehr rührte, sprach Faren ihn an: „Hast du Lust, noch mit reinzukommen? Vincent würde bestimmt gern wissen, wem ich meinen zersplitterten Ellenbogen verdanke.“ Er grinste, aber Ferris ging nicht mehr darauf ein und drückte Faren stattdessen die Becher mit Kaffee in die Hand. „Ich muss gehen, mein Bruder wartet bestimmt schon auf mich.“ Das kam ziemlich abrupt wie Faren fand, aber er widersprach auch nicht. Vermutlich war es ohnehin eine schlechte Idee, eine neue Bekanntschaft direkt zu Vincent mitzubringen. „Okay, ich meld mich dann bei dir.“ Ferris nickte ihm zu und lächelte noch einmal kurz, dann huschte er bereits davon, als hätte er gerade etwas Verbotenes getan. Faren sah ihm hinterher, bis er ihn nicht mehr sehen konnte, dann seufzte er leise und betätigte die Klingel, damit Vincent ihm aufmachte, hoffentlich mit einer besseren Stimmung als noch zuvor. Kapitel 3: Gut, dass wir darüber gesprochen haben. -------------------------------------------------- Es gab nur eine Sache, die Faren an Croissants nicht mochte: Sie krümelten. Anfangs hatte er sich nie darüber Gedanken gemacht und stets Vincents Küche vollgekrümelt, was dieser mit hochgezogener Augenbraue beobachtet hatte. Es war nie ein Wort der Kritik von Vincent gekommen, auch keine Bitte, wieder sauberzumachen, aber Farens schlechtes Gewissen war genug gewesen, so dass er inzwischen immer einen Teller benutzte, um seine Krümel aufzufangen. Auch an diesem Tag balancierte er einen kleinen Teller auf seinen übereinandergeschlagenen Beinen, während er das Croissant auseinanderpflückte, um es nach und nach zu essen. Vincent nippte an seinem Kaffee, der schwarz wie die Nacht war – oder wie Vincents Haar, das stets akkurat kurz geschnitten war, aber dennoch lang genug, dass die Haarspitzen sich zu locken begannen. Faren mochte das an ihm, es wirkte gleichzeitig geordnet und chaotisch und der Gedanke gefiel ihm außerordentlich gut. Auf Platz Nummer Zwei standen Vincents tiefblaue Augen, die einem mühelos in die Seele schauen konnten, dabei aber vollkommen neutral blieben, als wäre es ihnen gleichgültig, was sie dort fänden. Und dann waren da noch seine aristokratischen Gesichtszüge, die Faren oft darüber nachdenken ließen, dass er eigentlich Filmstar und kein Therapeut sein sollte. Oder wenigsten Model. Davon wollte Vincent aber absolut nichts wissen, deswegen erwähnte Faren es auch lieber nicht mehr. „War die Wartezeit heute so lang?“, fragte Vincent schließlich, statt ihm Vorwürfe zu machen. Es fiel Faren schwer, seine Stimme zu beschreiben. Bariton fiel ihm als erstes dazu ein, beruhigend als zweites. Sie umarmte einen nicht, aber sie legte sich auf der Seele ab und hielt jegliche Sorgen von einem fort. Wann immer er sprach, schaffte er es mit wenigen Worten, die Atmosphäre so zu wandeln, dass es wirkte, als vereinnahme er sie. Faren könnte ihm tagelang zuhören, wenn er das Telefonbuch vorlas – was Vincent aber seltsamerweise nie tat und ihm stattdessen nur einen schrägen Blick schenkte, wann immer er das vorschlug. „Nein, es gab keine Wartezeit“, antwortete Faren. Vincent legte die Stirn in Falten. „Hast du dann unterwegs noch geraucht?“ Wie kam er nur darauf? Faren roch an diesem Tag nicht einmal nach Zigarettenrauch. „Nein, auch nicht. Stattdessen hatte ich einen Unfall und mein Ellenbogen wurde fast zertrümmert.“ Faren musste grinsen, als er das sagte, so dass Vincent sich nicht einmal Sorgen machen konnte. Er nahm noch einmal einen Schluck. „Was ist passiert?“ „Ach, nichts weiter. Ich wurde von jemandem über den Haufen gerannt, aber das ist gut ausgegangen, wir sind jetzt Freunde.“ Gut, sein Ellenbogen schmerzte immer noch, aber das musste er ja nicht zum Gegenstand dieses Gesprächs machen. Er hatte ohnehin schon das Gefühl, vollkommen falsch begonnen zu haben. Vincent schien sich noch wesentlich mehr Sorgen zu machen, die Falten auf seiner Stirn bekamen jedenfalls neue Freunde. „Könntest du das vielleicht nochmal ein wenig langsamer erzählen?“ „Ich wurde vor der Bäckerei von jemandem umgerannt“, begann er also noch einmal. „Der Kerl sieht aus wie ich, nur mit schwarzen Haaren. Sein Name ist Ferris und ich hab seine Nummer, falls du von ihm Schmerzensgeld abgreifen willst.“ „Das will ich natürlich nicht“, sagte Vincent. „Aber warum hat er dich umgerannt?“ Zwischen den Bissen erzählte er seinem Gesprächspartner, dass Ferris Ärger mit seinem Bruder hatte und deswegen einfach umhergerannt war. Das verstand Vincent wohl, denn er stellte keine weitere Fragen dazu. Genauso fragte er nicht, wieso sie sofort Freunde geworden waren, denn er kannte Faren bereits lange genug. Glücklicherweise. „Er ist bis hierher mitgekommen, aber dann musste er wieder los.“ „Dann weiß er jetzt, wo du wohnst.“ „Als ob das ein großes Geheimnis wäre.“ „Hast du ihm auch direkt deinen Arbeitsplan gegeben?“ Wo war Vincents Problem? Mit dieser pessimistischen und misstrauischen Einstellung war es ja klar, dass er so wenig Freunde hatte. Aber Faren ließ das nicht so einfach stehen: „Sagt die Person, die einen Straßenjungen einfach in sein Haus geholt hat.“ Vincent blickte ihn streng an. Es war jener Blick, der noch kälter zu sein schien, als sein üblicher, der eigentlich Komm mir gefälligst nicht so sagen wollte, aber doch mehr in die Kategorie Du wirst morgen einen Pferdekopf in deinem Bett vorfinden gehörte. Tatsächlich hatte Faren vor Angst kaum geschlafen, nachdem Vincent ihn das erste Mal so angesehen hatte – inzwischen kümmerte es ihn aber nicht mehr und so erwiderte er ihn freundlich. Schließlich wandte Vincent murmelnd den Blick ab und nahm noch einen Schluck seines Kaffees. „Du solltest mir lieber nicht so oft widersprechen. Irgendwann überlege ich dann nämlich doch noch, dich einfach wieder auf die Straße zu setzen.“ „Das wirst du nicht tun~“, sagte Faren schmunzelnd. „Dafür magst du mich schon viel zu sehr~.“ Vincent kommentierte das nicht weiter und nahm sich stattdessen sein eigenes Croissant, um ebenfalls zu essen. Faren war dagegen gerade fertig geworden und stellte den Teller wieder auf den Tisch. Er mochte diesen Tisch. Nein, eigentlich mochte er alles an Vincents Haus. Es sah zwar nicht seines Alters entsprechend aus – man erwartete doch eine moderne Einrichtung, vielleicht sogar eine sehr unpersönliche – aber die rustikalen Möbel verliehen der Einrichtung den Charme eines Großeltern-Hauses, als wäre die Zeit darin einfach stehengeblieben, und das schätzte Faren sehr daran. Er nutzte die Gesprächspause auch direkt, um das zu sagen, was bislang unausgesprochen zwischen ihnen stand: „Tut mir leid, dass du dir wegen mir Sorgen gemacht hast. Das kommt nicht mehr vor.“ Für einen kurzen Moment verzog sich Vincents Gesicht zu einer Maske des Schmerzes, doch er erhielt sofort die Kontrolle darüber zurück. „Doch, das wird es, Faren. Du und ich wissen das. Du kannst nicht aus deiner Haut heraus.“ Auf einen Schlag war die Atmosphäre unangenehm gespannt, fast schien es, als bräuchte es nur noch einen Funken, um etwas zum Explodieren zu bringen und alle warteten angespannt darauf. Am liebsten wäre Faren aufgestanden und gegangen, nicht aus dem Haus hinaus, einfach in sein Zimmer, aber er verscheuchte diesen Drang und blieb stattdessen sitzen, lächelnd. Da er nichts sagte, fuhr Vincent fort: „Ich will damit nicht in die Kerbe schlagen, in der andere schon ihr Zeichen hinterlassen haben. Meine einzige Bitte ist die, dass du ein wenig Rücksicht auf deine Mitmenschen nimmst.“ Dieselbe alte Leier. Faren war es langsam leid, sie sich anzuhören, aber er blieb weiterhin stumm. „Ich mache mir Sorgen, weil ich deine Vorgeschichte kenne und weil ich mich kümmere. Nicht, weil ich gemein sein will. Ich finde, das solltest du honorieren, indem du nach einem Einsatz eben nicht stillschweigend fortbleibst.“ Faren seufzte innerlich. „Ich werde mir zukünftig mehr Mühe geben.“ Auch wenn es ihn stets aufs Neue störte, dass seine Vergangenheit mit ins Spiel gebracht wurde, verstand er Vincent in dem Punkt doch durchaus. Noch dazu hatte er selbst das Gefühl undankbar zu sein, wenn er seinem Gastwirt immer wieder Sorgen bereitete. „Mehr verlange ich auch gar nicht.“ Das ganze Gespräch über hatte er es geschafft, seine Tonlage nicht ein einziges Mal zu ändern. Es war nicht immer einfach, aus ihm schlau zu werden, aber Faren glaubte daran, dass Vincent eines Tages in der Lage wäre, wirklich seine Emotionen zu steuern. Oder er wurde doch Model. Für Calvin Klein, zum Beispiel, da musste man immerhin nur stets neutral in die Kamera blicken, wenn er sich die Werbeplakate so betrachtete. „Gut, dass wir darüber gesprochen haben.“ Faren nahm seinen eigenen Kaffee und leerte ihn mit wenigen Schlücken. „Man sollte solche negativen Gedanken nicht erst anstauen lassen.“ Auf Vincents Nicken hin, erhob er sich vom Stuhl. „Ich gehe dann mal nach oben. Sollte mich langsam doch mal ein wenig hinlegen.“ Eigentlich wollte er nur der gedrückten Atmosphäre entfliehen. Schlafen klang allerdings auch sehr verlockend und half sicher, die Zeit vergehen zu lassen. Da Vincent nichts weiter dazu sagte, dafür aber noch einmal nickte, ging Faren aus der Küche hinaus. Der Flur war, aufgrund des Mangels an Fenstern, zwar dunkel, aber bei genügend Tageslicht konnte man sich gut zurechtfinden. Er nahm die Treppe nach oben, ignorierte dabei all die Bilder, die Vincent mit seiner Familie, vorrangig seiner Halbschwester, zeigten, da er sie bereits zur Genüge kannte. Selbst in einem seiner Träume waren sie einmal aufgetaucht, derart detailliert und real, dass er nicht hatte glauben können, dass er nur träumte. Sein Zimmer, das einstmals ein Gästezimmer gewesen war, befand sich direkt neben der Treppe. Aber obwohl er schon so lange hier wohnte, dass es nicht einmal mehr als Gästezimmer durchging, gab es nichts Individuelles in diesem Raum. Keine Poster, keine Bilder, lediglich ein paar Bücher auf dem Regal an der Wand stammten von ihm, darunter der ein oder andere Manga. Er hatte nichts gegen das individuelle Einräumen eines Zimmers, es war vielmehr so, dass alles, was ihn ausmachte – namentlich seine Spielekonsole, die er hegte und pflegte, sowie die dazugehörigen Spiele – im Wohnzimmer ruhte, wo immerhin auch der Fernseher stand. Da er in seinem Zimmer keinen solchen besaß, machte es Sinn, die Konsole dort aufzustellen, wo auch einer war. Mit einem wohligen Seufzen ließ Faren sich auf sein gemachtes Bett fallen und rollte erst einmal ein wenig darin herum, um Laken, Decke und Kissen zu zerwühlen und damit jedes Zeichen von Vincents anhaltender Sorge um ihn zu zerstören. Schließlich blieb er ruhig liegen und lauschte nur seinem eigenen Herzschlag, der immer noch gleichmäßig war, und ihm verriet, dass er wieder eine Nacht überlebt hatte, trotz aller Widrigkeiten. Wieder einmal fand er sich, allein, in seinem Bett wieder und musste akzeptieren, dass Kieran nicht zurückkam. Und erneut wurde ihm bewusst, dass er möglicherweise auf ewig vergeblich wartete. Dennoch konnte er nicht anders, als immer wieder neu zu hoffen. Jede Nacht dort hinauszugehen, nur mit dem Wunsch, Kieran doch noch zu finden und zu retten. Auch wenn die Hoffnung mit jedem Tag mehr absterben sollte, wurde sie in seinem Inneren nur größer, fand stetig neue Nahrung in seinen Wünschen, vollkommen substanzlos, ein Feuer, das es schaffte, ohne jeden materiellen Zündstoff zu brennen. Wäre er nicht selbst betroffen, fände er das äußerst erstaunlich – so fand er es aber eher frustrierend, weil damit jede Nacht nur mit einer größeren Enttäuschung endete. Was würde geschehen, wenn die Hoffnung irgendwann sein gesamtes Inneres mit einem Feuer erfüllte, dem er nicht mehr Herr werden könnte? Wandelte sich das alles dann schlagartig in Verzweiflung? Verwandelte er sich darauf in einen Dämon? Er hoffte, diese Antwort niemals erfahren zu müssen. Sein Herzschlag wurde von einem anderen Geräusch unterbrochen, das er als seinen SMS-Ton wiedererkannte. Als er daran dachte, dass Ferris ihm möglicherweise geschrieben hatte, wurde die Aufregung in seinem Inneren so groß, dass er rasch in seine Tasche griff, obwohl er keine Lust verspürte, sich zu regen, und sein Handy hervorholte. Ohne auf das Display zu sehen, öffnete er die SMS – und runzelte leicht verärgert die Stirn, als er feststellte, dass die Nachricht von Seline kam. Besonders, als er den unangenehmen Grund dafür lesen konnte: Vergiss nicht, dich morgen noch bei Cerise zu melden, sie will unbedingt mit dir reden. btw. ich hatte heute viel Spaß in der Spielhalle. =) Bis morgen, Faren. Kapitel 4: Meinst du, etwas würde mir den Kopf abbeißen? -------------------------------------------------------- Faren war wirklich ungern in Abteracht. Je weiter die Welt voranschritt, desto konservativer schien dieser Ort zu werden, der ohnehin schon einer Burg glich und einem damit das Gefühl gab, in der vollkommen falschen Zeit gelandet zu sein. Für die Mitglieder von Abteracht mochte dies ein heiliger Zufluchtsort sein, auf Faren wirkte es eher wie der Rückzugsort einer Sekte – und das machte ihm nicht selten Angst. Natürlich wusste er inzwischen, dass es sich bei den Jägern um keine Sekte handelte, aber das machte es für ihn nicht unbedingt besser. Sein Gefühl ließ sich einfach nicht hereinlegen und bestand weiterhin darauf, dass es sich um das Hauptquartier einer gehirnwaschenden Sekte handelte und irgendwann der Tag käme, an dem er aufgefordert werde, sich einem Massen-Suizid anzuschließen. Aber das dauerte hoffentlich noch sehr, sehr lange. Früher mochten die Gänge von Abteracht stets mit Jägern gefüllt gewesen sein, an diesem Tag traf Faren aber kaum jemanden. Lediglich zwei der jungen Nachwuchs-Jäger liefen ihm über den Weg, grüßten ihn ein wenig schüchtern und verschwanden im nächsten Moment schon hinter der nächsten Ecke. Nicht alle Jäger waren so wie Kieran damals, aber inzwischen wusste er, dass sich viele zumindest so ähnlich verhielten – aber bei keinem anderen war es ihm jemals wieder derart interessant vorgekommen. Vor der Tür zu Cerises Büro hielt Faren wieder inne. Er räusperte sich, stellte sicher, dass auch seine Frisur wieder saß und klopfte schließlich. Eine unterkühlte Stimme bat ihn herein. Er erinnerte sich noch gut daran, wie nervös er damals gewesen war, als er sie das erste Mal gehört hatte. Es war eine solche, wie man sie hier erwartete und dennoch war man gleichzeitig nicht darauf gefasst, sie auch wirklich zu hören. Bis sie eben erklang. Faren öffnete die Tür, um einzutreten und schloss sie hinter sich dann auch direkt wieder, als fürchtete er, etwas anderes könne ebenfalls hereinhuschen, während er seinem Termin nachging. Im überraschend großräumigen Büro wurde er bereits von dem Besitzer der unterkühlten Stimme erwartet. Parthalan war ein strenger, aufrechter Mann, der jeden, den er traf, zu überragen schien und das lediglich, damit er auf jeden hinabsehen konnte. Jedenfalls wirkte der eisige Blick aus seinen blauen Augen immer so, als bedauere er, von Idioten umgeben zu sein. Das silberne Haar war außergewöhnlich, aber aufgrund seines strengen Gesichtsausdrucks, der wie eine Maske auf ihm lag, traute sich niemand so recht in die Nähe des Mannes, um mehr über diese Farbe oder den Mann dahinter zu erfahren. Unwillkürlich stellte Faren sich ebenfalls aufrecht hin. „Hallo, Parthalan. Cerise wollte mit mir sprechen, wurde mir mitgeteilt.“ „Das ist richtig, Griffin.“ Wenn man direkt vor ihm stand, wurde seine Stimme noch eisiger, sie klirrte regelrecht in Farens Ohren. „Ich nehme an, Seline hat dir auch übermittelt, worum es geht.“ Vermutlich wusste nur sie von diesem Termin, deswegen wunderte Faren sich nicht. „Hat sie. Ich bin seelisch vollkommen vorbereitet.“ Parthalan musterte ihn einen Moment prüfend, als versuche er ernsthaft, in die Tiefe seiner Seele zu schauen. Dabei blieb er allerdings erfolglos, weswegen er Faren dann – fast schon seufzend – weiterwinkte. Erleichtert huschte er an Parthalan vorbei, tiefer in das Büro hinein, das, je weiter man kam, vollgestellt war mit allerlei Bücherregalen, so dass es mehr einer Bibliothek ähnelte, als wirklich einem Büro. Scheinbar etliche Regale später, kam Faren endlich an einem Schreibtisch an. Dort saß eine Person, die wesentlich weniger einschüchternd war als Parthalan. Ihr rosa Haar, in das Kirschblüten eingeflochten waren, reichte ihr bis knapp über die Schultern, ihre roten Augen fixierten Faren, während er sich näherte. Alles in allem sah Cerise, trotz ihrer schweren schwarzen Uniform, aus, als wäre sie gerade einmal vierzehn, höchstens. Als Faren das erste Mal vor ihr gestanden war, hatte er nicht geglaubt, dass es sich bei ihr um die Anführerin handelte, aber inzwischen wusste er es natürlich besser. Sie war die Anführerin und sie war noch dazu eine übertrieben mütterliche Seele, selbst in diesem Moment, in dem sie scheinbar eigentlich mit Faren wütend sein wollte. Es gelang ihr allerdings nicht, das erleichterte Funkeln in ihren Augen zu verbergen, als er sich mit einer lockeren Begrüßung auf den Stuhl vor ihrem Tisch setzte. „Da bist du ja, Faren“, erwiderte sie, mit dem Versuch besonders kühl zu klingen. „Ja, hier bin ich. Ich hab gehört, es geht um meine Performance während der letzten Jagd.“ Ein knappes Nicken. „Richtig. Dir ist sicher selbst bewusst, dass du nicht dein Bestes gegeben hast.“ „Weil ich es mir leisten konnte. Der Dämon war super-langsam. Warum sollte ich mich da verausgaben?“ Auf diese Worte hin verdüsterte sich ihr Gesicht, als habe er da eben wirklich etwas sehr Unüberlegtes gesagt. Oder als erinnere sie sich an eine Situation, die einmal genau so geschehen und nicht glimpflich ausgegangen war. Sie erhob sich sogar von ihrem Stuhl, legte die Hände hinter ihrem Rücken zusammen und ging einige Schritte. Kurze, hastige Schritte, die nur noch mehr verrieten, wie unruhig sie war. In diesem Büro gab es keine Fenster, also konnte sie nicht an ein solches treten. Die einzigen Lichtquellen bildeten altertümlich aussehende Petroleum-Lampen, die in Wahrheit durch Magie betrieben wurden, weswegen sie auch wesentlich heller waren, als sie sein dürften. Schließlich blieb sie wieder stehen und stieß ein schweres Seufzen aus. „Faren, dir ist bewusst, dass es auch Gegner gibt, die dich nur hinters Licht führen? Die versuchen, dich in Sicherheit zu wiegen, damit sie dich in einem späteren Moment einfach überfallen können?“ „Meinst du, etwas würde mir den Kopf abbeißen?“ Jedenfalls war diese Szene, die er aus einer Serie kannte, das erste Szenario, das ihm einfallen wollte. Keine sehr angenehme Vorstellung, wie er selbst zugeben musste. Bislang war ihm das auch noch gar nicht in den Sinn gekommen. Für derart intelligent hätte er Dämonen eben nicht eingeschätzt. „Mami hat wohl auch nicht gedacht, dass etwas ihr mal den Kopf abbeißt.“ Damit bestätigte Cerise nicht nur seine Vermutung – sie teilte ihm auch gleichzeitig mit, dass sie die Serie auch kannte. Unter anderen Umständen hätte er sich nun begeistert mit ihr darüber unterhalten, aber da sie ihn noch immer derart streng ansah, wagte er das nicht. „Du musst verstehen“, sagte Cerise, „dass wir uns Sorgen um dich machen. Ich mache mir Sorgen um jeden einzelnen Jäger, selbst jene, die nicht von Geburt an bei uns waren, sondern sich freiwillig hierzu entscheiden, so wie du. Ich mag dieses Gefühl nicht, wie du dir sicherlich denken kannst.“ Das schlechte Gewissen kroch Farens Nacken hinauf, wie ein dunkles Insekt, und erzeugte einen Schauer auf seinem Rücken. Reumütig ließ er den Kopf hängen. Sie fuhr dennoch fort: „Wenn du uns weiterhin Anlass zur Sorge gibst, werde ich mich gezwungen sehen, dich wieder aus dem Dienst zu entlassen – jedenfalls dem aktiven Dienst. Möchtest du das?“ „Nein.“ „Dann hältst du dich ab sofort daran, Faren?“ Er nickte. „Versprochen. Ich werde ab sofort immer mein Bestes geben, statt einen Dämon zu unterschätzen.“ Und immer auf mysteriöse Personen hören, die ihn zu warnen versuchten, statt sie zu fesseln. Endlich lächelte Cerise wieder. „Gut, dann bin ich erleichtert.“ „Kann ich … dann wieder gehen?“ Es war keine lange Predigt gewesen, aber wenn sie von jemandem wie Cerise kam, wirkte sie direkt doppelt so hart, wie er feststellte. Deswegen wollte er eigentlich wieder nach draußen, um ein wenig frische Luft zu schnappen, zu rauchen und sich wieder zu beruhigen. „Vorher habe ich noch eine Frage: Geht es dir gut?“ „Natürlich“, antwortete er, ohne zu überlegen. „Warum sollte es mir nicht gut gehen?“ Sie stellte sich an ihren Tisch, so dass sie sich mit der Hüfte anlehnen konnte, dabei verschränkte sie nun die Arme vor ihrem Körper. „Du bist damals beigetreten, mit der Hoffnung, irgendwann Kieran zu finden. Was bislang nicht eingetreten ist. Das muss furchtbar deprimierend sein.“ Als Abwehrreaktion zuckte er mit den Schultern. „Es geht schon. Ich meine, man findet sich irgendwann mit Dingen ab, nicht wahr?“ Da Cerise ihn weiterhin skeptisch ansah, fügte er noch hinzu: „Außerdem lebe ich ja direkt bei einem Therapeuten, der kümmert sich schon um mich, wenn es mir nicht gut geht.“ Das überzeugte sie wohl, immerhin kannte sie Vincent auch. „In Ordnung, dann kannst du jetzt gehen. Aber melde dich bitte bei mir, wenn doch noch etwas eintreten sollte.“ Erleichtert stand er auf, salutierte ein wenig spöttisch und ging dann eilig davon, bevor ihr doch noch etwas einfiel. Dabei kam er an Parthalan vorbei, der an einem eigenen Tisch saß und Akten durchging und ihn gar nicht beachtete. Als Faren vor der Tür stand, atmete er tief durch – und zuckte zusammen, als er plötzlich eine Stimme neben sich hörte: „Hey, wie lief's?“ Er wandte sich zur Seite und lächelte, als er Seline erkannte. „Hey~. Ach, es lief ganz gut. Hast du hier draußen auf mich gewartet?“ „Habe ich.“ Sie erwiderte sein Lächeln. „Aber du bist ja doch in einem Stück wieder rausgekommen.“ „Auch Cerise kann nicht gegen meinen Charme bestehen~.“ Das brachte Seline zum Lachen. „Vermutlich kann das wirklich nur Parthalan.“ „Ach, den kriege ich auch noch klein, kein Problem.“ Immer noch lachend setzte sie sich mit ihm in Bewegung. Dabei war er sich nicht mal sicher, wo sie eigentlich hinwollte, aber er zumindest wollte direkt wieder nach Hause. Da er keine hier administrative Aufgabe hatte und auch kein Schüler mehr war, gab es für ihn nichts zu tun. Bei Seline sah es vermutlich anders aus, immerhin bekleidete sie seit dem großen Sturm eine hohe Position. Genau genommen trug sie die Verantwortung für die neuen Mitglieder und die Schüler, weswegen sie Faren angeworben hatte und immer noch so rührselig auf ihn achtete. Er wusste nicht, wie sie früher gewesen war, aber zumindest jetzt erschien ihm diese Position auch wie geschaffen für sie. „Wirst du beim nächsten Mal vorsichtiger sein?“, fragte sie unterwegs. „Ja. Es tut mir leid, dass ich euch Sorgen bereitet habe, das lag nicht in meiner Absicht.“ „Das glaube ich dir sogar.“ Sie legte eine Hand an ihre Brille. „Wer einmal eine Predigt von Cerise erhalten hat, möchte das nicht ein zweites Mal erleben.“ Also ging es wirklich nicht nur ihm so, das beruhigte ihn ein wenig. „Ich werde ihr keinen Anlass mehr dafür geben. Ab sofort achte ich besser darauf, wie ich kämpfe.“ Sonst verlor er am Ende wirklich noch den Kopf und das wollte er doch vermeiden. Zufrieden klopfte Seline ihm auf die Schulter. Doch bevor er sich darüber freuen konnte, meldete sich sein Handy, um ihm mitzuteilen, dass er eine neue Nachricht bekommen hatte. Da es diesmal nicht Seline sein konnte, zog er das Handy neugierig heraus – und lächelte unwillkürlich, als er die Nachricht lesen konnte, die diesmal wirklich von Ferris kam: Hey, Mann. Ich hab morgen Zeit, lass treffen, okay? =) Kapitel 5: Wir wurden richtig gute Freunde. ------------------------------------------- Mit Vincents Erlaubnis war es Faren tatsächlich möglich, am nächsten Tag etwas mit Ferris zu unternehmen. Also hatten sie sich erst im Park getroffen, waren dann den ganzen Nachmittag durch diesen hindurchgegangen und hatten allerlei Triviales über ihr gegenseitiges Leben ausgetauscht. Die Atmosphäre war diesmal wesentlich entspannter als das letzte Mal, was wohl auch daran lag, dass Ferris ihn diesmal nicht erst umgerannt hatte. Als es Abend wurde, hatten sie beide beschlossen, ihre gemeinsame Zeit in einer nahegelegenen Pool-Bar fortzusetzen. Es war eine modern wirkende Bar, keine kleine dunkle Spelunke, die nur von tief hängenden gelblichen Lampen erhellt wurde, wo Zigarettenrauch sichtbar in der Luft hing und nur zwielichtige Gestalten oder Sportfans herumhingen. Stattdessen waren drei von vier Wänden verglast, so dass man nach draußen sehen konnte, egal in welche Richtung man blickte, abgesehen von einer – aber warum sollte man auch in die kleine Küche sehen wollen? An der Fensterfront entlang standen schwarze Lederbänke ohne Lehnen, perfekt abgestimmt auf die schwarzen Tische davor, jedenfalls wenn man die ausgelassenen Gäste beobachtete, die es sich darauf bequem gemacht hatten und sich lachend unterhielten, nicht selten während sie gleichzeitig mit ihrem Handy beschäftigt waren. Bei diesem Anblick wurde Faren warm in der Brust. Dass Menschen sich zwei Jahre nach einem Dämonenangriff, der einen Teil der Stadt zerstört hatte, wieder so normal und ausgelassen verhalten konnten, war gut zu beobachten. Die direkt in die Decke eingelassenen Lichter, die fast ein wenig wie Sterne wirkten, spendeten so viel Licht, dass Faren manchmal sogar die Augen zusammenkneifen musste, wenn er den Blick zu hoch richtete. Die hinter der Bar – aus wunderschönem dunklen Walnussholz – aufgereihten Flaschen reflektierten das Licht zusätzlich. Aber das war gut. Viel Licht bedeutete, es gab keine Dämonen und das war immer gut. Insgesamt vier Pool-Tische standen im Barraum. Aber das Tollste an ihnen war der weinrote Samt, mit dem sie bezogen waren, im Vergleich zu dem normalerweise grünen. Weinrot erinnerte ihn stets an Kieran und wie stolz er gewesen war, als er Faren das erste Mal seine Abteracht-Uniform in genau dieser Farbe präsentiert hatte. Allerdings erinnerte er sich auch wieder an Vincent, der ihm stets riet, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Noch war er jedoch nicht bereit dazu, er wollte Kieran und die Hoffnung auf dessen Rückkehr nicht loslassen, also … „Es ist eine Ewigkeit her, seit ich zuletzt gespielt habe“, sagte Ferris aufgeregt, als er sich den Queue nahm und dann die Billardkreide schnappte. Da sie so früh gekommen waren, hatte man ihnen direkt einen Tisch zuweisen können – und Ferris schien das voll ausnutzen zu wollen. Begeistert kreidete er die Spitze des Queues ein, während Faren die Kugeln sammelte, um sie für das Spiel bereitzumachen. „8-Ball ohne Ansagen?“, fragte Faren, während er überlegte, welches Rack er benutzen sollte, um die Kugeln anzuordnen. Ferris dachte für einen kurzen Moment nach, vermutlich musste er sich erst die Regeln wieder ins Gedächtnis rufen, aber dann nickte er bereits. Sehr zu Farens Zufriedenheit – das erforderte immerhin wesentlich weniger Denkarbeit. Also griff er nach dem entsprechenden dreieckigen Rack. „Ich komme hier einmal im Monat her“, erklärte er dabei. Normalerweise saß er dann an der Bar, trank ein wenig und ließ sich dann auf Pool-Spiele mit vollkommen Fremden ein. Wenn er so darüber nachdachte, hatte Vincent wohl allen Grund, besorgt um ihn zu sein. „Findet dein Therapeutenbruder das okay?“ Ferris betonte dieses neu geschaffene Wort auf eine Weise, die Faren die Stirn runzeln ließ. „Er sieht doch bestimmt nicht gern, dass du so viel unterwegs bist.“ Statt aber auf das schlechte Gefühl einzugehen, lachte Faren es einfach weg. „Was denkst du, warum ich ihm dauernd dieses Frühstück als Versöhnungsgeste bringen muss?“ Das trübte Ferris' Stimmung ein wenig, aber sein Gesicht hellte sich sofort auf, als alle Kugeln endlich an ihrem Platz waren. Er legte die Kreide auf den Rand des Tisches zurück. „Darf ich anfangen?“ Faren trat einen Schritt beiseite und signalisierte ihm damit, dass er das ruhig machen sollte. Mit einem aufgeregten Strahlen im Gesicht, das für einen Moment jegliche Probleme vergessen machte, trat Ferris an den Tisch. Er beugte den Oberkörper nach unten, legte den Queue an und schien sich dann zu konzentrieren. Für einen Moment stand er jedenfalls vollkommen still, scheinbar atmete er auch kaum noch. Faren bemerkte nur durch die Geräuschkulisse, dass die Zeit nicht einfach stehengeblieben war. Gerade als er Ferris fragen wollte, worauf er wartete, führte dieser den ersten Stoß durch. Die weiße Spielkugel traf auf die übrigen, worauf diese, den physikalischen Gesetzen folgend, in die verschiedensten Richtungen auseinandersprengten. Die grüne 6 ging zuerst in einer der Taschen unter, was von Ferris mit einem kurzen, freudigen „Heh“ quittiert wurde. „Sieht aus, als gehörten dir die Vollen.“ Faren machte sich allerdings nichts daraus, er spielte ohnehin lieber mit den Halben. Ferris sagte nichts, positionierte sich neu und führte, nach einigem Abwägen, einen erneuten Stoß durch, ohne dass ein weitere Kugel ihren Weg in eine der Taschen fand. „Ich sag doch, ich bin nicht sehr geübt“, sagte Ferris seufzend, und trat beiseite. „Vielleicht hätten wir um Geld spielen sollen~.“ Faren zwinkerte ihm zu. „Mal sehen, wie ich mich jetzt anstelle.“ Aber natürlich gab es da nicht viel zu diskutieren. Er betrachtete die einzelne Lage seiner Kugeln, setzte diese in seinem Kopf in Winkel um und kalkulierte dann den geeigneten Gegenwinkel, um sie erfolgreich versinken zu lassen. Sofern der Tisch immer noch gleich hohe Beine besaß und auf einem komplett ebenen Grund stand, müsste die Physik und die Mathematik hier auf seiner Seite sein. Er brachte sich in die passende Position, richtete den Queue aus, stieß den Spielball an – und grinste siegessicher, als nicht nur die zwei errechneten, sondern auch eine dritte Kugel ihren Weg ins Ziel fand. „Wir hätten doch mit Ansagen spielen sollen“, folgerte Ferris, aber ohne sonderlich enttäuscht zu wirken. „Du bist echt gut, Bro.“ Faren zupfte selbstzufrieden an seinem Kragen. „Ich bin eben sehr schlau~. Hab ich dir erzählt, dass ich mal auf einer Eliteschule war?“ Gut, lediglich für ein Jahr, dann war er von zu Hause ausgerissen, aber man kam ja nicht ohne besondere Qualitäten auf eben eine solche. Da musste man etwas zu bieten haben. „Nur schon ungefähr dreimal.“ Ferris schmunzelte. „Ich wette, damit überraschst du die Leute immer.“ „Und wie.“ Faren lochte derweil noch eine Kugel ein. „Du solltest mal die Gesichter einiger Personen sehen, wenn die das über mich erfahren.“ „Oh, ich kann es mir lebhaft vorstellen.“ Ferris schnitt eine Grimasse, als Farens nächster Stoß nur dazu führte, dass eine seiner vollen Kugeln in einer Tasche landete. „Ich habe mich verrechnet“, kommentierte Faren dazu nur, ohne jegliche Gefühlsregung. „Ja ja, das sagen sie alle~.“ Ferris zwinkerte ihm zu. Der Rest der Partie verlief ohne große Worte, aber doch leichtlebig, bis Faren schließlich – ohne große Überraschung – am Ende als Gewinner dastand. Schmunzelnd ließ er den Queue von der einen in die andere Hand wandern. „Na? Lust auf eine Revanche, Bro?“ „Worauf du wetten kannst, ich habe mich gerade erst warmgespielt.“ Eine Stunde – und eine ausgeglichene Anzahl von Siegen und Niederlagen – später war ihre Sitzung abgelaufen, was auch nicht unbedingt schlecht war. Während der Spiele hatten sie beide nicht nur Bier, sondern auch den ein oder anderen Kurzen getrunken, weswegen Faren sich ohnehin schon nicht mehr auf das Spiel konzentrieren konnte. Das hatte sich deutlich spürbar gemacht, indem er gegen Ende keine einzige Partie mehr gewonnen hatte. Bei Ferris schien der Alkohol dagegen das Können zu steigern, denn er versenkte mehr Kugeln als noch am Anfang. Statt noch etwas zu trinken, beschlossen sie beide, die Bar zu verlassen und sich langsam auf den Heimweg zu machen. Da keiner von ihnen mit einem Auto hier war, würden sie einfach laufen, so beschlossen sie. Faren hoffte, dass ein Spaziergang in der kühlen Nachtluft ihn wieder nüchtern genug werden ließ, dass Vincent nicht bemerkte, wie viel er getrunken hatte. Inzwischen war die Sonne untergegangen, es war dunkel, kühl und die Straßen waren verwaist. Deswegen störte sich auch niemand daran, dass sie sich weiterhin lebhaft unterhielten, während sie an den orange leuchtenden Straßenlaternen vorüberkamen. „Und der Film war echt gut“, beendete Ferris gerade seine Erzählung. „Hätte ich nicht erwartet.“ „Dafür war der zweite grauenvoll.“ Faren griff in seine Jackentasche und zog sowohl Zigarettenpackung als auch Feuerzeug hervor. „Auch eine?“ Er bot Ferris die Schachtel an, aber dieser zögerte. Hatte er sich etwa falsch erinnert? Gerade als er nachhaken wollte, nahm der andere doch eine Zigarette, wirkte dabei aber ein wenig nervös. Das brachte Faren nun doch zu einem Heben der Augenbraue. „Ist was?“ „Na ja … ich hab es nicht so sehr mit … Feuer.“ Es kostete Ferris sichtlich Mühe, es auszusprechen; sein Gesicht verzog sich dabei zu einer leidvollen Grimasse, die wohl ein entschuldigendes Lächeln darstellen sollte, einem aber eher einen Schauer über den Rücken jagte. „Kein Ding.“ Faren hielt auffordernd die Hand auf. „Ich zünde sie für dich mit an, dann musst du dem Feuer nicht mal zu nahe kommen.“ Wenn er selbst rauchte, störte ihn das Glimmen vermutlich kaum. Dankend nahm Ferris das Angebot an und ließ die Zigarette in Farens geöffnete Hand fallen. Dieser fischte sich eine eigene aus der Schachtel, die dann wieder in seiner Tasche verschwand, nahm beide Zigaretten in den Mund und entzündete sie. Ferris wandte derweil den Blick ab und bedankte sich noch einmal, als Faren ihm schließlich seine Zigarette reichte. Er atmete gräulichen, gekräuselten Rauch aus, und ließ auch das Feuerzeug wieder in seine Tasche gleiten. „Ist zwar eigentlich voll ungesund, aber hey~. An irgendetwas sterben wir alle einmal, oder etwa nicht?“ „Du nimmst das ziemlich gelassen hin“, bemerkte Ferris. „Eigentlich nicht, aber es bringt ja nichts, mir über so etwas den Kopf zu zerbrechen.“ Besonders als Dämonenjäger wäre es ihm jederzeit möglich zu sterben. Warum sollte er also nicht einfach das tun, was er wollte, solange er lebte? „Hast du denn noch nie über den Tod nachgedacht?“ Ferris neigte den Kopf ein wenig, er nahm erst selbst einen kräftigen Zug. „Nein. Nein, noch nie.“ Es war nicht nur die Wiederholung der Verneinung, die Faren sagte, dass er log. Ferris' Schultern waren ein wenig verkrampft, er blickte zu Boden, statt nach vorne oder in seine Richtung. Gut, das war wirklich ein Thema, das man nicht unbedingt mit jemandem besprechen wollte, den man gerade erst kennen gelernt hatte, das konnte Faren verstehen. Und deswegen beschloss er, das Eis einfach zu brechen, indem er damit begann: „Ich habe schon ganz oft darüber nachgedacht. Als ich noch bei meinem Vater gelebt habe ganz besonders.“ Selbst Jahre später spürte er noch immer die Schläge auf seinem Körper, das Spannen der Narben hielt ihn manche Nächte noch wach, bis er eine angemessene Anzahl von Schmerzmitteln genommen hatte – wofür er dann am nächsten Tag Ärger von Vincent bekam. „Fast jede Nacht habe ich mich gefragt, warum ich nicht einfach sterben kann.“ Sogar zu beten hatte er begonnen, aber von Gott oder seinen Engeln war nie eine Antwort gekommen. Und der Teufel war dem auch nie nachgekommen. Entweder waren sie alle zu beschäftigt gewesen oder seine Seele war nicht wertvoll genug für eine der beiden Parteien. „Als Kind ist es sehr frustrierend gewesen, zu erfahren, dass sich keine übernatürliche Macht, die dir Erlösung verheißt, sofern du an sie glaubst, auch nur im Entferntesten um dich schert.“ Ferris schwieg bedrückt. Faren nahm einen tiefen Zug seiner Zigarette, was ihm sofort half, sich wieder ein wenig zu beruhigen, ehe er emotional werden konnte. „Und dann bist du weggelaufen?“, fragte Ferris leise. „Ja~. Ich dachte mir, wenn mir schon keiner helfen will, mache ich das eben selbst und haue ab.“ Er zuckte mit den Schultern. „Zuerst war es natürlich besser, auf der Straße zu leben, aber irgendwann fängst du wieder an, an den Tod zu denken. Über kurz oder lang hast du nämlich keine Lust mehr darauf, immer den Elementen ausgesetzt zu sein, nie zu wissen, ob du am nächsten Tag was zu essen haben wirst und weitere Mitglieder deiner kleinen Gruppe tot vorzufinden.“ In dieser Zeit wäre es ihm manchmal lieber gewesen, er wäre von den anderen leblos aufgefunden worden. Er hatte jegliche Hoffnung verloren – und dann war er Kieran begegnet. „Wer ist Kieran?“ Faren zuckte zusammen. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er diesen Namen laut ausgesprochen hatte. Normalerweise versuchte er das in Gesprächen mit Freunden auch eher zu vermeiden, um niemanden zu deprimieren. Aber nun war es bereits zu spät. „Ach … Kieran war ein alter Schulfreund von mir gewesen. Oder eher: Wir waren zufällig in derselben Klasse und im selben Freundeskreis gewesen. Aber als er mich dann auf der Straße traf, verstanden wir uns total gut.“ Vermutlich weil Faren immer viel zu müde gewesen war, um irgendwelchen blöden Sprüche zu machen. „Dank seiner Hilfe bin ich auch nie verhungert. Er hat mich immer mal wieder zum Essen eingeladen oder mir einfach was mitgebracht. Wir wurden richtig gute Freunde.“ Und hätte Faren, der ihn dann endlich näher kennen gelernt hatte, ihm seine Gefühle gebeichtet, wäre vielleicht sogar noch mehr aus ihnen geworden. Aber was hätte das genutzt? Vielleicht, sagte eine leise Stimme in seinem Inneren, wäre Kieran dann nicht in diese Schlacht gezogen. Dann wäre er noch bei dir. Unsinn!, schalt eine andere ihn sofort für diesen Gedanken. Er wäre trotzdem gegangen. Vielleicht sogar erst recht, um dich zu beschützen. „Verstehe.“ Ferris schnippte den Stummel seiner gerauchten Zigarette auf die kaum befahrene Straße. „Dann war Kieran sowas wie dein Held in der Not.“ „Ja, so ähnlich~.“ „Wo ist er denn jetzt?“ Er ist tot. Allein der Gedanke kam Faren so unsagbar grausam vor, stach direkt in seine Brust und wühlte darin herum, als wäre das Messer – der Gedanke – auf der Suche nach etwas. Etwas, das es niemals finden könnte. Niemals niemals niemals. Glücklicherweise musste Faren diese Frage nicht beantworten, nicht einmal mit einer Lüge, denn plötzlich hielt ein Wagen neben ihnen. Er war an und für sich unauffällig und wäre Faren, trotz der Tatsache, dass er direkt neben ihnen auf der offenen Straße hielt, nicht einmal weiter aufgefallen, aber Ferris' Gesicht verlor sofort jegliche Farbe. Ein Mann stieg aus dem Auto und im allerersten Moment glaubte Faren erschrocken, es handele sich um Kieran. Dasselbe schwarze Haar, derselbe emotionslose Gesichtsausdruck, dieselbe steife aufrechte Haltung, nur seine Augen waren blau statt braun und die Frisur war anders, akkurat kurz geschnitten. Außerdem war auch das Gefühl vollkommen anders. In Kierans Nähe hatte es stets einen Hauch von Wärme gegeben, die sichere Erkenntnis, dass man alles überleben konnte, wenn man ihm nur vertraute. Aber bei diesem Mann herrschte Kälte und ein Gefühl von akuter Bedrohung, das nicht zuletzt durch Ferris' furchtsames Zurückweichen unterstützt wurde. Der Blick des Fremden heftete sich auf diesen. „Ferris, du bist zu spät.“ Seine Stimme war nicht minder kalt, leer, emotionslos. Fast kam es Faren vor, als stünde ein Roboter vor ihm, der sich lediglich für einen Menschen hielt. „Es tut mir leid, Cowen“, kam es leise von Ferris. „Wir haben nur die Zeit vergessen.“ „Zieh nicht andere in deinen Fehler hinein.“ Die Zurechtweisung kam prompt. „Du solltest es besser wissen als irgendein dahergelaufener Straßenköter.“ Faren runzelte seine Stirn. „Ich darf ja wohl sehr bitten! Ich bin kein Straßenköter.“ Auch wenn er früher oft als ein solcher bezeichnet worden war. Aber inzwischen traf diese Bezeichnung nicht einmal mehr im Mindesten zu. Nicht nachdem Vincent und Seline sich solche Mühe mit ihm gegeben hatten. „Ich rede nicht mit dir“, erwiderte der Mann, ohne ihn anzusehen, sein Blick blieb einzig auf Ferris konzentriert, der darunter regelrecht zusammenzuschrumpfen schien. „Steig ein. Wir werden zu Hause darüber sprechen.“ Ohne jegliche Widerworte wollte dieser der Aufforderung auch sofort nachgehen. Doch Faren stellte sich eilig zwischen ihn und die Beifahrertür. „Ich denke, wir haben einfach nur auf dem falschen Fuß begonnen, das lässt sich doch schnell ändern. Mein Name ist Faren Griffin. Mit wem habe ich hier die Ehre?“ Endlich sah der andere ihn an, sein Blick kalt wie Eis. „Cowen Haze. Ich bin der Bruder und Vormund von Ferris.“ „Ist er nicht bereits 18?“ Wer benötigte denn noch einen Vormund mit 18? Davon ließ Cowen sich aber nicht beeindrucken. „Das geht dich nichts an. Ferris, steig endlich ein!“ Faren kannte diesen Tonfall, und er ließ eine Wut in seinem Inneren rumoren, die das überstieg, was er in den letzten Jahren kennen gelernt hatte. Etwas, was er nur kannte, wenn es im Zusammenhang mit seinem Vater stand, der denselben Tonfall besessen hatte, sobald es um ihn gegangen war. Gerade wollte er dieser Wut freien Lauf lassen und Cowen das wissen lassen, was er seinem Vater nie gesagt hätte, da spürte er Ferris' Hand auf seiner Schulter. Sofort beruhigte er sich wieder ein wenig. „Es ist schon gut“, sagte Ferris. „Bitte, Faren. Ich werde mit ihm gehen.“ Nach diesen Worten, die ihm gleichzeitig sagten, dass Ferris derjenige war, der den Ärger bekommen würde, sollte er hier ausrasten, presste er die Lippen aufeinander. „Danke, Faren.“ Ohne jedes weitere Wort setzte Ferris sich ins Auto. Cowen warf noch einen letzten Blick auf Faren, mit dem er diesen auf Eiszapfen zu spießen schien, dann setzte er sich ebenfalls wieder ins Auto, startete den Motor und fuhr davon. Schon nach wenigen Sekunden war es aus Farens Sicht verschwunden, als wäre es nie wirklich hier gewesen. Er atmete tief durch. Er wollte einen weiteren Zug seiner Zigarette nehmen, nur um festzustellen, dass sie bis auf den Filter heruntergebrannt war. Mit einem verärgerten Knurren warf er den Stummel weg. Er wusste einfach, dass Cowen genau wie sein Vater war. Dass er Ferris Dinge antat, die nicht nur seinen Körper, sondern auch seine Seele erschütterten. Und Ferris war genau wie er es damals gewesen war: unterwürfig, gehorsam, besänftigend. Deswegen, so schloss er, war Ferris auch so abgeneigt gewesen, in Vincents Haus zu gehen oder ihm auch nur zu begegnen. Er befürchtete, ein Therapeut könne ihn ganz einfach durchschauen. Genau so war es Faren damals auch ergangen. Er konnte Ferris verstehen wie niemand sonst, und genau deswegen musste er ihm auch helfen. Sein Handy lenkte ihn mit einem schrillen Signalton von diesen Gedanken ab. Ein Blick auf das Display verriet ihm, was er bereits geahnt hatte: Es war eine Nachricht von Selines Diensthandy, eine Mitteilung, dass seine Hilfe gegen einige Dämonen im Norden benötigt wurde. Unter anderen Umständen hätte er nun wütend geflucht und wäre dann dieser Anfrage nachgekommen – aber so sehr mit Wut angefüllt, wie er im Moment war, kam ihm das wie gerufen. Er musste sich irgendwie abreagieren, damit er nicht doch noch herauszufinden versuchte, wo Cowen lebte und er seine Wut dann an diesem ausließ. Also lächelte er grimmig und machte sich auf den Weg, um allen Dämonen im nördlichen Stadtteil ordentlich in den Arsch zu treten. Kapitel 6: Dann bin ich das berühmte Zünglein an der Waage? ----------------------------------------------------------- Der Norden der Stadt war damals am stärksten von dem Dämonenangriff berührt worden. Ganze Gebäudekomplexe waren in Schutt und Asche gelegt worden, von dem einstmals riesigen, bei Touristen beliebten, Aussichtsturm waren nur noch Ruinen übrig. Da dieses Viertel hauptsächlich Hotels und Touristenattraktionen beinhaltet hatte, war beschlossen worden, den Wiederaufbau erst einmal auf später zu verschieben. In diesem Fall bedeutete das, bis der Rest der Stadt wieder in einem angemessenen Zustand war, was vermutlich noch einige Jahre andauern würde. In den letzten Jahren war das Viertel dann hauptsächlich zu einem Teil verschiedener Urban Legends geworden. Man sprach von Geistersichtungen, verschwindenden Personen und eigenartigen Lichtern, die besonders in der Nacht wahrzunehmen waren. Natürlich wussten nur Dämonenjäger, dass es keine Legenden waren. Die Geistersichtungen waren Jäger, die nur kurzzeitig zu sehen waren, verschwindende Personen waren jene, die von Dämonen gefressen wurden, und die eigenartigen Lichter entstanden durch die Kämpfe. Wegen all dieser Gründe war das Nordviertel eigentlich gesperrt. Zu dumm, dass es immer noch Jugendliche gab, die sich dort für Mutproben trafen, was gleichzeitig mehr Dämonen anlockte, weswegen Jäger dort eingreifen mussten, was wiederum zu irgendwelchen Ritualen von Heranwachsenden führte. Ein ewiger Teufelskreis. Etwas Ähnliches musste auch an diesem Abend geschehen sein. Als Faren mit seinem Wagen am Rand des Nordviertels ankam, konnte er bereits die Lichtblitze sehen, die ihm verrieten, dass Seline sich mitten im Kampf befand. Kaum stieg er aus dem Auto, hörte er auch ein tiefes Grunzen und Schnauben, das auf einen ziemlich großen Dämon hinwies. Faren näherte sich dem Kampfschauplatz ohne einem Feind zu begegnen. Falls es noch mehr gab, so waren sie alle mit Seline und ihren aktuellen Gefährten beschäftigt. Als er schließlich einen guten Blick auf eine große Kreuzung erhielt, wurden ihm auch zwei Dinge deutlich: Zum einen war Seline lediglich mit einem anderen Jäger namens Crim hergekommen, zum anderen war der Dämon größer als er erwartet hatte. Er war etwa so groß wie ein Haus, hatte die Form einer Kugel mit etlichen Macken, die auf zwei plumpen Füßen stand – und noch dazu unzählige schwarze Tentakel, die aus dem Hauptkörper herauswuchsen. Jede einzelne endete in einem Mund mit scharfen Zähnen, mit denen er nach Seline und Crim schnappte, während diese immer wieder auswichen. So überlebten sie zwar, aber trotz aller Bemühungen schafften sie es auch nicht, einen Angriff durchzuführen. Sobald es einem der beiden gelang, einen oder mehrere Tentakel abzutrennen, übernahmen einfach zahlreiche andere die Angriffe, bis sich die verletzten erholt hatten. Und das geschah in einem derart rasenden Tempo, dass es ihnen nicht einmal zu zweit gelang, den Feind in die Defensive zu zwingen. „Aber zum Glück haben sie mir ja Bescheid gesagt.“ Derart motiviert begab Faren sich ebenfalls ins Gefecht. Eine der Tentakeln wurde auf ihn aufmerksam und attackierte ihn sofort. Er wich zur Seite aus, ließ die Zähne vorbeiziehen und schnappte sich die Tentakel dann. Unter einen Arm geklemmt, versucht er sie herauszuziehen. Das Monster stieß einen lauten Schrei aus, obwohl es nicht so aussah als besäße es einen Mund dafür. Kaum begriff es die Situation, schnappten die anderen Tentakeln nach Faren – doch Seline und Crim trennten die angreifenden Extremitäten ab. In der Zeit, in der sie sich regenerierten, gelang Farens Plan endlich: Mit einem letzten heftigen Ruck zog er die Tentakel heraus. Eine grüne Flüssigkeit spritzte wie Blut heraus, Faren warf das nutzlos gewordene Körperteil zu Boden. Wie er gehofft hatte, löste es sich, nach einigem letzten Zucken, auf, und der Dämon regenerierte ihn nicht. Stattdessen stieß er noch einen Schrei aus, für einen kurzen Moment ließ er all seine Körperteile hängen, wie eine Pflanze ohne Wasser. Oft dürfte er diese Prozedur wohl nicht überleben. „Gute Idee“, kommentierte Seline, dann gab sie Crim ein Zeichen. Der andere nickte, wich einigen Angriffen aus und schnappte sich dann ebenfalls eine Tentakel, um das Spiel zu wiederholen. Um diesmal seinerseits ihn zu beschützen, beschwor Faren eine Sense. Damit trennte er, genau wie Seline, einige der angreifenden Tentakeln ab. Aber er bemerkte bereits, dass nicht mehr derart viel Kraft hinter den Angriffen lag wie noch zuvor. Crim gelang es wesentlich schneller als ihm zuvor, das Körperteil herauszuziehen und sogar dem grünen Blut auszuweichen. Diesmal ließ der Dämon seine übrigen Tentakeln wesentlich länger hängen als zuvor. Seline nutzte die Chance, sprang direkt auf das obere Ende des Wesens. Mit einem einzigen Ruck trieb sie ihr Schwert bis zum Schaft in den Hauptkörper hinein. Der Schrei des Dämons war derart laut und hoch, dass er nur noch als Kreischen zu bezeichnen war. Doch statt aufzugeben, hob er alle Tentakeln auf einmal – und ließ sie immer wieder auf den Boden niedersausen. Jeder einzelne Aufschlag schien die Erde erbeben zu lassen, Staub wirbelte auf, kratzte in Farens Hals. Seline verlor ihr Gleichgewicht auf dem Monster und fiel zu Boden, wo sie unter den schwingenden Tentakeln begraben wurde. Da es Crim nur schwer gelang, selbst auf den Beinen zu bleiben, musste Faren den restlichen Kampf in die Hand nehmen. Er ließ die Sense verschwinden und beschwor stattdessen eine Kettensäge. Mit einem dröhnenden Röhren erwachte die Waffe zum Leben, damit rannte er auf den Dämon zu. Der Motor stotterte ein wenig, als er auf die Haut des Monsters traf, die nur schwer unter den rotierenden Zähnen nachgab. Die Tentakeln beendeten ihr künstliches Erdbeben und versuchten nach Faren zu greifen, doch der Schmerz verhinderte gezielte Bewegungen, so dass sie nur ziellos durch die Luft wedelten. Mit einem letzten, geradezu rebellischen Kreischen, zertrennte die Kettensäge den Körper des Dämons – worauf der sich sofort in Asche verwandelte. Farens Waffe verschwand wieder, er stellte sich tapfer in Pose, die einem Videospielhelden alle Ehre machen würde. Auch wenn der Kampf kurz gewesen war, fühlte er sich schon ein bisschen besser als davor. Seline erhob sich aus der Asche, stieß ein Seufzen aus und versuchte dann, sich den Dreck von ihrer Kleidung zu klopfen. Ein vergebliches Unterfangen, aber es war der Wille, der zählte. Und immerhin bedeutete es auch, dass sie unverletzt war. „Danke für deine rasche Hilfe, Faren.“ Crim stellte sich neben ihn. „Wie kamst du darauf, dass du die Tentakeln entfernen kannst?“ Er spielte mit dem Gedanken, seinem Kollegen von dem Videospiel zu erzählen, in dem die Heldin allerlei Dinge aus Monstern herausziehen musste, um sie zu besiegen – aber bislang hatte der andere sich nicht sonderlich für Videospiele erwärmen können, deswegen zuckte Faren mit den Schultern. „Das war nur so ein Gefühl.“ Crim erinnerte ihn stets sowohl an Vincent, als auch an Kieran. Er hatte schwarzes Haar, das meist über sein linkes Auge fiel und immer ein wenig ungekämmt wirkte. Seine Augen waren zwar blau, aber nicht selten war ein violettes Flackern darin wahrnehmbar, was Faren immer wieder faszinierte – genau wie die Frage, warum Crim immer derart blass war. Die Frage, ob er ein Vampir sei, hatte er jedenfalls bislang immer verneint. Aber nichtsdestotrotz war er selbst bei der Arbeit immer stylish, sogar an diesem Tag trug er einen Anzug, dem nur noch das Jackett fehlte. Aber die Weste über seinem Hemd flößte Faren fast noch mehr Respekt ein. Noch dazu war Crim nicht so groß wie Vincent, aber auch nicht so klein und zierlich wie Kieran, er war das ideale Mittel zwischen den beiden – und deswegen mochte er ihn möglicherweise so sehr. „Du solltest wirklich öfter mit uns kämpfen“, merkte Crim noch an. „Offenbar funktionieren wir drei sehr gut zusammen.“ „Lieber nicht. Am Ende suchst du mich auch in der Spielhalle auf, um mir eine Standpauke zu halten, weil ich zu progressiv bin.“ Der Anflug eines Lachens entkam Crims Mund, seine Augen blitzten amüsiert. „Das ist wirklich eine wesentlich schmeichelhaftere Bezeichnung für dein Verhalten als jene, die Parthalan für dich benutzt.“ Faren wollte lieber gar nicht so genau wissen, wie Cerises rechte Hand ihn nannte, deswegen hakte er nicht nach. „Wie auch immer. Wann habt ihr Zeit gefunden, mir wegen dem Dämon eine Nachricht zu schicken?“ Seline hatte das Abklopfen aufgegeben, weswegen sie immer noch voller Asche war, als sie sich zu den beiden gesellte. „An deiner Grammatik sollten wir noch feilen, mein Lieber. Aber ich habe die Zeit gefunden, als Crim mich gerade nicht brauchte. Beschäftigen konnten wir den Dämon auch jeweils allein, nur besiegen nicht.“ „Dann bin ich das berühmte Zünglein an der Waage?“ „Oder einfach die Verstärkung“, erwiderte Seline prompt, bevor er sich etwas darauf einbilden konnte. „Deswegen danke für deine Hilfe. Auch wenn du unüberlegt gehandelt hast, war es dieses Handeln, das uns zum Sieg geführt hat.“ „Ihr müsst einfach nur lernen, mal mehr außerhalb der Box zu denken. Ich gewinne bestimmt nicht, weil ich mich immer an die Regeln oder das Lehrbuch halte oder gar erst eine Erlaubnis für mein Vorgehen einhole.“ Seline und Crim warfen sich einen Blick zu, der verdächtig nach Naiver kleiner Junge aussah. Seine Wut und sein Ärger von vorhin wollten bereits wieder aufwallen, deswegen lachte er amüsiert und hob die Hand. „Ich denke, ich fahre dann mal nach Hause. Oder braucht ihr noch irgendetwas vom Großmeister eures Vertrauens?“ „Unsere Patrouille ist vorbei“, antwortete Crim. „Wir haben alle Dämonen getötet, die wir sehen konnten. Also waren wir erfolgreich.“ Alle, die sie sehen konnten. Das brachte Faren auf etwas: „Ich finde, wir sollten auch in den Kellern der Ruinen suchen. Bestimmt gibt es dort einige Nester, die wir ausräuchern könnten.“ Seline deutete ein Kopfschütteln an. „Parthalan hat dir schon oft genug erklärt, dass es zu gefährlich ist. Also schlag dir das lieber aus dem Kopf.“ Natürlich sah auch Faren ein, dass der Untergrund einsturzgefährdet war, aber so blieb dieses Gebiet auf immer und ewig eine Sperrzone, in der patrouilliert werden musste. Ein ewiger Quell der Gefahr. Der Gedanke machte Faren geradezu krank. Aber wie üblich ließ er sich das nicht anmerken. Stattdessen lächelte er weiterhin als kümmere ihn das alles einfach gar nicht. „Okay, Leute, nachdem wir das jetzt auch wieder besprochen haben, fahre ich direkt heim. Ich bin nämlich echt müde.“ Wenigstens war er nicht mehr wütend, das war ein Fortschritt. Einen Groll hegte er aber immer noch gegenüber Cowen. „Wir begleiten dich bis zu deinem Wagen“, bestimmte Seline. Damit setzten sie und Crim sich bereits in Bewegung, worauf Faren nichts anderes übrigblieb als sich ihnen anzuschließen, wenn er nicht allein zurückbleiben wollte – und das wollte man in dieser Gegend ganz sicher nicht. Nicht weit entfernt saß eine junge Frau auf den traurigen Überresten eines Gebäudes. Es war nur noch Schutt, kaum noch als das Haus, das es einst gewesen war, zu erkennen. Dieser Gedanke stimmte Menschen oft traurig, wie sie wusste, deswegen beachtete es auch niemand weiter, wenn er nicht musste, daher war es der ideale Observierungsort gewesen. Die Beine übereinandergeschlagen, einen Arm auf das Knie gestützt, das Kinn auf dem Handrücken gebettet, beobachtete sie nun schon seit Eintreffen der Jäger dieses Gebiet. Deren Aktionen waren aber erst interessant geworden, als der Tentakel-Dämon aufgetaucht war. Anfangs hatte es so ausgesehen als ob er im Vorteil wäre, aber dann war es den Jägern doch noch gelungen, eine Taktik gegen ihn zu entwickeln. Zu schade. Kaum war der Dämon besiegt worden, kam eine leichte Brise auf, die mit ihrem langen weißen Haar und ihrer weiten, violetten Kleidung spielte. Sie störte sich nicht daran, sondern beobachtete die Jäger, die sich noch unterhielten, da sie sich in Sicherheit wähnten. Dabei waren ihre Augen – von denen das rechte blau und das linke rot war – hauptsächlich auf den braunhaarigen Mann gerichtet, der erst verspätet zum Kampf dazugekommen war. „Das muss Faren Griffin sein“, stellte sie fest. „So ist es.“ Bislang war sie allein gewesen, aber nach diesen Worten spürte sie, wie jemand hinter sie trat. Sie hob allerdings nicht den Kopf, da sie bereits wusste, um wen es sich bei der anderen Person handelte. Seine kalte Stimme genügte bereits, um es jeden wissen zu lassen. „Er hat die Taktik für diesen Kampf bereitgestellt, aber ich denke, er hatte einfach nur Glück.“ Genauer gesagt war sie der Überzeugung, dass er einfach nur brutal war – die Kettensäge am Ende war ein guter Beweis dafür gewesen –, und was lag dann näher, als dem Feind Gliedmaßen auszureißen? „Vielleicht war es Glück“, sagte die Stimme, „vielleicht war es aber auch mehr. Es wird nicht schaden, wenn wir ihn besonders im Auge behalten.“ „Hast du eine persönliche Vendetta mit ihm?“ „So etwas Ähnliches.“ Seufzend fuhr sie sich mit einer Hand durch das Haar. „In Ordnung. Wenn ich ihn treffe, bringe ich ihn dir als Gefangenen, statt ihn einfach umzubringen. Solange ich dafür angemessen belohnt werde.“ „Mach dir darum keine Gedanken. Jeder bekommt das, was er verdient.“ Sie nahm das als Zustimmung, deswegen lächelte sie zufrieden. „Dann betrachte die Aufgabe bereits als erledigt. Ich werde ihn dir bringen.“ Allerdings nicht an diesem Tag, an dem er mit zwei anderen Jägern davonging. Aber sie würde ihn gefangen nehmen – und dann endlich das bekommen, was sie sich am meisten wünschte. Kapitel 7: Was kann ich tun, um Ferris zu helfen? ------------------------------------------------- [LEFT]Noch am nächsten Tag war Faren genervt von dem letzten Abend. Der Kampf hatte im Endeffekt nicht viel beigetragen, um das abzubauen. Er war wütend auf sich selbst, weil er Ferris nicht hatte helfen können, aber auch deswegen, weil Cowen existierte. Dieses Wissen allein ließ sein Blut kochen. Wenn er seinen Job bedachte, war es nicht sonderlich klug, derart viele negative Emotionen anzustauen, außerdem wollte er Ferris helfen, aber er wusste nicht so recht, wie. Doch er wohnte glücklicherweise im selben Haus, wie jemand, der ihm bestimmt helfen konnte. Deswegen beschloss er an diesem Tag beim Frühstück das gegenüber Vincent anzusprechen: „Du erinnerst dich sicher noch an Ferris, meinen neuen Freund, ja?“[/LEFT] [LEFT]Bislang war sein Gegenüber in die Tageszeitung vertieft gewesen – Faren war immer noch der Meinung, er sollte lieber auf News-Apps umsteigen –, aber kaum wurde diese Frage an ihn gerichtet, klappte er eine Hälfte nach unten, um ihn anzusehen. Die blauen Augen erinnerten unangenehm an Cowens, aber sie waren ein wenig … gefühlvoller. Nicht viel, aber genug, um einen Unterschied zu machen.[/LEFT] [LEFT]„Warum fragst du?“[/LEFT] [LEFT]„Gestern waren er und ich ja zusammen unterwegs. Wir sind dann seinem Bruder begegnet.“[/LEFT] [LEFT]Vincent nickte, als Faren eine längere Pause machte, um nach den passenden Worten zu suchen. Dann fasste er einfach zusammen, was geschehen war, ehe er zu seinem eigentlichen Anliegen kam: „Was kann ich tun, um Ferris zu helfen? Soll ich seinen Bruder umbringen oder sowas?“[/LEFT] [LEFT]Er lachte, um die Ernsthaftigkeit seiner Aussage in den Hintergrund wandern zu lassen. Vincent stimmte allerdings nicht mit ein. „Bist du dir sicher, dass Cowen derart schlimm ist?“[/LEFT] [LEFT]Diese Gegenfrage löste ein Stirnrunzeln bei Faren aus. „Natürlich bin ich das. Ich hab es genau gemerkt – und alles an Ferris' Verhalten deutet darauf hin. Du bist doch hier der Therapeut, du müsstest das genauso sehen.“[/LEFT] [LEFT]„Ich bin der Therapeut, deswegen denke ich, wir sollten über einen anderen Punkt in dieser Sache reden.“ Damit schloss Vincent die Zeitung und faltete sie zusammen, dann legte er sie auf dem Tisch ab.[/LEFT] [LEFT]Faren bereute bereits, ihn darauf angesprochen zu haben. Mit Sicherheit wollte Vincent nun über seinen Vater sprechen – oder besser, wie Faren diesen darstellte. Darauf hatte er eigentlich absolut keine Lust. Für nächstes Mal, so nahm er sich vor, würde er jemanden einfach direkt umlegen, statt vorher mit seinem Therapeuten darüber zu sprechen.[/LEFT] [LEFT]„Ich denke, du projizierst den Hass, den du gegenüber deinem Vater empfindest, auf Cowen. Du bist wütend, weil du deinem Vater selbst nie sagen konntest, wie sehr du ihn verabscheust. Deswegen brauchst du jetzt jemanden, der diese Rolle übernimmt – und ich denke, dieser Cowen kommt dir da gerade recht.“[/LEFT] [LEFT]Mit einer derartigen Antwort hatte Faren nicht gerechnet. Dass sein Vater überhaupt ins Spiel kam, machte ihn schon wütend genug, aber dass es ausgerechnet von Vincents Seite aus geschehen musste, behagte ihm noch viel weniger. Nun musste er eine passende Erwiderung finden, um das Gespräch wieder auf Cowen zu lenken. Dabei war er darin nicht sonderlich geübt.[/LEFT] [LEFT]„Das ist doch lächerlich! Das hat überhaupt nichts mit meinem Hass auf meinen Vater zu tun. Du hättest erleben sollen, wie Cowen mit Ferris umgeht, dann wäre dir das nicht so egal.“[/LEFT] [LEFT]„Es ist mir nicht egal“, sagte Vincent ruhig. „Ich beurteile es nur anders als du. Natürlich mag das daran liegen, dass ich bei dieser Interaktion nicht dabei war, aber ich vermute wirklich, dass du projizierst. Das wäre absolut normal für jemanden mit deiner Vergangenheit.“[/LEFT] [LEFT]Am liebsten hätte Faren vor Wut geschrien. Wenn nicht einmal der eigene Therapeut einen verstand, auf wen sollte man sich dann verlassen? Vielleicht wäre das aber eine gute Gelegenheit, doch mal zu trainieren und diese ganze Negativität wieder abzubauen.[/LEFT] [LEFT]„Was muss ich tun, um dir zu beweisen, dass ich nicht spinne?“, fragte Faren.[/LEFT] [LEFT]„Du musst mir gar nichts beweisen. Aber falls es dir wirklich so sehr am Herzen liegt, solltest du erst einmal versuchen, Ferris davon zu überzeugen, von sich aus eine Therapie zu beginnen. So könnte er sich vielleicht von seinem Bruder lösen – sofern er das will.“[/LEFT] [LEFT]Das dürfte eine schwere Aufgabe werden. Faren erinnerte sich noch immer lebhaft daran, wie blass Ferris geworden war, als er das Schild an Vincents Tür gelesen hatte. Cowens Einfluss war bestimmt daran schuld, anders ergab das keinen Sinn. Wenn er nun aber positiv auf Ferris einwirkte, könnte er dann etwas ändern?[/LEFT] [LEFT]Er müsste es zumindest versuchen, das war er seinem neuen Freund schuldig, besonders wenn er diesen noch lange als solchen betrachten wollte.[/LEFT] [LEFT]„Fein. Du hast gewonnen. Ich werde versuchen, ob es klappt.“[/LEFT] [LEFT]„Es geht hier nicht ums Gewinnen“, widersprach Vincent. „Aber es ist schön, dass du es einsiehst.“[/LEFT] [LEFT]Faren runzelte seine Stirn, sagte aber nichts mehr. Zumindest blieb ihm damit jedes weitere Gespräch über seinen Vater erspart. Also sollte er sich lieber-[/LEFT] [LEFT]„Ich fände es wichtig“, setzte Vincent hinzu, „noch einmal über deinen Vater zu sprechen. Offensichtlich gibt es da Dinge, die du noch nicht verarbeitet hast.“[/LEFT] [LEFT]„Die werde ich auch zukünftig nicht verarbeiten. Ich lebe ganz gut mit diesen Dingen. Was sollte es denn bringen, sie immer wieder an die Oberfläche zu zerren, wenn ich sie doch lieber vergessen will?“[/LEFT] [LEFT]„Ich bezweifle einfach, dass das sehr gesund für dich ist.“ Aus Vincents Worten sprach eine kaum wahrnehmbare Sorge, die Faren zwar rührte – aber nur deswegen würde er sich dem gewiss nicht einfach beugen.[/LEFT] [LEFT]Er schüttelte den Kopf. „Sorry. Ich hab dir zu dem Thema schon alles gesagt, was ich je sagen wollte. Und ich glaube nicht, dass du noch viele Möglichkeiten findest, mir zu sagen, dass es ganz arg schrecklich war, was mein Vater mir angetan hat. Also belassen wir es doch einfach dabei.“[/LEFT] [LEFT]Vincent ließ die Schultern sinken, was ein überraschend trauriger Anblick war. „Ich würde mir wirklich wünschen, dass es dir hilft.“[/LEFT] [LEFT]„Tut es nun einmal nicht. Darüber zu lamentieren hilft aber keinem von uns. Das stiehlt uns nur beiden die Zeit.“[/LEFT] [LEFT]Er konnte es Vincent ansehen, dass dieser es vollkommen anders sah, doch Faren konnte es nicht ändern. In seinen Augen genügte es schon, dass er mit seinem Therapeut über alles andere sprach, was in seinem Leben schief ging. Da brauchte es nicht noch diese unangenehmen Erinnerungen, die ihm nur wieder die Schmerzen ins Bewusstsein zurückholten.[/LEFT] [LEFT]Mit einem leisen Seufzen erhob Faren sich vom Tisch. „Ich werde dann mal damit anfangen, Ferris zu überzeugen. Wünsch mir Glück.“[/LEFT] [LEFT]Das wäre jedenfalls besser als eine Standpauke wegen des kaum angefassten Frühstücks. Vincent zog auch missbilligend die Brauen zusammen, als ihm das auffiel, doch glücklicherweise sagte er nichts – vermutlich weil er selbst quasi nie etwas aß.[/LEFT] [LEFT]So verließ Faren die Küche und ging in sein Zimmer hinauf. Dort ließ er sich wieder aufs Bett fallen und griff nach seinem Handy. Seit letzter Nacht hatte er keine neuen Nachrichten bekommen, angerufen worden war er auch von niemandem.[/LEFT] [LEFT]Er tippte eine lange – viel zu umständliche – Mitteilung an Ferris, in der er ihm sagte, dass er sich Sorgen machte, dass er seine Situation nur zu gut kannte und dass er ihm helfen wollte. Doch nach erneutem Durchlesen kam ihm das selbst zu lächerlich vor, deswegen löschte er alles wieder. Er überlegte, was er damals gern gehört hätte – und schrieb dann lediglich, dass er an Ferris denke und sich Sorgen um ihn mache. Diese Nachricht schickte er ab, dann wartete er.[/LEFT] [LEFT]Es war ihm schon immer seltsam vorgekommen, dass Zeit ein derart relatives Gefüge war. Hatte man Spaß, verging sie wie im Flug und aus Tagen und Wochen wurden gerade mal Stunden, wartete man jedoch auf etwas, fühlte sich dieselbe Spanne an wie eine Ewigkeit. So erging es ihm im Moment auch, als er darauf wartete, dass Ferris ihm antwortete. Jede einzelne Sekunde schien eine ganze Ewigkeit zu dauern, die nur darauf aus schien, ihn zu zermürben.[/LEFT] [LEFT]Irgendwann begann er damit, sich durch Internet-Foren zu wühlen, vor allem auf der Suche nach neuen urbanen Legenden in seiner Stadt. Eine Sache, die meist dazu führte, dass er Stunden damit verbrachte, von einem Thread zum anderen zu springen und vielleicht auch das ein oder andere zu kommentieren. Das war nicht die sinnvollste Beschäftigung, aber sie war um einiges besser als nur seinen Bildschirm-Hintergrund anzustarren und darauf zu warten, dass er eine Nachricht erhielt.[/LEFT] [LEFT]Das Mittagessen ging vorüber, ohne eine Antwort, und auch das Abendessen musste er mit einem unangenehmen Ziehen im Inneren zu sich nehmen. Seine Unterhaltungen mit Vincent waren entsprechend einsilbig, was sein Gesprächspartner sicher darauf schob, dass Faren eingeschnappt war. Sollte er denken, was er wollte.[/LEFT] [LEFT]Als er nach alldem immer noch nichts von Ferris gehört hatte, gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder wollte Ferris ihm nicht antworten oder er konnte es nicht. Er war sich nicht sicher, welche der beiden er bevorzugte, denn sie erschienen ihm gleichermaßen furchtbar. Aber im zweiten Fall konnte er zumindest etwas tun, um dem Abhilfe zu schaffen.[/LEFT] [LEFT]Zu diesem Zweck rief er die Seite des Telefonbuchs auf. Vincent hatte zwar mit Sicherheit noch ein physisches irgendwo herumliegen, aber er sollte nichts von Farens Vorhaben wissen, also war es besser, ihn nicht danach zu fragen.[/LEFT] [LEFT]Zu seinem Glück gab es in der ganzen Stadt nur einen Cowen Haze. Die Adresse sagte ihm nur wenig, aber mit einer Karte (wieder einmal lobte Faren das Internet) wusste er genau, wo er nach dem Haus suchen müsste.[/LEFT] [LEFT]Er verabschiedete sich von Vincent unter dem Vorwand, dass er sich mit einigen Kollegen treffen wollte, dann machte er sich auf den Weg in das Viertel, in dem die Hazes lebten. Nun lohnte es sich endlich, dass er recht schnell von seinem ersten Geld einen günstigen Gebrauchtwagen erstanden hatte, damit sparte er sich einiges an Zeit.[/LEFT] [LEFT]Die Sonne war gerade untergegangen, als er endlich dort ankam. Er war tatsächlich nie in dieser Gegend gewesen, aber sie erinnerte ihn an das Mittelschicht-Viertel, in dem Vincent lebte. Allerdings war dieses hier weniger spießig. Die Hecken waren nicht alle akkurat gestutzt, genauso wenig wie die Rasenflächen gepflegt waren. Dafür wurden in den Vorgärten verschiedene Blumen angepflanzt, in einem entdeckte Faren sogar ein Gemüsebeet und in einem anderen einen alten Apfelbaum; so etwas wäre in Vincents Nachbarschaft undenkbar. Etwas derart Unschickliches versteckte man hinter dem Haus, wo es nicht jeder sehen konnte.[/LEFT] [LEFT]Nach kurzer Zeit hatte er also bereits festgestellt, dass diese Gegend ihm wesentlich sympathischer war – bis er an einem ganz bestimmten Haus ankam. Dieses sah nämlich tatsächlich danach aus, als hätte jemand eines von Vincents Anrainern genommen und einfach hierher verpflanzt. Das Gras war nur wenige Millimeter hoch, das Grundstück besaß keine eigene Hecke, sondern nur einen einfachen Zaun, sogar das Auto in der Einfahrt wirkte als sei es exakt gerade eingeparkt worden.[/LEFT] [LEFT]Ohne auch nur einen Blick auf die Hausnummer zu werfen, wusste Faren sofort, dass er hier richtig war – und sein Magen verknotete sich einmal mehr. In seinem Kopf formte sich bereits ein Bild von Cowen, einem ordnungsliebenden Fanatiker, der seine Aggressionen an seinem wehrlosen Bruder ausließ, der diese Form der Aufmerksamkeit mit Liebe verwechselte. Was müsste er tun, um Vincent ebenfalls von dieser Vorstellung zu überzeugen? Oder Ferris zu einer Therapie zu bewegen?[/LEFT] [LEFT]Er hielt das Auto gegenüber des Hauses, damit er dieses mit gerunzelter Stirn betrachten konnte. Hinter zwei Fenstern brannte Licht, also waren wohl beide zu Hause. Vielleicht sollte er seinen guten Willen demonstrieren, indem er erst einmal versuchte, noch einmal in Ruhe mit Cowen zu sprechen. Unter Umständen entsprach Vincents Verdacht der Wahrheit und er projizierte lediglich seine Erfahrungen mit seinem Vater auf diesen Mann.[/LEFT] [LEFT]Faren ächzte. Wie nervig, dass er sich manchmal selbst nicht verstehen konnte![/LEFT] [LEFT]Er musste seine Bereitschaft demonstrieren, seine eigene Vorstellung zu hinterfragen, indem er den Wagen verließ, zur Tür hinüberging und dort klopfte. Und genau das tat er, bevor er es sich noch einmal anders überlegte.[/LEFT] [LEFT]Es dauerte einen viel zu langen Moment, in dem Faren sich bereits überlegte, doch wieder zu gehen, bis die Tür geöffnet wurde. Cowen stand ihm gegenüber, sein Gesicht noch immer so emotionslos wie in der Nacht zuvor, seine Augen nach wie vor voller Kälte, die alles in Farens Inneren gefrieren wollte und der es dabei nur gelang, lodernde Wut in seinem Inneren zu entfachen. Doch es ging gerade um mehr als ihn selbst, deswegen riss Faren sich mit aller Macht zusammen. „Hallo. Tut mir leid, ich wollte so spät nicht stören, aber ich wollte mich nach Ferris erkundigen.“[/LEFT] [LEFT]Cowen erwiderte den Gruß mit distanzierter Höflichkeit. Seine Stirn war mit derart tiefen Furchen durchzogen, wie Faren sie noch nie zuvor bei jemandem gesehen hatte. Er durfte sich aber nicht auf die negativen Dinge konzentrieren.[/LEFT] [LEFT]„Ferris geht dich nichts an“, sagte Cowen. „Er ist besser dran, wenn er nichts mit dir zu tun hat.“[/LEFT] [LEFT]Die Worte trafen hart, direkt in Farens Brust, wo sie das Feuer der Wut schürten. Doch mit genug Willenskraft hielt er das Lächeln aufrecht. „Ich denke wirklich, dass wir uns einfach nur auf dem falschen Fuß erwischt haben. Wenn Sie mich kennenlernen würden-“[/LEFT] [LEFT]„Ich verzichte. Und Ferris zukünftig auch.“ Cowen reckte das Kinn, als wolle er sich damit über Faren erheben. „Ich möchte nicht, dass du ihm auch nur zu nahe kommst. Und spar dir Nachrichten, so wie die von vorhin. Er wird sie ohnehin nicht lesen.“[/LEFT] [LEFT]Also war es Ferris wirklich nicht möglich gewesen, ihm zu antworten. Es erleichterte Faren, dass er nicht von seinem Freund ignoriert wurde. Aber gleichzeitig machte es ihn noch wütender, dass Cowen all seine Gedanken und Vorurteile nur bestätigte. Dieser Mann war gefährlich, und er misshandelte Ferris – und Faren fehlte immer noch jeder Beweis dafür.[/LEFT] [LEFT]Er seufzte nicht, obwohl er es wollte, diesen Triumph gönnte er Cowen nicht. Sein Gesicht verfinsterte sich nicht einmal. „Okay, verstanden. Ich entschuldige mich noch einmal für die Störung.“[/LEFT] [LEFT]Damit wandte er sich ab und ging zurück in Richtung seines Wagens. In seinem Rücken spürte er Cowens Blick, der ihn regelrecht aufzuspießen schien, egal wie weit er sich entfernte.[/LEFT] [LEFT]Selbst am Auto angekommen, erkannte Faren, als er sich kurz umsah, dass der andere ihm noch immer hinterherstarrte. Aber am oberen erleuchteten Fenster entdeckte er auch eine Silhouette. Ferris hatte etwas von seinem Besuch mitbekommen, vielleicht würde das genügen, um seinen Freund zu überzeugen, dass er ihm helfen wollte. Aber nur für den Fall der Fälle würde er einfach am morgigen Tag noch einmal vorbeikommen, während Cowen arbeitete.[/LEFT] [LEFT]Dieser Gedanke war das einzige, was ihm half, nicht direkt einen Dämon aufzusuchen, um seine neuerlichen Aggressionen daran auszuleben, sondern den Wagen zu starten und wieder nach Hause zu fahren – wo er Vincent aufgrund seines Rates einfach bis morgen ignorieren würde.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Wieder war es die weißhaarige Frau, die aus den Schatten heraus beobachtete, wie Faren das Viertel verließ. Dass er sich gerade hier herumtrieb, wo sie einem zukünftigen Opfer nachging, musste ein Zeichen des Schicksals sein – und dass sie gerade rechtzeitig vor Ort gewesen war, interpretierte sie ebenfalls als einen starken Wink, den sie nicht ignorieren dürfte. Sie müsste nur noch zugreifen.[/LEFT] [LEFT]Was genau Faren hier wollte, wusste sie nicht, aber sie hatte gesehen, bei welchem Haus er gewesen war, außerdem war es ihr im Anschluss zu seinem kurzen Besuch möglich gewesen, seine Wut zu spüren. Jemand in diesem Gebäude musste eine besondere Wirkung auf ihn haben.[/LEFT] [LEFT]Wenn sie diese Person zu ihrem Vorteil benutzen könnte, wäre ihr das Einfangen von Faren garantiert, und damit auch die implizierte Belohnung ihres Herrn.[/LEFT] [LEFT]Um diesem neu gefassten Plan nachzugehen, suchte sie das entsprechende Haus auf und schritt durch dessen Tür, als bestehe sie lediglich aus Wasser. Tatsächlich waberte die Realität um den Eingang wie die Wasseroberfläche, deren Ruhe durch einen Stein gestört wurde.[/LEFT] [LEFT]Im abgedunkelten Inneren fand sie zielsicher das Wohnzimmer, wo sich zumindest eine Person befand. Auf einem Sessel saß ein schwarzhaariger junger Mann, der stumpf vor sich hinstarrte, vollkommen in die in ihm schwelende Wut vertieft. Er bemerkte sie nicht, auch nicht während sie sich ihm näherte. Sie lachte innerlich. Wie sollte ein einfacher Mensch sie, eine Dämonin des zweithöchsten Ranges, auch entdecken können?[/LEFT] [LEFT]Neben ihm angekommen, beugte sie sich ein wenig vor, damit ihr Kopf auf derselben Höhe wie seiner war. Noch immer gab es nichts, das darauf hindeutete, dass er sie bemerkte. Perfekt.[/LEFT] [LEFT]Sie öffnete den Mund und begann damit, ihm Dinge einzuflüstern, die all seine negativen Gefühle nähren und zum Blühen bringen sollten. Wenn das erst einmal geschah, wäre Faren ihr Gefangener – und damit würden sich endlich all ihre Ziele und Wünsche erfüllen.[/LEFT] [LEFT]Das Leben dieses Menschen wäre dann vorbei, aber das interessierte sie nicht. Er war nur ein Werkzeug, das ihr auf ihrem Weg helfen sollte.[/LEFT] [LEFT]So flüsterte sie weiter, genau wie sie es einst gelernt hatte, und sie genoss es, die wachsende Wut in seinem Inneren spüren zu können, denn all das war nur ein Schritt mehr für sie.[/LEFT] [LEFT]Ein Schritt, der vielleicht dazu beitrug, die Menschheit endgültig zu vernichten.[/LEFT] Kapitel 8: Genau wie mein Vater mir damals. ------------------------------------------- [LEFT]Da Faren nicht wusste, wann Cowen mit der Arbeit anfing – er wusste ja nicht einmal, wo er arbeitete – wartete er einfach schon ab sechs Uhr morgens. Vincent hatte er erzählt, dass er zu einem wichtigen Treffen nach Abteracht gehen musste, das verschaffte ihm mindestens fünf Stunden. Er saß ein paar hundert Meter vom Haus entfernt in seinem Wagen – ein alter gebrauchter dunkelblauer Ford Fiesta, der günstig zu haben gewesen war und seinen Zweck erfüllte –, den Cowen sicher nicht kannte, nicht einmal vom Vorabend, so dass er hoffentlich nicht auffiel.[/LEFT] [LEFT]Normalerweise schlief er um diese Zeit noch oder war gerade erst ins Bett gegangen, aber nicht nur wegen seines Jobs. Schon vor diesem war er eine Nachteule gewesen, jetzt hatte er lediglich auch eine Arbeit, die ihm das ermöglichte, statt ihm dazwischenzufunken. Um nicht einzuschlafen, befütterte er seinen lodernden Hass gegenüber Cowen stetig, was nicht schwer war. Ein Mann wie er, der nicht einmal davor zurückschreckte, seinen eigenen Bruder zu misshandeln, musste einfach gehasst werden. Für alle Fälle trank er dazu noch einen Kaffee, den er sich unterwegs gekauft hatte. Der Plastikbecher war noch heiß, aber dennoch behielt er ihn stets in der Hand, was auch dazu beitrug, dass er nicht einschlief.[/LEFT] [LEFT]Nachbarn von Cowen liefen oder fuhren an ihm vorbei, schenkten ihm aber kaum einen Blick jenseits des neugierigen Blitzens, sobald ihnen auffiel, dass er nicht hierher gehörte. Selbst als er einem von ihnen zuwinkte, wandte dieser nur geradezu empört das Gesicht wieder ab. Es war definitiv nicht die Nachbarschaft, die Faren sich ausgesucht hätte.[/LEFT] [LEFT]Parthalan würde es hier aber vermutlich lieben.[/LEFT] [LEFT]Als es auf sieben Uhr zuging – und er keinen Kaffee mehr hatte –, überlegte er, ob Cowen möglicherweise arbeitslos war. In diesem Fall könnte er ewig darauf warten, dass der Mann verschwand. Aber nein, er konnte sich nicht vorstellen, dass eine derart überhebliche Gestalt nicht arbeitete. Außerdem stand ein blitzblank aussehender schwarzer Neuwagen in der Einfahrt, den konnte man sich nicht vom Arbeitslosengeld leisten; ihm gelang das ja nicht einmal mit seinem Gehalt von Abteracht.[/LEFT] [LEFT]Endlich – pünktlich um 7:15 Uhr – öffnete sich die Tür des Hauses. Cowen trat heraus, natürlich in einem Anzug, der aussah als käme er gerade aus einer Reinigung, in seiner Hand trug er eine teuer aussehende Aktentasche. Er warf einen kurzen Blick ins Gebäude zurück – möglicherweise sagte er noch etwas zu Ferris –, dann verschloss er die Tür; so gründlich, dass er sogar noch einmal testete, ob sie wirklich zu war. Erst als er damit zufrieden war, lief er zum Auto hinüber. Faren rutschte tiefer auf seinem Sitz, um nicht gesehen zu werden. Sämtlicher Hass, den er empfand, flammte noch einmal stärker auf. Wäre sein Körper ein Gebäude, so gelang es diesem Gefühl, sogar den Dachfirst zu erreichen.[/LEFT] [LEFT]Cowen setzte sich in den Wagen, legte die Tasche fein säuberlich auf den Beifahrersitz und kontrollierte dann alle Spiegel. Er verstellte nichts, also gehörte es möglicherweise einfach zu seinem gewöhnlichen Ablauf. Obwohl es harmlos war, hätte Faren ihn dafür am liebsten zu Boden geschlagen. Schließlich startete er das Auto und fuhr los.[/LEFT] [LEFT]Um auf keinen Fall noch entdeckt zu werden, lehnte Faren seinen Oberkörper auf die Seite. Dazu hob er seine linke Hand an seinen Mund und begann damit, auf den Knöcheln zu nagen. Er versuchte so, seine Wut ein wenig in den Griff zu bekommen, aber es gelang ihm kaum. Am liebsten hätte er seinen eigenen Wagen benutzt, um Cowen in einen Unfall zu verwickeln, bevorzugt mit tödlichem Ausgang. Aber das war eine dumme Idee, wie ihm sofort bewusst wurde. Zum einen konnte er nicht ausschließen, dass er ebenfalls schwer verletzt oder gar getötet wurde, außerdem würde sein Wagen dabei in Mitleidenschaft gezogen – und dann war da noch der ganze Ärger mit der Polizei und mit Vincent, der dabei unwiderruflich entstünde.[/LEFT] [LEFT]Außerdem ist es natürlich falsch, Leute zu töten, yare yare yare.[/LEFT] [LEFT]Der Wagen fuhr langsam an ihm vorbei, dafür schien er ewig zu brauchen. Plötzlich überkam ihn der Gedanke, dass Cowen ihn trotz seiner Vorsichtsmaßnahmen entdeckt hatte, dass jeden Moment seine Tür geöffnet und er rausgezogen und geschlagen wurde, bis seine Knochen brachen und splitterten. Sein Puls schnellte schlagartig in die Höhe, gemeinsam mit seiner Atmung. Er fühlte sich zurückversetzt in seine Kindheit, als er bei jedem kleinen Geräusch fürchten musste, von seinem Vater zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die Schmerzen in seinem gesamten Körper, das Brennen in seiner Speiseröhre, nachdem er sich übergeben hatte, die Tränen auf seinem Gesicht, an all das erinnerte er sich, während er so dalag und versuchte, nicht in Panik zu geraten. Im Moment könnte er Vincents beruhigende Stimme gebrauchen. Seine andere Hand griff bereits nach seinem Telefon, aber noch konnte er sich beherrschen. Wie erbärmlich wäre das, jetzt bei Vincent angekrochen zu kommen? Nur um zu hören, dass er projizierte?[/LEFT] [LEFT]Als die Geräusche des anderen Motors endlich in der Ferne verklangen, normalisierte sich sein Zustand langsam wieder. Vorsichtig setzte er sich aufrecht hin, wobei er erwartete, in Cowens Gesicht zu starren – doch die Straße war leer.[/LEFT] [LEFT]Faren atmete erleichtert auf. Nun war er aber umso mehr überzeugt, dass er Ferris aus diesem Haus rausholen müsste. Er könnte nicht bei seinem Bruder bleiben, wenn er auch nur halb so schlimm war wie Farens Vater. Nicht jeder konnte das durchstehen. Selbst ihm war das nicht wirklich gelungen.[/LEFT] [LEFT]Statt weiter zu zögern oder doch noch Vincent anzurufen, stieg er aus dem Auto. In der kühlen Morgenluft fröstelte er erst, aber das durfte ihn nicht abhalten. Er warf einen Blick in beide Richtungen der Straße. Sie war leer, Cowen war wirklich fort. Wenn er ihn richtig einschätzte, käme er in den nächsten acht Stunden bestimmt nicht zurück, weil er gewissenhaft mit seiner Arbeit beschäftigt war. Selbst wenn er zum Mittagessen heim käme, so wie sein Vater früher, blieben Faren mindestens vier Stunden.[/LEFT] [LEFT]Mit großen Schritten überquerte er die Straße, bis er vor der Haustür stand. Er könnte klingeln, aber da abgeschlossen worden war, glaubte er nicht, dass Ferris öffnen würde. Also musste er sich etwas anderes überlegen.[/LEFT] [LEFT]Er ging an der Mauer entlang. Die Fenster kamen nicht in Frage, sie waren alle geschlossen und in diesem Zustand schwer zu öffnen, ohne dabei Schaden zu verursachen. Außerdem wäre er vorne zu schnell einem Nachbarn aufgefallen, der dann vielleicht die Polizei rief – und das wollte er aus offensichtlichen Gründen lieber vermeiden.[/LEFT] [LEFT]Also bog er um die Ecke, aber die Fenster an der Seite waren ebenfalls geschlossen und zu gut einsehbar. Hinter dem Haus fand er einen gut gepflegten Rasen vor, der von einem hohen Zaun umgeben war; Cowen wollte also auch von seinen Nachbarn nicht beobachtet werden. Die ebenerdigen Terrasse, die nur aus steinernen Platten bestand, schien regelmäßig von jemandem geputzt zu werden. Normalerweise wuchs in solchen Ritzen auch immer Gras, aber hier war nichts davon zu sehen.[/LEFT] [LEFT]Natürlich nicht, darauf achtet er bestimmt auch immer.[/LEFT] [LEFT]Er wusste nicht viel über Cowen, aber bislang sah es ganz danach aus, als lege er viel Wert auf Perfektion. Jedenfalls für alles, was sichtbar war. Seine Manieren könnten dagegen noch ein paar Lektionen vertragen, bevor sie ebenfalls seinen Ansprüchen entsprachen.[/LEFT] [LEFT]Seine Aufmerksamkeit wandte sich der Terrassentür zu. Sie war geschlossen, aber das hatte er schon erwartet. Zu seinem Glück handelte es sich dabei aber um eine solche, die auch von außen aufgeschlossen werden konnte. Möglicherweise wurde sie auch als Hintertür genutzt oder war zumindest als solche gedacht.[/LEFT] [LEFT]Er tastete seine Taschen ab, wobei ihm auffiel, dass seine linke Hand schmerzte. Als er vorhin darauf gebissen hatte, musste er sich verletzt haben, ohne es zu merken. Aber auch das war kein Grund für ihn, aufzugeben, es blutete auch nur ein wenig.[/LEFT] [LEFT]Schließlich beförderte er den gesuchten Draht und die Feile zutage. Damit kniete er sich vor die Tür und versuchte das Schloss zu knacken. Er hatte nicht viel Erfahrung darin und es seit Jahren nicht mehr getan, deswegen dauerte es länger als ihm lieb war. Diesen Skill hatte er auf der Straße von einem Trickdieb gelernt, der hin und wieder auch gern in kleinere Läden eingebrochen war. Dafür hatte Faren das nie genutzt, er war nur in leerstehende Häuser eingedrungen, ohne dafür Fenster einzuschlagen, damit die Kälte keinen Einzug halten konnte. Bei einer solchen Aktion war er dann Kieran begegnet, während dieser gerade auf der Jagd gewesen war.[/LEFT] [LEFT]Er fluchte innerlich, als er mit der Feile abrutschte und einen hässlichen Kratzer am Schloss hinterließ. Warum musste er gerade jetzt wieder an Kieran denken?[/LEFT] [LEFT]Rasch verscheuchte er den Gedanken, um sich erneut dem Einbruch zu widmen. Dabei tröstete er sich damit, dass es für eine gute Sache war. Er wollte Ferris helfen, indem er ihn von diesem Ort wegholte, dafür musste er eben zu ungewöhnlichen Maßnahmen greifen. Wenigstens kam ihm hier zugute, dass Cowen diesen großen Zaun aufgestellt hatte, so konnten die Nachbarn ihn nicht bei seinem Einbruchsversuch beobachten. Obwohl die Chancen gut standen, dass es ohnehin niemanden interessierte. Vermutlich war Cowen schließlich mit keinem von ihnen befreundet oder auch nur bekannt. Aber er musste sichergehen.[/LEFT] [LEFT]Nach einer viel zu langen Zeit gab das Schloss endlich nach und die Tür ließ sich öffnen. Faren atmete auf, dann betrat er das Haus so leise wie möglich. Schließlich wollte er Ferris ja nicht erschrecken.[/LEFT] [LEFT]Kaum stand er im Wohnzimmer, aktivierte sich sofort sein Jäger-Sinn. Er spürte die Überreste eines machtvollen Dämons, genau hier, in diesem Raum. Aber nichts deutete auch nur im Entferntesten auf einen Kampf oder irgendeine Art von Zerstörung hin. Welche Form mochte der Dämon besessen haben? Was hatte er hier gewollt? Und warum war um das Haus herum nichts von ihm zu spüren gewesen?[/LEFT] [LEFT]Die Sorge um Ferris übernahm die Oberhand. Er achtete nicht mehr darauf, ob er leise war, sondern durchschritt das Erdgeschoss so schnell wie möglich und ging nach oben. Er wusste noch genau, hinter welchem Fenster er den Schemen gesehen hatte, vor der entsprechenden Tür blieb er wieder stehen. Er klopfte erst einmal, auch wenn seine Angst ihn dazu bringen wollte, direkt hineinzustürmen, nur um zu sehen, wie es ihm ging. Aber wenn er Ferris einen Herzinfarkt bescherte, war ihm auch nicht geholfen.[/LEFT] [LEFT]„Herein“, erklang es höflich aus dem Inneren.[/LEFT] [LEFT]Faren öffnete die Tür. Vincent hatte ihm einmal erklärt, dass der persönliche Lebensraum eines Menschen viel über diesen aussagen konnte, aber hier wäre selbst er überfragt gewesen. Abgesehen von einem gänzlich weiß bezogenen Bett, einem einfachen Tisch, einem Schrank und einem Bücherregal – in dem nur Sachbücher standen – gab es nämlich nichts in Ferris' Zimmer, nicht einmal Poster oder zumindest Bilder an den Wänden. Es überraschte Faren aber nicht, denn es sah fast genauso aus wie bei ihm damals und das stärkte seinen Verdacht nur umso mehr.[/LEFT] [LEFT]„Faren?“[/LEFT] [LEFT]Ferris' Stimme lenkte seine Aufmerksamkeit auf ihn. Sein Freund saß auf dem Bett und sah ihn mit großen Augen an. „Bist du echt da?“[/LEFT] [LEFT]Faren schloss die Distanz zwischen ihnen und setzte sich neben ihn. Er musterte, was er von Ferris sehen konnte, aber er entdeckte keine Verletzungen. Das musste jedoch nichts bedeuten. „Was hat er dir angetan?“[/LEFT] [LEFT]„W-wovon redest du?“ Seine Stimme zitterte.[/LEFT] [LEFT]„Ich weiß, dass er dir etwas angetan hat. Genau wie mein Vater mir damals.“ Er hatte Ferris einen Teil seiner Geschichte erzählt, ohne ins Detail zu gehen, also müsste er wissen, was er meinte. „Deswegen kann ich nicht zulassen, dass er das weiterhin macht!“[/LEFT] [LEFT]„Nein!“, protestierte Ferris sofort. „Cowen tut mir nichts an! Er ist ein guter großer Bruder!“[/LEFT] [LEFT]Er leugnete es, natürlich. Faren hatte das damals auch getan, vor den Lehrern, der Polizei, dem Jugendamt … einfach vor allen, die ihn irgendwann einmal gefragt hatten. Deswegen wusste Faren auch, dass es schwer werden könnte, Ferris zu überzeugen, dieses Haus zu verlassen.[/LEFT] [LEFT]„Wie bist du eigentlich reingekommen?“, fragte sein Freund plötzlich.[/LEFT] [LEFT]„Hm? Oh, ich hab die Terrassentür geknackt.“[/LEFT] [LEFT]Ferris' Augen weiteten sich. „Du kannst das?“[/LEFT] [LEFT]„Ja, ein bisschen. Das hab ich auf der Straße gelernt.“[/LEFT] [LEFT]„Das ist ganz schön cool.“[/LEFT] [LEFT]Faren wollte noch mehr darüber reden, aber da wurde ihm bewusst, dass Ferris nur versuchte, das Thema zu wechseln und ihn abzulenken. Auch eine Taktik, die immer gut funktioniert hatte für ihn.[/LEFT] [LEFT]Statt weiter darauf einzugehen, griff Faren nach dem Handgelenk seines Freundes und rollte trotz dessen Protests einen seiner Ärmel nach oben.[/LEFT] [LEFT]„Du blutest, Faren!“[/LEFT] [LEFT]„Nur ein bisschen, und das ist jetzt auch nicht wichtig.“[/LEFT] [LEFT]Wie erwartet fand er nicht nur Blutergüsse, sondern auch Verbrennungen daran vor, manche der Verletzungen waren sogar älter. „Er hat Feuer benutzt?“[/LEFT] [LEFT]Ferris schüttelte mit dem Kopf. „Das war nur ein Unfall. Als ich heimlich rauchen wollte, Cowen sieht das nämlich nicht so gern.“[/LEFT] [LEFT]„Du hast dir selbst eine Zigarette angezündet?“, fragte Faren skeptisch.[/LEFT] [LEFT]Er erinnerte sich noch gut daran, dass Ferris bei ihrem Treffen zu ängstlich dafür gewesen war. Das hatte sich bestimmt nicht so sehr gewandelt, dass er sich dann sogar verbrannte – mehrmals.[/LEFT] [LEFT]Ferris reckte trotzig das Kinn. „Manchmal mache ich das. Was ist schon dabei?“[/LEFT] [LEFT]„Und die Blutergüsse?“[/LEFT] [LEFT]„Ich schlafwandle, und laufe gegen Türen.“[/LEFT] [LEFT]Das zu diskutieren funktionierte wohl nicht, deswegen ließ Faren seinen Arm wieder los. Allerdings dachte er nicht daran, zu gehen, jedenfalls nicht allein. „Okay, was muss ich tun, damit du jetzt mit mir dieses Haus verlässt?“[/LEFT] [LEFT]„Du kannst gar nichts tun.“[/LEFT] [LEFT]Faren sah ihn mit gerunzelter Stirn an. Er überlegte fieberhaft, welches Argument ihn damals überzeugt hätte, aber es war nicht einfach. Er war derart eingeschüchtert gewesen, dass er alles getan hatte, was sein Vater von ihm wollte. Selbst für seine eigenen Bestrafungen war er manchmal zuständig gewesen und das auch noch sehr gründlich. Er war nicht einmal aktiv von zu Hause weggelaufen – er war nur einfach nicht mehr zurückgegangen. Deswegen verstand er Ferris' Ablehnung, aber das machte alles nur schlimmer. Er befand sich im Zwiespalt, ohne eine Lösung zu finden, er hatte einfach nicht genug darüber nachgedacht.[/LEFT] [LEFT]Plötzlich schlich sich Mitleid in Ferris' Mimik. „Mach dir doch nicht so viele Gedanken. Es ist wie es ist. Aber es ist ziemlich cool, dass du sogar einbrichst, um nach mir zu sehen.“[/LEFT] [LEFT]„Nach gestern habe ich keine andere Möglichkeit mehr gesehen.“[/LEFT] [LEFT]„Ich hab mitbekommen, dass du hier warst.“ Für einen kurzen Moment sah Ferris glücklich aus, doch sofort verfinsterte sich seine Miene. „Aber ich hab auch gehofft, dass du es jetzt gut sein lassen würdest. Cowen war nicht sehr begeistert, dass du hier warst.“[/LEFT] [LEFT]„Das heißt nur, dass ich ein guter Einfluss für dich bin. Deswegen will er mich von dir fernhalten.“[/LEFT] [LEFT]Ferris stieß ein genervtes Stöhnen aus. „Langsam glaube ich, es wäre besser gewesen, dir nie zu begegnen. Es ist alles vollkommen in Ordnung, also kannst du wieder gehen!“[/LEFT] [LEFT]Die Worte trafen Faren mitten in die Brust, aber er ließ sich davon nicht beirren. Sein Freund wurde nur deswegen wütend, weil er auf die Wahrheit pochte. Er machte es genau richtig, auch wenn es schmerzhaft war.[/LEFT] [LEFT]„Wenn alles in Ordnung ist, kannst du mir ja sagen, warum er dich verletzt hat.“[/LEFT] [LEFT]„Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich das selbst war!“, brauste Ferris auf. „Ich weiß ja nicht, was du über mich denkst, aber ich bin eigentlich ein ziemlicher Idiot und total ungeschickt. Da passiert einem sowas schon mal. Wir können nicht alle so perfekt sein wie du!“[/LEFT] [LEFT]Den letzten Satz spuckte er geradewegs aus, als sei er etwas Widerliches. Unwillkürlich wich Faren auf dem Bett ein wenig zur Seite, um wieder Distanz zwischen sie zu bringen. Allerdings glaubt er nicht, dass diese Aggression tiefgreifend war. In Ferris' Augen glaubte er, die ersten Anzeichen von Tränen zu sehen. Aber er gab sich erstaunlich viel Mühe, um nicht zu weinen. Schließlich schnaubte er sogar. „Könntest du jetzt bitte einfach wieder gehen? Bevor Cowen zurückkommt und ich noch mehr Ärger wegen dir bekomme?“[/LEFT] [LEFT]Faren wollte ihn gerade darauf hinweisen, dass der andere bestimmt nicht vor Ende seines Arbeitstags zurückkäme, als er draußen plötzlich einen Motor hörte. Ferris sprang auf und huschte ans Fenster. „Das ist er!“[/LEFT] [LEFT]„Kann gar nicht sein.“ Faren stand ebenfalls auf, seine Beine fühlten sich an als wären sie aus Wachs. Er stellte sich neben seinen Freund und stellte fest, dass Ferris recht hatte: Cowen parkte den Wagen gerade in der Einfahrt.[/LEFT] [LEFT]„Das ist eigentlich gar nicht seine Art“, murmelte Ferris. „Hat er hier einen Alarm installiert?“[/LEFT] [LEFT]Faren war allerdings bei einer anderen Erklärung: Die dämonische Aura! Ein Dämon muss es ihm verraten haben![/LEFT] [LEFT]Er müsste Cowen nur mit einem Angriff zuvorkommen, dann könnte er ihn nach Abteracht bringen und Ferris wäre wieder sicher. Dieser Plan könnte auch funktionieren und das sogar ohne jemanden überzeugen zu müssen.[/LEFT] [LEFT]„Du musst jetzt wirklich gehen“, dränge sein Freund. „Cowen dreht sonst durch.“[/LEFT] [LEFT]„Schon auf dem Weg.“[/LEFT] [LEFT]Faren verließ das Zimmer und ging locker die Treppe hinunter, überzeugt davon, dass sein Plan die gewünschten Früchte tragen würde. Unten angekommen hörte er noch, wie die Haustür aufgeschlossen wurde – dann spürte er einen heftigen Schlag auf seinen Hinterkopf. Der Boden kam ihm viel zu schnell entgegen, der Aufprall ließ seine Schulter taub werden, aber er spürte keine Schmerzen. Dafür verschwamm seine Sicht immer mehr, und obwohl er lag, glaubte er zu schwanken. Schwarz polierte Schuhe traten in sein Blickfeld.[/LEFT] [LEFT]„Also stimmt es.“ Cowens Stimme drang nur wie durch Watte zu ihm durch. „Jemand ist hier ins Haus gekommen.“[/LEFT] [LEFT]Ferris sagte etwas, aber die Worte erreichten Faren nicht. Ein schwarzer, immer dichter werdender Schleier legte sich vor seine Augen und nahm gleichzeitig sein Bewusstsein mit sich. Sein Inneres fühlte sich so dumpf an wie schon lange nicht mehr. Wann war das gewesen? Als Kieran nicht zurückgekehrt war?[/LEFT] [LEFT]Mit aller Macht kämpfte er darum, seine Augen offenzuhalten. Er durfte nicht ausgerechnet hier ohnmächtig werden, nicht auf diese Weise, nicht bevor er Ferris gerettet hatte. Das wollte er sagen, seinem Freund zurufen, zu fliehen, solange er konnte, aber seine Lippen bewegten sich nicht. Über so viel Ungerechtigkeit hätte er am liebsten wütend mit den Füßen aufgestampft, egal wie Vincent darüber geurteilt hätte. Unwillkürlich musste er innerlich lachen. Würde er ihm nun immer noch versichern, dass er nur projizierte und es Ferris gut ging?[/LEFT] [LEFT]Cowen kniete sich neben ihn, seine blauen Augen schienen Faren regelrecht aufzuspießen. „Sieht aus als müsste dir jemand endlich Manieren beibringen.“[/LEFT] [LEFT]Für einen kurzen Moment war es, als spräche sein Vater mit ihm. Genau dieselben Worte, derselbe Tonfall. Farens Brust zog sich zusammen.[/LEFT] [LEFT]Aber hinter Cowen glaubte er, noch eine Gestalt auszumachen. Eine Frau. Sie musterte ihn mit Zufriedenheit und einiges an Neugierde. Sie machte keine Anstalten, ihm zu helfen. Sie passte nicht hierher.[/LEFT] [LEFT]Ist sie …?[/LEFT] [LEFT]Dann gelang es ihm nicht mehr, weiterhin die Augen offenzuhalten. Gegen seinen Willen fielen sie ihm zu und er verlor endgültig das Bewusstsein.[/LEFT] Kapitel 9: Ich will bei dir bleiben. ------------------------------------ [LEFT]„Faren?“[/LEFT] [LEFT]Er schlief nicht wirklich gut. Aber das war schon so lange der Fall, dass er gar nicht mehr wusste, wie sich ein erholsamer Schlaf eigentlich anfühlen müsste. Um aber wenigstens einige Sekunden davon auszukosten, versuchte er die Stimme, die seinen Namen sagte, zu ignorieren, egal wie hartnäckig sie auch war.[/LEFT] [LEFT]„Faren.“[/LEFT] [LEFT]Es war warm, er dachte an nichts – außer den Störenfried – und fühlte sich losgelöst von allen Sorgen. Von diesem Gefühl wollte er nicht wieder loslassen, egal, was irgendwer von ihm wollte. So wichtig konnte es ohnehin nicht sein, es könnte also warten.[/LEFT] [LEFT]„Faren, komm schon.“[/LEFT] [LEFT]Aber warum ließ die Person dann trotzdem einfach nicht locker?[/LEFT] [LEFT]Er drehte sich zur Seite, hoffend, dass die Person endlich von ihm abließ, dass er in Ruhe weiterschlafen konnte. Zwar wusste er nicht, wo er sich gerade befand, aber er fühlte sich in Sicherheit, das genügte.[/LEFT] [LEFT]„Faren, du solltest hier nicht schlafen, das ist gefährlich.“[/LEFT] [LEFT]Nun griff sie sogar nach seiner Schulter, rüttelte leicht daran. Mit einer Handbewegung versuchte er, sie abzuschütteln, war dabei aber nicht sehr erfolgreich.[/LEFT] [LEFT]„Was willst du?“, brummte er. „Ich will doch nur schlafen.“[/LEFT] [LEFT]Das sollte doch eigentlich jeder verstehen und akzeptieren können, oder?[/LEFT] [LEFT]Die Person wohl jedenfalls nicht, denn sie machte einfach weiter: „Die Polizei wird ziemlich sauer, wenn sie dich nachher hier erwischt.“[/LEFT] [LEFT]Warum sollte die ihn erwischen? War er nicht in einem Haus? Zumindest vor seinem Schlaf war in einem solchen gewesen. Aber in wessen? Und warum?[/LEFT] [LEFT]Er konzentrierte sich, um die einzelnen Splitter seiner Erinnerung der letzten Stunden zusammenzutragen. Es gelang ihm nicht vollends, aber er wusste zumindest wieder, dass er in Ferris' Haus gewesen war, um dort nach ihm zu sehen – und dort war er niedergeschlagen worden. Hatte etwa jemand die Polizei gerufen?[/LEFT] [LEFT]„Jetzt komm, Faren. Sonst nehmen sie dich wieder mit. Und nächstes Mal sperren sie dich nicht nur für eine Nacht in eine Zelle.“[/LEFT] [LEFT]Es half nichts, er musste aufwachen, wenn er wissen wollte, was hier vor sich ging.[/LEFT] [LEFT]Unter Aufwendung all seiner Kraft, gelang es ihm, die Augen zu öffnen. Kälte biss sofort in seine Glieder als habe sie nur darauf gewartet, dass er sich an sie erinnerte. Er blinzelte mehrmals, dann wurde seine Sicht scharf genug, um zu erkennen, dass er vor der Tür eines Appartmentgebäudes saß. Hier musste er sich zusammengekauert haben, weil … weil …[/LEFT] [LEFT]„Bist du endlich wach?“[/LEFT] [LEFT]Er drehte den Kopf zur Seite. Neben ihm stand ein Mann, der ihm bekannt vorkam. Die eingefallenen Gesichtszüge, die viel zu trockene Haut von all der Zeit, die er in der Sonne verbracht hatte, selbst die abgewetzte grüne Jacke und der dreckige Schal, den er trug, kannte Faren. Allerdings dauerte es einen Moment, bis sein Gedächtnis sich bereit erklärte, ihm den Namen auch mitzuteilen: „Jonah? Was ist los?“[/LEFT] [LEFT]„Was los ist? Das sollte ich dich fragen. Warum schläfst du hier?“[/LEFT] [LEFT]Das war ihm auch unklar. Dieses Gebäude kannte er nicht einmal, wenn man davon absah, dass er manchmal daran vorbeilief. Aber warum sollte er hier schlafen, wenn er doch einen richtigen und besser geschützten Schlafplatz hatte?[/LEFT] [LEFT]Mit Jonahs Hilfe stand er auf, seine Gelenke protestierten dabei ob der Kälte. Dabei könnte er schwören, dass es vorhin noch nicht so kalt gewesen war. Und wo war Ferris?[/LEFT] [LEFT]„Komm“, sagte Jonah, „die anderen haben was zu essen besorgt, wir sollten also ins Lager zurück.“[/LEFT] [LEFT]Lager?[/LEFT] [LEFT]Natürlich, dort, wo er seinen Schlafplatz hatte.[/LEFT] [LEFT]In seinem Kopf flog alles durcheinander, deswegen erinnerte er Jonah nicht daran, dass er gar nicht mehr mit ihnen auf der Straße lebte, dass er regelmäßig vorbeikam, um sie alle mit Essen und Kleidung zu versorgen und dass er dabei ein Geheimnis aus seiner Arbeit machte. Im Moment war er sich nicht sicher, ob das nicht vielleicht alles ein Traum gewesen war.[/LEFT] [LEFT]Gemeinsam mit Jonah lief er in Richtung ihres Lagers, das unterhalb einer Brücke an einem Fluss lag. In diesem Jahr sah es nicht gut aus mit den leerstehenden Häusern, sie wurden immer besser gesichert, aber ihre derzeitige Situation war auch in Ordnung. Sie waren alle zusammen, fast schon enger als Familie, Faren konnte sich nicht beschweren.[/LEFT] [LEFT]Die Stadt war an diesem Abend geradezu verschlafen. Es war zwar kalt, aber das erklärte nicht, warum niemand außer ihnen unterwegs war. Das einzige, was ihm dazu einfiel, war die Tatsache, dass es sich hierbei um einen Traum handelte und das andere Ereignis die Wirklichkeit war. Warum auch immer er von seiner Zeit auf der Straße träumen sollte. Er vermisste vielleicht die Verbundenheit zu seiner Gruppe, aber nicht das Leben an sich. Alles war besser, wenn man ein Dach über dem Kopf hatte und sich keine Sorgen machen musste, ob man den nächsten Tag überhaupt erlebte, weil einem in der Nacht vielleicht etwas die Kehle aufriss.[/LEFT] [LEFT]Diese Realisierung half, dass seine Erinnerung sich klärte. Er wusste wieder, was er getan hatte, bevor er in diesem Hauseingang aufgewacht war, dass er niedergeschlagen worden war – er hoffte nur, dass Ferris nicht der Täter gewesen war. Aber nun war er hier, erst einmal musste er sich keine Gedanken mehr darum machen.[/LEFT] [LEFT]Als sie sich dem Fluss näherten, sah Jonah zu ihm. „Hey, ist alles okay bei dir?“[/LEFT] [LEFT]Faren sah zu ihm hinüber. „Ja, klar. Bin nur noch etwas müde.“[/LEFT] [LEFT]„Darauf würde ich wetten. Du hast vorhin so tief und fest geschlafen, ich dachte schon, du wachst nie wieder auf. Ich hab fast den Notarzt gerufen.“[/LEFT] [LEFT]Das wäre ziemlich teuer geworden. Inzwischen war das auch etwas, worum er sich keine Sorgen mehr machen musste. Er war krankenversichert, aber befand sich die meiste Zeit zur Behandlung ohnehin in Abteracht, wo er nicht zahlen musste.[/LEFT] [LEFT]„Du hättest auch einfach ohne mich gehen können.“ Faren steckte die Hände in seine Taschen, bevor sie ihm abfroren. „Ich hätte dann schon allein zu euch gefunden.“[/LEFT] [LEFT]„Ja, aber ich dachte, wenn ich gerade da bin, kann ich dich auch einfach wecken.“ Jonah lachte. „Wobei einfach echt eine Untertreibung ist bei dir.“[/LEFT] [LEFT]Es musste einfach daran liegen, dass er das hier nur träumte. Anders war das gar nicht möglich, so schlecht wie er schlief. Wäre dies real, hätte er nun anmerken müssen, dass er möglicherweise kurz vor einer Unterkühlung gestanden hatte.[/LEFT] [LEFT]„Hey, Faren.“ Jonah klang wieder ernst, seine Stirn war gerunzelt. „Du siehst aus, als hättest du echt viele Probleme derzeit. Willst du echt nicht darüber reden?“[/LEFT] [LEFT]Sein Unterbewusstsein wollte wohl unbedingt, dass er sich darüber aussprach. Vincent war gerade nicht verfügbar, also blieb ihm nur Jonah. Aber wenn er sich recht erinnerte, war dieser auch immer außerordentlich vertrauenswürdig gewesen, mit einem stets offenen Ohr für seine Freunde. Bedeutete das aber, er vertraute Jonah mehr als Vincent?[/LEFT] [LEFT]Egal, was Nachdenken sorgte nur für Kopfschmerzen.[/LEFT] [LEFT]Seufzend gab Faren nach. „Ich habe versucht, jemandem zu helfen, der sich nicht helfen lassen wollte. Das zieht mich ziemlich runter, weil ich genau weiß, wie es ihm geht – und trotzdem verhindert er, dass es ihm besser gehen könnte. Ich weiß nicht, was ich noch tun soll. Allein lassen will ich ihn auch nicht unbedingt, denn dann wird es ihn vermutlich bald nicht mehr geben.“[/LEFT] [LEFT]Allein der Gedanke, dass Ferris genau wie Kieran eines Tages einfach verschwinden und nie wieder zurückkehren könnte, ließ seine Brust eng werden. Noch einmal überlebte er das nicht.[/LEFT] [LEFT]„Und du hast bestimmt eine Menge dafür getan, damit er dir vertraut, was?“ Jonah sah geradeaus, den Blick auf den Fluss gerichtet, der sich nun vor ihnen zeigte.[/LEFT] [LEFT]„Wir sind Freunde, also, ja.“ Schließlich hatte er ihm auch sein Herz geöffnet, ihm von seiner Vergangenheit und sogar von Kieran erzählt. „Als ich versucht habe, ihn endgültig zu überzeugen, habe ich natürlich mit ihm diskutiert, ihn konfrontiert. Aber selbst dann war er absolut dagegen, mit mir zu kommen. Ich konnte nichts tun.“[/LEFT] [LEFT]„Manchmal passiert so etwas. Bist du sicher, dass er überhaupt will, dass ihm geholfen wird?“[/LEFT] [LEFT]„Natürlich!“ Niemand wollte so leben wie Ferris es gerade tat, davon war er überzeugt. „Da ist nur irgendetwas, das ganz stark verhindert, dass er Hilfe annimmt.“[/LEFT] [LEFT]Zuvor hatte Faren nicht darüber nachgedacht, weil er seinen Vater ebenfalls in Schutz genommen hatte damals. Aber nun fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Ferris war 18. Er war volljährig und konnte gehen, wohin er wollte. Faren war damals ein Kind gewesen. Das war ein deutlicher Unterschied. Also musste es einen ganz besonderen Grund geben, wegen dem Ferris glaubte, dass diese Behandlung legitim war.[/LEFT] [LEFT]„Wenn ich herausfinde, was der Grund dafür ist-“[/LEFT] [LEFT]„Kannst du ihn bestimmt davon überzeugen, dass du es gut meinst“, beendete Jonah seinen Satz. „Also gib nicht auf, auch wenn es hart erscheint. Das macht den Sieg am Ende nur noch süßer.“[/LEFT] [LEFT]Faren wollte ihm das glauben. Denn ansonsten müsste er davon ausgehen, dass er Ferris nicht retten konnte und aufgeben sollte – und diesem Denken verweigerte er sich.[/LEFT] [LEFT]Jonah klopfte ihm auf die Schulter. „Ich bin sicher, dass du es am Ende schaffen wirst. Bislang ist dir doch noch alles gelungen.“[/LEFT] [LEFT]„Danke, Mann.“[/LEFT] [LEFT]Sie verließen die asphaltierte Straße, um parallel zum Fluss einem ausgetretenen Trampelpfad zu ihrem Lager zu folgen. Er konnte es bereits sehen; eine Mischung aus bunten Decken und Vorhängen, die aufgehängt worden waren, um den Wind abzuhalten, irgendwo mitten drin musste ein Feuer brennen, dunkler Rauch kräuselte sich empor und verflüchtigte sich im Freien rasch.[/LEFT] [LEFT]Für Faren fühlte es sich an als käme er nach Hause, aber auch als wäre er kurz davor, an einen Ort zu kommen, von wo es kein Zurück mehr gab. Wenn er erst einmal wieder dort war, wo er so viele Jahre verbracht und sich wohl gefühlt hatte, gab es keinen Grund mehr, fortzugehen.[/LEFT] [LEFT]„Faren.“[/LEFT] [LEFT]Wie elektrisiert hielt er inne. Diese Stimme, die wie eine Melodie in seinem Inneren klang, war schon lange verstummt, und er war der Überzeugung gewesen, sie niemals wieder zu hören. Dies war der letzte Beweis, den er benötigte, dass es sich hierbei um einen Traum handelte.[/LEFT] [LEFT]Er drehte sich um und sah sich tatsächlich Kieran gegenüber. Sein Freund trug einen schwer aussehenden dunklen Mantel, in dem er fast zu verschwinden schien, und einen konträren hellen Schal. So wie er dastand, mit seinem zaghaften Lächeln und den Händen in den Manteltaschen, war es kaum zu glauben, dass er eigentlich auch Dämonen bekämpfte. Aber er tat es. Oder er hatte es getan.[/LEFT] [LEFT]„Hey“, sagte Kieran unsicher. „Störe ich?“[/LEFT] [LEFT]Er sprach wirklich mit ihm. Sie könnten sich unterhalten. Endlich. Selbst wenn auch dies nur sein Unterbewusstsein war, das ihm einen Gefallen tun wollte, dachte er nicht daran, dies abzulehnen.[/LEFT] [LEFT]„N-nein, Sekunde.“ Faren wandte sich Jonah zu. „Geh du schon mal vor? Ich komm gleich nach.“[/LEFT] [LEFT]„Ja, dachte ich mir schon. Dann bis später.“[/LEFT] [LEFT]Sein Begleiter hob die Hand und ging dann weiter voraus. Wenn sie sich das nächste Mal sahen, wäre Faren wieder in der Realität. Er sollte Jonah dann eine besonders große Tafel Schokolade mitbringen für dieses Gespräch – selbst wenn es gar nicht echt gewesen war.[/LEFT] [LEFT]Seine Aufmerksamkeit wandte sich aber rasch wieder Kieran zu, der ihn abwartend ansah. Ohne etwas zu sagen, liefen sie gemeinsam los, einfach nur den Fluss entlang. Selbst das Schweigen war ein angenehmer Zustand mit Kieran. Dabei gab es derart viel zu sagen, dass Faren nie wieder still sein könnte, wenn er erst einmal damit anfing. Allein schon ein viel zu lange hinausgeschobenes Geständnis wäre endlich angebracht – aber er sagte nichts. Zu groß war die Angst, damit diesen Augenblick vorschnell zerplatzen zu lassen.[/LEFT] [LEFT]Schließlich kamen sie an einer Aussichtsplattform an, auf der man sich dem Fluss gefahrlos nähern konnte, da ein stabiles Geländer die Besucher davor schützte, hineinzufallen. Kieran lehnte sich mit dem Rücken dagegen, was Faren ihm nachmachte. An einem derart kühlen Abend war die Plattform verlassen. Nur das leise Murmeln des Wassers leistete ihnen Gesellschaft. Es war fast wie ein Date, ein etwas deprimierendes.[/LEFT] [LEFT]„Es tut mir leid“, brach Kieran schließlich das Schweigen. „Für alles, was ich dir angetan habe.“[/LEFT] [LEFT]„Aber du hast mir nichts getan“, erwiderte Faren. „Du hast so gehandelt, wie es sich für dich richtig anfühlte. Genau so wie man eben leben sollte.“[/LEFT] [LEFT]„Du leidest dennoch, und das nur wegen mir.“[/LEFT] [LEFT]Faren wandte ihm den Kopf zu. Kieran starrte geradeaus, hin zu der Anhöhe, die wieder auf die Straße zurückführte. Es sah aus als presse er mit aller Macht die Zähne aufeinander.[/LEFT] [LEFT]„Ich würde das gern abstreiten, aber das bringt wohl kaum was. Trotzdem musst du dir deswegen keine Vorwürfe machen. Schon allein, weil du nur in meinem Unterbewusstsein existierst.“[/LEFT] [LEFT]Kieran runzelte seine Stirn und erwiderte endlich seinen Blick. „Denkst du das etwa?“[/LEFT] [LEFT]„Es ist unmöglich, dass du hier bist.“[/LEFT] [LEFT]Diskutierte er hier gerade wirklich mit seinem Unterbewusstsein? Wie sinnlos war das denn?[/LEFT] [LEFT]„Du solltest wissen, dass für mich kaum etwas unmöglich ist. Immerhin bist du jetzt auch ein Jäger, du weißt, was wir können.“[/LEFT] [LEFT]Es irritierte ihn, dass Kieran das wusste und sogar erzählen konnte. Jonah schien gerade eben schließlich nur dasselbe zu wissen wie früher. Warum war das bei Kieran anders?[/LEFT] [LEFT]Er griff nach der Hand seines Freundes ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. „Bist du wirklich hier? Bei mir?“[/LEFT] [LEFT]Hoffnung keimte in seinem Inneren und schlug rasch Wurzeln. Solange Kieran bei ihm war, könnte er für immer in diesem Traum bleiben. Natürlich war da noch Ferris, dem er helfen wollte. Aber im Moment schob er die Gedanken an ihn erst einmal von sich.[/LEFT] [LEFT]„Ja, ich bin wirklich hier“, bestätigte Kieran.[/LEFT] [LEFT]„Aber wie funktioniert das?“ Warum konnte er nicht einfach nur zufrieden sein, sondern musste alles hinterfragen? „Ich meine, du bist nie zurückgekommen, und-“[/LEFT] [LEFT]Sein Freund hob eine Hand, Faren verstummte sofort.[/LEFT] [LEFT]„Ich weiß, dass es eigenartig ist, aber es ist kompliziert und ich habe nicht die Zeit, es dir zu erklären.“[/LEFT] [LEFT]Kompliziert. Das sagte man, wenn die andere Person schuld war, man es aber nicht so direkt ausdrücken wollte. Er hoffte, dass Kieran es nicht so meinte, wie er es verstand.[/LEFT] [LEFT]„Faren, ich werde nicht zu dir zurückkommen können.“ Er hob den Blick so, dass seine Haare ein wenig verrutschten und Faren beide seiner Augen sehen konnte. Wie schon früher beschleunigte dies seinen Herzschlag. „Als ich damals in den Kampf zog, sind einige Dinge geschehen, die mich nun an einem Ort festhalten, von wo es kein Zurück gibt.“[/LEFT] [LEFT]So ähnlich wie sein Gedanke zuvor, als er das Lager entdeckt hatte. Aber ging es hierbei wirklich um dasselbe?[/LEFT] [LEFT]„Was soll das bedeuten?“[/LEFT] [LEFT]Kieran legte eine Hand auf Farens Brust. „Das bedeutet, dass du mir nicht vertrauen darfst, wenn ich in der Realität bei dir erscheine. Dein Herz muss genauso schnell schlagen wie jetzt, ehe du mir glauben darfst.“[/LEFT] [LEFT]Wusste er etwa, was Faren für ihn empfand? Nein, das war nun nicht wichtig.[/LEFT] [LEFT]„Heißt das, ich muss wirklich wieder zurück? Ich will bei dir bleiben.“[/LEFT] [LEFT]„Es tut mir leid, Faren.“ Kieran senkte den Blick wieder ein wenig. „Aber du hast eine Aufgabe, die du erfüllen solltest, und jemand, der auf dich angewiesen ist.“[/LEFT] [LEFT]Faren deutete ein Kopfschütteln an.[/LEFT] [LEFT]„Du glaubst es vielleicht nicht, aber Ferris braucht dich. So wie du mich damals. Deswegen darfst du nicht aufgeben. Du musst ihn retten.“[/LEFT] [LEFT]„Nein.“ Faren war selbst erschrocken darüber, wie schwach und brüchig seine Stimme klang. „Ich kann niemanden retten. Nicht einmal mich selbst.“[/LEFT] [LEFT]Gerade eben war er noch so überzeugt von sich und seiner Hilfe für Ferris' gewesen, aber nun war das alles fort. Kieran wiederzusehen, erinnerte ihn nur wieder an alles, was er verloren hatte, alles, was er sich wünschte, ohne es je zu bekommen. Am Ende verlor er vielleicht wirklich auch noch Ferris oder erntete nur seinen Hass.[/LEFT] [LEFT]Kieran strich mit einer Hand über Farens Wange, ehe er sie auf seiner Schulter ablegte. Obwohl die Berührung kaum zu spüren war, schoss sofort Hitze in diese Stelle.[/LEFT] [LEFT]„Du denkst viel zu schlecht von dir, Faren. Ich bin sicher, dass du es schaffen wirst, wenn du es nur hart genug probierst. Also gib nicht auf.“[/LEFT] [LEFT]„Aber es ist schwer.“[/LEFT] [LEFT]Eine Tatsache, die er sich viel zu selten eingestand, wie auch Vincent bereits angemerkt hatte. Aber da war immer die Furcht, dass sein gesamtes Leben zusammenbrach, sobald er zugab, dass es auch für ihn anstrengend war, zu überleben und dabei immer an sich selbst zu glauben. Ihm fehlte die eine Person, die ihn bedingungslos unterstützte, selbst wenn es sogar für ihn schwer wurde. Kieran war diese gewesen, aber nun war er fort.[/LEFT] [LEFT]„Ich weiß“, sagte er. „Es ist immer schwer, für etwas zu kämpfen; aber alles Wertvolle muss erkämpft werden. Und ich bin sicher, dass du das kannst. Auch ohne mich.“[/LEFT] [LEFT]Kierans Hand löste sich von seiner Schulter, er ging einen Schritt zurück. Alles wies darauf hin, dass er gleich verschwinden würde – aber Faren konnte diesen Gedanken nicht ertragen. Ehe er darüber nachdenken konnte, schlang er seine Arme um Kieran und drückte ihn an sich. „Bitte! Du kannst nicht wieder gehen! Ich will, dass du für immer bei mir bleibst!“[/LEFT] [LEFT]Dafür war er ein Jäger geworden. Um seiner Welt nahezukommen, um Kieran zu finden. Nun war es endlich soweit, und er wollte ihn nicht wieder gehen lassen, egal wohin und warum.[/LEFT] [LEFT]Im ersten Moment hing Kieran hilflos in dieser Umarmung, dann hob er die Arme und legte sie ebenfalls um Faren. „Es tut mir so leid, aber das ist nicht möglich.“[/LEFT] [LEFT]Seine Stimmte tönte nur noch gedämpft, aber sie war dennoch deutlich für ihn zu verstehen.[/LEFT] [LEFT]„Ich habe nicht mehr viel Zeit.“[/LEFT] [LEFT]In diesem Fall, so ungern Faren das auch realisieren wollte, sollte er ihm endlich das sagen, was seit Jahren unausgesprochen zwischen ihnen war. „Kieran, ich ...“[/LEFT] [LEFT]„Du musst nichts sagen. Ich weiß es. Ich wusste es immer.“ Das Lächeln war deutlich in seiner Stimme zu hören. „Und ich bin wirklich glücklich darüber. In meinen letzten Sekunden hast du mir den Mut gegeben, den ich benötigte.“[/LEFT] [LEFT]Die neu gewurzelte Hoffnung wurde erbarmungslos herausgerissen und verworfen. Das war nicht, was Faren hören wollte. Er wollte nicht wissen, dass Kieran tot war, dass er nie wiederkäme, egal wie lange er auf ihn wartete. In all seinen Fantasien und Träumen hatte ein solches Gespräch ein ganz anderes Ende genommen. Wie hatte es nur so weit kommen können?[/LEFT] [LEFT]„Aber es wird Zeit, dass du weiterlebst“, fuhr Kieran fort. „Ohne mich. Auch wenn es schwer wird. Du kannst das, du musst nur an dich glauben.“[/LEFT] [LEFT]„Ich werde es versuchen“, erwiderte Faren leise, da sein Freund so sehr darauf bestand. „Aber ich werde viel herumjammern deswegen.“[/LEFT] [LEFT]„Das ist okay.“ Kieran klang ungewohnt sanft. „Du darfst so viel jammern wie du möchtest.“[/LEFT] [LEFT]Faren löste sich wieder von ihm, ohne ihn dabei gänzlich loszulassen. Im Gesicht seines Freundes war ein Lächeln, das er noch nie an ihm gesehen hatte. Er war sogar davon überzeugt, dass niemals jemand es gesehen hatte. Zum ersten Mal wirkte Kieran Lane wirklich aufrichtig glücklich.[/LEFT] [LEFT]„Danke, Faren. Für alles, was du für mich getan hast.“[/LEFT] [LEFT]Statt ebenfalls seinen Dank auszudrücken, der sein gesamtes Inneres ausfüllte und niemals korrekt in Worte gefasst werden könnte, beugte Faren sich vor – und legte seine Lippen auf die von Kieran.[/LEFT] [LEFT]Unzählige Glücksgefühle durchströmten ihn, als sein Freund den Kuss sofort erwiderte und sich sogar enger an ihn drückte. Faren ließ all die Liebe und Leidenschaft, die er die ganzen Jahre über für ihn empfunden hatte, ohne sie ausleben zu können, in diesen einen Moment einfließen. In diesem war alles perfekt, genau wie es sein sollte. Am liebsten wäre es ihm gewesen, er hätte niemals geendet.[/LEFT] [LEFT]Deswegen schmerzte es umso mehr, als sie ihre Lippen schließlich wieder voneinander lösten. Aber die Wärme verblieb in seinem Inneren, genau wie die Erinnerung an das Gefühl und seinen Blick, als er ihn nun wieder derart glücklich ansah.[/LEFT] [LEFT]„Ich liebe dich auch, Faren“, sagte Kieran. „Und genau deswegen musst du dich deinem neuen Glück widmen. Und der Person, die dich braucht“[/LEFT] [LEFT]Er konnte sich immer noch nicht vorstellen, Kieran einfach zu vergessen und jemand Neues in sein Herz zu lassen, aber er nickte dennoch. Vielleicht hatte Vincent recht und es war an der Zeit, dem Schmerz nicht mehr die Oberhand zu überlassen – und vor allem nach diesem Moment wollte Faren auch lieber die guten Dinge im Sinn behalten, besonders wenn sie mit Kieran zusammenhingen. Vor allem brauchte er diese positiven Gefühle, um Ferris zu helfen, wozu er nach diesen Worten wieder entschlossen war.[/LEFT] [LEFT]Noch während er Kieran ansah, begann Licht seinen Blick zu überschatten, bis sein gesamtes Bewusstsein schließlich in einer Flut von goldenem Leuchten unterging und eine warme Welle ihn fortzutragen schien – zurück in die Realität.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] Kapitel 10: Eine Bestrafung wäre angebracht ------------------------------------------- [LEFT]Noch bevor er die Augen öffnete, spürte Faren die Kälte, der er ausgesetzt war. Im ersten Moment glaubte er, auf der Straße zu sein, genau wie in seinem Traum, an deren letzte Fetzen er sich gerade noch erinnerte. Die hämmernden Kopfschmerzen verrieten ihm jedoch, dass er diesmal keinesfalls träumte. Somit verflüchtigte sich das angenehm warme Gefühl in seinem Inneren sofort und ließ nur beißende Kälte zurück.[/LEFT] [LEFT]Er wollte sich strecken, doch bei dem Versuch stellte er fest, dass etwas an seinem linken Fußknöchel ihn daran hinderte. Ihm blieb nichts anderes übrig als seine Augen zu öffnen und sich umzusehen. Durch seine verschwommene Sicht erkannte er lediglich, dass er sich in einem schlecht beleuchteten Raum befand. Nach wenigen Sekunden wurden auch endlich die wenigen Möbel deutlich, die hier gemeinsam mit Kisten gestapelt waren. Durch oben an der grob verputzten Wand angebrachte kleine Fenster schien etwas Sonnenlicht herein. Es war eindeutig ein Keller – und es konnte nur der von Ferris' Haus sein.[/LEFT] [LEFT]Dieser Verdacht bestätigte sich für ihn auch gleich, als er den Stuhl bemerkte, der wenige Meter entfernt von ihm aufgestellt worden war. Darauf saß ein Mann – Cowen –, der ihn kühl musterte.[/LEFT] [LEFT]„Du bist also endlich wieder wach“, stellte er tonlos fest.[/LEFT] [LEFT]„Ich hätte mir aber einen schöneren Anblick gewünscht“, erwiderte Faren. Seine Zunge fühlte sich noch schwer an, deswegen kamen die Worte nicht so deutlich heraus, wie er es sich wünschte.[/LEFT] [LEFT]Cowen schien sich nicht im Mindesten daran zu stören. Er schlug die Beine übereinander. „Was hattest du in meinem Haus zu suchen?“[/LEFT] [LEFT]Faren setzte sich aufrecht hin. Dabei bemerkte er durch ein leises Rasseln die an seinem Fußgelenk befestigte Kette. Sie reichte bis zur Wand hinter ihm, wo sie mit einer Verankerung verbunden war. Mit etwas Mühe könnte er die Kette jedoch bestimmt sprengen und so fliehen. Aber nicht solange Cowen noch hier war.[/LEFT] [LEFT]Faren lehnte sich gegen die Wand. „Ist das deine einzige Frage?“[/LEFT] [LEFT]„Es ist unhöflich, mit einer Gegenfrage zu antworten. Haben deine Eltern dir das nicht beigebracht?“[/LEFT] [LEFT]Ihm lag bereits eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, doch diese hätte Cowen noch mehr Munition über ihn geliefert und das gönnte Faren ihm nicht. Deswegen schluckte er sie herunter und zuckte mit den Schultern. „Müssen sie wohl vergessen haben.“[/LEFT] [LEFT]Eine einzelne Falte bildete sich auf Cowens Stirn und zerstörte die Perfektion seiner Maske. „Offenbar haben sie auch vergessen, dir Manieren im Allgemeinen beizubringen. Und jetzt verrate mir endlich, was du im Haus zu suchen hattest.“[/LEFT] [LEFT]„Ich wollte Ferris hier rausholen. Ist doch klar.“[/LEFT] [LEFT]Es sah aus als sanken Cowens Mundwinkel noch weiter nach unten. Viel trennte sie nicht mehr von seinem Kinn. „Ferris muss hier bleiben, um für seine Sünden zu büßen.“[/LEFT] [LEFT]Faren wusste nicht, von welchen Sünden er überhaupt sprach. Aber es musste etwas wirklich Schlimmes sein, das Ferris tatsächlich dazu bewegte, gar nicht weggehen zu wollen – und Cowen musste ihn von klein auf darin indoktriniert haben, dass er diese Schuld anerkennen musste. Er bräuchte Vincent nun wesentlich mehr als je zuvor, doch natürlich war er nicht hier. Und andere Personen auch nicht.[/LEFT] [LEFT]„Wo ist Ferris gerade?“[/LEFT] [LEFT]Im Keller war er nicht, wie Faren bereits festgestellt hatte, genauso wenig wie diese Frau, die ihm vor seiner Ohnmacht erschienen war. Wusste Cowen überhaupt von ihr?[/LEFT] [LEFT]„Er ist in seinem Zimmer, wo er auch hingehört. Was dachtest du, würde geschehen, wenn du Ferris mit dir nimmst? Dass plötzlich all seine Schuld verschwunden ist? Dass er geheilt ist?“[/LEFT] [LEFT]Darüber hatte Faren nicht nachgedacht. Aber es war auch nicht notwendig gewesen. Sobald er seinen Freund von Cowen entfernt hatte, wäre der Rest Vincents Sache gewesen. Bei genauerem Nachdenken war das vielleicht wirklich ein wenig naiv. Für Details war in diesem Plan jedoch kein Platz gewesen, schließlich ging es um Ferris' Leben.[/LEFT] [LEFT]„Schon als ich dich das erste Mal gesehen habe“, fuhr Cowen fort, „wusste ich, dass du ein schlechter Einfluss bist. Du bist faul, undiszipliniert und ein Rumtreiber.“[/LEFT] [LEFT]Mit viel Mühe verkniff Faren sich ein spöttisches Lachen. Faulheit war keine Eigenschaft, die man sich als Dämonenjäger aneignen durfte. Schließlich ging es um das Leben von Menschen, die in Gefahr wären, solange niemand diese Wesen bekämpfte – und Faren ließe das niemals zu. Dass er undiszipliniert sei, war ihm jedoch bereits auch von Parthalan vorgeworfen worden, was er immer noch nicht nachvollziehen konnte.[/LEFT] [LEFT]„Und“, fragte Faren, „wie hast du das alles auf einen Blick erkannt? Liegt es an meinen Haaren? Der Zigarette? Oder hat dir meine Nase nicht gepasst?“[/LEFT] [LEFT]Die Antwort darauf kam unerwartet: Cowen lehnte sich nur ein wenig vor und verpasste Faren einen heftigen Faustschlag. Sein Kopf prallte gegen die Wand hinter ihm, Schmerzen explodierten in seinem Inneren und ließen bunte Flecken und Sterne vor seinen Augen tanzen. Durch einen Schleier nahm Faren wahr, wie Cowen sich wieder aufrecht hinsetzte und die Arme vor seinem Körper verschränkte. Sein Blick fiel von oben auf Faren herab, wie der eines Scharfrichters bei einem Tribunal. Aber er dachte nicht daran, sich einschüchtern zu lassen.[/LEFT] [LEFT]„Du redest nur, wenn du gefragt wirst“, sagte Cowen. „Hast du das verstanden?“[/LEFT] [LEFT]„Okay, okay.“[/LEFT] [LEFT]Das schien ihm auch nicht zu gefallen, aber zumindest erwiderte Cowen nichts darauf.[/LEFT] [LEFT]„Wie bist du in mein Haus gekommen? Hat Ferris dich reingelassen?“[/LEFT] [LEFT]„Nein, der wollte mich sofort wieder rausschmeißen.“ Vielleicht hätte er wirklich gehen sollen, Ferris ertränkte sich bestimmt selbst in Schuldzuweisungen. „Ich hab das Schloss der Terrassentür geknackt. Du solltest dir ein besseres Sicherheitssystem zulegen.“[/LEFT] [LEFT]Etwas in Cowens Gesicht zuckte. „So, ein Einbrecher bist du auch noch. Also hatte ich vollkommen recht mit meiner Einschätzung.“[/LEFT] [LEFT]Faren erwiderte ihm nicht, dass er lediglich dort einbrach, wo es notwendig war, das hätte er ohnehin nur zu seinen eigenen Gunsten ausgelegt.[/LEFT] [LEFT]„Was soll ich nun mit dir machen? Was denkst du?“ In Cowens Stimme lag ein lauernder Unterton.[/LEFT] [LEFT]„Mich gehen zu lassen ist wohl keine Option.“[/LEFT] [LEFT]„Das hast du gut erkannt. Vielleicht bist du ja noch nicht ganz verloren.“[/LEFT] [LEFT]Dieses unscheinbare Lob kam nicht wirklich wie eines bei ihm an. Aber bei Cowens frostigem Ausdruck wirkte ohnehin jedes Wort wie eine Beleidigung und ein Stich in den Körper.[/LEFT] [LEFT]Sein Blick von oben herab sagte aus, dass er noch immer auf eine Antwort wartete. Faren musste nicht lange überlegen: „Eine Bestrafung wäre angebracht.“[/LEFT] [LEFT]Cowen erhob sich langsam vom Stuhl. So wirkte er sogar noch einen Tick zerstörerischer, ohne einen wirklichen Einfluss auf Farens Willen zu besitzen. Die Gerte in Cowens Hand war schon ein wesentlich größerer Faktor darin. Ihr Anblick weckte in Faren Erinnerungen an seinen Vater, ließ die längst verheilten Narben an seinem Körper wie frische Wunden schmerzen. Er glaubte sogar, warmes Blut zu spüren, redete sich aber ein, dass es sich dabei nur um Schweiß handelte.[/LEFT] [LEFT]„Da hast du recht“, sagte Cowen teilnahmslos. „Und ich werde derjenige sein, der dir diese Bestrafung zukommen lässt.“[/LEFT] [LEFT]Er holte aus, verharrte für einen Moment – eine Sekunde – mit der erhobenen Gerte. Es genügte, um in Faren Hoffnung entstehen zu lassen, dass er diese Schmerzen von damals nicht wieder erdulden musste. Alles in seinem Inneren fühlte sich an wie gefangen, damals in seinem Zimmer, dem Zorn seines Vaters ausgesetzt. Er war derart eingesperrt, abgeschottet von allem, dass nicht einmal seine gerade verstreuten Kräfte ihm zur Hilfe kommen konnten. Ihm blieb nur Cowens Gnade und Gewissen.[/LEFT] [LEFT]Dann schnellte Cowens Hand herunter. Die Hoffnung zerbrach.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Ferris wusste, dass es eine dumme Idee war, neben der Kellertür zu sitzen. Er schuldete der Person, die dort unten gefangen war nichts. Faren war selbst schuld, dass er nun dort festsaß. Immerhin hatte er seinem Freund gesagt, er sollte ihn in Ruhe lassen. Hätte er das Haus verlassen, wäre ihm nichts geschehen. Cowen übte nur Gerechtigkeit aus.[/LEFT] [LEFT]Und dennoch saß er nun hier, den Rücken an der Wand, die Beine angezogen und die Arme um seine Knie geschlungen, und lauschte hinab. Er wollte wissen, was geschah, selbst wenn es schlecht für einen der beiden ausging.[/LEFT] [LEFT]Lange Zeit herrschte dort unten Stille. Gerade als Ferris' Beine einzuschlafen drohten, erklangen undeutlich Stimmen. Er versuchte, das Ohr an die Tür gedrückt, genauer zu lauschen, doch es war zu undeutlich, zu dumpf, zu weit entfernt – zwecklos.[/LEFT] [LEFT]Zumindest wusste er nun aber, dass Faren noch am Leben war und es ihm einigermaßen gut ging. Fragte sich nur, wie lange das noch der Fall wäre, da er sich nun mit Cowen im selben Raum befand. Aber was sollte er schon tun? Es gab nichts, was er gegen seinen Bruder ausrichten könnte. Nicht mit den Sünden, die er auf sich geladen hatte.[/LEFT] [LEFT]Nur wenige Minuten nachdem Faren aufgewacht war, erklang plötzlich ein klatschendes Geräusch, gefolgt von einem schmerzerfüllten Schrei. Ferris zuckte zusammen und wich von der Tür zurück. Cowen ging wirklich so weit, und Farens Strafe war sicher nur der Anfang. Sobald er mit ihm fertig war, müsste Ferris sich auf sein eigenes Urteil einstellen.[/LEFT] [LEFT]Er legte seine zitternden Hände auf seine Ohren, doch dieser erbärmliche Versuch, die folternden Geräusche auszuschließen, war sinnlos. Immer wieder hörte er das hautzerreißende, blutende Wunden ins Fleisch schlagende Klatschen der Gerte, dazu Farens Schreie; beides bohrte sich in sein Gehirn und sprengte seine Brust.[/LEFT] [LEFT]Da mischte sich plötzlich ein anderes Geräusch darunter: irgendein Popsong, jene Musikrichtung, die Cowen ihm aufgrund der Trivialität verboten hatte. Dennoch kam es irgendwo aus diesem Haus, aus der Nähe sogar. Er stand auf und stolperte fast. Ein Bein war eingeschlafen, das andere schien mit Pudding gefüllt. Hinkend folgte er dem Lied, das unerbittlich weiter ertönte, viel zu fröhlich für diese Situation, die eigentlich traumatisch für Faren sein dürfte.[/LEFT] [LEFT]Im Esszimmer entdeckte er dann die Quelle der Musik: es war Farens Handy, Cowen musste es ihm abgenommen und einfach hier abgelegt haben. Auf dem Display stand der Name Vince. Der Therapeut, bei dem er lebte? Machte er sich nun Sorgen und rief deswegen an?[/LEFT] [LEFT]Ferris glaubte nicht, dass ein solcher Mann etwas erreichen könnte – nicht gegen Cowen –, aber er nahm den Anruf dennoch an. „Ja?“[/LEFT] [LEFT]„Faren?“ Die Stimme des anderen war angenehm, weich, fast tröstend; Ferris hätte am liebsten laut geseufzt und ihn dann gebeten, noch etwas zu sagen, aber dafür war keine Zeit.[/LEFT] [LEFT]Im Keller war das Klatschen verstummt. Ferris ging Richtung Treppe nach oben, er antwortete flüsternd: „Hier ist Ferris.“[/LEFT] [LEFT]„Ah. Ist Faren bei dir?“[/LEFT] [LEFT]Er warf einen Blick über die Schulter. Die Kellertür war noch geschlossen, aber er glaubte, Schritte dort gehört zu haben. So schnell und leise wie möglich huschte er nach oben, in sein eigenes Zimmer hinein. Erst als er die Tür geschlossen hatte, fühlte er sich etwas besser, aber um sicherzugehen, lehnte er sich mit dem Rücken noch dagegen.[/LEFT] [LEFT]„Faren ist im Keller. Ich glaube, Cowen tut ihm etwas an. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“ Die Worte flossen schneller aus ihm heraus als er es wollte oder er darüber nachdenken konnte. „Sie müssen kommen und ihm helfen.“[/LEFT] [LEFT]„Beruhige dich erst einmal.“[/LEFT] [LEFT]Wie konnte dieser Mann nur so entspannt bleiben? Verstand er denn nicht, was hier für Faren auf dem Spiel stand? Wie sollte Ferris ihm das nur verständlich machen?[/LEFT] [LEFT]„Sag mir einfach, wo ihr seid.“[/LEFT] [LEFT]Er hörte Schritte auf der Treppe, sie gehörten Cowen; er kannte sie gut, nachdem er so viele Abende furchtsam nach ihnen gelauscht hatte.[/LEFT] [LEFT]„Können Sie Faren dann helfen?“[/LEFT] [LEFT]Vor seiner Tür hielten die Schritte inne.[/LEFT] [LEFT]„Ich werde das tun“, versicherte die beruhigende Stimme des Therapeuten ihm. „Du musst mir nur sagen, wo ihr seid.“[/LEFT] [LEFT]Cowen versuchte die Tür zu öffnen. Da ihm das nicht gelang, zerrte er wütend an der Klinke, dann hämmerte er mit der Faust gegen das Holz. Er schrie seinen Namen, was an Ferris' Gehorsamkeit appellierte, so dass er wegtreten wollte, um ihn hereinzulassen. Doch er blieb stehen, da Vincents Stimme sofort alles andere ausblendete: „Bleib einfach ganz ruhig, Ferris, und sag mir, wo du dich befindest. Es wird alles gut.“[/LEFT] [LEFT]Er konnte ihm vertrauen. So jemand würde ihn nicht einfach anlügen. Niemals.[/LEFT] [LEFT]Ferris atmete noch einmal tief durch, dann verriet er Vincent seine Adresse. Cowen hämmerte dabei weiter gegen die Tür, doch es war wie ein Geräusch aus einer anderen Welt, das ihn nicht im Mindesten erreichte und deswegen auch keine Bedrohung darstellte.[/LEFT] [LEFT] [/LEFT] [LEFT]Faren hatte sich zusammengerollt, um sich selbst vor den Schlägen zu schützen, indem er keine große Angriffsfläche bot. Immer wieder holte Cowen aus, um ihn erneut zu schlagen, neue Wunden auf seinem Körper aufzureißen und alte auf seiner Seele wieder zu öffnen. Die Schmerzen schienen ihm innen dabei umso schlimmer zu sein. Er fühlte sich in jene Zeit zurückversetzt, in der sein Vater ihm unverständliche Vorwürfe an den Kopf warf, ihn schlug, ohne die Möglichkeit einer Entschuldigung, gefolgt von noch mehr Schlägen, sollte Faren es wagen, zu laut zu weinen. So lag er nun zusammengekauert in diesem fremden Keller, ertrug die Hiebe und den Schmerz inzwischen mit lautlosen Schluchzern.[/LEFT] [LEFT]Zwischen diese Geräusche mischte sich eine Melodie, die er zu gut kannte: es war der Klingelton, den er für Vincent ausgesucht hatte.[/LEFT] [LEFT]Cowen bemerkte ihn wohl ebenfalls, endlich hörten die Schläge auf. Faren wartete einige Sekunden ab. Erst als er sicher war, dass der andere nicht wieder anfangen würde, wagte er es, den Blick ein wenig zu heben. Cowen stand immer noch vor ihm, sah aber über die Schulter zur Treppe. Für eine endlos lange Sekunde, in der Faren sich an die brennenden Schmerzen gewöhnen konnte, lauschte sein Foltermeister dem Klingeln des Handys – dann verstummte es. Dafür wurden hastige Schritte hörbar, die sich vom Keller entfernten und Cowen offenbar zu einer Entscheidung führten.[/LEFT] [LEFT]Er wandte sich wieder Faren zu. „Du wirst erst einmal warten müssen. Lauf nicht weg.“[/LEFT] [LEFT]Der Geist eines Schmunzelns huschte über sein Gesicht und verflüchtigte sich sofort wieder. Die Gerte weiterhin in der Hand haltend stieg Cowen die Treppe empor. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, fühlte Faren sich zumindest ein wenig leichter. Die Panik schwand, so dass der Schmerz den gesamten Platz in seinem Inneren einnehmen konnte. Das Kribbeln seines Körpers verriet ihm jedoch, dass seine Heilkräfte eingesetzt hatten und es nicht mehr lange dauern dürfte, bis er sich wieder normal fühlte. Dummerweise dürfte das aber auch mit einer extremen Schwächung einhergehen.[/LEFT] [LEFT]Aber warum machte er sich darum Sorgen? Er sollte lieber zusehen, dass er die Zeit nutzte, in der Cowen nicht hier war.[/LEFT] [LEFT]Mit zusammengebissenen Zähnen richtete er sich auf, bis er richtig saß. Dann befühlte er mit seiner Hand wieder die Kette um seinen Fußknöchel. Sie saß außerordentlich fest. Er hatte keine Säge bei sich, um seinen Fuß durchzusägen, aber zum Glück war das auch überflüssig. Gerade als er nach der Kette greifen wollte, um sie zu zerstören, bemerkte er eine fremde Präsens. Sein Kopf schnellte herum – dann entdeckte er jene Frau, die er kurz vor seiner Ohnmacht gesehen hatte. Sie saß nun auf Cowens Stuhl, so dass sie deutlich für ihn zu sehen war. Ihr leicht spöttischer Blick war das genaue Gegenteil von Cowens teilnahmslosen.[/LEFT] [LEFT]„Du bist die Dämonin.“[/LEFT] [LEFT]Er war noch nie einer derart menschlichen Variante begegnet. Bislang hatte er nur gegen jene gekämpft, die eindeutig monströser Natur waren. Doch Selines Erzählungen beinhalteten oft Dämonen, die sich nicht von Menschen unterschieden, manchmal sogar in der Form der Gefallenen erschienen, um die Jäger zusätzlich zu quälen. Sie waren sadistisch und wesentlich machtvoller als ihre Monster-Verwandten. Er spürte auch bei ihr eine unterschwellige Bedrohung, die verhinderte, dass er sich einfach befreite und sie angriff. Sie war eindeutig über seinem Kräfteniveau und er war kein Idiot, also sah er sie einfach nur an.[/LEFT] [LEFT]Ihre unterschiedlich farbigen Augen leuchteten auf. „Richtig. Ich dachte mir schon, dass du das herausfinden würdest, du bist nicht umsonst ein Jäger.“[/LEFT] [LEFT]„Gut, das weißt du also.“ Dann konnte er sich jegliche Vorstellungen sparen. „Bist du dafür verantwortlich, dass der Kerl so durchgedreht ist?“[/LEFT] [LEFT]Sie warf den Kopf in den Nacken und stieß ein kurzes Lachen aus. „Nein, absolut nicht. Cowen war schon vor meiner Ankunft sehr … eigenartig. Ich habe nur dazu beigetragen, dass er einen Tick weiter geht, um auch dich hier einzusperren. Aber es hat nicht viel Überzeugungskraft verlangt.“[/LEFT] [LEFT]„Und was willst du von mir? Oder war ich nur ein zufälliges Opfer?“[/LEFT] [LEFT]„Oh nein, nein, nein. Du warst auf jeden Fall das gewünschte Ziel, nur deswegen habe ich überhaupt Cowen beeinflusst.“[/LEFT] [LEFT]Dann war sie schuld daran, dass es Ferris im Moment so schlecht ging. Faren wollte aufspringen und sie angreifen, doch stattdessen atmete er tief durch – so wie Vincent es ihm stets riet – und besann sich darauf, dass sie wesentlich stärker war als er.[/LEFT] [LEFT]„Die Sache ist“, fuhr sie fort, „dass mein Meister dich unbedingt treffen will. Ich weiß nicht, warum, aber mir geht es ohnehin nur darum, seine Wünsche zu erfüllen.“[/LEFT] [LEFT]Mit einer lässigen Handbewegung wischte sie das lange Haar hinter ihre Schulter zurück. „Du wirst mein Geschenk an ihn werden.“[/LEFT] [LEFT]„Nett. Bekomme ich noch eine Schleife?“[/LEFT] [LEFT]„Nein~. Aber die Idee wäre nett. Vielleicht sollte ich darüber nachdenken, während ich ihn hole.“[/LEFT] [LEFT]„Wird er nicht sauer sein, wenn du mit mir hier plauderst, statt ihn zu holen.“[/LEFT] [LEFT]Tatsächlich erhob sie sich von ihrem Platz. Sie wirkte selbst stehend nicht halb so bedrohlich wie Cowen, aber ihre Energie war genug, um ihn weiterhin ruhig zu halten.[/LEFT] [LEFT]„Ich werde ihn jetzt holen“, verkündete sie. „Beweg dich nicht vom Fleck, dann wird dir auch nichts weiter geschehen.“[/LEFT] [LEFT]Mit dieser lachenden Ankündigung verschwand sie so plötzlich, wie sie erschienen war.[/LEFT] [LEFT]Faren schnaubte. Natürlich hatte er nicht vor, hier zu bleiben. Deswegen griff er nach den Ketten – und ließ sie laute Flüche ausstoßend sofort wieder los. Die Haut an seinen Händen war rot geworden und warf plötzlich Blasen.[/LEFT] [LEFT]„Super, das sind nicht nur Ketten, sie sind auch noch verzaubert.“[/LEFT] [LEFT]Jedenfalls würde das erklären, weswegen er sie nicht anfassen könnte, denn sie sahen nicht heiß aus. Er zweifelte daran, dass Cowen dafür verantwortlich war, eher diese Dämonin; sie ging wohl keine Risiken ein.[/LEFT] [LEFT]Nicht schlecht. Aber das macht es trotzdem nicht besser.[/LEFT] [LEFT]Jedenfalls für ihn nicht, denn er war immer noch gefangen und nun sah er keine große Chance mehr, diesem Gefängnis zu entkommen. Hoffnungslos ließ er den Blick schweifen, doch natürlich entdeckte er keine Säge. Auch andere Gegenstände in seiner Nähe, die ihm helfen könnten, suchte er vergebens. Keinerlei metallische Stangen, keine Drähte und den Schlüssel vermutete er nicht einmal hier unten.[/LEFT] [LEFT]Aufgeben erschien ihm gerade wie die beste Alternative. Doch dann fiel ihm der Stuhl ins Auge. Es war ein einfacher Klappstuhl, dessen Gerüst tatsächlich aus Metall bestand. Seine Gelenke ächzten schmerzhaft, als er sich ein wenig aufrichtete. Dann streckte er sich so weit wie möglich nach dem Stuhl. Zuvor war ihm gar nicht aufgefallen, wie weit er eigentlich von ihm entfernt war, aber nun erschien es ihm fast unmöglich, ihn auch nur mit den Fingerspitzen zu berühren. Er zerrte mit dem Fuß an der Kette, bis er sie so weit wie möglich ausgereizt hatte – dann gelang es ihm endlich den Stuhl zu packen und ihn mit einem Ruck zu sich zu ziehen. Zusammengeklappt gab es mehrere Metallstangen, die miteinander verbunden waren. Diese festhaltend, stellte er einen Teil auf die Ketten. Glücklicherweise wirkte der Zauber nicht wie Elektrizität und konnte somit auch nicht geleitet werden. Anders als sein eigener – der wirklich daraus bestand –, auf den er sich nun konzentrierte. Hellblaue Funken und Blitze zuckten das Metall entlang, in die Kette hinein, wo sie sich sammelten und schon bald die einzelnen Glieder zerfraßen als wären sie aus Butter.[/LEFT] [LEFT]Kaum war er frei, warf Faren den Stuhl achtlos beiseite und stand auf. All seine Knochen ächzten und drohten, unter ihm wegzubrechen, gleichzeitig war er derart erschöpft, dass er dem zu gern nachgegangen wäre. Aber da war noch Ferris. Die Sorge um ihn war derart groß, dass er sich seinem eigenen Körper widersetzte, jeden zermarternden Schritt in Richtung Treppe tat. Die Reste der Kette, die noch an seinem Knöchel hingen, klirrten bei jeder Bewegung, als er die Stufen hinaufstieg.[/LEFT] [LEFT]Zu seinem Glück war die Tür nicht abgeschlossen. So kam er problemlos ins Erdgeschoss – nur um dann doch zusammenzubrechen. Auf dem Boden liegend kämpfte er gegen die drohende Ohnmacht, die ihn einholen wollte, damit er seine Kraftreserven wieder füllen konnte. Aber Ferris war noch nicht in Sicherheit. Und er auch nicht.[/LEFT] [LEFT]Sein Wille half ihm, sich der Finsternis zu widersetzen. Auch wenn er nicht aufstehen konnte, so gelang es ihm vorwärts zu robben. Es ging zu langsam, aber er kam voran, das war gerade alles, was wirklich zählte. Irgendwo hörte er jemanden gegen eine Tür hämmern.[/LEFT] [LEFT]Dieses Geräusch wurde aber bald von einem anderen begleitet: ein geradezu höfliches Klopfen.[/LEFT] [LEFT]Beides zusammen erschien ihm derart paradox, dass er darüber lachen wollte. Doch der Versuch trug nur dazu bei, dass er von Husten geschüttelt wurde, was die Schmerzen wieder explodieren ließ und ihm Tränen in die Augen trieb.[/LEFT] [LEFT]Daraufhin wurde Haustür plötzlich aufgerissen. Durch seine verschwommene Sicht entdeckte er mehrere Personen, die das Haus betraten. Einige kamen in seine Richtung, andere liefen die Treppe hinauf. Waren das weitere menschliche Dämonen?[/LEFT] [LEFT]Jemand kniete sich neben ihn. „Alles okay mit dir?“[/LEFT] [LEFT]Er erkannte die Stimme. „Crim? Warum …?“[/LEFT] [LEFT]Der andere legte ihm die Hand auf den Kopf. „Schon gut. Wir bringen dich nach Abteracht, dort kannst du dich ausruhen.“[/LEFT] [LEFT]„Was ist mit Ferris?“ Ohne ihn würde er nicht gehen, egal wie sehr man ihn zu zwingen versuchte.[/LEFT] [LEFT]„Die anderen holen ihn gerade, mach dir keine Sorgen. Alles wird gut werden.“[/LEFT] [LEFT]Wann hatte er eine derartige Aussage zuletzt geglaubt? Überhaupt jemals? Und war je etwas gut geworden?[/LEFT] [LEFT]Doch er hatte keine Kraft, darüber zu diskutieren, er wollte nur schlafen. Am besten für eine sehr lange Zeit, und dabei von Kieran träumen, falls das Schicksal ihm so gnädig gestimmt war.[/LEFT] [LEFT]Crim half ihm dabei, aufzustehen und das Haus zu verlassen. Draußen entdeckte er auch Seline und Vincent, die in ein Gespräch vertieft waren. Beide warfen einen Blick in seine Richtung, bemerkten vermutlich seinen Zustand und bedeuteten Crim dann, dass er ihn weiterbringen sollte. Er folgte diesem Befehl, während Faren nichts tun konnte – und auch nicht wollte – um sich dem zu widersetzen.[/LEFT] [LEFT]Er seufzte erleichtert, als er sich endlich auf die Rückbank eines Autos sinken lassen konnte, obwohl es gar nicht seines war. Das kümmerte ihn aber auch nicht, es ging nur darum, endlich von diesem Ort und den Erinnerungen wegzukommen, endlich Ruhe zu haben.[/LEFT] [LEFT]Crim setzte sich hinter das Lenkrad und drehte sich noch einmal zu ihm. „Die anderen kommen ebenfalls nach Abteracht. Ruh dich also aus.“[/LEFT] [LEFT]Faren lehnte seinen Kopf gegen die Scheibe. Seine Gedanken wurden immer träger und verloren mehr und mehr Form. Als das Auto sich in Bewegung setzte, wurde es sogar noch schlimmer, denn das leichte Vibrieren machte ihn erst recht schläfrig.[/LEFT] [LEFT]Während sie an Ferris' Haus vorbeifuhren, fiel ihm allerdings doch noch etwas auf, das seine Aufmerksamkeit auf sich zog: Auf dem Dach stand eine Person, die in seine Richtung zu blicken schien. Er konnte sie aufgrund der Entfernung nicht wirklich erkennen und doch glaubte er, genau zu wissen, um wen es sich dabei handelte.[/LEFT] [LEFT]„Was macht Kieran da oben?“, fragte er mit schwerer Zunge.[/LEFT] [LEFT]„Was?“ Crim sah über die Schulter. „Was hast du gesagt?“[/LEFT] [LEFT]Faren blieb ihm jede Antwort schuldig, da sein Körper endlich seinen Tribut forderte und ihn in einen tiefen Schlaf fallen ließ, der diesmal vollkommen traumlos blieb.[/LEFT] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)