Quick Time Event von Flordelis ================================================================================ Kapitel 1: Das ist echt gut für die Kondition. ---------------------------------------------- Zwei Jahre waren seit jenem Ereignis vergangen, Kieran war auch in dieser Zeit nicht zurückgekommen. Kaum jemand von denen, die ausgezogen waren, um diesen Sturm zu bekämpfen, war aus dieser Schlacht zurückgekehrt und jene, die es doch waren, hatten schwerwiegende Verletzungen davongetragen. So war es immer, wenn ein derart machtvoller Dämon angriff, hatte Seline, eine der wenigen Überlebenden, ihm versichert, kurz bevor er von ihr gefragt worden war, ob er sich dem Kampf nicht anschließen wollte. Und so war er ein Dämonenjäger geworden. Stets mit der sicheren Erwartung, einen Kampf nicht überleben zu können – aber bislang war er noch immer siegreich gewesen. Wohl aber nicht zuletzt deswegen, weil er noch keinem derart machtvollen Feind begegnet war, wie vor zwei Jahren. Fragte man ihn allerdings, bestand er darauf, dass es an seiner unkonventionellen Trainingsmethode lag, der er auch an diesem Tag wieder einmal nachging. Mit einem metallischen Klang verschwand die Münze im Gerät, worauf sich der Bildschirm änderte. Die blinkende Anzeige Please insert coin verschwand und ließ stattdessen endlich die ihm inzwischen vertraute Umgebung einer Fabrik erkennen. Sein Griff um das Plastik in seiner Hand verstärkte sich ein wenig, sein Blick huschte aufmerksam über die aufgestellten Kisten. Inzwischen wusste er, dass die Aufstellung der Gegner immer rein zufällig erfolgte, das nahm dem Spiel etwas von der sonst üblichen Monotonie, die sich bei Vielspielern gern einstellte. Farens Reflexe reagierten schneller, als er wirklich erfassen konnte, was eigentlich vor sich ging. Kaum erschien der erste feindliche Soldat auf dem Bildschirm, zielte er bereits mit der Light Gun auf diesen und schoss, was er bei jedem einzelnen wiederholte. Er bekam schon nicht mehr mit, was noch alles in diesem Level geschah, welcher Text eingeblendet wurde, er schoss einfach auf alles, was sich bewegte. Wer ihn dabei beobachtete, konnte an seiner gerunzelten Stirn erkennen, wie konzentriert er dabei war, und kaum jemand hätte bei diesem Anblick wohl vermutet, dass er eigentlich ziemlich viel Freude beim Spielen empfand. Schließlich endete der Level, mit dem obligatorischen Boss-Fight, der das einzige war, was sich nie änderte. Ein kurzer Blick auf seine Highscore-Anzahl in der rechten oberen Bildschirmecke, ließ ihn leise seufzen. Es war zu wenig. Wieder einmal. Statt noch mehr Münzen einzuwerfen, ließ er sich daher lieber die Highscore-Liste anzeigen. Das Spiel war beliebt, entsprechend viele Namen fand er daher in der Liste der besten 20, sein Blick heftete sich aber direkt auf die ersten beiden Plätze. Auf dem zweiten stand er unter seinem Pseudonym TheGriff, und auf dem ersten – der ihm ein Dorn im Auge war – stand nur AAAA. Jemand, der sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, sich einen anständigen Namen für diese Liste auszudenken, führte diese bereits seit Monaten an und das mit einem Punkte-Unterschied von über 50 000. Was für Reflexe musste diese Person nur haben? Während er darüber wieder einmal grübelte, konnte er Schritte hinter sich hören. Es war noch Vormittag, an einem Schultag, dementsprechend war er meist eigentlich allein an diesem Ort, der nachmittags stets von unzähligen Stimmen und den Geräuschen der anderen Automaten erfüllt war. Deswegen war es irritierend, jetzt schon jemand anderen hören zu können. Als er den Blick wandte, entdeckte er Seline, die zu ihm getreten war. Das Licht des Bildschirms spiegelte sich in ihrer Brille, so dass er die blauen Augen nur erahnen konnte. Ihr langes blondes Haar bewegte sich im kaum wahrnehmbaren Luftstrom der Klimaanlage. „Denkst du nicht, du solltest vielleicht anders trainieren?“, fragte sie. Als Faren sie das erste Mal gesehen hatte, war er fest davon ausgegangen, dass sie eine helle, mädchenhafte Stimme haben musste – aber stattdessen war es eine angenehm dunkle Stimme, die ihm doch um einiges besser gefiel, als alles, was er sich hätte vorstellen können. Sie hatte ihn damals rekrutiert, aber mit seiner Trainingsmethode war sie nie wirklich einverstanden gewesen. „Warum?“, erwiderte er. „Ob ich jetzt mit einer Light Gun auf virtuelle Gegner ziele oder mit einer richtigen Waffe auf Dämonen, macht doch keinen Unterschied.“ Sie legte ihre Stirn in Falten. „Und ob es einen Unterschied macht, ob du in der vollkommenen Sicherheit einer Spielhalle auf nicht-existierende Pixelhaufen feuerst, oder in einer Situation, in der es um Leben und Tod geht.“ Als vollkommen sicher hätte er diesen Ort zwar nicht eingestuft, aber er wollte auch nicht mit ihr darüber diskutieren. Er kannte die Gefahren der nächtlichen Jagd, wusste auch, wie es war, wenn das eigene Leben nur noch am seidenen Faden hing, das musste sie ihm nicht erzählen. Er wusste auch, dass sie sich darüber im Klaren war, dass es eigentlich überflüssig war. Deswegen würde eine Diskussion wohl zu nichts führen. „Was machst du denn hier?“, fragte er stattdessen. „Ich habe nach dir gesucht. Cerise möchte, dass du dich morgen bei ihr meldest. Du hast letzte Nacht nicht unbedingt deine beste Performance abgeliefert.“ Dabei hatte er sich gar nicht so schlecht gefunden. Sicher, seine Bewegungen waren ein wenig verzögert gekommen, aber nur weil der Gegner ihm das auch erlaubt hatte. Warum sollte er sich übermäßig viel Mühe geben, wenn der Feind doch eigentlich richtig lame ist? Aber wenn Seline schon mal hier an diesem Ort war, konnte er sie auch direkt etwas anderes fragen. Mit dem Daumen deutete er über seine Schulter, tiefer in die Spielhalle hinein. „Hast du Lust, mit mir bei DDR zu trainieren?“ Sie neigte den Kopf ein wenig zur Seite und versuchte an ihm vorbeizusehen, aber seine Statur und die anderen Automaten, die im Weg standen, machten es ihr nicht einfach. Also richtete sie ihren Blick lieber wieder auf ihn. „DDR?“ Sie betonte jeden Buchstaben ganz besonders, als könne sie nicht einmal deren Bedeutung begreifen. „Ich fürchte, ich verstehe nicht, was du damit sagen willst.“ „Dance Dance Revolution“, erklärte er lächelnd. „Das ist echt gut für die Kondition.“ Da sie immer noch zweifelte, ergriff er einfach ihr Handgelenk und zog sie dann mit sich zu dem entsprechenden Automaten. Auf dem Bildschirm tanzte gerade eine Figur zur Demoversion eines Liedes, direkt davor war ein kleines Podest angebracht, auf dem die vier Pfeile zum Spielen montiert waren. Seline sah dieses Gerät aber wohl wirklich zum ersten Mal: „Womit steuert man das?“ Zur Demonstration stellte Faren sich auf eines der Podeste und warf eine Münze in den Automaten. Dann zeigte er ihr, wie die Steuerung funktionierte, damit sie es am zweiten Gerät nachahmen konnte, was sie auch sofort tat. „Und worum geht es hierbei?“, fragte sie dann unsicher. „Um Spaß~. Und Rhythmus.“ Ihm schien, sie wolle doch noch ablehnen, aber dann zuckte sie mit den Schultern und wählte gemeinsam mit ihm ein Lied aus, das sie, wie er hoffte, nicht zu sehr fordern würde für den Anfang. Den Anweisungen auf dem Bildschirm folgend, begannen die beiden, im Takt der Musik auf die Pfeile zu treten. Bei Faren sah es routiniert und bereits wie ein Tanz aus, während Seline noch ein wenig steif wirkte und selbst hierbei ihren ernsten Gesichtsausdruck beibehielt. Erst im letzten Viertel des Liedes verließen die Falten ihre Stirn und ihre Mundwinkel hoben sich, als sie endlich in den Rhythmus hineinfand und fast schon intuitiv den passenden Pfeil traf. Und dabei fiel ihm eines deutlich auf: Sie tanzte, wie sie kämpfte, nämlich mit vollem Körpereinsatz und uneingeschränkter Konzentration. Selbst als er sich irritiert fragte, wo dieses plötzliche Störgeräusch herkam, griff Seline, noch vollkommen im Takt, in ihre Tasche und zog ihr Handy hervor. Ohne mit dem Tanzen aufzuhören nahm sie den Anruf an und hielt sich das Telefon an ihr Ohr. Ihr Blick blieb weiterhin auf den Bildschirm gerichtet, hin und wieder gab sie einen verstehenden Ton oder auch mal ein „Ja“ von sich, aber nichts hinderte sie daran, weiterzutanzen. Schließlich warf sie Faren das Handy mit den Worten „Für dich“ zu. Im Gegensatz zu ihr gelang es ihm nicht, weiterzutanzen. Stattdessen fing er das Handy auf und stolperte dabei rückwärts vom Podest herunter. Er fing sich wieder und hielt sich das Telefon ans Ohr. „Griffin~?“ „Hallo, Faren“, grüßte ihn eine ihm viel zu bekannte tiefe Männerstimme. Automatisch zog er sein eigenes Handy heraus und sah erst einmal nach, wie viele Anrufe er verpasst hatte. Es waren 14, die ihm da auf dem Display entgegenprangten. Das schlechte Gewissen nagte bereits an ihm, aber er schob es einfach mit dem Fuß beiseite, um weiterhin lächelnd ins Telefon sprechen zu können: „Hey, Vince~. Na, wie läuft's?“ „Komm mir nicht so“, erwiderte sein Gesprächspartner gewohnt ruhig. „Du bist schon wieder letzte Nacht nicht nach Hause gekommen und hast es auch nicht für nötig befunden, mich anzurufen. Oder meine Anrufe anzunehmen.“ Das musste wohl ziemlich an ihm nagen und es tat Faren auch leid … ein kleines Bisschen. „Vince, ich bin 19 Jahre alt, ich komme schon klar. Auch ohne deine Kontrollanrufe.“ Er hörte, wie sein Gesprächspartner tief durchatmete und stellte sich dabei dessen ausdrucksloses Gesicht vor, das einem nie verriet, was gerade in ihm vorging. Ein Gesicht, das er vor kurzem noch mit verzweifelter Hoffnungslosigkeit betrachtet hatte, bis ihm aufgefallen war, wie viel man in seinen dunkelblauen Augen lesen konnte, wenn man denn wollte. „Es wäre mir dennoch lieb, wenn du dich ab und an melden würdest, besonders nach deinen Einsätzen.“ Aus seinen Worten sprach unterschwellig die ehrliche Besorgnis, die Faren tatsächlich mit dem Hauch eines schlechten Gewissens erfüllte. „Sorry“, sagte er daher. „Würde es irgendetwas wieder gutmachen, wenn ich dir einen Kaffee vorbeibringe und wir zusammen frühstücken?“ Einen kurzen Moment herrschte Schweigen am anderen Ende. „Für den Anfang vielleicht.“ „Gut, dann besorge ich uns was~. Bin bald zu Hause, Vince.“ Nachdem Vincent sich auch verabschiedet hatte, legte Faren auf und warf Seline das Handy wieder zu. Sie fing es auf, im selben Moment, in dem das Lied endete und stellte sich damit gekonnt in Pose. Wie sie das immer wieder machte, erstaunte ihn, so dass er lächelnd mit dem Kopf schüttelte und dann in die Hände klatschte. „Gut gemacht, Sel. Lass uns irgendwann mal wieder zusammen tanzen.“ Nicht im Mindesten außer Atem stieg sie wieder vom Podest herab. „Du musst also gehen?“ Er nickte. „Tut mir leid, dass du das mal wieder ausbaden musst. Ich sollte vielleicht doch mal selbst an mein Handy gehen, huh?“ Darauf antwortete sie nicht, aber ihre zusammengezogenen Augenbrauen sagten ihm alles. „Wir sehen uns dann, Faren. Und vergiss nicht, dass Cerise morgen noch mit dir sprechen will.“ „Das vergesse ich garantiert nicht“, erwiderte er seufzend. Zehn Minuten später trat Faren mit einer Tüte frischer Croissants und einem Becherhalter mit zwei Bechern Kaffee aus einer nahegelegenen Bäckerei. Glücklicherweise schien an diesem Tag die Sonne, so dass er sich nicht, wie beim letzten Mal, Gedanken darum machen musste, wie er das alles nun trocken zu Vincent nach Hause schaffen sollte. Auch wenn er nur einige Straßen weiter lebte, war Faren damals reichlich nass gewesen. Heute pustete er sich einige der braunen Strähnen aus der Stirn und wollte sich gerade lächelnd in Bewegung setzen – als er plötzlich von einem heftigen Stoß zu Boden gerissen wurde. Becher und Tüte landeten unsanft auf dem Boden, ersteres ergoss seinen Inhalt über letzteres. Aber Faren blieb keine Zeit, seinem Geld nachzutrauern und sich über den Verursacher zu ärgern, da ihm bereits bei jeder Bewegung ein scharfer Schmerz durch den rechten Ellenbogen fuhr. „Ow, fuck it“, fluchte er leise. Vorsichtig versuchte er, den Arm wieder dazu zu bringen, sich anständig zu bewegen. Dabei bemerkte er, dass die Person, die ihn angerempelt hatte, vor ihm kniete und ihn unverwandt ansah, ohne auch nur ein Wort der Entschuldigung zu verlieren. Dabei verlangte ja nicht einmal viel, war das etwa schon zu viel für ihn? Doch als er den Blick endlich seinem Gegenüber zuwandte, wusste er, warum dieser schwieg. Der junge Mann, der da vor ihm kniete, hatte schwarzes Haar, mit einem kaum sichtbaren Blaustich, das ihm bis knapp über die Schulter reichte und zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst war, die braunen Augen waren vollkommen fassungslos von dem, was sie da sahen. Wenn Faren davon absah, dass sein eigenes Haar braun war und er es lieber zu einem hochgebundenen Pferdeschwanz trug, fiel ihm eines ganz deutlich ins Auge. Er holte tief Luft, wie auch sein Gegenüber, bevor sie gleichzeitig dieselben Worte ausstießen: „Alter! Du könntest mein Zwilling sein!“ Hosted by Animexx e.V. 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