Urlaubsreif von flower_in_sunlight (Seto x ?) ================================================================================ Kapitel 11: 17.2. Dienstag -------------------------- „Morgen, Yuki“, begrüßte Seto sie freundlich, als sie mit seinem Frühstück in der Tür zum Flur erschien. Irgendwie gewöhnte er sich allmählich daran, dass sie immer mit diesen seltsamen Transportkisten auftauchte und nach ein paar freundlichen Worten wieder verschwand. „Guten Morgen.“ Sie schien bester Laune. „Ich habe hier Ihr Überraschungsfrühtstück für Sie. Wenn Sie es mir hier abnehmen, müsste ich nicht die Schuhe ausziehen.“ Bereitwillig erhob er sich aus dem Sessel und ging zu ihr hinüber, während ihr Blick auf die wieder aufgebaute Partie Go fiel. „Wenn Sie mal einen Gegner brauchen, kann ich gerne schauen, ob ich zwischendrin Luft habe. Aber erzählen Sie es bitte nicht den anderen. Die beschweren sich nämlich immer, weil ich sie nicht gewinnen lasse.“ Seto machte große Augen und fragte: „Auch der Chef?“ Yuki kicherte. „Naja, der nicht. Aber dafür pflegen wir eine gesunde Rivalität und momentan habe ich einen Sieg mehr als er. Wie gesagt, das Angebot steht. Lassen Sie sich das Essen schmecken.“ Sie zwinkerte ihm noch kurz zu und war dann wieder aus der Tür hinaus. Was konnte dieses Hotelteam nicht? Es konnte singen, spielte Go, malte traumhafte Bilder. Fehlte nur noch, dass sie alle Höchstleistung in irgendeiner Sportart erbringen konnten. Doch für ihn zählte erst einmal sein Frühstück, bei dem er sich von Shin hatte überraschen lassen. Und so staunte er nicht schlecht, als er frische Brötchen und kleine Marmeladengläser in der Kiste fand, deren Inhalt verdächtig selbstgemacht aussah. Hungrig verteilte er alles auf dem Esstisch und holte sich anschließend Geschirr aus der Küche. Nach dem Abwasch hatte er die Partie Go wieder weggeräumt. Trotz der Stunden, die er über ihr gebrütet hatte, war ihm immer noch keine Methode eingefallen, wie er seine Niederlage hätte abwehren können, und es wäre ihm unangenehm, wenn er von noch jemanden dabei erwischt würde, wie er sie anstarrte. Schließlich hatte er an der Haustür das Versprechen bekommen, dass ein gewisser Jemand im Laufe des Vormittags wieder bei ihm vorbeischauen würde. Eine genaue Uhrzeit war leider nicht genannt worden und so blieb ihm nichts anderes übrig als zu warten. Etwas, das ihn mehr als alles andere nervte, vor allem, weil es ihm genug Zeit zum Nachdenken gab. Nachdenken darüber, was der langsam verblassende Traum der letzten Nacht zu bedeuten hatte, und darüber, was er überhaupt hier machte. Seit wann suchte er die Nähe eines Menschen – von Mokuba einmal abgesehen, der als sein Bruder nicht wirklich zählte? Denn immerhin war er sein Motor, sich zu behaupten und immer sein Bestes zu geben. Bisher hatte er gedacht, dass es ihm niemals so ergehen würde und dann träumte er so einen Blödsinn von weißen Drachen, die direkt vor einem blonden Mann landeten, der den Kopf des einen zart mit der Hand berührte. Das war doch nicht mehr auszuhalten! Auch wenn er sich geschworen hatte, hier zu warten, konnte er nicht verhindern, dass er hinaus in den Flur stürzte, seine festen Schuhe anzog und erst halb im Mantel die Haustür aufriss und beinahe in die Hand des Hotelmanagers lief, der sie bereits zum Klopfen erhoben hatte. Im letzten Moment konnte er gerade noch mit vor Schreck geweiteten Augen stehen bleiben. „Ist alles in Ordnung bei Ihnen?“, fragte dieser leicht besorgt. Er musste aussehen wie ein gehetztes Tier! „Ja, alles in bester Ordnung. Ich wollte einfach nur an die frische Luft.“ „Dann passt mein Plan für heute ja. Sie sollten allerdings abschließen, bevor wir uns auf den Weg machen.“ Still gehorchte er, sich immer noch unsicher, wie er mit der Situation am besten umging. Wäre er nur ein wenig schneller gewesen, hätte er sich selbst ausknocken lassen, zwar von jemand sehr charmantem, aber immer noch...Moment! Charmant? Seit wann gehörte dieses Wort in sein Vokabular, außer er musste ein Lob für eine weniger hübsche Frau finden, was selten genug vorkam. „Was haben Sie denn für heute geplant“, täuschte er Interesse vor, um sich von seinen eigenen Gedanken abzulenken. „Einen längeren Spaziergang. Da Sie letzten Woche bereits den Norden des Geländes kennengelernt haben, dachte ich mir, es könnte Sie interessieren, auch den Süden kennen zu lernen.“ Statt zu antworten schritt Seto einfach an ihm vorbei in Richtung des Waldweges, der seines Erachtens nach Süden führen müsste. Die Mühelosigkeit mit der er eingeholt wurde und mit der mit ihm Schritt gehalten wurde, überraschte ihn. „Wir können aber auch einen Dauerlauf machen, wenn Sie möchten“, kam es vom Mann an seiner Seite. „Allerdings hätten Sie da gegen mich schlechte Karten.“ Eigentlich hatte Seto ihn mit Schweigen strafen wollen, doch seine Neugier siegte. Was sprach dagegen ihm mal so richtig schön auf den Zahn zu fühlen? Daher fragte er nun: „Wieso? Ich wirke auf den ersten Blick zwar wie jemand, der nie aus seinem Büro herauskommt, aber ich mache durchaus auch Sport!“ „Sie haben also auch beim letztjährigen Iron Man mitgemacht? Ich bin beeindruckt.“ Es lag kein Spott in der Stimme, eher Verwunderung. „Nein, ich... Was? Wie finden Sie die Zeit zum Trainieren? Sie sehen gar nicht aus wie...“ „...jemand, der mit Muskeln vollgepackt ist? Beim Triathlon geht es in erster Linie um Ausdauer, dadurch werden die Muskeln nicht so dick, wie zum Beispiel bei Sprintern. Und das Training mache ich nebenher. Zwei bis dreimal die Woche laufe ich hier auf dem Gelände, morgens schwimme ich und wenn abends noch Zeit ist, schwinge ich mich aufs Fahrrad. Das geht alles bei einem geordneten Tagesablauf. Und dann trainiere ich natürlich noch mit dem Team Nahkampf, falls es mal zu Zwischenfällen im Hotel mit Externen kommen sollte.“ „War das denn schon einmal notwendig?“ „Ja, zweimal bereits. Das erste Mal hatte der Eindringling Glück. Er ist nur Matt über den Weg gelaufen und hatte einen gebrochenen Arm. Der zweite lag einen Monat lang im Krankenhaus.“ Seto wollte fragen, doch es war überflüssig. Etwas in seinem Inneren wusste ganz genau, wem der zweite Eindringling über den Weg gelaufen war. Doch seltsamerweise machte dieses Wissen den anderen nur noch faszinierender für ihn. „Wann haben Sie damit angefangen?“ „Mit dem Triathlon? Während des Studiums so richtig, davor bin ich aber auch schon viel gelaufen und Rad gefahren. Das dann während der Praxisphasen aufrecht zu halten, war schon etwas schwieriger. Haben Sie schon einmal versucht in Manhattan Fahrrad zu fahren? Das ist wirklich nur etwas für Lebensmüde!“ „Eigentlich meinte ich das andere.“ „Nahkampf? Das hat mir meine Tante vor sieben Jahren angefangen beizubringen, nachdem ich ihr erzählt habe wie oft ich mich als Jugendlicher geprügelt habe. Ihr war wichtig, dass ich den Respekt vor dem Menschen lerne, den ich angreife. Mittlerweile ist es eine reine Verteidigungsmöglichkeit für mich... Ganz offensichtlich bin ich dadurch ein ganzes Stück ruhiger geworden – oder ich habe endlich meinen jugendlichen Leichtsinn verloren.“ „Wie alt sind Sie?“ „26. Was ist? Sie schauen so entsetzt.“ Seto wusste nicht genau, was er antworten sollte. Ihm war bewusst, dass der Hotelmanager noch relativ jung sein musste, aber er wirkte trotzdem ziemlich reif und eindeutig älter. „Nichts. Ich hätte nur erwartet, dass sie vielleicht so Anfang dreißig sind. Aber das heißt auch, dass Sie kurz nach dem Studium angefangen haben dieses Hotel zu leiten, oder? Gab es hier früher schon ein Hotel? Wem gehört das Gelände eigentlich? Wie kamen Sie zu dem Job?“, sprudelten die Fragen aus Seto heraus. „Merkwürdigerweise werde ich meistens etwas älter geschätzt – das führt immer zu einer Reihe von Missverständnissen, wenn ich mit Dad oder meiner Tante unterwegs bin. Um es kurz zu machen. Ich war 22, als ich anfing das Ferienhaus meines Geschäftspartners in das Hotel umzubauen. Seitdem gehört es mir inklusive der Freiflächen zur Hälfte.“ Eine Weile gingen sie schweigend neben einander her, weil Seto nicht genau wusste, was er darauf erwidern sollte. Es imponierte ihm, wie der Chef so klar heraus sprach und, dass er anscheinend sehr zielführend seine Pläne umsetzen konnte. Dass seine letzte Frage offen in der Luft hängen geblieben war, fiel ihm erst auf, als der andere plötzlich weitersprach: „Zu dem „Job“, wie Sie es ausgedrückt haben, kam ich an dem Abend, an dem mein Kollege die Wette gegen Martine verlor. Es war schon recht spät und bevor sie an die Bar kam, war nur noch ein Gast dort gewesen. Er hatte zuvor einen schweren Rotwein bei mir geordert und wirkte leicht genervt, als sie nun gut sichtbar schwanger auf den Barhocker kletterte und mit meinem Kollegen das Schäkern anfing. Er murmelte, er wünsche sich mehr Privatsphäre und Ruhe. Und aus irgendeinem Grund begann ich ihm knapp zu erzählen wie ich mir das Hotel verstellte, das ich später einmal führen wollte. Manchmal stellte er Gegenfragen oder erkundigte sich nach Details, denn anscheinend hatte ich sein Interesse geweckt. Zwischendrin wurde mir bewusst, wie riskant es war einem Fremden eine so gute Idee zu verraten, aber dann stand er am Ende des Abends auf, reichte mir seine Visitenkarte und bat mich am nächsten Tag um 15Uhr in der Lobby zu sein. In der Nacht tat ich kein Auge zu. Ich war viel zu verunsichert, was ich tun sollte. Der Typ hatte nicht so gewirkt als wollte er etwas von mir – im sexuellen Sinn – und mein Kollege schallt mich einen ziemlichen Idioten, als ich ihm am Morgen erzählte, dass ich nicht hingehen wollte. Dann erzählte er mir von seinem Pech mit der schwangeren Fotografin und schleifte mich als Strafe für mein Lachen zu dem Termin. Wir staunten nicht schlecht, als sich beide mit vollem Namen uns noch einmal vorstellten, denn sie hatten zu zweit auf uns gewartet. Niemals hätten wir gedacht, dass das Geschwister wären, auch nicht, dass er ein ziemlich erfolgreicher, amerikanischer Geschäftsmann war! Ich erhielt einen Vertrag, in dem festgehalten wurde, dass die Idee von mir kam – bis ins kleinste Detail – und ich der Einzige sei, mit dem sie diese Idee umsetzen würden. Ich bekam genug Zeit mein Studium abzuschließen und noch etwas Erfahrung zu sammeln, währenddessen arbeitete ich aber schon fleißig am Projekt und suchte die passenden Leute zusammen. Bei meinem nächsten Aufenthalt in Japan zeigten sie mir dieses Grundstück und es machte klick.“ Nach diesem Redeschwall blieb er wieder für geraume Zeit still und folgte einfach nur dem Waldweg, der deutlich weniger mäanderte als sein nördlicher Bruder. Auch Seto schwieg, tief in Gedanken. Mittag war schon längst durch, als er aus diesen gerissen wurde. Vor ihnen öffnete sich der Wald und gab den Blick auf den Strand frei. In der Übergangszone zwischen Waldboden und Sand blieb der Hotelmanager stehen, stellte sich auf ein Bein und begann seine Stiefel aufzuschnüren. Entsetzt blickte Seto ihn an, als der erste nackte Fuß auf dem Sand stand. „Keine Angst! Sie können ruhig ihre Schuhe anlassen, aber Cian macht mich einen Kopf kürzer, wenn ich den ganzen Sand mit ins Haus schleppe.“ Der zweite Stiefel folgte und die Schnürsenkel wurden zusammengeknotet, so dass sie bequem an diesen tragbar waren. „Aber wir laufen jetzt eh erst mal nicht weit“, fuhr er fort und steuerte eine Bank links von ihnen an, die vor der letzten Baumreihe stand. Dort stellte er einen kleinen Rucksack ab und begann ihn auszupacken, während Seto kritisch den Inhalt musterte, der malerisch auf der Mitte des Holzes verteilt wurde. Wurst, Käse, Brot, Sandwichs, Obst, zwei Flaschen Wasser. Er hatte noch nicht einmal bemerkt, dass der andere das die ganze Zeit über getragen hatte. Dieser setzte sich nun zufrieden auf die eine Seite des Essens und krempelte seine dunkle Hose ein Stück höher, damit der Saum nicht im Sand hing und schnappte sich ein Sandwich. Während seines ersten Bissens deutete er neben sich. Mit wieder leerem Mund verdeutlichte er: „Setzen Sie sich und nehmen Sie sich etwas. Wir werden für den Rückweg noch gut zwei Stunden brauchen.“ Eigentlich wollte Seto sich dagegen sträuben. Seinetwegen würde er sich noch hinsetzen, aber essen wollte er garantiert nichts. Kerzen gerade saß er da und blickte aufs Meer hinaus, bis ihm der verlockende Geruch von Fisch mit Hönigsenf in die Nase stieg. Ohne hinüber zu sehen zu demjenigen, der ihm ungefragt das Sandwich direkt vor sein Gesicht gehalten hatte, griff er danach und biss ab. Konnte man das Hotel verklagen, weil es zu leckeres Essen machte? Er hatte keine Waage im Bad und auch seine Kleidung spannte noch nicht, doch er hatte bestimmt zugenommen! Er nahm sich ein weiteres, diesmal mit Putenbrust, ohne den interessierten Blick des anderen zu bemerken, der mit Sandwich Nummer 3 fertig war und sich nun bei der geräucherten Wurst und dem Käse bediente. Nachdem alles aufgegessen war, räumte er die Reste zusammen und verstaute sie wieder. Die nächsten zehn Minuten überlegte Seto fieberhaft wie er wieder ein Gespräch anfangen könnte. Die Stille, die zwischen ihnen herrschte, war nicht unangenehm, aber er war neugierig geworden, was der andere schon alles erlebt hatte. „Wie war eigentlich Ihre Schulzeit?“, fragte er möglichst desinteressiert, während er damit kämpfte, dass er in den Schuhen schlechter vorankam als der andere, der Nahe des Flutsaums lief. Doch Ausziehen war für ihn keine Option. „Meine Schulzeit?“ „Ja.“ „Eigentlich sehr gut. Meine besten Freunde waren mit mir in einer Klasse. Allerdings führte das auch dazu, dass die Lehrer uns oft ermahnten, wir sollen nicht so viel Blödsinn machen während des Unterrichts. Meine Noten waren auch gut – auch wenn man mir das meistens nicht zugetraut hat. Und gegen unseren Klassenprimus hatte ich eh nie eine Chance. Super Noten, wohlhabende Familie, hat sich für was Besseres gehalten und sich immer darüber beschwert wie kindisch wir doch wären. Aber eine Tatsache wurde immer ignoriert. Er war zwei Jahre älter als ich, ein Jahr zu alt für unsere Klassenstufe. Aber ansonsten war meine Schulzeit wirklich schön. Trotzdem bin ich froh, dass ich mir mittlerweile selbst aussuchen kann, in welchen Gebieten ich mich weiterbilde. Und wie war sie bei Ihnen?“ Erschrocken blickte Seto ihn an. Mit einer Gegenfrage hatte er nicht gerechnet, außerdem waren ihm gewissen Parallelen aufgefallen, die zwischen dem Hotelmanager und jemand anderem zu bestehen schienen. „Relativ normal und ereignislos. Kein sehr großer Freundeskreis, gute Noten, die Möglichkeit nebenher für meine Firma zu arbeiten. Mehr gibt es da nicht zu erzählen“, tat er die Geschichte schnell ab. Er musste einfach fragen, sonst würde ihn das den ganzen restlichen Tag beschäftigen. „Wie heißen Sie eigentlich? Es wäre nur fair, nachdem Sie anscheinend meinen Namen kennen, wenn ich auch Ihren erfahren würde.“ Abwartend sah er zu ihm herüber, während sie weiterliefen. Skeptisch wurde eine Augenbraue hochgezogen. „Mein Name ist relativ unwichtig und ich mag ihn auch nicht besonders. Sie können mich Chef nennen, so wie der Rest, der das Bedürfnis verspürt mich mit einem Namen anzusprechen. Oder Sie machen es wie Martine und necken mich mit amerikanischen Kosenamen. Aber bitte nicht „Pumpkin“ - das erinnert mich zu sehr an die Kutsche aus der Cinderella-Verfilmung von Disney.“ Es gefiel Seto nicht, dass er nur eine ausweichende Antwort erhalten hatte, traute sich aber nicht, direkt nachzubohren. Sicherlich würde es noch andere Situationen geben, in denen er den anderen vielleicht sogar so überrumpeln konnte, dass er mit der Wahrheit herausrückte. Daher wechselte er das Thema: „Sie kennen die Disney-Version von „Cinderella“? Ich hätte nicht gedacht das ein erwachsener...“ „...Mann solchen Kitsch schaut? Ich um ehrlich zu sein auch nicht. Aber meine Cousine steht total auf diesen Film und während ihrer Prinzessinnenphase musste die Familie gut ein Dutzend Mal den Film mit ihr schauen – als ob es nicht schlimm genug wäre, dass ihre Mutter den Spitznamen „Rapunzel“ hat, weil ihre Haare so lang waren als Jugendliche.“ „So lang sie ihre Haarfarbe nicht von blond auf brünett gewechselt hat, ist doch alles in Ordnung.“ „Wirklich gewechselt nicht, aber sie sind dunkler geworden. Was für Filme außer „Tangled“ kennen Sie eigentlich noch?“ Seto konnte über sich selbst fluchen, dass er sich so verplappert hatte. Alle Erklärungen, die ihm spontan einfielen, wirkten selbst auf ihn unglaubwürdig und so musste er sich wohl oder übel für die Wahrheit entscheiden: „Mein Bruder wollte sie immer sehen, als er noch klein war, und ich hab irgendwann festgestellt, dass sie wunderbar beim Ausspannen nach einem zu langen Arbeitstag helfen. Deshalb kenne ich vermutlich fast alles, was Disney je an Märchenfilmen herausgebracht hat. Zur Verteidigung meiner Ehre, kann ich nur sagen, dass ich auch jeweils die Originale gelesen habe.“ „Wirklich? Wie fanden Sie die Entzauberung des Froschkönigs?“, wollte der andere nun wissen und er antwortete wahrheitsgemäß. Kaum zu glauben, dass sie mit „Märchen“ ein so ergiebiges Thema gefunden hatten! Doch plötzlich verfinsterte sich das Gesicht des Hotelmanagers mitten in einem Witz über das gealterte, runzlige Dornröschen. „Wir sollten ein bisschen schneller gehen“, riet er und blickte über die Schulter Richtung Land. Seto folgte seinem Blick, konnte aber nichts Auffälliges entdecken. Natürlich war der Himmel grau hinter ihnen, aber das war er schon den ganzen Tag über gewesen und wenn die Zeitangabe des anderen stimmte hatten sie nur noch eine dreiviertel Stunde zu gehen, bis sie wieder an seinem Ferienhaus angelangt wären. „Wieso?“ „Weil uns das Wetter, das da kommt, in nicht mal einer halben Stunde eingeholt haben wird. Der Regen war zwar angekündigt, aber offiziell erst für heute Nacht.“ Mit großen Schritten holte er aus und erhöhte somit sein Tempo spürbar. Seto hatte nun wirklich Schwierigkeiten mit ihm mitzuhalten. Das Gespräch hatten sie abgebrochen. Er brauchte momentan sämtlichen Sauerstoff, um kein Seitenstechen zu bekommen. Doch alle Bemühungen waren umsonst, denn wie perfekt abgemessen, spürte er exakt 25 Minuten später die ersten Tropfen auf seinem Kopf. Der andere musste es auch bemerkt haben, denn nun wechselte vom Flutsaum zum Waldrand, wohin Seto ihm folgte. Hier sank er zwar auch bei jedem Schritt ein, doch bildete er sich ein zumindest etwas trockener zu bleiben. Ein Irrglaube, wie er fünf Minuten später festgestellt hatte. „Keine 10 Minuten noch“, kam es von vor ihm. Die beiden Einschnitte im Wald, die seinem ähnelten ignorierten sie, zogen aber erneut das Tempo an, das ersehnte Ziel nun in fast greifbarer Nähe. Der Hotelmanager wartete nicht, bis er seinen eigenen Schlüssel gezogen hatte, sondern schloss einfach auf und betrat den Flur, ließ aber die Tür offen für Seto, der nur noch sah, wie er die dunklen Pantoffeln an den Füßen im Wohnzimmer nach rechts abbog. Der graue Mantel und der rote Schal hingen bereits tropfnass an der Garderobe. Es fiel ihm zum ersten Mal auf, dass man beim Einbau offensichtlich damit gerechnet hatte, dass dort auch mal nasse Kleidung hing. Träge schälte er sich ebenfalls aus seinem nassen Mantel und fluchte leise, weil die vollgesogenen Schnürsenkel sich so schwer öffnen ließen. Der untere Teil seiner Hose tropfte den Boden voll. Er musste schnell seine Sachen wechseln. Zielstrebig wollte er bereits an seinen Schrank, als er aufgehalten und ins Bad geschoben wurde mit den Worten „Ich komm auch gleich“. Warmes, dampfendes Wasser floss in die Wanne zu einem Schaumbad hinein und stieg schnell höher. Ohne zu überlegen, zog Seto sich rasch aus, stieg hinein, setzte sich auf einen der inzwischen mit Schaum und Wasser bedeckten Vorsprünge und lehnte sich mit geschlossenen Augen nach hinten. Die Wärme tat ihm gut und entspannte seine schmerzende Beinmuskulatur, die gegen die mangelnde Versorgung mit Sauerstoff bereits kurz nach Beginn des Regens aufbegehrt hatte. Und das Wasser stieg weiter. Erst als der Rand der Wanne fast erreicht war, riss er panisch die Augen auf und wollte nach dem Wasserhahn greifen, der aber außerhalb seiner Reichweite lag. Dafür sah er eine große, schmale Hand, die ihn kräftig zudrehte. Der Hotelmanager hatte sich ebenfalls ausgezogen und ein kurzes Handtuch um die Hüfte geschlungen, das er um ließ, während er nun ebenfalls in die Badewanne stieg. Seine blonden Haare lagen nicht mehr ganz so ordentlich und hatten durch den Regen draußen angefangen ein gewisses Eigenleben zu führen. Auch sah man mehr als deutlich, dass er keineswegs ein Sportmuffel war, nur hatte sich seine ausgeprägte Muskulatur bisher nicht unter seiner Kleidung abgezeichnet. Seto war froh, dass er die leichte Rötung seiner Wangen zur Not auf das warme Wasser schieben konnte, und erleichtert, als der Schaum nun auch dem Chef bis knapp unter die Schultern reichte. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass er sonst nichts anderes hätte tun können als diesen wunderschönen Körper zu begaffen. Schnell schüttete er sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht, wobei er jedoch die ganzen Seifenblasen vergaß. Wild schnaubte er, um Mund und Nase frei zu bekommen, und stellte geknickt fest, dass sein Gegenüber ihn frech angrinste. Um von sich selbst abzulenken, stellte er die erste Frage, die ihm in den Kopf kam: „Kennen Sie eigentlich einen Joseph Wheeler?“ Das Grinsen wurde breiter. „Natürlich kenne ich ihn! Das ist mein ehemaliger Kollege, von dem ich die letzten beiden Tage erzählt habe. Ich hatte nicht gewusst, dass Sie ihn kennen.“ Er schien ihm Wasser etwas zu suchen. „Naja, kennen wäre übertrieben. Er war die Nervensäge meiner Schulzeit.“ Der andere lachte: „Das kann ich mir gut vorstellen! Er war damals auch immer sehr speziell. Augen zu!“ Er kam Seto näher, dem gerade sehr bewusst wurde, dass er vollkommen nackt im Bad saß. Wie sollte er später hier raus kommen, ohne sich so vor dem anderen zu zeigen? Okay, er hielt seinen Körper für halbwegs ansehnlich, aber er war käsig und untrainiert und...Der Wasserstrahl überraschte ihn. Verdutzt machte er die Augen wieder auf. Damit hatte er nun am wenigsten gerechnet. Ein winzig kleiner Teil seines Verstandes hatte sogar auf irgendeine Form der Zärtlichkeit gehofft und da wurde er einfach so abgebraust! „Besser?“ Seto nickte nur und folgte mit den Augen dem jungen Mann, der wieder seinen Platz einnahm. Diesmal war er fast enttäuscht, als der Oberkörper wieder unter den Wasserspiegel verschwand. Wie gerne hätte er den Anblick noch etwas länger genossen. Entsetzt über den Gedanken schloss er schnell die Augen und rutschte etwas tiefer. Hoffentlich war dieser Schaum blickdicht und hielt lange! „Ich habe Yuki Bescheid gegeben. Sie wird mir frische Kleidung bringen, sobald sich der Regen etwas gelegt hat.“ „Mhm.“ Er traute sich nicht etwas zu erwidern, weil in ihm plötzlich die Frage aufkam, was der Chef wohl tun würde, wenn er nichts hätte, um sich nach dem Bad wieder anzukleiden. Die Nähe des anderen war ihm immer noch viel zu sehr bewusst und nagte an seiner Selbstbeherrschung. Zwei konkurrierende Ideen schwirrten in seinem Kopf. Die eine beinhaltete die Frage, ob das Wasser sich zu verräterisch bewegen würde, wenn er mit der Hand in tiefere Regionen seines Körpers gehen würde. Nur ein wenig streicheln. Würde er sich tatsächlich einen runter holen, hätte er zu große Angst sein Gesicht könne etwas preisgeben. Die zweite war absolut schamlos und beinhaltete eine Menge Eigeninitiative seinerseits. Er könnte sich doch einfach auf den Schoß des anderen begeben, diesen abknutschen und warten, was passieren würde. Er sah aber auch zu verführerisch aus mit den leicht geröteten Wangen – anscheinend kämpfte auch er mit den Temperaturen. Doch blieb da das Problem, dass er keinerlei Erfahrungen hatte – und sein Ego es nicht ertragen könnte zurückgewiesen zu werden. Irritiert beobachtete er nun einfach den anderen, der sich mit einer geschmeidigen Bewegung aus der Wanne erhob und in die Dusche stieg. Seto erkannte an der Handdrehung, dass er sie auf kalt stellte, schielte er doch vorsichtig mit nur noch halbgeschlossenen Augen zu ihm hinüber. Fast hoffte er, dass das vollgesogene kurze Handtuch der Schwerkraft folgen würde. Und sein Wunsch wurde tatsächlich erhört – allerdings erst, als die ersehnte Hüfte in ein größeres Badehandtuch, das am Wannenrand gelegen hatte, geschlungen war. Zielstrebig ging der Hotelmanager zum Schrank, nahm sich einen Bademantel heraus und zog diesen so an, dass später wohl möglichst wenig von seiner nackten Brust zu sehen sein würde, den Rücken dabei stets zur Wanne haltend. „Ich mach einen Tee. Aber Sie sollten auch nicht mehr so lange im Wasser bleiben“, meinte er schlicht, als er sich im Türrahmen noch einmal nach ihm umdrehte und dann die Tür hinter sich schloss, was Seto genug Privatsphäre zumindest für seine erste Idee gab. Idee zwei war mit dem Duschen hinfällig geworden. Drei Stunden später verabschiedete sich der Hotelmanager bei ihm an der Tür zum Wohnzimmer. Yuki hatte ihm tatsächlich frische Sachen und einen Schirm vorbeigebracht, selbst gekleidet in eine Regenjacke, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, da es noch immer regnete. Doch er war noch zum Abendessen geblieben und hatte das Gespräch über Märchen weitergeführt. Aber nun stand er direkt vor ihm, keine 15 Zentimeter von ihm entfernt. Die Stufe auf der Seto stand war nur ein kleiner Ausgleich und erlaubte ihm nur ein wenig, auf ihn hinab zu sehen, während er sich für den Spaziergang bedankte. Ein seltsames Lächeln schlich sich auf die Lippen seines Gegenübers, der wie selbstverständlich erwiderte, dass eher er sich bedanken müsste, weil er endlich wieder jemanden zum Spazieren und Reden gehabt hätte. Dann beugte er sich vor – auf die Zehenspitzen musste er sich nicht stellen, es reichte völlig aus, den Kopf etwas in den Nacken zu legen – und gab ihm einen Abschiedskuss auf die Wange. An einer Stelle der Wange, die nur sehr knapp neben Setos Mund lag, als hätte er im letzten Moment sich dagegen entschieden diesen zu küssen. Mit einem „Gute Nacht“ war er auch schon zur Tür hinaus, bevor Seto etwas erwidern konnte – wäre ihm denn in seinem geschockten Zustand ein passender Satz eingefallen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)