Chaosbrut von Jadis ================================================================================ Kapitel 5: Utopia ----------------- 5 ¨¯¯¨˜“ª¤.¸°¸.¤ª“˜¨¨¯¯¨ Utopia Ich spüre die Hitze der Explosion noch immer auf meiner Haut, als das Glas mit einem Scheppern auf den Küchenboden kracht und sich scharfkantige Glassplitter in alle Himmelsrichtungen verteilen. Meine Hände krallen sich am Spülbecken fest und ich ringe nach Atem. Wie zum Henker bin ich hierher gekommen? Und warum um alles in der Welt fülle ich in aller Seelenruhe ein Glas mit Wasser, obwohl ich gerade mit ansehen musste, wie der Vater meines Kindes auf dem harten Asphalt des Champ de Mars zerschellte? Ich schlage mir die Hand vor den Mund und taumele rückwärts. Meine nackten Füße treten in Scherben, Blut tritt aus den Wunden hervor und färbt den Boden rot, doch ich spüre keinen Schmerz. Nicht diesen Schmerz. Eine viel tiefer sitzende Pein hat von meinem Inneren Besitz ergriffen und bahnt sich einen Weg an die Oberfläche. Ich will schreien, aber kein Laut kommt mir über die Lippen. Dunkelheit umgibt mich, meine Augen füllen sich mit ungeweinten Tränen und als ich gerade endgültig zusammenbrechen will, berührt mich jemand am Arm. Ich wirbele erschrocken herum, nur um in Lokis stechend grüne Augen zu schauen, die selbst in der finstersten Neumondnacht zu glühen scheinen. Meine Fantasie spielt mir einen Streich, denke ich, doch dann packt Loki mich an beiden Oberarmen und tritt näher an mich heran, schaut besorgt in mein aufgelöstes Gesicht. Ich spüre seine Berührungen, seine Wärme und seinen Atem auf meiner Haut. Ich beginne zu weinen, als er seinen Kopf schief legt und mir in die Augen sieht. Erleichterung durchflutet mich. »Rey-Rey, was ist denn los?«, fragt er uns streicht mir mit den Daumen über die Wangenknochen. »Du bist am Leben«, flüstere ich und meine Stimme klingt entsetzlich rau und gebrochen. »Du lebst!« Ich streiche ihm das Haar aus der Stirn und berühre immer und immer wieder sein Gesicht. Ich hatte solche Angst. Solch entsetzliche Angst. Loki sagt nichts, sieht mich nur weiterhin fragend an und zieht mich schließlich an sich. Meine Wange ruht an seiner Brust, seine Hand streichelt meinen Kopf und ich kann seinen Herzschlag hören, während meine Tränen sein Shirt tränken. Nicht tot, er ist nicht tot! Ich kann einfach nicht aufhören zu weinen. »Willst du mir nicht sagen, was passiert ist?«, flüstert er fragend ganz nah an meinem Ohr und ich runzele verwirrt die Stirn. Weiß er es etwa nicht mehr? Ich löse meinen Kopf von seiner Brust um ihn ansehen zu können und wische mir mit dem Handrücken über das Gesicht. »Immortus«, beginne ich zweifelnd. »Er hat uns aufgespürt. Ihr habt gekämpft. Der halbe Eiffelturm ist uns um die Ohren geflogen und du... du...« Meine Stimme versagt. Ich muss den Blick abwenden, kann nicht länger in sein zweifelndes Antlitz blicken. »Ganz ruhig«, lullt mich Lokis sanfte Stimme ein und er nimmt mein Gesicht in seine Hände. »Das war nur ein Traum. Wir-« »Nein«, unterbreche ich ihn vehement und meine Augen weiten sich, bei dem bloßen Gedanken an das Gesehene. »Nein! Es war real. Es muss real gewesen sein. Ich spüre immer noch die Hitze auf meiner Haut, höre Immortus' Lachen. Das kannst du doch nicht vergessen haben.« »Riley!«, sagt Loki nun bestimmt und führt mich zum Sofa, wo wir uns vorsichtig setzen. »Wir waren in Paris«, erklärt er mir und ich nicke, als er meine Hände greift. »Wir waren Essen, sind an der Seine spazieren gegangen und haben vor dem Louvre zu Straßenmusik getanzt. Da war kein Immortus. Du hast nur schlecht geträumt.« Ich fühle mich wie eine Geisteskranke, schüttele wiederholt den Kopf und meine Haare fallen mir dabei wirr ins Gesicht. Ich kann mich weder an den Tanz, noch an die Straßenmusiker, geschweige denn an das Louvre bei Nacht erinnern. Da ist immer nur dieses grüne Glimmen. Ich muss endlich mit der Sprache raus rücken. Darf meine Sorgen und Ängste nicht länger nur für mich behalten. »Ich hatte schon mehrmals solche... Utopien.« Ich sträube mich, diese trügerischen Eingebungen Träume zu nennen. »Ich sah Byleist, Hel, Immortus, eine Gestalt aus Licht, dich, Dali. Und es endete immer mit deinem Tod.« Jetzt weine ich wieder. Ich erinnere mich, dass ich Sand zischen meinen Zähnen spürte, die Hitze der Explosion auf meiner Haut und nicht zu vergessen meine blutende Augenbraue nach der Vorstellung der Eiswelt. Das sind keine Träume. Es sind Warnungen. Etwas wird geschehen. »Was, wenn ich den Verstand verliere?« Etwas in Lokis Blick ändert sich. Er wirkt traurig, und dann ist da noch etwas anderes. Etwas, was ich nicht deuten kann. Er greift meine Hände fester. »Hat Hel etwas gesagt?«, fragt er so leise, dass ich nur erahnen kann, was er gesagt hat. Ich nicke, ebenfalls kaum merkbar. »Dasselbe wie damals. Dass es an der Zeit ist.« Loki blinzelt verstehend und zieht mich erneut an sich. »Was bedeutet das?« »Das weiß ich nicht.« Ich kann sein Gesicht nicht sehen, vermute aber, dass es mir sagen würde, dass er ganz genau weiß, was es bedeutet. ~ Ich stehe an Dalis Bettchen, während Bob an meinen Füßen schnuppert und sich vermutlich nicht erklären kann, weshalb ich diese modischen Sandalen aus Mullbinden an den Füßen trage - das letzte Überbleibsel meiner Bekanntschaft mit den Glasscherben letzte Nacht. Ich sehe auf Dali hinab, der mächtig damit beschäftigt ist, sein Findet Nemo Plüschtier knapp über seinen Händen am Schweben zu halten. Ich streiche liebevoll über sein dunkles Haar und diese Geste lenkt ihn so sehr ab, dass Nemo geräuschlos nach unten plumpst und fast durch die Stäbe des Kinderbettes rutscht. Dali fängt fast augenblicklich an zu weinen und ich hebe ihn schnell in meine Arme, um ihn zu beruhigen. Auch Bob ist sogleich völlig aufgelöst und winselt, während er unruhig auf uns ab läuft. Ich wieder Dali beruhigend in meinen Armen, halte sein Köpfchen an meiner Schulter beginne sein Lieblingslied zu singen. Das mit dem glitzernden Regenbogenfisch. Schnell beruhigt er sich wieder, klatscht sogar in seine Händchen und setzt wieder sein niedliches Lächeln auf. Ich setze ihn schräg auf meine Hüfte und gehe durch das Schlafzimmer hindurch in Richtung Wohnzimmer, wo ich Loki leise telefonieren höre. Bob folgt uns. In der offen stehenden Schiebetür zwischen Schlaf- und Wohnzimmer bleiben wir stehen und beobachten Loki dabei, wie er Mrs. Fishs Futter langsam auf die Wasseroberfläche des Aquariums krümelt und dabei sein Telefon zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt hält. »Ja«, sagt er gerade zu seinem Gesprächspartner und ich wechsele Dali auf die andere Seite meiner Hüfte, während Bob mir über die Zehen leckt. »Es hat begonnen... Ich weiß...« Es folgt eine lange Pause. Es ist so still, dass ich das Tropfen des Wasserhahns in der Küche bis hier herüber hören kann. Fasziniert beobachte ich unterdessen, wie sich das durch das Fenster fallende Licht in Lokis Haaren bricht und ihnen einen fast grünen Schimmer verleiht. »In Ordnung«, sagt Loki dann und legt ohne Verabschiedung auf. Als er sich umdreht, wirkt er nicht überrascht uns drei in der Tür stehen zu sehen. »Wer war das?«, will ich wissen. Dali zieht an meinen Haaren und ich muss mich bemühen, nicht das Gesicht zu verziehen. »Stark«, sagt Loki und legt sein Telefon auf die Anrichte neben sich. »Gibt es ein Problem?«, frage ich, obwohl ich die Antwort schon kenne. Immortus. »Sitzt er wieder auf dem A fest?« Ich lache humorlos auf. Loki lacht nicht. »Wir müssen hier weg«, meint Loki nur und mir wird bei seinem Gesichtsausdruck mit einem mal himmelangst. Ich drücke Dali fester an mich. »Packen wir am besten gleich ein paar Sachen. Nur das Nötigste.« Ich beobachte, wie Loki seinen Laptop vom Schreibtisch nimmt und nach dessen Transporttasche sucht. Sein Weg führt ihn ins Schlafzimmer. Als er auf unserer Höhe ist, berührt er mich kurz an der Wange. »Sagst du mir auch wieso?«, will ich wissen und er hält vor dem geöffneten Schlafzimmerschrank kurz inne. »Immortus wird uns schon bald aufgespürt haben,« erklärt er sachlich. Uns, oder nur mich? »In deinen Träumen hat er es schon.« Erkenntnis durchflutet mich so kalt wie Eiswasser. Ich wusste es. Das waren keine normalen Träume. Immortus wird mich finden. Und er wird mir den Garaus machen. Jede Farbe weicht aus meinem Gesicht. Aus dem Nichts zaubert Loki ein Armband hervor, tritt an uns heran und stülpt es dem glucksenden Dali über den Arm. Wo hatte er denn das versteckt? Zwischen seinen Unterhosen? An Dalis Handgelenk verändert das goldene Armband seine Größe und passt sich perfekt an den Kinderarm an. Kein Blatt Papier passt mehr zwischen Haut und Armband, und dennoch ist es elastisch und schneidet nicht in die Haut ein. »Ortungszauber?«, frage ich, weil ich auch so etwas trage. »Nein«, sagt Loki und sieht mir dabei nicht in die Augen. »Ein Relikt welches jede Art von Magie unterdrückt.« Ich begreife nur langsam, während Dali bereits versucht seine Finger unter sein neues Armband zu schieben, aber kläglich scheitert. »Dali darf keine Magie mehr wirken?«, frage ich, aber es ist eher eine Aussage und ich beginne nun wirklich diesen Immortus-Typen zu hassen. Was tut er uns nur an?! »Nicht nur er«, sagt Loki leise und streicht mir eine Haarsträhne aus der Stirn. »Moment«, sage ich und schließe überlegend die Augen, aber Loki kommt mir zuvor und ich sehe ihn an. »Immortus wird bald herausfinden, dass hier in Valdez die höchste Ansammlung asischer Magie auf ganz Midgard ist. Und wenn er diese... Signatur erst einmal hat, kann er uns immer und überall aufspüren, egal wo wir uns auch befinden.« Aber er will doch nur mich, denke ich. Vielleicht ist mein Tod nur ein geringer Preis dafür, dass mein Sohn und sein Vater das sein können, was sie sind. Götter. »Loki«, sage ich und meine Stimme hat etwas endgültiges, während ich mich auf das Bett setze und Dali auf meinem Schoß in eine angenehme Position bringe. Ich will nicht, dass er alles was er ist für mich aufgibt, also äußere ich meine Bedenken, auch wenn es mir schier das Herz bricht. »Wir wissen doch beide, dass der Tag kommen wird, an dem wir getrennte Wege gehen werden.« Und wenn es Immortus ist, der uns auseinander reißt, dann sei es so. Ich kann einfach nicht zulassen, dass Loki für den Rest meines Lebens sein Selbst verleugnet. Loki verschränkt die Arme vor seiner Brust und verengt seine Augen zu Schlitzen. »Machst du gerade mit mir Schluss?«, fragt er und seine Stimme verrät keinerlei Emotion. Ich weiß es nicht. Tue ich das? Der Gedanke an eine Trennung fügt mir beinahe körperliche Schmerzen zu. »Nein«, sage ich schließlich bestimmt. »Ich meine ja nur, dass es vielleicht besser ist, wenn wir einmal darüber nachdenken-« »Genug!«, sagt Loki harsch und unterstreicht seinen Ausruf mit einer entsprechenden Geste. Ich erschrecke, aber nur weil Dali sich auf meinem Schoß bewegt und sich ruckartig gegen mich fallen lässt. »Sag so etwas nie wieder«, fügt er ruhiger hinzu und geht vor uns in die Knie. Bob kommt näher, lässt sich daneben plumpsen und schaut uns alle mit treudoofem Blick schwanzwedelnd an. Loki berührt meine Beine, beugt sich noch weiter nach vorn und haucht Dali einen Kuss auf den Hinterkopf. Seine Stimme wird sanft als er fortfährt. »Diese Entscheidung kannst du nicht für mich treffen. Ich habe mich für dieses Leben entschieden, weil ich dich liebe. Und wenn ich für ein Leben mit dir und unserem Sohn nur ein bisschen Magie aufgeben muss, dann würde ich diese Entscheidung immer und immer wieder treffen, auch im nächsten Leben und in den tausend die noch folgen werden.« Ich verziehe das Gesicht und kann ein Lachen nicht unterdrücken. »Entschuldigung«, sage ich schnell, um ihn nicht zu kränken. »Was?«, presst er langsam hervor und wirkt alles andere als gekränkt, eher belustigt. »Das klingt so kitschig und abgedroschen. Wenn das jetzt irgend so ein Hollywoodstreifen wäre, dann könnte ich gar nicht so viel essen wie ich würde kotzen wollen.« Loki lacht schallend los, springt auf seine Beine und hebt Dali mit sich nach oben, wo er mit ihm im Arm zurück zum Schrank schlendert. Ich weiß, dass er es genau so meint, aber ein Gott der Lügen und Illusionen sollte so etwas malerisch Gefühlvolles nicht laut aussprechen. Wenn das jemand mitbekommt, ist sein Ruf ja gleich völlig hinüber. »Und in unserem ganz persönlichen Hollywoodstreifen würde ich jetzt wahrscheinlich erwidern, dass ich ähnlich fühle. Dass ich mein Bett bereits mit vielen Typen geteilt habe, doch dass es mit dir ganz anders ist. Kein Spiel, nicht reine Wollust, Ekstase. Es ist wie eine Heimkehr. Es findet kein Ende. Es gibt nur immer und immer wieder einen neuen Anfang.« Meine Füße baumeln in der Luft und ich sehe Loki abwartend an, der in den geöffneten Schrank vor sich starrt, ohne dessen Inhalt zu sehen. Bob springt an mir empor und will gestreichelt werden, Dali grabscht nach meinen dünnen Sommershirts und zieht diese eifrig aus dem oberen Fach. Schließlich verzieht auch Loki ablehnend das Gesicht und sieht mich an. »Du hast Recht. Das ist schmalzig.« »Siehst du«, sage ich und kraule Bobs Ohr. »Fast schon widerlich.« Ich muss kichern, doch dann wird Loki ernst und sieht mir eindringlich in die Augen. »Wir gehören zusammen«, sagt er mit fester Stimme und diese Aussage wird somit zum ungeschriebenen Gesetz. »Ich weiß«, gebe ich zurück. Tränen glitzern in meinen Augen. »Und nichts und niemand wird uns trennen. Nicht einmal Immortus.« Immortus vielleicht nicht, denke ich. Aber mein Tod vermutlich schon. Irgendwann. »Okay«, sage ich leise und befürchte, dass schon bald nichts mehr so sein wird wie es jetzt ist. Und so wie jetzt ist, ist es perfekt. ~ Ende des 5. Kapitels ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)