Waidmannsheil von Hannibal ================================================================================ Kapitel 3: Begegnungen ---------------------- Man hörte das laute Klappern von Töpfen und Pfannen, ehe man eine männliche Stimme rufen hörte: „Sehr schön, ich bin in der Küche!“ Juan legte den Schlüssel beiseite und gesellte sich zu seinem Bruder in die Küche. „Hmm...das riecht aber gut hier.“, kommentierte er dessen Bemühungen am Herd. Tulio drehte sich um und angelte sich vom gegenüberliegenden Bord ein Glas mit Gewürzen. Er war Juan recht ähnlich, allerdings war Tulio ein wenig stabiler gebaut und wirkte in allem etwas rundlicher. Sein Haar und der gestutzte Rundbart waren von einem dunklen Braun, wobei seine Augen graublau wie die seines Bruders waren. „Freut mich, bis zum Essen dauert es nicht mehr lange.“ Juan nickte und ging hinüber zum Kühlschrank, wo er sich ein Alsterwasser herausnahm. „Wir haben kaum noch Dosen da. Bringst du morgen welche mit?“, fragte er Tulio, der sich umdrehte und mit den Achseln zuckte. „Vielleicht. Wenn ich dazu komme.“ Juan schnaubte und verzog sich mit seiner Dose ins Wohnzimmer, wo er den Fernseher einschaltete. Gelangweilt zappte er durch das Programm und blieb schließlich bei einer Dokumentation über Australien hängen. Hector indessen lief vor dem Hauseingang in der Diele auf und ab. Er hatte anscheinend etwas bemerkt, was den anderen Hausbewohnern bisweilen entgangen war. Tatsächlich schlich sich in eben jenem Moment ein großer dunkler Schatten um das Haus herum und äugte in die beleuchteten Fenster. Tulio werkelte in der Küche herum und bemerkte den neugierigen Eindringling erst als dieser mit der Nase nachdrücklich gegen die Fensterscheibe stieß. Diese Handlung hatte einen empörten Ausruf zur Folge. „Salpeter! Nimm deine neugierige Nase da weg!“, fauchte dieser das Tier an und Salpeter zog, beleidigt die Fensterscheibe anschnaubend, den Kopf zurück. Mit dem Kochlöffel in der Hand kam Tulio ins Wohnzimmer und klopfte seinem Bruder mit ebendiesem Löffel auf die Schulter. „Hey, sieh mal zu das du dieses Riesenbiest wieder in sein Nest verfrachtest!“ Etwas perplex schaute Juan zu ihm hoch. „Hä?“ Murrend deutete Tulio in Richtung Fenster, wo Salpeter sich dazu entschlossen hatte, an den Blumen im Beet zu knabbern. Aufseufzend erhob der Ältere sich und ging hinaus, während Tulio sich wieder in die Küche verzog. Salpeter ließ sich unter leisem Protest wieder in Richtung Felsvorsprung, beziehungsweise Höhle treiben, in die er sich leise quietschend verzog. Als Juan zwanzig Minuten später wieder zuhause eintraf, hatte sein Bruder schon den Tisch gedeckt und das Abendessen serviert. Tulio hatte aus den letzten Resten noch ein passables Wildschweinragout gezaubert. Juan brachte dies lobend zur Sprache und Tulio nickte, ehe sie nach dem gemeinsamen Mahl den Tisch abdeckten und jeder seiner Wege ging. Der Ältere verzog sich mit seinem Laptop ins Wohnzimmer, wo er seine Gebietskarten erweiterte und ein paar Tabellen ergänzte. Der Gams- und Rotwildbestand war dieses Jahr stark angewachsen und Juan vermutete, das sich dies auch in der nächsten Zeit halten würde, wenn der Winter milde war. In der Nähe auf dem Sofa schaute Tulio etwas fern, während Hector auf dem Boden vor dem Kamin, wo der Holzboden eine sehr unregelmäßige, dunkle Färbung angenommen hatte, leise vor sich hin döste. Zwei Stunden später stand Juan auf, klemmte den Laptop unter den Arm, wünschte dem Bruder eine gute Nacht und stieg die Treppe zu seinem Schlafzimmer hoch. Dort pfefferte er seine Klamotten in den Korb und ging sich frischmachen, bevor er noch etwas in seinem aktuellen Buch las und schließlich das Licht löschte. Gegen sechs Uhr in der Früh klingelte auch schon wieder der Wecker und riss Juan aus seinen wirren Träumen. Verschlafen schaute er auf den Nachttisch, gähnte leise und stieß bei dem Versuch den schrillenden Wecker auszuschalten beinahe das gerahmte Bild einer jungen Frau vom Nachttisch herunter. Rasch griff er danach und hielt es fest, während sein Blick auf der Person ruhte, die ihn aus dem Bild heraus anlächelte. Mit einem leisen Seufzen stellte Juan es, etwas heftiger als nötig, zurück auf den Nachttisch und stand auf. Flugs zog er sich an, stieg die Treppe hinab und ging etwas kleines frühstücken, ehe er seine Tasche packte und Hector deutlich machte, das er los wollte. Draußen schaute das Licht der Sonne noch sehr diesig zwischen den Bäumen hervor und einige Vögel zwitscherten schon ihr Morgenlied, während Juan mit Hector hinüber zum Auto ging, wo er Hund und Tasche einlud und anschließend den Wagen in ein wenig begangenes Gebiet des Parks lenkte, wo auch nur Forstmitarbeiter Zutritt hatten. Das Auto stellte er ab, öffnete die Heckklappe und füllte ein kleines Napf mit Wasser, das er Hector hinstellte, ehe er dem Hund deutlich machte, das er dort zu warten hatte. Folgsam setzte der Wolfhund sich auf die Hinterbeine und beobachtete sein Herrchen mit schiefgelegtem Kopf, als dieser sich auf den Weg zu einem nahen Ansitz machte. Die Leiter zum Ansitz war schon reichlich abgetreten von all den Jahren des Gebrauchs, die Luke müsste dringend mal erneuert werden, stellte Juan beim Aufstieg fest. Oben angelangt stellte er Flinte und Tasche beiseite, bevor er es sich auf der hölzernen Bank bequem machte und den Feldstecher zur Hand nahm. An den hohen Gräsern der Lichtung brach sich das Licht in den kleinen Tautropfen, die sich noch von der Nacht an ihnen festhielten. Eine leichte Brise brachte die Zweige und Blätter der Bäume in Bewegung und ließ sie leise rascheln. Zufrieden mit dem was er sah, legte Juan das Fernglas beiseite und begann sorgfältig damit, seine Waffen zu laden, auch wenn er heute nicht wirklich vorhatte sie zu benutzen, jedoch konnte man nie wissen. Anschließend stellte sich Ruhe ein, das einzige was zu hören war, waren die ureigenen Geräusche des Waldes. Aufseufzend schloss Juan die Augen und begann sich zu entspannen. Dies war das einzige Umfeld, wo er wirklich restlos abschalten konnte. Eine Weilte später wurde er durch ein nahes Rascheln wieder aufmerksam, rasch nahm er wieder den Feldstecher zur Hand und spähte hinaus auf die Lichtung. Am Waldrand bewegte sich etwas, angestrengt suchte er die Baumränder ab, bis er fand was er suchte. Im Unterholz konnte er eine starke Bache entdecken. Dies brachte ihn zum lächeln, denn er kannte dieses Tier schon länger. Sie hatte dieses Jahr wieder ein paar Frischlinge gehabt, die sich gut entwickelten. Er schwenkte mit dem Fernglas ein Stück herum, denn vielleicht hatte sie ein paar ihrer Frischlinge dabei. Es würde ihn brennend interessieren, wieviele aus diesem Jahr bis jetzt überlebt hatten und tatsächlich hatte die alte Bache noch fünf von ihren ursprünglich sieben Jungtieren dabei. Zufrieden sah er der kleinen Familie dabei zu, wie sie am Rande der Lichtung nach etwas fressbarem im Waldboden wühlten. Die jungen Schweinchen gingen sich hin und wieder spielerisch an und tollten durch das welke Laub des Vorjahres. Von der anderen Seite der Lichtung ertönte ein lautes Knacken, welches die Bache aufschreckte. Binnen weniger Sekunden war sie mitsamt ihrem Nachwuchs zwischen den Bäumen verschwunden. Ein wenig verärgert spähte Juan in die Richtung, aus der das Geräusch kam, da er wissen wollte, wer oder was die Bache verscheucht hatte. Aus den Schatten löste sich ein einzelner, älterer Rothirsch. Es war ein später Kolbenhirsch, auch Grashirsch genannt, und sicher schon gute fünfzehn Jahre alt. Sein Geweih setzte schon seit Jahren zurück und wurde von Jahr zu Jahr immer dünner und schwächer. Jedoch war dieser alte Hirsch für Juan etwas ganz Besonderes, denn diesen kannte er schon seit seiner frühen Jagdzeit in Jugendjahren. Zu seinen besten Zeiten war dieser Hirsch ein kapitaler Bursche gewesen mit einem wahrlich stattlichen Kopfschmuck. In Juans Büro unten im Tal hin ein gerahmtes Bild von eben diesem Hirsch. Aufmerksam betrachtete der Ranger das Tier durch dein Fernglas, er suchte nach Verletzungen oder anderen Auffälligkeiten an dem alten Bullen, konnte zu seiner Erleichterung aber nichts Beunruhigendes feststellen. Der Hirsch jedoch bemerkte nicht das er beobachtet wurde und setzte majestätisch seinen Weg über die Lichtung fort. Das Sonnenlicht brach sich in dem Rot seiner Sommerdecke und leuchtete glühend auf. Ein wirklich schönes Tier. Juan legte behutsam das Fernglas beiseite, beugte sich etwas vor um sich mit den Ellenbogen auf der breiten Brüstung der Kanzel abzustützen und Kopf nachdenklich daraufzulegen. Die Luft roch verführerisch nach Nadelhölzern und eine leichte Brise bewegte die Gräser auf der Lichtung in einem sanften Rhythmus hin und her als ein heller Fleck mitten auf der Lichtung erschien. Was war denn das? Schlagartig sah Juan hoch und kniff die Augen zusammen um besser sehen zu können. Nach dem ersten Blick zu urteilen schien es sich um eine junge Frau zu handeln, eine Frau mit langen dunklen Haaren und einem bunten Kleid. Was machte denn so jemand hier in dem geschützten Gebiet, wo niemand außer den Wildhütern Zutritt hatte, es sei denn.... Hektisch griff er nach seinem Fernglas und schaute erneut auf die Wiese, tatsächlich, es handelte sich um eine junge Frau in einem geblümten Sommerkleid. Wie gebannt starrte Juan sie an und bemühte sich, nicht zu blinzeln denn er fürchtete, das sie nur Einbildung war. Wie eine Nymphe drehte sie sich herum, während sich die Sonnenstrahlen in ihren Haaren fingen und sie in ein unwirklichen Schein tauchten. Fast wie in Trance verfolgte Juan jede ihrer Bewegungen als er plötzlich stutzte, die Frau kam ins Taumeln und hielt sich die Brust, als auf ihrem Kleid ein immer dunkler werdender Fleck erschien. Mit einem stummen Schrei auf den Lippen brach sie zusammen und schien dann zu verstummen. Urplötzlich wandte sie sich um und starrte Juan direkt an, sodass dieser erschrocken zusammenzuckte. Ihr blau gefärbter Mund intonierte wortlos einen Satz, den er nicht zu deuten vermochte. In Panik sprang er auf, nur noch von dem Wunsch beseelt eiligst zu flüchten, und stieß sich heftig den Kopf am Dach der Kanzel. Und war prompt hellwach. Sein Kopf schmerzte jedoch immernoch. Langsam fasste er mit der Hand nach hinten, um festzustellen ob er blutete. Glücklicherweise war dies nicht der Fall. Jedoch ging Juan sein Traum nicht mehr aus dem Kopf. Verdammte Scheiße...das konnte ja wohl nicht wahr sein. Sie würde ihn nie loslassen, das war ihm klar. Als er den Blick über die Lichtung schweifen ließ, wo der Hirsch schon längst nicht mehr zu sehen war, wurde ihm auch klar, das es keinen Sinn mehr machte noch länger hier zu verweilen. Diese Ruhe war gestört worden und der Zauber dieses Ortes verflogen. Schweigend und mehr als beunruhigt packte Juan seine Sachen ein und verließ den Hochsitz. Lag es an ihm oder war es im Wald stiller geworden? Die Blätter der Bäume schienen etwas von ihrem satten Grün verloren zu haben und die Vögel schwiegen auch urplötzlich. Missmutig schüttelte der Rothaarige den Kopf und versuchte die negativen Gedanken zu verscheuchen. Das war doch alles Blödsinn. Hector erwartete seinen Herren bereits schwanzwedelnd und gestattete sich sogar ein leises Kläffen, was ihm ja sonst auf Jagd nicht erlaubt war. Juan tadelte ihn nicht. Seufzend legte er seine Tasche in den Kofferraum, ehe er dem Hund über den Kopf streichelte. „Komm Hector, lass uns nach Hause.“ Mit diesen Worten stieg Juan wieder in den Wagen und lenkte das Gefährt zurück auf den Waldweg. Kurz überlegte er das Radio anzuschalten, ließ es aber bleiben. Inzwischen war dieses merkwürdige Gefühl der Stille verschwunden, wofür Juan ziemlich dankbar war. Dennoch hinderte ihn auch nicht der muntere Gesang der Vögel daran, seinen Gedanken nachzuhängen. Diese Unaufmerksamkeit führte dazu, das er beinahe die junge Fußgängerin übersah, die am Wegesrand saß. Eilig bremste er ab, um die Frau nicht zu überfahren. Sie schien ungefähr Anfang zwanzig zu sein, hatte das blonde Haar zu einem kecken Pferdeschwanz zusammengebunden und trug einen großen Wanderrucksack mit sich. Bis eben war sie noch damit beschäftigt auf ihrem Handy herumzutippen und ein resigniertes Gesicht zu ziehen, was von einer Maske der Panik ersetzt wurde, als sie den großen Geländewagen direkt auf sich zukommen sah. Jedoch reagierte Juan gerade noch schnell genug und trat mir voller Kraft auf die Bremse, wodurch der Wagen mit einem Ruck zum stehen kam und Hector im Kofferraum hin und her schlitterte um nicht den Halt zu verlieren. „Entschuldige, Hector...“, murmelte Juan. Die Frau unterdessen machte trotz seines offensichtlichen Erschreckens keine Anstalten aufzustehen. Kurzerhand stellte Juan den Motor ab, öffnete die Fahrertür und stieg aus. Langsam ging er zu der jungen Blondine hinüber, die versuchte zu lächeln, was aber hin und wieder durch ein kurzes Zusammenzucken ihrer Mundwinkel nicht so richtig gelang. „Hallo, junge Dame. Ist etwas nicht Ordnung?“, fragte Juan sie leise und rang sich selbst, trotz seiner düsteren Gedanken, ein Lächeln ab. Sie wischte sich den blonden, leicht gelockten Zopf über die Schulter zurück und legte leicht den Kopf schief. „Nunja, mal abgesehen davon das Sie mich fast überrollt hätten, habe ich nur noch ein kleines Problemchen.“, erwiderte sie achselzuckend und verwies auf ihr linkes Bein. „Klingt jetzt sehr klischeehaft, aber ich meinte ja so klug sein zu müssen, diese Wanderetappe allein meistern zu müssen und bin bei der einen Treppe dort hinten natürlich ausgerutscht und hab mir wahrscheinlich was am Knöchel getan.“ Juan nickte, während sie erklärte, schien aber nicht ganz bei der Sache zu sein. Seine Hand glitt an seinem Hosenbein hinab, wo er, am Oberschenkel festgebunden, sein Waidmesser trug. Eine Sekunde darauf fluchte Juan leise. „Ich habe mein Telefon leider auch nicht dabei.“, sagte er entschuldigend. „Ich bin der zuständige Ranger für dieses Gebiet. Dürfte ich mir Ihr Bein mal ansehen?“ Sie bejahte und krempelte das Hosenbein über den stabilen Wanderschuhen etwas hoch. Juan befühlte die Stelle vorsichtig, konnte aber nichts allzu beunruhigende feststellen. Zumindest sagten ihm das seine Basiskenntnisse in der Ersten Hilfe. „Sieht zum Glück nicht allzu schlimm aus, aber Sie sollten trotzdem sicherheitshalber einen Arzt aufsuchen. Steigen Sie ein, ich werde Sie zurück ins Tal bringen.“ Juan ging hinüber zu dem großen Geländewagen, öffnete die Beifahrertür um anschließend die junge Dame behutsam zu stützen und in den Wagen zu verfrachten. Anschließend verstaute er ihren Rucksack im Kofferraum und stieg wieder ein. „Von wo kommen Sie?“, fragte Juan sie, während er das Auto geschickt und enge Kurven und über schmale Waldwege lenkte, wo teilweise schon die Zweige der Bäume gegen die Autofenster klatschten. „Aus Köln, ich mache hier mit ein paar Freunden Urlaub. Wir machen ein paar Naturbilder und hoffen auch hin und wieder ein Tier vor die Linse zu bekommen.“, erklärte sie und zog aus ihrem Parka eine Kamera. Juan nickte. „Das klingt interessant, wirklich.“ Das schien die Frau zu erfreuen. „Ich bin Lydia Gutsherr.“ „Juan Santos...“, antwortete ihr Fahrer und reichte ihr kurz die Hand, ehe er ebendiese wieder an das Lenkrad legte. Lydia indessen fummelte an ihrer Kamera herum, ehe sie fortfuhr. „Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich für das Reisetagebuch meiner Gruppe ein Foto mache? Die wollen meine Dummheit sicherlich dokumentiert haben.“, sagte Lydia lachend. Juan musste grinsen und gab sein Einverständnis. Trotz der Schmerzen, die sie wohl hatte, hob sie lachend die Kamera und schoss ein Foto, bevor sie das Gerät drehte um ihm das Bild zu zeigen. Die junge Dame war wirklich sehr erfrischend und er fand es ziemlich schade, das er sich wohl bald von ihr würde verabschieden müssen. Aber so war es nunmal leider.... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)