Alle Wege führen nach Rom von fastcaranbethrem ================================================================================ Kapitel 2: Gott schütze die Königin ----------------------------------- I. In der hinteren Eckes des riesigen Salons steht ein Stuhl. Klein und verloren wirkend, neben einer riesigen Säule aus rotem Marmor, welche sich lang zur Decke reckt. Der Stuhl, zart und kunstvoll verziert durch filigrane Holzarbeit, gleicht einer Insel in einem tosenden Meer. Ein Meer aus schwarzgekleideten Männern und Frauen. Ihr Stimmengewirr erfüllt den Raum. Es dringt bis in alle Ecken und Spalten. Wie eine hohe Woge ansteigend, dann zu einem leisen Zischen abfallend, monoton und einschläfernd. Ab und zu trägt das Meer eine einzelne schwarze Welle an die Insel. Eine Welle aus tröstenden Worten und einem mitfühlenden Gesicht. Doch die tröstenden Wellen berühren die Insel nicht. Es hat sich zu einem Ort aus gähnender Leere und Trauer gemacht. Vermont d'Herblay näherte sich seiner Nichte. Mit großen, weit ausholenden Schritten durchquerte er den Saal, ohne sicher zu stellen, ob ihm sein Freund Charles d'Estcount weiterhin als Schatten folgte. Charles d'Estcount tat es und trug dabei auf seinem feisten Gesicht ein Lächeln, dass bei Menschen mit angenehmeren Charakterzügen starke Übelkeit auslöste. Renée d'Herblay saß regungslos auf ihrem Stuhl, versunken in Trauer. Der Schmerz über den Verlust ihres ermordeten Verlobten, saß tief in ihre Seele. Nun ruhten seine sterblichen Überreste im tiefen Erdreich. Mit der Selbstgefälligkeit, das Gefühl von Überlegenheit schon in die Wiegen gelegt bekommen zu haben, bauten sich beide Männer vor ihr auf. "Monsieur d'Estcount, darf ich Euch meine Nichte vorstellen? Renée d'Herblay." Sie wurden ignoriert. Vermont räusperte sich gereizt. "Renée, Charles d'Estcount." Juliette d'Herblay kam zur Unterstützung ihres Mannes heran. "Liebes, Monsieur d'Estcount ist sehr angetan von dir." "Mademoiselle, ich bin ein Bewunderer Eurer Schönheit." Renée hob ihr blutleeres Gesicht. Die Augen waren geschwollen und rotgerändert vom ständigen Weinen. Das Salz der Tränen hatte rote Flecken auf den blassen Wangen hinterlassen. "Ähm ... Ihr seht hinreißend aus." Ihre Augen blickten glanzlos und trüb zu ihm auf. Lady Juliette kicherte nervös und zehrte ihre Nichte aus dem Stuhl. Für die beginnende Transaktion war Renée in ein neues Trauerkleid aus üppiger Atlasseide gekleidet worden. Wenn sie sich bewegte knisterte es und schien zu flüstern. Dieses schlecht inszenierte Trauerspiel in 3 Akten war, wenn auch völlig unpassend für eine Beerdigung, nichts anderes als Brautwerbung. Wobei von Werbung, um das Wohlwollen der Braut ohnehin nicht gesprochen werden konnte. Der erste Akt, die Unterzeichnung des Ehevertrags, war schon längst abgeschlossen. Einfühlsamkeit und Rücksicht waren keine von Vermonts Stärken, aber wer mit Reichtum, Titel und Privilegien geboren wurde, benötigte diese Eigenschaften nicht. Renée war zu sehr in ihrem Leid gefangen, um sich für das Gebärden der drei älteren Personen zu interessieren. Sonst hätte sie vielleicht aufbegehrt und sich zu Wort gemeldet, natürlich mit einer Spur von Gehorsamkeit in ihren Worten. Sie wusste, was sich für eine Mademoiselle d'Herblay gegenüber ihrem Vormund gehörte. So aber ließ sie alles an sich vorüber ziehen, ohne zu begreifen. Das sanfte Licht der Kerzenleuchter spiegelte sich im Silber des Bestecks. Das Porzellan glänzte satt an seinen polierten Rändern. Ohne die Miene zu verziehen, trug der Diener dienstbeflissen Renée' s unberührtes Essen ab. Die Teller klirrten leise ineinander, ohne die vornehme Stille des Dinners zu stören. Die Dienerschaft des Hauses d'Herblay brachte mehr Mitgefühl für die Trauer der kleinen Herrin auf, als dessen Verwandtschaft. Als wiederholter Gast im Schloss, saß ihr Charles d'Estcount gegenüber. Er unterhielt sich ausschließlich mit dem Hausheeren. Nur seine kleinen Schweinsaugen saugten sich an ihrer Gestalt fest. Sein Blick war verheißungsvoll. Vor dem Grund seiner häufigen Besuche konnte sich selbst Renée nicht mehr verschließen. Übelkeit stieg in ihr hoch. Zum Glück verlangte die Etikette, dass sie nur anwesend war. Nicht, dass sie sich am Gespräch beteiligte. Sie hielt die Augen sittsam gesenkt und verbarg ihr Unbehagen. Das Menü zog sich endlos dahin. Die Stunden verstrichen, bis sich die Männer in den blauen Salon zurück zogen und Renée erlöst war. Müde schlich sie die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hinauf und ließ sich auf das Bett fallen. Sie rollte sich auf die Seite, zog die Knie an und schlang die Arme um ihren Körper. Ihr Blick ging ins Leere und sie überließ sich ihrer Trauer. Es klopfte leise an der Zimmertür. Zaghaft drückte sich Sophie durch den Türspalt und sah besorgt auf ihre junge Herrin nieder. Sie knetet unbehaglich die Hände. "Es ist noch Honigkuchen vom Nachmittag übrig geblieben. Ich hole Euch ein Stück." Renée schüttelte stumm den Kopf. "Ich hole Euch ein Stück und Ihr esst es, wenn Euch danach ist! Ihr habt kaum etwas zu Abend gegessen." Sophie überging den Einwand ihrer Herrin und verließ rasch den Raum. Mit einem vollbeladenen Tablett trat sie den Rückweg an. Sie konnte gerade noch ein Stück Kuchen retten, bevor die Knechte über den Rest herfielen. Die Milch schwabte gefährlich in ihrem Becher. Angespannt versuchte Sophie ihre Schritte vorsichtiger zu lenken, als unvermittelt neben ihr die Tür aufgestoßen wurde und Charles d'Estcount auf den Gang trat. Er tat dieses Rückwärts und direkt in die unglückliche Sophie hinein. Das Tablette wurde der Zofe aus der Hand gestoßen und die Milch ergoss sich über d'Estcounts Brokatweste. Entsetzt beobachtete sie, wie die weiße Flüssigkeit über den Seidestoff lief. Sprachlos starrte sie ihn an. D'Estcounts Züge verfärbten sich dunkelrot. Blau pochten die Adern an seinen Schläfen. Aus seiner Kehle erklang ein tiefes Grollen. Er packte Sophies Oberarm und drehte ihn ihr auf den Rücken. Wimmernd ging sie in die Hocke. Seine Hände umspannten wie Krallen ihren Arm und drückten zu. Er holte aus und traf ihr Gesicht. Er schlug nicht mit der flachen Hand zu, sondern mit ganzer Kraft und geballter Faust. Befriedigt wischte er sich ihr Blut, am Rock der am Boden liegenden Zofe ab. Eilig verließ er das Haus. Benommen rappelte sich Sophie auf und hob die Scherbenreste vom Boden. Lautlose Tränen liefen über ihre Wagen. "Sophie, wer war das?" Aufgeregt lief Renée hinter ihrer flüchtenden Zofe hinterher. "Sag mir doch, was passiert ist! Wer hat dir das angetan?" Sophie eilte den Gang entlang und verschloss weiterhin Mund und Ohren vor Renée's Fragen. "Sophie?" Sie schüttelte stumm den Kopf. "Was ist das für ein Lärm hier draußen?" Wütend trat Vermont d'Herblay aus seinem Arbeitszimmer und baute sich aufgebracht vor den beiden Frauen auf. "Renée mäßige dich!" Sein Blick glitt zu Sophie. "Sophie, hätte dich nicht Monsieur d'Estcount für deine Unschicklichkeit bestraft, dann hätte ich es getan. Pass in Zukunft gefälligst besser auf!" "Sophie? Monsieur d'Estcount war das?" Fassungslos sah Renée von dem gefühlskalten Gesicht ihres Onkels zu der jungen Dienerin. Lautlos bat diese ihrer Herrin zu schweigen. Mit raschelnden Röcken eilte sie den Flur hinunter. Wortlos drehte Renée sich herum und lief in ihre Gemächer zurück. Sie war viel zu aufgebracht, um mit ihrem Onkel vernünftig reden zu können. In ihrem Zimmer setzte sie ihre Wanderung fort, bis der Teppich sich an den Enden kräuselte. Wie konnte D'Estcount es wagen, sich an den Bediensteten des Hauses d'Herblay zu vergreifen. War die Vermählung mit ihr schon so weit zwischen den beiden Männern abgesprochen? Wie konnte er Sophie so etwas antun? Was würde er ihr, Renée antun? Was tat man ihr an? Tränen liefen über ihre Wangen. Ärgerlich wischte sie diese fort. Sie hatte lange genug geweint. Während sie sich in ihrer Trauer vergrub, bestimmten andere über ihr weites Leben. Doch das würde sich jetzt ändern. Ihr Herz raste schmerzhaft in ihrer Brust. Zu tiefst besorgt ging Renée zu Bett, ohne in der Nacht Schlafen zu finden. Als der Morgen anbrach und das Schloss zum Leben erwachte, hatte sie über alles sorgfältig nachgedacht. Der Zufall wollte es, dass Renée zu sehen bekam, wie grausam d'Estcount sein konnte. Sie würde nicht mehr den Weg des geringsten Widerstands gehen und das tun, was andere von ihr verlangten. Sie musste sich selbst beweisen, was in ihr steckte. Ihr Onkel strebte für sich selbst soviel Macht wie möglich an und der beste Weg dazu, war eine Verbindung der Häuser Herblay und Estcount. Ihn von der Heirat abzubringen, wäre ein sinnloses Unterfangen, darum stand ihre Entscheidung mit Punkt, Komma und dreifachen Ausrufezeichen fest. Wenn der Abend hereinbrach, dann wollte sie fliehen. Hinter den hohen Fensterscheiben schickte sich die goldene Scheibe der Sonne an, über den Himmel zu wandern. Der Rest des Tages ging wie in Trance an ihr vorbei. Die endlosen Stunden streckten sich schmerzhaft langsam dahin. Unwohlsein und Kopfschmerzen musste sie nicht einmal mehr vortäuschen. Sie war den Tag über fahrig und kaum bei der Sache. Als die Stunde des Abenddinners anbrach, bat sie ihren Vormund sich zurück ziehen zu dürfen. Besorgt sah Juliette d'Herblay ihrer Nichte nach. In ihrem Zimmer angekommen begann sie sich fieberhaft umzukleiden. Ein dunkles Kleid aus schwerem Samtstoff schien ihr das Richtige zu sein. Der Stoff war warm und reißfester als die dünnen Seidenkleider. Anschließend kletterte sie noch in einen dicken Pelzmantel. Sie band ihre Haare zu einem einfachen Zopf und packte in die kleine Reisetasche das wenige Geld was sie besaß, ihren Schmuck und Wechselwäsche ein. Kurz zögerte sie und beschloss ihrem Reisegepäck noch einige Dinge hinzu zufügen. Endlich glaubte sie sich gegen alle Widrigkeiten des Schicksals gewappnet zu sein. In ihrer Tasche schepperte es. Sie hängte sich die Tasche um und warf einen letzten zufriedenen Blick in den Spiegel. Dann drehte sie sich um und kippte langsam zur Seite. Sie stand still und horchte. All ihre Sinne waren auf die Geräusche im Schloss gerichtet. Dielen knarrten, Stimmen wisperten, Türen knallten, aber keine Schritte näherten sich ihrer Tür. Mit einem letzten Blick durch das Zimmer, öffnete sie die schweren Fensterflügel und sah in die Finsternis der Nacht hinaus. Die Parkanlage ringsum lag im Dunkeln. Wieder horchte sie, aber auch draußen waren keine nahen Geräusche zu hören. Vorsichtig ließ sie ihre Tasche hinunter fallen. Sie befand sich zwei Stockwerke über dem Boden. Ihr Herz schlug bis zum Hals, der Puls raste. Beherzt schwang sie ein Bein über die Fensterbrüstung, dann das andere. Unter ihr jagte die Katze eine Maus. Spielerisch stubste sie den kleine grauen Körper an und miaute genießerisch. Die Maus sprach ihr letztes Gebet. "Sophie? Sophie, wo steckst du, du nichtsnutziges Ding?" Juliettee d'Herblay hatte ihre Stimme eine Oktave zu hoch angesetzt. Sie räusperte sich und holte sie wieder herunter. "Ja, Madame?" "Geht es meiner Nichte besser? Sie ist jetzt schon über eine Stunde auf ihrem Zimmer." "Das weiß ich nicht, Madame. Sie hat mich weggeschickt." "Dann geh zu ihr! Pass auf, dass dieses ständige Weinen nicht ihren Teint ruiniert! Das hat man nun von dieser Unsitte, sich zu verlieben. Sie wird sehen, dass die Ehe mit Charles d'Estcount gut wird. Ich wurde als junges Mädchen auch auf Wunsch meiner Eltern verheiraten und Vermont und ich führen eine gute Ehe. Er in seinem Teil des Schlosses, ich in meinem. Respekt ist der Schlüssel, Sophie, aber was weißt du schon davon. Na, geh schon!" Madame schwebte davon. Als ob nicht die gesamte Dienerschaft wüsste, dass Madame ihre Einsamkeit im Opiumrausch ertränkte, dachte Sophie bitter, während sie Renée's Zimmer ansteuerte. Nach zurückhaltendem Anklopfen betrat sie den Raum. Das Zimmer war leer. Groß und verlassen stand das Bett an der rechten Wand. Der Wind spielte mit den schweren Vorhängen. Die Schranktüren standen offen. Fassungslos sah Sophie durch geöffnete Fenster in die Dunkelheit der Nacht hinaus. Sie hätte es wissen müssen, Mademoiselle Renée würde irgend eine Dummheit begehen. Nun zeugte nur noch das achtlos in die Ecke geworfene Abendkleid von ihren letzen Minuten in diesem Raum. ***** II. "Sophie?" Die arme Zofe bekam den Schreck ihres Lebens, als die heisere Stimme ertönte. Ruckartig zuckte ihr Kopf nach links und sie starrte in das blasse Gesicht ihrer jungen Herrin. "Mademoiselle Renée?" Sophie erstarrte zur Salzsäule. "Sophie, hilf mir!" flehte Renée kläglich. "Warum hängt Ihr draußen am Fenster?" Renée's Arme, um das doppelte ihrer ursprünglichen Länge verlängert, hielten den Fenstersims krampfhaft umschlossen. Ihr Hände krallten sich in die Marmorplatte, blutleer und taub vor Anstrengung. Die Beine scharrten hilflos an der Außenwand und versuchten Halt zu finden. Der Schweiß rann ihr in Strömen über das Gesicht, brennend in die Augen hinein. "Meine Beine .....Beine! Keinen Halt! ... Sopppphhie!" Das p ging fiepend vor Anstrengung unter. " Sophie tippelte vorsichtig näher und zupfte zaghaft an Renée's Ärmel, als wäre das purpurrote Gesicht und die vorquellenden Augen ihrer Herrin Anzeichen einer nahenden Explosion. "Sophie!" Ihre Stimme war nicht mehr, als ein heiseres Quieken. Sophie überwand sich endlich und griff beherzter zu. Sie zehrte beide Arme ins Zimmerinnere. Unter qualvollem Stöhnen rollte sich Renée über die Fensterbank und ließ sich zu Boden plumpsen, wo sie schwer atmend liegen blieb. Sophie gaffte fassungslos auf sie herab. "Aber Mademoiselle, wie lange hängt Ihr dort schon?" "Eine Ewigkeit, Sophie, seit einer Ewigkeit." "Aber wie ...? Wie konntet Ihr auf die Idee kommen, aus dem Fenster zu klettern? Wir befinden uns 6 Meter über dem Erdboden?" Sophie schüttelte fassungslos den Kopf. "Ich habe den Abstand zum nächsten Sims falsch eingeschätzt. Ich dachte, meine Füße müssten bequemen Halt finden." "Kommt, ich helfe Euch auf!" "Nein!" Renée wimmerte. "Lass mich hier einfach nur liegen! Bloß... bloß nicht anfassen!" Sie rollte sich auf den Rücken und blickte nach oben. Die Leuchter an den Wänden zauberten dunkle Kringel an die Zimmerdecke. Ihre Zofe kroch näher und hockte sich neben sie. "Was hattet Ihr denn vor? Ihr könnt doch nicht einfach davonlaufen!" "Ich muss! Ich kann Charles d'Estcount einfach nicht heiraten. Charles d'Estcount verkörpert alles, was ich an einem Menschen hasse und es wäre Verrat an Francois. Ich wollte versuchen, nach Paris zu kommen." "Nach Paris? Ihr wolltet ganz alleine nach Paris? Man hätte Euch an der nächsten Straßenecke überfallen und ausgeraubt oder noch schlimmer, vergewaltigt oder ermordet. Ein junges Mädchen ganz allein unterwegs ... das geht doch nicht." Renée schüttelte den Kopf. "Ich habe mir alles genau überlegt. Ich werde mir irgendwoher Männerkleidung besorgen und als Mann verkleidet nach Paris gehen. Vielleicht finde ich Arbeit als Schreiber oder als Sekretär eines reichen Mannes." "Aber Ihr seht nicht aus wie ein Mann. Eure Gesichtszüge sind viel zu weich." "Ich bin noch jung, die Leute würden meine Gesichtszüge auf meine Jugend zurückführen. Außerdem verlassen sich die Menschen ganz auf das äußere Erscheinungsbild seines Gegenüber, auf all die Hinweise, die er ihnen mit seiner Kleidung gibt. Er trägt Männerkleidung, folglich ist er ein Mann." "Aber Ihr könnte doch nicht....," wimmerte Sophie. "Ich wollte so gerne, dass Ihr verheiratet seid. Verheiratet mit einem netten, jungen Mann, von vornehmer Geburt, der Euch freundlich behandelt. So, wie Euer Francois, nicht dieser grobe Schlächter d'Estcount. Der ist alles andere, aber nicht vornehm und edel. Ich dachte, ich könnte mit Euch kommen und Euch helfen Eure Kinder großzuziehen. Wenn ich dran denke, dass Ihr in einer fremden Stadt, so unnatürlich verstellt leben wollt." Sie versuchte sich die Augen zu trocknen. "Nun, weine doch nicht! Ich will über mein Leben selbst bestimmen, endlich frei sein. Wenn ich zu Hause bleibe, dann bleibt mir keine andere Wahl, als den Wunsch meines Onkels zu gehorchen und d'Estcount zu heiraten." Nachdenklich fuhr sich Sophie mit dem Finger über ihren blauverfärbten Nasenhöcker. Die Nachwirkungen von d'Estcount's Schlägen taten noch immer weh und erinnerten sie an dessen Grausamkeit. Sie stimmte ihrer Herrin zu, wenn Renée Charles d'Estcount heiratete, würde sie nie glücklich werden. "Bleibt noch ein paar Tage hier! Ich werde Euch helfen. Wir besorgen Euch Männerkleidung und Proviant. Aber wie kommt Ihr am besten nach Paris?" Sophie stand auf, schüttelte tatenkräftig ihre Röcke aus und straffte den Rücken. "Eure Verwandte sind alle gefühlskalte und egoistische Menschen, aber Euer Herz liegt am rechten Fleck." Ja, dachte Renée bitter, im 13. Grab, fünf Meter tief, in einem Sarg aus massivem Eichenholz. Die beste Möglichkeit, um nach Paris zu kommen, bot ein entfernter Verwandter von Sophie und sein Viehwagen. Sicher, eine äußerst unangenehme Reisemöglichkeit für eine junge Adlige und dazu noch eine besonders Geruchsintensive, aber es war der schnellste und sicherste Weg aus ihrem Heimatort heraus. In drei Tagen, wenn die Abenddämmerung anbrach, wollte Bastillion seine Rinder auf den Viehmarkte nach Creil bringen. Er würde die Nacht hindurch fahren, um am frühen Morgen auf dem Marktplatz zu sein. Hier würden sich seine und Renée's Wege trennen. Endlich neigte sich der Nachmittag des Abreisetages dem Ende zu. Renée murmelte wieder etwas von Kopfschmerzen und begab sich früh auf ihr Zimmer. Dort angekommen holte sie schnell ihr Schmuckkästchen und begab sich unauffällig in die Scheune. Am hinteren Ende des langgestreckten Gebäudes befand sich eine kaum benutzte Abstellkammer, welche nach hinten hinausführte und nicht vom Hauptgebäude aus einsehbar war. Sophie erwartete sie dort. Auf einer Kiste lagen schon ihre Reisesachen und ein großer Reisesack mit Wechselwäsche und Proviant. Die Kleidung war gebraucht gekauft. Hose und Wams waren schlicht, aus grobem Gewebe und ziemlich abgetragen, aber sie sahen sauber und bequem aus. Sophie hatte sie am Vortag auf dem Markt erstanden. "Ich muss Eure Haare schneiden!" sagte sie und holte die Schere heraus. Die Schneideblätter klapperten gleichmäßig. Renée's blonde Locken rieselten den Rücken hinunter und ihr Kopf fühlte sich wunderbar frei an. Sophie spülte ihr mit Wasser die letzten Locken aus den Haaren heraus, dann reichte sie ihr die Kleidung. "Nun?" Renée drehte sich fragen, um die eigene Achse. Sophie bedachte sie mit einem äußerst merkwürdigen Blick. "Oh, Mademoiselle, ich möchte Euch gar nicht fortlassen." Renée bemerkte, dass sie weinte. "Sophie?" Wortlos reichte sie ihr einen Spiegel. Ein schmales, langes Gesicht mit einer langen Nase und großen blauen Augen, die eigenartig losgelöst blickten, sahen sie an. Glatte, blonde Haare fielen über die Stirn. Zum ersten Mal in ihrem Leben, sah sie sich selbst im Spiegel, keine zurechtgemachte Puppe. Sie lächelte, das Spiegelgesicht lächelte zurück. Sie umarmte Sophie und sagte ihr Lebwohl, dann schritt sich mit langen Schritten auf den schattigen Weg, um Bastillion zu treffen. Sophie stand an der offenen Stalltür und winkte zum Abschied. "Lebt wohl und passt auf Euch auf! Ich habe Bastillion gesagt, dass Ihr der Enkel der Köchin seid. Lebt wohl!" ***** III. Hoch oben, weit entfernt und winzig, umgeben von seinen zahlreichen Geschwistern, leuchtete der Polarstern. Heller, als alle anderen Sterne. Die Luft war mild, der zunehmende Mond stand von Wolken unverdeckt am Firmament und sendete sein Licht auf die Erde. Nichts in dieser Nacht war unheimlich oder bedrohlich. Ruhig erstreckte sich die Landschaft ringsum, während Bastillons Viehwagen gemächlich über die Straßen nach Creil zuckelte. Renée zog überschwänglich die Luft ein. Es roch nach Freiheit, Abenteuer und Kuhmist. Sie waren jetzt schon seit Stunden unterwegs und von ihrer Reisegesellschaft waren die Kühe der kommunikativste Teil. Renée lehnte sich genüsslich zurück und stützte die Ellenbogen auf der Hinterlehne ab. Das Tier blies ihr seinen warmen Atem in den Nacken. "Salut, Madam Kuh, was führt Euch nach Creil?" Bastillion sah sie verständnislos an. "Mein Junge, das ist ein Bulle und du solltest lieber wieder weiter nach vorn kommen!" Renée drückte ihr Kreuz durch und schob ihren Oberkörper, wie eine gespannte Bogensehne nach vorn. "Vachenoir kommt nach Creil, um verkauft zu werden," brummte er missmutig. "Er ist ein Zuchtbulle, aber was nützt er mir, wenn er sich weigert, meine Kühe zu schwängern. Ganz egal, welche ich ihm vorsetzte und jetzt reicht es!" Wider der Vernunft, lehnte sich Renée zurück und flüsterte: "Ich verstehe dich. Ich würde auch nicht jeden nehmen, den man mir vor die Nase setzt." Vachenoir schnaubte zustimmend. Endlich kamen vereinzelte Gehöfte vor der Stadt in Sicht und die ersten morgendlichen Reisenden gesellten sich zu ihnen. Bastillion lenkte seinen Wagen in Richtung Stadtmitte. Die einzelnen Hauptstraßen trafen sich sternförmig zum Markt hin. Um den Markt zogen sich öffentliche Gebäude und ausrangierte Paläste. Vom Norden her blickte das alte Rathaus mit seiner hohen Fassade ehrwürdig auf den Mittelpunkt seiner Stadt. Auf der anderen Seite wachte eine große Kirche im gotischen Stil über seine Gemeinde. Mit einem müden Schnalzen brachte Bastillion seinen Wagen zum Stehen. Sein Gesicht zeigte die gleich ununterbrochene Gleichmütigkeit der vergangenen Reisestunden. Er wies nach Westen. "Dort ist die Postkutschenstation Richtung Paris, mein Junge." Renée folgte seinem wettergegerbten Finger. Eine riesige Menschentraube hatte sich an der Ecke gebildet. Die Wartenden scharrten ungeduldig mit den Füßen. Sie starrte ungläubig auf die Menschenmasse. "Wollen sie alle die gleiche Kutsche nehmen?" Bastillion zuckte gleichmütig die Schultern. "Anscheint, es kommen soviel mit, wie in die Kutsche hinein passen. Der Rest geht wieder nach Hause. Wenn du auf meinen Rat hören willst, dann laufe lieber!" Gesagt, getan. Renée schulterte ihren Reisesack, dankte Bastillion und schlug den Weg Richtung Paris ein. Nichts schien ihr unmöglich. Bis der Tag sich immer endloser dahin zog, die Straße Meile über Meile nach Paris lang streckten. Renée lief stundenlang. Eintönig stapfte sie im Straßenstaub der Straße und doch lag ihr Ziel noch in weiter Ferne. Die Sonne versank langsam am Horizont, als sie hinter Bäumen Wasser plätschern hörte. Der Bach floss am wilden, noch ungezähmten Ufer vorbei, gluckerte träge durch das Dickicht aus Schilf, hohem Gras und Baumwurzeln. Die einzigen Geräusche in der feuchten Stille bestanden aus leisem Plätschern, wenn neugierige Fische einen Blick in die Welt aus Luft riskierten und dem Zirpen der Grillen. Mücken tanzten im Zickzack über dem Wasser. Renée tauchte glücklich ihre müden Füße ins kühle Nass und schloss die Augen. Das Geräusch eines herannahenden Pferdes ließ sie aufschrecken. Ein junger Mann führte sein Pferd durch das hohe Gras zum Bach. Er tätschelte den schweißnassen Leib seines Reittieres und zügelte ihn, als dieser zu gierig seine schnaubenden Nüstern ins Wasser tauchen wollte. "Salut." Er drehte sich lächelnd Renée entgegen. "Salut," begrüßte sie in vorsichtig und suchte in seinen gleichmäßigen Zügen Missgunst und Falschheit. Sie fand keine. Er sah sie mit ruhiger Freundlichkeit an. "Wisst Ihr, wie weit es bis zu einem Gasthaus ist?" Renée versuchte ihre Stimme möglichst tief klingen zu lassen. Der junge Mann nickte. "Es ist nicht mehr weit. In Chantilly ist ein Gasthof. Ich möchte auch dorthin. Wenn Ihr wollt, können wir zusammen gehen? Renée erklärte sich einverstanden und schritt wenig später neben dem Unbekannten durch die zunehmende Dämmerung. "Mein Name ist Athos." Renée nickte und schwieg. "Wollt Ihr mir nicht Euren Namen verraten?" fragte er. Sie schüttelte den Kopf. "Er nutzt sich sonst so schnell ab." "Verstehe." Athos lächelte weiterhin und ließ es dabei bewenden. Das Gespräch wendete sich unverfänglichen Dingen zu. Gegen ihren Willen war Renée von dem jungen Reiter angetan. Bald näherten sich beide Chantilly und erblickten das Gasthaus in der Ferne. Das Rattern von schweren Rädern und das Hufgetrampel von mehreren Pferden erklang hinter ihnen. In einer Staubwolke kam eine Kutsche über die Straße zum Gasthaus. Immer wieder neigte sie sich ruckartig von einer Seite zur anderen, als die Räder an Baumwurzeln stießen. Vor dem Gasthaus kam das Gespann zum Stehen. Seine Passagiere kletterten aus dem Wageninneren und schwankten ein wenig. Als Erstes schritt ein korpulenter Mann zum Eingang. Seine protzige Kleidung wehte und schwang, Zeltbahnen gleich um seine riesige Taille. Sein Blick glitt über den Pöbel hinweg. Ihm folgte, allen Anschein nach, seine Tochter. Die junge Frau zeichnete sich durch jene Art kalkulierter Schönheit aus, die jeden Morgen nach dem Aufstehen drei Stunden harte Arbeit und die begnadete Hilfe von Zofen erforderte. Wahrscheinlich musste auch ab und zu ein Architekt eingreifen. Das Korsett soll hier nicht unerwähnt bleiben. Wenn sie sich bewegte, hörte man das leise knacken von Fischbeinstäben, die großen Druck standhalten mussten. Renée und Athos grinsten sich in stummen Einverständnis an und betraten ebenfalls das Gasthaus. Graf de Salantay, der Kutschenpassagier schmetterte gerade lautstark seinen Namen dem Wirt entgegen, worauf auch die versteckteste Kellerassel im Kellergewölbe ihn vernahm. Er verlangte zwei Räume für die Nacht und das gesamte Können des Wirtshauskochs zum Abendmahl. Unter der vollen Wucht der Salantay Arroganz sah der Wirt hilfesuchend zu Renée und ihrer Begleitung. "Gehört ihr zusammen?" Athos verneinte. "Es tut mir sehr leid, aber ich kann Euch nur noch ein freies Zimmer für diese Nacht anbieten." Der Wirt schob in einer Geste des Bedauerns seine leeren Hände nach vorn. "Wir können uns das Zimmer teilen," wandte Athos ein, bevor Renée etwas erwidern könnte. "Das geht doch in Ordnung?" Er drehte sich fragend zu ihr um. "Ich möchte heute Abend ungern noch nach einer neuen Übernachtungsmöglichkeit suchen." Unglücklich nickte sie. Die Gesellschaft ließ sich zum Essen nieder. Aus Platzmangel teilten sich alle einen Tisch. Wohl oder übel ließ Graf de Salantay ihre Anwesenheit über sich ergehen. Sein Blick glitt voll Hochmut über Renée' s schlichte Kleidung hinweg und blieb an Athos edlen Gesichtszügen hängen. Er gehörte nicht zu den Leuten, die Gefallen daran finden, Niedergestellten gegenüber unhöflich zu sein. Anders ausgedrückt, er neigte dazu, allen Leuten gegenüber unhöflich zu sein, ungeachtet ihrer Herkunft. Er zog niemanden vor. Bald füllte sich der vordere Schankraum mit Besuchern und laute Stimmen und Gelächter durchdrangen durch das Haus. Die Abendstunden zogen sich dahin und schon bald beschlossen sie, ins Bett zu gehen. Wahrscheinlich trug das kühle Bier seinen Anteil dazu bei. Es war ein ausgezeichnetes Bier. Schon in seiner Gärphase hatte es sich durch vorbildliches Betragen ausgezeichnet. Wenn es weiterhin seinen Weg derart erfrischend in die Kehlen des Durstenden fand, so sagten ihm die Kritiker gute Karrierechancen voraus. Während Athos, Graf de Salanty mit Tochter und Gefolge die obere Etage ansteuerten, machte Renée sich auf die Suche nach dem Wirt. Der Weg zu Fuß war ihr einfach zu mühselig, um nach Paris zu gelangen. Sie hoffte, dass sich im Wirtshaus fahrende Händler aufhielten, die sie mitnehmen könnten. Auf einen seiner Runden zwischen Schankraum und Weinkeller passte sie den Wirt ab und wurde auf einen Händler aus Mercy verwiesen. Beide wurden sich schnell einige, Renée gegen etwas Bezahlung mitzunehmen. In den Morgenstunden wollten sie losfahren. Zufrieden vor sich hin lächelnd stieg sie die wacklige Treppe zur zweite Etage hoch. Das holzwurmzerfressende Geländer knirschte bedrohlich unter ihrer Hand. Zwischen zwei knarrenden Stufen fiel ihr wieder ein, dass in ihrem Bett ein äußerst stattlicher Mann wartete. Ein ungutes Gefühl machte sich in Renée's Magen breit und sie zog Luft laut zwischen den Zähne ein. Obwohl es lächerlich war, bekam sie Schuldgefühlen gegenüber Francois. Während die vergangen Tage von der Trauer um ihren toten Verlobten bestimmt waren, hatte sie in den letzten Stunden kaum an ihn gedacht. Sie drückte langsam die Klinke hinab und späte in den dunklen Raum. Nichts rührte sich. Das Licht vom Flur beleuchtete spärlich die Möbel. In dem großen Bett, war undeutlich ein zusammengerollter Körper zu sehen. Auf Zehenspitzen schlich Renée zum Bett und ließ lautlos ihren Reisesack auf den Boden gleiten. Vorsichtig setzte sie sich auf die Bettkante, um die Stiefel auszuziehen. Das Bett knirschte. Der Schlafende war erwacht und drehte sich ihr zu. Die Atemzüge wurden schneller und hektischer. Renée sah das Weiß der weit aufgerissenen Augen, dann brachen ohrenbetäubende Schreie los. Schreie so hoch und grell, wie sie nur von einer Frau kommen konnten. Wie erstarrt blieb sie sitzen. Sie rührte sich noch immer nicht, als die Tür aufgerissen wurde und heller Kerzenschein die schreiende Mademoiselle de Salanty beschien. Mit schier unendlichen Luftvorrat im riesigen Brustkorb schrie sie schrill und ohne Atempause, das Bettlacken schutzsuchend an die Brust gepresst. Grobe Hände rissen Renée zurück und zerrten sie auf die Füße. Sie sah in das zornrote Gesicht des Grafen. Hinter ihm war Athos in den Raum getreten und erfasste die Situation. Der Graf schüttelte Renée wie eine Puppe durch und versuchte das Geschrei seiner Tochter zu überbrüllen. Ihre Zähne klapperten auf einander und die Welt drehte sich vor ihren Augen. Der Lärm war ohrenbetäubend. "Graf, bitte beruhigt Eure Tochter!" Athos ruhige Stimme ging dazwischen. Mit einem letzten mordlustigen Blick übergab der Graf Renée in Athos Hände, dann wendete er sich seiner Tochter zu. Ängstlich sah sie zu ihm auf. Athos sah sie enttäuscht an. Sein Kiefer war kantig und verbissene Strenge sprach aus seinem Gesicht. Beschämt wendete sie ihren Blick ab. Natürlich, die Situtation musste missverstanden werden. Der Wirt und einige Gäste waren ins Zimmer getreten. Zofe und Diener rannten zu ihren Heerschaften. Es wurde immer voller in dem kleinen Raum. Von den neugierigen Menschen zur Seite gedrückt, lockerte sich Athos Griff. Renée spührte, wie der Druck um ihren Oberarm schwächer wurde. Sie trat dem unerwarteten Athos gegen das Schienbein, griff mit der freien Hand nach ihrem Reisesack und rannte mit gesenktem Kopf durch die Menge. Schlitternd kam sie auf dem Flur zu stehen. Über beide Beine stolpernd rannte sie auf die Treppe zu, verlor das Gleichgewicht und rutschte auf dem Rücken hinunter. Mit letzter Kraft schleppte sie ihren zerschlagenen Körper in die nahe Dunkelheit und lief so lange, wie ihre Füße sie tragen konnten. ***** IV. Lange saß sie im Schatten der riesigen Birke verborgen. Immer wieder sackte der Kopf müde auf die Brust und die Lider fielen ihr zu, nur um wieder bei dem kleinsten Geräusch hellwach da zu sitzen und alle Sinne anzuspannen. Endlich wich die Dunkelheit dem ersten Morgenlicht. Der Morgennebel tauchte das Land in Grau. Die Stadt schlief noch. Renée erhob sich vorsichtig und schüttelte die steifen Glieder aus. Ihr eingeschlafener Körper begann schmerzhaft zu erwachen. Wachsam schlich sie zum Gasthaus. Alle Fensterläden waren noch verschlossen. Der Hund schlief zusammengerollt in der Ecke und quer über dem Hof lag der letzte nächtliche Besucher des Gasthofes in den Nachwirkungen seines Alkoholrausches. Diesmal kehrte ihr verloren geglaubtes Glück zurück. Der Händler aus Mercy stand alleine auf dem Vorplatz und belud seinen Wagen. Sorgfältig schnürte er sein Gepäck fest und sicherte die Ware auf dem buntbemalten Wagen. Er überprüfte gerade das Zaumzeug seiner Pferde, als Renée aus dem Schatten trat. Er sprach sie an, ohne sich umzudrehen. "Da seid Ihr ja. Ich hatte schon nicht mehr mit Euch gerechnet." Unbehaglich trat sie von einem Bein auf das andere. "Nun steigt schon ein, bevor Euch jemand sieht!" Er drehte sich um und lächelte. "Deshalb schleicht Ihr doch im Schatten herum? Und das zu Recht, einige Leute da drin sind ziemlich wütend auf Euch." Sein Daumen wies zum Gasthaus. "Junger Mann, Ihr habt Euch eine Menge Ärger eingehandelt." "Trotzdem wollt ihr mich mitnehmen?" Er zuckte gleichgültig die Achseln. "Was geht mich fremdes Elend an. Ihr zahlt, ich nehme Euch mit! Wir hatten verabredet -die Hälfte im Voraus?" Renée zählte ihm die Geldstücke ab. "Und nun, klettert endlich auf den Wagen! Ich möchte los. Bis Paris ist es noch ein weiter Weg." Kaum saß Renée neben ihm auf dem Kutschbock, da fuhr der Wagen auch schon los. Staub wirbelte unter den Rädern auf, als sie auf die Straße bogen. "Wie heißt Ihr?" Die Hufe der Pferde klapperten gleichmäßig über die festgetretene Erde. "Ich reise inkognito." Der Händler zog sein Lächeln in den Schatten seines Hutes. "Verstehe!" Die ersten Sonnenstrahlen bahnten sich strahlend ihren Weg in die morgendliche Welt. Sie kamen nach Chateau-Thierry. Der Ort war zu klein, um größere Geschäfte zu haben. Als der Wagen über den von hohen Bäumen gesäumten Weg zum Ortseingang fuhr, begrüßten ihn die Kinder. Aufgeregt rannten sie hinter dem Wagen her. Auf dem Platz vor der schlichten Kirche angekommen, zügelte der Händler seine Pferde und pries lautstark seine Ankunft an. Renée zog sich zurück. Abseits beobachtete sie, wie die Bewohner näher strömten und Schmuck, Geschirr, Bücher und Haushaltswaren sich verkauften. Für kurze Zeit schlenderte sie durch das Dorf und genoss es frei und ungezwungen zu sein. Als die Sonne langsam versank, machten sich beide wieder auf den Weg. Die Straße in Richtung Paris lag kaum befahren vor ihnen. "Wir übernachten in einem Gasthaus in Coulommiers. Meist schlafe ich in meinem Wagen, aber ich kenne den Wirt recht gut und er wird auch Euch einen guten Preis machen." Mit diesen Worten ließ er die Zügel knallen und trieb seine Pferde schneller an. Renée nickte müde. Zwei durchwachte Nächte forderten ihren Tribut. Bald sank ihr Kopf an die breiten Schultern ihres Nachbarn. Das Rattern der Räder drang durch ihr Bewusstsein und vermischte sich mit ihren Träumen. Jean-Lux Ares, seines Erachtens nach -Händler aus Leidenschaft-, sah verwundert auf den blonden Schopf, der an seiner Schulter ruhte. Monsieur Ares war schon weit gereist und hatte eine Menge gesehen und erlebt. Er wurde das Gefühl nicht los, dass mit diesem Jungen irgendetwas nicht stimmte. Endlich waren sie angekommen. Der Mond stand rund und leuchtend am dunklen Himmelszelt. Vor dem Gasthaus "Saint-Michel" wurden sie von dem Wirt begrüßt, welcher großzügig seine Laterne schwenkte. Beide Männer umarmten sich herzlich. "Mein lieber Jean-Luc, ich habe dich seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Kommt herein, kommt herein!" Sie wurden an einen reich gedeckten Tisch gesetzt und Jean-Luc erzählte von seinen Reisen. Die meisten Gäste waren schon zu Bett gegangen und die ersten Einheimischen traten den Heimweg an. Renée saß müde vor ihrem Essen. Sie konnte kaum ihre Augen offen halten. Bevor ihr Kopf in der Suppe versank, verabschiedete sie sich von den beiden Männer. Sie stieg die Treppe hinauf und betrat den dunklen Flur. Hinter den verschlossenen Türen raschelte es vereinzelt und leise Stimmen waren zu hören. Ansonsten war es still in der oberen Etage. Ein einsamer Gast kam ihr entgegen. Müde ließ er die Schultern hängen. Er schlurfte im Halbschatten an ihr vorbei. "Bon soir." "Bon soir." Renée blieb benommen stehen und wagte es nicht sich herum zu drehen. Mehrere Herzschläge setzten aus und sie hielt den Atem an. "Du ... du, Sohn von einem Nagetier, du kleine Scheißhausratte. Ich werde dich aufspießen, zerteilen, deine Gedärme den Wölfen zu Fraß vorwerfen!" Wenn sie sich umgedreht hätte, dann hätte sie gesehen, dass sich Graf de Salantay' s Nasenflügel wie Nüstern hochzogen und Dampf ausspieen. So aber, nahm sie ihre Beine in die Hand und rannte. Rannte, wie sie noch nie ihn ihrem Leben gerannt war. Am Ende des Flures befand sich noch eine Treppe. Im Sturzflug schlitterte sie die schmale Stiege hinunter und jagte durch den Schankraum. Monsieur Ares wollte gerade den Bierkrug zum Mund führen, als er Renée auf sich zu rennen sah. Graf de Salantay hatte gerade die Mitte der Treppe erreicht und brüllte noch immer zornentbrannt das gesamte Haus zusammen. "Salute, Moniseur Ares." "Mein Junge, ich kriege noch die andere Hälfte des Geldes von dir. Die Tür fiel krachend ins Schloss. Monsieur Ares zuckte die Achseln. "Ach, was soll's." Er trank einen kräftigen Schluck. Endlich erreichte sie Paris. Zusammen mit mehreren hundert Menschen stand Renée dicht gedrängt vor dem Porte St. Jacques und wartete, bis der Torwächter sie durch ließ. Männer und Frauen aus ganz Frankreich lachten und redeten, meckerten still vor sich hin, seufzten demonstrativ oder träumten. Bauern in derber Arbeitskleidung harrten neben Bürgern in prunkvoller Kleidung aus, bis sie eingelassen wurden. Es war noch früher Morgen. Langsam erhoben sich die Sonnenstrahlen in den Himmel. Hinter dem Stadttor ragten Hunderte von Schieferndächer empor. Stolz erhoben sich Kirchturmspitzen und Palastdächer in den wolkenlosen Himmel. In der Rue de la Bûcherie wurde sie von Studenten der medizinischen Fakultät mitgerissen und fand sich unverhofft am Place du Parvis wieder. Vor ihr erhob sich Notre Dame. Die Pariser gingen geschäftig ihren Besorgungen nach. Kinder tobten in den Straßen. Sänften mit hochgestellten Persönlichkeiten oder solche, die sich einbildeten welche zu sein, bahnten sich schaukelnd ihren Weg. Ihre Lakaien kämpften sich brüllend den Weg frei. Hausfrauen beugten sich aus den Fenstern im oberen Stock und tauschten über die Wäsche hinweg Klatsch aus. Renée überlegte. Sie durfte keine Zeit vergeuden. Ihre finanziellen Mittel schwanden zusehenst und sie musste sich so schnell wie möglich Arbeit besorgen. Eine Stellung als Sekretär eines königlichen Minister erschien ihr durchaus als reizbar. Natürlich konnte sie nicht gleich derart oben in der Karriereleiter anfangen. Ihr fehlte die Berufserfahrung und die nötigen Empfehlungsschreiben. Aber wo fand man Beamte, Minister und ehrgeizige Adlige? Im Louvre, um selbst den König um Geld, Macht, Titel und Pensionen anzubetteln. Morgens durchquerte der König den für die Öffentlichkeit zugänglichen Teil seines Palastes, um zur Morgenmesse nach Notre Dame zu gelangen. Während die Palastwache den Weg für das königliche Paar frei hielten, standen die Bittsteller Spalier. Dutzende Petitionen in schwitzigen Händen strecken sich dem König entgegen. Ab und zu griff er eine, um später zu entscheiden, ob er den Bittsteller begünstigte. Die Kirchenglocke schlug die 7. Morgenstunde. Es war also noch Zeit genug zum Louvre zu gelangen. Sie würde sehen, was sich dort ergab. An der Seine entlang wanderte sie zur Königsresidenz. Vorsichtig schlängelte sich Renée durch die Menschenmenge, um in den Palast zu gelangen. Wie in einem Bienenstock wisperte und tuschelte es in jeder Ecke. Verarmte Adlige zupften nervös an ihrer letzten guten Kleidung und fügten ihrem Schuldenberg die letzte Schneiderrechnung hinzu. Renée sah sich ratlos um und wusste nicht weiter. Benommen wanderte sie an den Männern und Frauen vorbei. Eine neue Zimmerflut eröffnete sich vor ihr. Mit versteinertem Gesicht und guter Blase standen die Palastwachen neben den riesigen Türflügeln. Vereinzelte Gruppen standen herum und unterhielten sich leise. Renée überlegte noch, ob sie in den großen Saal zurückkehren sollte, als sich eine Gruppe teilte. Graf de Salantay grub sich mit beiden Armen seinen Weg frei ohne die Schmerzschreie seiner Mitmenschen zu beachten. Diesmal hielt er sich nicht mit Beschimpfungen auf. Seine kurzen Beine nahmen Anlauf. Auch Renée nahm ihre Beine in die Hand und lief los. Gehetzt sah sie zurück. Salanty's kleiner plumper Körper nahm an Geschwindigkeit zu. Seine Hand wanderte unter seine Seidenwams und holte eine Schusswaffe hervor. Ängstlich sah Renée auf die Waffe. Mit der Pistole in der Hand verlor der Graf einiges an Lächerlichkeit. Er hob die Waffe und zielte. Eine Gruppe Menschen kam um die Ecke gebogen und steuerte das Ende des vor ihnen liegenden Saals an. Renée sah, dass der Lauf der Waffe auf sie gerichtet war. Graf de Salanty's Hand spannte sich an. Ein Schuss löste sich. Renée prallte in die vor ihre stehende Person und ließ sich zu Boden fallen. Sie hielt sich an Seidenstoff fest und zerrte ihn mit sich. Menschen fingen an zu schreien und Schritte kamen näher. Die Folgen des Aufpralls fuhren schmerzhaft durch Renée's Körper. Aber ihr Herz schlug noch und sie lebte. Sie fühlte nicht den berennenden Schmerz einer Schussverletzung. Männer in Musketieruniform kamen angelaufen, griffen grob nach ihr und zehrten sie hoch. Benommen sah sie auf die am Boden liegende Gestalt, welche sie umgerissen hatte. Der Arm der Frau war seltsam verdreht. Mehrere Männer und Frauen umringten sie und halfen ihr mit ängstlichen Gesichtern hoch. Die Frau schrie schmerzgepeinigt auf. Haarsträhnen lösten sich aus der braunen Haarkrone. Sie richtete ihre grünen Augen auf Renée. Fassungslos sah sie die Königin an. ****** V. Die schwere Eichentür fiel ins Schloss und sperrte das Licht aus. Finsternis umhüllte sie. Schritte entfernten sich. Irgendwo in der Tiefe der Kerkergewölbe wurde eine Tür geöffnet. Stimmen wurden laut, dann schlug sie wieder zu. Es wurde still, bis auf gedämpftes Stöhnen, dass hinter verschlossenen Türen erklang. Renée's Hände fuhren verzweifelt über das kalte Holz der Tür. Sie drehte sich um. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das Zwielicht. An der rechten Wand hing in verrosteten Eisenketten eine Holzpritsche. Stroh stach durch ihre Socken, da die Wächter ihr die Stiefel entwendet hatten. Ein Eisennapf lag zerbeult, besudelt und vergessen in der Ecke. Das Quieken von Ratten war zu hören. An der schimmligen Steinwand entlangtastend, lief sie zur Holzpritsche und legte sich hin. Sie kauerte sich zu einem Häufchen Elend zusammen. Ihre Angst drohte in Panik umzuschlagen. Sie fühlte wie ungebändigte Schreie in ihr hoch krochen. Hilflos biss sie auf ihre Handballen. Zeit hatte in den Verliesen des Gefängnisses wenig Bedeutung und floss in einem anderen Rhythmus. Wer sich an den Zeitablauf der äußeren Welt klammerte, wurde unweigerlich verrückt. Waren es Stunden oder Tage, als sich die Kerkertür knarrend öffnete und Wasser mit schimmligen Brot in ihre Zelle geschoben wurde? Waren es Stunden oder Tage, als sich die Kerkertür erneut öffnete und Fackeln ihre Zelle beleuchteten. Wieder waren es Männer in Musketieruniformen, die sie an den Armen hochzogen und durch die dunklen Gänge geleiteten. Jetzt wurde sie ihrem Henker vorgeführt. Sie würde sterben bevor ihr Leben richtig anfing. Die Königin umzustoßen und ihr den Arm zu brechen war ein unverzeihliches Verbrechen. Sie stiegen hohe Steinstufen zum Erdgeschoss hinauf. Jetzt warfen dünne Sonnenstrahlen ihr Licht durch die engen Sichtspalten in der dicken Außenmauer. Sie traten durch das große Tor in den Tag hinaus. Geblendet hielt sich Renée die Hand vor die Augen. Sie wurde zu einer dunklen Kutsche geführt. Die Tür schlug zu und sie fuhren los. Langsam verschwand das Gefängnis aus ihrem Blick. Auf der Rückseite des Louvre hielten sie. Der Wagenschlag öffnete sich und Renée wurde zum Eingang geleitet. Sie befanden sich in einem Gebäudeteil des Palastes, den die königliche Familie noch nie betreten hatte. Über diesen Teil herrschte die Dienerschaft. Beide Musketiere eskortierten sie durch die schlicht verputzten Gänge und Treppen, bis vor sie einer unscheinbaren Tür hielten. Sie traten durch die Tür in den prunkvolleren Teil des Schlosses. Ein Mann mit strengen Gesichtszügen stand in dem kleinen Empfangssalon. An den Schläfen durchzogen schon graue Haarsträhnen das schwarze Haar. "Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten, die Ihr hattet." Renée starrte ihn ungläubig an. Die beiden Musketiere traten in den Schatten und der Mann öffnete die nächste Tür und winkte sie hindurch. Der angrenzende Salon war in blau gehalten und strahlte in vornehmer Pracht. Auf einem Stuhl saß die Königen, umringt von ihren Edeldamen. Ihr Arm lag in einer weißen Schlinge. Sie nickte Renée' s Begleiter zu, dann richtete sich ihr Blick auf sie. "Verzeiht mir, Eure Majestät! Bitte verzeiht mir, mein Vergehen!" Renée' s Stimme brach. Zu ihrer Verwunderung lächelte die Königin sie wohlwollend an. "Was soll ich Euch verzeihen, junger Mann? Das Ihr mir den Arm gebrochen habt? Was ist ein gebrochener Arm, verglichen mit meinem Leben?" Renée verstand nicht. Ihr schlotterten die Knie. Auf das Nicken der Königin hin, wurde ihr ein Stuhl hingeschoben. "Ich werde Euch reich belohnen .... Halt, ich weiß etwas Besseres." Ihre königliche Hoheit hielt inne und wandte sich an Renée' s Begleiter. "Kapitän de Treville!" Der Kapitän trat vor. "Ich möchte, dass Ihr unseren jungen Helden bei Euren Musketieren aufnehmt!" befahl sie. Renée vergaß zu Atmen. Fassungslos starrte sie die Königin an. "Aber Eure Majestät ..." "Kein "Aber", mein junger Freund," unterbrach die Königin sie. "Ich möchte, dass Ihr den Musketieren beitreten! Wie heißt Ihr?" "Ich möchte den Namen meiner Familie nicht nennen, Eure Majestät! Sie sind mit meinem Fortgehen nicht einverstanden." Die Königin lachte leise. "Gut! Kapitän de Treville, welchen Namen geben wir unserem neuen Musketier. Wir haben einen Athos, einen Porthos ..." "Aramis, Eure Majestät?" Sie überlegte, dann nickte sie seinen Vorschlag ab. "Gebt also Monsieur Aramis eine Entsprechende Ausbildung, Kapitän! Ihr könnt gehen!" Der Kapitän nickte, umfasste Renée' s Arm und schob diese aus dem Zimmer. Vor der Tür verabschiedete er sich, mit der Weisung, dass sie sich morgen bei ihm zu melden hatte. Dann verschwand er. Renée blieb verwundert stehen und blickte traumversunken die Wand an. Jemand zupfte an ihrem Ärmel. Sie sah in das Gesicht von Graf de Salanty. Der Graf blickte sichtlich nervös zurück. Unbehaglich spielte er mit seinen Händen herum. Er fasste sich wieder. Funken seiner gewohnten Arroganz glommen in seinen Zügen. Er zog sie beiseite und flüsterte "Wir wissen doch beide, was wirklich passiert ist. Es war Zufall, dass Ihr unsere Königin in dem Moment umgerissen habt, als ein Attentäter auf sie schoss. Ich vergesse Euer unsittliches Verhalten meiner Tochter gegenüber und Ihr erwähnt niemanden gegenüber, dass ich mit einer Schusswaffe in Richtung Königin zielte." "Habt Ihr denn nicht geschossen, Graf?" Er wurde ärgerlich. "Natürlich nicht. Der Attentäter ist schon gefasst. Trotzdem halte ich es für besser, wenn Ihr schweigt. Schwört es mir! Vor Gott!" "Vor Gott und allen Heiligen schwöre ich es Euch, Graf. Vorausgesetzt, Ihr schweigt über mich!" Beide besiegelten ihr Versprechen mit einem Handschlag, dann ließ der Graf sie allein. Renée zog den Gürtel enger. Sie verzog unwillig das Gesicht, als sie an ihre unfreiwillige Fastenkur im Gefängnis zurückdachte. Die vergangenen Tage hatten ihre Spuren hinterlassen. Ihre Haut war blass und unter ihren Augen lagen dunkle Ringe. Ihr Körper hatte seine ganz eigene Sammlung an Kratzern und blauen Flecken. Den Gefängniswächtern fehlte einiges an Sanftmut. Sie straffte ihre Schultern und verließ entschlossen die kleine Pension in der Rue de Roland. Mit festen Schritten steuerte sie das Hauptquartier der Musketiere an. Sie meldete sich bei dem Diener an. Zum ersten Mal benutzte sie ihren neuen Namen. Ab jetzt war sie Aramis. Aramis, der Musketier, dass klang nicht schlecht, wenn auch etwas merkwürdig. Sie lächelte. In den Lichtstrahlen, die durchs Fenster schienen tanzte der Staub. Der Diener kam zurück und führte sie zum Büro des Kapitäns. Kapitän de Treville saß hinter seinem Schreibtisch und sah sie streng an. Zwei Musketiere hielten sich mit ihm in seinem Büro auf. Aramis erstarrte, als sie Athos erkannte. Jetzt fiel ihr auch ein, in welchem Zusammenhang sie seinen Namen gehört hatte. Auch Athos erkannte sie. Seine Gesichtszüge verhärteten sich, aber er sagte nichts. "Kommt näher!" forderte de'Treville sie auf. "Ab heute seid Ihr Musketier. Wir sind für den Schutz des Königshauses verantwortlich. Das heißt, dass alles was Ihr ab jetzt tun und sagen werdet, auf den König zurück fällt. Ein jeder von uns repräsentiert mit seinem Verhalten das Musketierchor. Ich erwarte von meinen Musketieren ein tadelloses Auftreten, auch nach Dienstschluss. Verstanden!" Aramis nickte. D'Teville's Augen verengten sich zu Schlitze. "Es ist nicht üblich, dass ich Männer aufzunehmen, die kaum den Kinderschuhen entwachsen sind. Ich hätte Euch nicht als Musketier aufgenommen. Ihr seid auf Wunsch der Königin hier, dies sollte Euch klar sein. Wenn Ihr von mir und den Musketieren akzeptiert werden wollt, müsst Ihr Euch bewähren!" Nach einem einfachen Nicken, war Aramis nicht mehr zumute. Sie war wütend. Wie konnte er es wagen, so mit ihr zu sprechen. Um nach Paris zu gelangen, hatte sie einiges auf sich genommen. Sie knirschte mit den Zähnen. Der Kapitän würde noch anders über sie sprechen, dass schwor sie sich. Der Kapitän veränderte unmerklich seine Haltung, als er das gefährliche Glitzern in Aramis Augen sah. "Könnt Ihr mit Waffen umgehen?" "Mit Schusswaffe und Bogen." "Was ist mit Eurer Degenführung?" Sie schüttelte den Kopf. Ein paar Degengriffe hatte ihr Francois aus Spaß beigebracht. "Dies sind Athos und Porthos." D'Treville wies auf die beiden Musketiere. Neben Athos stand ein junger Mann, von imposanter Statur. "Athos und Porthos sind meine besten Musketiere. Ich werde sie Euch zur Seite stellen, damit sie Euch unterrichten. Es war...." "... der Wunsch der Königin. Ich weiß!" beendete Aramis seinen Satz. Er musste ja nicht gleich mit dem Vorschlaghammer drauf hauen. Athos Gesicht wurde noch kantiger, aber er sagte noch immer nichts. Sie waren entlassen. "Dein Übgang von der Terz zur Septim ist nicht gut. En tieree, nach links oben, dann stößt du mit dem linken Bein ab!" Aramis Degen prallte an Athos Waffe wie Reisig ab. "Nein, so nicht!" Sie wich einige Schritte zurück, trat in den Schatten der riesigen Birke und wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Heb den Arm höher und drehe das Handgelenk nach oben!" Athos ging wieder in Kampfstellung. Sie blieb wo sie war. Er runzelte die Stirn, als sie regungslos stehen blieb. "Es ist wirklich erstaunlich. Du musst furchtbar wütend sein und bestimmt ist es dir zuwider, mir das Fechten beizubringen, trotzdem sieht man dir nichts davon in deinem Gesicht an," sagte Aramis ruhig. "Eine Glanzleistung war dein nächtlicher Übergriff auf Mademoiselle de Salanty nicht." Aramis verkniff sich ein Grinsen. Die Vorstellung, dass sie amouröse Absichten gegenüber Mademoiselle de Salanty hegte, war einfach lächerlich. Selbst, wenn sie ein Mann gewesen wäre. Athos sah sie böse an. Anscheint hatte sie ihre Gesichtszüge weniger unter Kontrolle, als er. Ihr Grinsen war wirklich ansatzweise zu sehen. Athos konnte nicht leugnen, dass er trotz des Vorfalls Sympathie für seinen Gegenüber empfand. Er wurde das Gefühl nicht los, dass mit Aramis alles anders schien als es war. "Wenn wir beide miteinander auskommen wollen, dann solltest du dir angewöhnen, Respekt gegenüber Frauen zu haben." Jetzt hatte Aramis wirkliche Probleme, ihr Grinsen zurückzuhalten. "Ich werde es mir zu Herzen nehmen!" Athos seufzte. "Machen wir weiter, du hast noch einiges zu lernen. Wie der Kapitän schon sagte, du musst noch hart arbeiten. Du wirst noch über viele Schwierigkeiten stolpern." Ja, dachte Aramis resigniert und verzog die Nase. Schwierigkeiten, wie ein zu weiter Fenstersims und ein falsches Zimmer. Alles fügte sich zusammen. Sie ging in Kampfstellung. "En garde ..." Die Schicksalsgötter haben nun mal einen merkwürdigen Sinn für Humor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)