Unter einem Mond von Kunoichi (Wichtelgeschichte für Erenya) ================================================================================ Kapitel 2: Ein Lächeln ---------------------- Scharf riechende Kräuter und Gewürze, Flaschen aus durchsichtigem Glas, grobkörniger Tabak, seltsam geprägte Kupfermünzen, modernste Feuerwaffen – Ikura war stolz auf sein Sortiment an Ware aus Übersee mit der er, laut eigener Aussage, hierzulande einen recht guten Umsatz erzielen konnte. „Vor allem die Frauen an den Höfen sind ganz verrückt nach solchen Dingen“, sagte er vergnügt und reichte Shinpachi eine kunstvoll verzierte Lackschatulle. „Das kann ich mir vorstellen“, antwortete der und nahm das Kästchen fasziniert in Augenschein. „Damit kann man sicher ordentlich Eindruck schinden.“ „Denk gar nicht erst dran, Shinpachi!“, ermahnte Harada ihn. „Ganz abgesehen davon, dass du dir das nicht leisten kannst, gewinnst du keine Frau, nur indem du sie mit irgendwelchen Kostbarkeiten überhäufst.“ „Das hast du vielleicht nicht nötig“, murmelte Shinpachi fast unhörbar, stellte die Schatulle aber wieder an ihren Platz zurück und betrachtete die restlichen Gegenstände. Viele von ihnen waren den beiden bereits bekannt, andere dagegen hatten sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Harada konnte die ausgeprägte Neugier seines Freundes nur noch bedingt teilen. Jetzt, wo er in einem Yukata an den behaglich warmen Kohlenfeuern der Herberge saß und sowohl ein heißes Bad als auch ein deftiges Essen genossen hatte, brannte die Müdigkeit ihm hinter den Lidern. Träge verfolgte er, wie Shinpachi neuen Sake in ihre Schalen füllte, um ihn dann kurzerhand zusammen mit Ikura hinunterzustürzen. Seit der Kaufmann seinen Sohn Kentaro ins Bett geschickt hatte, hatten die zwei begonnen, sich zügellos zuzuprosten und waren dabei – zu Haradas Leidweisen – immer munterer geworden. Mittlerweile waren ihre Gesichter so rot wie die von Makakenäffchen und weil Harada rechtzeitig an dem Punkt aufgehört hatte, an dem die Wirkung einsetzte, fühlte er sich nun beinahe wieder nüchtern. „Ich mache Euch einen Vorschlag!“, polterte Ikura plötzlich los und schielte erwartungsvoll in die Runde. „Nagoya ist noch ein paar Tagesreisen von hier entfernt und ich habe niemanden mehr für meinen Geleitschutz. Warum gesellt Ihr Euch nicht zu mir und ich will Euch angemessen dafür entlohnen?“ Sofort warf Harada einen flüchtigen Seitenblick auf Shinpachi, der diese Art von Arbeit bisher so vehement abgelehnt hatte, doch der Alkohol hatte ihn in ausgelassene Stimmung versetzt und außerdem schien er den Händler zu mögen. „Das ist doch Ehrensache! Wir sind einverstanden, oder was meinst du, Sano?“, sagte er und Harada pflichtete ihm bei, erleichtert, dass Shinpachi offenbar wieder begann, rationale Entscheidungen zu treffen. „Fabelhaft! Auf die Gemeinschaft!“, rief Ikura laut, hob seine Trinkschale und leerte sie in einem Zug. Harada schwante, dass dieser Abend längst nicht ausgesessen war und bevor er wirklich drohte einzuschlafen, entschuldigte er sich, einen Moment frische Luft schnappen zu wollen. Ganz im Gegensatz zu dem stickigen Raum, aus dem er kam, war es draußen überraschend kühl geworden. Der Mond hatte einen wundersamen Glanz auf die Kirschbäume im Innenhof gelegt, dessen weiße Blütenblätter im Wind zu Boden rieselten wie frisch gefallener Schnee. Bewegungslos stand Harada auf der Veranda und genoss den Anblick und die Stille, als er auf einmal Erenya bemerkte, die am Brunnen inmitten der Bäume stand und einen großen Eimer voll Wasser füllte. Anschließend mühte sie sich, das unhandliche Gefäß in Richtung der Ställe zu tragen, doch es war so schwer, dass sie es immer wieder auf dem Boden abstellen musste und dabei das Wasser an den Rändern überschwappte. „Lass mich das machen.“ Völlig überrumpelt von seiner jähen Anwesenheit ließ sich Erenya den Eimer aus den Händen nehmen und staunte dann mit offenem Mund, wie Harada ihn problemlos an nur einem Arm balancierte. „Brauchst du noch einen?“, fragte er, interpretierte ihr unsicheres Schulterzucken einfach als Zustimmung und zog einen weiteren vom Grund des Brunnens hinauf. „Ich hoffe, es liegt nicht an mir, dass du nicht reden magst“, setzte er fort, in der ehrlichen Befürchtung, sie zu sehr einzuschüchtern. Doch Erenya starrte nur auf ihre Füße und führte ihn einen von Lampions beleuchteten Kiesweg voran, der bei den Ställen endete. Dort angekommen öffnete sie die sperrige Holztür und ein widerlicher Gestank nach Tieren und deren Ausscheidungen wehte ihnen um die Nase. Harada goss das Wasser in den Trog von Ikuras Ochsen und drehte sich anschließend wieder zu Erenya um, die noch in der Türschwelle stand und sich so lange und so tief verbeugte, dass es fast unangenehm war. „Du brauchst mir nicht zu danken“, wehrte Harada entschieden ab und sie richtete sich rasch auf und schenkte ihm ein allererstes Lächeln – so strahlend, selbst die Kirschbäume im Garten schienen neben ihr regelrecht zu verblassen. Harada kam nicht umhin, es unwillkürlich zu erwidern, hatte aber keine Gelegenheit mehr, etwas dazu zu sagen, denn da war sie auch schon zum Haupthaus gelaufen und in ihm verschwunden wie eine Maus in ihrem Versteck. Nachdenklich kehrte er zu Ikura und Shinpachi zurück, deren fröhliches Lachen man schon von weitem hören konnte – unterlegt von dem steten Klirren ihrer Trinkschalen – und halb entnervt, halb belustigt schoss Harada durch den Kopf, wie er es anstellen sollte, Shinpachi morgen früh zum Aufstehen zu bewegen. Doch zunächst schob er den Gedanken beiseite und wandte sich stattdessen an den Kaufmann. „Ikura-san, wäre es möglich, mir etwas über Erenya zu erzählen?“, fragte er, schenkte allen Beteiligten nach und versuchte so beiläufig wie möglich zu klingen. „Ich habe sie gerade draußen getroffen, aber sie spricht nicht mit mir.“ „Ah, das ist auch kein Wunder“, entgegnete Ikura glucksend. „Sie versteht unsere Sprache nicht.“ „So? Woher kommt sie?“ „Zugegeben, ich weiß nicht viel über sie. Sie ist noch nicht lange bei mir, seit einem Jahr gerade mal. Und ich denke, es reicht, wenn sie die wichtigsten Anweisungen kennt, die ich ihr gebe. Schließlich müssen Frauen nicht sonderlich klug sein, sondern sollten nur gehorchen können.“ Harada äußerte sich nicht zu dieser Aussage, die sich mit der Meinung der meisten Männer deckte, für die Frauen nichts als niedere Wesen waren und lediglich zur Erfüllung ihrer Begierden existierten. Ikura schien einer derer zu sein, der nie den wahren Wert einer Frau zu schätzen gelernt hatten und weil er kein weiteres Wort über seine Dienerin verlor, bohrte Harada auch nicht weiter nach. Noch lange nachdem sie ihr Gelage aufgelöst hatten und er Shinpachis dröhnendes Schnarchen neben sich ertrug, lag er im Dunkeln wach und dachte darüber nach, was Erenya wohl für eine Vergangenheit haben mochte. Welcher Umstand konnte dafür gesorgt haben, dass sie jetzt hier war, in einem Land und bei einem Mann, die ihr beide so fremd vorkommen mussten wie der Mond? Er schloss die Augen und drehte sich auf die Seite, doch obwohl er vorhin noch schrecklich müde gewesen war, fühlte er sich nun ruhelos und sah immerzu Erenyas Gesicht vor sich, als habe es sich hinter seine Stirn gebrannt. Wie gerne er noch ein bisschen mehr über sie in Erfahrung gebracht hätte! Und wie schade, dass sie ihm auf alle Fragen nie würde antworten können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)