Drei Jahre von Rabenkralle (Temari & Shikamaru | The Last) ================================================================================ Kapitel 1: Drei Jahre --------------------- Drei Jahre Ein dumpfes Grollen schallte durch das geöffnete Fenster. Der Boden vibrierte, die Zahnbürste wanderte munter im Plastikbecher herum und erzeugte dabei einen hohen Singsang. Temari hielt inne und lauschte den Geräuschen der Umgebung. Ein paar Vögel schreckten mit Schreien aus ihrer Nachtruhe auf, die Hunde in der Nachbarschaft bellten und das Miauen der Straßenkatzen erinnerte an ein Durcheinander von Klagelauten. Sie legte ihre Bürste zurück auf das Regalbrett und betrachtete sich im Spiegel. Das Make-up, den dicken, schwarzen Kajal um die Augen und den Lippenstift hatte sie abgelegt und mit diesen Dingen die Maske, die sie Tag für Tag aufsetzte. Ein Schein, der nach außen hin ihre Stärke und ihr Selbstbewusstsein bewahrte, wo kaum noch etwas davon übrig war. Nicht, seit sich diese Katastrophe anbahnte. Vor zwei Monaten hatte es angefangen. Meteoriteneinschläge häuften sich, die Natur spielte verrückt und der Mond näherte sich mit jeder Sekunde ein Stückchen mehr. Temari wusste nicht, wie lange es noch dauern würde – ein paar Tage, mit Glück vielleicht noch ein paar Wochen –, doch irgendwann kollidierte er mit der Erde. Und das bedeutete das Ende allen Lebens. Alle Nationen hatten sich zusammengeschlossen, um zu beraten, wie man diesem Problem entgegenwirken konnte, aber es war ein sinnloses Unterfangen. Gegen eine Gewalt von diesen Ausmaßen konnte man nichts ausrichten. Was die Menschheit brauchte, war ein Wunder. Sie glaubte nicht an Wunder. Eine Strähne ihres unfrisierten Ponys hing ihr ins rechte Auge. Sie fuhr sich durch die Haare und versuchte, sie sich hinter das Ohr zu klemmen, aber sie waren zu kurz. Sie schaute auf die Uhr. Es war erst neun und noch zu früh, um schlafen zu gehen. Selbst wenn sie müde gewesen wäre, so dauerte es wahrscheinlich Stunden, bis sie einschlafen konnte. In letzter Zeit fand sie kaum in den Schlaf und sie wusste nicht, warum es heute anders sein sollte. Temari zog ihren kurzen Schlafanzug wieder aus, streifte einen schlichten lilafarbenen Yukata mit halblangen Ärmeln über, und zog das rote Band um ihre Taille fest. Nach einem letzten Blick in den Spiegel verließ sie das Badezimmer. Gaara und Kankurou saßen am Tisch im Wohnzimmer und redeten darüber, wie man das Unheil abwenden konnte. Sie wollte sich zu den beiden setzen, sie mit einem unehrlichen, aufgesetzten Lächeln fragen, ob sie Lust auf ein paar Runden Blackjack oder ein anderes Kartenspiel hatten, doch sie ließ es bleiben. Niemand war in der Stimmung dazu. Nicht einmal sie selbst. Sie ging zur Tür der Gästewohnung und stieg in ihre Sandalen. Das Gespräch verstummte und sie wusste, dass die Blicke ihrer Brüder auf ihr lagen. „Ich geh noch mal nach draußen“, sagte sie, wandte sich zu ihnen um und lächelte unbekümmert. „Wartet nicht auf mich.“ Gaaras Gesichtausdruck war neutral, der von Kankurou mit Sorgenfalten durchzogen. Sie konnte es nicht leiden, wenn er so dreinschaute. Sie war schließlich die Älteste von den Dreien und wenn sich jemand Sorgen machen sollte, war sie es, nicht umgekehrt. Sie schenkte ihren Brüdern ein unbekümmertes Lächeln – sie hoffte zumindest, dass es so aussah – und verließ die Wohnung. --- Draußen waren die Temperaturen, obwohl es stark auf den Winter zuging, recht angenehm. Eine leichte Brise wehte ihr um die Nase und sie schloss für einen Moment die Augen. Sie liebte den Wind und sie genoss ihn, als wäre es das letzte Mal, dass er durch ihre langen Haare, über ihre Haut fuhr. Vielleicht war es das letzte Mal. Ihre Lider gingen auf und sie betrachtete den Weg und die Häuser vor ihr. Es war hell. Zu hell. Ganz Konoha war in ein unnatürliches Licht getaucht. Temari schaute in den Himmel. Der Mond stand direkt über den Felsen der Hokage. Sein Leuchten und seine plötzliche Nähe waren unheimlich, strahlten eine Bedrohlichkeit aus, die sie nicht in Worte fassen konnte. Ein paar Tage oder Wochen, dachte sie. Dann ist es vorbei. Endgültig. Sie bekam eine Gänsehaut und ihr Magen verknotete sich. Als Kunoichi war das frühzeitige Ableben eine Gefahr, der sie sich tagtäglich gestellt hatte, doch nun war es anders. Sie konnte nichts dafür tun, um ihr Überleben zu sichern. Nicht das Geringste. Ein Meteoritenregen zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Aus der Ferne wirkte es romantisch, wie Sternschnuppen, die einem jeden Wunsch erfüllten, wenn man nur daran glaubte. Sie glaubte nicht daran. Für verklärte Ansichten und Wunschdenken, Romantik, hatte sie nie etwas übrig gehabt. Liebe … Natürlich gab es Menschen und Dinge, die ihr wichtig waren. Sie liebte ihre Brüder und ihre Heimat, aber nicht auf die romantische Weise. Das eine war Blut, das andere Gewohnheit, Nostalgie. Romantische Liebe … Ja, was das betraf, gab es einen Punkt, den sie in der Vergangenheit gern anders gemacht hätte. Den Fehler wollte sie nun beheben. Bevor sie nicht mehr die Gelegenheit dazu hatte. --- Zehn Minuten später stand Temari vor seiner Wohnung. Sie überlegte kurz, ob sie wirklich klingeln sollte. Shikamaru verbrachte seine Freizeit schließlich gerne mit Schlafen und – Sie schüttelte den Kopf. Es war kurz nach einundzwanzig Uhr und der Untergang der Welt stand bevor. Da dachte niemand ans Schlafen. Nicht einmal er. Ihre Hand wanderte zum Schalter und drückte ihn. Kurz darauf hörte sie, wie ein Schlüssel im Schloss umgedreht wurde und die Tür nach innen aufgezogen wurde. „Sorry, dass ich dich störe“, sagte sie, „aber hast du vielleicht ein bisschen Zeit?“ Ein wenig irritiert sah er sie an. Dann antwortete er: „Klar.“ „Gehen wir ein Stück?“ Er nickte. --- Still gingen die beiden nebeneinander her. Temari merkte, wie die Bedrohung, die sie seit Wochen verspürte, in den Hintergrund rückte. Wie der Knoten in ihrem Magen. Tatsächlich fühlte sie sich etwas besser. „Wenn ich gewusst hätte, dass die Apokalypse ausbricht, hätte ich mir den Umzug geschenkt“, unterbrach Shikamaru das Schweigen und betrachtete sie aus den Augenwinkeln. Sie schmunzelte nicht mal darüber und das verpasste ihm ein Gefühl der Ernüchterung. „Was ist los?“, fragte er. „Das weißt du doch“, antwortete sie. „Der Weltuntergang“ „Möchtest du darüber reden?“ „Nein.“ Shikamaru schwieg einen Moment, dann sagte er in der Hoffnung, dass es sie ein wenig aufheiterte: „Ohne den ganzen Kleister im Gesicht gefällst du mir viel besser.“ Ihre Mundwinkel zuckten, aber ein Lächeln brachte sie nicht zustande. Sie warf den Kopf in den Nacken und blickte in den Himmel. Die Sterne der Milchstraße funkelten, als wäre alles wie immer. Und das tröstete sie für einen Moment. „Ist es nicht jämmerlich“, begann sie, „dass wir es in all den Jahren nicht einmal geschafft haben, uns zu verabreden?“ „Hättest du denn gewollt?“, fragte er, obwohl er wusste, dass die Frage überflüssig war. „Wenn du mich gefragt hättest, hätte ich Ja gesagt.“ „Warum hast du mich nicht gefragt?“ „Da du so viel Wert auf das klassische Rollenbild legst, dachte ich mir, dass du mich schön selbst fragen darfst.“ Sie schmunzelte. „War wohl ziemlich dumm von mir, darauf zu warten, dass du die Initiative ergreifst.“ „Soll ich dich jetzt fragen?“ Temari schüttelte den Kopf. „Ich glaube, diesen Quatsch können wir überspringen.“ „Wie du meinst.“ Shikamaru zog seine linke aus seiner Hosentasche und nahm ihre rechte Hand. „Jetzt komme ich mir irgendwie albern vor“, sagte sie und lachte. Es war das erste ehrliche Lachen seit Wochen. „Warum denn?“ „Jetzt sind wir in zehn Minuten weiter gekommen als in den letzten drei Jahren“, bemerkte sie. „Unglaublich, wie viel Zeit wir vergeudet haben.“ Bei dem Gedanken daran zog sich ihr Herz zusammen und ihr Griff verstärkte sich. Warum hatte sie nur damit gewartet, als es fast zu spät war? Er drückte ihre Hand und sie entspannte sich. „Ist das denn jetzt noch wichtig?“ Sie ließ ihn wieder los und sank auf die nächste Bank. Ihr Blick blieb auf dem Mond haften. Er wirkte weniger bedrohlich auf sie. Ein Irrtum, das wusste sie, aber im Augenblick war der Mond einfach nur ein Himmelskörper wie jeder andere. „Wahrscheinlich nicht“, antwortete sie. „Aber ich bereue es schon, dass ich trotz meiner großen Klappe nie etwas gesagt habe.“ Er setzte sich zu ihr. „Das kann man nicht mehr ändern“, sagte er gleichmütig. „Also was soll’s.“ Sie wünschte sich, dass sie es mit der gleichen Gelassenheit wie er tragen könnte, doch dem war nicht so. Aber mehr als das Beste konnten sie nicht mehr daraus machen. Was auch immer das sein sollte. „Warum hast du eigentlich nie etwas gesagt?“ Shikamaru dachte über eine Antwort nach und erwiderte: „Keine Ahnung. Dieser Gefühlskram ist irgendwie nicht so meins.“ „Mein Fall ist es auch nicht“, pflichtete sie ihm bei und lehnte sich an ihn. „Aber manchmal ist es vielleicht doch nicht so übel.“ Er legte seinen Arm um ihre Schulter. Wie eine Selbstverständlichkeit. Als hätten sie nicht die letzten Jahre mit Stillstand verschwendet. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Bis vor einer halben Stunde wäre es undenkbar für sie gewesen, sich so mit einem Mann in der Öffentlichkeit sehen zu lassen. Und nun saßen sie hier wie ein verliebtes Paar und es störte sie überhaupt nicht. Tatsächlich verstand sie immer weniger, warum sie sich in ihrer Vorstellung gegen so etwas immer gesträubt hatte. Zuneigungsbekundungen von der richtigen Person fühlten sich wirklich gut an. Das hätte sie sicher auch so empfunden, wenn nicht der Weltuntergang bevor gestanden hätte. Selbst wenn sie es nur ungern zugegeben hätte. Eine Erschütterung. Temari versuchte, es auszublenden, als Ablenkung an etwas Schönes zu denken, doch es funktionierte nicht so, wie sie gehofft hatte. Vielleicht half es doch, wenn sie darüber redete … „Sag mal“, begann sie, „bedrückt dich die Situation gar nicht?“ „Ich kann mir schon Besseres vorstellen, als zu sterben“, erwiderte Shikamaru, „aber ich bin schon so oft mit dem Leben davongekommen, dass mein Glück inzwischen aufgebraucht sein müsste.“ „So pessimistisch wie immer.“ „Realistisch“, verbesserte er sie. „Für ewige Träumer ist in dieser Welt kein Platz.“ Sie war nie ein Mensch von der Sorte gewesen, aber jetzt versprühte das Träumen einen gewissen Reiz auf sie. Weil die Wirklichkeit so deprimierend war. „Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn das Mugen Tsukuyomi damals nicht aufgelöst worden wäre“, sagte sie. „Dann bliebe uns das alles hier erspart und statt bewusst zu sterben würden wir einfach nur aufhören zu träumen.“ Er tastete sich zu ihrer Hand und verkreuzte die Finger mit ihr. „Es passt überhaupt nicht zu dir, dass du so etwas sagst“, meinte er. Sie atmete schwer aus. „Ich weiß“, sagte sie. „Aber es ist einfach ein beschissenes Gefühl, wenn man weiß, dass man nicht mehr viel Zeit hat.“ „Den meisten Menschen geht es wahrscheinlich ähnlich wie dir, also lass dich nicht so davon herunterziehen. Sei glücklich und verschwende deine letzten Tage nicht mit negativen Gedanken.“ „Glücklich?“, flüsterte sie. „Wie zum Teufel soll man mit dem Weltuntergang vor Augen glücklich sein?“ „Blende das doch mal aus. Es gibt bestimmt irgendwas, das du immer schon mal tun wolltest. Du hast ohnehin nichts mehr zu verlieren.“ Es war seltsam, dass ausgerechnet er so etwas sagte. Früher hätte sie ihn damit sicher aufgezogen, aber nun war sie ihm dafür irgendwie dankbar. Sie wollte die wenige Zeit, die ihr noch blieb – ob es nun Stunden, Tage oder Wochen waren –, nicht mit Selbstmitleid verbringen. „Doch“, widersprach sie mit einem Schmunzeln, „den kleinen Funken Stolz, den ich noch habe. Aber was soll’s.“ Sie löste sich aus seiner Umarmung, schwang sich auf seinen Schoß und presste ihren Mund auf seinen. Er verschränkte die Arme auf ihrem Rücken, dann erwiderte er ihren Kuss. Sie hatte zwar eine Abneigung gegen Kitsch, aber es fühlte sich nicht schlecht an. Überhaupt nicht schlecht. Schließlich machte sie sich wieder von ihm los. „So, Kitschkacke abgehakt“, scherzte sie. „Und?“ „Dafür, dass wir uns gerade das erste Mal geküsst haben, war es ganz in Ordnung.“ „Ganz in Ordnung? Komm bloß nicht um vor Begeisterung.“ Vor Belustigung zog sie die Augenbrauen nach oben. „Sorry, aber ein besseres Zugeständnis bekommst du von mir nicht. Irgendwas in mir wehrt sich dagegen.“ Sie wartete nicht, dass eins der vielen scherzhaften Wortgefechte losgetreten wurde, die sie sich so oft lieferten, und küsste ihn erneut. „Du hast dieses Irgendwas gerade ausgetrickst, was?“, bemerkte er und sie lachte. „Ich rede nicht, sondern mache lieber. Und in diesem Fall widerstrebt mir das Reden besonders.“ „Warum denn?“ „Wenn du Lust hast, über gefühlsduseligen Kram zu reden, darfst du gerne anfangen.“ „Nein, danke. Ich verzichte“, sagte er amüsiert. „Ist sowieso überflüssig.“ „Sag ich ja“, stimmte sie zu und setzte sich wieder neben ihn. Sie betrachtete den Mond und das flaue Gefühl in ihrem Magen kehrte zurück. Es war schön, der Realität für einen Augenblick den Rücken zuzukehren, aber letzten Endes holte sie einen immer ein. Intuitiv tastete sie nach seiner Hand. Sie war der Halt, den sie brauchte, um nicht wieder in Lethargie zu verfallen. „Ich bin übrigens froh, dass du jetzt keinen Lippenstift trägst“, bemerkte Shikamaru und brachte sie so zum Lachen. „Jetzt würde das Meiste davon eh an dir kleben.“ „Deswegen bin ich ja froh“, sagte er. „Mal ehrlich: Wer hat dir zu dem Zeug geraten?“ „Niemand“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Vielleicht dachte ich, dass ich damit erwachsener oder so wirke. Keine Ahnung.“ „Wozu willst du denn erwachsener wirken? Du bist doch ohnehin drei Jahre älter als ich. Und nötig hast du dieses Zeug auch nicht.“ „Wenn du heute noch mehr Kitschiges von dir gibst, wird mir gleich schlecht.“ Sie zog demonstrativ eine Grimasse. „Außerdem sind es drei Jahre und dreißig Tage. Aber in meinem Alter kann man schon mal beruhigt den Löffel abgeben.“ Temari wunderte sich, dass sie es in dieser deprimierenden Lage schaffte, Witze darüber zu machen, aber das war besser, als sich wie die letzten Wochen so hängen zu lassen. Ein Grinsen flackerte auf, doch es erstarb genauso schnell, wie es gekommen war. „Ehrlich, ich beneide dich darum, dass du so gelassen bleiben kannst“, fuhr sie ruhiger fort. „Von der Sache mit uns abgesehen, hab ich mir nichts vorzuwerfen. Es ist, wie es ist.“ Sie seufzte. „So viel inneren Frieden hätte ich auch gerne.“ „Ich würde dir welchen abgeben, aber das geht schlecht.“ Sie lächelte, dann fiel ihr Blick wieder auf den Mond. „Gehen wir weiter“, sagte sie. „Und wohin?“ „Egal. Die Hauptsache ist, dass ich dieses Miststück am Himmel nicht mehr sehen muss.“ Sie sprang auf, zog Shikamaru am Arm hoch und ging los. --- Temari nahm einen Schluck aus dem Pappbecher von ihrem Früchtetee. Er rann durch ihren Hals in ihren Magen und erwärmte sie von innen. Sie warf einen Blick auf die Uhr, die über einem geschlossenen Imbiss hing. Es war halb elf und die Straßen inzwischen so gut wie ausgestorben. Hier und dort schwankte ein Betrunkener – sie konnte nachvollziehen, warum sie sich betranken – und in manch dunkler Ecke trieben sich zwielichtige Gestalten oder Jugendliche herum. Doch die meisten Menschen waren zu Hause. Zu Hause … Sie bezweifelte, dass sie Sunagakure jemals wiedersehen würde, aber das war nicht mehr wichtig. Wichtig war nur das, was sie im Moment hatte. Ein Windhauch kitzelte ihre Nase und sie nieste. Sie fröstelte und sie spürte, wie sich auf ihren Armen eine Gänsehaut bildete. „Ich bring dich besser zurück, bevor du die letzten Tage krank im Bett verbringen musst“, sagte Shikamaru, doch sie schüttelte den Kopf. „Das ist zwar nett von dir“, erwiderte sie, „aber von so einer kleinen Brise hol ich mir schon nichts weg.“ „Wenn du das sagst …“, meinte er und wechselte das Thema. „Beim nächsten Mal bezahle übrigens ich.“ Sie winkte mit der freien Hand ab. „Du hast mir während der Prüfungen schon genug ausgegeben.“ „Ja“, sagte er, „als Kollege.“ Sie seufzte und tat genervt. „Wenn du heute Abend nur einmal erwähnst, dass ein Mann für eine Frau sorgen muss und dieses dämliche Blabla, fängst du dir eine ein, das verspreche ich dir.“ „Dann los, schlag mich“, forderte er sie im Scherz auf. „Wer stirbt nicht gerne mit einem blauen Auge?“ Anstatt ein schlagfertiges Kontra darauf zu geben, lächelte Temari nur. Es war ein ernüchtertes Lächeln. „Entschuldige, das war wohl ziemlich unsensibel, hm?“, setzte er nach. „Ein bisschen vielleicht“, sagte sie. „Ich hab einfach keine große Lust, mich mit dem Thema zu befassen.“ Sie trank den Rest von ihrem Tee und beförderte den Becher in den nächsten Mülleimer. Da die Erde nicht mehr lange existierte und somit niemanden, der sich über Abfall auf der Straße aufregen konnte, empfand sie es als Schwachsinn. Aber Gewohnheiten und Moralempfinden legte man selbst vor einer drohenden Apokalypse nicht so schnell ab. „Erinnerst du dich noch daran, was du damals zu mir im Krankenhaus gesagt hast?“, fragte Shikamaru. „Klar“, sagte sie. „Aber das beste psychologische Training nützt nichts, wenn die Situation aussichtslos ist. Wie will man sich psychisch schon darauf vorbereiten, wenn man weiß, dass man definitiv ins Gras beißen muss?“ Er antwortete ihr nicht und sie war erleichtert, dass er es nicht tat, doch … „Hast du Angst vor dem Tod?“ Sie presste die Lippen aufeinander und ihre Hände vergruben sich in ihrem Yukata. Angst … Das klang so lächerlich. Als Kunoichi war es unangebracht, dieses Gefühl zu verspüren, besonders im Angesicht des Todes, der ihr in diesem Beruf immer im Nacken stand und allgegenwärtig war. „Sollte ich etwa?“, erwiderte sie. Ihre Stimme war ihm eine Spur zu hoch, doch er beließ es dabei. „Und was machen wir nun?“, fragte er, um vom Thema abzulenken. „Oder möchtest du die ganze Nacht durchs Dorf spazieren?“ „Nein.“ Sie ließ den Stoff los und griff nach seinem Arm. „Gehen wir zu dir.“ Er hielt einen Moment inne. „Sicher?“ „Ja“, sagte sie. „Warum sollte ich das nicht sein?“ --- Temari fühlte sich deutlich wohler, als sie auf den beheizten Flur trat. Sie war durchgefroren und froh darüber, dass sie endlich im Warmen war. Und dass sie den Mond nicht mehr sehen musste. Sie zog die Schuhe aus und folgte Shikamaru ins Wohnzimmer. Dort schaute sich um. Die Wände waren weiß und die Einrichtung aufs Nötigste beschränkt. Eine typische Wohnung eines Mannes, der sich nichts aus Kleinigkeiten und dekorativen Schnickschnack machte. Wie die leichte, geregelte Unordnung überraschte es sie nicht, denn genau so hatte sie ihn eingeschätzt. „Entschuldige das Chaos“, sagte er und fischte die Kleidungsstücke, die wirr übereinander lagen, von der Sofalehne. „Das nennst du ein Chaos?“, gab sie amüsiert zurück. „Dann hast du noch nicht gesehen, was Kankurou manchmal in unserem Haus veranstaltet.“ Sie hob eine Papiertüte vom Boden auf – das Einzige, das nicht dort hingehörte – und zerknüllte sie. „Und mal ehrlich“, fuhr sie fort und drückte ihm das Knäuel in die Hand. „Wer achtet da noch drauf, wenn man es eh bald hinter sich hat?“ Seine Finger schlossen sich um die Papierkugel und er steckte sie in die Hosentasche. Er musterte Temari und verspürte den Wunsch, sie aufzuheitern. Er wusste nur nicht, wie er das machen sollte. „Willst du Fernsehen?“, fragte er aus der Not heraus. Ein Schmunzeln legte sich auf ihre Lippen und sie deutete ein Kopfschütteln an. Sie nahm ihm die Sachen ab, für die er noch keinen Platz gefunden hatte, und warf sie auf den Sessel in der Ecke. Sie wollte sich keinen Film ansehen. Nein, sie wollte vergessen, wie es um die Welt stand. Das nachholen, was sie in den vergangenen drei Jahren verpasst hatte. Sie überwand die kurze Distanz zu ihm, legte ihre Arme um seine Schultern und zog ihn an sich. Dann küsste sie ihn. Überrascht von der Aktion, brauchte er einen Moment, um zu realisieren, was sie tat. Schließlich platzierte er seine Hände auf ihrer Hüfte und erwiderte ihren Kuss. Ihr Magen zog sich auf angenehme Weise zusammen und sie wusste, dass sie das Richtige tat. Sie öffnete ihren Griff und ihre Finger wanderten von seinem Nacken über seine Schultern zu seiner Brust. Dort verharrten sie etwas, dann fuhren sie noch tiefer unter seinen Pullover. Sie merkte, wie er kurz unter ihrer Berührung zusammenzuckte. Er hielt inne und löste sich von ihr. „Willst du das wirklich?“, fragte Shikamaru. Temari lachte. Es war zugleich ein bitteres und belustigtes Lachen. „Meinst du, uns bleibt die Zeit, um bis nach dem dritten Date damit zu warten?“, erwiderte sie. Nein, wahrscheinlich nicht, dachte er, doch mit so einem Nonsens wollte er sich nicht aufhalten. Die letzten drei Jahre machten ein drittes Date überflüssig. Diesmal zog er sie zu sich heran und machte dort weiter, wo er sie eben unterbrochen hatte. Ihre Hände tasteten sich vorne über seine Brust unter seinen Armen hindurch auf seinen Rücken. Sie griff den Saum seines Oberteils, machte sich kurz von ihm los und zog es ihm mit einer fließenden Bewegung aus. Anschließend nahm sie den Kuss wieder auf. Er lockerte im Gegenzug das Band um ihre Taille und da es nun nichts mehr gab, das ihn festhielt, öffnete sich ihr Yukata. Er bahnte sich einen Weg darunter und berührte ihre warme Haut. Seine Finger glitten aufwärts über ihren flachen Bauch, an ihrem BH vorbei zu ihrem Dekolletee. Er streifte ihre Kleidung von ihren Schultern und sie ließ sie über ihre Arme zu Boden fallen. Von seinem Tun bestätigt, verstärkte sie den Druck gegen seinen Oberkörper und drängte ihn an die Wand. Die Kühle an seinem Rücken ließ ihn einen Moment schaudern. Kurz entschlossen packte er sie unter den Oberschenkeln und hob sie hoch. Sie verschränkte ihre Arme hinter seinem Kopf, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er machte ein paar Schritte und stieß die Tür zu ihrer Linken auf. Dann trug er sie durch das Halbdunkel des Raumes zu seinem Bett herüber und ließ sie dort wieder herunter. Dann beugte er sich über sie, brachte sie in Liegeposition und küsste sie wieder und beide fuhren damit fort, den Körper des anderen zu erforschen. Temari arbeitete sich langsam aber sicher abwärts, bis sie seine Hose erreichte. Sie machte sie auf, zog sie ein Stück herunter und er entledigte sich ihrer mit ein paar Handgriffen ganz. Im Anschluss tastete er sich zu dem Verschluss ihres BHs vor. Er öffnete ihn und warf ihn achtlos beiseite. Shikamaru berührte mit der Rechten ihre Brüste und ein angenehmer Schauer durchfuhr sie. Es gefiel ihr, was er tat – sehr sogar –, doch es reichte ihr nicht. Nicht heute, nicht nach drei verschwendeten Jahren. Ihre Finger verschwanden unter dem Saum seiner Boxershorts und sie zog sie ihm ohne zu zögern aus. Ermutigt davon tat er dasselbe mit ihrem Slip. Sie verspürte ein erwartungsvolles Kribbeln im Unterleib und so schlang sie ihre Arme wieder um seinen Oberkörper, um ihn näher an sich zu ziehen. Er umfasste ihre Hüfte und rückte sie in eine bessere Position und sie öffnete im Gegenzug ihre Beine noch etwas weiter. Sie war bereit und wartete nur darauf, dass er es geschehen ließ, doch … Anstatt ihrem und seinem Verlangen nachzugeben, stellte er seinen Kuss ein. Ihre Augen gingen auf. Das Licht, das vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer fiel, beleuchtete die eine Hälfte seines Gesichts. Sie kannte die Miene gut, die er aufgesetzt hatte. So sah er meist aus, wenn er über etwas nachdachte. „Was ist?“, flüsterte sie irritiert. „Du brauchst auf mich keine Rücksicht nehmen. Mach einfach.“ „Und wenn du schwanger wirst?“ Temari musste innerlich lachen. Dass er sich darüber sogar jetzt noch Gedanken machte, passte zu ihm. Und irgendwie hatte diese Frage ihre Daseinsberechtigung. Was, wenn es passierte und doch niemand sterben musste? Sollte sie das Risiko eingehen, auch wenn es noch so unwahrscheinlich war, dass der Untergang der Welt abgewendet werden konnte? Sie wusste, was sie für ihn empfand und dass das alles keine Rolle für sie spielte. „Das ist mir egal“, sagte sie und schenkte ihm ein Lächeln. „Das klingt zwar ziemlich kitschig, aber wenn die Welt aus irgendeinem Grund doch gerettet werden sollte und wir überleben, würde ich liebend gern dein Kind bekommen.“ Shikamarus nachdenklicher Blick verschwand. Ein rasches Schmunzeln huschte über seine Lippen, dann setzte er den Kuss mit ihr fort. Sie umklammerte seinen Oberkörper und sie fühlte, wie seine Hände ihre Seiten entlang zu ihren Oberschenkeln fuhren und sie griff. Kurz darauf spürte sie einen Widerstand und gab ihm nach. Und sie vergaß. Sie vergaß die Zeit, die sie vergeudet hatten, ihre Furcht vor dem, was in der Welt vor sich ging. Dass der Weltuntergang nahte. --- Temari lauschte seinen schweren Atemzügen. Sie merkte, wie sie ihre rechte Schulter streiften und zusammen mit dem angenehmen Puckern in ihrem Unterleib ein Gefühl der Zufriedenheit auslösten. Obwohl es vorbei war, hielt sie ihn fest, um noch ein wenig länger seine Wärme zu spüren, den Moment so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Drei Jahre hatten sie gebraucht, um so beieinander zu liegen und nun, da es soweit war, war das Bereuen über die verlorene Zeit verschwunden. Sein Atem beruhigte sich allmählich und als sie merkte, dass er sich von ihr lösen wollte, und auch wenn es ihr etwas widerstrebte, ließ sie ihn los. Shikamaru sank neben sie und legte seinen Arm um ihre Taille. Sie schaute zum Fenster und sah, dass ein winziger Strahl des Mondlichtes auf die Fensterbank fiel. In ihrem Hals zog sich etwas zusammen und es kam ihr vor, als bildete sich dort ein widerlicher Fremdkörper, der es darauf anlegte, ihr die Luft zum Atmen zu nehmen und die Tränen in die Augen zu treiben. Sie suchte seine Hand und verkreuzte ihre Finger mit seinen. Es gab ihr einen trügerischen Eindruck von Sicherheit, dem sie sich nur zu gern hingegeben hätte. Aber es funktionierte nicht. Er bemerkte ihre Anspannung und drückte ihre Hand. Sie wusste nicht warum, doch es verpasste ihr einen Stich. Es war schön, dass sie nach den Jahren endlich zueinander gefunden hatten und trotzdem machte es nichts besser. Es war und blieb ungerecht, dass sie bald sterben mussten. Sie schnappte nach Luft und biss sich auf die Unterlippe, um die aufkeimenden Tränen zu unterdrücken. Ihre Finger verkrampften sich und ihre Nägel bohrten sich in seinen Handrücken. „Ich habe Angst“, flüsterte sie. Er erwiderte nichts, sondern gab ihr einen Kuss auf die Schläfe. Sie lockerte ihren Griff und atmete tief ein. Sie vernahm seinen Geruch und ihr Herz zog sich zusammen. „Es ist so unfair“, murmelte sie. „So verdammt unfair …“ Shikamaru strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn, küsste sie erneut und verstärkte seine Umarmung. „Daran kannst du immer noch denken, wenn es so weit ist“, sagte er. „Das würde ich, wenn ich könnte“, gab Temari mit belegter Stimme zurück. Er schwieg einen Augenblick. „Wenn die Welt gerettet werden sollte“, begann er, „dann machen wir es so, wie du gesagt hast.“ Sie warf ihm einen fragenden Blick zu. „Dann bekommen wir ein Kind.“ Einen Moment lang schaute sie ihn irritiert an, dann lächelte sie. „Okay.“ „Wirklich?“, fragte er und zog die Augenbrauen nach oben. „Hätte ich dir das vor ein paar Monaten vorgeschlagen, hättest du mich gefragt, ob ich noch ganz dicht bin.“ Sie lachte. „Wahrscheinlich schon.“ „Und warum jetzt nicht?“ Sie drückte ihm einen Kuss auf und schmiegte sich an seine Schulter. Auch wenn sie fern jeder Realität war, gefiel ihr diese Vorstellung. „Wir haben drei Jahre verschenkt“, sagte sie, „und ich liebe dich. Warum also noch damit warten?“ Er schmunzelte. „Und was würdest du dir wünschen?“, fragte Shikamaru. „Einen Jungen oder ein Mädchen?“ „Einen Jungen“, antwortete Temari sofort und grinste. „Tut mir zwar leid für dich, aber ich denke nicht, dass ich mit einem kitschigen Mädchen viel anfangen kann.“ „Kein Problem“, entgegnete er, „dann bekommen wir eben beides.“ „In Ordnung“, stimmte sie zu. „Aber diesen blöden Mädchenkram wie mit Puppen spielen machst du dann mit ihr.“ „Nur wenn du mit unserem Sohn Fußball spielst.“ „Sicher.“ Sie lachte auf. „Das ist immer noch tausend Mal besser als ein Ausflug zum Ponyhof.“ Sie lächelte und beugte sich zu ihm herüber. Und während sie sich küssten, wichen ihre Sorgen dieser Vorstellung. Den zwei Kindern, die sie haben würden – ein Junge und ein Mädchen –, und all den Dingen, die sie mit ihnen unternehmen würden. Und vor allem den vielen Jahren, die ihnen gemeinsam bleiben würden. Dieser Fantasie wollte sie sich hingeben. Bis die Welt unterging. 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