Home Sweet Home von Rabenkralle ================================================================================ Kapitel 21: Weil es das Beste ist --------------------------------- Kapitel 21: Weil es das Beste ist Zu Temaris Überraschung lief es besser als gedacht. Sehr viel besser. Zumindest, was Kankurou betraf. Die Übelkeit wurde von Tag zu Tag schlimmer und es wurde immer schwieriger für sie, sich nicht anmerken zu lassen, wie es ihr ging. Sie hatte sich angewöhnt, nach einer Spatzenmahlzeit zum Mittag nichts mehr zu essen, bis ihr Bruder das Haus verließ und die drei Stunden, die sie bis dahin am liebsten nur auf dem Klo verbracht hätte, überbrückte sie, indem sie sich ablenkte. Sie beschäftigte sich unablässig mit Kairi, die manchmal schon keine Lust mehr auf die Gesellschaft ihrer Mutter hatte, und lieber alleine gespielt hätte, wie ihr schien. Und wenn ihre Tochter im Bett war, vertrieb sie sich die Zeit mit einem Hobby, das sie seit Kairis Geburt vernachlässigt hatte. Matsuri zuckte zusammen. „Meinst du nicht, dass diese Art Spiel eher das Falsche ist, wenn man schwanger ist?“, fragte sie. „Wieso?“ Temari betätigte ein paar Mal die rechte Schultertaste ihres Controllers und schickte den Untoten, der sie auf dem Bildschirm bedrohte, damit in die ewigen Jagdgründe zurück. „Meinst du, ich hab Angst vor ein paar digitalen Zombies?“ „Nein, aber“ – sie erschreckte sich wieder, als ein widerlich fleischiger Hund durch eine Fensterscheibe brach – „Gott, diese Schreckmomente … Rutscht dir da dein Herz nicht ein paar Etagen tiefer?“ Sie erledigte das Vieh und wechselte das Areal. Die Ladeanimation einer Tür erschien, die Matsuris Anspannung noch verstärkte. Welcher normale Mensch tat sich freiwillig Horrorgames mit Jumpscares an, wenn er ein Kind erwartete? „Nicht im Geringsten“, antwortete Temari. „Der Horror, der auf die Psyche geht, ist schlimm, aber das hier ist Kindergarten dagegen.“ „Kindergarten? Bist du denn überhaupt nicht angespannt.“ „Doch, ein bisschen …“ Diesmal wankten zwei Zombies auf ihren Charakter zu, aber das beeindruckte sie nicht. Ein paar Schüsse und die Probleme waren gelöst. „Du hast echt ’nen Knall!“, erwiderte ihre Freundin. „Machst du dir denn keine Sorgen, dass deine Aufregung auf dein Kind übergeht?“ Sie drückte die Pause-Taste und schaute Matsuri genervt an. „Als ich mit Kairi schwanger war, hab ich ganz andere Sachen gespielt, und sie ist auch normal geblieben. Also nein.“ „Stellst du gerade wirklich kitschige Rollenspiele mit Horror auf eine Stufe?“, fragte sie kritisch. „Das eine ist überzuckert und harmlos, das andere ist verantwortungslos. In einer Schwangerschaft zumindest.“ Temari verzog das Gesicht und biss sich auf die Unterlippe. Gut, vielleicht war es ein wenig fragwürdig, was sie machte, aber … Sie stand auf und eilte aus dem Zimmer. --- „Wenn ich gewusst hätte, was mein Einspruch bei dir auslöst, hätte ich die Klappe gehalten“, sagte Matsuri und schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln. Sie schüttelte den Kopf und setzte sich zurück auf die Couch. „Übergeben hätte ich mich heute sowieso irgendwann, also was soll’s.“ „Ist es immer noch so schlimm? Hast du deine Frauenärztin mal gefragt, woran es liegen könnte?“ „Es ist ganz normale Schwangerschaftsübelkeit“, entgegnete Temari. „Solange ich mir nicht an mehreren Tagen hintereinander die Seele aus dem Leib kotze, wird nichts gemacht.“ Ihre Freundin zog die Stirn kraus. „Hast du deine Seele nicht schon längst mit der Klospülung in den Untergrund geschickt?“ „Anscheinend nicht. Drei- bis fünfmal übergeben am Tag und stetiges Abnehmen ist wohl nicht genug.“ „Du nimmst ab?“ „Zwei Kilo in den letzten drei Wochen“, antwortete sie mit einem Schulterzucken. Sie legte ihre Hand auf ihren Bauch und bewegte die Finger in sanften Kreisen. „Klar, ich würde gerne wieder etwas Vernünftiges essen, aber wenigstens bedeutet das, dass die Schwangerschaft stabil ist.“ Matsuri sah sie in einer Mischung aus Unverständnis und Bewunderung an. „Du möchtest dieses Kind wohl unbedingt, wenn du deiner Quälerei, die du gerade durchmachst, auch noch etwas Gutes abgewinnen kannst, was?“ Temaris Mund zuckte zu einem Lächeln. „Kann man so sagen.“ „Wow, du musst wirklich ’nen Knall haben.“ Ihre Freundin seufzte. „Warum?“ „Andere Möglichkeiten gibt es gar nicht, wenn du dich so sehr auf das Baby von deinem Exfreund, der dich ausgenutzt und verlassen hat, freust.“ „Dafür kann das Kleine nichts, oder?“, bemerkte sie tonlos. Matsuri zuckte die Achseln, doch sie fragte nicht weiter nach. „Hab ich eigentlich einen Knick in der Optik oder ist das da etwa schon ein kleines Bäuchlein?“ Temari hob ihr Top an und schaute an sich herunter. Ihr Bauch war tatsächlich nicht mehr ganz flach. „Sieht wohl so aus.“ Ihre Freundin zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Wie kann das denn sein, wenn du gerade mal in der elften Woche bist?“, fragte sie. „Ich dachte, man legt erst ab dem zweiten Drittel am Umfang zu.“ „Das ist ja nur ein Richtwert“, erwiderte sie. „Mir kommt es trotzdem etwas zeitig vor. Wenn du jetzt schon einen Bauch wie am Ende des vierten Monats hast, möchte ich gar nicht wissen, wie du in ein paar Wochen aussehen wirst.“ Das wollte sie auch nicht wissen. Nicht, solange sie es Kankurou noch nicht gesagt hatte. „Keine Schwangerschaft ist wie eine andere“, gab Temari zurück. „Als ich damals mit Kairi schwanger war, hat man ewig nichts gesehen. Zuletzt war ich in Konoha, als ich in der achtzehnten Woche war, und niemandem ist etwas aufgefallen. Und jetzt ist es eben anders.“ „Oder du bekommst Zwillinge“, flachste Matsuri. „Zum Glück bleibt mir wenigstens das erspart“, sagte sie amüsiert. „Aber selbst wenn es so wäre, könnte ich auch nichts dran ändern.“ „Du meinst, du würdest nichts dran ändern.“ „Auf keinen Fall.“ Ihre Freundin seufzte. „Du benimmst dich wirklich erwachsen“, meinte sie. „Ich könnte das nicht, wenn ich in deiner Lage wäre.“ Temari grinste. „Gibst du mir das auch schriftlich?“ „Nur wenn du aufhörst, so einen gruseligen Trash zu spielen.“ „Vergiss es!“ Sie angelte sich den Controller vom Couchtisch und machte sich wieder ans fröhliche Gruseln. Matsuri schaute ihr noch einen Moment dabei zu – es war ihr schleierhaft, warum eine Schwangere ausgerechnet zu solchen Mitteln griff, um sich abzulenken –, dann sagte sie: „Jetzt sind es noch eineinhalb Wochen.“ Da sie als Antwort sie nur ein konzentriertes „Hm?“ bekam, ergänzte sie: „Dann hast du die dreizehnte Woche erreicht.“ Temari hielt inne, sagte aber nichts. „Weißt du schon, was du tun möchtest?“ Sie biss sich auf die Unterlippe und starrte weiter auf den Bildschirm. Der Charakter in dem Spiel betrat einen neuen Raum und wie er stand sie vor einem Rätsel. „Nein“, antwortete sie schließlich. „Darüber denke ich nach, wenn es so weit ist.“ „Sagtest du nicht, dass die Schwangerschaft stabil ist?“, hakte Matsuri weiter. „Macht es dann überhaupt Sinn, dass du eine so wichtige Entscheidung noch weiter hinauszögerst?“ „Ich erzähl es Kankurou, wenn sich die Gelegenheit –“ „Ich rede nicht von deinem Bruder“, unterbrach ihre Freundin sie, „und das weißt du auch.“ „Und du weißt, dass ich schon vor Wochen beschlossen habe, dass ich es ihm nicht mitteilen werde“, entgegnete Temari bissig. „Punkt. Ende. Aus.“ „Willst du wirklich denselben Fehler wie bei Kairi machen?“ „Mein Fehler war doch, dass ich ihm geschrieben habe“, sagte sie. „Das passiert mir nicht noch einmal.“ „Aber –“ Sie warf das Pad neben sich und vergrub ihre Finger in die Sitzfläche. „Es ist für alle besser, wenn er es nicht weiß.“ Ihre Stimme zitterte, als sie es sagte. „Für mich, für Kairi und auch für das Kleine.“ Sie hörte ein erneutes Seufzen von ihrer besten Freundin, dann … „Du meinst wohl eher, dass es für dich besser ist.“ Temari legte ihre Hand auf ihren Bauch und presste die Lippen aufeinander. „Ich kann es voll und ganz verstehen, dass du das Kapitel abhaken möchtest“, fuhr Matsuri fort. „Er hat Kairi gesehen, dir das Blaue vom Himmel herab gelogen und sich verpisst. So weit, so gut. Unter dem Aspekt kannst du Shikamaru wirklich vergessen.“ „Das sag ich doch die ganze Zeit! Aber wie –“ „Ich bin noch nicht fertig“, unterbrach sie sie. „Da du dich wieder von ihm schwängern lassen hast, ist es eben nicht so einfach.“ „Aber –“ Ihre Freundin schüttelte den Kopf und ihr Widerspruch verstummte. „Denk mal nur an das zweite Kind, das nun unterwegs ist. Was willst du ihm sagen, wenn es nach seinem Vater fragt? Sorry, der Idiot weiß nicht mal, dass du existierst?! Gut, sein Erzeuger hat es vielleicht wirklich nicht anders verdient, aber findest du das deinem Kind gegenüber nicht unfair?“ „Kein Kind braucht einen Vater, der sich nicht um es kümmert, geschweige denn sich nicht mal für es interessiert“, legte Temari in bitterem Tonfall fest. Matsuri stimmte ihr zwar zu, doch … „Wie soll er sich dafür interessieren, wenn er es nicht einmal weiß?“, fragte sie. Ihre linke Hand bohrte sich tiefer in die Couch und begann zu zittern. „Ich hab’s doch bei Kairi gesehen“, erwiderte sie. „Glaubst du, dass er sich diesmal anders verhalten wird?“ „Wahrscheinlich nicht“, sagte ihre Freundin, „aber wenigstens musst du dann kein schlechtes Gewissen haben.“ Zum Trost legte sie Temari eine Hand auf die Schulter. --- Unruhig drehte sie sich auf die Seite. Dank Matsuris Moralpredigt, die sie ihr am Vorabend gehalten hatte, hatte sie die Nacht kaum ein Auge zu bekommen und Stunde um Stunde mit Grübeln, das sich mit erschöpftem Dösen und Gewissensbissen abgewechselt hatte, verbracht. Sie fühlte sich furchtbar. In jeder Hinsicht. Gegen halb sechs stand Temari aus dem Bett auf und flüchtete sich ins Bad unter die Dusche. Danach lauschte sie den leisen Atemzügen ihrer Tochter, die gelegentlich durch das Babyfon drangen, und kämmte sich die Haare. Der Haarausfall schien langsam nachzulassen und das beruhigte sie ein wenig. Ihr Rock spannte unangenehm am Bauch und so tauschte sie ihn gegen einen mit Gummizug aus. Entmutigt betrachtete sie sich im Spiegel. Lange konnte sie dieses Versteckspiel nicht mehr durchziehen, ohne sich verdächtig zu machen. Sie ging ins Wohnzimmer. Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee erfüllte den Raum. Ein Geruch, den sie bis vor einigen Wochen sehr gemocht hatte und der nun nur noch ein buntes Treiben in ihrer Magengegend auslöste. Sie beschloss, nicht weiter daran zu denken, in der Hoffnung, dass dieses Gefühl wieder dorthin verschwand, wo es hergekommen war, und betrat die Küche. Gaara saß auf einem Hocker und studierte die Morgenzeitung. Er blickte seine Schwester über den Rand an und an der Art, wie er seine Augenpartie verzog, erkannte sie, dass er gerade lächelte. „Wieder so früh wach?“ „Die Nacht war so richtig scheiße“, erwiderte Temari und gähnte. „So wenig geschlafen hab ich seit Kairis Schreiphase nicht mehr.“ „Wie kommt’s?“ „Das wüsste ich auch gerne.“ Sie fischte sich eine der Reiswaffeln, die ihre Tochter so gerne mochte, aus der Verpackung und setzte sich. „Auch einen Kaffee?“, fragte ihr Bruder beiläufig. „Oder was du dir da auch immer mit Milch zusammenmischst?“ Sie war so müde und fertig, dass sie sich nichts Besseres als eine Tasse von dem Gebräu, das Gaara Kaffee schimpfte, vorstellen konnte, aber … „Nein, danke“, sagte sie, „ich glaube nicht, dass das momentan das Richtige für mich ist.“ Er faltete die Zeitung zusammen und legte sie auf den Tisch. „Ist es noch die Lebensmittelvergiftung von letzter Woche?“, fragte er. Temari musterte ihn. Er schien aufrichtig besorgt zu sein und das passte ihr nicht. Absolut nicht. Und vielleicht war es nicht so verkehrt, wenn sie zur Abwechslung mal mit jemand anderem als mit Matsuri sprach. „Nein“, antwortete sie und ihre Hand unter dem Tisch glitt intuitiv zu ihrem Bauch. „Ich hatte keine Lebensmittelvergiftung. Das hab ich euch nur erzählt, damit ihr euch keine Sorgen um mich macht.“ Der brauenlose Bereich über Gaaras Augen wanderte ein Stück nach oben. „Nicht?“ „Nein, mir ging und geht es bestens – na ja, mit ein paar Abstrichen vielleicht.“ Ihr Bruder schaute sie nur noch argwöhnischer an. „Und das heißt?“, hakte er nach. Sie dachte noch einen kurzen Moment darüber nach, ob sie es ihm wirklich erzählen sollte, aber da er weder eine Plaudertasche noch eine übertriebene Mordlust auf ihren Exfreund verspürte, war sie bei ihm wohl auf der sicheren Seite. „Du bekommst noch eine Nichte“, sagte sie, „oder einen Neffen.“ Gaaras Miene entspannte sich. „Wirklich?“ „Ziemlich sicher ist es rechnerisch zwar erst in neun Tagen, aber ja, ich bekomme noch ein Baby.“ Ein ehrliches Lächeln breitete sich auf dem Gesicht ihres Bruders aus und das brachte eine gewisse Erleichterung mit sich. Den schwierigeren Teil hatte sie zwar nicht vor sich, aber es war nicht schlecht, dass sie nun zumindest einem ihrer beiden Geschwister nichts mehr vormachen musste. „Aber bitte kein Wort zu Kankurou“, setzte Temari nach. „Ich möchte es ihm lieber selbst sagen.“ „Das dachte ich mir schon“, erwiderte Gaara. „Mein Mund ist versiegelt.“ Sie lächelte ihm zu und biss ein Stück von der Reiswaffel ab. Sie schmeckte ziemlich fad und sie fragte sich, wie Kairi von dem Zeug so viel am Tag essen konnte. Sie platzierte sie vor sich auf dem Tisch und bemerkte, dass ihr Bruder sie immer noch ansah – oder wieder, da war sie sich nicht sicher. „Vielleicht täusche ich mich“, begann er, „aber du hast doch schon seit einigen Wochen keinen Freund mehr, oder?“ Temari zog die Augenbrauen zusammen. „Nein“, antwortete sie. „Das Kind ist nicht von Koutarou, falls du das meinst.“ „Darauf wollte ich gar nicht anspielen.“ Gaara legte eine Pause ein und nahm einen Schluck seiner teuflischen Brühe. „Und von wem ist es?“ „Ist das denn wichtig?“, entgegnete sie. „Nicht für mich.“ Seine Schwester lachte auf. „Siehst du!“ „Aber es interessiert mich trotzdem.“ Ihre gute Laune bekam einen Dämpfer. Es wunderte sie, dass er daran ein solches Interesse hatte, wenn es für ihn keine Rolle spielte. Sie überlegte sich ein paar Ausreden, mit denen sie seine Frage umschiffen konnte, aber … Machte es denn Sinn, wenn sie ihn anlog? Sie musterte ihn kurz und beschloss, dass es sich nicht lohnte, ihm eine Lüge zu präsentieren. „Versprichst du mir wenigstens, dass du nicht jede kleine Info wie Matsuri aus mir herauspresst?“, fragte sie. Gaara antwortete mit einem Nicken. Es war nicht seine Art, unangenehme Fragen zu stellen, die ihn nichts angingen. Temari atmete kurz durch und sagte: „Als du vor zwei Monaten deinen Kurzurlaub gemacht hast, war Kairis Vater hier. Es ist von ihm.“ Der Bereich über seinen Augen zuckte vor Überraschung, dann sagte er: „Verstehe. Deshalb soll ich Kankurou auch nichts sagen, oder?“ Diesmal war sie diejenige, die nickte. „Zumindest wäre es besser, wenn er erstmal nicht erfährt, wer der Vater ist.“ Sie lenkte ihren Blick auf die angeknabberte Reiswaffel. Was machte sie sich da vor? Vielleicht dauerte es eine Weile, bis er dahinter kam, aber er fand es auf jeden Fall heraus. Und dann? Dieses Szenario machte ihr Angst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)