Home Sweet Home von Rabenkralle ================================================================================ Kapitel 7: Sand und Wind ------------------------ Kapitel 7: Sand und Wind „Bist du etwa immer noch stinkig auf mich?“ Temari würdigte ihren Bruder keines Blickes. „Ich doch nicht. Wie könnte ich auch nur?“, erwiderte sie sarkastisch. „Ich hab mich schon tausend Mal dafür entschuldigt!“, sagte Kankurou. „Wie lange willst du mir diesen saublöden Spruch noch nachtragen und schmollen?“ „Noch mal eine Woche, wenn’s sein muss.“ „Aber Schwesterherz …“ „Dein Schwesterherz kannst du dir sonst wo hinstecken!“, fuhr Temari ihn an und verließ den Raum. Ihr Weg führte sie automatisch zum Kinderzimmer. Obwohl sie wusste, dass Kairi immer noch ihren Mittagsschlaf hielt, öffnete sie leise die Tür, schlich sich hinein und stellte sich ans Bett. Gedankenverloren betrachtete sie ihre Tochter. Sie lag am oberen Ende – dorthin wühlte sie sich oft im Schlaf – auf dem Rücken, die Arme weit von sich gestreckt. Da ihre Nase etwas verstopft war, schnorchelte sie ein wenig, was schließlich in Schnarchen überging. Ein schnarchendes Baby … wenn Temari es nicht mit eigenen Ohren hörte, hätte sie es für einen Scherz gehalten. Kairi verzog das Gesicht, pupste und schwang ihren linken Arm auf die rechte Seite. So blieb sie eine Weile liegen und das Schnarchen wechselte sich zeitweise mit dem Schnorcheln ab. Ihre Augen bewegten sich unter den geschlossenen Lidern hin und her und ihr Mundwinkel zuckte zu einem Lächeln. Temari fragte sich, was sie wohl träumte. Von dem Hund, der ihr heute morgen die Stirn abgeleckt hatte? Von dem Plüschtier, das sie von Matsuri geschenkt bekommen hatte? Oder von ihrem Onkel, der sie vor dem Schlafen zum Lachen gebracht hatte? Kankurou … Sie verdankte ihm so viel, seit sie Konoha endgültig hinter sich gelassen hatte. Und was tat sie? Sie spielte wegen einem dummen Spruch seit acht Tagen die beleidigte Leberwurst und führte sich auf wie eine oberflächliche Teenagerin, der man erzählt hatte, dass ihre beste Freundin ihre neue Frisur beschissen fand. Hinzu kam, dass es gar nicht so falsch war, was er gesagt hatte. Denn wenn sie ehrlich zu sich war, musste sie einsehen, dass ihre Beziehung zu Shikamaru von Anfang an zum Scheitern verurteilt, ja ein Fehler gewesen war, so wie Kankurou es ausgedrückt hatte. Es war einfach naiv von ihr gewesen zu glauben, dass diese Fernbeziehung auf Dauer Bestand haben könnte. Sie hatte zwar geplant, irgendwann einmal ganz nach Konoha zu ziehen, aber rückblickend war ihr klar, dass sie dort niemals glücklich geworden wäre. Sie liebte das trockene Wetter in Kaze-no-kuni, den feinen Sand und den sanften Wind, der diesen überall hin trug. Sunagakure war ihr Zuhause und nirgendwo sonst gehörte sie hin. Im Leben eines Menschen wie Shikamaru mit tausend selbstauferlegten Verpflichtungen, dem Willen des Feuers, hatte sie auf Dauer keinen Platz. „Du solltest aber einen Platz in seinem Leben haben“, flüsterte Temari traurig und blinzelte eine Träne weg. Kairi kicherte im Schlaf vor sich hin. --- Gegen Abend klingelte es an der Tür. Temari prüfte im Spiegel auf dem Flur noch einmal ihr Aussehen – es gab tatsächlich nichts auszusetzen – und ging zum Eingang. „Schön, dass du hierher gefunden hast!“, scherzte sie zur Begrüßung. „Was hast du denn gedacht?“, konterte Koutarou belustigt. Sie lachte, bat ihn ins Haus und führte ihn ins Wohnzimmer. Dort setzte er sich zu Kairi auf den Teppich. „Das Essen braucht noch ein bisschen“, sagte Temari, „Und ich hoffe, du erwartest kein Festmahl. Ich bin nämlich alles andere als eine begnadete Köchin.“ „Du verstehst wahrscheinlich mehr davon, Gegner mit deinem Fuuton wegzupusten“, witzelte Koutarou und seine Verabredung schmunzelte. „So lange das Essen einigermaßen genießbar ist, bin ich zufrieden. „Du bist ein echter Charmeur!“, erwiderte sie belustigt. Dann verschwand sie in der Küche, um nach dem Gemüse zu sehen. Koutarou sah sich in der Zwischenzeit etwas um. „Nett habt ihr es hier“, sagte er, als Temari wieder kam. „Man glaubt gar nicht, dass ein Kage so bescheiden wohnt!“ Sie erstarrte einen Moment. Bis jetzt hatte sie es ihm noch nicht erzählt ... „Entschuldige“, setzte sie an, „ich hätte dir eher sagen sollen, dass Gaara mein jüngerer Bruder ist.“ „Ist doch nicht schlimm. Man definiert einen Menschen doch nicht, weil er mit einer bekannten Persönlichkeit verwandt ist.“ Temari atmete auf. Da er es nun wusste, fiel ihr eine kleine Last ab. „Wie hast du es herausgefunden?“, fragte sie anschließend. „Meine Schwester hat mir einen älteren Zeitungsartikel gezeigt“, antwortete er. „Dort ging es um die Zusammenarbeit mit dem Feuerreich.“ Ihr Herz machte einen unangenehmen Hüpfer. Ihre Zeit als Botschafterin in Konoha hätte sie am liebsten aus ihrem Gedächtnis gelöscht. „Außerdem hat dich mein Schwager auf dem Foto sofort erkannt.“ „Dein Schwager?“ „Er ist Shinobi im Wachschutz.“ Temari schlug sich gedanklich an die Stirn. Warum hatte sie an diese Möglichkeit nicht gedacht? Die Shinobi, die den einzigen Zugang zum Dorf bewachten, kannten sie natürlich, so oft wie sie ein und aus gegangen war. Ein lautes Zischen riss sie aus den Gedanken und sie eilte zurück in die Küche. Dicke Wassertropfen tanzten dampfend über den Herd und es wurde stetig mehr. Das Gemüse war übergekocht! --- Kankurou verzog das Gesicht. „Was hast du denn mit den Karotten gemacht? Die sind total matschig!“ „Ich weiß selbst, dass sie zerkocht sind. Also halt die Klappe!“, maulte Temari zurück und legte eine kleine Möhre vor Kairi auf das Brett des Hochstuhls. Diese zermatsche sie fröhlich in der rechten Hand, steckte sich einen Teil in den Mund und beförderte den Rest auf den Boden. Ihre Mutter verkniff sich einen Fluch und wischte den Brei mit ihrer Serviette weg. Kankurou grinste schadenfroh und Temari hätte ihm am liebsten eine gescheuert. Sie bereute es, dass sie sich bei ihm entschuldigt hatte und nicht bis morgen damit gewartet hatte. Denn wenn das so weiter ging, versaute er ihr nur den Abend. „Matsuri kommt nachher übrigens noch vorbei“, war das nächste, das ihr Bruder sagte und sie so auf die Palme brachte. „Hallo?! Ich hab Besuch!“, wetterte sie los und schaffte es gerade noch, ihn nicht laut anzubrüllen. „Wenn du dich unbedingt mit ihr treffen willst, geh doch zu ihr!“ „Geht nicht, ihr Fernseher ist kaputt!“ „Mir doch egal. Hierher kommt sie heute definitiv nicht mehr!“ „Das hier ist genauso mein Haus wie deins. Ich muss dich nicht um Erlaubnis bitten!“ Temari biss die Zähne zusammen. Sie zählte innerlich bis zehn, um den sich anbahnenden Wutanfall abzumildern. Kankurou wollte ihr also tatsächlich den Abend verderben … Das bekam er bei der nächsten Gelegenheit zurück! Und ihre Rache würde so bittersüß wie eine Grapefruit sein … Sie warf Koutarou ein angesäuertes Lächeln zu und fragte: „Es macht dir doch hoffentlich nichts aus, wenn uns die Schnapsleiche von neulich Gesellschaft leistet?“ Irritiert schüttelte er den Kopf und mit einem Mal kam sich Temari saudumm vor. Wie kam sie bloß dazu, sich in der Gegenwart des ersten Mannes seit Jahren, der sich aufrichtig für sie interessierte, so aufzuspielen? Und dann ging es doch nur um einen Besuch von ihrer liebsten Quatschtüte auf Erden, die Koutarou ohnehin schon einmal getroffen hatte. Warum benahm sie sich so unreif wie ein Kindergartenkind und machte so den hoffentlich guten Eindruck, den er von ihr hatte, zunichte? Sie benutze den Vorwand, dass Kairi eine neue Windel brauchte, um den Raum zu verlassen und sich zu beruhigen. Ihr Schädel glühte, als sie ihre Tochter von diversen Turnübungen auf der Wickelkommode abhielt und krampfhaft versuchte, sie zu wickeln. „Jetzt bleib doch mal still liegen!“, zischte sie verärgert, aber Kairi interessierte sich absolut nicht dafür und drehte sich weiterhin auf den Bauch, um mit der flachen Hand gegen die Spieluhr an der Wand zu schlagen. Tock, tock, tock! machte es und Temari hätte das Gerät am liebsten abgerissenen und aus dem Fenster geworfen. In ihrer Not legte sie die Windel andersherum um und klebte sie auf Kairis Rücken zu, in der Hoffnung, dass sie bis zum Schlafengehen in zwei Stunden hielt. Anschließend ließ sie ihr Töchterchen auf den Boden und sie robbte zu ihrem Ball herüber und kullerte ihn fröhlich vor sich her. Temari lehnte sich an die Wand und schaute kurz aus dem runden Fenster. Etwas Sand wirbelte vorbei und sie kam nicht umhin, ihn ein wenig um seine Freiheit zu beneiden. Es war nicht schlecht, dauerhaft sesshaft zu sein und sie liebte Kairi mehr als alles andere auf der Welt, aber in manchen Momenten packte sie doch das Fernweh. Hierhin zu reisen, dorthin zu reisen, wie sie es in den vier Jahren getan hatte, als sie Botschafterin gewesen war. Sie seufzte. Diese Zeiten waren vorbei, doch sie bereute nicht, wie es gekommen war. An Tagen wie heute, an denen nichts so richtig rund lief, dachte wohl jeder mit Wehmut an Abschnitte in seinem Leben zurück, die einfacher gewesen waren. Einen Augenblick hielt sie inne. Eines gab es doch, das sie bereute, aber daran wollte sie nicht denken. Zumindest jetzt nicht. Manchmal war es schön, in Erinnerungen zu schwelgen, doch noch wichtiger war es, nach vorne zu blicken. Sie nahm den Ball und ihre Tochter und ging zurück ins Wohnzimmer, wo ihre Zukunft auf sie wartete. --- Kankurou und Matsuri prusteten gleichzeitig los. Kairi sah irritiert auf und betrachtete die beiden skeptisch. Koutarou wiederum schaute Temari an. „Die Zwei sind immer so, wenn sie diesen Quatsch gucken“, erklärte sie. „Wundere dich also nicht.“ „In deinem Umfeld wundert mich gar nichts mehr“, entgegnete er. „Du bist offensichtlich von lauter skurrilen Charakteren umgeben.“ Sie grinste. Die Bezeichnung skurril passte wirklich in mancherlei Hinsicht. „Das ist noch gar nichts. Die beiden können noch viel sonderbarer sein!“ Leider nicht immer im Positiven, aber das Thema musste sie nicht unbedingt vertiefen. Sonst verschreckte sie Koutarou tatsächlich und das wollte sie nun auf keinen Fall mehr riskieren. Nicht, wenn sie ihrem kleinen, verknallten Herz keinen Dolchstoss verpassen wollte. „Mit Schminke und Alkohol?“ „Ja, und“ – sie zog eine Grimasse – „leider, leider, leider ja.“ Die nächste Lachsalve folgte. „Wollen wir vielleicht einen kleinen Spaziergang machen?“, fragte Temari. „Sonst bekomme ich heute Nacht von diesem Gegacker noch Albträume!“ --- Sie setzte Kairi eine Mütze auf und packte sie ins Tragetuch, das sie sich auf den Rücken band. „Und sie sitzt dort auch sicher drin?“, fragte Koutarou, der von Temaris Geschick beeindruckt war. „Sicherer geht’s nicht“, bestätigte sie und lächelte. „Das Binden sieht schwerer aus, als es ist.“ „Reiko hatte so ein Tuch nie. Sie war immer der Meinung, dass Kinder in den Kinderwagen gehören.“ „Ansichtssache.“ Sie zuckte die Achseln. „Bei dem ganzen Sand da draußen finde ich es jedenfalls praktischer, sie zu tragen. Und mir hat das Tuch anfangs einige Schreistunden erspart, was im Wagen sicher nicht der Fall gewesen wäre.“ „Ich seh schon, meine Schwester kann in der Handhabung von Babys noch einiges von dir lernen.“ Sie schmunzelte. „Wie gesagt: Es ist alles Ansichtssache. Und in puncto Kinder gibt es anscheinend sehr, sehr viel zu streiten!“ --- Temari genoss das wunderbare Wetter, jede Sekunde, jeden Schritt an diesem herrlichen Abend. Kairi schlummerte seelenruhig an sie geschmiegt in ihrem Tuch und die Unterhaltung mit Koutarou war so angeregt und intensiv, dass sie sich wünschte, dass dieser Spaziergang niemals endete. So wohl und geborgen hatte sie sich seit langer Zeit nicht mehr gefühlt. Tatsächlich konnte sie sich nicht daran erinnern, wann es ihr das letzte Mal so ergangen war. Sie blickte nach Westen, wo die Sonne längst hinter den Felsen, die rundherum um Sunagakure lagen, verschwunden war und den Abendhimmel dort in ein wunderbares Orangerot tauchte. „Großartiges Wetter, oder?!“, murmelte sie unbedacht vor sich hin. „Schlecht ist es nicht“, erwiderte Koutarou betont nüchtern und entlockte ihr ein kleines Lachen. „Du bist so herrlich locker – von dir könnten sich viele noch eine Scheibe abschneiden!“ „Bitte nicht!“, scherzte er und zog eine Grimasse. Im normalen Ton setzte er nach: „Vielleicht liegt’s am Beruf. Wenn man alles gleich ernst nimmt, was einem die Leute so um die Ohren hauen, muss man nach spätestens fünf Jahren zum Psychologen.“ „Die Gäste sind wohl manchmal ziemlich schwierig, was?“ „Ich sag’s mal so: So angenehm wie du sind die Wenigsten.“ Temari wurde ein wenig warm und sie lachte. Die Tatsache, dass ausgerechnet sie von so einem Kompliment errötete, war wirklich zu komisch. „Hör auf, du bringst mich noch in Verlegenheit!“, feixte sie. „Zu spät!“, bemerkte er und stimmte in ihr Lachen mit ein. Erst als ihr Zwerchfell und Kairi auf ihrem Rücken gegen ihren Lachanfall rebellierten, zwang Temari sich, an etwas Unlustiges zu denken. Der Gedanke an die zwei Irren bei ihr zu Hause reichte dafür erstmal aus. „Danke für diesen netten Abend, auch wenn ich vorhin ein wenig – nun ja – aufbrausend war“, sagte sie, als das Haus in Sichtweite kam. „Glaub mir, die Freude ist ganz meinerseits“, erwiderte Koutarou ehrlich und fuhr schmunzelnd fort: „Und dass du Temperament hast, war mir schon vorher klar.“ „Du bist wirklich, wirklich charmant!“, merkte sie amüsiert an. „Und ich schätze deine brutale Ehrlichkeit.“ „So brutal ist sie auch wieder nicht.“ Er winkte ab. „Dein Essen war übrigens nicht übel.“ Temari kicherte. „Genau das meinte ich.“ „Im Ernst, es hat mir geschmeckt!“ „Dabei bist du normalerweise doch Besseres gewohnt, oder?“ Koutarou zuckte mit den Schultern. „Die einzige Frau, die besser kocht als du, ist meine Mutter! Und sie ist immerhin Köchin.“ Sie fühlte sich geschmeichelt – wieder einmal! – auch wenn sie sich nicht sicher war, ob er sie in diesem Fall nicht doch anflunkerte. Vor der Haustür blieben sie stehen. „Da wären wir also“, sagte er und verbeugte sich vor ihr. „Damit hab ich meine Pflicht, dich und Kairi hier wieder heil abzuliefern, erfüllt.“ Schweigend sahen sie sich an und schließlich war es Temari, die Hand zum Abschied hob und sich abwandte. Zwar war ihr ein wenig wehmütig zumute, dass der gemeinsame Abend nun zu Ende war, doch hinterließ die Erinnerung an die letzte Stunde genauso ein gutes Gefühl bei ihr. Und das wollte sie sich nicht verderben, indem sie noch anfing, irgendeinen Schwachsinn zu stammeln, nur damit Koutarou noch ein paar Minuten länger blieb. „Temari“, hörte sie ihn sagen, „ich hab noch was vergessen.“ Sie drehte sich wieder zu ihm um und fragte: „Ja?“ Und er antwortete. Mit einem Kuss. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)