Winter Carols von Frigg ================================================================================ Kapitel 18: Türchen 18 – Gefrorenes Herz ---------------------------------------- Am liebsten wäre Seto Kaiba am nächsten Tag nicht in die Firma gefahren. Am liebsten hätte er sich den Tag frei genommen, doch die Arbeit stapelte sich und von einem freien Tag konnte er nur träumen. Doch Seto wusste, dass es nicht an der Arbeit lag, weshalb er gerne frei hätte. Er hatte absolut keine Lust Naomie zu begegnen nach dem gestrigen Tag. Erst recht nicht nach ihrer Begegnung nach Feierabend in dem Modegeschäft. Noch immer entlockte es ihm ein Knurren, wenn er nur daran dachte und dementsprechend war auch seine Laune an diesem Tag. Was fiel ihr eigentlich ein mit Siegfried auszugehen und dann auch noch mit ihm eine Verabredung für den Spendenabend zu haben? War er ihr nicht reich genug? Suchte sie etwa jemand anderen, den sie nun ausnutzen konnte? War das vielleicht ihre Masche? Allein der Gedanke, dass sie seinen kleinen Bruder und ihn nur ausgenutzt hatte, ließ sein Adrenalinpegel steigen. Innerlich verfluchte er sie und erst recht die Tatsache, dass er auch noch mit ihr herumgemacht hatte, wie ein hormongesteuerter Teenager. Seto verfluchte auch seinen Hund. Denn nur wegen Shadow, war er diesem Weib begegnet, dass sich nun fröhlich mit Siegfried traf, plauderte und lachte, als gäbe es ihn gar nicht oder das, was zwischen ihnen jemals gewesen war. Der Gedanke, dass es sie gar nicht interessierte, wie es ihm damit ging, dass sie sich mit Schröder und Pegasus zusammen tat, zog seine Brust zusammen. Sein Herz verkrampfte sich und fühlte sich schmerzhaft an, als hätte es in Eiswasser gebadet. Auch bei der Vorstellung, dass diese intimen Momente keine Bedeutung für sie hatten, zog sich sein Magen zusammen. Seto fuhr sich über die Lippen und brummte unruhig. Er hätte es von Anfang an wissen und sich gar nicht weiter auf sie einlassen sollen. Sie hatte sich bestimmt nur mit ihm abgegeben, damit er sie als Fotografin bekannter machte und nun, wo ihr Ziel erreicht war, war er für sie nichts mehr weiter wert. Nun waren Pegasus und Schröder dran ihr weiter zu helfen, ehe sie diese auch fallen ließ, wie eine heiße Kartoffel. Innerlich fluchte Kaiba über sich selbst, dass er nicht auf sein Gefühl gehört hatte, sondern sich von ihr hatte verführen lassen. Eine Schwäche, die ihm so schnell nicht noch einmal passieren würde. Er würde sich nicht noch einmal so von ihr an der Nase herum führen lassen! Das Bild gestern Abend, als sie den Laden verlassen hatten, war doch mehr als eindeutig gewesen. So eng wie Schröder hatte er sie auch einmal im Arm gehalten und getröstet. Seto atmete tief durch, ehe sich sein Körper weiter anspannte und sich sein Herz weiter anfühlte, als würde es in Eis getaucht und gleich gefrieren. Knurrend stampfte Seto durch die Flure seiner Firma und schon durch seinen Blick, konnten die Mitarbeiter merken, dass er nicht gut drauf war. Seto hörte seine Angestellten hinter vorgehaltener Hand tuscheln und es war nicht das erste Mal, dass er über sich hörte, er hätte ein Herz aus Eis oder sei ein Eisklotz. Doch es hatte gestern Abend ziemlich geschmerzt, dass er sich das auch von Mokuba hatte anhören müssen, als er bemerkt hatte, dass er Naomie wieder siezte. Aber was hätte er sagen sollen, außer, dass es geschäftliche Gründe hatte? „Stellen Sie keine Anrufe durch. Ich bin für Niemanden zu sprechen“, knurrte er seine Sekretärin an und lief dann an ihr vorbei zu seinem Büro. Ihre gemurmelte Antwort ignorierte er. „Man, du kochst ja ganz schön“, murmelte sein Gewissen, dem er nur ein Knurren schenkte. Es sollte sich verpissen! „Du bist ziemlich sauer auf sie, was? Aber du weißt genauso wie ich, dass deine Vorwürfe ungerecht sind!“, fuhr er weiter mit ruhiger Stimme fort. Ungerechtfertigt? Was sollte daran ungerechtfertigt sein? Er hatte sie doch in Siegfrieds Armen gesehen, genauso in der Umkleidekabine! Eng beieinander stehend und schon per du. „Du bist doch nur eifersüchtig!“, fuhr sein Gewissen dazwischen, „Du weißt genau, wie sehr du ihr weh tust mit deiner abweisenden Art und Siegfried entpuppt sich nur als guter Freund!“ Ein guter Freund, der ihr doch nur an die Wäsche wollte! Wie blind war sie denn, dass sie nicht sah, wie er sich an sie ran warf? „Er ist eben anders als du. Er geht es langsam an“, konterte sein Gewissen, „Es würde mich nicht überraschen, wenn sie sich sogar in ihn verguckt, weil du sie nur vor den Kopf stößt und wenn du ehrlich zu dir bist, dann bist du genau deswegen so grummlig! Du hast schiss, dass ein anderer sie kriegt!“ Dann sollte eben ein anderer sie kriegen. Es war ihm sowas von egal! „Red dir das ruhig weiter ein, du sturer Esel!“, fuhr ihn die Fistelstimme an und er konnte eine Spur Ungeduld darin erkennen, „Du weißt genau, dass sie deinetwegen gestern geheult hat!“ Diesmal klang die Gewissensstimme lauter und wütender. Sein Schädel pochte, als wäre das die Strafe dafür, wie er Naomie behandelte. Aber sollte er jetzt ein schlechtes Gewissen bekommen, weil sie ein paar Krokodilstränen rauspresste? Sollte er ihr etwa weiterhin die Hand reichen und sie nahm direkt den ganzen Arm? „Das kann man sich ja nicht mit ansehen“, seufzte sein Gewissen und sein Schädel begann stärker zu pochen, „So, da ich ganz dick befreundet bin mit der Großhirnrinde, wo der Trigeminusnerv liegt, werde ich dir jedes Mal eine Minimigräne verpassen, wenn du schlecht über Naomie denkst!“ Setos Nasenflügel zuckte genervt bei den Worten der Fistelstimme. Musste er sich jetzt schon von einer imaginären Stimme erpressen lassen? Er konnte über dieses Weib denken, was er wollte! Eine weitere Welle von Schmerz durchzuckte seine Schläfe, was wohl die Antwort darauf sein sollte. „Nein, darfst du nicht, du alter Grinch!“, schimpfte die Stimme und in seinem Kopf entstand das Bild, wie sein Gewissen mit einer Hausfrauenschürze und Nudelholz in der Hand vor ihm stand. Dazu die Hände in die Hüfte gestemmt und zetternd, wie ein altes Waschweib. „Du bist so verbohrt und denkst, dass dir jeder was Schlechtes will!“, zetterte die Stimme weiter, „Dein Griesgram lässt dich irgendwann alleine dastehen! Selbst Mokuba bezeichnet dich schon als Eisklotz und hat dir vorgeworfen, dass du ein Herz aus Eis hast!“ Seto atmete tief durch. Was erlaubte sich dieses imaginäre Irgendwas eigentlich? Das Gespräch mit Mokuba war allein ihre Sache. Sein Gewissen hatte sich da gar nicht erst einzumischen! „Ich bin ein Teil von dir. Schon vergessen?“ Dem würdigte er keine Antwort. „Natürlich nicht. Immer, wenn dem werten Herren etwas nicht passt, dann ignorierst du es! Genauso wie Naomie! Dir passt es doch nur nicht, dass sie sich so gut mit deinen Rivalen versteht. Aus keinem anderen Grund ignorierst du sie doch!“ Seto schnaubte abfällig und wühlte in seiner Tasche nach der Erkennungskarte für sein Büro. Seine Finger streiften dabei kurz über die Glasplatte und sein Herz krampfte sich zusammen. „Morgen, Herr Kaiba.“ Es zog sich bei den Worten weiter zusammen und blieb sogar kurz stehen, so dass ihm für einen Sekundenbruchteil die Luft fehlte. Seto hielt vor seinem Büro inne und musterte Naomie, die mit einer Mappe vor der Tür geduldig wartete. Stand sie schon lange dort? Sein Blick fiel auf ihr blasses Gesicht, als hätte sie zu wenig Schlaf gehabt. Auch die geröteten Augen mit den dunkeln Ringen entgingen ihm nicht. Ein Anblick, den er schon einmal gesehen hatte und der ihn veranlasst hatte, dass er sie mit in seine Villa genommen hatte. Fast könnte er wieder weich werden, wenn er sie so sah. Den Blick eingeschüchtert gesenkt und in sich zusammen gesunken, als wäre jemand gestorben. Kurzzeitig überkam ihn wieder das Gefühl, ihr nahe sein zu wollen, sie an sich zu drücken und das Gesicht an ihrem Hals zu vergraben. Nichts an ihr zeigte etwas von der selbstbewussten und fröhlichen Frau, die er kennen gelernt hatte. Doch diesmal würde er nicht weich werden. Diesmal würde er nicht den Tröster spielen. Sollte sie doch zu Siegfried gehen! Er nahm sie bestimmt gerne in den Arm. „Morgen“, brummte er ihr kühl entgegen und ließ die Karte durch den Schlitz fahren. Ein Klacken war zu hören, als sich die Tür entriegelte. Seto würdigte ihr so gut es ging, keinen einzigen Blick. „Ich habe die ersten Fotos fertig und wollte sie d…“ Sie hielt inne und Seto warf ihr einen mahnenden Seitenblick zu. Sie verstummt und biss sich kurz auf die Lippen. Offenbar wollte sie ihn trotz allem noch duzen. „…Ihnen zeigen.“ „Kommen Sie rein und schließen Sie die Tür“, brummte er ihr entgegen und zog seinen Mantel aus. Mit schnellen Schritten ging er zu seinem Schreibtisch und packte den Laptop aus. Innerhalb weniger Sekunden war er hoch gefahren und betriebsbereit. Naomie folgte ihm und blieb vor dem Schreibtisch stehen. Stumm reichte sie ihm die fertige Fotomappe. Seto ließ sich nichts anmerken, als er ihre kalten Finger berührte und schlug seufzend die Mappe auf. Grob überblätterte ihre Auswahl, während sie die Hände hinter dem Rücken verschränkte, während sie nervös wartete. Seto kam nicht umhin sie kurz zu mustern und fragte sich, was wohl in ihr vor sich ging. Hatte er sie so schnell einschüchtern können, wie die anderen Mitarbeiter in seiner Firma auch? Innerlich schüttelte er den Kopf. Er hatte sie für Stärker gehalten. Immerhin hatte sie am Anfang keine Angst vor ihm gehabt. Was war passiert, dass sie jetzt so vor ihm kuschte und sich so behandeln, ließ ohne zu kontern? Seto erinnerte sich besonders an den Tag auf dem Weihnachtsmarkt, als er sich mit dem Köter gezofft hatte. Wortlos hatte sie ihr Geplänkel verfolgt und dann ein lautes und demonstratives Schlürfen von sich gegeben. Die Art und Weise, wie sie ihn und Wheeler angeschaut hatte, war unschuldig und doch gleichzeitig wissend gewesen. Sie hatte genau gewusst, was sie hatte tun müssen, um ihren Streit zu beenden. Wo war diese Frau abgeblieben? „Ich komme später auf Sie zurück“, sagte er ruhig und sah noch einmal kurz in ihre verquollenen Augen, die aussahen, als würden gleich wieder Tränen fließen. Naomie brachte nur ein Nicken zustande und verließ sein Büro. Von der Frau, die ihn vor kurzem noch Konter gegeben hatte und die keine Angst vor ihm gezeigt hatte, war nichts mehr zu sehen. „Siehst du, was du angerichtet hast!“, fauchte die Fistelstimme und sofort überkam ihn eine Welle von Schmerz, so dass er sogar die Augen zusammen kneifen musste, weil das Licht in den Augen brannte. „Wolltest du das? Dass sie deinetwegen heult?“, knurrte sein Gewissen und sein Schädel pochte stärker, „Du bist doch nur eifersüchtig und deswegen zerstörst du eine gute Freundschaft oder sogar mehr, du alter Esel! Du willst es nur nicht wahr haben, dass du sie magst!“ Konnte sein Gewissen mal die Klappe halten? Er hatte bestimmt nicht vor gehabt sie zum weinen zu bringen und das sollte sie auch gar nicht. Genauso wenig wollte er, dass sie vor ihm zurück schreckte, wie andere Angestellte. „Ach dafür hast du aber wunderbar dafür gearbeitet, dass sie es nun doch tut!“, fauchte die Fistelstimme und Seto spürte, wie ein weiteres Hämmern zwischen seinen Schläfen. Was sollte er sonst tun, außer sie zurück weisen? „Wie wäre es mal nett zu sein?“, zischte die Stimme, „Aber das kannst du ja nicht, ohne einen epileptischen Anfall zu kriegen, was?“ Wurde sein Gewissen jetzt auch noch zynisch? War er nicht schon freundlich zu ihr gewesen? Was außerdem sollte er sonst tun, damit Pegasus und Schröder nicht auf die Idee kamen, sie als Druckmittel gegen ihn zu nutzen? Es reichte, wenn Mokuba eine Schwachstelle darstellte, da wollte er wenigsten sie aus den Angelegenheiten raus halten. Was wäre also dazu besser geeignet, wenn die beiden im Glauben waren, dass sie ihm egal war und nur irgendeine Angestellte? Gab es einen besseren Weg sie aus den Machenschaften von den beiden Idioten raus zu halten, außer so zu tun, als würden sie sich nicht gut kennen? „Ah, dann magst du sie also doch und tust es aus Nettigkeit?“, fragte sein Gewissen ruhiger. Tat er das? Mochte er sie? Er wollte nur nicht, dass sie in seine Angelegenheiten gezogen wurde und Pegasus vielleicht auf die Idee kam, ihn mit ihr zu erpressen, wie er es mit Mokuba auf seiner Insel getan hatte. „Das ist ja süß von dir!“, quietschte mit einem Schlag sein Gewissen, dass er ein Tinnitus im Ohr hatte und fast fürchtete, dass Yugis kleine Freundin, deren Namen er sich nie merken konnte, schon in seinem Kopf saß. „Oh mein Gott! Oh mein Gott! Oh mein Gott!“, quietschte sie weiter und sein Herz fing schneller an zu schlagen. Seto konnte genau spüren, wie es flatterte vor lauter Euphorie seines Gewissens. Musste es jetzt unbedingt anfangen an eine Gottheit zu beten und religiös werden? Wollte sie noch Glitzer streuen? Zuckerherzen verteilen? „Oh du bist einfach süß und sie bedeutet dir was!“, quietschte es weiter und Seto musste sich kurzweilig die Ohren zuhalten, weil die Stimme so schrill wurde. Wieso übertrieb diese nervige Stimme nur so? Naomie bedeutete ihm doch gar nichts. Er wollte sie doch nur aus Angelegenheiten raus halten mit denen sie nichts zu tun hatte. „Du kannst dich da nicht mehr raus retten, Seto!“, fuhr die Stimme fort und Seto spürte deutlich, wie seine Hände feucht wurden, „Du bist verliebt!“ Das war doch nun wirklich absurd. Er war nicht verliebt und würde es auch niemals sein! „Oh doch. Die Symptome hätte ich schon eher erkennen müssen!“, zwitscherte die Stimme fröhlich und aufgeregt, was sich bei ihm mit einem leichten Zittern der Hände bemerkbar machte. „Zum Beispiel die Ausschüttung von Dopamin und Adrenalin! Dann dein Interesse an ihr. Dann vernachlässigst du die Arbeit für sie, als sie wegen ihrer Familie schlecht drauf war, hast du mit ihr gelitten, aber am meisten dein Drang sie zu berühren!“ Ein kichern war in seinem Kopf zu hören und so langsam glaubte Seto wirklich verrückt zu werden. Er war doch nicht verliebt! Das war so absurd, dass er fast aufgelacht hätte. „Ach nein? Und wieso arbeitest du nicht und denkst darüber nach, dass du sie ja gar nicht vor den Kopf stoßen willst?“ Ein triumphierendes Geräusch kam von der Fistelstimme und Seto stützte den Kopf kurz in den Händen. Die Antwort war wirklich einfach. Wenn diese imaginäre Stimme mal die Klappe halten würde, anstatt irgendwelchen Zeug daher zu reden, dass er verliebt sei, dann würde er auch arbeiten können. Geschweige denn davon, dass er noch immer ein leichtes Pochen zwischen den Schläfen verspürte, was seine Konzentration ebenfalls milderte. „Willst du damit sagen, dass ich Schuld bin?“ Ein gespielt empörter Unterton mischte sich in die Stimme. Ein Wunder, diese Stimme war lernfähig. Seto hatte schon daran gezweifelt, ob sie je auf die Idee kam, sie würde ihn von der Arbeit abhalten. Genervt verdrehte er die Augen und widmete sich der prall gefüllten Postmappe, die wieder mehrere Grußkarten für das neue Jahr enthielten. Wenn das so weiter ging, dann würde sich die Arbeit auch an Weihnachten anstauen und er würde die Festtage über Arbeiten müssen. Seto konnte schon jetzt seinen Bruder darüber schimpfen hören. „So ist eben die Liebe“, seufzte die Stimme sehnsüchtig, „Man denkt eben nur an die Herzdame.“ Ein Knurren entfuhr ihm. Er musste arbeiten! Er brauchte kein Gelaber von Liebe oder sonstigen Dingen darüber! Was versuchte diese dämliche Stimme ihm überhaupt einzureden? Er würde keinen Gedanken an Naomie verschwenden, wenn dieses Gewissen nicht ständig damit anfangen würde! „Also soll ich schuld sein, dass du dich verliebst?“ Wenn sein Gewissen so weiter redete, dann war es nur natürlich, dass er den Unsinn irgendwann sogar selbst glaubte. Aber wie gut, dass er es besser wusste und sich nicht durch eine Überdosierung irgendwelcher Hormone beirren ließ. Denn was war Liebe schon? Eine Ausschüttung von Hormonen, die ein glückliches Gefühl verursachten. Es war also nichts weiter als eine Art Rauschzustand, wie man ihn beim Alkohol auch erlebte. „Und du erlebst grade Entzug oder was soll mir das sagen?“, fragte sein Gewissen neugierig und seufzte. „So wie du das sagst, klingt das auch total unromantisch! Denk doch mal an den Moment, als sie bei dir in der Wanne saß und du sie im Arm hattest! Dein Hormonspiegel war dann aber im extremen Rausch!“ Seto schluckte. Was sollte das denn jetzt werden? Natürlich erinnerte er sich an den Abend. Es war ja noch nicht allzu lange her und senil war er auch noch nicht. Den Anblick würde er bestimmt auch so schnell nicht vergessen, wie sie weinend in seiner Badewanne gesessen hatte. Genauso wenig würde er vergessen, wie sich ihre Haut angefühlt hatte oder ihr warmer Atem auf seinem Arm. Allein bei der Erinnerung überkamen ihn wieder ein warmes und ein fast sehnsüchtiges Gefühl. Er konnte wieder spüren, wie sein Hirn einen leichten Aussetzer machte. Tief musste Seto durchatmen, um sich nicht in der Erinnerung zu verlieren und sehnsüchtig aufzuseufzen. „Gefällt dir das?“, fragte die Fistelstimme hoffnungsvoll und klang dabei wie ein kleines Kind, „Ich dachte mir, wenn du schon auf eiskalten Entzug stehst, dann hilft dir vielleicht die Erinnerung. Wenn du mich fragst, das ist der Moment, wo du dich endgültig in sie verliebt hast. Aber rettungslos, mein Freund!“ Konnte das nicht mal mehr aufhören? Das wurde langsam richtig nervig! „Ist geschenkt!“, kicherte das Gewissen, „Außerdem hast du eh deine Chance vertan.“ Was für eine Chance? Hatte er je eine gehabt? „Natürlich, Dumpfbacke! Aber jetzt wird sie vielleicht eher mit Schröder ihr happy end finden.“ Allein bei dem Namen zog sich sein innerstes zusammen. Von dem Gefühl zu ersticken, wenn er daran dachte, dass Kuzuki was mit der rosa Pest anfing, wollte er gar nicht denken und schüttelte schnell den Gedanken ab. „Wenn du nicht dran denken willst, dann sieh dir erstmal das Dokument an, an dem du arbeitest“, erwiderte die Stimme ruhig und sachlich. Seto hob eine Augenbraue und blickte von der Postmappe auf. Was war an dem Vertrag denn so besonderes, dass ihn sein Gewissen darauf hin wies? Fragend schaut er das Dokument an und musste schlucken. „Ja, ja von wegen ich bin Schuld!“, meckerte die Stimme kichernd los, „Du musst doch auch schon ohne mein zu tun an sie denken! Sonst würdest du nicht an einem Arbeitsvertrag für sie arbeiten! Hast wohl Angst, dass Schröder oder Pegasus sie abwerben, was? Aber psst! Ich sag dir was, Nägeln mit Köpfen machen ist immer gut!“ Seto wich etwas zurück und schloss das Dokument mit zittrigen Fingern. Wieso erinnerte er sich daran, dass er daran arbeitete? Tat er das schon so unterbewusst? Erschrocken stand er vom Bürostuhl auf, der soweit zurück rollte, dass er gegen das Panzerglas fuhr. „Du bist scharf auf sie! Du findest, sie ist ein heißes Teil!“, zwitscherte die Stimme, „Du hast sie gern!“ Seto schluckte und atmete schneller. Sein Körper begann zu zittern und sein Herz hämmerte schmerzhaft gegen seine Brust. „Dein Herz verrät dich!“, trällerte die Stimme triumphierend. Mehrere Gefühle schlugen mit einem Mal auf ihn ein. Zuerst war da Panik, dann Fassungslosigkeit, gefolgt von Hilflosigkeit und das Gefühl, was man hat, wenn man eine Treppe beim runter gehen übersprang. Seine Atmung ging schneller. „Ich weiß es!“, trällerte sein Gewissen weiter, „Und dein ganzer Körper verrät dich!“ Seto blickte auf die Postmappe und wich weiter zurück bis er an den Stuhl stieß. An der Rückenlehne musste er sich festhalten. „Sag mal, kann es sein, dass du das bis eben so erfolgreich verdrängt hast, dass du das nicht mal selbst wusstest?“ Der Triumph in der Stimme war verflogen. Stattdessen war eine Spur Besorgnis zu erkennen. Seine Atmung ging flach und nur langsam beruhigte sich sein Herz. Sein Gewissen schwieg ausnahmsweise mal. „Was passiert hier?“, fragte er verwirrt und leise in den Raum und fuhr sich durch die Haare. Sein Gehirn wollte die Antwort nicht heraus rücken. Seto spürte aber, dass sie da war. Er war nur einen Hauch davon entfernt. Sein Herz hämmerte weiter, während ihm das Atmen schwer fiel. Konnte es sein, dass dieses absurde Gerede doch stimmte? War er wirklich so abweisend zu ihr, weil er sie eher schützen wollte, als dass es ihm darum ging, dass jemand in seine Angelegenheit hinein gezogen wurde? Wurde er deshalb so schwach in ihrer Nähe, weil an diesem aberwitzigen Behauptungen doch etwas dran war? Seto schluckte wieder. „Hei, nimm es nicht so schwer…“, begann sein Gewissen vorsichtig. Seto knurrte und fuhr sich wieder durch die Haare. „Bekomm mir keine Panikattacke oder sowas!“, sagte sein Gewissen ängstlich, „Oder kipp mir aus den Schuhen! Ich kann dich nicht retten! Wenn du ein Knock Out hast, hab ich es auch!“ Na wunderbar. Machte sich dieses Gewissen oder was auch immer es am Ende war, doch tatsächlich noch mehr Sorgen um sich selbst, als um ihn? Aber wenn es damit beruhigt werden konnte, er hatte nicht vor umzufallen oder sonstige Dinge zu tun, die seinen Geisteszustand ändern würden. „Dann setz dich hin!“, fuhr ihn die Stimme an und klang nicht weniger beruhigt. Dabei war es doch, der sich Sorgen machen musste. Immerhin spielte sein Gemütszustand grade Achterbahn. Dennoch ließ sich Seto langsam wieder in seinen Bürostuhl fallen. Er schloss die Augen und wünschte sich nichts sehnlicher als doch noch eine Migräne zu bekommen. Dann würde er zumindest aufhören können zu denken. „Es wird alles gut. Atme weiter!“, sprach die Fistelstimme besorgt und im selben Augenblick klopfte es an die Tür. Seto schwieg und starrte das Holzstück an. Seine Atmung war noch nicht besser, doch er versuchte sich zu konzentrieren. „Kann ich rein kommen?“, fragte Naomie und steckte den Kopf durch den Türspalt, „Deine…ich meine, Ihre Sekretärin sagte, Sie sind nicht zu sprechen, aber ich habe noch ein paar Fotos fertig und denke, dass ist wichtig.“ Setos Atem stockte kurz und sein Herz setzte für einige Sekunden aus. Er konnte es nicht pochen spüren, so gelähmt war er gewesen, ihre Stimme zu hören und das vertraute du. Aber es tat auch auf der einen Seite gut. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt und runzelte die Stirn. Sie öffnete, ohne eine Antwort abzuwarten, die Tür und kam in sein Büro. Er konnte sehen, dass Siegfried draußen wartete. Sie schloss seine Bürotür wieder. Seto knurrte wieder. „Keine Sorge. Mir geht es prächtig!“ Naomie trat näher an seinen Schreibtisch heran und legte die Mappe ab. „Du siehst wirklich blass aus“, sagte sie besorgt und musterte ihn kurz. „Hatten wir uns nicht auf Sie geeinigt?“, fragte er knurrend. Abwehrend hob sie die Hand. „Bitte um Verzeihung, aber das ist mir grade egal! Du siehst echt scheiße aus! Hast du hyperventiliert oder sowas?“ Da war sie. Da war die Frau, die ihm Konter gab und keine Angst hatte. „Mach dir keine Gedanken“, wehrte er ab. „Tu ich aber“, erwiderte sie, „Außerdem wissen eh alle, dass wir uns duzen und fragen auch mich schon, was der gespielte Unsinn soll!“ Er brummte darüber. „Willst du etwas trinken?“, fragte sie ruhig und kam um den Schreibtisch herum. Seto konnte sehen, wie ihre Finger zitterten, als sie seine Haare zur Seite schob und eine Hand auf seine Stirn legte. Kurz sahen sie sich in die Augen, doch sie brach den Blickkontakt ab. „Fieber hast du nicht. Immerhin etwas“, sagte Naomie und klang erleichtert. „Siehst du, sie sorgt sich auch um dich!“, sagte sein Gewissen, während er den Kopf schüttelte, „Aber hei, es hätte schlimmer kommen können. Sich zu verlieben, bedeutet nicht das Ende der Welt.“ Für sein Gewissen vielleicht nicht, aber für ihn vielleicht? Vielleicht auch für sie? „Was ist passiert?“, fragte sie und hockte sich vor seinen Bürostuhl und sah zu ihm herauf, als wäre er ein kleines Kind. „Du siehst aus, als hätte man dir die Insolvenz deiner Firma verkündet, was nicht sein kann, weil ich grade jemanden aus der Finanzabteilung habe sagen hören, dass der Umsatz durch den Verkauf der Schals und die viele Werbung durch die Spendenaktion in die Höhe gestiegen ist.“ So wie sie ihn ansah, war es fast schon eine Einladung sie zu küssen. „Tja, sieh es mal so, Grinchilein, wenn du eine Freundin hast, dann hört die Unmenge an Fanpost auf, die du jeden Tag in den Schredder stecken lässt und die Geschenke zu Geburtstagtag, Valentinstag, Weihnachten, Nikolaus, Ostern hören auch auf. Genauso wie diese jämmerliche Jahresnominierung zum begehrenswertesten Junggesellen.“ Zum ersten Mal bedauerte Seto nicht wie viele andere Geschäftspartner auch etwas Alkohol im Büro stehen zu haben. Denn grade war ihm eindeutig nach etwas hochprozentigem. Sollte er das als Anlass nehmen, damit anzufangen? Seto schüttelte den Kopf und lehnte sich in dem Stuhl zurück, um Naomie nicht weiter in die Augen sehen zu müssen und nicht weiter in Versuchung zu sein. „Mir ist nur etwas klar geworden“, nuschelte er und seufzte. Sie richtete sich auf und grinste. „Das scheint ja eine sehr umwerfende Erkenntnis gewesen zu sein, was?“ „Du hast ja keine Ahnung.“ „Egal, was es ist, lass es sacken und dann sieht es auch nur noch halb so schlimm aus. Hab ich mit dem Job hier auch getan.“ Seto sah auf und sie grinste ihn kichernd an und zuckte kurz mit den Schultern. „Ist die Arbeit hier so schlimm für dich?“, fragte er prompt. Sie schüttelte den Kopf. „Sagen wir es so, ich war am Anfang wenig begeistert, aber…“ Naomie zögerte kurz und wurde mit einem Mal verlegen. „…aber dadurch ist mir auch was klar geworden und zwar, dass ich mich wieder verliebt habe.“ „Gott steh uns bei!“, entfuhr es seinem Gewissen, während er sie nur ansehen konnte. Er konnte fast bildlich sehen, wie die Stimme die Finger kreuzte und ein Gebet murmelte, dass es nicht Pegasus oder Siegfried waren. „Das ist…“ Nun zögerte er. „…schön für dich.“ „Ich bezweifle es. Denn ich glaube nicht, dass er dasselbe fühlt, wie ich.“ Sie klang traurig und Seto wurde bewusst, dass sie deswegen so verheult aussah. Liebeskummer, schlicht und ergreifend. Dabei hatte er schon angefangen sich Sorgen zu machen, er sei Schuld. „Wenn er das nicht tut, hat er ein Herz aus Eis“, erwiderte er und musterte sie kurz. Egal, in wen sie sich verliebt hatte, wenn er so dumm war und sie abblitzen ließ, dann war dieser Mann einfach nur dumm. Naomie seufzte. „Naja…ich muss sagen, der wärmste Typ ist er wirklich nicht. Ich dachte am Anfang auch, er ist ziemlich kühl. Aber was solls…ich geh was Essen.“ Seto nickte und seine Gedanken versuchten die neu gewonnen Informationen zu verarbeiten. Kuzuki war also verliebt in jemanden, der sie abblitzen ließ. Hieße das nicht, dass Schröder damit aus dem Schneider war? Immerhin war es offensichtlich, dass er was von ihr wollte. Dann war da noch der Straßenkläffer und Pegasus. Hatte Siegfried sie deshalb gestern Abend im Arm gehabt, weil sie sich ausgeweint hatte? Konnte er beruhigt sein, weil da doch nichts war? Seto bekam nur am Rande mit, wie sie wieder sein Büro verließ und in seinem Kopf drehte sich alles. „Bist du soweit?“, fragte Schröder. „Ja, ich bin fertig. Wohin gehen wir?“ „Wie wäre es mit Italienisch?“ Die Tür schloss sich und er war wieder alleine. „Was ist eigentlich mit dir selbst, du Blindgänger?“, fragte sein Gewissen, „Von allen Leuten hier bist du doch derjenige, der sie am meisten von sich gestoßen hat und ihr damit das Gefühl gab, sie nicht zu mögen und die Beschreibung passt am besten zu dir. Du bist der Kälteste von allen.“ Seto runzelte die Stirn. Hatte er grade über sich selbst gesagt, dass er ein Herz aus Eis hatte, weil er sie in ihren Augen abblitzen ließ, obwohl er sie nur beschützen wollte? „Sag mal…Wenn das stimmt, würde es nicht auch bedeuten, dass Naomie dir grade indirekt „Ich liebe dich“ gesagt hat?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)