Winter Carols von Frigg ================================================================================ Kapitel 16: Kapitel 16 - Weihnachtsstern ---------------------------------------- Die Luft war stickig und die warmen Strahler aus dem Studio machten es nicht besser. Die Luft war zum schneiden dick geworden, obwohl keine Heizung an war. Trotz dieser erschwerten Umstände arbeitete das Fototeam mit den Visagisten, der Praktikantin und den wenigen Assistenten auf Hochtouren, damit die Fotos für die Plakate fertig wurden. Grade wurden ein paar große Christbaumkugeln in Rot und Gold mit Perlenketten ins Bild gelegt, während das Mädchen von der Visagisten neu abgepudert wurde, damit das Gesicht nicht so glänzte. Für die Kinder, die Naomie in den letzten Tagen abgelichtet hatte, war das alles ein riesen Spaß und großes Abenteuer. Sie standen ausnahmsweise im Rampenlicht und alles drehte sich um sie. Besonders die kleinen Mädchen fühlten sich wie kleine Engel oder gar Prinzessinnen, hatte sie den Eindruck. Das war auch die Hauptsache, dass die Kinder Spaß an der Sache hatten und es gerne taten. Es gab nichts schlimmeres, wenn sie anfingen zu quengeln. Aber nicht nur die Kinder schienen ihre Freude zu haben. So wie es Naomie vorkam, hatte auch Joey seinen Spaß und selbst die Firmenchefs, die sich eingefunden hatten, waren nach einer Zeit lockerer geworden, nachdem sie angefangen hatte mit den Kindern zu arbeiten. Auch Mai, die blonde Duellantin, war inzwischen ein wenig aufgetaut. Bei ihr hatte Naomie am meisten Zweifel gehabt, da sie sehr distanziert gewirkt hatte. Doch die Fotos der letzten zwei Tage waren im Kasten und auch sie saß grade auf einem Stuhl und ließ sich nachschminken. Jemand lief durch das Bild und Naomie stellte ein paar Lampen aus, so dass die Lichterkette am Boden zur Geltung kam. Nach der Konferenz vor drei Tagen hatte ihr tierisch der Kopf geschwirrt. Was Seto alles geplant hatte, hatte sie irgendwann nur noch halb mitgebkommen und sie bewunderte Pegasus und Schröder dafür, dass sie selbst nach der dreistündigen Sitzung noch frisch und munter waren, während sie nur noch das Gesicht auf den Tisch hatte packen wollen. Naomie hatte sich auch nur den Großteil merken können und hatte teilweise sogar Mühe gehabt nicht zu gähnen, auch wenn es sich das ein oder andere Mal nicht hatte verhindern lassen können. Ein kühler Blick von Seto war ihr dann sicher gewesen. Es war auch die einzige Aufmerksamkeit, die sie im Moment von ihm bekam. Kühle Blicke und dass er sie wieder siezte sobald jemand in der Nähe war. Solange sie alleine waren, duzte er sie wieder. Es war verwirrend und inzwischen glaubte sie wirklich dran, dass es ihm peinlich war, dass sie sich kannten. Aber wieso? Sie verstand es nicht, aber Naomie hatte auch schon so gemerkt, dass Seto kein Charakter war, der einfach gestrickt war. Zuerst suchte er ihre Nähe und nun konnte sie froh sein, wenn er sie morgens überhaupt grüßte oder überhaupt mal eines Blickes würdigte. Es war verwirrend. Tat er das vielleicht nur, weil er gekränkt war? Hätte sie ihm nicht sagen sollen, dass sie kein Interesse an ihm hatte? Hatte er es vielleicht falsch verstanden? Immerhin hatte sie nichts gegen eine gute Freundschaft. Sie wollte sich grade nur nicht Hals über Kopf in irgendwelche Beziehungsdinge stürzen. Immerhin wusste sie selbst noch nicht mal genau zu sagen, ob sie wieder bereit war so etwas einzugehen. Nach der Besprechung hatte sie herzlich gähnen müssen und Joey hatte sie dann direkt in Beschlag genommen. Er war ein guter Freund, doch manchmal in seiner Art ziemlich aufbrausend. Doch dem sorgenvollen Blick von ihm hatte sie nicht lange böse sein können, dass er Kaiba direkt angefaucht hatte. Dieser hatte sie nur kalt angesehen und gefragt, ob sein Vortrag so langweilig für sie gewesen war. Sie hatte unter diesem Blick nur ein „Nein“ nuscheln können und verlegen zu Boden geblickt. Es machte sie nervös, dass er sie so behandelte und irgendwie vermisste sie die Gespräche, wo sie ihn necken konnte und er ihr ein Lächeln schenkte. Mokuba hatte ihr gestern Nachmittag erzählt, dass sein Bruder selten lächelte und sie einen guten Einfluss auf ihn hatte. Er hätte während ihrer Abwesenheit viel Zeit mit ihm verbracht und gekocht, was er nur täte, wenn er zu viele Gedanken im Kopf hatte. Inzwischen fragte sich Naomie auch, ob seine Nachrichten, die noch immer auf ihrem Handy waren, nicht nur so daher gesagt waren, sondern ernst. Hatte er wirklich geglaubt, sie sei entführt worden oder es wäre mit ihr was nicht in Ordnung? Sie konnte sich gut vorstellen, dass er sogar die Krankenhäuser abtelefoniert hatte. Bei dem Gedanken daran musste sie schlucken, dass sie ihm nicht direkt erzählt hatte, was passiert war. Offenbar hatte er es wirklich gut gemeint und es war nicht nur irgendeine Tour, um sie ins Bett zu kriegen. Ein schlechtes Gewissen beschlich sie und irgendwie hatte sie das Gefühl, sie sollte ihm gegenüber nicht undankbar sein. Immerhin hatte er ihr auch mehrere Tage hinterher telefoniert und geschrieben, nur weil er sie als Mitarbeiterin wollte. War das nicht auch eine Art Kompliment von ihm an ihr? Dafür dass er am Anfang so desinteressiert war und sie nun hier stand und die komplette Leitung eines Teams hatte und zudem mit wichtigen Leuten zusammen arbeitete? Allein bei dem Gedanken pochte ihr Herz und schlug wieder Purzelbäume, wie so oft in letzter Zeit. Je mehr sie darüber nachdachte, desto größer wurde auch ihr Gewissen und sie musste sich was überlegen, wie sie ihm danken sollte. Naomie schluckte und schaute hinter der Kamera hervor. Die leise Weihnachtsmusik lullte sie ein wenig ein und sollte etwas Stimmung verbreiten. „Herr Pegasus, bitte richten Sie einmal Ihren Kragen“, sagte sie und zupfte zur Verdeutlichung an ihrem. Er tat wie ihr geheißen. „Jetzt bitte die Hand von unserem kleinen Engel nehmen.“ Das Mädchen, das die kleinen Engelsflügel trug, lächelte breit bei der Bezeichnung. Die Kamera klickte. Sie kam wieder hinter der Kamera hervor. „Ich werde mich nicht an das Make up gewöhnen“, sagte Joey und fuhr sich über die Wange. Er verzog das Gesicht, als ein wenig Puder an seinen Fingern klebte. „Tu es lieber, das geht noch zwei weitere Tage hier so weiter“, sagte Naomie grinsend und schaltete die bunte Lichterkette ein. „Zwei Tage?“, fragte Joey entsetzt. „Ja, dann hab ich alles im Kasten und kann auswerten“, sagte sie, „Es geht nicht schneller, leider, weil die Kinder nicht so viel arbeiten dürfen und weil, wenn hier zu viele sind, sie anfangen rumzurennen. Das ist auch nicht gut." Ein Schweißtropfen lief ihre Stirn hinunter, als sie unter die Strahler trat. Sie wusste, nur zu gut, was sie den anderen abverlangte. „Aber keine Sorge, wir machen gleich Pause für zwei Stunden. Dann kommen neue Kinder und ich bau die Kulisse um“, sagte sie und Pegasus machte Platz für den nächsten. Joey stellte sich ins Bild und umarmte das Kind von hinten. Beide hielten ein großes Päckchen mit grüner Schleife in die Kamera. „Sehr gut. Augen auf!“, sagte sie und drückte den Auslöser. Mehrfach klickte es. „Sehr schön. Wir können dann jetzt Pause machen!“ Ein Seufzer ging durch die Reihe. „In zwei Stunden geht es weiter“, rief sie bestimmt und schaltete die Kamera aus. Jemand schaltete das Deckenlicht wieder an, während ein Assistent die Scheinwerfer ausschaltete. „Naomie, kommst du mit was essen?“, fragte Yugi und nahm sich seinen Mantel von der Garderobe. „Tut mir leid, ich bau hier schon mal die Kulisse auf und esse, wenn wir fertig sind nachher“, sagte sie entschuldigend und ging zu einer Kiste mit Nikoläusen. Sie fischte ein paar heraus und reichte sie den Kindern zum Abschied als Belohnung. Das war die Idee von Schröder und vom Waisenhausleiter gewesen. Als kleines Dankeschön und zur Belohnung für die gute Arbeit mit den Kindern, sollte sie am Ende ihres Tages einen Nikolaus bekommen. „Danke schön“, brachte das Mädchen piepsend heraus und drehte sich ganz leicht, so dass ihr Röckchen hin und her schwang. Sie nahm die Schokolade an sich und verschränkte schüchtern die Arme hinterm Rücken und sah zu Boden, während sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht abzeichnete. „Dann bis bald“, sagte Naomie fröhlich und reichte dem Kind die Hand, wie sie es auch bei anderen Leuten tun würde. Der Leiter vom Waisenhaus lächelte sie an und schob die Kinder dann in den Nebenraum, damit sie sich umziehen konnten. „Bis später, Naomie“, rief Joey, „Sollen wir dir was mitbringen?“ „Nein, ist ok“, antwortete sie und war dann die einzige im Raum. Alle waren aus dem Raum geflüchtet, selbst die Assistenten waren fort und gönnten sich eine Pause. Es war auch gut so. Sie wollte grade auch nur alleine sein und die Ruhe genießen. Sie wartete noch bis der Leiter mit den Kindern gegangen war und wünschte ihm eine gute Fahrt. Nach der Pause würden zwei neue Kinder hier sein. Sie fuhr sich mit einem Erfrischungstuch über die Stirn und ging zu den Fenstern. Schnell riss sie diese auf, damit die stickige Luft entweichen konnte. Die kühle Luft von draußen schlug ihr ins Gesicht und der Wind peitschte ihr Haar zur Seite. Es war eine Wohltat den Wind zu spüren und für die anderen die später wiederkommen würden genauso. Immerhin arbeiteten sie seit vier Stunden und die Leuchten waren nicht unbedingt kalt. Sie stießen schon eine gewaltige Hitze von sich. Naomie rieb sich kurz über die Wange. Sie fühlten sich heiß an, doch frisch machen, konnte sie sich gleich noch. Erstmal musste die Kulisse neu aufgebaut werden. Auch da hatte sie schon einige Ideen im Kopf, die sie umsetzen wollte. Doch ehe sie anfangen würde, würde sie andere Musik anspielen. Obwohl sie Weihnachten liebte, hatte sie grade genug von den Christmas Songs. Aus ihrem Büro, es war noch immer ungewohnt, es so zu nennen, holte sie ihren MP und stöpselte ihn an die Anlage an. Zum Glück war ihr Lieblingslied nicht weit entfernt, so dass es schnell angespielt wurde. Der Rhythmus begann schnell. Die klassischen und traditionellen japanischen Trommeln und die Shamisen gaben den Takt an. Die Bambusflöte kam dazu und beschleunigte den Takt. Die Sängerin sang mit lauter und schneller Stimme den Songtext und versuchte dabei den alten, traditionellen Stil zu behalten. Dennoch war es ein sehr poppiges und rockiges Lied, das ihr Herz schneller schlagen ließ, so dass das Blut nur so durch ihre Venen schoss. Ganz leicht bewegte sie ihre Hüfte zum Takt und sang den Text mit. Ihr Fuß wippte im zur Musik mit, als sie die Geschenkpäckchen stapelte und zur Seite räumte. Es war eine Mischung aus Aufräumen und halbwegs rhythmischen Bewegungen, doch nach der langen Zeit, die sie gestanden hatte, war es eine willkommene Abwechslung für ihre Glieder. Mit jeder Bewegung merkte sie die versteiften Muskeln. Besonders in ihrem Rücken spürte sie ein paar Glieder knacken, wenn sie die Hüfte hin und her bewegte. Sie räumte die Dekoration in die Kisten zurück und drehte sich kurz im Kreis bei der Musik. Schnell bewegte sie die Arme mit und ihre Muskeln dankten es ihr mit einem angenehmen Knacken. Sie ging wieder zurück zur Leinwand und räumte die Lichterkette ordentlich zurück, während ihr Körper mit der Musik mitschwang. Entspannt schloss sie die Augen und genoss es alleine zu sein. Nach der Lichterkette folgten der Baum und die Kugeln mit der Perlenkette, die noch auf dem Boden lag. Den Schlitten hatte sie schon gestern weggeräumt. Als der Boden frei war, räumte sie das Tuch zusammen und klopfte es ein wenig aus. Es waren einige Schuhabdrücke zu sehen und vor der nächsten Benutzung musste es gereinigt werden. Sie legte es zur Seite und wurde nachher einen Assistenten fragen, ob es einen Korb für die Reinigung oder sowas gab. Noch immer leichten Hüftbewegungen und das Lied mitsingend, rollte sie die weiße Leinwand zusammen und breitete den roten Hintergrund aus. Auf dem Boden breitete sie ein ebenso rotes Tuch aus. In den Kisten fand sie noch weitere Flaschen mit Glitzer und Kunstschnee. Eigentlich war es ihr zuwider und Naomie wusste, sie würde am Ende des Tages glitzern, wie Peter Pans Tinkerbell oder Edward aus Twilight. Sie stellte das Lied wieder von vorne an und schüttelte sich kurz bei dem Gedanken. Sicherlich wurden die anderen sie ebenfalls für diese Fotoidee hassen, aber sie wusste, die Mädchen würden es lieben. Im Rhythmus der Musik schüttelte sie die Flaschen durch, damit sich der Kunstschnee gut mit dem Glitzer verteilen konnte. Als sie ihre Hände ansah, bemerkte sie schon den ersten Glitzer. Wo kam das Zeug nur her? Die Flasche war zu und dennoch glitzerten ihre Finger, als wäre sie Barbie persönlich. Seufzend klopfte sie sich das Zeug an der Hose ab, wohl wissend, dass es wenig bringen würde. Ihre kleine Schwester und sie hatten früher genug mit Glitzer gebastelt, dass Naomie wusste, wie schwer es abzukriegen war. Seufzend besah sie sich die Leinwand und wippte mit dem Fuß. Noch immer war sie allein und es waren grade mal dreißig Minuten um. Gleich würde sie die Fotos schon mal auf den Laptop ziehen und soweit es ging auswerten. Umso schneller war sie auch mit der Bearbeitung fertig. Naomie wollte nicht daran denken, wie viele Fotos sie noch bearbeiten musste. Allein bei dem Gedanken wollte sie vor Verzweiflung aufheulen. Seufzend nahm sie die Kamera und entnahm den Akku und die Speicherkarte. Das Lied erreichte seinen Höhepunkt und sie schwang etwas kräftiger mit der Hüfte. Sie schloss die Augen und sang mit. „Senbon zakura yoru ni magire…“, sang sie mit und bewegte sich schneller. „Ist das hier privat oder darf ich reinkommen?“, fragte jemand amüsiert und Naomie zuckte zusammen. Sofort hörte sie auf zu singen und während der Arbeit leicht zu tanzen. Eine Röte erfasste ihr Gesicht und brachte es zum Glühen. Ihr Herz setzte vor Schreck sogar aus, dass sie sich an die Brust griff und es pochen spürte. „Sie haben mich ganz schön erschreckt, Herr Schröder“, sagte sie japsend und stellte die Musik aus. Ihre Finger zitterten so sehr, dass ihr fast die Speicherkarte aus der Hand fiel. „Kein Grund gleich einen Herzinfarkt zu kriegen“, sagte er lachend und trat in das Studio. Er stellte einen Pappbehälter mit zwei Getränkebechern auf den Tisch. Naomie hatte Mühe zu atmen und legte beschämt die Hand vor Augen. „Gott, das ist mir grade peinlich. Das haben Sie nie gesehen!“ Ihre Wangen brannten vor Wärme. „Was? Deine kleine Tanz- und Gesangseinlage?“, fragte er kichernd, „Ich fand es recht amüsierend.“ „Das glaube ich“, brachte sie raus und atmete kurz tief ein und aus. „Es muss dir aber nicht peinlich sein“, sagte er und trat näher an sie heran, „Ich mag Menschen, die offen sind.“ Naomie nickte nur und ihr viel wieder auf, dass er sie duzte, obwohl sie seit der ersten Begegnung versucht hatte beim siezen zu bleiben. „Wie ich sehe hast du gelüftet. Die Luft ist viel besser“, bemerkte er und schloss aber ein Fenster wieder, ehe es zu sehr ziehen würde. „Die Luft war einfach zu stickig“, erwiderte sie und legte die Sachen ins Büro. Schnell schloss sie den Akku ans Ladegerät an. „Sie haben auch die Kulisse umgebaut. Allein?“, fragte er und sag sich die Accessoires auf dem Tisch an. Naomie kam wieder aus dem Büro und nickte. „Wann gedenkst du denn Pause zu machen?“ „Wenn wir heute fertig sind“, antwortete sie ruhig und schob die leere Speicherkarte in die Kamera. „So wie ich das sehe, brauchst du jetzt schon eine“, erwiderte er ruhig und beobachtete sie, wie sie alles vorbereitete, „Lass mich raten, du hast wieder nichts zwischen den Shootings getrunken, oder?“ Die Fürsorglichkeit war ganz nett, aber so langsam erinnerte sie das an Seto. Er hatte sie auch schon deswegen gerügt, weil sie während der Arbeit nichts getrunken hatte bis alle weg gewesen waren. Genauso mit dem Essen. Auch da hatte sie sich am ersten und zweiten Tag etwas anhören müssen. Auf der einen Seite war es ja ganz süß, wie die zwei sich um sie sorgten, doch auf der anderen Seite war sie nicht mit einer Notlüge von ihrer Familie abgehauen, um sich hier weiter wie ein Kind behandeln zu lassen. „Das geht schon. Ich hab keinen Durst oder Hunger.“ Siegfried sah auf die Uhr. „Wie lange arbeitest du schon? Seit acht schätze ich. Jetzt haben wir halb zwei. Fast sechs Stunden ohne Essen oder Trinken. Dann bewegst du dich die ganze Zeit, die Luft ist stickig...“ Er schnalzte tadelnd mit der Zunge. „Das geht so nicht.“ Missbilligend schüttelte er den Kopf, so dass seine langen Haare hin und her flogen. „Warte, ich helfe dir“, sagte er und nahm ihr einen Topf mit einem künstlichen Weihnachtsstern ab. „Wofür sind all diese Kunstpflanzen?“ „Für die Fotos gleich“, sagte sie und ordnete die einzelnen Blüten sorgfältig an. Sie griff in die Tüte und verteilte weitere Sterne. „Wie viele sind das?“ „Ich schätze etwa hundert künstliche Weihnachtssterne.“ Naomie verzog etwas das Gesicht. Mit dem Ärmel fuhr sie sich über die verschwitzte Stirn. „Mach lieber Pause. Ich hab dir auch etwas mitgebracht.“ Siegfried ging zu dem Behälter und drückte ihr einen Getränkebecher in die Hand. Er fühlte sich eiskalt an. „Das kann ich nicht annehmen. Aber danke.“ „Ich bestehe darauf, Naomie. Ansonsten muss ich Herrn Kaiba sagen, dass du mit deinem körperlichen Wohl spielst.“ Es wirkte wie ein Scherz, doch war sie sich nicht sicher, ob er es nicht in die Tat umsetzte. Naomie seufzte und nahm das Getränk murrend an. „Danke“, nuschelte sie und zog vorsichtig an dem Strohhalm. Eine kühle, süße Flüssigkeit rann ihre Kehle hinab. Es schmeckte nach Kaffee und Karamell. Die Sahne war frisch und mit einer Karamellsoße überzogen. „Schmeckt es dir?“, fragte Siegfried und trank aus seinem Becher. Naomie nickte. „Ja, es ist wirklich lecker. Danke noch mal.“ „Jetzt setz dich auch und ruh dich etwas aus. Wir haben alle Pause und ich schätze Kaiba zahlt keine Überstunden, oder?“ Fragend sah er sie an und ließ sich auf einen Stuhl nieder, doch Naomie ignorierte die Frage. Naomie tat es ihm gleich und seufzte auf, als sich ihr Rücken entspannt. Sie lehnte sich zurück und streckte ihre Beine aus. Genüsslich zog sie noch mal an dem Strohhalm und trank eine größeren Schluck von dem kühlen Getränk. „Ich wusste, es würde dir schmecken.“ „Es ist wirklich nett von Ihnen mir was mitzubringen.“ „Nichts zu danken, aber ich bitte dich, duz mich ruhig und nenn mich Siegfried.“ Naomie seufzte. Es war nicht das erste Mal, dass er sie darum bat. Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte er darauf bestanden. Doch sie hatte ein merkwürdiges Gefühl dabei, wenn sie ihn einfach so duzte. Er bot es ihr zwar an, aber es fühlte sich falsch an. Es war anders, als wenn sie Seto duzte. Immerhin hatten sie dort auch schon einiges für getan, dass ein Sie nicht mehr angebracht wäre. Eigentlich, wäre da nicht die Tatsache, dass er es wieder tat. „Ich bleibe lieber beim Sie“, antwortete sie etwas nervös. Siegfried seufzte und zupfte seinen Ärmel zurecht. Naomie sah ihn kurz an und riss die Augen auf. Sie stellte den Becher auf den naheliegenden Tisch und sprang auf. „Mir fällt was ein!“ Verwundert sah der Geschäftsmann mit den rosa Haaren ihr nach. „Was hast du?“, fragte Siegfried und folgte ihr in den Kostümraum. „Zieh dich aus!“, forderte sie und wühlte zwischen den Kleiderständern herum. Ihr fiel nicht mal auf, dass sie ihn duzte. „Bitte was?“ Siegfried sah sich um. „Findest du nicht, dass das der falsche Ort ist und vorher ein paar Dates nötig wären?“ „Was?“, fragte sie verwirrt. Sie schüttelte den Kopf. „Ich meine, du sollst dich umziehen.“ Fragend legte Siegfried den Kopf schief, grinste frech und knöpfte sein Hemd auf. Die Krawatte hatte er schon gelockert. „Warte damit bis ich draußen bin!“, rief sie schockiert und wieder schoss ihr die Röte ins Gesicht. Siegfried hielt inne und sie konnte einen Blick auf seine nackte Brust werfen. „Erst willst du, dass ich mich ausziehe, jetzt soll ich warten…Was willst du?“ Er grinste amüsiert über ihre plötzliche Nervosität. Sie zog ein weißes Hemd vom Bügel. „Ich will, dass du dich umziehst.“ Naomie drückte ihm das Stück Stoff in die Hand und zog noch eine blaue Jeanshose heraus. „Das soll ich anziehen?“, fragte er und musterte die Sachen. Naomie nickte. „Dein Anzug sticht zu sehr mit der Leinwand. Das passt besser und auch zu dir. Die rote Krawatte sollte dazu dann den letzten Schliff geben.“ Sie legte das seidige Textilstück auf den Stuhl. Erleichtert stieß sie die Luft aus. „So jetzt kannst du von mir aus strippen“, grinste sie. „Es freut mich, dass du dich jetzt doch zum Du entschieden hast“, antwortete Siegfried und zog sein Jackett aus. „Du kannst auch gerne hier bleiben und zusehen.“ Verschwörerisch zwinkerte er ihr zu. „Nein danke. Kein Interesse“, antwortete sie trocken. War das grade eine plumpe Anmache oder hatte er es nur scherzend gemeint. Naomie war sich nicht ganz sicher. „Sag mal, da du ja in der Pause nichts isst, würdest du nach der Arbeit mit mir essen gehen?“, fragte er und zog die Weste aus, „Ich lade dich ein. Es gibt hier in der Nähe ein gutes asiatisches Restaurant, wenn du magst.“ „Ich weiß nicht, wie lange ich arbeiten muss“, sagte sie ausweichend. Es behagte ihr nicht, dass er sie zum Essen einladen wollte. Es fühlte sich wie ein Date an und dafür fühlte sie sich alles andere als passend gekleidet. Im Gegenteil. Naomie hatte das Bedürfnis unter die Dusche zu steigen und nur noch die Füße hoch zu legen mit einer Portion Schokoladeneis. „Ich kann warten und dich abholen. Du kannst mir eine SMS schreiben“, bot er an und Naomie drehte ihm den Rücken zu, als er das Hemd auszog. Nun sah sie ihm doch halb beim umziehen zu. Sie starrte zur Decke und entdeckte ein kleines, verlassenes Spinnennetz. „Ich weiß nicht. Es könnte spät werden“, versuchte sie weiter und verschränkte die Arme hinter den Rücken. Naomie konnte sich nicht helfen. Siegfried war netter als Seto, dennoch war es ein komisches Gefühl von ihm eingeladen zu werden. Zudem hatte sie schon viel zu sehr Setos Hilfe in Anspruch genommen und seine Gastfreundschaft genutzt, da wollte sie sich nicht direkt den nächsten reichen Mann suchen. Immerhin wollte sie auch nicht, dass es hieß, sie ließ sich von Geschäftsmännern aushalten. Was würde zudem Seto sagen, wenn er davon wüsste? Immerhin hatten sie schon viel für die kurze Zeit zusammen erlebt und er war ihr schon wichtig geworden. Nicht umsonst hatte sie ihm die Schneeflocken geschenkt. Seto hatte aber offenbar nicht nur ein Problem mit Pegasus in der Vergangenheit gehabt, sondern auch mit Siegfried. Letzterer schien er noch weniger leider zu können, obwohl er seine Hilfe freiwillig anbot. Es war schwer zu verstehen, was in ihm vorging. Sie wollte Seto auch nicht kränken, indem sie jetzt mit Siegfried zu tun hatte. Immerhin vermisste sie ja schon irgendwie die Gespräche mit ihm und irgendwie schlug ihr Herz auch schneller, wenn sie daran dachte. Naomie schluckte. „Das ist für mich kein Problem und ich bin sicher, dass Kaiba dich auch nicht ewig arbeiten lässt“, fuhr Siegfried fort und zog sich das weiße Hemd an, was sie ihm rausgesucht hatte. Langsam fragte sich Naomie, ob sie einen Magneten in der Tasche hatte. Zuerst Seto, dann bereitete ihr Pegasus ebenfalls ein Arbeitsangebot unter und jetzt war Siegfried an ihrer Seite. War es da natürlich, dass sie sich wie eine Schlampe fühlte? Pegasus ließ sie zwar in Ruhe, bemerkte aber dennoch, dass er sie aufmerksam beobachtete, besonders, wenn Seto in der Nähe war. Ahnte er vielleicht, dass da war gewesen war? Doch Siegfried war anders. In vielen Dingen ähnelte er Seto, ging aber ganz anders als er vor. Während Seto über fünf Ecken sagte, dass er sich sorgte und einem dabei lieber eine Standpauke hielt, sprach Siegfried es offen aus. „Ich bestehe darauf dich einzuladen. Wenn schon nicht, damit du was im Magen hast, dann als kleine Anerkennung für deine Arbeit hier“, sagte er und knöpfte den obersten Knopf des Hemdes zu. „Ich kriege Gehalt dafür“, antwortete sie, „Dazu auch einen Bonus von der Kaiba Corp.“ „Verstehe. Trotzdem möchte ich dich einladen, denn ich würde dich auch gern besser kennen lernen.“ Offenbar ließ Siegfried nicht so einfach locker und es entlockte ihr ein Seufzen, doch ehe sie etwas sagen konnte, hörte sie ihn fluchen. „Alles ok?“, fragte sie grinsend. „Nein, der Knoten von der Krawatte will nicht sitzen“, knurrte Siegfried und zog ungehalten an dem Stück Seide. Naomie drehte sich um und ging zu ihm. „Lass mich mal“, sagte sie und nahm beide Enden an sich. Nur kurz berührten sich ihre Finger. Mit schnellen Gesten wickelte sie die Krawatte um seinen Hals und zog den Knoten zu. „Woher kannst du das?“, fragte ihr Gegenüber und wartete bis sie auch die kleinen Ecken zurecht gezogen hatte. „Von meinem Opa“, murmelte sie und wollte lieber nicht an ihn denken, sonst käme das schlechte Gewissen wieder. Seto hatte ihr zwar gesagt, dass sie keines haben brauchte, immerhin entsprach ihre Notlüge jetzt der Wahrheit, aber es so schnell los werden, ging nicht. Es war fast schon erstaunlich, wie viel er doch für sie da gewesen war und umso unverständlicher war es ihr, dass er ihr jetzt die kalte Schulter zeigte. Naomie schob die Enden zurecht als die Tür aufging. „Naomie, ich muss mit dir…“ Seto hielt inne und blieb stehen. Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich und sein Blick lag mörderisch auf Siegfried. In den Händen hielt er einige Unterlagen. Naomie bemerkte, wie sich seine Hand verkrampfte, als er sie so eng beieinander stehen sah. „Wieso so sprachlos, Kaiba?“, fragte Siegfried und auf seinem Gesicht zeichnete sich ein siegreiches Lächeln ab. „Was geht hier vor?“, fragte er und Naomie hörte deutlich die Kälte in der Stimme. Als sie in seine Augen sah, konnte sie den Blick nur schwer deuten. Setos Gesicht war wütend und verschlossen, doch in seinen Augen spiegelte sich so etwas wie Enttäuschung und Schmerz. „Oh nichts weiter, Kaiba“, sprach Siegfried ruhig und lächelte ihr zu, „Ich habe mich nur ein wenig mit Naomie unterhalten und sie gefragt, ob sie mit mir Essen geht.“ Seto sah zu Naomie und er zog eine Augenbraue hoch. Sein Blick schien emotionslos zu werden. „Verstehe“, sagte er nur, „Kommen Sie mit, Kuzuki! Auf ein Wort!“ Bei den kalten Worten zuckte Naomie merklich zusammen. Ob er sehr wütend war? „Kaiba, Kaiba, Kaiba…“, sagte Siegfried und schob sich vor Naomie, als wollte er sie schützen. „Was willst du, Siegfried?“, knurrte er ungehalten und verschränkte die Arme vor der Brust. „So geht man nicht mit Angestellten um und zum anderen kannst du mit dem Spiel aufhören.“ Seto zog eine Augenbraue hoch. „Wie es scheint, hat Pegasus recht gehabt, als er mir sagte, ihr beide verstellt euch“, sagte er ruhig und sah auch kurz zu Naomie über die Schulter, „Denkst du ich bin ein Idiot, Kaiba? Zuerst kommst du rein und duzt Naomie und jetzt siezst du sie?“ „Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig“, zischte er. Siegfried schüttelte wieder nur mit dem Kopf, während Naomie sich auf die Lippe biss. Offenbar war es doch aufgefallen, dass sie sich beide verstellten und sie hatte sich auch schon gefragt, wie lange es gut gehen würde. „Naomie, komm. Es gibt was zu bereden!“, sagte er wieder an sie und unterließ es diesmal sich zu verstellen. Scheinbar sah auch Seto ein, dass es nichts mehr bringen würde. „Naomie, so musst du dich nicht behandeln lassen!“, fuhr Siegfried dazwischen und diesmal war es an ihm die Arme zu verschränken. Wie eine Mauer stand er zwischen ihr und ihrem vorläufigen Chef. „Willst du dich jetzt einmischen, Siegfried?“, knurrte Seto und durchbohrte ihn mit seinem kalten Blick. „Ich kann dir direkt sagen, dass ich bestimmt nicht zulassen werde, dass sich meine Angestellte mit einem dahergelaufenen Idioten wie dich einlässt.“ „Ist das nicht ihre Sache?“, lachte er. „Indem Fall muss ich dich enttäuschen“, sagte er gelassen, „Eure Beziehung basiert auf einer geschäftlichen Ebene und ich erlaube nicht, dass Mitarbeiter mit Geschäftspartnern private Beziehungen führen.“ „Dann bedeutet das doch für mich, ich muss nur abwarten bis das Jahr zu Ende geht, oder?“ Wieder war da dieses überlegene Lächeln auf seinem Gesicht. „Naomie, komm endlich! Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!“ „Lass deine schlechte Laune nicht an ihr aus!“, fauchte Siegfried zurück, doch Naomie legte ihm eine Hand auf den Arm. „Schon gut“, sagte sie ruhig und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, was in ihr vorging. Natürlich war sein Tonfall verletzend und es war nett von Siegfried, dass er sich für sie einsetzte, aber das war ihre Sache. Wenn er ein Problem damit hatte, dass sie sich gut mit seinen Rivalen verstand, dann musste er das mit ihr klären. „Zieh dich fertig um. Wir sehen uns gleich“, sagte sie und Kaiba packte ihr Handgelenk. Er zog sie aus dem Raum und knallte die Tür hinter ihr zu. Wortlos zog er sie mit in ihr Büro und auch dort flog die Tür ins Schloss. Was würde das denn werden? Ein wenig hatte sie das Gefühl, er sah sie als sein Eigentum. Irritiert über diesen Auftritt blieb sie stehen, während er die Unterlagen auf ihren Schreibtisch knallte. Ein Prospekt zu einer Fotografenmesse lag dabei und eine Hotelrechnung. „Was denkst du dir?“, knurrte Seto sie wütend an. „Was…was meinst du?“, fragte sie und konnte ein Zittern in ihrer Stimme nicht verbergen. Ihr Herz pochte ein wenig vor Nervosität und Aufregung. „Du und Siegfried?“, fuhr er sie an und seine Augen funkelten wütend, „Oder was sollte das da grade in der Garderobe werden? Mir sagen, dass du kein Interesse hast und lieber Singel bleiben willst und das auch vor Pegasus und jetzt sehe ich euch zwei ganz Intim in der Garderobe stehen. Verbündest du dich jetzt schon mit meinen Rivalen?“ „Du hast mich und Pegasus belauscht?“, fauchte sie und nun sah Naomie Seto wütend an, „Außerdem, was interessiert es dich mit wem ich zu tun habe und wem nicht? Es ist nicht mein Problem, wenn du nicht mit Pegasus und Siegfried klar kommst!“ „Du arbeitest für mich, vergiss das nicht!“ „Oh wie könnte ich!“, höhnte sie und verschränkte die Arme vor der Brust, „Bist du so eifersüchtig? Ich bin nicht dein Eigentum!“ „Beantworte mir die Frage: Läuft da was zwischen euch?“, fragte er und ging nicht auf ihren Satz von eben ein. „Nein“, knurrte sie, „Da ist nichts zwischen uns! Selbst wenn, ginge es dich nichts an!“ „Ich gebe dir den guten Rat, lass dich nicht auf Siegfried ein.“ „Nur weil du schlechte Erfahrungen gemacht hast und ihr euch nicht versteht, muss ich ihn nicht auch hassen!“ „Der Typ will dir doch nur an die Wäsche!“ Naomie zog eine Augenbraue hoch. „Kann ich bisher nicht bestätigen. Er ist bisher nur höflich und nett, vielleicht flirtet er auch. Aber ich finde das alles andere als verdächtig. Außerdem ist er charmanter als du.“ „Willst du mir damit was sagen?“ Er zog eine Braue hoch und schaute zu ihr herab. Naomie seufzte. Sie hatte nicht vor mit ihm zu streiten. Angestrengt rieb sie sich über die Stirn und setzte sich auf den Stuhl. „Ich habe keine Lust zu streiten“, sagte sie ruhiger, „Aber Fakt ist, Siegfried und ich verstehen uns ganz gut als Bekannte. Aber ja, er geht anders vor als du, weniger kühl. Er ist emotionaler.“ Naomie sah auf die Unterlagen. Sie hatte keine Lust Seto weiterhin Erklärungen abzuliefern mit wem sie zu tun hatte und wem nicht. Viel lieber wünschte sie sich, es wäre wieder so wie am Anfang. Seto seufzte. „Ich glaube, es wäre angebrachter, wenn wir wieder komplett zum Sie über gehen würden.“ Ihr Herz setzte aus und Naomie konnte ihn nur anstarren. Was sollte das denn jetzt werden? War seine Eitelkeit so groß? Oder war es sein gekränktes Ego? Sie verstand nicht und es versetzte ihr einen schmerzhaften stich ins Herz. Oder war es seine Eifersucht, die ihn dazu trieb? „Wenn du das willst“, sagte sie ruhig und sie musste sich zusammen nehmen, um sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr es sie doch traf. Sie konnte zwar über Seto schimpfen und doch die Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, war nicht spurlos an ihr vorbei gezogen, aber offenbar an ihm. Wie sonst konnte er so nüchtern vor ihr stehen und ihr sagen, dass sie wieder komplett zum Sie gehen würden? „Gut, dann wäre das geklärt“, sagte er, „Ich rate Ihnen auch, dass Sie die geschäftliche Beziehung nicht vergessen, die Sie mit Schröder und Pegasus haben.“ Naomie nickte brav und versuchte in Setos Augen zu lesen, was in ihm vor sich ging. Doch sie konnte nur kurz ein kleines Aufflackern erkennen, als er sie wieder gesiezt hatte, aber es hätte auch Einbildung sein können. „Nun zum eigentlichen Grund…“ Seto räusperte sich. „Du…ich meine Sie, werden nächste Woche zu eine Messe fahren.“ „Was?“ Naomie starrte ihn an. So viel zum Thema Weihnachtsshoppingtour. Ob sie es noch zu Mokubas Aufführung am letzten Schultag schaffen würde? „Aber was ist mit der Arbeit hier? Die Bearbeitung der Fotos und…?“ „Es ist alles geregelt“, fuhr er ihr dazwischen, „Sie können dort das Studio von Ihrem Chef vertreten, als auch die Kaiba Corp. Dazu kann auch direkt ein erstes Plakat für das Projekt gezeigt werden. Hotelkosten übernimmt natürlich die Firma. Begleitet werden Sie von einem Assistenten. Es ist eine viertägige Messe.“ Naomie nickte und es erschreckte sie, wie schnell er wieder so distanziert sein konnte. „Hier sind alle Unterlagen und das Datum Ihrer Abreise.“ Er reichte ihr die Unterlagen und ging dann wieder aus dem Büro. Zum Glück schloss er die Tür, sodass sie einen Moment für sich hatte. Naomie atmete schwer ein und aus. Sie starrte auf die Papiere, die auf der Tastatur ihre Firmenlaptops lagen. Die Worte drangen nur undeutlich in ihren Geist und die Schrift verschwamm leicht vor ihren Augen. Hatte Seto grade wirklich ihr gutes Verhältnis zunichte gemacht, weil er nicht damit klar kam, dass sie sich gut mit seinen Rivalen verstand? Sie blinzelte die feinen Tränen weg und schniefte kurz. Mit den Fingern wischte sie sich am Augenwinkel entlang und unter das Augenlid. Es versetzte ihr einen schmerzhaften Stich ins Herz. Wenn sie daran dachte, dass sie ihn vor nicht allzu langer Zeit noch aus dem Leben haben wollte und alles dafür getan hätte, dass er ihr lieber so kam, war es jetzt ziemlich ironisch, dass sie darüber weinte. Es war nicht das erste Mal, dass Seto in ihrem Kopf Fragen aufwarf, aber das erste Mal, dass sie seinetwegen weinte. Naomie schluckte mehrfach. Am liebsten wäre sie nach Hause gegangen und hätte ihn auf der Arbeit sitzen lassen. Aber so einfach war das nicht. Immerhin hatte er den Vertrag mit ihrem Chef gemacht und somit war Kaiba ein sehr wichtiger Kunde. Würde sie jetzt einfach gehen, würde sie riesen Ärger mit ihrem Chef kriegen. Sie fuhr sich durch die Haare und griff zu ihrem Kalender in ihre Tasche. Noch immer mit tränenden Augen notierte sie sich die Sachen von den Papieren ab und legte sie in die entsprechende Seite. „Naomie?“ Es klopfte und sie zuckte zusammen. Siegfried hatte sie total vergessen. Er wartete bestimmt schon länger und machte sich auch Sorgen. Kurz schniefte sie und wischte sich noch mal unter den Augen entlang. Naomie wollte nicht Schuld daran sein, wenn sich die beiden noch mehr miteinanderbekriegten. „Ja, komm rein“, rief sie und schob den Kalender wieder in die Tasche. „Alles in Ordnung?“, fragte Siegfried und brachte ihr den Getränkebecher, den sie auf dem Tisch hatte stehen lassen. „Kaiba ging ja weg, wie ein stampfendes Rhinozeros!“ „Ja, alles ok“, antwortete sie und versuchte zu lächeln. Siegfried reichte ihr den Becher und setzte sich auf den freien Stuhl. „Ich dachte mir, dass du eine Aufmerksamkeit gebrauchen kannst, wenn du dich schon mit dem zornigen Drachen auseinandersetzen musst“, lachte er und zog aus seiner Jackettasche eine Tafel mit Zartbitterschokolade. An ihr klebte ein kleiner Weihnachtsstern von der Dekoration. Fragend legte sie den Kopf schief und zog schlurfend an dem Strohhalm. Ob er ihr ansah, dass sie den Tränen nahe war? „Danke. Das ist lieb von dir, aber so schlimm war es nicht“, log sie und legte die Schokolade auf den Tisch. Es war irgendwie süß, dass er sich solche Mühe gemacht hatte. Auch der Weihnachtsstern war süß. Siegfried streckte die Hand nach ihr aus und strich ihr kurz über den Augenwinkel. „Deine Augen sind aber ganz schön nass.“ Verschwörerisch zwinkerte er ihr zu und grinste. Der Geschäftsmann lehnte sich ein wenig zu ihr vor. „Ich weiß, es ist etwas spät für den Poinsetta Day“ „Den was?“, fragte sie verwirrt. „Poinsetta Day“, sagte er, „Als ich in den USA war, habe ich davon gehört. Es ist der Tag des Weihnachtssterns. Am zwölften Dezember schenken sich die Menschen in Amerika diese Pflanze. Der Tag geht zurück auf den ersten Botschafter aus den USA in Mexiko, der auch Namensgeber des Tages ist. Vor fast zweihundert Jahren importierte er den Stern und in Gedenken an ihn wurde der Tag gegründet.“ „Das wusste ich ja gar nicht!“, sagte sie erstaunt und sah auf den kleinen künstlichen Dekostern. „In Frankreich nennt man ihn auch „Liebesstern“, was auf die vielen Legenden zurück geht.“ „Was für Legenden?“, fragte Naomie interessiert und fragte sich, ob Siegfried ihn deshalb mit Absicht an die Schokolade gepinnt hatte. „Eine aztekische Legende besagt, dass das Rot der Blüten aus dem Herzblut einer unglücklich verliebten aztekischen Göttin entstand. Sie sahen die Blume als Symbol der Reinheit.“ „Das ist interessant“, sagte sie und warf den leer getrunkenen Becher in den Papierkorb. Ihr Blick fiel wieder auf die Blüte. Wollte Siegfried ihr damit etwas sagen? Hatte Seto vielleicht Recht? Ihr fielen seine Worte ein. Naomie hatte nicht vor mit Siegfried etwas anzufangen oder mit Seto oder sonst irgendwem. Sie wollte auch nicht den Eindruck erwecken sprunghaft zu sein. „So und wie steht es jetzt mit unserem Abendessen?“, fragte er und lehnte sich etwas zu ihr nach vorne. Im hinteren Teil des Studios bewegte sich etwas. Naomie sah kurz an Siegfried vorbei. War Seto noch da und hatte gelauscht? Sie sah wieder zu dem Geschäftsmann. Ein Seufzen entfuhr ihr. „Du wirst weiter fragen, wenn ich ablehne, oder?“, lachte sie und irgendwie fühlte es sich komisch an ihn zu duzen. Immerhin hatte sie noch vor wenigen Stunden auf ein „Sie“ bestanden. Es war merkwürdig, wie sich die Dinge ändern konnten. „Natürlich frag ich weiter“, sagte er bestimmt, „Ich bin kein Mann, der so schnell aufgibt.“ Wieder seufzte Naomie. Sie hatte wenig Lust mit ihm zu Essen und ihm möglicherweise falsche Hoffnungen zu machen. „Immerhin weiß ich im Gegensatz zu andere Firmenchefs deine Gegenwart zu schätzen“, fügte er hinzu. Naomie schluckte. Der Satz sorgte schon für ein leichtes, nervöses Pochen ihres Herzens, doch am meisten Schlug es noch bei Seto. „Zudem könnten wir unsere geschäftliche Beziehung vertiefen.“ Sie zog eine Augenbraue hoch. „Gegen ein geschäftliches Essen kann selbst dein Boss, Seto Kaiba, nichts einwenden“, erklärte er verschwörerisch, „Außerdem sobald deine Arbeit hier vorbei ist, können wir immer noch freundschaftliche Kontakte pflegen und es geht ihn dann nichts mehr an.“ Das klang doch harmlos und ganz anders, als das, was Seto vermutete. Er sah Gespenster. Siegfried flirtete vielleicht ein wenig mit ihr und sie mit ihm, aber wenn er selbst sagte, dass sie freundschaftliche Kontakte pflegen könnten, klang es nicht so, als würde er ihr an die Wäsche wollen! Naomie wusste, sie begab sich in eine gefährliche Grauzone, wenn sie seine Einladung annahm. Es könnte noch mehr Streit mit Seto bedeuten. Auf der anderen Seite…er hatte ihr ihre Freundschaft vor die Füße geworfen, indem er sie wieder siezte und beim Nachnamen nannte. War es außerdem nicht auch so, dass Joey ein Freund und Kollege war und sie sich gut verstanden ohne gleich miteinander etwas zu haben? Naomie verwarf also den Gedanken und das schlechte Gewissen. Siegfried war nett und vielleicht ergab sich wirklich eine gute Freundschaft zu ihm. „Na gut, ich glaube bei den Argumenten, kann ich nicht nein sagen. Ich seh auch nichts Verwerfliches dabei mit einem Kollegen oder Kunden essen zu gehen.“, lachte sie und bemerkte wieder, wie sich etwas im Studio bewegte. Zufrieden nickte Siegfried. „Ich hol dich um acht hier ab“, sagte er, „Ich denke, dann wird auch Sklaventreiber Kaiba dich gehen lassen. Jetzt lass uns zurückgehen. Die Pause ist gleich um.“ Auch sie nickte und erhob sich schwerfällig, während ihre Knochen knackten. Sie konnte Joey reinkommen hören, gefolgt von Yugi und den Kindern. Wenn Seto meinte, ihr ab jetzt die kalte Schulter zu zeigen, gut, das konnte sie auch mit dem Unterschied, dass sie hier Leute hatte mit denen sie sich gut verstand. Mit dem Gedanken und einem Lächeln auf den Lippen ging sie wieder ins Studio. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)