Winter Carols von Frigg ================================================================================ Kapitel 6: Türchen 6 - Schokolade --------------------------------- Grummelnd sah Seto zu der verschlossenen Tür seines Büros. Wäre es möglich gewesen, hätte diese Tür ein Loch gehabt und sein Blick hätte die Person dahinter erdolcht, während die laute Weihnachtsmusik des Radios zu ihm ins Zimmer durch drang. Wieso musste sein Sekretär das Gerät so laut stellen, dass die halbe Firma mitsingen konnte? So konnte doch kein Mensch arbeiten! Wütend hämmerte er auf die Tasten seines Laptops ein, als könnten dieser etwas für die miserable Laune des Firmenchefs. Dabei war das gar nicht mal so weit her geholt, denn der Laptop trug sogar zur Verschlechterung seines Gemüts bei. Wütend schlug er mit der Hand auf den Schreibtisch und stieß einen Fluch aus, als wieder die Meldung angezeigt wurde, dass sein Passwort, mit dem er seinen Laptop gesichert hatte, falsch wäre. Wie konnte das nur passiert sein? Niemand hatte sich an seinem Laptop zu schaffen gemacht. Die ganze Zeit über hatte er gestern daran gearbeitet. Ein Virus konnte es auch nicht sein, da sein System gut geschützt war und ein Hacker war auch nicht registriert worden. Nur er kannte sein Passwort und er hatte das Gerät auch mit nach Hause genommen, damit er dort weiter arbeiten konnte, nachdem Kuzuki gegangen war. Denn nachdem sie da gewesen war, war es irgendwie unmöglich gewesen sich wieder zu konzentrieren. Die ganze Zeit hatte er ihr Parfüm in der Nase gehabt, vermischt mit einem Orangenduft und frischer Nelken. Kuzuki war auch nicht so nahe an seinem Schreibtisch gewesen, dass sie irgendetwas hätte tun können. Zudem machte sie auch nicht den Eindruck einer Hackerin oder dergleichen. Es war also unmöglich, dass jemand einfach so daran gekommen war und den Laptop manipuliert hatte. Erneut tippte er ein anderes Passwort ein und wieder erschien die Meldung. Wenn nicht bald ein Wunder geschah, dann würde er an seinem Projekt nicht mehr arbeiten können. Fast schon verzweifelt startete er einen letzten Versuch und wieder wurde ihm angezeigt, dass das Passwort nicht korrekt war. Wenn er die Person erwischte, die dafür verantwortlich war, konnte sie sich sicher sein nicht lebend ins neue Jahr zu starten. Die Stimme der englischen Sängerin, die über Schnee sang, drang wieder an sein Ohr und eine Augenbraue zuckte gefährlich, während sein Laptop erneut die Eingabe des Passwortes verweigerte. Knurrend drückte er auf den Knopf seines Telefons. „Schalten Sie das Radio gefälligst leise!“, fauchte er in den Hörer, ehe der Sekretär etwas sagen konnte. Laut schlug er den Hörer wieder auf die Gabel und lehnte sich knurrend im Stuhl zurück. Seine Finger klopften unruhig und in einem langsamen Rhythmus auf der Lehne herum und fieberhaft überlegte Seto, wer dafür verantwortlich war. Alzheimer besaß er auch noch nicht, so dass er sich auch nicht mehr daran erinnern konnte, es verändert zu haben. Mit einer schnellen Eingabe verschiedener Tastenkombinationen versuchte er ins Datenfeld zu kommen und einen Resetstart zu ermöglichen, so dass das neue Passwort zurückgesetzt wurde. Aber auch das wollte nicht funktionieren. Wer auch immer das getan hatte, wusste, was er tat. Doch so leicht, ließ sich Seto Kaiba nicht entmutigen. Immerhin ging es hier um wichtige Dateien, die sich auf seiner Festplatte befanden. Obendrein war er ein Genie im Umgang mit der Technik. Knurrend schaltete er das Gerät aus und erneut wieder ein, um ins Bedienfeld zu kommen und weitere Eingaben zu tätigen. Die Musik wurde wieder etwas lauter und am liebsten hätte Kaiba den jungen Mann, der heute vorne bei ihm saß, erschlagen. So gut dieser auch in seiner Arbeit war, er brauchte Musik. An sich auch kein Problem, aber er war nicht minder so ein Weihnachtself wie Mokuba und hatte natürlich gerne die Kekse angenommen, die sein Bruder ihm gegeben hatte und hörte nun lautstark Weihnachtshits. Auch die Krawatte mit den Schneemännern drauf, zeigte, welche Jahreszeit seine Liebste war. Wieso musste seine Sekretärin heute auch ihren freien Tag haben? Da waren ihm Ohrringe in Form von Weihnachtsbaumkugeln noch am liebsten. Aber es gab wichtigeres. Seinen Angestellten die Hölle heiß machen, konnte er auch noch später. Viel wichtiger war es das aktuelle Projekt zu retten und bis zum Termin der Präsentation fertig zu haben. Dabei hatte der gestrige Tag so gut geendet und er war sogar mit einer sehr guten Laune aus der Firma gegangen. Seto hatte früher Feierabend gemacht, sehr zum Erstaunen seiner Sekretärin und zur Freude seines kleinen Bruders. Seit längerer Zeit hatten sie nämlich auch wieder miteinander zu Abend essen können und Mokuba hatte ihn daran erinnert, dass er noch immer kein Türchen seines Kalenders geöffnet hatte, während bei ihm jedoch jeden Tag die kleinen Säckchen geleert wurden. Mokuba hatte ihm auch stolz erzählt, dass in seiner Schule die Vorbereitungen für das Weihnachtsschulfest liefen und seine Klasse ein Theaterstück aufführen würde und er hoffe ebenfalls eine kleine Rolle zu bekommen. Sein kleiner Bruder hatte ihm sogar das Versprechen abgeschwatzt in dem Fall sogar diese Aufführung mit anzusehen und einen Fotografen zu beauftragen, der das auch dokumentierte. Das Thema erinnerte ihn daran, dass er noch immer keinen Ersatz hatte und hatte Mokuba auch von der Kündigung Juans erzählt, weshalb es doch schwer werden würde jemanden zu finden. Sofort war sein kleiner Bruder natürlich für Kuzuki gewesen, doch Seto hatte den Vorschlag sofort abgeschmettert. Damit war das Thema Fotograf beendet. Mokuba hatte sich nach dem Abendessen noch ein Stück Torte gegönnt, die er mit der Fotografin gebacken hatte und auch versucht ihm ein Stück anzudrehen. Doch Seto hatte sich in sein Arbeitszimmer verzogen und die zwei Sachen für den kleinen Wirbelwind versteckt. Fieberhaft hatte er überlegt, was er noch besorgen konnte, damit nicht nur das Foto in Mokubas Schuhen steckte, sondern auch etwas von ihm natürlich. Die Schokolade, die die Haushälterin besorgt hatte, war eine Option gewesen. Aber wo war das persönliche? Sein Blick war auf eine Schublade gewandert und Seto hatte den Umschlag von Kuzuki heraus gezogen. Kurz warf er einen Blick hinein. Tatsächlich hatte dort ein Foto von Shadow drin gelegen, wie er mit der Nasenspitze fast die Kamera berührte und neugierig schnupperte. In seinem Fell glänzten Schneeflocken und seine ganze Schnauz von der gefrorenen Wassermasse überzogen war. Die Augen waren neugierig auf das Gerät unter ihm gerichtet und in diesem Moment hatte Kuzuki abgedrückt. Sein Hund kam gut zur Geltung. Das hatte er ihr in dem Moment lassen müssen. Sie war gut und schien ein gutes Timing zu haben. Die Tafel hatte auch im Umschlag gelegen und sie war alles andere als klein, wie sie gesagt hatte. So viel er wusste, stammte sie aus einem nicht grade günstigen Geschäft. Im Gegenteil, sie hatte scheinbar einiges an Geld ausgegeben für das große Stück Schichtnougat. Mit sich ringend hatte er auf den Umschlag geschaut und war erstmal mit Shadow eine Runde im verschneiten Park spazieren gewesen, während sein Hund wieder am durchdrehen war, dass neue weiße Flöckchen vom Himmel fielen. Seto hatte wirklich mit sich gerungen, hatte alle Seiten abgewogen, aber es war die einzige Lösung gewesen. Er musste Kuzukis Geschenk als seines ausgeben. Natürlich hatte sich dort sofort sein schlechtes Gewissen in Form einer Fistelstimme gemeldet, die ihm gepredigt hatte, dass er doch nicht das Geschenk eines anderen klauen sollte, noch sie anlügen sollte, dass er es Mokuba in ihrem Namen gegeben hatte. Aber was sollte er tun? Die Geschäfte hatten bereits geschlossen gehabt und Mokuba hatte von ihm erwartet, dass er etwas für ihn hatte. So schlecht sein Gewissen gewesen und es auch noch immer war, er hatte keine Wahl. Spätestens als er wieder nach Hause gekommen war, völlig eingeschneit und Mokuba auf den Flurboden sitzend sah, waren alle Zweifel von ihm gegangen. Er hatte nicht mit ansehen können, wie er dort saß, fleißig seine Stiefel putzte und dabei fröhlich „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ sang. Kaum hatte Seto seine Stiefel abgestreift, hatte Mokuba sich auch diese gekrallt und angefangen zu putzen. Die Erklärung war gewesen, dass er es ja nicht machen würde und sonst nichts geschenkt bekam, was Seto ein leichtes Schmunzeln entlockt hatte und umso größer war sein schlechtes Gewissen geworden. Doch so wie Mokuba da auf dem Boden gesessen hatte, hatte er sich selbst gesehen, wie er als Kind die Stiefel der Familie geputzt hatte, damit der Nikolaus etwas hinein tat. Genau wie Mokuba war er neugierig gewesen und hatte die halbe Nacht kaum schlafen können, hatte gelauscht und war dann doch mit einem seligen Grinsen eingeschlafen. Später hatte er mit Mokuba zusammen die Stiefel geputzt und im Waisenhaus hatte er später jedes Jahr gehofft, dass es mehr als nur eine Orange und einen Schokoladennikolaus geben würde. Doch irgendwann hatte er verstanden, dass es die Erzieher und seine Eltern gewesen waren, die die Stiefel befüllt hatten. Mokuba war inzwischen genauso alt, dass er begriff, dass er oder Roland diese Aufgabe übernahm und dennoch bestand er auf die Tradition. Er sagte, ohne diese Tradition wäre es keine richtige Adventszeit. Sobald er sich von dem Anblick und der Erinnerung gelöst hatte, hatte Seto sich wieder in sein Arbeitszimmer verkrochen. wo eine frische Orange mit Nelken bespickt stand und ihren Duft verteilte. Ein kleiner Teller mit Süßigkeiten war von Mokuba auf den Tisch gestellt worden. Seto hatte aufgeseufzt und einen Entschluss gefasst. Während er sich dann in die Arbeit vertieft hatte, war die Zeit schnell rum gegangen und Mokuba hatte ihm irgendwann noch gute Nacht gewünscht. Sein Laptop hatte zu dieser Zeit noch einwandfrei funktioniert. Noch ein paar Stunden hatte Seto gewartet und war dann nach unten geschlichen, um die Stiefel zu befüllen. Seine Schuhe hatten schon eine Füllung bekommen von seinem Bruder und darin lag eine Tüte mit Kekse, Schokolade, Orangen und eine Eintrittskarte für das Schultheater einen Tag vor Heilig Abend. Doch er hatte nichts angerührt und schnell die Sachen in die Schuhe von seinem Bruder getan und war wieder zurück nach oben geschlichen, während alles in dem großen Haus ruhig war. Draußen hob sich der weiße Schnee deutlich von der dunklen Nacht ab und Seto wusste, dass morgen wieder alles Weiß sein würde und aussehen würde, als wäre eine Puderzuckerschicht über die Stadt gezogen worden. Nachdem er noch schnell einen Bericht fertig getippt hatte, war auch er Schlafen gegangen. Bis dahin hatte alles funktioniert. Irgendwas musste zwischen dem zu Bett gehen und heute Morgen passiert sein, dass sein Laptop nicht mehr funktionierte. Soweit hatte der Tag auch gut gestartet. Mokuba war total freudig über das Foto gewesen und hatte es sich direkt eingerahmt. Dafür war das Klassenfoto direkt aus dem Rahmen genommen worden und war unachtsam auf dem Schreibtisch gelandet. Nun stand der Hund Shadow auf dem Schrank. Seto hatte versucht sein schlechtes Gewissen zu verbergen, das ihm überkommen war. Doch auch da war seine Laune sogar noch gut gewesen. Sie hatte erst begonnen sich zu senken, als er in die Firma gefahren und durch den Empfang gegangen war. Innerlich hatte er sich selbst die Hand vor den Kopf geschlagen. Es war Nikolaus. Das war ihm auch bewusst, aber er hatte etwas Entscheidendes vergessen gehabt. Nicht nur die Tatsache, dass heute überall in seiner Firma kleine Schokoweihnachtsmänner verteilt worden waren und jeder seiner Mitarbeiter, auch er, einen davon auf den Schreibtisch gefunden hatte. Nein, es war auch neben dem Valentinstag, Ostern, sein Geburtstag und Heilig Abend der Tag, den er lieber zu Hause hätte verbringen sollen. Denn an diesen Tagen begannen der Postbote, verschiedene Paketboten und Kuriere sich gegenseitig die Klinken in die Hand zu drücken. Unten am Empfang stapelten sich die Körbe mit Karten und Schokolade in den Körben, die in regelmäßigen Abständen hoch gebracht wurden, wo sie sich dann weiter in einer Ecke stapelten. Zu seinem Geburtstag und Heilig Abend war es immer am schlimmsten, da die Fangirls immer der Meinung waren ihm etwas schenken zu müssen, was ihn überhaupt nicht interessierte oder total scheußlich war. Am meisten packte er dann Lotions, Cremes oder Parfüms aus oder ein ganzes Pflegeset. Seto wusste nicht, ob er sich gruseln oder beleidigt sein sollte. Denn einerseits erinnerte es ihn ein bisschen an „Das Schweigen der Lämmer“ und er fragte sich, ob seine weiblichen Fans glaubten, er würde nicht duschen oder sich keine Pflegeprodukte leisten können. Doch heute wurde er von Schokolade überhäuft in den unterschiedlichsten Variationen. Die ersten zwei großen Körbe mit gesammelten Nikoläusen, Dominosteinen, Lebkuchen, Plätzchen und anderen Süßigkeiten waren bereits voll und standen in seinem Büro. Doch am meisten waren es Nikoläuse, die in den Körben ihren Platz fanden. Es war nicht so, dass er Schokolade hasste. Er mochte es nur nicht, wenn ihm fremde Personen welche schenkte. Jedoch schien Mokuba damit kein Problem zu haben und verteilte vieles davon später an Klassenkameraden oder in der Firma oder er aß es selbst, so dass Seto aufpassen musste, dass sein kleiner Bruder keinen Zuckerschock bekam. Allein diese zwei Körbe würden den Bedarf an Schokolade bis Mai nächsten Jahres decken. Aber Seto wusste, dass auch das nur der Anfang der Hölle war. Bis zum Abend würden noch mindestens drei weitere Körbe dazu kommen. Ein leises Seufzen verließ seine Lippen und er sah kurz zu dem Stapel. Seine Finger huschten wieder über die Tasten, nur ein leises Klopfen unterbrach ihn. „Herein!“, sagte er streng und ohne aufzusehen. „Herr Kaiba, es ist ein weiterer Korb voll mit lauter kleinen Naschereien!“, sagte sein Sekretär und stieß die Tür mit dem Fuß etwas auf. In seinem Arm war ein voll gepackter Korb. „Es sind unter anderem kandierte Früchte mit bei und verschiedene Nougatsorten. Teilweise aus den teuersten Schokoladengeschäften. Ich habe sogar ein Paket aus der Schweiz gesehen!“ Voller Enthusiasmus berichtete der junge Mann vom Inhalt des Korbes, was ihn gar nicht interessierte und bei dem er auch nur mit halben Ohr zuhörte. Seto winkte ihn ab. „Stellen Sie es in die Ecke und lassen Sie mich wieder in Ruhe arbeiten“, sagte er und sah auf das Datenfeld, was sich ihm öffnete. „Ich möchte nicht weiter gestört werden.“ Nur aus dem Augenwinkel sah Kaiba, wie der Mann den Korb zu den anderen stellte und dabei sehnsüchtig auf die edlen Kakaoprodukte sah, als würde er sich verkneifen müssen, etwas davon zu stibitzen. „Ja, Herr Kaiba“, sagte der Mann und ging zur Tür. „Eine Frage habe ich allerdings“, hielt Seto ihn auf und sah kurz zu den Körben. „Ja?“ „Wissen Sie die Absender der Schokolade?“ „Ähm nicht aus dem Kopf“, antwortete der junge Mann unsicher und sah seinen Chef fragend an, was er damit bezwecken wollte. „Dann nehmen Sie sich die Körbe vor und listen Sie mir alle Absender auf“, sagte er kühl und gab etwas in den Laptop ein. Wieder schlug die Eingabe fehl. „Wozu, Herr Kaiba?“, fragte er und nahm sich den eben gebrachten Korb wieder. Seto wusste, dass das all die Jahre noch nicht vorgekommen war. Doch ihm war ein Gedanke gekommen und er wollte dem nachgehen, hatte aber selbst keine Zeit dafür. „Ich möchte es wissen“, sagte er ablehnend. Seto konnte seinem Angestellten ja schlecht sagen, dass er auf einen bestimmten Absender hoffte. „Aber sortieren Sie die Liste nach Inhalt der Körbe.“ „Wird gemacht“, sagte der junge Mann und sah aus, als würde er gleich schreiend aus dem Fenster springen, wäre hier oben kein Panzerglas. Seto wusste natürlich auch, dass der Mann genug zu tun hatte und unter anderem noch immer Weihnachtsbriefe auf der Liste standen. Aber wozu gab es die Praktikantin und zur Not müsste er Überstunden machen. Er saß schließlich auch oft bis tief in die Nacht hier. Seto beobachtete wie der Mann noch zwei mal herein kam und die anderen Körbe mit sich nahm. Dann seufzte er auf. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Wieder einmal war seine Zunge schneller als sein Verstand gewesen. Was der Mann vorne jetzt wohl dachte? Dabei konnte es ihm doch egal sein. Aber in diesem Fall nicht. Immerhin war die Schokolade von vielen weiblichen Fans. Natürlich gab es auch hier und da männliche Fans, die genauso ein Interesse an ihm hegten, aber Seto wusste, dass er definitiv auf das andere Geschlecht stand. Immerhin hatte er schon mit der ein oder anderen Frau das Bett geteilt. Aber in letzter Zeit war das auch nicht mehr vorgekommen und Seto vermisste es auch nicht. Dennoch hoffte ein Teil von ihm, der Teil, den er meistens verdrängte, dass unter den Süßigkeiten etwas Bestimmtes dabei war und auf der Liste ein spezieller Name stand. Immerhin hatte sie Mokuba etwas geschenkt und es bestand die Möglichkeit, dass sie auch ihm etwas schenkte und wenn das der Fall war, dann wollte er wissen, was er ihr schuldig war oder es ihr zumindest zurückgeben. Es wäre ihm auch unangenehm gewesen, wenn sie sich so viel Mühe machte und er es ihr nicht mal danken konnte, weil es in den Massen unter ging. Seto schüttelte den Kopf. Was dachte er da? Wieso war es ihm nicht egal, wenn sie für ihn Geld ausgab und ihm etwas schenkte? Sie war genauso eine Fremde, wie die anderen Fangirls auch. Doch genau da meldete sich wieder sein Gewissen. „Ist sie das wirklich?“, fragte sie wieder mit dieser Fistelstimme und Seto konnte förmlich den herausfordernden Unterton hören. Natürlich war sie das! „Sicher? Was weißt du denn nicht alles schon?“, fragte die Stimme weiter. Ja, was wusste er schon über sie? Sie lebte allein, war seit einigen Monaten Singel, Fotografin, konnte gut backen, sie hatte keine Ahnung von Mathe oder Politik. Ihre Augen waren Blau-grün und ihr Haar blond. Heute stand sie wieder auf dem Weihnachtsmarkt. „Du weißt doch eine Menge“, sagte sie Stimme wieder und unterbrach seine Gedanken. Tat er das? Kannte er wegen ein paar mickriger Informationen jemanden? Die Antwort war klar. Nein, natürlich kannte er sie deshalb nicht. Er wusste weder, wie zum Beispiel ihre Beziehung verlaufen war, noch ob sie oder er sich getrennt hatte oder ob, es überhaupt ein Mann war oder wie viele Beziehungen sie schon vorher hatte. Er wusste auch nicht, wie alt sie war oder wie sie aufgewachsen war. „Nebensächlichkeiten“, sagte seine Gewissensstimme wieder. Seto schnaubte und gab wieder etwas ins Tastenfeld ein. Dieser Laptop flog doch bald aus dem Fenster, wenn er nicht bald an seine Daten heran kam. „Ganz ruhig, Brauner“, sagte wieder die Stimme, „Wie wäre es mit etwas Schokolade zur Beruhigung?“ Wieder schnaubte er. Konnte die Stimme nicht endlich still sein? Er musste sich konzentrieren und sein Projekt retten und hatte keine Zeit sich um sein Gewissen zu kümmern. Es sollte wieder in die hinterste Ecke seines Bewusstseins gehen, wo es hin gehörte! „Verstehe“, sagte sein Gewissen wieder, „Du willst keine Schokolade. Zumindest die der Fans nicht. Aber gib es zu, ihre würdest du essen.“ Seto schwieg. Dem würdigte er keine Antwort. „Genauso wie du ihre Kekse isst, die sie mit Mokuba gebacken hat.“ Eisen schwieg er weiter. Er schuldete dieser imaginären Stimme keine Rechenschaft und wenn sie nicht bald schwieg würde ernsthaft in Erwägung ziehen sie sich wegtherapieren zu lassen. „Versuch es doch!“, konterte die Stimme, „Aber ich weiß, dass du weißt, dass ich recht habe!“ Damit schwieg sie und Seto seufzte auf, wollte grade zum Teller mit Keksen greifen, hielt jedoch inne. Nein, diesen Triumpf würde er seinem Gewissen nicht geben und zog seine Hand sofort wieder zurück. Dennoch hätte er schwören können in seinem Kopf ein leises Stimmchen lachen zu hören. Knurrend wollte er sich wieder den wichtigeren Dingen in seinem Leben zuwenden, als es klopfte. Genervt stöhnte er auf. Kam er heute überhaupt noch zum Arbeiten? Wahrscheinlich nicht. Vorsichtig sah der junge Mann herein und brachte den ersten Korb zurück. „Herr Kaiba, hier ist die Liste mit den Adressen. Es stehen alle drauf“, sagte er leise und Seto entriss ihm ungeduldig das Blatt. Nur am Rande bekam er mit, dass sein Sekretär wieder gegangen war. Seine blauen Augen huschten über das Papier in seiner Hand, unzählige Namen wurden überflogen. Als er fertig war, sah er sich die Liste erneut an und seufzte auf. Ob aus Enttäuschung oder Erleichterung wusste nicht einmal Seto Kaiba selbst. „Aus Enttäuschung natürlich!“, meldete sich sofort seine Fistelstimme wieder zu Wort und er griff gedankenverloren zu einem Vanillekipferl und biss hinein. Er schwieg die Stimme an und aß den letzten Rest des Gebäcks auf, ehe er die Liste zur Seite legte. Gut, dort stand der Name von Kuzuki nicht. Aber es blieben ja noch zwei weitere Körbe und bis zum Abend kämen auch noch welche an. Es wäre also gut möglich, dass sie es erst später ab gab oder direkt bei ihm zu Hause? Aber wollte er unbedingt etwas von ihr? Nein, dann wäre er ihr ja auch ein Geschenk schuldigt und er verschenkte nichts, außer an seinen Bruder! Seto legte die Liste zur Seite und trank einen Schluck vom Kaffee, um seine Nerven zu beruhigen. Entspannt schloss er kurz die Augen und atmete tief durch. „SETO!“, rief sein Bruder laut und die Tür schwang auf. Kurz zuckte er zusammen. „Mokuba, du solltest doch in der Schule sein!“, sagte er streng. „In der Schule?“, fragte der kleine Wirbelwind skeptisch und warf seine Tasche auf den Boden, „Schau mal auf die Uhr, großer Bruder. Wir haben schon drei Uhr durch!“ Aus reiner Gewohnheit sah er zum Laptop, der grade ein Menüfeld anzeigte, weshalb er kurz zum Handy griff und dort die Uhrzeit prüfte. Tatsächlich. Er hatte den halben Tag damit zugebracht sein Passwort zu hacken und hatte noch kein Stück für die eigentliche Arbeit getan. Ein erstaunter Laut entfuhr Mokuba und Seto sah zu ihm. „So viel Schokolade! Das ist ja jetzt schon mehr als letztes Jahr, Seto!“ Er nickte und hämmerte wieder auf die Tasten ein. „Kann ich etwas davon haben?“, fragte er in einem bettelnden Tonfall und sah die Süßigkeiten mit sehnsüchtigem Blick an. Er nickte stumm und hörte nur Papier rascheln. Schon hörte er ein knacken und wusste, egal, was sein Bruder sich genommen hatte, es war geköpft worden. Mit dem Schokonikolaus in der Hand kam er wieder zu seinem Schreibtisch. Sein Mundwinkel war verschmiert und ein Krümel hing über seiner Lippe. „Weißt du was, Seto?“, fragte er strahlend und brach ein weiteres Stück ab. Er hielt es ihm hin und Seto schüttelte nur mit dem Kopf. Viel zu gebannt sah er auf seinen Laptop, der endlich mal ein paar Befehlseingaben annahm. Hoffnung keimt in Seto auf, dass er endlich das Problem gefunden und gelöst hatte. „Was denn, Mokuba?“, fragte er und tippte schnell weiter die Befehle in das Gerät ein, ehe es sich wieder anders überlegen konnte und alles verweigerte. „Heute wurden die Rollen für unser Theaterstück verteilt!“ Sein Grinsen wurde noch breiter. „Hast du eine abbekommen oder hilfst du wieder hinter der Bühne mit, wie letztes Jahr?“, fragte Seto und konnte sich noch gut an das enttäuschte Gesicht des kleinen Weihnachtselfen vorstellen, als seine Klasse „Eine Weihnachtsgeschichte“ von Dickens aufgeführt hatte und Mokuba nur mithelfen sollte, dass die Requisiten an Ort und Stelle waren. „Rate!“, sagte er stolz und mit breitem Grinsen. „Du bist wieder hinter der Bühne?“, fragte er und sah kurz auf. „Nein. Ich habe eine Rolle!“, sagte er stolz. „Gratuliere und welches Stück führt ihr auf?“, fragte er und hielt inne den Laptop zu bearbeiten. „Der Nussknacker!“, verkündete er voller Stolz. „Ist das nicht ein Ballettstück?“, fragte er und zog eine Augenbraue hoch. Mokuba nickte. „Ihr werdet also Ballett tanzen?“ „Nein, aber ein wenig tanzen schon“, gestand er kurz und sah seinen Bruder doch freudig und stolz an. „Welche Rolle hast du bekommen?“, fragte Seto und betete heimlich unterm Tisch mit gekreuzten Fingern, dass es keine wichtige Hauptrolle war. Die Musik würde er noch Wochen später im Ohr haben. Denn schon jetzt konnte er die kleinen Klänge des Stückes hören und verdrängte sie sofort wieder. „Ich bin eine Zuckerstange!“ „Eine was…?“ „Zuckerstange!“, wiederholte er voller Stolz und seine Brust schwellte sogar ein wenig an. Seto zog eine Augenbraue fragend nach oben. „Ich bin die zweite Zuckerstange, die dort mit auftaucht.“ „Zweite Zuckerstange?“ „Ja!“, sagte er nachdrücklich und sah ihn an, als wäre er der verrückte. „Musst du da tanzen?“ „Natürlich!“, sagte er, „Seto, du musst unbedingt kommen und es dir ansehen!“ „Ich versuche es, Mokuba.“ „Und du musst Naomie mitbringen!“ „Wer?“ „Naomie?“ „Wer ist Naomie?“ Mokuba seufzte. „Stell dich nicht dümmer als du bist! Naomie Kuzuki, die Fotografin?“ Stimmt. So hieß sie. Er hatte ihren Vornamen tatsächlich vergessen gehabt. „Wieso sollte ich sie mitbringen?“, fragte er. „Damit sie Fotos machen kann?“, sagte er und redete mit ihm, als wäre er geistig zurück geblieben. „Immerhin haben wir bis dahin noch keinen neuen Fotografen, oder? Außerdem möchte ich schöne Fotos davon haben und sie ist gut und sie hat ebenfalls von mir eine Karte bekommen!“ „Was?“, fragte er und hätte sich fast am Kaffee verschluckt. „Du hast was?“ „Ich habe ihr eine Karte gegeben. Immerhin stammt ja von ihr das schöne Foto von Shadow und irgendwas musste ich ihr doch zum Nikolaus schenken.“ Mokuba zuckte mit den Schultern. Offenbar wusste sein Bruder auch, dass es von ihr war und nicht von ihm. Umso besser für sein Gewissen. Sein kleiner Bruder sagte auch nichts dazu, es von seiner Seite zur Schokolade gegeben hatte anstatt noch etwas Materielles. Ob er es aus Rücksicht und seiner Arbeit tat? „Wann hast du das getan?“ „Vorhin auf dem Weihnachtsmarkt. Sie ist da ja heute wieder und macht Werbung. Das hatte sie mir beim backen erzählt.“ Er fröstelte kurz. „Am liebsten hätte ich sie wieder mitgenommen. Sie sah total verfroren aus mit dem Kostüm. Hoffentlich wird sie nicht krank.“ Sein kleiner Bruder warf ihm einen Blick zu, den Seto nicht deuten konnte. Ein schelmisches Blitzen war darin zu sehen, aber auch eine stumme Aufforderung. Sollte das ein indirekter Wink sein sich zu ihr zu bewegen und sie von der Straße ins warme zu holen? Wenn ja, konnte sein Bruder das direkt vergessen. Diese Frau war alt genug und musste selbst wissen, ob sie in einem knappen Kostümchen von Betrunkenen belästigt werden wollte und sich die Nieren abfror, nur weil der Chef es verlangte. Er war nicht ihr Babysitter. Dennoch konnte Seto nicht verhindern, dass er selbst leicht fröstelte bei der Vorstellung, wie sie dort im Kostüm herum lief. Immerhin war es heute sogar noch kälter als vor ein paar Tagen und es schien nicht besser geworden zu sein, wenn er so nach draußen sah. „Musst du eigentlich noch viel arbeiten?“, fragte Mokuba und spähte zu seinem Laptop. Irgendwie lag auf seinem Gesicht ein schelmischer Ausdruck. Er biss ein großes Stück von der Schokolade ab. Ein kleiner Teil hing aus seinem Mund heraus. „Wenn ich dazu käme den Laptop zu benutzen, dann ja“, antwortete er und musterte Mokuba mit kritischem Blick. Eigentlich wusste er, dass er besonders jetzt immer viel zu tun hatte. Wieso also fragte er nach, ob er noch viel arbeiten müsste? „Funktioniert er nicht?“ Ein amüsierter Unterton war in Mokubas Stimme. „Nein“, sagte er und Seto bekam den Verdacht nicht los, dass sein kleiner Bruder etwas damit zu tun hatte. „Jemand hat mein Passwort verändert und bis gestern Abend ging er auch noch.“ „Oh wie konnte das nur passieren?“, fragte er mit gespielt ernster Miene. „Mokuba, hast du…?“, fragte er drohend und in seinem Magen bereitete sich ein ungutes Gefühl aus, was definitiv nicht durch das Gebäck verursacht wurde. Allein, wenn er an seine Daten dachte, raste sein Herz. Was hatte Mokuba getan? Sein kleiner Bruder grinste ihn mit dem abgebrochenen Stück Schokolade im Mund an. „Mokuba, du weißt, dass ich zu tun habe! Wieso hast du das getan?“, fauchte er ungehalten, doch sein kleiner Bruder blieb ruhig. „Vor allen Dingen, wann?“ „Als du geschlafen hast“, sagte er schulterzuckend und kaute genüsslich auf dem Kakaoprodukt herum. „Wieso? Du weißt, ich muss die Präsentation fertig kriegen für das neue Kaiba Land Projekt!“ „Ich weiß.“ „Weshalb tust du es dann? Mein Laptop ist tabu!“ Seine Stimme klang fast verzweifelt. Mokuba nahm sich eine Marzipankartoffel aus einer Geschenktüte eines Fangirls und schob sie sich in den Mund. „Damit du dir mein Angebot anhörst.“ „Was für ein Angebot?“, fragte Seto mit drohender Stimme und sah Mokuba aus schmalen blauen Augen an. Doch er blieb weiterhin unbeeindruckt. „Das Thema Fotograf.“ „Das haben wir besprochen. Bis Neujahr muss es ohne gehen. Oder es klappt auch so.“ „Wem willst du das erzählen, Seto?“ „Dir grade?“ „Funktioniert nicht!“, sagte Mokuba triumphierend und wedelte tadelnd mit dem Finger vor seiner Nase herum. „So und nun zu meinem Angebot. Wir brauchen einen neuen Fotografen oder Fotografin. Wir kennen jemand sehr gutes und haben auch die Stelle dafür frei. Dann will ich außerdem gute Fotos von der Theateraufführung, aber alle anderen haben zu tun. Ergo, müssen wir jemanden suchen. Und da kommst du ins Spiel, großer Bruder. Du fragst Naomie, ob sie für uns arbeiten will…“ „Bestimmt nicht.“ „Lehn es doch nicht ab“, sagte der kleine Kaiba streng. „Denk doch erstmal drüber nach.“ „Wozu? Die Antwort ist und bleibt nein. Ende und nun sag mir, was du mit dem Laptop gemacht hast.“ „Nein.“ „Mokuba!“ „Gut, dann eben so: Du kriegst dein Passwort, wenn du in einem Kuschelcafé warst.“ „Was?“, entfuhr es ihm entsetzt. Das Wort klang viel zu zuckrig und nach einem Zahnarztbesuch. „Du igelst dich nur ein und ich glaube, es tut dir ganz gut, wenn du mal in den Arm genommen wirst! Dieses Café ist genau auf sowas spezialisiert. Die Mitarbeiterinnen nehmen dich in den Arm und streicheln dich.“ „Bin ich eine Katze?“ Allein die Vorstellung von fremden Leuten betatscht zu werden, bekam ihm gar nicht und er verzog innerlich das Gesicht. „Mokuba, ich brauche so etwas nicht!“, sagte er. „Gut, dann wünsche ich dir viel Spaß mit dem Knacken des neues Passwortes. Da kommst du nicht hinter!“ Seto seufzte. „Was willst du Mokuba?“ „Dass du deinen Arsch aus dem Stuhl erhebst, dich zu ihr hin bewegst und sie fragst! Du weißt, wir brauchen ihre Hilfe!“ „Mokuba, wir kommen auch ohne Juan aus!“ „Das sieht man…“, brummte der Kleine und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich kann sie nicht brauchen!“ „Wieso nicht? Nenn mir einen guten Grund, der kein Vorurteil ist!“ Sofort wollte er zu einer Antwort ansetzen, hielt jedoch inne. Das, was ihm auf der Zunge lag, waren alles Vorurteile, wie er merkte. Sein Bruder ließ ihn einige Sekunden Zeit und ging zu seiner Schultasche und zog eine Mappe daraus hervor. Theatralisch räusperte er sich, ehe er anfing vorzulesen „Naomie Kuzuki hat vor drei Jahren ihre Ausbildung bei uns begonnen und vor einem halben Jahr erfolgreich abgeschlossen. Seitdem ist sie ein erfolgreiches und festes Mitglied unseres Teams geworden. Ihre offenherzige und liebenswürdige Art machte es unseren Kunden einfach, entspannt in ein Shooting zu gehen und Spaß dabei zu empfinden. Körperliche Belastbarkeit bewies sie mehr als einmal im Laufe ihrer Arbeit. Aufgetragene Arbeiten erledigte sie in vollem Umfang und zu unserer vollsten Zufriedenheit. Obendrein bewies sie sich bei Absprachen und Terminen mit Kunden als äußerst zuverlässig und bewahrte selbst in stressigen Momenten Ruhe. Ein Wechsel in ein anderes Studio würde uns sehr bedauern“, las er vor und schlug die Mappe zu. Er legte sie auf den Tisch ab. „Ich habe ein paar Details ausgelassen, aber das sollte genügen um sie einzustellen, oder?“ „Woher ist das?“, fragte Seto missmutig und ahnte schon, wo sein Bruder auf dem Weihnachtsmarkt kurzzeitig hin verschwunden gewesen war. „Von ihrem Arbeitgeber.“ „Wozu?“ „Damit du ihre Qualifikationen kennst. Sie wäre besser als Juan und eine riesen Bereicherung für dich!“ „Wir brauchen keinen neuen Fotografen.“ „Warum willst du sie nicht fragen? Du bist so stur! Du weißt genau, dass wir jemand neuen bauchen!“ „Weil ich sie nicht hier haben will und wir brauchen keinen Anderen oder Neuen!“ „Oder suchst du nur Gründe, wieso du sie nicht einstellen willst?“ „Worauf willst du hinaus?“ Eine Augenbraue zog sich bei Seto nach oben. „Mir scheint du suchst Gründe, warum du sie nicht einstellen willst, kannst oder sonstiges.“ „Tu ich das?“ „Ja.“ Seto schwieg dazu und würdigte dem keine Antwort. Alles, was er wollte, war sein neues Passwort, damit er endlich arbeiten konnte. „Kann es vielleicht sein, dass du sie magst und deshalb nicht einstellen willst?“ „Mach dich nicht lächerlich, Mokuba.“ „Dann kannst du sie ja einstellen.“ „Nein“, sagte er entschieden. Mokuba seufzte genervt und resigniert auf. „Gut, wie du willst, großer Bruder. Entweder du bewegst deinen Arsch jetzt auf den Weihnachtsmarkt und fragst sie oder nennst mir den wahren Grund, warum es nicht geht. Oder du kriegst nicht das neue Passwort für deinen Laptop, was ich reingesetzt habe!“ „Das nennt man Erpressung“, sagte er trocken. So langsam ließ ihn sein kleiner Bruder verzweifeln. Wieso wollte er ihn dazu zwingen, diese Kuzuki einzustellen? Wütend ging der sonst so fröhliche Wirbelwind wieder zu seiner Schultasche und zog eine kleine eisblaue Schachtel mit weißer Schleife daraus hervor. Was sollte das denn jetzt werden? Wollte er ihn mit seinem Weihnachtsgeschenk erpressen? Das würde erst recht nicht funktionieren. „Du kannst unseren Praktikanten aufhören lassen die Adressen der Nikolausgeschenke zu notieren. Ihres ist nicht dabei.“ Mokuba stellte die Schachtel auf seinen Tisch, direkt in sein Blickfeld, so dass es nicht zu übersehen war. „Das soll ich dir von Naomie geben“, sagte Mokuba auf seinen fragenden Blick hin, „Denkst du, sie schenkt nur mir was und lässt dich aus?“ Damit verließ sein Bruder sein Büro mit schnellen Schritten und ließ ihn wieder alleine. So hatte er den Kleinen noch nie gesehen. Erst recht nicht mit so einem genervten Blick. Seto konnte jedoch nur auf das die blaue Schachtel starren, die seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Sein Bruder war vergessen. Er schluckte und versuchte das Geschenk zu ignorieren, während er noch immer kein Passwort für das Gerät auf seinem Tisch hatte. Mokuba schien auch viel zu genervt von der Diskussion zu sein, als dass er ihm jetzt helfen würde. Nein, ihn konnte er nicht fragen. Wahrscheinlich würde er sogar wirklich solange dicht machen bis er mit Kuzuki gesprochen hatte. Es musste also ohne ihn gehen. Doch das sagte sich so einfach, wenn da dieses Etwas auf seinem Tisch lag, was seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Neugierig, was in der kleinen Hülle drin war, war Seto ja schon, aber er mochte keine Geschenke von Fremden. Wenn er hinein sah, würde er sich auch etwas für sie einfallen lassen müssen. Kaiba schüttelte leicht den Kopf. Er würde standhaft bleiben! Seto zwang sich, sich auf das laute Radio mit dem Weihnachtsmusiksender zu konzentrieren oder auch auf die kleine Schneekugel. Auch versuchte er sich auf die Spiegelung in einer Tannenbaumkugeln zu konzentrieren, die an der Tannengirlande an seinem Schreibtisch hing. Seto versuchte sich auf alles Mögliche zu fokussieren, nur nicht auf das Geschenk. Seine Finger schwebten regungslos über der Tastatur, während sein Blick immer wieder zur Schachtel ging. Wenn er es ansah, flatterten seine Nerven wieder ein wenig und er konnte spüren, wie er nervös wurde. Alles in ihm krampfte sich zusammen. Kurz atmete er ein und aus und wandte sich wieder den wichtigeren Dingen zu, doch von Konzentration war keine Rede. Immer wieder musste er inne halten und sich wieder zur Ordnung rufen. Doch die Schachtel war wie ein Neonschild, das nach Aufmerksamkeit rief. Mokuba wusste genau, dass er jetzt nicht mehr arbeiten konnte. Es war eine absolute Gemeinheit von dem Kleinen. Er setzte ihm doch auch nicht sein Geschenk direkt vor die Nase! Seto lehnte sich zurück und griff zu der Schachtel. Leise seufzte über sich selbst und seine Disziplinlosigkeit. Aber es juckte ihn einfach in den Fingern zu erfahren, was die Fotografin für ihn vorbereitet hatte. Die Schachtel war ganz leicht in seinen Händen, als wäre darin nichts enthalten. Doch das glaubte er nicht. Bestimmt war darin etwas. Oder wollte ihn sein Bruder nur verschaukeln? Nur zögerlich und mit immer mehr flatternden Nerven zogen seine Finger an der weißen Stoffschleife. Ganz langsam und bedächtig, als könnte das allein die Schachtel zerstören, löste er das Band und ließ es auf den Tisch fallen. Vorsichtig hob er den Deckel an und spähte hinein. Ein großes Stück Schichtnougat aus dem teuren Schokoladengeschäft der Innenstadt fiel ihm ins Auge und langsam nahm er es heraus. Darunter lag ein Umschlag und in der Ecke war eine weitere kleine Schachtel. Zuerst nahm der den Umschlag heraus und öffnete ihn. Darin waren mehrere Fotografien. Alle von einer kleinen gefrorenen Blase, die das Licht reflektierte und in der sich die Sonne in einem goldenen, warmen Licht spiegelte. Man konnte auf den Fotos förmlich die Kälte spüren unter denen sie aufgenommen waren. „Wow…“, flüsterte er und besah sich die Fotos. Eine der Blasen war aufgebrochen und wirkte wie ein Ei aus dem gerade ein zierliches Geschöpf geschlüpft war. Auf dem nächsten Foto war die Blase nur halb gefroren und er konnte wunderbar den Frost sehen, der sich darauf bildete, während die oberste hälfte noch flüssig war. Es gab noch mehr Fotos und jedes einzelne wirkte einem Märchenland entsprungen. Jede Frostschicht war unterschiedlich und einmalig und ließ den Betrachter sich fühlen, als wäre er in einem Winterwunderland. Sie hatte es tatsächlich geschafft Seifenblasen einzufrieren und abzufotografieren. Er hielt nicht viel von Winter, auch nicht vom Schnee und hatte auch nicht viel für solche Dinge übrig. Aber diese Fotos machten selbst ihn sprachlos und ließen darin die Arbeit und Leidenschaft dahinter erkennen. Eigenschaften mit denen er etwas anfangen konnte. Wie gebannt sah er sich die Bilder an und konnte nur staunen über so viel Schönheit, die sie eingefangen hatte. Es fiel ihm schwer den Blick davon zu lösen und sich der kleinen Schachtel, die noch in der Größeren lag, zuzuwenden. Was sollte diese Fotografien noch toppen? Seto konnte sich kaum etwas vorstellen, was das übertreffen würde. Doch er hatte sich geirrt. Als Seto die zweite Schachtel öffnete, lag darin in Watte gepolstert ein kleiner Objektträger. Fragend zog er ihn heraus und hielt ihn gegen das Licht bis er erkennen konnte, was zwischen den Plättchen lag. Seine Pupillen verkleinerten sich ein Stück, als sich seine blauen Augen weiteten. Kaiba schluckte und spürte seinen Herzschlag in diesem Moment so stark, wie schon lange nicht mehr. Das letzte Mal war es im Duell gegen Yugi gewesen, aber auch da hatte es sich anders angefühlt. Gegen Yugi hatte er im ersten Duell Angst empfunden, als er Exodia gespielt hatte. Das hier war eine andere Art Herzklopfen. Es war aufregender, wärmer und machte ihn auf eine fremde Weise nervös. Adrenalin rauschte durch seine Adern, während sein Herz noch immer unruhig pochte. „Das sind Schneeflocken…“, murmelte Seto. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)