Winter Carols von Frigg ================================================================================ Kapitel 5: Türchen 5 - Weihnachtsbriefe --------------------------------------- Durch die Lücke des Rollos fiel warmes Sonnenlicht durch das Fenster und genau auf die Ecke seines Schreibtisches. Die warmen Strahlen erhitzten den Raum ein wenig, so dass die Heizung schon fast wieder überflüssig war und das Fenster erneut offen war. Ein frischer, kühler Wind wehte herein und die stickige abgestandene Luft konnte entweichen. Für einen Dezembertag war es recht mild und der frische Schnee von der Nacht und den letzten Tagen schmolzen langsam vor sich hin. Die Wintersonne war nicht zu unterschätzen in ihrer Wärme. Aus diesem Grund war auch das Rollo herunter gezogen, aber auch aus dem Grund, dass die Strahlen seinen Rücken erwärmten und genau auf den Bildschirm seines Laptops fiel, was das Arbeiten hinderlich machte. Dieses bisschen Licht, was sich in sein Büro geschmuggelt hatte, wirkte im Büro von Seto Kaiba so Fehl am Platz, wie die kleine Schneekugel, die Mokuba auf seinen Tisch gestellt hatte oder ebenso fehl am Platz wie die Tannengirlande mit den gelben Lichtern und bunten Kugeln, die sich wie ein Rahmen um die äußere Kante seines Tisches windete. Auch hier in seiner Firma hatte der kleine Wichtelelf in Form seines Bruders keinen Halt gefunden. Zusammen mit Roland, der Praktikantin und seiner Sekretärin, mit denen er sich verbündet hatte, hatten die vier die Firma unsicher gemacht. In jeder Etage gab es mindestens einen Mistelzweig und in der Eingangshalle stand ein bunt geschmückter Tannenbaum mit weißen und bunten Lichtern. Am Empfangsschalter hing eine lange Tannengirlande und auf der Theke stand ein Adventskranz mit vier Kerzen, die die Empfangsdame auch pünktlich nach den Sonntagen anzündete und den morgen über brennen ließ, solange es noch ein wenig Dunkel war. Über der Tür zu seinem Büro hing ein großer Kranz mit roter Schleife und auf jedem Tisch im Büro stand ein Weihnachtsstern. Selbst der Konferenzraum war nicht verschont geblieben und Mokuba hatte ihm einen weihnachtlichen Anstrich verpasst. Neben dem obligatorischen Weihnachtsstern lagen dort auch ein paar Christbaumkugeln in Grün, Rot und Silber. Alles ordentlich verteilt mit dem künstlichen Tannengrün. Dazu lagen hier und da ein paar getrocknete Orangenschalen, Zimtstangen und Anissterne, sowie Tannenzapfen. Allein aus diesem Grund scheute Seto im Moment Termine bei sich in der Firma. Er wollte nicht, dass seine Geschäftspartner dachten, er wäre ein Weihnachtsfreak. Auch, wenn es niedlich war, wie Mokuba sich Mühe gegeben hatte, so war es in seinen Augen zu viel des Guten. Die großen Panoramafenster ab der vierten Etage hatte sein Bruder zum Glück verschont. Lediglich die ersten hatten die volle Breitseite an Weihnachtsfeeling abbekommen. Seto wusste noch nicht wie er es angestellt hatte und wann, aber sein Bruder hatte es geschafft, dass der Eingangsbereich draußen und die ersten beiden Etagen mit Lichterketten geschmückt waren, so dass es wirkte, als wären dort große Eiszapfen zu sehen. Man hätte meinen können Mokuba dachte dabei direkt an ihn und wollte gleich zeigen, wem das Gebäude gehörte. Doch soweit dachte sein kleiner Bruder sicherlich nicht. Aber Seto beschwerte sich nicht über die Lichtereiszapfen. Denn das war nichts im Vergleich zu dem Modegeschäft gegenüber seiner Firma. Diese hatte es tatsächlich geschafft eine Monsterschleife in Blau an die Außenfassade zu befestigen, so dass die Bürofenster des Geschäftes kaum zu sehen waren, während die knalligen Lichter der Girlande, fast das Grün der Tannenzweige verdeckte. An Kitsch war das kaum zu übertreffen und sein Gebäude war daher noch relativ glimpflich davon gekommen. Aber vielleicht sollte er Mokuba mal in die Dekorationsabteilung des Geschäfts schicken, damit diese Riesenschleife von seinem Blickfeld verschwand und das Gebäude wenigstens eine halbwegs annehmbare Dekoration bekam. Der Duft von der frischen Orange mit Nelke stieg ihm in die Nase und ein Seufzer entfuhr dem jungen Firmenchef. Die blauen Augen lösten sich von dem Monitor und er griff zu seiner Kaffeetasse. Nachdenklich schwenkte er die kalt gewordene Flüssigkeit darin. Am Rand hatte sich ein eklig aussehender Rand gebildet. Müde rieb er sich über die Augen und stürzte den kalten Kaffee in einem Zug hinunter. Bitter lag der Geschmack des Kaffeesatzes auf seiner Zunge und ein Schwall purer Zucker lief mit in seinen Mund. Angewidert verzog Seto das Gesicht und stellte die Tasse zur Seite. Gedankenverloren griff er zu dem kleinen Teller, den ihm sein Bruder vor wenigen Stunden dort hingestellt hatte. Von jeder Nascherei, die er gestern mit Kuzuki gebacken hatte, lag etwas auf dem Teller. Er nahm sich ein Zimtplätzchen und biss davon ab. Der feine Hauch der Zimtnote stieg ihm in die Nase, aber es war nicht allzu süß und Seto hatte nicht das Gefühl das Gewürzglas wäre in den Teig gefallen, wie bei anderem Gebäcken zu dieser Jahreszeit. Der Teig war auch sehr locker und nicht zu trocken. Eines musste er zugeben, auch wenn es ihm missfallen hatte, dass sein Bruder mit ihr gebacken hatte, sie verstand etwas davon. Nachdenklich kaute er auf der Süßigkeit herum und tippte etwas in ein Diagramm ein, während seine Hand wieder zu dem Teller wanderte und ein Vanillekipferl griff, der ebenfalls schnell in seinem Mund verschwand. Eigentlich war er kein Freund von Keksen und dergleichen, doch der Teller stand verführerisch auf seinem Schreibtisch und es war schon wieder einige Stunden her, seitdem er was gegessen hatte. Sein Körper verlangte einfach nach ein wenig Nahrung und das war das Beste, was er grade hatte. Seto war Mokuba sogar ein wenig dankbar für den sonst verschmähten Teller. Er konnte sich nun mit Keksen stärken, während Seto sonst seine Arbeit hätte unterbrechen müssen, um irgendwohin zu gehen, um etwas zu essen. Immerhin war der Tag schon anstrengend genug gewesen und grade lief es sehr gut mit den Tabellen und Diagrammen, die sich auf seinem Laptop drängten. Der Bildschirm flimmerte als er erneut ein paar Daten und Zahlen eingab, während er wieder zu dem Nachteller griff und diesmal eine Kokosmakrone erwischte. Langsam biss er hinein, behielt das Gebäck kurz zwischen den Lippen und tippte den Satz ein, der ihm grade im Kopf herum schwirrte, ehe er endgültig davon ab biss. Es war scheinbar doch keine schlechte Idee seines Bruders gewesen ihm hier eine Nascherei hin zu stellen. Er löste seinen Blick wieder von dem Gerät und warf einen Blick auf die Verträge und die Notizen, die um ihn herum lagen. Nachdenklich schloss er die Augen und biss wieder von der Makrone ab, während sich der süße Geschmack von Kokos und ein Hauch Zitrone auf seinen Geschmacksnerven ausbreitete. Es schmeckte einfach anders. Wenn er das Gebäck seiner Haushälterin mit diesem verglich, war es viel leckerer und er griff zu einem weiteren süßen Stück, während sein Blick auf den Stapel Akten fiel, weiter ging zu der Postmappe und der Mappe mit den Dokumenten, die er unterschreiben musste. Seine Lust dazu hielt sich in Grenzen. Brummend wandte er sich von dem Stapel ab und mit einem Gähnen auf den Lippen, drehte er sich mit dem Stuhl zum Fenster. Seto sah durch die Lücke des Rollos und schloss für einen kurzen Augenblick entspannt die Augen. Eigentlich würde er sich bei Kuzuki und seinem Bruder bedanken müssen, aber in seinem inneren widerstrebte es ihm ihr ein „Danke“ entgegen zu bringen. Bei Mokuba wäre es noch machbar, aber bei einer Fremden? Niemals. Kaiba gähnte und lehnte sich etwas tiefer in den Bürostuhl zurück. Er würde sich am liebsten in sein Bett begeben und schlafen gehen, würde nicht so viel Arbeit auf ihn warten. Die ganze Nacht hatte er durch gearbeitet, aber der Berg wollte nicht weniger werden. Seto drehte sich wieder herum und seufzte erneut auf. Hoffentlich war die Fotografin aus seiner Villa endlich verschwunden, wenn er später nach Hause kam. Denn sie musste sich nicht länger als nötig bei ihm aufhalten und sein Gästezimmer blockieren. Mokuba hatte es gestern Abend geschafft sie bis halb elf aufzuhalten, so dass es dunkel war, kräftig schneite und auch sein Wagen sie nicht mehr sicher nach Hause bringen konnte. Kuzuki hatte zwar gesagt, sie könne auch nach Hause gehen, aber dieses Risiko ging er nicht ein. Nachher passierte ihr was und er durfte ihren Eltern erklären, wieso ihre geliebte Tochter mit gefesselten Füßen im See schwamm. Daher hatte er sein Einverständnis gegeben, dass sie die Nacht über bleiben durfte. Während er selbst in seinem Zimmer gearbeitet hatte und Mokuba sie ganz für sich beanspruchte mit dem Backen der vielen Plätzchen und anderen Naschereien. Sie hatte sogar mitgeholfen das Abendessen zu zubereiten und Mokuba hatte sie statt des Dienstmädchens nach oben geschickt, um ihn zu holen. Nur widerwillig hatte er sich von der Arbeit gelöst und war ins Esszimmer gegangen. Normalerweise schwiegen sie eher beim Essen, aber gestern war Mokuba mehr mit Reden beschäftigt gewesen als mit Essen. Seto hatte sich schon gefragt, ob das ein Kreuzverhör werden sollte, als Mokuba sie ganz dreist gefragt hatte, ob sie einen Freund hatte. Ihm war fast die Kartoffel im Hals stecken geblieben und der mahnende Blick an seinen Bruder wurde komplett ignoriert. Kuzuki schien es auch gar nicht gestört zu haben, dass sein Bruder sie so gelöchert hatte. So hatte Seto mehr als unfreiwillig mitbekommen, dass sie Singel war seit einigen Monaten. Aber damit war es gestern Abend nicht genug gewesen. Sein Bruder hatte ihr offen und breit erzählt, dass er auch nicht vergeben war und das schon seit Jahren. Seto hatte seitdem ihren Blick peinlich verlegen gemieden und schnell das Essen beendet gehabt, nur um wieder nach oben in sein Arbeitszimmer flüchten zu können. So viel zum großen und gefürchteten Geschäftsmann. Aber dafür hatte er sie noch alleine erwischen können, als Mokuba in die Wanne gemusst hatte. Kuzuki hatte ihm einen Tee und ein paar Plätzchen gebracht als süße Stärkung. Während sie also in seinem Arbeitszimmer gestanden hatte, hatte er sie endlich fragen können, ob sie das Foto vom Weihnachtsmarkt noch hatte. Fast hätte er es nach dem Gespräch beim Abendessen vergessen gehabt, aber als sie sein Zimmer wieder verlassen wollte, fiel es ihm wieder schlagartig ein. Frech hatte sie ihn angegrinst und ihm die schwammige Antwort gegeben, sie müsse erst nachsehen, ob es sich noch auf ihrer Speicherkarte oder Firmencomputer befand und sie würde sich bei ihm melden, wenn sie es wüsste. Wieder seufzte er und nahm die Postmappe zur Hand, um sich abzulenken. Kaiba hasste solche Antworten und mochte es gar nicht, wenn man ihn hinhielt. Immerhin hatte sie ihre Kamera dabei gehabt und hätte dort nachsehen können. Doch ihre Reaktion war, dass sie angeblich eine andere Karte an dem Tag benutzt hätte. So blieb ihm nichts anders übrig, als darauf zu hoffen, dass sie den heutigen Tag nutzte und direkt seinen Auftrag erfüllte. Sie hatte wirklich keine Angst vor ihm, genauso wie dieser blonde Straßenköter, doch bei ihr schätzte er das irgendwie, während ihm Wheeler einfach nur auf die Nerven ging. Seto schlug die Mappe auf und besah sich das erste Dokument, zog es heraus und las es sich durch. Er kritzelte eine Notiz für seine Sekretärin neben dem Poststempel. Dann blätterte er weiter. Die erste Weihnachtskarte eines Geschäftspartners. Kaiba atmete kurz durch und heftete einen kleinen Zettel an die Karte, dass seine Sekretärin alle weiteren, die noch kommen würden, auf den kleinen Schrank räumen sollte, nachdem er sie gelesen hatte. Falls einer der Geschäftsleute doch mal in sein Büro käme, sollte er sehen, dass er sie nicht einfach in die Ablage P schickte, was er vorzugsweise getan hätte. Zwischen den Seiten der Mappe war ein wenig Werbung, die er sofort in den Schredder schickte. Nur zwei Briefe behielt er, da er auch grade dabei war die Akte zu bearbeiten. Dann wandte sich Seto der Dokumentenmappe zu. Ein paar Verträge lagen darin. Doch als allererstes stach ihm die Kündigung von Juan entgegen. Nur ungern dachte er daran, dass er ja noch Ersatz für ihn finden müsste und wieder gingen seine Gedanken zu Kuzuki. Nein, sie würde er nicht fragen! Sie hatte immerhin einen Job und engagieren würde er sie auch nicht für den Übergang bis ins neue Jahr. Aber wo sonst sollte er auf die schnelle noch einen guten Fotografen bekommen? Er seufzte und fuhr sich durch die Haare. Was würde er jetzt nicht alles dafür geben, einfach Feierabend zu machen und schlafen zu können. Die angefangene Präsentation an der er in der vergangenen Nacht gearbeitet hatte, musste auch noch fertig werden. Ein weiterer Seufzer verließ ihn. Manchmal wünschte er sich, er wäre ein ganz normaler Schüler und hätte nur die Hausaufgaben zu erledigen. Anschließend könnte er sich entspannen. Aber leider wusste der Jungunternehmer nur zu gut, dass diese Zeit mit der Adoption von Gozaburo Kaiba geendet hatte. Aber das Seufzen und Träumen half ihm nicht weiter seine Arbeit zu erledigen. Seto zwang seine Gedanken wieder zu der Mappe und setzte schwungvoll eine Unterschrift auf die Kündigung von Juan. Dann blätterte er weiter und bearbeitete die Verträge, die ihm darin vorlagen, sowie weitere Urlaubsanträge der verschiedenen Mitarbeiter in den Abteilungen. Urlaub war etwas, was Seto schon länger nicht mehr gehabt hatte und wofür er auch keine Zeit hatte. Es gab viel zu viel zu tun. Dieses Jahr würde er Mokuba wieder vertrösten müssen mit einer Winterreise in den Ferien. Als er mit dieser Mappe ebenfalls fertig war, wandte er sich wieder dem Laptop zu und hämmerte auf die Tasten ein, gab weiteren Zahlen und Kalkulationen ein. Monoton erklang das Geräusch der Tasten in dem Zimmer, was ihm wieder ein Gähnen entlockte. Selbst der Präsentationstermin für ein anderes Projekt an diesem frühen Morgen, war einschläfernd gewesen und er schallte sich selbst dafür, dass er so ermüdend gewesen war. Seto war zwar müde, aber nicht dumm und natürlich war ihm aufgefallen, wie wenig ihm die Leute um halb acht in der früh zugehört hatten, was ihn natürlich die Haut gerettet hatte. Ihnen war nicht aufgefallen, wie unmotiviert er von statten gegangen war. Zum Glück war der Unfall der kleinen Tochter seiner Geschäftspartner seine Rettung gewesen, sonst wäre er bei seiner eigenen Präsentation eingeschlafen. So ungern man jemanden einen Unfall wünschte, in dem Fall, kam ihm das gerade recht. Aber auch die anderen Geschäftspartner waren froh gewesen aus dem Raum zu kommen und den Termin auf einen anderen Tag zu verschieben. Seto wurde nur jäh unterbrochen, als sein Telefon klingelte. Das Geräusch klang unglaublich laut in der Stille des Büros, so dass er sogar kurz zusammen zuckte. Ohne den Blick vom Monitor zu wenden, griff er zum Hörer. „Ja?“, fragte er ungehalten seine Sekretärin. Hatte er ihr nicht angewiesen, dass er nicht gestört werden wollte? Wieso ignorierte sie seine Anweisung. Seto öffnete grade den Mund, um sie zurecht zu weisen, als sie zu sprechen anfing. „Herr Kaiba, ich habe Frau Kuzuki in der Leitung. Sie möchte mit Ihnen sprechen. Sie sagt, Sie erwarten Ihren Anruf.“ Sie wartete auf seine Reaktion. „Stellen Sie durch“, sagte er nach kurzem zögern. Kurz war ein Knacken in der Leitung zu hören, als sie auflegte und Kuzuki aus der Warteschleife geholt wurde. „Kaiba Corporation, Kaiba“, sagte er monoton und unterschrieb schnell einen Vertrag. „Hallo, Kuzuki hier vom Studio Dreamland“, sagte sie und klang dabei geschäftlich. Nichts war mehr von der Fröhlichkeit von gestern Nachmittag zu hören. Nichts ließ davon hören, dass sie neben seinem Zimmer geschlafen hatte oder dass sein Bruder sie mit privaten Fragen gelöchert hatte. Auch war nichts mehr davon zu hören, dass sie gestern in seiner Küche gebacken hatte. „Was gibt es?“ „Sie baten mich doch gestern die Fotos zu suchen. Ich habe sie vom Markt gefunden. Welche Größe brauchen Sie denn und wie viele Ausfertigungen?“ Kurz überlegte er. „Standartgröße und einmal.“ „Ok also fünfzehn mal zehn“, antworte sie und er hörte im Hintergrund die Tasten und die Maus, „Kann ich nachher vorbei kommen und Ihnen die Fotos bringen? Rechnung liegt dann anbei.“ „Wann nachher? Ich habe noch einiges zu erledigen und wenig Zeit.“ „Etwa in einer Stunde?“ Seto sah auf die Uhr. „Das geht in Ordnung. Aber später in keinem Fall!“ „Gut. Das schaffe ich. Bis später.“ Ohne ihr eine Antwort zu geben, legte er auf und wandte sich wieder dem Laptop zu. Erleichterung überkam ihn. Sie hatte die Fotos noch nicht gelöscht gehabt und das Geschenk für Mokuba konnte rechtzeitig fertig werden. Kurzerhand griff er zum Telefon und gab seiner Sekretärin Bescheid, dass er Kuzuki erwarten würde und sie die Fotografin zu ihm durchschicken konnte. Nachdem das geklärt war, druckte er sich schnell ein Dokument aus und mit einer lockeren Bewegung seiner Hand führte er den Kugelschreiber über das Papier. Schwungvoll setzte er seine Unterschrift darunter und legte es in eine der Mappen, damit seine Angestellte den Brief mit der Post hinaus schicken konnte. Aber seine Ruhe und Konzentration war ein wenig gestört. Denn nun war die Anspannung wieder da und sein inneres bereitete sich darauf vor, dass er geschäftlichen Besuch erhalten würde. Sein Gewissen in Form einer Fistelstimme erinnerte ihn jedoch daran, was er gestern in seiner Küche gesehen hatte. Mokuba hatte sich wohl mit ihr gefühlt und auch sie schien sich wohl gefühlt zu haben mit dem kleinen Wirbelwind. Es war ein kleines idyllisches Bild gewesen, was er nun nicht mehr aus dem Kopf bekam und ihm deutlich zeigte, was ihm entgangen war und was er hätte haben können, würde er seine Zeit nicht mit so viel Arbeit zustopfen. Seto ignorierte die Fistelstimme und konzentrierte sich wieder auf die Unterlagen vor ihm, auch wenn es schwer war. Mit einem flüchtigen Blick sah er zur Uhr auf dem Monitor und legte den Stift zur Seite. Kam es ihm nur so vor oder verging die Zeit an diesem Tag gar nicht? Zumindest hatte sich der Zeiger keinen Millimeter bewegt. Seto griff zur Tasse und wollte gerade einen Schluck trinken, als er merkte, dass er den Kaffee bereits ausgetrunken hatte. Brummend stellte er die Tasse zurück. Es wäre ein leichtes gewesen seine Sekretärin zu bitten ihm einen Neuen zu bringen, aber er hasste es, wenn ständig an der Tür geklopft wurde. Außerdem hatte er schon genug von dem koffeinhaltigen Getränk für den Tag getrunken, was den Bedarf eines ganzen Tages abdeckte. Prustend schob er sich eine lästige Strähne aus den Augen. War es wärmer geworden oder kam es ihm nur so vor? Dabei war das Fenster offen und das Rollo unten. Die Sonne war auch weiter gewandert und schien nun direkt auf die kleine Schneekugel. Im Zimmer war kurz das Rascheln von Stoff zu hören, als der Firmenchef der Kaiba Corporation sein Jackett auszog und über die Rückenlehne hing. Er knöpfte sein Hemd ein Stück auf und lockerte sogar seine Krawatte ein Stück. Dann widmete er sich wieder dem Textdokument. Ein lautes Klopfen unterbrach ihn wieder und mit einem Schlag schien jegliche Müdigkeit von ihm abzufallen und verschwunden zu sein. Kerzengrade saß er in seinem Bürostuhl. Sein Blick wurde mit einem schlag wieder kühler und kälter. „Herein!“, sagte er streng, um sich den nötigen Respekt zu verschaffen. Die Tür ging auf und seine Sekretärin kam herein. Heute hatte er sie noch gar nicht gesehen und Seto musste sich zurück halten, um sie nicht anzustarren. Sie trug einen roten Pullover und dazu hing ein Schneemann als Brosche daran. Doch das war nichts gegen den Schmuck, den sie trug. Sein erster Gedanke war, dass sie dem armen Weihnachtsbaum im Eingangsbereich seine Dekoration gestohlen hatte. Der zweite Gedanke war die Anbetung einer Gottheit an die er eh nicht glaubte. In ihren Ohren hing jeweils eine Baumkugel, klein und in einem Goldton gehalten. Es wirkte so unpassend, dass er sich nur mit Mühe einen zynischen Kommentar verkniff. „Herr Kaiba, hier sind die ersten Weihnachtsbriefe. Die Restlichen folgen noch.“, sagte sie und die Kugeln in ihren schwangen hin und her. Seto hatte Mühe sie nicht anzustarren, stattdessen sah er auf die volle Unterschriftenmappe, die sie ihm reichte. Schon vor Wochen hatten sie eine Liste mit allen Kundendaten zusammengestellt, die einen kleinen Weihnachtsbrief erhalten würden. In diesem Brief befand sich ein kleines Gedicht und wie jedes Jahr hatte sich Seto ein Waisenhaus ausgesucht, dass dringend Spenden benötigte und bat daher seine Geschäftspartner, wenn sie wollten, eine kleines bisschen Geld in ein Waisenhaus zu investieren. Mit gutem Beispiel ging er voran und hatte bereits eine großzügige Summe gespendet. Immerhin wusste er zu gut, dass es vielen dieser Häuser am nötigsten mangelte. Die Betten waren durchgelegen, neue Bezüge fehlten oder neues Geschirr. Dann wollten die Kinder auch Geschenke erhalten und dafür brauchte das Haus auch Geld. Von Spielzeugen ganz zu schweigen, ebenso die Materialen für Bastelarbeiten, Kopien, Veranstaltungen wie Kuchenbasare und Kleider. Die Kinder wuchsen oft wie Unkraut und brauchten schnell neue Kleidungsstücke. Nur ungern erinnerte er sich daran, dass er die abgetragenen Sachen eines der älteren Kinder hatte anziehen müssen, als dieses heraus gewachsen war. Für ihn waren die Sachen zu groß gewesen, aber seine alten Kleider waren schon zu klein geworden. Daher hatte er es sich angewöhnt jedes Jahr eine kleine Summe zu spenden. Kurz überflog er das Gedicht, was Mokuba ausgesucht hatte. „Dann habe ich hier die Rückrufliste vom Telefon für Sie“, fuhr seine Sekretärin fort. Ein Blatt legte sich vor ihm auf den Tisch. Flüchtig überflog er die Namen und das Anliegen der Anrufer. „Kann ich die beiden mitnehmen?“, fragte sie und deutete auf die beiden Mappen, die er bearbeitet hatte. Wortlos nickte er. „Bringen Sie mir noch einen Kaffee“, sagte er und reichte ihr die leere Tasse. „Natürlich.“ „Noch etwas?“, fragte er und musterte sie. Die Ohrringe schrien ihn förmlich an. „Ja und zwar wollten Sie mit mir die Details für die Weihnachtsfeier dieses Jahr besprechen.“ Seto schluckte. Es war keine Angelegenheit, die er mochte und die er liebend gerne ausfallen lassen wollte. Aber leider wusste er, dass seine Angestellten sich auf eine kleine Feierlichkeit freuen würden. Obendrein würde Mokuba darauf bestehen, dass er es durch zog. Also wollte er dem kleinen Nervenzwerg zuvor kommen und damit glänzen, dass er sich bereits darum gekümmert hatte. Er seufzte kurz und lehnte sich in den Stuhl zurück. Aber zum Glück hatte er seine Sekretärin, die diese undankbare Aufgabe übernahm. Die Frau zückte schon einen kleinen Block und Stift. „Was habe ich zu tun?“, fragte sie und ließ sich nicht anmerken, ob sie sich auf die Aufgabe freute oder nicht. „Buchen Sie ein Lokal“, sagte er nachdenklich und ließ kurz die Finger knacken, „Am besten ein großes Restaurant. Sagen Sie, dass wir viele Getränke brauchen, wie Wein, Bier, Wasser und Schorle.“ „Ehepartner? Freundinnen und Lebenspartner?“, fragte sie und sah kurz vom Block auf. „Ja, aber keine Kinder!“, sagte er nachdrücklich. „Alles klar. Ich kümmere mich darum und sage Ihnen Bescheid.“ Seto nickte, wortkarg wie immer und sie ging hinaus. Von ihrem Schreibtisch aus hörte er das Radio und wie es „All I want for christmas“ spielte. Kurz verdrehte er die Augen und sah wieder auf den Monitor. Aus dem Augenwinkel sah er, wie gerade wieder die Tür zugemacht wurde, jedoch einen Spalt offen blieb, als das Telefon seiner Sekretärin klingelte. Schnell lief sie zum Tisch und nahm den Hörer ab. Er hörte ihre Stimme, doch kurz danach legte sie wieder auf, weil sie viel zu langsam gewesen war. Leise seufzte er, als sie zurück kam und seine Tür endgültig schloss. Seto warf einen letzten Blick zur Tür und las sich den letzten Abschnitt noch einmal durch an dem er gearbeitet hatte, ehe er unterbrochen worden war. Seine Hände hielten über der Tastatur inne, grade wollte er weiter tippen, als sein Telefon laut klingelte. Knurrend warf er dem Elektrogerät einen finsteren Blick zu, als könnte es etwas für seine Funktionen, die jemand nutzte. Ungehalten nahm er den Hörer ab. „Was gibt es, Roland?“, fragte er mit kalter Stimme und tippte ein paar Zahlen in die Tabelle ein. „Herr Kaiba, ich weiß, Sie möchten nicht gestört werden, aber hier ist eine junge Dame, die behauptet einen Termin zu haben.“ „Und?“ „Nun, ich habe im Computer keine Bestätigung dazu gefunden, dass ihre Aussage stimmt und sie lässt sich auch nicht abwimmeln.“ „Ich erwarte erst…“, kurz sah er zur Uhr, „…in einer halben Stunde Besuch.“ Seto klemmte sich den Hörer zwischen Schulter und Ohr und tippte den Bericht weiter. „Sie sagt, sie ist aber früher gekommen. Ihr Name ist Kuzuki und…“ „Herr Kaiba, wollen Sie mich auf den Arm nehmen?“, fragte sie plötzlich in den Hörer und Setos Augen weiteten sich überrascht, als ihre Stimme erklang. Sie schien Roland den Hörer entrissen zu haben. Süffisant grinste er und tippte ungeniert weiter. „Wieso sollte ich Sie auf den Arm nehmen?“, fragte er trocken, „Sie sind viel zu schwer dafür.“ Er hörte sie leise knurren und wie sie tief durchatmete. „Hören Sie, ich stehe hier schon seit fünfzehn Minuten und versuche nach oben zu kommen, aber Ihre Mitarbeiter lassen mich einfach nicht durch.“ „Scheinbar machen Sie einen nicht grade sicheren Eindruck“, sagte er mit einem amüsierten Grinsen. „Wollen Sie damit sagen, dass ich aussehe, als würde ich Ihnen an den Hals springe wie ein verrückter Teenie oder ein Serienkiller?“ Ihre Stimme nahm einen scharfen Tonfall an und es klang, als würde sie sogar wirklich darüber nachdenken, ihm gleich durch den Hörer an den Hals zu gehen und ihn zu erwürgen. „Wollen Sie darauf eine ernsthafte Antwort?“, fragte er trocken zurück. „Nein, lieber nicht“, sagte sie und seufzte, „Würden Sie dennoch bitte Ihrem Mitarbeiter sagen, dass es vollkommen in Ordnung ist, wenn ich zu Ihnen gehe?“ „Ja, wenn ich dazu meinen Mitarbeiter sprechen dürfte?“ Wieder hörte er sie seufzen. „Herr Kaiba?“ „Roland, schicken Sie die junge Frau zu mir rauf“, sagte er sachlich und sein Grinsen war von den Lippen verschwunden. „Aber im Computer…“ „Schon gut“, würgte er ihn ab und öffnete den elektronischen Terminkalender. Da hatte er doch glatt vergessen einzutragen, dass sie vorbei kommen würde. Kein Wunder, wenn die Empfangsdame unten sie nicht durch gelassen hatte und Roland gerufen hatte, als sie sich nicht abwimmeln ließ. Schnell tippte er den Termin ein und gab den Bestätigungscode ein, dass es von seiner Seite abgesegnet war. Grob gab er auch eine Uhrzeit ein, wann sie wieder weg sein würde. Länger als zehn Minuten sollte es eigentlich nicht dauern. Immerhin wollte sie ja nur ein paar Bilder abliefern. Hoffentlich war auf der Rechnung kein Wucherpreis. Nicht, dass er es sich nicht leisten könnte ein wenig mehr für ein Foto auszugeben, aber über den Tisch ziehen lassen, würde er sich nicht. Angespannt lauschte er und rief wieder die Präsentation auf. Doch um seine Konzentration war es geschehen. Er wusste, dass es jeden Moment klopfen würde. Seine Sekretärin würde sie ankündigen und dann würde sie in seinem Büro sein. Bewusst ruhig atmete er ein und hielt für einen Moment den Atem an, um sich auf das Kommende vorzubereiten. Denn aus irgendeinem Grund flatterten seine Nerven ein wenig. Sein Herz schlug kräftiger und pumpte das Blut schnell durch seine Venen. Warum war er nur so nervös? Das war er sonst auch nicht. Es war ein ganz normaler Geschäftstermin. Langsam stieß er die angehaltene Luft aus und sah zur Tür, als es klopfte. Kurz schloss er die Augen und herein kam die Praktikantin, gefolgt von seiner Sekretärin und einem Angestellten. Was war denn nun los? Stand an seiner Tür „Tag der offenen Tür“? War die Anweisung an die Vorzimmerdame nicht klar und deutlich gewesen? Wütend und vorwurfsvoll sah er zu der Frau mit dem Christbaumschmuck im Ohr an, die den Blick jedoch fröhlich strahlend, wie ein die Sonne am Himmel persönlich, ignorierte. Seine blauen Augen fielen vorwurfsvoll auf die Praktikantin, die gerade ihren zweiten Tag bei ihm in der Firma absolvierte. Unter dem strengen Blickes des obersten Chefs zuckte die junge Schülerin zusammen. Ihre Hand zitterte, als sie die Tasse mit Kaffee auf seinen Tisch stellte und Seto schob die Papiere außer Reichweite, ehe sie die heiße Flüssigkeit über die Papiere schüttete. „Ihr Kaffee…“, sagte sie mit piepsiger Stimme und sah ihn scheu an. Als sie dem kalten Blick begegnete, sah sie wieder zu Boden und machte sich schnell auf den Weg nach draußen. Dann warf er dem Angestellten seinen genervten Blick zu. Wieso hatte seine Sekretärin ihn nicht aufgehalten? Sie wusste doch, dass er Besuch erwartete! Brummend wandte er sich dem Angestellten zu und lehnte sich etwas in seinem Stuhl zurück. „Was gibt es?“, fragte er kalt, als der Mann vor seinem Tisch stehen blieb. „Herr Kaiba, mein Diensthandy funktioniert nicht!“ „Wieso kommen Sie dann zu mir und gehen nicht zu Verwaltung?“, fragte er sachlich und durchbohrte den Mann mit seinem kalten Blick. „Da war ich, aber dort konnte man mir nur sagen, dass der Vertrag gekündigt wurde und ich weiß von nichts! Aber keiner konnte mir sagen, ob ich ein Neues bekomme oder der Vertrag neu gemacht wird…“ „Und Sie wollen jetzt was von mir…?“, fragte Seto und hob skeptisch eine Augenbraue. Erwartete dieser Mann grade wirklich von ihm, dass er die Angelegenheit regelte? Kaiba wusste grade nicht mal genau seinen Namen oder in welcher Abteilung er genau arbeitete. Immerhin gab es in diesem Haus mehr als dreihundert Leute. Es wäre absoluter Irrsinn, wenn er alle mit Namen kannte. „Ich…“ Der Mann hielt inne, schien genau zu überlegen, was er sagen sollte und wie weit er seinem Chef gegenüber gehen konnte. „Was soll ich jetzt machen?“ „Abwarten bis die Verwaltung das geklärt hat. Es wird ein Missverständnis vorliegen und das ist kein Grund mich zu belästigen!“, fuhr er ihn an. „Ja, aber…“ „Ich habe wichtigeres zu tun als mich mit Verwaltungsangelegenheiten herum zu schlagen. Andernfalls wenden Sie sich an meine Sekretärin…“, sagte er und nickte zu der Frau, die hinter ihm stand und der er nur einen kurzen Schulterblick zuwarf, „…oder Sie wenden sich an Roland, wenn das Problem sich nicht behoben haben sollte. Jetzt gehen Sie. Ich erwarte jemanden.“ Der Mann hielt einen Moment inne, knirschte mit den Zähnen und verließ ebenfalls das Büro. Hatte er gedacht, er würde jetzt ein neues Handy zücken? Innerlich schüttelte er den Kopf und sah zu der Sekretärin. Fragend hob er eine Augenbraue. Sie stand noch immer an der Tür und er griff schnell zur Kaffeetasse, ehe das Getränk darin kalt wurde. „Frau Kuzuki ist hier und wartet“, sagte sie, nachdem sie merkte, dass er nichts sagte mit einem strahlenden Lächeln. Hatte sie den Weihnachtsmann gesehen oder wieso grinste sie so? „Schicken Sie sie rein“, antwortete er und versuchte ruhig zu bleiben. Denn augenblicklich bekam er wieder ein leichtes Flattern seiner Nerven. Seine Vorzimmerdame nickte und wandte sich jemanden außerhalb seines Büros zu. „Sie können rein“, sagte sie fröhlich und deutete in sein Büro. „Danke“, hörte er Kuzuki sagen und nur wenige Sekunden später trat sie ein. Sie sah seine Sekretärin an, wartete bis die Tür zu war und grinste ihn bis über beide Ohren an. „Hat sie dem armen Baum die Kugeln geklaut oder was baumelt da an ihren Ohren?“, fragte sie amüsiert und deutete auf die Tür hinter der die Frau wieder an ihrem Schreibtisch saß. „Ich weiß es nicht, aber vielleicht sollte ich mal darauf achten, wenn ich nach unten gehe“, erwiderte er und musste ebenfalls amüsiert grinsen. „Hi erstmal!“, sagte sie und knöpfte sich den Wintermantel weiter auf. Ihr violetter Schal hing bereits locker um ihren Hals. Ihre Wangen waren gerötet und ihr Make up sah aus, als wäre sie aus einer Kosmetikbehandlung gekommen. Auch die Frisur unter dem Strickcapie wirkte mit den kleinen eingedrehten Locken perfekt. Es wirkte nicht aufdringlich, aber war dennoch ein Unterschied zu ihren letzten Treffen. „Habe ich was im Gesicht?“, fragte sie unsicher und zog das Capie aus. Ihre Haare wirkten zerzaust und standen ihr quer über den Kopf. Sie stopfte das Kleidungsstück in ihre Tasche, die von ihrer Schulter hing. Vorsichtig tastete sie mit den Fingern ihr Gesicht ab und rieb sich über den Mundwinkel, als fürchtete sie dort einen dicken Krümel zu haben oder Schokoreste. Er schüttelte den Kopf. „Das Make up steht Ihnen“, sagte er leise zur Erklärung und schüttelte den Kopf, um wieder einen klaren Gedanken zu bekommen. Seto Kaiba verteilte keine Komplimente! Doch dafür war es nun zu spät. Seine Zunge war schneller als sein Verstand gewesen. „Oh“, entfuhr es ihr verlegen, „Danke. Unsere Visagistin hat mich erwischt. Wir haben ein Gruppenweihnachtsfoto gemacht als Karte für unsere Kunden und Partner mit denen wir arbeiten.“ Die Fotografin fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und versuchte die Unordnung von der Mütze wieder zu richten. Sie pustete sich noch eine letzte Strähne aus dem Gesicht und schenkte ihm dann endlich ihre volle Aufmerksamkeit. „So, ich hab die Fotos gefunden“, sagte sie und griff in ihre Tasche und schob ihm die kleine Verpackung zu. „So das wäre einmal das.“ Seto nahm den Umschlag entgegen und blickte hinein. Langsam zog er die Rechnung heraus. „Einmal das?“, fragte er über den Rand des Blattes hinweg und musterte sie kurz mit einem kühlen Blick. Gab es hierbei einen Haken? Wenn ja, dann hatte sie sich den falschen Firmenchef ausgesucht. Seine blauen Augen sahen wieder auf das Stück Papier in seinen Händen und überprüften, ob alles seine Richtigkeit hatte. Das Firmenlogo war zu sehen, die Auflistung der Dienstleitung, Datum war auch aktuell, ihre verschnörkelte Unterschrift und der Firmenstempel waren auch da, sowie die Kontodaten. Der Betrag der Rechnung war wirklich in Ordnung und innerlich atmete er auf, dass sie ihn nicht abzocken wollte. Kaiba nahm einen Stift und unterschrieb die Rechnung, damit seine Buchhaltung den Betrag bald überweisen konnte. Dem Foto warf er nur einen knappen Blick zu. Kein Druckfehler, keine Knicke. Perfekt. Eine kleine Visitenkarte lag natürlich auch dabei. Seto sah sie wieder an und Kuzuki hatte einen zweiten Umschlag aus der Tasche gezogen. Er war genauso dünn wie der Erste. „Was ist das?“, fragte er skeptisch. Seine Stimme war sofort distanziert und jedem anderen wäre ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen. Doch sie zeigte keine Regung, dass es der Fall wäre. „Würden Sie mir einen Gefallen tun?“, fragte sie, statt ihm eine Antwort zu geben. Es war faszinierend, wie wenig Angst sie vor ihm hatte. Skeptisch sah er sie an. Was wollte sie von ihm? „Was denn?“ „Ich habe hier ein Foto von Ihrem Hund von unserer ersten Begegnung…“ „Ich sagte doch, dass ich sie nicht will!“, fuhr er sie an und rechnete schon damit, dass sie auch dafür Geld haben wollte. „Ich weiß…“, sagte sie und hob beruhigend die Hände, damit er ihr weiter zuhörte. „Was dann? Ich werde dafür nicht bezahlen!“ „Das habe ich auch nicht gesagt, oder?“, konterte sie und gab ihm den Umschlag, „Ich wollte Sie bitten das Mokuba zu schenken. Immerhin ist morgen Nikolaus und ich dachte, er würde sich wenigstens über ein Foto vom Familienhund freuen. Darin ist auch eine kleine Schokolade für ihn.“ Seto sah auf den Umschlag und bei ihren Worten weiteten sich kurz seine Augen. Nikolaus war morgen? Innerlich stieß er eine Reihe von wüsten Flüchen aus, gefolgt von blasphemischen Beschimpfungen, die ihm mit Sicherheit Kohle und Rute im Stiefel beschert hätten. Er hatte tatsächlich vergessen ein Nikolausgeschenk zu besorgen! Dabei bestand Mokuba noch immer darauf! „Falls Sie die anderen Fotos auch haben wollen, ich habe sie noch nicht gelöscht.“ Sie kratzte sich an der Nasenspitze. Seto nickte. „Wegen dem Geld…“, sagte sie langsam. Da war also der Punkt. Sie wollte bezahlt werden für Mokubas Geschenk. Er hatte es gewusst. So großzügig war niemand und sie schien genauso wie alle anderen mehr an das Geschäft zu denken. „Sie brauchen es nicht bezahlen.“ Eine Augenbraue zog sich bei ihm nach oben. Hatte er grade richtig gehört? Waren seine Ohren mit Kekskrümel vollgestopft? „Darin ist Mokubas Geschenk und es ist von mir“, erklärte sie langsam, "Daher bezahle ich es. Nicht Sie." Nahm sie Drogen oder wieso wollte sie seinem Bruder etwas schenken? Seto verstand nicht. Sie kannte seinen kleinen Bruder nicht einmal und machte ihm aber ein Geschenk? Das war etwas, was nicht wirklich in seinen Kopf wollte. „Das war es aber von mir", seufzte sie kurz, „Mehr wollte ich nicht und es wäre echt super lieb, wenn Sie Ihrem Bruder mein Geschenk geben. Es hat mir nämlich gestern totalen Spaß gemacht mit ihm zu backen.“ „Wirklich?“, fragte Seto überrascht und fand seine Stimme wieder. „Ja, wirklich. Mein Chef ist immer noch sehr begeistert über den Betrag, den Ihr Bruder gezahlt hat, damit ich den Nachmittag mit ihm verbringen kann und kein Verlust oder Arbeitsausfall entsteht…“ Sie seufzte und schüttelte den Kopf. „Aber darum geht’s mir nicht. Es hat wirklich Spaß gemacht. Zu Hause alleine zu backen ist doch was anderes als mit so einem kleinen Wirbelwind.“ „Ich dachte, mein Bruder hätte Sie vielleicht mit seinen vielen Fragen genervt.“ „Sie meinen das Kreuzverhör beim Abendessen?“, lachte sie und grinste. „Zum Beispiel.“ „Ach…das macht mir nichts. Ich hatte nur das Gefühl, Ihr Bruder legte es drauf an zu erzählen, dass Sie auch Singel sind und als würde er hoffen, dass sich da was ergibt…“ Sie winkte den Gedanken ab. „Nicht nur Sie. Tut mir leid, wenn er aufdringlich war“, sagte Seto und schob die Umschläge in seinen Aktenkoffer. „Ach schon ok. Er ist ein Kind“, sagte sie und zuckte mit den Schultern. „Ich durfte ja bei Ihnen bei dem Wetter gestern Abend übernachten. Das macht das schon wieder wett.“ Er nickte. „Danke noch mal dafür.“ Wieder ein nicken. „Ich werde dann jetzt gehen. Ich bin noch verabredet und morgen wird recht viel auf dem Markt los sein…“ Sie seufzte theatralisch. „Naja, schönen Tag noch und schönen Feierabend.“ Seto schnalzte nur mit der Zunge. Feierabend? Mit Sicherheit nicht. Wahrscheinlich würde Roland Nikolaus spielen müssen für Mokuba. „Und schön die Stiefel putzen“, zwinkerte sie ihm zu und ging langsam zur Tür. Ihre Hand hielt am Türgriff inne. Kuzuki schaute ihn über die Schulter hinweg an. „Achja, die Warteschleifenmusik ist super!“ Sie kicherte. Fragend sah er sie an. Was war an der Warteschleifenmusik so toll? Es war doch nur Beethoven. Klassisch und nichts besonderes. „Rockin' around the Christmas tree, at the Christmas party house, mistletoe hung where you can see, every couple tries to stop, rockin' around the Christmas tree, let the Christmas spirit ring”, sang sie grinsend und leise vor sich hin und ging hinaus, während er ihr nachsah und verwirrt die Stirn runzelte. „Mokuba…“, entfuhr es ihm nach einer Weile. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)